Tiffany Sexy Band 59

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SCHUSS, KUSS - SCHLUSS? von LEIGH, JO
Mord im Hotel "Hush" - was sollen nur die Gäste denken? Die quirlige Concierge Mia ist wild entschlossen, den Fall zu lösen. Allerdings nicht allein, sondern zusammen mit Detective Bax Milligan. Ein Mann wie aus einem guten Krimi: clever, mutig und gefährlich sexy …

VORSICHT, VIEL ZU HEISS! von SHALVIS, JILL
Lichterloh brennt es zwischen Brooke und dem Feuerwehrmann Zach Thomas. Aber Brooke hat sich geschworen, ungebunden zu bleiben. Ein Vorsatz, den sie nicht aufgeben will. Nicht einmal für den Experten der Brandbekämpfung, der in ihr dieses heiße Feuer entfacht?

MACH DICH FÜR MICH FREI von OREILLY, KATHLEEN
Sex in der City? Schon Seans erster Kuss verrät Cleo, wie fantastisch sie sich im Bett verstehen würden! Das einzige Problem: Cleos Job in New York ist so stressig, dass ihr kaum Zeit bleibt. Nur um Mitternacht könnte sie sich für Sean noch freimachen ...


  • Erscheinungstag 02.05.2009
  • Bandnummer 0059
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952267
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kathleen O’Reilly

Mach dich für mich frei

Sex? Keine Zeit! Cleos Job als stellvertretende Bürgermeisterin von New York ist einfach zu stressig. Bis ihr Sean O’Sullivan über den Weg läuft. Erst will der smarte Anwalt von ihr wissen, warum seine Baupläne boykottiert werden, dann küsst er sie frech, süß und unwiderstehlich! Cleo will mehr – und gerade ist ein Termin um Mitternacht frei geworden …

Jill Shalvis

Vorsicht, viel zu heiß!

Ein halbes Jahr und keinen Tag länger will Brooke bei der Feuerwehr in Kalifornien arbeiten! Aber ihr Kollege Zack Thomas sieht das ganz anders. Schließlich knistert es gewaltig zwischen ihm und der neuen hübschen Sanitäterin. Eigentlich sollte Zach ja jedes Feuer löschen, aber diesen erotischen Schwelbrand möchte er viel lieber anfachen …

Jo Leigh

Schuss, Kuss – Schluss?

Auf der Suche nach dem Filmteam, das im Hotel "Hush" dreht, geht Mia in den Nachtclub des Hotels – und stolpert über eine Leiche! Und weil die junge Concierge nicht nur sehr neugierig, sondern auch ein großer Krimifan ist, mischt sie sich sofort in die Ermittlungen ein. Doppelt spannend! Denn sie werden von einem tollen Mann geleitet …

1. KAPITEL

Cleo Hollings, stellvertretende Bürgermeisterin von New York City, schaute auf ihre Armbanduhr und stöhnte. Sechs Uhr morgens. Sie brauchte Schlaf, dringend. Der Streik der Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe zerrte an ihren Kräften. Überreizt sprangen ihre Gedanken von den ins Stocken geratenen Tarifverhandlungen zu ihrem ins Stocken geratene Liebesleben. Daran zu denken hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt, aber vier Tage ohne ausreichende Nachtruhe, da musste man ja verrückt werden. Sie brauchte Schlaf. Wenigstens ein paar Minuten.

Vorsichtig schob sie die hohen Aktenstapel beiseite, verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch und bettete ihren Kopf darauf. Langsam döste sie ein und verlor sich in Träumen, in denen das Unmögliche möglich war und die Männer aus dem Stoff waren, aus dem Helden geschaffen sind …

Die Wüstensonne brannte vom Himmel, aber innerhalb der hohen Marmorwände der City Hall war es angenehm kühl. Ihre treuen Diener wedelten mit Palmblättern und boten ihr Wasser aus diamantbesetzten Kelchen und die süßesten Weintrauben der Ostküste an. Leider war die Atempause nur kurz. Es wurde Zeit, ihren Pflichten als Herrscherin vom East River nachzukommen. Majestätische Fanfaren-klänge begleiteten sie auf dem Weg zum Thron.

Ihre Wache war zehntausend Mann stark. Sie trugen die blaue Uniform der Bus- und Bahnfahrer als Zeichen ihrer Loyalität ihrer Herrscherin und der Stadt gegenüber. Ehrerbietig teilte sich die Menge vor ihr, um sie durchzulassen. Dabei fiel Cleo ein Fremder auf.

Der Mann war einen Versuch wert.

Sie erkannte es an seinem herausfordernden Blick. Der Mann glaubte, er könnte sie zähmen – sie, die über ganz New York regierte. Es gab nur wenige Männer, die sie zu befriedigen vermochten. Wenn man Cleopatra hieß, waren die Ansprüche hoch.

Langsam näherte er sich ihrem Thron, mit geschmeidigen Bewegungen, wie ein Löwe, der sich an seine Beute heranpirschte. Seine nackten Füße verursachten kein Geräusch auf dem kalten Marmorboden. Elegant kniete er vor ihr nieder, doch er senkte den Kopf nicht ehrfürchtig, wie es sich für einen Untergebenen eigentlich ziemte. Stattdessen sah er ihr gerade in die Augen und versprach ihr mit seinem Blick das Blaue vom Himmel.

Schon viele Männer hatten versucht, sie zu umwerben – mit Geschenken und blumigen Worten, die sich letztlich als leere Versprechungen entpuppten. Sie kannte die Spielchen, doch diese Arroganz war neu für sie.

Cleo war fasziniert.

Sie erhob sich und überragte ihn stehend, um ihn daran zu erinnern, auf welchen Platz er gehörte.

Selbst in kniender Haltung war seine gebändigte Kraft erkennbar. Die kräftigen Muskeln seiner Schultern zeichneten sich verführerisch unter dem dünnen Stoff seiner Toga ab. Cleo verspürte Lust, ihn zu berühren, doch sie verharrte regungslos. Dies waren ihr Palast, ihre Stadt, ihr Reich. Sie regierte mit eiserner Hand und zeigte niemals Schwäche oder Gnade.

Er streckte die Hand aus, als wollte er es wagen, sie anzufassen. Schon sprang eine ihrer Wachen vor, den Speer zum tödlichen Stoß bereit. Die Herrscherin ohne Aufforderung zu berühren bedeutete den sicheren Tod. Sie konnte ein solch herrliches Exemplar jedoch nicht töten lassen. Hastig entließ sie die Wachen, zehntausend Mann, die ihr blind gehorchten. Während sie im Gleichschritt hinausmarschierten, bewunderte sie den dunklen Schopf dieses einen, bemerkte das betörende Aroma von … Issey Miyake Eau de Cologne. Es war ihr Lieblingsduft, der stets Verlangen in ihr weckte.

Um seinen Mund zuckte es verräterisch.

Er wusste es.

Als sie allein waren, lächelte er sogar noch frecher, doch er stand nicht auf. Ohne um Erlaubnis zu bitten, schob er kühn eine Hand durch den Schlitz ihres Kleides und strich an ihrem Bein hoch. Die federleichte Berührung brannte auf ihrer Haut und brachte ihr Blut zum Kochen. Seine Finger waren rau, aber geschickt. Er streichelte sie so hingebungsvoll, dass sie leise seufzte. Cleo war völlig entspannt und vor allem glücklich.

Männer brachten ihr Geschenke. Kein Mann hatte ihr je Glück gebracht.

Schon allein aus dem Grund würde sie ihn am Leben lassen.

„Wer bist du?“, fragte sie.

„Ein einfacher Bauer“, antwortete er, ohne in seinen herrlichen Zärtlichkeiten innezuhalten. Immer höher glitt seine Hand an ihrem Oberschenkel hinauf.

„Warum bist du hier?“, wollte sie wissen. Ihre Stimme klang ein wenig brüchig. Es entging ihm nicht. In seinen Augen blitzte es übermütig auf, und sie fand seine Frechheit auch noch anziehend.

„Ich bitte um Eure Gunst, Exzellenz.“

„Du verstehst dich aufs Bitten“, meinte sie ungeniert anerkennend. Er reagierte auf ihre Offenheit mit einer Liebkosung, die nicht mehr werbend war, sondern unverhüllt fordernd. Cleo schluckte. Ihr wurden die Knie weich. Sie hasste es, Schwäche zu zeigen, doch ihr Körper verriet sie gegen ihren Willen. Die Königin wurde zur Schachfigur.

Schachfigur? Sie war Cleopatra, die mächtige Herrscherin. Sie würde sich vor keinem Mann kleinmachen. Hart stieß sie seine Hand fort. „Schluss mit der Spielerei. Bevor du mir dein Anliegen vorträgst, sollst du mir dienen. Wenn du mir gefällst, belohne ich dich vielleicht. Komm.“

Er stand auf. Er war groß, größer als sie. Sein Blick verriet, dass er eine Schwäche für sie hatte. Cleo lächelte. Ihr konnte kein Mann etwas vortäuschen.

Respektlos setzte er sich auf ihren Thron und zog sie auf seinen Schoß. „Wer könnte Euch widerstehen?“

„Wie kannst du es wagen!“, herrschte sie ihn an und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Unbeeindruckt drehte er sie zu sich herum und küsste sie so verlangend, wie es noch kein Mann vor ihm gewagt hatte. Cleo wehrte sich noch heftiger, doch dann spürte sie seine Erektion an ihrem Bauch und wurde willenlos.

„Ich wage es“, flüsterte er an ihren Lippen und drang mit einem kraftvollen Stoß in sie ein.

Cleo keuchte.

Er war so groß, so kräftig. Sie hatte schon einige Liebhaber gehabt, aber noch keinen wie diesen, keinen so männlichen.

Als er seine Hüften bewegte, langsam und kraftvoll, vergaß sie, dass er auf ihrem Thron saß, sie vergaß, dass er nur ein einfacher Sterblicher in ihrem Reich war. In diesem Moment zählte für sie nur noch, dass dieser Mann die Leere in ihr ausfüllen konnte. Er war genauso leidenschaftlich wie sie. Sie spürte es an seinen eisern kontrollierten Bewegungen. Sein Körper, seine Kraft – all das gehörte ihr.

„Wie heißt du?“, fragte sie, weil sie seinen Namen wissen musste. Er würde künftig ihr Günstling sein. Sie würde ihm eine einflussreiche Stellung geben, ein Stück Land oder eine eigene Stadt, über die er herrschen konnte.

„Mark“, sagte er.

„Mark“, flüsterte sie. Ihre Körper bewegten sich im Gleichklang, und mit jeder Sekunde wurde ihr klarer, dass sie ihn bei sich behalten musste. Er machte sie glücklich. „Mark“, wiederholte sie. „Mark, Mark, Mark …“

Nachdem er an zwei Sicherheitsbeamten vorbeigekommen war und drei Assistenten ausgetrickst hatte, stand Sean O’Sullivan im Büro von Cleo Hollings und überlegte, was er jetzt tun sollte. Dies war ein Szenario, auf das er nicht vorbereitet war. Die stellvertretende Bürgermeisterin von New York City schlief an ihrem Schreibtisch und murmelte dabei den Namen eines gewissen Mark vor sich hin.

