Traummann, wem gehört dein Herz?

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Annie erhält einen alarmierenden Anruf von Brant Cadman: Offensichtlich hat man vor zwei Jahren seinen Sohn Sean mit ihrem Sohn Jack im Krankenhaus vertauscht! Brant macht Annie einen Vorschlag: Sie und der kleine Jack sollen zu ihm ziehen. Sie sagt Ja - und weiß genau, dass sie ein Risiko eingeht. Er war und ist ihr Traummann und mit jedem Tag wächst Annies Sehnsucht. Aber Brants Herz scheint einer anderen zu gehören...


  • Erscheinungstag 19.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779108
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das ist nicht wahr! Ich glaube dir kein Wort!“

Annie wandte sich abrupt um und blickte starr aus dem Fenster. Auf der niedrigen Mauer, die den winzigen Garten auf der Rückseite ihrer Londoner Wohnung umgab, hockte ihr getigerter Kater Bouncer und bewachte eifersüchtig sein Revier.

„Es tut mir Leid, Annie.“ Die männliche Stimme hinter ihr klang sanft, aber unnachgiebig. „Wäre es möglich gewesen, es dir schonender beizubringen, hätte ich es getan, das kannst du mir glauben.“

„Aber ich hätte es doch merken müssen!“ Annie wirbelte herum, wobei ihr das glänzende, stufig geschnittene Haar um die Schultern schwang. Aus ihrem schön geschnittenen Gesicht war alles Blut gewichen, in ihren dunklen Augen spiegelten sich Ungläubigkeit und Verwirrung.

Ihre Blicke trafen sich, und sekundenlang glaubte Annie, in den grün-goldenen Augen des Mannes … ja, was zu lesen? Mitleid? Bedauern? Irgendeine Regung jedenfalls, die seine strengen Gesichtszüge etwas milder erscheinen ließ. Dennoch ging eine geradezu einschüchternde Aura von Macht und Einfluss von ihm aus. Mit dem markanten Kinn und der kühn geschwungenen Nase, dem glatten schwarzen Haar und dem athletisch gebauten Körper im perfekt sitzenden dunklen Geschäftsanzug besaß er eine überwältigend männliche Ausstrahlung.

Trotz des warmen Tages erschauerte Annie, die nur ein knappes lilafarbenes Sonnentop zu Jeans trug. „So ein schrecklicher Fehler entgeht einer Mutter doch nicht! Glaubst du, ich würde mein eigenes Kind nicht erkennen?“

„Annie …“ Mit ausgestreckter Hand ging er auf sie zu, blieb jedoch sofort stehen, als sie vor ihm zurückwich. „Hör zu, das Ganze war ein Schock für dich und …“

„Was hast du denn erwartet?“, fiel sie ihm heftig ins Wort. Auf seine Beschwichtigungsversuche konnte sie verzichten. Nur die sofortige Zurücknahme seiner ungeheuerlichen Behauptung könnte sie jetzt beruhigen.

Annies Besucher atmete tief durch, bevor er das Wort wieder an sie richtete. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass mir das alles genauso zusetzt wie dir, Annie?“

Er stand so dicht vor ihr, dass sie die feinen Fältchen um seine Augen erkennen konnte. Vor innerer Anspannung wirkten die hohen Wangenknochen unter der olivfarbenen Haut wie gemeißelt, was ihn nur umso entschlossener wirken ließ.

Und noch anziehender, als Annie ihn in Erinnerung hatte …

Brant Cadman.

Mit seinen knapp fünfunddreißig Jahren war er die treibende Kraft hinter Cadman Leisure, einem weit verzweigten Unternehmen, das eine Kette von Einzelhandelsgeschäften, Wellness-Hotels und eine eigene Marke für Sportbekleidung unter seinem Dach vereinte. Cadman Sports, die Firma, für die sie und Warren gearbeitet hatten, gehörte ebenfalls zu seinem Imperium.

Aber das war in einem anderen Leben gewesen. Bevor ihr Vertrauen so schmerzlich missbraucht worden war. Bevor sie Hals über Kopf ihren Job gekündigt hatte, weil sie die Scham nicht ertragen konnte, dass alle von der demütigenden Geschichte wussten.