Der Glückliche.

Cleo Hollings war sexy – selbst beim Nickerchen am Schreibtisch. Sean sah auf die Uhr. Beinahe acht. Bald würden ihre Mitarbeiter eintreffen. Wegen des immer noch andauernden Tarifstreits im öffentlichen Nahverkehr würde es sofort hektisch zugehen. Dies war seine einzige Chance, Cleo Hollings zu sprechen. Es wäre nicht klug, hier herumzustehen und die Gelegenheit verstreichen zu lassen. Obwohl es ihn schon sehr interessierte, was Cleo noch alles im Traum verraten würde.

Mit einem bedauernden Seufzen legte er eine Hand auf ihre Schulter und rüttelte sie sanft. Ihr langes rotes Haar fiel über seine Finger. Verführerisch. Sehr verführerisch.

Ruckartig hob sie den Kopf. Sie starrte ihn aus großen bernsteinfarbenen Augen an, noch etwas schlaftrunken und zugleich glühend vor Leidenschaft. Das muss schon ein sehr heißer Traum gewesen sein, dachte er und wünschte, er hätte eine Rolle darin gespielt.

Sie blinzelte. „Mark?“

Sean schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Sean O’Sullivan.“

Er lächelte sie an. Schlagartig schwanden Leidenschaft und Schlaftrunkenheit aus ihrem Blick. Ungehalten kniff sie die Augen zusammen.

„Was machen Sie in meinem Büro? Sind Sie wegen des Streiks hier?“

Dies war die stellvertretende Bürgermeisterin, von der er gehört hatte. Cleo Hollings, auch genannt „Wicked Witch of Murray Street“, die böse Hexe in der Stadtverwaltung. Ihr unterstanden die Feuerwehr, die städtischen Verkehrsbetriebe, die Redenschreiber, das Amt für Stadtreinigung und die Gerichte. Sie war berüchtigt für ihr strenges Regiment.

Cleo war sicher nicht die beste Ansprechpartnerin für sein Anliegen, doch nachdem er ein Foto von ihr gesehen hatte, hatte es für ihn festgestanden. Er war fast dankbar dafür, einen Grund zu haben, sich direkt an sie wenden zu können. Sie hatte einen Körper, der Männer verrückt machte, und eine scharfe Zunge, die überall gefürchtet war. Sie war eine Herausforderung, und er liebte Herausforderungen.

„Ich muss mit Ihnen reden“, sagte er.

„Wie bitte? Acht Millionen Pendler in New York müssen zur Arbeit, und es fahren weder Busse noch U-Bahnen. Dies ist der vierte Streiktag. Die Verhandlungen werden in …“ Sie schaute auf die Uhr. „Oh nein, in einer Stunde schon wieder aufgenommen. Ich habe jetzt keine Zeit.“

Sie erhob sich und machte Anstalten zu gehen, aber Sean legte eine Hand auf ihren Arm. „Warten Sie. Bitte. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Zwei Minuten höchstens.“

Cleo blieb wie erstarrt stehen und blickte auf seine Hand. „Sie wagen es“, flüsterte sie.

Ihre Reaktion war ein wenig seltsam, doch Sean ließ sich nicht beirren. „Bitte. Ich komme als Bittsteller zu Ihnen. Sie sind so ziemlich meine letzte Hoffnung.“

Sie schüttelte den Kopf, wahrscheinlich um endgültig wach zu werden und den Traum zu vergessen. Er bemerkte die dunklen Schatten unter ihren Augen. „Wie viel Schlaf hatten Sie letzte Nacht?“, erkundigte er sich besorgt.

„Nicht genug. Sagen Sie mir, was Sie wollen.“

„Es geht um eine Bar“, antwortete er und zog mit stillem Bedauern seine Hand zurück.

„Eine Bar? Sie machen wohl Witze.“

Dieses Feuer, dieses Temperament. Sean war hingerissen. Er konnte sich vorstellen, wie leidenschaftlich Cleo im Bett war. Er sah ihr rotes Haar ausgebreitet auf den Kissen, ihren Körper, der sich seinem leidenschaftlich entgegendrängte …

„Hallo? Sagten Sie eben wirklich, es geht um eine Bar?“

Energisch riss er sich zusammen und setzte seine Anwaltsmiene auf. „Irgendjemand aus dem Büro des Bürgermeisters sabotiert die Bar meines Bruders. Das muss endlich aufhören.“ Seit zwei Jahren wurden seinem Bruder Gabe von den Behörden immer wieder Steine in den Weg gelegt. Mal ging es um angebliche Verstöße gegen die Hygienevorschriften, mal gab es Probleme mit der Stromversorgung, mal musste der Bürgersteig direkt vor dem Gebäude aufgerissen werden. Sean hatte als Anwalt geregelt, was er regeln konnte, aber das jüngste Schreiben der Verwaltung hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.

Er war bereit, der City Hall den Krieg zu erklären.

In der Nähe hörte er Geräusche, das Rascheln von Papier und Stühlerücken. Cleos Mitarbeiter trafen im Büro ein. Er musste sich beeilen. Die Frau vor ihm rieb sich den Nacken. Am Schreibtisch zu schlafen war keine gute Idee. Er hatte das auch schon gemacht und es jedes Mal bereut.

„Möchten Sie, dass ich das für Sie übernehme?“, fragte er. Fasziniert betrachtete er die zarte Haut, die sie mit schlanken Fingern knetete, und ignorierte das erbarmungslose Ticken der Uhr. Er wollte Cleo wieder berühren. Ihr Porzellanteint verleitete einen Mann dazu, sie sich ohne das tadellos sitzende Kostüm vorzustellen.

Nicht jetzt.

„Was meinen Sie?“ Irritiert schaute sie ihn an, offensichtlich immer noch nicht ganz wach und mit den Gedanken woanders.

Lust regte sich in ihm. Er kannte den Mann nicht, von dem sie geträumt hatte, doch in diesem Moment hasste er ihn. Das Foto von ihr, das er in der Zeitung gesehen hatte, wurde Cleos Ausstrahlung nicht gerecht. Es verriet nichts von ihrer Vitalität, nichts von der Glut, die in ihr schwelte und die mit einem Funken jederzeit zu einem lodernden Feuer entfacht werden könnte.

Sean war klug genug, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich meine Ihren Nacken. Ich kann ihn massieren, wenn Sie möchten.“ Er schaute auf die Uhr, hörte draußen Stimmen, ignorierte sie.

„Denken Sie nicht einmal daran, mich anzufassen. Wie heißt die Bar?“

„‚Prime‘. Eine Auflistung des ganzen Wirrwarrs liegt auf Ihrem Schreibtisch. Ich weiß, dass Sie gerade jetzt viel um die Ohren haben, aber ich brauche Hilfe.“

„Ich werde mich darum kümmern“, versprach sie und wandte sich zum Gehen.

Sean hielt sie wieder am Arm fest. Dabei durchzuckte es ihn wie bei einem Stromschlag. „Warum lassen Sie uns das nicht beim Dinner besprechen? Ich lade Sie ein.“

Cleo schlüpfte in ihren schwarzen Ledermantel. „Keine Zeit.“

Er ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Sie essen nicht?“

„Wir lassen uns das Essen seit vier Tagen ins Büro bringen. Aus einem Imbiss.“

„Sie enttäuschen mich“, sagte er, obwohl sie ihn im Gegenteil immer mehr reizte. Sie war anders, so völlig anders als jede andere Frau, die er kannte.

„Das Leben ist voller Enttäuschungen. Sie werden es überleben“, erwiderte sie.

Ja, er würde es überleben, doch wenn sie annahm, er würde nun aufgeben, dann hatte sie sich gewaltig getäuscht. „Ich frage in ein paar Tagen noch einmal bei Ihnen nach – natürlich nur vorausgesetzt, dass Sie den Tarifstreit in ein paar Tagen geschlichtet haben.“

Er provozierte sie absichtlich, nur damit ihre Blicke wieder Funken sprühten. Nicht besonders fein, aber er konnte nicht anders.

Hochmütig zog sie eine Braue hoch. „Glauben Sie etwa, ich wäre nicht in der Lage, zehntausend gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe zur Räson zu bringen?“

Sean sah sie bewundernd an. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass Sie sogar eine ganze Armee von Männern zur Räson bringen könnten. Ob sie nun gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht.“

Sie lächelte beinahe. „Bringen Sie mich nicht dazu, Sie zu mögen. Ich mag keine Männer, die etwas von mir wollen.“

Lässig zuckte er mit den Schultern. „Ich kann es nicht ändern.“

Cleo verließ das Büro. Er folgte ihr die Treppe hinunter und aus dem Gebäude. Den ganzen Weg kämpfte er gegen den Wunsch an, sie zu berühren. Am Tor, wo ihr Fahrer auf sie wartete, blieb sie kurz stehen.

„Hey“, rief Sean.

Sie drehte sich um. „Was ist?“

„Wer ist Mark?“

Sie verkrampfte sich und durchbohrte ihn mit einem Blick aus ihren schönen bernsteinfarbenen Augen. „Ich kenne keinen Mark. Es gibt keinen Mark, und es wird ihn auch nie geben.“

Sie stieg in ihren Wagen, und Sean sah ihr nach, als sie davonfuhr. Gut gelaunt wirbelte er mit einem Fuß das Laub auf dem Bürgersteig auf. Es war ihm egal, wer Mark war. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Cleo zu erobern.

Er wusste nur noch nicht, wie er das anstellen sollte.

Cleo starrte auf ihre Notizen und versuchte sich zu konzentrieren, während ihr Fahrer den Wagen durch den dichten Verkehr manövrierte. Sie fühlte sich immer noch angeschlagen, was nicht gut war. Vor allem nicht jetzt. Wenn sie bei den Tarifverhandlungen Schwäche zeigte, würde sie schon bald ihren Posten verlieren, und das konnte sie sich nicht leisten.

An all dem war nur Sean O’Sullivan schuld. Sie kannte diesen Typ. Sexy, arrogant und gewohnt, das zu bekommen, was er haben wollte. Gewohnt, Frauen um seinen kleinen Finger zu wickeln.

Nein, er war nicht allein schuld. Sie durfte nicht vergessen, dass sie in den letzten vier Nächten jeweils nur vier Stunden geschlafen hatte, dass die Medien sie bestürmten und sie für den schleppenden Fortgang der Verhandlungen verantwortlich machten und dass sie seit über acht Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte.

Ihre Sekretärin rief an und erinnerte sie an die Pressekonferenz um zwölf Uhr. Um sich abzulenken, schaute Cleo aus dem Seitenfenster. Vor einem Busdepot waren Streikposten aufgestellt, die Autos krochen langsam über den Broadway.

Es funktionierte nicht.

Der Gedanke, dass jemand sie beim Schlafen beobachtet hatte, ließ sie nicht los, vor allem wegen des Traums. Normalerweise waren ihre Träume nicht so deutlich. Normalerweise, wenn sie endlich ins Bett fiel, war keine Zeit für Träume und schon gar nicht für etwas anderes. Normalerweise störte sie das nicht, doch heute empfand sie die Leere als schmerzlich.

Sie hätte gern ihren Traum von Cleopatra und Mark Anton für ihre Gemütsverfassung verantwortlich gemacht, aber das wäre nicht die ganze Wahrheit. Nein, teilweise lag es an Sean O’Sullivan. Hauptsächlich sogar. An seinen dunklen Augen, seinem seidigen braunen Haar und dem Moschusduft, der ihre Sinne betörte. Sein Sexappeal war überwältigend.

Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen.

„Miss Hollings? Wir sind in zehn Minuten da.“

„Danke, Chris.“

Ihr Telefon klingelte. Bobby Mc Namara, der Bürgermeister. Ihr Chef.

„Ja?“

„Sie haben mit den Unterhändlern der Transitbehörde gesprochen, richtig? Wir kriegen das doch hin?“

„Natürlich“, antwortete sie, etwas schockiert, dass er ihre Fähigkeiten anzuzweifeln schien. Schließlich war dies bereits ihre zweite Amtszeit als stellvertretende Bürgermeisterin, nachdem sie sich von der Behörde für öffentlichen Wohnungsbau in der Verwaltung hochgearbeitet hatte.„Ich habe alles im Griff. Kein Grund zur Sorge.“

Sie beendete das Gespräch, schaute auf die Autos, die Stoßstange an Stoßstange im Verkehr steckten, und seufzte schwer. Der Streik war schuld an ihrer sonderbaren Stimmung. Ob ihre Nerven nun überreizt waren oder nicht, sie brauchte keinen Mann.

Mc Fadden Burnett war die größte Rechtsanwaltskanzlei in New York. In vierzehn Stockwerken arbeiteten die unterschiedlichsten Typen, die aber eins gemeinsam hatten: den Ehrgeiz, ihre Mandanten mit allen Rechtsmitteln erfolgreich zu verteidigen.

In der siebten Etage lag Seans Büro. Er war auf ärztliche Kunstfehler spezialisiert, ein Gebiet, auf dem nie Mangel an Arbeit herrschte. Ihm machte es nichts aus. Je mehr er zu tun hatte, desto besser. Er liebte seinen Beruf.

Nachdem er in der Kanzlei angekommen war, stellte er einen Kaffeebecher auf den Schreibtisch seiner Assistentin Maureen. „Sie haben die Zeugenaussage von Cannery für mich?“

„Griffbereit in der Datenbank, genau wie Sie es wünschten.“ Maureen war Rechtsanwaltsgehilfin und bereits seit fünfunddreißig Jahren in der Kanzlei tätig, obwohl sie es finanziell nicht nötig hatte zu arbeiten. Sean war froh, dass sie es trotzdem tat, denn eine zuverlässigere Kraft als Maureen konnte man sich nicht denken. Als kleine Anerkennung brachte er ihr jeden Morgen und jeden Nachmittag Kaffee.

Sie trank einen Schluck und schloss einen Moment genießerisch die Augen. Dann griff sie nach dem Block mit den Gesprächsnotizen und informierte ihn.

„Katy von der Umweltinitiative hat angerufen. Der Chef hat es mitbekommen und gesagt, dass Sie sich vorerst nicht bei ihr melden sollen, weil er Dr. Winetraps eidesstattliche Erklärung noch vor dem Mittag komplett auf seinem Schreibtisch haben möchte.“

„Noch etwas?“

„Wilson wollte Sie wegen des Falls Cornell sprechen. Ich habe ihn gefragt, ob es wegen eines außergerichtlichen Vergleichs ist. Er wollte nicht mit der Sprache herausrücken, aber ich bin mir sicher, dass das der Grund war.“

Sean nickte zufrieden und schaute auf die Uhr. Beinahe elf. Bruce, sein Chef, würde sicher schon Gift und Galle spucken, doch das ließ ihn kalt. Der Besuch bei Cleo Hollings war das bisschen Ärger wert.

Die Bar seines Bruders würde bald keine Schwierigkeiten mehr mit den Behörden haben. Cleo Hollings würde das regeln. Natürlich musste er am Ball bleiben, bis es so weit war. Nicht, dass ihn das Überwindung kostete. Er hatte schon immer eine Schwäche für Rothaarige gehabt, aber eine Rothaarige mit solchem Temperament? Er war immer noch erregt, wenn er an ihren feurigen Blick aus funkelnden Augen dachte.

Maureen riss ihn aus seinen Gedanken. „Bruce wollte wissen, warum Sie so spät dran sind. Ich habe ihm gesagt, dass Sie sich von unterwegs gemeldet hätten, weil Sie im Verkehr stecken geblieben wären.“

„Sie sind wunderbar, Maureen. Was wollte die Umweltinitiative?“

Maureen nahm ihre Brille ab. „Die ‚West Side Ladies Botanical Preservation Group‘ möchte die Brachfläche in der City, auf der die Stadt eine Müllsammelanlage plant, zur Hälfte in einen Park umwandeln. Die Stadt ist dagegen. Die Damen haben ausdrücklich um Sie als Repräsentanten gebeten. Wundert mich nicht. Ich glaube, Mrs. Ward, die Vorsitzende der Vereinigung, hat eine Schwäche für Sie.“

„Sie ist fast achtzig.“

„Mrs. Ward hat mir anvertraut, dass sie eine Schwäche für jüngere Männer hat“, antwortete Maureen mit einem Augenzwinkern.

Seans Begeisterung hielt sich in Grenzen. „Ich rufe Katy an.“

Zuerst jedoch musste er sich um seinen Chef kümmern. Im Posteingang seines Computers waren siebzehn E-Mails. Alle von Bruce. Alle spiegelten verschiedene Stadien von Nervosität wider. Im Kollegenkreis wurde der Chef nur „Tin Man“ genannt, weil er wie eine Zinnfigur kein Herz hatte. Buchstäblich und auch im übertragenen Sinn. Bereits vor vier Jahren war dem inzwischen fast Sechzigjährigen ein Kunstherz eingesetzt worden – von den Chirurgen des New York Presby, das zu den Klienten von Mc Fadden Burnett zählte.

„Bruce“, rief Sean gedehnt, als der in der Tür zum Chefbüro erschien. „Es wird auch Zeit. Warum gehen Sie nicht an Ihr Handy?“

Sean holte sein Telefon aus der Tasche. „Sie haben angerufen? Was, zum …?“

„Lassen Sie das, O’Sullivan. Wo stehen wir?“ Bruce winkte ihn ungeduldig hinein. Der Grund für die Ungeduld seines Chefs war der Fall Davies – die Versicherungsgesellschaft Mutual Insurance gegen das New York General. Es ging um fünfunddreißig Millionen Dollar.

Die Klinik zählte zu Amerikas drittgrößter Krankenhauskette und war einer der größten Klienten der Kanzlei. Die Versicherung hatte bei einem Patienten nicht die Kosten für eine Nierentransplantation übernehmen wollen und daher behauptet, dass eine Dialyse in diesem Fall völlig ausreichend sei. Erst als es dem Patienten immer schlechter gegangen war, hatte sich die Versicherung auf seine Seite geschlagen und dem Krankenhaus Behandlungsfehler vorgeworfen.

„Ich habe den Bericht des verantwortlichen Arztes vorliegen und einen Nierenspezialisten als Zeugen. Mein Team bereitet ihn auf die Verhandlung vor. Wir sind bestens für den Prozess gerüstet. Die Versicherungsgesellschaft ist geliefert.“

Bruce holte tief Luft. „Ihr Bruder hat angerufen.“

„Warum nehmen Sie meine Anrufe entgegen?“

„Ich dachte, Sie wären dran“, erklärte Bruce.

„Welcher Bruder?“

„Der Barbesitzer. Er hat Ihnen eine Nachricht auf Ihrem Handy hinterlassen.“

Sean holte sein Handy aus der Tasche und stellte fluchend fest, dass der Akku leer war. Er eilte zurück in sein Büro und rief Gabe von seinem Apparat dort an. „Was ist los?“

„Die Bar ist geschlossen worden, Sean. Was, zum Teufel, hast du gemacht? Du solltest die Angelegenheit in Ordnung bringen, statt alles noch schlimmer zu machen. Seit zwei Jahren kämpfe ich mit den Behörden, aber noch nie wurde die Bar dichtgemacht. Weißt du, welcher Tag heute ist? Donnerstag. Morgen ist Freitag. Weißt du, was die Leute freitags gern tun? Sie gehen einen trinken.“

Sean runzelte die Stirn. „Warte, warte, warte. Wer hat die Bar geschlossen?“

„Irgendein Schreibtischtäter aus dem Büro des Bürgermeisters. Gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde, dem Amt für Denkmalschutz und der Gewerbeaufsicht. Es war ein großes Aufgebot. Du hättest es sehen sollen.“

Nicht möglich. Unmöglich, dass Cleo Hollings dies veranlasst hatte. Sie saß am Verhandlungstisch. Sie konnte es nicht getan haben.

„Das Büro des Bürgermeisters? Bist du sicher?“, fragte er vorsichtig. Er wollte genau wissen, wer für die Schließung verantwortlich war. Cleo hätte nur kurz telefonieren müssen. Dreißig Sekunden oder weniger. Ja, sie könnte es getan haben. Immerhin war sie sehr wütend gewesen. Müde, gereizt und … frustriert. Er erinnerte sich an ihren schlaftrunkenen Blick und verspürte sofort wieder Erregung, was ihn nur noch mehr ärgerte. Cleo Hollings wollte sich mit ihm anlegen? Nur zu.

„Du kannst es schwarz auf weiß nachlesen. Der Beschluss hängt an der Tür. Morgen gibt es keine Drinks im ‚Prime‘.“

„Ich kümmere mich darum“, versprach Sean grimmig. „Noch vor der Happy Hour wird der Betrieb wieder laufen.“

„Sicher?“

Seans Lächeln wurde noch eine Spur grimmiger. „Es ist nichts, was ich nicht regeln kann.“

2. KAPITEL

Die Tarifverhandlungen wurden unterbrochen, und Cleo kehrte schlecht gelaunt in ihr Büro zurück. Dort ließ der nächste Ärger nicht lange auf sich warten. Sean O’Sullivan stürmte mit vor Zorn gerötetem Gesicht in ihr Zimmer.

„Sie haben die Bar von einem Ihrer Handlanger schließen lassen, nicht wahr?“, wetterte er los. Plötzlich spielte seine erotische Ausstrahlung keine so große Rolle mehr, obwohl Cleo fand, dass er eine tolle Stimme hatte, wenn er wütend war.

Belinda, eine ihrer Praktikantinnen, kam hinzu und blieb an der Tür stehen. „Wir haben versucht, ihn aufzuhalten, aber er kennt die Sicherheitsbeamten. Es tut mir leid.“

Cleo schaute Belinda an und entließ sie mit einer Kopfbewegung. „Ich werde das klären.“ Belinda sah nicht gerade glücklich aus, doch sie gehorchte.

Danach wandte sie sich Sean zu. „Wir sind mitten im Streik, und ich soll eine Einigung herbeiführen. Glauben Sie im Ernst, dass ich Zeit habe, Sie zu schikanieren?“

Er musterte sie verwirrt. „Sie waren das nicht?“

„Und auch keiner meiner Handlanger“, ergänzte sie angespannt.