Und nun stand Brant vor ihr und behauptete, dass Sean nicht ihr Sohn sei, sondern seiner und Naomis. Dass das Krankenhaus, in dem Sean und zufälligerweise auch Brants Sohn geboren wurden, eine Unstimmigkeit in den Unterlagen entdeckt habe. Die ganze Sache war nur deshalb ans Licht gekommen, weil Brant und sein Junge sich während einer Spanienreise eine Virusinfektion zugezogen hatten und Brant nach ihrer Rückkehr dort die empfohlenen Bluttests hatte machen lassen.

„Ich wollte es zuerst auch nicht glauben“, fuhr er nun fort. „Aber als du mir vorhin die Tür aufgemacht hast, wusste ich sofort, dass es stimmt.“

Wollte er damit auf eine Ähnlichkeit zwischen ihr und seinem Sohn anspielen – dem Kind, das vielleicht ihres war …? Nein! Alles in Annie rebellierte gegen diesen Gedanken, und sie spürte maßlosen Zorn in sich aufwallen. „Okay, es hat sich herausgestellt, dass dein Sohn in Wirklichkeit nicht dein leibliches Kind ist, aber was fällt dir ein zu behaupten, dass Sean es wäre? Was gibt dir das Recht, hier aufzutauchen und zu drohen, mir mein Kind wegzunehmen? Oder willst du mir etwa erzählen, das Krankenhaus hätte dich geschickt?“

„Nein“, gab Brant zu und schob die Hände in die Hosentaschen. „Aber du kannst mir glauben, dass mir nichts ferner liegt, als dir dein Kind wegzunehmen.“

„Versuch es nur!“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er ignorierte die Herausforderung und teilte ihr stattdessen in sachlichem Tonfall mit: „Als das Krankenhaus entdeckte, dass Jacks Blutgruppe nicht mit der übereinstimmte, die dort im Computer gespeichert war, und er auf Grund meiner und Naomis Blutgruppen unmöglich unser Kind sein konnte, wurden sämtliche Patientenakten des infrage kommenden Zeitraums überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass am Tag von Jacks Geburt dort nur ein anderes Baby zur Welt gekommen ist. Sie haben seine Daten mit Naomis und meinen verglichen und festgestellt, dass dieses Kind ohne weiteres unser Sohn sein könnte.“

Er verstummte kurz. Dann sagte er: „Es war dein Kind, Annie, und so wie es aussieht, gibt es dafür nur eine Erklärung: Die Babys müssen kurz nach der Geburt vertauscht worden sein.“

„Nein!“, stieß sie hervor und schüttelte immer wieder abwehrend den Kopf. „Das muss ein fürchterliches Missverständnis sein! Sean ist mein Kind! Sie hatten kein Recht, meinen Namen an dich weiterzugeben.“

„Das haben sie auch nicht getan.“ Brant wandte den Blick ab und betrachtete seine glänzenden Schuhspitzen. „Sie sagten, aus Datenschutzgründen dürften sie die Identität der biologischen Mutter unseres Sohnes nicht preisgeben.“

Biologische Mutter? Durch das geöffnete Fenster hörte Annie Bouncer leise knurren und erschauerte unwillkürlich erneut. Anscheinend versuchte gerade ein Rivale, in sein Revier einzudringen. „Aber wie …?“, begann sie und verstummte verwirrt.

Wenn nicht durch das Krankenhaus, woher wusste Brant dann, dass an jenem Tag vor gut zwei Jahren nicht nur seine Frau, sondern auch seine ehemalige Angestellte – die arme verschmähte Annie Talbot – ein Kind bekommen hatte? Sie selbst hatte erst Wochen später durch Zufall von einem Bekannten davon erfahren, dass Naomi Cadman in derselben Klinik wie sie entbunden hatte und kurz nach der Geburt ihres Sohnes gestorben war.

Brant, der ihre unausgesprochene Frage erraten hatte, nahm die Hände aus den Hosentaschen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Während des Gesprächs im Krankenhaus war ich einen Moment allein in dem Büro, und der Computer war eingeschaltet. Ich hätte schon ein Übermensch sein müssen, um nicht …“

„Du hast in vertraulichen Akten herumgeschnüffelt?“, unterbrach sie ihn verächtlich.