Sean atmete tief ein und schob die Hände in die Hosentaschen. Cleo bemerkte dennoch, dass er die Hände dabei zu Fäusten ballte. Der Mann hatte Temperament.

„Jemand aus diesem Büro hat die Bar schließen lassen.“

Tony, ein weiterer Praktikant, erschien an der Schwelle und fragte: „Brauchen Sie Hilfe, Miss Hollings? Ihr Treffen mit dem Bürgermeister steht an. Ich kann diesen Typen hinauswerfen“, bot er an, obwohl Sean O’Sullivan ihn im Ernstfall vermutlich mit links überwältigen könnte. Typisch Tony – loyal, aber nicht weitsichtig. Er würde es in der Stadtverwaltung weit bringen.

„Dafür ist es ein bisschen zu spät, Tony. Ich kümmere mich darum, danke.“

Tony maß Sean mit einem abschätzigen Blick und verließ das Büro.

Cleo schaute auf ihre Armbanduhr. In einem hatte Tony recht, der Bürgermeister konnte jeden Moment bei ihr auftauchen, um ihren Bericht zu hören. „Sie werden jetzt gehen. Es reicht.“

Sean warf die Tür zu und setzte sich lässig auf die Couch. „Es ist mir egal, ob Sie Zeit haben oder nicht. Jemand aus diesem Büro macht meinem Bruder das Leben schwer, und das gefällt mir gar nicht.“

„Niemand in diesem Büro interessiert sich für Ihre Bar. Ich habe ein Meeting mit dem Bürgermeister.“

„Sie haben den Tarifstreit immer noch nicht geschlichtet?“, fragte er beiläufig.

Diesmal war sie es, die heimlich die Hände zu Fäusten ballte. Mistkerl.

„Also, wenn dieser Streik alle Leute hier so sehr in Atem hält“, fuhr er fort, „wie kommt es dann, dass jemand aus diesem Büro, jemand aus der Gesundheitsbehörde, jemand vom Denkmalschutz und jemand von der Gewerbeaufsicht ausschwärmen können, um einen amtlichen Beschluss an die Tür zur Bar meines Bruders zu heften?“

Cleo kniff die Augen zusammen. Aus Gewohnheit schlug sie den milderen Tonfall an, mit dem man aufgebrachte Wähler beruhigte. „Ich verspreche Ihnen, dass ich mich darum kümmere, sobald der Streik vorbei ist.“

„Wunderbar, jetzt werde ich bestimmt viel ruhiger schlafen“, erwiderte er sarkastisch. Dann holte er seelenruhig sein Handy heraus, als ob er in ihrem Büro zu Hause wäre.

Cleo deutete zur Tür. Sean lächelte nur und wählte.

Mistkerl.

„Hallo, Mike. Hier ist Sean O’Sullivan. Wie geht’s dir? Wie geht’s deiner Frau? Wirklich? Das wievielte ist es denn, das vierte? Ziemlich beschäftigt, was? Also, hör zu. Ich renne die Treppe zum Bahnhof an der Prince Street runter, mal wieder viel zu spät dran fürs Gericht, und unten angekommen, stelle ich fest, dass kein Mensch dort ist. Verdammt, denke ich, wie konnte ich nur so blöd sein und den Streik vergessen? Ihr macht mich fertig. Euretwegen komme ich noch in Teufels Küche. Lach bitte nicht …“

Cleo beobachtete ihn fasziniert. Er war demnach vermutlich Anwalt. Das erklärte einiges. Aber wer war Mike?

„Ich weiß, dass du nichts damit zu tun hast, doch was ist eigentlich der Grund, wieso es nicht weitergeht? Ja, der Bürgermeister ist ein Dickschädel, ich weiß, ich weiß. Ich habe ihn nicht gewählt.“

Sean stand auf und begann, beim Telefonieren umherzugehen. Cleo beobachtete ihn. Er ignorierte ihr gerahmtes Diplom von der Rutgers University an der Wand, ignorierte die Pressefotos daneben, ignorierte das Bild von Bobby Mc Namara bei seiner Amtseinführung. Er ignorierte alles, einschließlich sie.

„Eine Lohnerhöhung um zehn Prozent? Das ist völlig überzogen in diesen Zeiten, Mike. Warum fordert ihr nicht etwas weniger? Fünf Prozent halte ich für vernünftig.“

Cleo hielt zwei Prozent für vernünftig, aber sie hörte jetzt aufmerksamer zu. Mike, wer immer das sein mochte, wusste offensichtlich Bescheid.

Sean blieb vor ihrem Schreibtisch stehen. „Ihr wollt auf sieben Prozent hinaus?“

Niemals, dachte Cleo. Waren denn alle in dieser Stadt verrückt geworden? Wahrscheinlich. Einschließlich sie selbst.

Doch sie war nicht dumm. Sie kritzelte etwas auf einen Zettel und schob ihn Sean hin.

Rente?

Er nahm den Zettel und nickte. „Na gut, und was ist mit der Rente? Wie wäre es, wenn die Verkehrsbehörde den Grundstock für einen Rentenfonds legte und anschließend die Gewerkschaften die Finanzierung übernähmen?“

Ein Rentenfonds? Clever. Damit würde die Stadt auf Dauer Milliarden sparen. Die Idee gefiel Cleo. Sie gefiel ihr außerordentlich.

Sean notierte eine Zahl. Cleo nahm ihren Tischrechner und fing an zu kalkulieren. Das könnte funktionieren. Erstaunt sah sie Sean an. Er fing ihren Blick auf und lächelte selbstgefällig.

„Ich weiß, ich weiß, der Job ist hart, aber ich möchte endlich wieder mit der U-Bahn fahren, Mike. Es nervt mich einfach. Ja, ja, ich weiß. Ich bin ein Träumer. Wie dem auch sei, ich wollte dir nur einen Floh ins Ohr setzen. Wir sollten mal wieder zusammen essen gehen … oh, oh, der Boss ruft. Ich muss Schluss machen. Danke, Mike.“

Sean beendete das Gespräch und schaute Cleo fragend an. „Können Sie das durchsetzen?“

„Nein“, sagte sie, nur um zu widersprechen. Dabei war der Vorschlag genial. Die Verkehrsbehörde könnte so wahrscheinlich sogar eine Fahrpreiserhöhung für mehrere Jahre verhindern. Der Bürgermeister würde gefeiert werden.

„Ich wette, dass Sie es können. Die Stadt würde auf lange Sicht Millionen einsparen.“ Lässig ließ er sich auf das Sofa fallen.

„Wer ist Mike?“, fragte Cleo.

„Mike Flaherty. Anwalt der Gewerkschaft. Wir haben zusammen studiert. Er ist in Ordnung.“

Es klang, als würde er jeden in New York kennen.

„Wer sind Sie?“

„Sean O’Sullivan.“

„Ich erinnere mich an Ihren Namen. Wer sind Sie?“

„Ich bin ebenfalls Anwalt. Bei Mc Fadden Burnett. Mein Fachgebiet sind ärztliche Kunstfehler.“

Auch das noch. Im Paragraphendschungel galten Anwälte, die auf ärztliche Kunstfehler spezialisiert waren, als Raubtiere, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Sie dagegen verspürte bei diesem Gedanken Erregung. Sehr starke Erregung.

Sie riss sich zusammen. „Sind Sie sicher, dass Mr. Flaherty Ihren Vorschlag aufgreifen wird?“

Sean zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Versuchen Sie es einfach. Und gehen Sie nicht über fünfeinhalb Prozent hinaus. Mike hat von sieben Prozent gesprochen, aber er zielt immer ein paar Punkte höher. Ich habe einige Male mit ihm Poker gespielt.“

„Dafür schulde ich Ihnen etwas, nicht wahr?“ Cleo hatte keine Schulden, nicht einmal eine Hypothek. Sie hasste es, jemandem etwas schuldig zu sein, und stellte sich zugleich erregt vor, wie Sean seinen Lohn einfordern würde, mit kräftigen Stößen, bis sie um Erlösung bettelte …

Oh Mann. Das kam nur davon, dass sie zu wenig schlief, und davon, dass sie seit dem Quickie mit George aus der Presseabteilung im Flur auf der Weihnachtsfeier im vergangenen Jahr keinen Sex mehr gehabt hatte.

Sean lächelte sie an. „Sie schulden mir etwas, aber nur, wenn Sie sich zutrauen, zehntausend gewerkschaftlich organisierte Arbeiter in den nächsten vierundzwanzig Stunden auf eine Linie zu bringen.“

Sie fühlte, wie es sie heiß durchrieselte. Vergeblich versuchte sie ihre Aufregung zu unterdrücken. „Ich schaffe es in zwei Stunden.“

„Dann treffen wir uns heute Abend auf einen Drink. Und dabei werden wir uns über die Bar unterhalten.“

Cleo musterte ihn. Sein kantiges Kinn verriet Eigensinn, und seine Nase sah so aus, als wäre sie schon zweimal gebrochen. Sie konnte sich denken, warum.

„Na schön“, stimmte sie wider besseres Wissen zu. Sie wurde zu Hause gebraucht und hätte wahrscheinlich nur eine halbe Stunde Freizeit, doch das sollte genügen. In ihrer Welt lief ihr nicht oft jemand wie Sean O’Sullivan über den Weg. Sie witterte die Chance auf ein kurzes sexuelles Abenteuer, und diese Chance würde sie nutzen. „Es könnte spät werden“, warnte sie ihn.

„Je später, je besser“, meinte er und warf seine Visitenkarte auf ihren Schreibtisch.

Ihr Herz pochte heftig. Sean O’Sullivan ist ein Spieler, erinnerte sie sich. Ein kurzes Abenteuer, mehr nicht. Dreißig Minuten und fertig. Und hoffentlich dreißig Minuten, die sich lohnten.

Zwei Stunden später hatte Cleo die Bestätigung, dass Sean recht gehabt hatte. Der Chefunterhändler der Verkehrsbehörde und der Gewerkschaftsführer handelten die letzten Details der Vereinbarung aus. Beschwingt verließ sie das Hotel, in dem die Gespräche stattfanden.

In der City Hall war fast niemand mehr. Nach ihrem Anruf beim Bürgermeister schien sich bereits herumgesprochen zu haben, dass der Streik beendet war. Die Sicherheitsbeamten winkten ihr zu, als sie allein über den Flur ging. Cleo war erschöpft, aber ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Jeder, der sie kannte, würde es ihrem Erfolg zuschreiben. Sean O’Sullivan würde es als Vorfreude deuten. Er hätte recht damit.

In ihrem Büro überprüfte sie, ob sie in der Zwischenzeit Nachrichten erhalten hatte. Sollte es zu Hause Probleme geben, würde sie die Verabredung mit Sean absagen müssen. Dann wäre die Chance auf Abwechslung erst einmal vertan. Doch sie wollte ihn sehen, wollte seinen Mund auf ihren Lippen, seine Hände auf ihrem Körper spüren. Diese Nacht war sicher nicht der beste Zeitpunkt, Versäumtes nachzuholen, aber wenn sie sich beeilten und noch vor Mitternacht zu Hause wäre, ginge es in Ordnung.