„Nein, Annie. Ich bin nur um den Schreibtisch herumgegangen, um einen Blick auf den Computer zu werfen, und da die Mitarbeiterin nicht daran gedacht hat, die Datei zu schließen, bevor sie hinausging, waren deine Daten noch auf dem Bildschirm.“ Er verzog zynisch die Lippen. „Ich nehme an, eine derartige Nachlässigkeit ist kaum überraschend bei einer Institution, die Eltern mit den falschen Kindern heimschickt.“

Brants Erklärung klang einleuchtend. Das und der mühsam beherrschte Zorn, der in seiner Stimme schwang, ließen in Annie den schrecklichen Verdacht aufkeimen, dass es wahr sein könnte. Dass Sean, den sie mehr liebte als ihr Leben, vielleicht nicht ihr Kind war. Dass sie möglicherweise einen langen, erbitterten Kampf vor sich hatte, um ihn zu behalten.

Aus dem Garten drang ein mehrstimmiges, bedrohliches Fauchen.

„Die Adresse in der Akte stimmte übrigens nicht mehr. Katrina King hat mir gesagt, wo du jetzt wohnst.“ Brant ließ den Blick durch Annies bescheidenes Wohnzimmer schweifen. Seine abschätzige Miene sprach Bände. „Mir ist wieder eingefallen, dass ihr befreundet wart, als du noch bei Cadman Sports gearbeitet hast.“

Offenbar hatte er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zu finden. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht, den einzigen Menschen aus ihrem alten Job aufzusuchen, zu dem sie noch Kontakt hatte.

„Hast du einen DNA-Test machen lassen, um ganz sicherzugehen?“

Brant zögerte. „Nein …“, gab er schließlich zu. „Das heißt, bis jetzt noch nicht.“

Als er sie ansah, wusste Annie, warum er es nicht getan hatte. Im selben Moment wurde auch ihr erschreckend klar, welche Konsequenzen ein solcher Test haben könnte. Denn wenn dieses Kind tatsächlich nicht das Baby war, das Naomi Cadman zur Welt gebracht hatte …

Verstört wandte sie den Blick ab und betrachtete starr das bunte Durcheinander auf ihrem Arbeitstisch – ihren Skizzenblock, die Farben, Pinsel und anderen Malutensilien. All die Dinge, die ihre kleine Welt repräsentierten und ihr und Sean ein Einkommen und Sicherheit verschafften. Sie wollte Bescheid wissen, doch genau wie Brant schreckte sie vor der Wahrheit zurück. Denn die Gewissheit, dass Sean nicht ihr Sohn war, würde sie nicht ertragen können.

Ein leises Wimmern aus dem Nebenzimmer riss Annie aus ihrer Erstarrung. Sie eilte hinüber und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Als sie Sean friedlich in seinem Bettchen schlummern sah, zog sie die Tür wieder zu. Vermutlich hatte Bouncers lautstarke Auseinandersetzung ihn in seinen Träumen gestört.

„Darf ich ihn sehen?“

Annie wirbelte herum und atmete scharf ein, als Brant direkt vor ihr stand. Angesichts seiner beeindruckenden Größe fühlte sie sich mit ihren knapp eins fünfundsechzig plötzlich wie ein Zwerg.

„Nein!“

Der panische Klang ihrer Stimme drang an ihr Ohr, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie mit beiden Armen die Tür blockierte. „Ich glaube, das ist jetzt kein guter Moment“, fügte sie etwas versöhnlicher hinzu und ließ die Arme wieder sinken.

Brant nickte. „Ich verstehe.“ Seine Züge wirkten wie versteinert, und zum ersten Mal wurde Annie bewusst, dass auch er unter ungeheurem Druck stehen musste.

Sie war ihm so nah, dass sie sein exklusives After Shave riechen und seine Körperwärme spüren konnte, und plötzlich begann ihr Herz wie wild zu pochen. Entsetzt stellte sie fest, dass dieser Mann noch immer dieselbe verheerende Wirkung auf sie hatte wie damals, als sie sich von seinem gnadenlosen Sex-Appeal hatte überwältigen lassen.

Und sich dabei hoffnungslos zum Narren gemacht hatte …

Bei der Vorstellung, Brants Gedanken könnten eine ähnliche Richtung eingeschlagen haben, wurde Annie siedend heiß. Doch anscheinend war ihre Befürchtung unbegründet gewesen, denn als er zurücktrat und ihr den Weg freigab, wirkte seine Miene distanziert und unbeteiligt.

Natürlich, wie dumm von mir! Für den großen Brant Cadman war es nur eine unbedeutende Episode gewesen, die er längst aus seinem Gedächtnis gelöscht hatte. Als er sie heute angerufen hatte, um seinen Besuch anzukündigen, hatte sein geschäftsmäßiger Tonfall keinen Zweifel daran gelassen.

Einen Augenblick lang musterte er sie besorgt. „Glaubst du, dass du heute Abend allein zurechtkommst?“

„Ich bin nicht allein, ich habe ja Sean“, korrigierte Annie ihn scharf. „Und ich werde ihn auf keinen Fall hergeben, egal, was geschieht.“

Brant presste die Lippen zusammen, und eine Weile schwiegen sie beide.

„Ich will nur das Beste für Jack“, sagte er endlich. „So wie du sicher auch für Sean. Natürlich sehe ich ein, dass du dich erst von dem Schock erholen und an den Gedanken gewöhnen musst. Deswegen schlage ich vor, dass ich morgen wiederkomme. Dann besprechen wir, wie es weitergehen soll.“

Annie nickte stumm. Sie wusste, dass sie es ihm nicht verweigern konnte.

Wie werden Mum und Dad es wohl aufnehmen?

Annie betrachtete ihren schlafenden Sohn, der sich unruhig in seinem Bettchen bewegte, und strich ihm sanft über das weiche nussbraune Haar.

Vor drei Jahren waren ihre Eltern nach Neuseeland ausgewandert, kurz nachdem ihr Vater in den Ruhestand getreten war. Sie hätten Annie gern mitgenommen, doch zu der Zeit hatte sie gerade Warren Maddox kennen gelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Es war eine stürmische Liebe gewesen, und nur knapp drei Monate nach ihrem ersten Treffen hatten sie beschlossen zu heiraten. Doch zwei Wochen vor dem festgesetzten Termin zerplatzten Annies Träume vom großen Glück wie eine Seifenblase, als Warren sie wegen Caroline Fenn sitzen ließ, einem bildschönen Model, das er auf einer PR-Veranstaltung der Firma kennen gelernt hatte.

Annie war am Boden zerstört gewesen, hatte sich aber trotz eindringlicher Bitten ihrer Eltern nicht bewegen lassen, doch noch mit ihnen nach Neuseeland zu gehen. Sie wollte nur allein sein, ihre Wunden lecken und dann weitermachen wie bisher. Die übertriebene, wenn auch gut gemeinte Fürsorge ihrer Mutter war das Letzte, was sie zu dem Zeitpunkt gebrauchen konnte.

Nach Seans Geburt hatte Jane Talbot es sich allerdings nicht nehmen lassen, ihre Tochter für zwei Wochen zu besuchen. Sechs Monate später war Annie mit Sean nach Auckland geflogen, um mit ihren Eltern die Weihnachtstage zu verbringen.

Das war jetzt fast eineinhalb Jahre her, und plötzlich überkam Annie der heftige Drang, die beiden anzurufen. Doch da es um diese Zeit in Neuseeland mitten in der Nacht sein musste, verwarf sie den Gedanken wieder.

Als Sean die großen braunen Augen aufschlug und ihr ein breites Lächeln schenkte, waren für einen Moment all ihre Sorgen vergessen. Sie hob ihn aus seinem Bettchen und drückte ihn fest an sich. Er fühlte sich so warm an … so gut!

Alles wird sich aufklären! sprach Annie sich verzweifelt Mut zu. Schließlich sagte jeder, dass Sean das freche Lächeln und die Haar- und Augenfarbe von ihr hatte, oder?