Nur der Bürgermeister hatte ihr eine Voicemail hinterlassen. Er gratulierte ihr nochmals und bat sie, für den nächsten Morgen ein Meeting mit dem Gesundheitsausschuss anzuberaumen. Während des Streiks hatte sein Lieblingsprojekt, eine Kinderklinik in Harlem mit kostenfreien Behandlungsmöglichkeiten, hintanstehen müssen. Nun sprach er davon, keine Zeit mehr verlieren zu dürfen.

Recht hat er, dachte Cleo. Sie atmete tief durch und wählte Seans Nummer.

„Ja“, meldete er sich, als ob er genau wüsste, wer anrief. Selbst übers Telefon klang seine Stimme sinnlich und ließ Cleos Herz schneller schlagen.

„Sagen Sie mir, wo wir uns treffen.“

„Es gibt ein Lokal an der Ecke der Siebenundvierzigsten und Zehnten Straße. Wie lange werden Sie brauchen?“

Cleo schaute durchs Fenster auf die Straße. „Geben Sie mir eine Stunde.“

„Also bis später.“

Der Fahrer setzte Cleo an der Adresse ab, die Sean ihr genannt hatte, und sie stieg aus dem Dienstwagen.

„Soll ich warten?“, fragte der Chauffeur höflich.

„Nicht nötig.“ Für den Nachhauseweg würde sie ein Taxi nehmen. Sie hatte fünfundvierzig Minuten Zeit für Sean O’Sullivan. Sie würde versuchen, sein Problem zu lösen und sich nebenbei auf die Schnelle sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Da sie in hundertvierzig Sekunden zum Orgasmus kommen konnte, waren fünfundvierzig Minuten für dieses Treffen reichlich bemessen.

Langsam ging Cleo auf die Bar zu und blieb davor stehen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Der behördliche Beschluss war unübersehbar an der alten Holztür angebracht. Schlagartig begriff sie, wohin Sean sie bestellt hatte.

Ins „Prime“. Sie hätte es sich denken können.

Aufmerksam las sie den Text durch. Das Schreiben war vorschriftsgemäß aufgesetzt. Kein Hinweis verriet, wer hinter diesem bürokratischen Kleinkrieg steckte. Es könnte im Prinzip jeder gewesen sein, denn jeder einzelne Verwaltungsangestellte wusste genau, wie man einem Menschen ganz legal das Leben schwer machen konnte. Cleo verurteilte derartige Schikanen.

Die Bar wirkte wie aus einer anderen Epoche. Dunkelgrüne Markise, Rauchglasscheiben in antiken Fensterrahmen. Sie bewunderte gerade die Fassade, als Sean hinter ihr auftauchte. Er trug denselben Anzug wie bei seinem Besuch in ihrem Büro, nur die schwarze Krawatte hatte er inzwischen gelockert.

„Kommen Sie herein“, lud er sie ein und schloss die Tür auf. Cleo lief unter seinem Blick ein Schauer über den Rücken, doch sie ließ sich nichts anmerken. Hier ging es um Geschäftliches, wenigstens fürs Erste. Sie folgte ihm in die Bar und hatte das Gefühl, in längst vergangene Zeiten zurückversetzt worden zu sein. Drei Mahagonitresen waren u-förmig angeordnet. Der Fußboden aus Eichenholz glänzte trotz der Gebrauchsspuren. Unmengen von Fotos hingen an den Wänden. Es waren Fotos von Barbesuchern, darunter prominente New Yorker aus mehreren Jahrzehnten.

„Gefällt Ihnen die Bar?“, fragte Sean gespannt.

Viel zu sehr. „Sie ist hübsch. Wie tausend andere Bars in der Stadt“, antwortete sie betont gleichgültig. Sie wollte Sean nicht zu sehr mögen. Sie wollte nur Sex auf die Schnelle und dann wieder in ihr chaotisches Leben zurückkehren. „Erzählen Sie mir, was Sie für Schwierigkeiten haben.“

Sean bot ihr einen Platz am Tresen an und setzte sich neben sie. „Vor zwei Jahren hat mein Bruder Gabe den Laden nebenan gekauft. Danach fingen die Probleme an. Mein ältester Bruder Daniel und ich stehen mit im Grundbuch, und wir helfen auch mit, aber eigentlich ist es Gabes Bar. Unser Urgroßvater hat sie gegründet, und immer war ein O’Sullivan Inhaber. Irgendwann hat ein Onkel oder ein Cousin – ich weiß nicht genau, wer es war – das Lokal geteilt und eine Hälfte verkauft, weil immer weniger Gäste kamen. Gabe hat diesen Teil zurückgekauft, um die Bar wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen. Die Schwierigkeiten begannen mit dem Antrag auf Umbaugenehmigung. Sie wurde zurückgehalten, bis ich einen Freund in der Baubehörde dazu überreden konnte, uns endlich grünes Licht zu geben. Darauf folgte eine Inspektion durch das Gesundheitsamt. Eine Freundin dort half mir, die Sache zu regeln. Dann wurde der Bürgersteig vor dem Haus aufgerissen, weil Rohrleitungen repariert werden mussten. Die Arbeiten dauerten einen ganzen Monat. Jetzt haben wir Ärger mit dem Amt für Denkmalschutz. Die Baugenehmigung wurde zurückgezogen, und wir sitzen nun mit einer halb renovierten Bar da.“

Er deutete auf die hintere Wand, die mit einer Leinwandplane verhängt war.

Entweder hatten die O’Sullivans eine echte Pechsträhne, oder es steckte tatsächlich Schikane dahinter. Möglich war alles. „Sie glauben, das Büro des Bürgermeisters ist dafür verantwortlich?“, fragte Cleo.

„Dort laufen zumindest alle Fäden zusammen.“ Sean lehnte sich mit besorgtem Blick vor. „Können Sie etwas tun?“

„Ja“, versprach sie. So etwas gehörte zu ihrem Job. Gleich am folgenden Tag würde sie als Erstes mit der Sekretärin des Bürgermeisters reden.

„Dann lassen Sie uns darauf anstoßen“, schlug er vor, öffnete eine Flasche Champagner, die schon hinter dem Tresen bereitstand, und schenkte zwei Gläser ein. „Das ist der beste Champagner, den mein Bruder zu bieten hat. Wenn Sie es ihm nicht verraten, werde ich die Flasche ersetzen, bevor er es bemerkt.“

Cleo hob das Glas und trank einen Schluck, doch es war Sean, der ihre Sinne betörte. Er hatte eine fast magische Ausstrahlung, der sie sich nicht entziehen konnte. Ihr wurde heiß in seiner Nähe, es kribbelte in ihr, und sie konnte es kaum erwarten, ihm näherzukommen.

„Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mir helfen wollen“, meinte er fast ein wenig überrascht. „Ich habe einen interessanten Artikel über Sie gelesen. Man nennt Sie die ‚Wicked Witch of Murray Street‘. Wie sind Sie zu dem Spitznamen gekommen?“

Es war keine Geschichte, die sie oft erzählte. Es war auch definitiv nicht die Geschichte, die sie dem Reporter erzählt hatte, aber es gefiel ihr, wie intensiv Sean sie musterte, so als ob sie die einzige Frau auf der Welt wäre. „Gleich nach dem College bekam ich einen Job in leitender Position in der Abteilung für öffentlichen Wohnungsbau. Ich war noch ein richtiger Grünschnabel. Ich sagte Bitte und Danke und lobte die Leute für ihre Arbeit. Management nach dem Lehrbuch. Das Ergebnis war, dass ich nichts zustande brachte. Nach achtzehn Monaten nahm mich endlich eine meiner Vorgesetzten beiseite und machte mir klar, dass wir hier in New York sind und nicht im Buckingham Palast und dass ich hoffnungslos untergehen würde, wenn ich weiterhin so nett wäre. Also hörte ich damit auf. Und wissen Sie was? Sie hatte recht. Ich brüllte, und zum ersten Mal legten sich meine Mitarbeiter richtig ins Zeug. Ich trat energisch auf, und, siehe da, ich wurde beachtet. Warum bin ich wohl die einzige Frau unter den Stellvertretern des Bürgermeisters?“

„Er soll eine Schwäche für schöne Frauen haben“, erwiderte Sean wie beiläufig, während sein Blick ihre Lippen suchte.

Rasch trank Cleo ihren Champagner aus. Ihr war leicht schwindelig, jedoch nicht vom Alkohol. „Ist das Ihre Art zu fragen, ob ich ein Verhältnis mit ihm habe?“

„Ja.“

„Die Antwort lautet Nein.“

„Ich wette, er ist darüber enttäuscht“, murmelte Sean.

„Ich lasse ihn gut dastehen. Dafür wird er mit der Enttäuschung fertig.“

„Also, gibt es jemanden?“, bohrte er und füllte ihr Glas auf.

„Sie meinen, ob es einen Mann in meinem Leben gibt?“ Cleo überlegte, ob es ihn abschrecken würde, wenn es so wäre. Sie glaubte es nicht. Er sah aus wie ein Mann, der nur ein Ziel hatte: sie.

„Genau das meine ich.“

„Es gibt niemanden“, gestand sie. In ihrem Leben war kein Platz für irgendjemanden.

„Gut. Wer ist dann Mark?“

Cleo wurde rot vor Verlegenheit. Sie konnte ihm unmöglich von ihrem erotischen Traum erzählen, in dem sie die Herrscherin der Welt gewesen war. „Er ist niemand.“

„Sie können es mir ruhig sagen“, ermunterte Sean sie, als wüsste er, dass sie sexuelle Fantasien hatte. Er kam ihr vor, als wollte er sie alle hören – in allen aufregenden Details.

„Was wäre denn, wenn es einen anderen Mann gäbe?“, fragte sie, um ihn zu verunsichern.

Er zuckte mit den Schultern. „Es wäre eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.“

„Für so gut halten Sie sich?“ Sie zog die Augenbrauen hoch.

„Sehen Sie, dass ist eine Falle, in die viele Leute tappen. Es ist ein Irrglaube, dass es ein Patentrezept für guten Sex gibt. In Wirklichkeit ist jede Frau einzigartig. Jede Frau hat besondere Vorlieben, und es ist die Aufgabe des Mannes, diese Vorlieben zu entdecken. Er muss herausfinden, auf welche Weise sie geküsst werden mag, welche Dinge sie wahnsinnig gern täte, aber niemals irgendjemandem anvertrauen würde.“

„Und all das wissen Sie über mich?“, fragte sie, erschreckt und erregt zugleich.

„Noch nicht“, erwiderte Sean. Er nahm ihre rechte Hand, drehte sie um und strich mit dem Zeigefinger über die Handfläche. „Der Körper einer Frau ist wie eine Landkarte. Man fängt an einer Stelle an, um ihn zu erforschen, und macht immer weiter. Und irgendwann entdeckt man, was sie wirklich will.“

Cleo atmete schneller. Das klang nach einem Programm, das wesentlich länger als fünfundvierzig Minuten dauerte.

Unauffällig schaute sie auf die Uhr. Sie hatte nicht mal mehr eine halbe Stunde. Und auch die würde ihr nichts nützen. Sean schien nicht der Typ Mann zu sein, der auf Quickies stand. Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter.

Zeit zu verschwinden, sagte sie sich. Trotzdem blieb sie wie festgeklebt sitzen, umklammerte seine Hand und verlor sich in seinem Blick.