Doch während Annie das Kind in ihren Armen betrachtete, konnte sie nur an die starken, entschlossenen Züge von Brant Cadman denken.

Am nächsten Morgen kam der Brief vom Krankenhaus. Man bat sie darin, sich so schnell wie möglich zu melden.

Annie rief sofort zurück und teilte mit, dass sie in einer Stunde da sei. Sie wollte unbedingt das Haus verlassen haben, bevor Brant auftauchte, da sie sich einer weiteren Konfrontation mit ihm nicht gewachsen fühlte. Jedenfalls nicht, bevor sie Gewissheit hatte, dass alles nur ein Missverständnis gewesen war.

Als Nächstes rief sie ihre Freundin Katrina an, um sie zu bitten, für einige Stunden auf Sean aufzupassen.

Katrina King, die noch immer für Cadman Sports arbeitete, war ein Jahr älter als Annie und ganz verrückt nach Sean. Daher war sie jedes Mal begeistert, wenn sie für ihn den Babysitter spielen durfte.

„Klar kannst du ihn vorbeibringen“, sagte sie sofort. „Ach übrigens … was wollte denn Brant Cadman von dir? Er hat mich gestern angerufen und meinte, er bräuchte wegen einer dringenden Angelegenheit deine Telefonnummer und Adresse.“

„Nichts Besonderes. Er … er wollte mich einfach wiedersehen“, improvisierte Annie schnell und stellte peinlich berührt fest, wie großspurig das klang. Aber zu diesem Zeitpunkt wollte sie Katrina noch nicht über den tatsächlichen Sachverhalt aufklären.

Fünfzehn Minuten später hatte sie Sean bei Katrina abgeliefert und befand sich auf dem Weg ins Krankenhaus, als ihr plötzlich einfiel, dass sie in ihrer Aufregung den Brief zu Hause vergessen hatte. Da sie sich nicht mehr an den Namen der Person erinnern konnte, mit der sie sich treffen sollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als noch einmal zu ihrer Wohnung zurückzufahren.

Sie eilte gerade wieder die Stufen hinunter und auf ihren lilafarbenen Ford Ka zu, als eine schwere dunkelblaue Mercedes-Limousine vor ihrem Haus vorfuhr.

Verflixt! Nun kam sie doch nicht um die gefürchtete Begegnung herum. Als Brant ausstieg und auf sie zukam, spürte Annie, wie sich ihr ganzer Körper verkrampfte.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie mit undurchdringlicher Miene. „Wie ich sehe, wolltest du gerade ausgehen?“ In dem grauen Polohemd und der leichten Baumwollhose sah er geradezu unverschämt gut aus.

„Ich … ich bin gerade auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Brief ist heute gekommen.“ Wieso genügte schon sein bloßer Anblick, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen?

„Dann lass uns zusammen hinfahren.“

„Nein!“ Es klang wie ein Flehen. „Das … das möchte ich lieber allein hinter mich bringen.“

„Das glaube ich nicht, Annie“, widersprach Brant ihr ruhig. „Jedenfalls wirst du nach dem Gespräch anders darüber denken.“

Er weiß, wovon er redet, überlegte Annie. Schließlich hatte er die Prozedur bereits hinter sich. Aber die Tatsache, dass man ihn mit dem falschen Baby nach Hause geschickt hatte, bewies noch lange nicht, dass es auch in ihrem Fall so gewesen war. Schließlich waren Bluttests nicht immer hundertprozentig zuverlässig, oder?

Brant sah ihr Zögern, und ehe sie protestieren konnte, führte er sie zu seinem Mercedes. Während der Fahrt bemühte er sich, ein lockeres Gespräch in Gang zu halten, um sie von ihren angstvollen Gedanken abzulenken, und wunderbarerweise gelang es ihm sogar.

„Du und Katrina scheint euch gut zu verstehen“, bemerkte er beiläufig. „Habt ihr euch in der Firma kennen gelernt?“

Annie schüttelte den Kopf. „Nein, wir waren zusammen an der Kunstakademie. Katrina hat ein Jahr vor mir ihren Abschluss gemacht und dann angefangen, als Designerin bei Cadman Sports zu arbeiten. Als sie mir erzählte, dass dort noch eine Stelle frei geworden sei, habe ich mich beworben und den Job bekommen.“

„Und was machst du jetzt?“

„Ich verkaufe Miniaturaquarelle an jeden, der sie haben will.“ Eine Reihe von Kunstgewerbeläden sowie eine kleine Galerie in Essex gehörten zu Annies regelmäßigen Abnehmern.

„Und lohnt es sich?“

„In finanzieller Hinsicht?“ Annie warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Zweifellos hatte diese Frage für einen Mann wie Brant Cadman erste Priorität.

Doch zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf. „Nicht unbedingt“, meinte er und hielt vor einer roten Ampel an.

„In welcher dann?“ Sie zog spöttisch die Brauen hoch. „In ideeller vielleicht?“

Er verzog keine Miene. „Ist das nicht letztlich das Entscheidende?“

„Wahrscheinlich schon“, musste sie zugeben. Ihre Einkünfte deckten zurzeit zwar nur knapp die Lebenshaltungskosten, aber dafür konnte sie zu Hause arbeiten und brauchte Sean tagsüber nicht in die Obhut von Fremden zu geben. Von Anfang an war für sie klar gewesen, dass sie sich selbst um ihr Kind kümmern wollte.

Ihr Kind ….

Und nun fuhr sie mit Brant zu einem Gespräch, nach dem sie vielleicht nicht mehr das Recht hatte, Sean weiter so zu nennen.

„Alles in Ordnung?“

Annie musterte kurz sein ausdrucksvolles Profil. Die Ampel hatte auf Grün umgeschaltet, und er konzentrierte sich ganz auf den dichten Verkehr. „Aber sicher“, erwiderte sie sarkastisch. „Ich fühle mich großartig! Hast du etwas anderes erwartet?“

„Tut mir Leid.“ Er presste die Lippen zusammen. „Das war eine dumme Frage.“

„Mir tut es auch Leid.“ Mehr wusste Annie nicht zu sagen. Ihr war klar, dass die Situation für Brant ebenso unerträglich sein musste wie für sie, doch ihre Nerven lagen blank, und außerdem war sie sich seiner körperlichen Nähe viel zu sehr bewusst.

Als sich unvermittelt ihre Blicke trafen, lag ein seltsamer Ausdruck in Brants Augen.

„Was ist?“, fragte Annie nervös.

Brant deutete ein Lächeln an. „Ich musste gerade daran denken, dass du genau diese Farbe getragen hast, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“ Sekundenlang schaute er auf ihr leuchtend blaues Top.

Annie erinnerte sich nur allzu gut an seine Blicke an jenem Abend. Und daran, wie sehr das unverhohlene Interesse des mächtigen Brant Cadman sie erregt hatte …

„Du schienst geradezu die Verkörperung von strahlender Jugend und Lebensfreude zu sein“, sinnierte er weiter. „Und du hast unglaublich hohe Absätze getragen. Ich habe mich gefragt, wie man überhaupt darauf stehen, geschweige denn sich so verführerisch bewegen kann.“

„Übung macht den Meister“, antwortete Annie spröde, doch bei seinen Worten hatte sich jäh ihr Puls beschleunigt. Könnte es sein, dass sich Brant trotz allem, was seitdem geschehen war, immer noch von ihr angezogen fühlte? Oder hatte er die Vergangenheit nur deshalb wieder aufgewärmt, um sie von ihrem aktuellen Problem abzulenken?

Was auch immer ihn dazu veranlasst hatte – seine Worte weckten Erinnerungen und Gefühle in ihr, von denen sie geglaubt hatte, sie habe längst mit ihnen abgeschlossen.

2. KAPITEL

Nie hätte Annie sich träumen lassen, einmal das Opfer eines so bizarren und grausamen Zufalls zu werden.

Es war tatsächlich wahr!

Natürlich würden zur Bestätigung noch verschiedene Tests durchgeführt werden, doch die Möglichkeit eines Irrtums war so gut wie ausgeschlossen.