„Ich muss gehen“, erklärte sie mit schwacher Stimme.

Bevor sie sich bewegen konnte, bevor sie zur Besinnung kommen konnte, zog er sie an sich und presste seine Lippen verlangend auf ihre.

Bisher hatte Cleo nie besonders gern geküsst. Bei ihrem Termindruck betrachtete sie erotisches Vorspiel als Zeitverschwendung, aber Seans Kuss war mehr als ein Vorspiel, er war eine raffinierte Art von Sex. Selbstvergessen schlang sie die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich fest an ihn. Sie verspürte Sehnsucht. Das Beste war, dass es ihm genauso zu gehen schien. Sie fühlte seine Erregung nur zu deutlich. Er umfasste ihr Kinn, liebkoste ihren Mund mit seiner Zunge, so verführerisch, so schmeichelnd, dass sie vor Lust dahinschmolz. Unwillkürlich bewegten sich ihre Hüften im Rhythmus seiner Zunge. Fasziniert genoss Cleo völlig neue Glücksgefühle.

Sie könnte sich an diese Glücksgefühle gewöhnen. Sie könnte vor lauter Glück alles um sich herum vergessen.

Glockenschläge holten sie in die Realität zurück. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn. Elf. Zwölf.

Stille. Das Glücksgefühl verpuffte.

Cleo hob den Kopf, starrte auf die tickende Uhr an der Wand und fluchte.

Sie verspätete sich.

Sean atmete heftig. Sein Blick war heiß und zugleich voller Frust.

„Ich muss gehen“, sagte sie und wand sich aus seinem Griff.

Einen Moment lang hielt er sie am Arm fest. „Lass uns morgen Abend zusammen ausgehen.“

„Ich kann nicht.“

„Wegen Mark?“, fragte er.

Sie blinzelte verwirrt, bis ihr einfiel, was es mit diesem Mark auf sich hatte. Es ärgerte sie, dass sie es wegen Sean vergessen hatte. Mark Anton, der Held ihrer Fantasien, war viel leichter zu kontrollieren als ein Sean O’Sullivan aus Fleisch und Blut, der ihren Puls zum Rasen brachte und Sehnsüchte in ihr weckte, für die sie keine Zeit hatte.

Ärger war für sie bequemer als Bedauern. Sie wollte Sean gerade anfauchen, als sie das übermütige Funkeln in seinen Augen bemerkte. Es fiel ihr schwer, ihn zurückzuweisen, weil sie anfing, ihn zu mögen. „Es ist nicht so einfach.“

Sanft strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. „Doch, es ist so einfach“, erwiderte er mit wunderbar beruhigender Stimme.

„Du sagst Ja. Ich lade dich auf einen Drink ein. Zum Essen. Ins Kino. Was auch immer du möchtest. In Manhattan gibt es viele Möglichkeiten.“

Cleo senkte den Blick. „Ich bin bis zum Frühjahr ausgebucht.“

„Soll das ein Scherz sein?“

„Ehrlich gesagt, nein.“

Ihr Handy klingelte und erinnerte sie daran, dass sie spät dran war.

„Ich muss gehen“, wiederholte sie, nicht willens, sich auf irgendetwas einzulassen.

„Montag“, sagte Sean und geleitete sie zur Tür. „Dann kannst du mir erzählen, was du über die Bar herausgefunden hast.“

„Vielleicht noch nichts“, antwortete sie. Im letzten Moment widerstand sie dem Impuls, ihre Lippen zu berühren, die immer noch von seinem Kuss brannten.

„Wer weiß?“

„Ich muss gehen“, wiederholte sie zum x-ten Mal, auch wenn sie sich dumm dabei vorkam.

„Wir sehen uns Montag.“

„Was?“, fragte sie verwirrt.

„Geh nach Hause. Schlaf dich erst mal aus.“

Cleo ging zwei Blocks Richtung Süden, bis sie merkte, dass dies die falsche Richtung war.

3. KAPITEL

Cleo lebte in einer alten Stadtvilla an der Upper West Side. Das Haus war um achtzehnhundert erbaut, und es klapperte in den Rohrleitungen, wenn heißes Wasser hindurchlief. In den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts war das Gebäude modernisiert worden. Seitdem sorgte eine Klimaanlage in den heißen Sommern für angenehme Kühlung. Der originale Parkettfußboden war gepflegt und duftete immer leicht nach Zitrone. Die schönen antiken Möbel waren seit vier Generationen im Besitz der Familie Hollings.

Cleo hatte beinahe ihr ganzes Leben hier verbracht.

Beinahe. Zwischendurch hatte sie dreieinhalb Jahre in Rutgers studiert, und anschließend hatte sie sich zwei Jahre lang eine Wohnung mit drei Zimmergenossen geteilt. Das Leben war eine einzige lustige Party gewesen. Als sie dreiundzwanzig war, hatte sich all das geändert, und sie war wieder ins Haus ihrer Mutter gezogen.

„Mom?“, rief sie, als sie die Tür öffnete. Sofort bemerkte sie den Rauch und den Geruch von Angebranntem.

„Mom?“ Panik stieg in ihr auf. Sie lief durch den Flur und entdeckte den Grund für den beißenden Gestank in der Küche. Eine Kupferpfanne mit schwarz gebranntem Boden stand noch qualmend im Spülbecken.

Cleo stützte sich auf den Tresen und atmete tief durch. Okay, das war keine Katastrophe.

„Mrs. Cagle?“

Es war nicht Mrs. Cagle, die auf ihr Rufen erschien, sondern Elliott Macguire, Cleos Onkel, der ein Stockwerk unter ihnen wohnte und die Apartments in den unteren beiden Etagen verwaltete. „Elliott? Ist mit Mom alles in Ordnung?“

„Sie schläft.“ Cleo schaute sich um und fluchte innerlich. „Was ist passiert?“

„Rachel wollte kochen, aber dann hat sie die Pfanne auf dem Herd vergessen.“

„Wo ist Mrs. Cagle? Sie sollte hier sein. Sie hat auf solche Dinge zu achten. Das kann doch nicht so schwer sein.“ Mrs. Cagle hatte normalerweise nachmittags und abends Dienst, bis Cleo von der Arbeit nach Hause kam.

„Sie rief mich an, nachdem sie das Feuer gelöscht hatte. Ich sagte ihr, dass sie heimgehen solle und dass ich bei Rachel bleiben würde.“

Cleo starrte auf die Pfanne, hin- und hergerissen zwischen Angst und Wut. „Morgen früh rede ich als Erstes mit dem Pflegedienst. Mrs. Cagle will ich hier nicht mehr sehen. Mom hätte sich verletzen können. Wäre ich doch bloß hier gewesen, Elliott. Solche Dinge passieren nicht, wenn ich hier bin.“

„Du kannst nicht vierundzwanzig Stunden am Tag für deine Mutter da sein. Mittlerweile hast du bereits vier Betreuerinnen gefeuert, Cleo. Vielleicht ist es an der Zeit, innezuhalten und nachzudenken.“

Nein. Sie brauchte nicht nachzudenken. Sie hätte heute Abend eher hier sein sollen. Vor lauter Schuldgefühlen war ihre Kehle auf einmal wie zugeschnürt.

„Wir müssen reden, Cleo.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Da gibt es nichts zu reden, Elliott. Ich habe wegen des Tarifstreits in den letzten vier Tagen kaum geschlafen und kann im Moment nicht einmal mehr klar denken.“

Der letzte Teil war glattweg gelogen. Sie konnte durchaus noch klar denken. Sie wusste ganz genau, dass es andere Betreuungsmöglichkeiten für ihre Mutter gab, aber die würde sie um keinen Preis in Anspruch nehmen. Mit Elliotts Hilfe würde sie es schaffen, ihre Mutter weiterhin zu Hause zu betreuen.

Ihr Onkel schaute sie traurig an, aber Cleo hob den Kopf und richtete sich gerade auf. „Ich danke dir. Du hast etwas gut bei mir.“

„Ich kann das nicht mehr, Cleo.“

Sie presste zwei Finger an die Schläfen und schloss sekundenlang gequält die Augen, als hätte sie Kopfschmerzen. Elliott würde den Wink begreifen. „Sie ist meine Mutter. Sie ist deine Schwester. Wir sind alles, was noch von ihrer Familie übrig ist. Wir tun, was wir tun müssen.“

Seine Miene drückte aus, dass er nicht glücklich darüber war, doch er würde nicht mit ihr streiten. Das genügte Cleo fürs Erste.

„Ich übernehme jetzt, Elliott. Geh schlafen.“

„Wir reden später darüber, Cleo?“

„Sicher“, log sie und schloss die Wohnungstür hinter ihm.

Noch ehe sie sich die Schuhe auszog, ehe sie die Armbanduhr abnahm und sich abschminkte, ging sie zu ihrer Mutter ins Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Das war ein festes Ritual, seit sie einmal in einer kalten Winternacht zu Hause in ihren Pyjama geschlüpft war, bevor sie entdeckt hatte, dass ihre Mutter gar nicht in der Wohnung war. Wertvolle Minuten waren verstrichen, bis sie sich wieder angezogen hatte, um bei minus sieben Grad nach ihrer umherirrenden Mutter zu suchen. Diesen Fehler hatte sie nicht noch einmal gemacht.

Das Zimmer ihrer Mutter sah noch genauso aus wie zu der Zeit, als Cleos Vater noch gelebt hatte. Gegenüber dem Doppelbett stand eine Kommode mit einem alten Farbfernseher, daneben ein Foto der Familie Hollings. Weihnachten 1983. Damals war Cleo ein sommersprossiges Mädchen von acht Jahren gewesen, ihre Mutter eine schöne Frau mit rotem Haar und blauen Augen.

Cleo blieb stehen und beobachtete sie beim Schlafen. Nach einem Moment schlug ihre Mutter die Augen auf. „Margaret?“

„Nein, Mom. Ich bin’s, Cleo. Deine Tochter. Tante Margaret ist deine Schwester.“ Tante Margaret war vor acht Jahren gestorben, aber das erwähnte Cleo nicht.

Rachel Hollings blinzelte verwirrt. „Ich hätte schwören können, dass du Margaret bist. Du siehst genauso aus wie sie. Bist du sicher, dass du mich nicht auf den Arm nimmst? Margaret liebt solche Scherze.“

Cleo setzte sich zu ihrer Mutter aufs Bett und zog fürsorglich die Federdecke zurecht. „Nein, Mom. Schlaf weiter.“

„Könnte ich einen Tee haben? Und vielleicht ein paar Kekse? Zuckerkekse.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir welche im Haus haben.“

Wie ein kleines Kind presste Rachel Hollings die Lippen zusammen, und Cleo fügte sich ergeben in ihr Schicksal.

„Gib mir ein wenig Zeit, Mom. Ich backe welche für dich“, erklärte sie. „Möchtest du währenddessen einen Film sehen?“

„Das wäre nett. Etwas Lustiges. Vielleicht mit Doris Day oder Lauren Bacall. Wusstest du, dass Lauren Bacall einen Block entfernt von mir wohnt? Eine sehr nette Frau. Grüßt immer freundlich, wenn ich sie beim Fleischer treffe.“

Cleo legte eine DVD ein und ging in die Küche, um Kekse zu backen. Anderthalb Stunden später war das Gebäck fertig und ihre Mutter versunken in den Film „Die Nacht vor der Hochzeit“ mit Katherine Hepburn. Cleo setzte sich zu ihr aufs Bett und beobachtete sie dabei, wie sie Tee trank und zufrieden Zuckerkekse knabberte. Sie hatte sie genauso zubereitet, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Mit einem Teelöffel Mandelextrakt. Das geheime Familienrezept der Hollings.

Diese wenigen Momente am Ende des Tages bedeuteten Cleo unendlich viel. Die Zweisamkeit mit ihrer Mutter, die nur noch ein Schatten ihrer selbst war, würde sie sich von niemandem nehmen lassen.

Irgendwann fielen Rachel die Augen zu. „Ich hab dich lieb, Cleo“, murmelte sie schläfrig. Cleos Herz zog sich zusammen. Es gab nicht viele Menschen, die sie liebten. Sie war immer ein wenig zu ehrgeizig, ein wenig zu hart und ein wenig zu stark gewesen, aber ihre Mutter liebte sie bedingungslos, selbst unter der Last von Alzheimer.

„Ich hab dich auch lieb, Mom“, flüsterte sie und küsste sie auf die Stirn, bevor sie sich in ihr eigenes Zimmer zurückzog. Sie zog ihren Pyjama an und stellte den Wecker auf sieben Uhr. Noch fünf Stunden Schlaf.

Fünf kurze Stunden Schlaf, voll schöner Träume. Das jedenfalls wünschte sich Cleo, als sie die Augen schloss.

Sie war nicht allein in ihren Träumen. Sie war nicht einsam in ihren Träumen. Gespannt wartete sie darauf, dass er sie berührte. Er musterte sie mit seinen dunklen Augen so intensiv, dass ihr schon unter seinem Blick heiß wurde. Endlich knöpfte er ihre Bluse auf. Cleo wollte, dass er schneller machte, doch er legte einen Finger an ihre Lippen und lachte leise.

Wie konnte er es wagen, sich über sie lustig zu machen? Das wird er mir büßen, dachte sie und empfand zugleich Lust.

Sie schnappte mit den Lippen nach seinem Finger und saugte fest daran. Da hörte er auf zu lachen und zog sie an sich. Sie liebte es, ihn Haut an Haut zu spüren. Seine Brusthaare kitzelten ihre Brüste. Er küsste sie sanft, während er mit den Fingern in ihrem Haar spielte. Er schmeckte nach Champagner, prickelnd und berauschend. Cleo ließ ihre Hände an seinem Rücken hinab zu seinem sexy Po gleiten.

Er stöhnte und drängte sich mit dem Becken an sie. Sie fühlte seine Erregung, als sie sich aufreizend an ihm rieb. Bald, sehr, sehr bald … Er würde sich nicht mehr lange beherrschen können.

Langsam strichen seine Lippen über ihren Hals und ihre Schulter. Cleo wurde ungeduldig. „Nimm mich“, flüsterte sie auffordernd. „Jetzt.“

Einen Moment schaute er sie nur an. Glühende Hitze schien von ihm auszugehen. „Du bist noch nicht bereit“, erwiderte er und senkte den Kopf, um ihre Brüste zu liebkosen.

Zärtlich sog er mit den Lippen an ihren empfindsamen Brustspitzen. Cleo verspürte ein heißes Ziehen zwischen den Beinen und wollte ihn endlich in sich fühlen.

Sie wand sich auf dem Laken, aber das linderte die süßen Qualen nicht. Als sie hörte, wie die Stadt draußen erwachte, wusste sie, dass er fort war. Unerfüllte Sehnsüchte hatten ihrer Fantasie einen Streich gespielt. Sie hatte von einem Mann geträumt, der Erwartungen weckte und dann verschwand, bevor sie Erfüllung gefunden hatte.

Das war so unfair.

Dennoch, ihre Seufzer waren echt gewesen, sie hatte sie gehört, und wenn sie sich sehr anstrengte, konnte sie den Hauch seines Eau de Cologne riechen.

Cleo öffnete die Augen und blinzelte in der Dunkelheit. Sie war allein.

Alles war nur ein Traum gewesen.

Am nächsten Morgen klang der Wecker in ihren Ohren wie ein dröhnendes Nebelhorn. Cleo erwachte mit schwerem Kopf. Sie hätte schlafen sollen, stattdessen hatten erotische Fantasien sie bis zum Morgengrauen wach gehalten. Rasch sprang sie aus dem verfluchten Bett, das verantwortlich war für die verfluchten Träume, und schüttelte sich. Sie musste sich um etwas Wichtiges kümmern. Ihre Mutter.

Zehn Minuten später war sie geduscht, zu fünfundsiebzig Prozent wach und telefonierte mit Frieda Knowlton, der Chefin der Pflegeagentur. Unmissverständlich machte Cleo ihre Forderungen klar. „Ich will Mrs. Cagle hier nicht wieder sehen. Ich brauche Ersatz für die zweite Schicht. Jemanden, der qualifiziert ist. Jemanden, der verhindert, dass meine Mutter das Haus in Brand steckt.“

„Es wird nicht leicht sein, so kurzfristig jemanden zu finden, der Ihren Ansprüchen gerecht wird. In den vergangenen sechs Monaten haben wir es mit vier verschiedenen Betreuerinnen ausprobiert.“

Cleo stellte den Lautsprecher des Telefons an und bürstete sich energisch das Haar. „Es geht um meine Mutter. Natürlich sind meine Ansprüche hoch.“ Himmel, es konnte doch nicht so schwierig sein, eine kompetente Kraft zu finden. Bisher war sie nur enttäuscht worden, obwohl sie schon vier ambulante Pflegedienste ausprobiert hatte, bevor sie sich an Mrs. Knowlton gewandt hatte. „Ich will nur das Beste für meine Mutter. Ist das so schwer zu verstehen? Oder liegt es am Honorar? Ich bin bereit, mehr zu zahlen.“

„Miss Hollings, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Zurzeit haben Sie eine Vollzeitkraft bis fünf Uhr nachmittags, anschließend eine Teilzeithilfe bis neun Uhr abends. Wenn Sie stattdessen einer zweiten Vollzeitkraft zustimmen, werde ich sicher eine kompetente Betreuerin für Ihre Mutter finden.“

Sofort schüttelte Cleo den Kopf. „Aber abends bin ich da. Ich möchte Zeit mit meiner Mutter verbringen. Dabei brauche ich keine Unterstützung.“

„Dann geben Sie der Betreuerin frei, sobald Sie nach Hause kommen. Ich habe gestern mit Ihrem Onkel darüber gesprochen, und wir halten es beide für das Beste.“

Das Beste. Cleo hasste es, wenn die Leute davon sprachen, nur das Beste zu wollen. Das Beste wäre, wenn sie noch ein ganzes Leben mit ihrer Mutter hätte. „Ich schaffe das, Mrs. Knowlton. Ich brauche nicht so viel Schlaf. Ich kann im Job kürzertreten.“ Sie merkte selbst, dass sie immer schneller sprach. Das war die Angst, dass sie es trotz aller Bemühungen nicht schaffen würde, für ihre Mutter da zu sein.

„Miss Hollings, Sie müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Die Betreuung wird immer anstrengender werden. Das liegt in der Natur der Krankheit.“

„Diese Krankheit wird mich nicht unterkriegen“, betonte Cleo nachdrücklich. „Und auch nicht meine Mutter. Diese Krankheit wird nicht die letzten Jahre ruinieren, die ich noch mit ihr habe.“

„Miss Hollings …“

„Ich will nichts mehr davon hören, Mrs. Knowlton.“

„Na schön. Werden Sie der zweiten Vollzeitkraft trotzdem zustimmen? Glauben Sie mir, es wäre eine große Entlastung für Sie. Ihre Lebensqualität würde sich verbessern. Sie hätten mehr Zeit für sich. Der Stress wird sonst irgendwann seinen Tribut fordern.“

„Ich brauche keine Zeit für mich. Mein Leben ist so, wie es ist, wunderbar.“

„Sind Sie einverstanden?“, fragte Mrs. Knowlton beharrlich nach.

„Na schön. Obwohl es mir überhaupt nicht gefällt.“

„Ich weiß“, erwiderte Mrs. Knowlton verständnisvoll. „Keinem von uns gefällt das.“

Am Vormittag arbeitete Cleo gewissenhaft ihr Pensum ab, bevor sie sich um Seans Anliegen kümmerte. Sie rief Lucy in der Gesundheitsbehörde an.

Zuerst war Lucy verwirrt. „Wir haben diese Woche keine Bar geschlossen.“

„Doch, doch, das habt ihr. Das ‚Prime‘. Ich habe den Aushang mit eurem Stempel selbst an der Tür gesehen.“

„Das ‚Prime‘? Ist das nicht Seans Bar?“

„Du kennst Sean O’Sullivan?“ Cleo fragte sich, wie viele Frauen es wohl gab, die Sean beim Vornamen nannten.

Lucys Stimme war voller Zuneigung. „Sicher kenne ich Sean. Jeder kennt Sean. Marjorie ist vor einem Jahr ein paar Mal mit ihm ausgegangen, als die Bar Probleme hatte, aber er hat ihr gesagt, dass er ihrer nicht wert sei. Er meinte, sie verdiene einen Mann, der sie wie eine Prinzessin behandelte. Ist das nicht romantisch?“

Lucy seufzte hingerissen, während Cleos erster Impuls war, auf höchst unromantische Weise zu fluchen. Lucy würde es allerdings wohl kaum verstehen. „Wunderbar“, erwiderte sie beherrscht. „Was hatte die Bar damals für Probleme?“

„Ich erinnere mich nicht genau. Die ganze Sache war auf jeden Fall sehr seltsam. Marjorie hat es irgendwie für ihn geregelt.“

„Das kann ich mir vorstellen“, murmelte Cleo. Sie wollte nicht eifersüchtig klingen, doch sie klang eifersüchtig, was in ihrer Position als stellvertretende Bürgermeisterin lächerlich war. Sie war stolz darauf, wie weit sie es gebracht hatte, und es war demütigend, eifersüchtig auf eine Sekretärin in der Gesundheitsbehörde zu sein, weil die ein paar Dates mit Sean O’Sullivan gehabt hatte, der besagte Sekretärin höchstwahrscheinlich nur benutzt hatte, um zu bekommen, was er wollte – genauso wie er jetzt sie benutzte.

Diesmal konnte sie einen Fluch nicht unterdrücken.

„Was war das denn, Cleo?“

„Nichts. Ich muss jetzt Schluss machen, Lucy.“

„Ja, natürlich. Wir sollten mal wieder einen Kaffee trinken gehen.“

„Ich rufe dich an.“

Lucy lachte. „Das habe ich schon mal gehört. Melde dich, wenn ich dir helfen kann.“

„Danke, Lucy.“

Cleo legte auf. Was war sie nur für ein Dummkopf.