Als sie das Krankenhaus wieder verließen, musste Annie sich regelrecht zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

„Ich glaube, wir können jetzt beide eine kleine Erfrischung gebrauchen“, meinte Brant, als sie durch die gläserne Eingangstür in den strahlenden Sonnenschein hinaustraten.

Er führte sie in ein nahe gelegenes Bistro, in dem bereits reger Betrieb herrschte. Sie nahmen an dem einzigen noch freien Tisch Platz und saßen sich schweigend gegenüber, bis der Kellner ihre Bestellungen gebracht hatte.

„Ich kann nicht fassen, dass das alles wirklich geschieht.“ Annie trank einen Schluck von ihrem Grapefruitsaft und spürte, wie der bittere Geschmack durch ihre Benommenheit drang. „Irgendwie dachte ich immer, so etwas würde nur anderen passieren.“

„Von außen betrachtet, sind wir die anderen“, stellte Brant fest und hob seine Espressotasse an die Lippen.

Wie gebannt verfolgte Annie die Bewegungen seiner sehnigen, kräftigen Hände. Brant Cadman war nicht viel mehr als ein Fremder für sie, und doch wusste sie, wie es war, von diesen Händen liebkost zu werden, das Gewicht seines Körpers auf ihrem zu spüren …

„Warum bist du damals eigentlich so sang- und klanglos verschwunden?“

Bei der unvermittelten Frage durchflutete Annie jähe Hitze. Offenbar konnte dieser Mann ihre Gedanken lesen. Sie sah kurz zu ihm auf, erwiderte jedoch nichts.

„Niemand, den ich gefragt habe, wusste, was los war oder wohin du gegangen bist.“

Er hat sich nach mir erkundigt? Unwillkürlich schlug Annies Herz schneller, doch sie ließ sich nichts anmerken. „Ich bin nach Frankreich gegangen.“ Tapfer hielt sie seinem Blick stand. „Ich brauchte dringend eine Veränderung, also habe ich beschlossen, in der Provence bei der Obsternte zu helfen. Das habe ich immer schon mal machen wollen, und danach bin ich mit dem Rucksack durch Südfrankreich getrampt.“

„Klingt ziemlich romantisch.“

„O ja, das war es!“, log Annie.

„Wieso hast du mir an dem Abend nichts von deinen Plänen erzählt?“

Ganz einfach. Weil ich nichts geplant hatte. Weil ich einfach nur davongelaufen bin.

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass dazu ein Anlass bestand.“

„Kein …?“ Sekundenlang blitzte es verärgert in seinen Augen auf. „Meinst du nicht, dass du mir nach dem, was zwischen uns gewesen ist …“

Was ist zwischen uns gewesen, Brant?“ Herausfordernd hob Annie das Kinn.

Seine Miene verriet nichts, lediglich ein Muskel zuckte auf seiner Wange. „Musst du das wirklich fragen, Annie?“

Warum macht er plötzlich eine so große Sache daraus?

„Ich hatte gerade eine gescheiterte Beziehung hinter mir“, sagte sie gespielt gleichmütig. „Und du …“ … warst in Naomi verliebt, die du ja dann auch geheiratet hast! „War Naomi eigentlich schon schwanger, als du mit mir geschlafen hast?“ Die Frage war heraus, ehe Annie es verhindern konnte.

Eine Weile rührte Brant scheinbar geistesabwesend seinen Espresso um. „Unsere Söhne wurden am selben Tag geboren“, erinnerte er sie schließlich und legte den Löffel auf den Unterteller zurück. „Von daher denke ich, dass du dir die Frage selbst beantworten kannst.“ Er hob den Kopf und sah sie an.

Brennende Röte stieg Annie in die Wangen. Natürlich musste er annehmen, dass sie ebenfalls …

Autor

Elizabeth Power
Schon als Kind wusste Elizabeth Power, dass sie Bücher schreiben wollte, genau wie ihr Vater, ein erfolgreicher Kinderbuchautor. Und als sie einmal herausgefunden hatte, dass es nicht ausreicht, ihre Bilderbücher Wort für Wort abzuschreiben, stand ihrer Karriere nichts mehr im Weg. Mit vierzehn hatte sie ihren ersten Roman vollendet –...
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