Eine Weile hatte sie sich der Illusion hingegeben, dass sexy, charmante und aufmerksame alleinstehende Männer wirklich existierten. Welch ein Unsinn. Sie hatte sich nur eingebildet, dass Sean O’Sullivan einer war, weil sie zu wenig Sex und zu wenig Schlaf hatte. Wie beschämend.

Vor langer Zeit hatte sie an aufmerksame, charmante Männer geglaubt. Vor langer Zeit war sie verletzt worden.

Das würde nicht noch einmal passieren.

Sean O’Sullivan war der Typ Mann, der Frauen für seine Ziele benutzte. Momentan war sie die Person, die ihm hilfreich sein konnte. Umso besser. So brauchte sie keine Gewissensbisse zu haben, dass sie ihn für das benutzen würde, was sie wollte.

Sex.

Sie hatte weder die Zeit noch die Energie für eine Beziehung, aber sie vermisste den Sex, sie brauchte den Sex, und vor allem verdiente sie den Sex.

Cleo nahm ihre Unterlagen für die Bürgerversammlung und machte sich auf zu dem Saal, in dem sie sich einmal in der Woche den Fragen von unzufriedenen Bewohnern der West Side stellte. Das war das beste Mittel, Sean aus ihrem Kopf zu bekommen.

Nur funktionierte das leider nicht, weil er direkt neben dem Eingang stand und sie anlächelte, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt.

Dass ihr Herz in diesem Moment einen Satz machte, lag bestimmt nicht an ihm. Der plötzliche Anstieg ihrer Körpertemperatur? Musste am milden Herbstwetter liegen oder an den vielen Menschen im Raum.

Sie wollte nur Sex von ihm. Nichts anderes.

Sean hatte gewusst, dass Cleo in der Bürgerversammlung sein würde. Er informierte sich immer über seine Gegner. Die Tatsache, dass er es diesmal mit Cleo zu tun hatte, machte diese Versammlung nur umso interessanter.

Der Saal war bereits voll, als sie das Podium betrat, ohne dabei ein einziges Mal in seine Richtung zu schauen. Er suchte sich einen Platz an der Seite, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete sie still. Er war klug genug, sich vorerst zurückzuhalten.

Cleo stellte sich vor, und sofort meldete sich jemand in der ersten Reihe. Es war eine der Frauen von der „West Side Ladies Botanical Preservation Group“, deren Anliegen er vertrat.

„Ist Cleo die Kurzform von Cleopatra? Ich liebe diesen Film. Elizabeth Taylor. Richard Burton als Mark Anton.“

Mark Anton. Mark.

Letzte Nacht hatte ihn die Vorstellung gequält, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben geben könnte. Er hatte sich eingeredet, dass der Mark aus ihrem Traum sein Rivale war. Er hatte sich im Bett herumgewälzt und mit der Faust aufs Kissen geschlagen, weil er eifersüchtig war. Seine Brüder hätten sich amüsiert, denn er war noch nie eifersüchtig gewesen. Noch nie.

Plötzlich hellte sich Seans Stimmung auf, denn er bemerkte, dass Cleo rot geworden war. Sie vermied es aber weiterhin, ihn anzuschauen. Es störte ihn nicht. Seine Chancen standen gut.

„Bitte nennen Sie mich Cleo“, sagte sie ausweichend. „Heute steht die geplante Müllsammelstelle für die West Side auf der Tagesordnung.“ In den nächsten fünfzehn Minuten erklärte sie den Anwohnern, weshalb deren Wunsch nach einem Park nicht berücksichtigt werden konnte. Dennis Torrino, einer der anderen sieben Stellvertreter des Bürgermeisters, war ebenfalls anwesend, doch er hielt sich feige zurück und überließ Cleo das Feld. Ihr schien die Aufgabe allerdings richtig Spaß zu machen.

Sean bewunderte die Art, wie sie mit den unzufriedenen Zuhörern umging. Er sah Cleo heute zum ersten Mal in Aktion und fand sie großartig. Wenn nötig, war sie bestimmend und fest, dann wieder beantwortete sie geduldig Fragen oder wich geschickt Vorwürfen aus. Innerhalb von drei Minuten hatte sie das gesamte männliche Publikum verzaubert. Bei den weiblichen Besuchern waren ein wenig mehr Finessen erforderlich, aber allmählich besänftigte sie auch deren Unmut.

Doch niemals sah sie zu ihm herüber. Sean überlegte, was er falsch gemacht haben könnte. Er wusste, dass er manchmal nicht besonders sensibel war und dass Frauen leicht verletzt reagierten. Dabei war er der Meinung, dass man niemanden verletzen konnte, wenn man von vornherein ehrlich sagte, was man wollte.

Er räusperte sich. Langsam drehte Cleo den Kopf in seine Richtung. Endlich.

„Haben Sie eine Frage, Sir?“ Es war dieselbe Stimme, die am vergangenen Abend in sein Ohr geflüstert hatte. Bei dem Gedanken hatte er Mühe, sich an seine Frage zu erinnern.

Ah, richtig. „Sicher lässt sich ein Kompromiss finden. Die Menschen hier bitten nicht um Unmögliches. Nur um ein wenig Platz für Blumen, Rasen und ein paar Bäume.“ Er setzte sein charmantestes Lächeln auf.

„Wir befinden uns in Manhattan. Hier gibt es keinen Platz“, erwiderte sie, völlig unbeeindruckt von seinem Lächeln, was ihn beunruhigte.

„Sie haben sich die Pläne noch nicht angesehen. Sie lehnen den Vorschlag ab, ohne sämtliche Fakten zu kennen.“ Eigentlich sollte es ein intelligenter Einwand sein, aber es klang wie: Warum bist du sauer auf mich?

„Selbst wenn es machbar wäre, ließe das Budget der Stadt es nicht zu“, erklärte sie. Feindselig stemmte sie die Hände in ihre sexy Hüften.

„Miss Hollings“, erwiderte Sean eine Spur zu gönnerhaft. Kein Wunder, dass sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Es überraschte ihn, wie stark ihr Temperament ihn erregte.

Sie kniff die Augen zusammen. „Glauben Sie nicht, dass Sie nur mit den Fingern zu schnippen brauchen, und schon springen alle für Sie“, wies sie ihn eisig zurecht.

Ihr Verhalten irritierte ihn. Er musterte sie scharf. „Wie bitte?“ Gestern Abend hatte alles zwischen ihnen gestimmt. Seit er wusste, dass es gar keinen Mark gab, hatte er gehofft, dass es noch besser kommen würde.

Cleo lehnte sich ans Rednerpult. Ihre Stimme klang fest. „Man kann nicht immer alles haben, was man will. Ein Park wäre sicher wunderbar, doch die Menschen können nicht erwarten, dass die Stadt dem ohne Weiteres zustimmt, nur weil sie so … so … fordernd sind.“

Sean bemühte sich um Beherrschung. Es war schwierig, aber er schaffte es. „Es muss kein großer Park sein. Die Bitte ist nicht übertrieben. Wir wollen ja keinen zweiten Central Park. Nur etwas Platz für eine Grünanlage.“

„Es gibt in diesem Punkt offensichtlich zwei gegensätzliche Standpunkte, und wir werden heute nicht zu einer Einigung kommen. Also lassen Sie uns weitermachen, okay?“

Sean schaute sich um, bemerkte die Blicke der West Side Ladies auf sich und wurde prompt rot. Dennoch blieb er für den Rest der Veranstaltung still. Das mochte ein schlechtes Licht auf seine Qualitäten als Anwalt werfen – auch wenn er sich in dieser Sache nur ehrenamtlich engagierte –, doch er würde es wiedergutmachen.

Nach der Versammlung holte er Cleo im Flur ein und zog sie beiseite. Er fühlte, wie sie unter seiner Berührung erschauerte. Das machte ihm Hoffnung. „Was habe ich verbrochen? Wir haben uns gestern Abend gut verstanden. Alles war in Ordnung. Und jetzt dies?“

Sie wich seinem Blick aus. „Du hast mich vor allen Leuten angestarrt. Wie bei einer Fleischbeschau. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, dabei weiß ich sonst immer, was ich tun soll.“

Sie redete schnell und abgehackt. Sean war überrascht. Vor zehn Minuten noch war sie souverän mit zweihundert verärgerten Bürgern fertig geworden. Jetzt zitterte sie wie ein Blatt im Wind. Ihr Blick verriet Nervosität – und große Müdigkeit.

Beruhigend strich er mit dem Daumen über ihre Handfläche. Er musste sie einfach berühren. „Ich hatte keine Ahnung, dass du so durcheinander bist.“

„Das ist sonst auch nicht meine Art. Ich habe keine Probleme mit Sex. Wir fühlen uns zueinander hingezogen. Wir wollen Sex miteinander. Das ist alles.“

Das ist alles?

Sean schaute sie an. Er hatte noch nie wegen einer Frau schlecht geschlafen. Noch nie hatte eine Frau ihn derart verwirrt, obwohl er die Frauen zu kennen glaubte. Und das alles nach nur einem Tag. Er war ihretwegen eifersüchtig nach nur einem einzigen Tag.

Das war alles?

„Benutzt du mich?“, fragte er, tödlich beleidigt.

Offenbar hatte er das Falsche gesagt.

„Ob ich dich benutze? Dir eilt ein Ruf voraus, Sean. Du schläfst mit den Frauen, die dir nützlich sein können.“

„Ich schlafe nicht mit ihnen – jedenfalls nicht immer“, fügte er hinzu, weil er ehrlich zu Frauen war. Immer.

„Sean …“

Er ließ ihre Hand los. „Ich gebe zu, ich mag Sex. Aber ich mache nie falsche Versprechungen. Niemand wird verletzt.“

Sie rieb sich die Augen. „Ich kann mich nicht darauf einlassen“, sagte sie müde.

Panik regte sich in ihm. „Doch, das kannst du.“

Stur schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich kann kein Haushaltsgeld aus dem Hut zaubern.“

Übergangslos sprach sie auf einmal vom Parkprojekt. Sean verstand den Wink. Dann würden sie eben nicht über den vergangenen Abend reden.

„Können wir keine Fördermittel vom Bund bekommen?“

„Vielleicht.“ Jetzt strahlte sie auf einmal wieder Gelassenheit aus. Über Sex konnte sie reden. Über Stadtangelegenheiten konnte sie reden. Nur wenn es persönlicher wurde, reagierte sie empfindlich. Er würde sich das merken.

„Na also“, meinte er besänftigend.

„Ich sagte ‚vielleicht‘.“ Sie lächelte beinahe.

„In meinem Vokabular ist ‚vielleicht‘ ein Ja. Hast du noch ein paar Minuten Zeit?“ Er hatte noch eine halbe Stunde, bis das Gericht schließen würde, und er wollte neunundzwanzig Minuten davon mit Cleo verbringen.

„Vielleicht.“

Autor

Jill Shalvis

New York Times-Bestsellerautorin Jill Shalvis lebt in einer Kleinstadt in Sierras, voller verschrobener Mitmenschen. Jegliche Ähnlichkeit mit den Quirky Charakters in ihren Büchern ist, naja, meistens zufällig. Besuchen Sie sie auf ihrer Website www.jillshalvis.com, um mehr über Jills Bücher und ihre Abenteuer als Berge erklimmendes Stadtkinde zu lesen.

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