Traummänner & Traumziele: Florenz

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STÜRMISCHE NÄCHTE IN FLORENZ

Bruno di Cesare engagiert die Innenarchitektin Tamsin, die seine toskanische Villa neu einrichten soll. Allerdings ist das ein Vorwand, denn er hält sie für eine Betrügerin, die es auf das Geld seines Bekannten Lord James Grainger abgesehen hat. Trotzdem entbrennt er in heißer Leidenschaft für die schöne Engländerin, und in einer stürmischen Gewitternacht entladen sich ihre Gefühle. Tamsin weiß zwar, dass Bruno ihr nicht vollkommen vertraut, doch sie hört auf ihr Herz und lässt sich auf eine Beziehung mit ihm ein. Doch ein Überraschungsbesuch in Florenz ändert alles …

WENN IN FLORENZ DIE WEIHNACHTSGLOCKEN LÄUTEN

Seit ihrer ersten Begegnung an einem Ort, der in ihnen schmerzliche Erinnerungen weckt, fühlt sich Alysa zu Drago di Luca hingezogen. Obwohl sie ihn kaum kennt, folgt sie dem attraktiven Italiener in seine prächtige Villa nach Florenz. Und bereut ihre Entscheidung keine Sekunde lang, denn Drago wirbt zärtlich und zuvorkommend um sie. Schon freut sich Alysa auf das nahende Weihnachtsfest an seiner Seite, da tauchen dunkle Wolken am Glückshimmel auf: Drago und sie verbindet ein gemeinsames Schicksal - und das könnte ihrer Liebe zum Verhängnis werden

ENTFÜHRUNG NACH FLORENZ

Was für ein gefährlich attraktiver Mann! Mit seinem verführerischen Charme zieht Riccardo Linardi die junge Ruth vom ersten Moment an in seinen Bann. Wie verzaubert, tut sie etwas, was sie noch nie getan hat: Sie flirtet heiß mit dem aufregenden Italiener, entdeckt die Leidenschaft in seinen Armen - nur für diese eine Nacht! Denn schon am nächsten Morgen befürchtet sie: Ist sie nur eine unter vielen für den unverbesserlichen Playboy? Aufgewühlt verlässt sie ihn ohne ein Wort des Abschieds. Doch schneller als gedacht, spürt er sie auf und entführt sie ins malerische Florenz …

RASANTE ROMANZE IN FLORENZ

"Sie werden eine kugelsichere Weste tragen." Der italienische Rennfahrer Luca Ponti weiß nicht: Soll er sich über Stella Castlemaine amüsieren - oder ihr gehorchen? Offensichtlich ist seine hübsche Leibwächterin knallhart! Aber deshalb hat er sie ja eingestellt: Seit er sein Comeback in dem rasanten Sport plant, wird er verfolgt und bedroht. Luca ahnt nicht, dass in Stella ein empfindsames Herz schlägt, das er Tag für Tag mit seiner maskulinen Ausstrahlung mehr in Gefahr bringt. Bis ihr ein schrecklicher Fehler unterläuft: Sie verliebt sich in ihn - und wird unaufmerksam …


  • Erscheinungstag 10.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788254
  • Seitenanzahl 592
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Chantelle Shaw, Lucy Gordon, Margaret Mcdonagh, Stevens Danielle

Traummänner & Traumziele: Florenz

Chantelle Shaw

Stürmische Nächte in Florenz

IMPRESSUM

ROMANA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Chantelle Shaw
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1798 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Julia Sarnes

Fotos: panthermedia/Markus Gann

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-330-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

„Siehst du die Blondine, die da gerade in den Ballsaal kommt? Das ist Tamsin Stewart. Und da ist mein Dad, der natürlich sofort zu ihr rennen muss. Wie kann er sich nur derart lächerlich machen? Er könnte ihr Vater sein!“

Plötzlich klang Annabel Graingers Stimme so bitter, dass Bruno Di Cesare den Kopf drehte und die blonde junge Frau, die soeben den Ballsaal betreten hatte, mit aufmerksamen Blicken verfolgte. Merkwürdig, irgendwie hatte er sie sich ganz anders vorgestellt!

Seit Annabel, die jüngste Tochter seines langjährigen Freundes und Geschäftspartners James Grainger, Earl of Ditton, ihn angerufen und zwischen unzähligen Schluchzern von der „schrecklichen Tussi“ erzählt hatte, die unverschämterweise mit ihrem Vater angebandelt hatte, war in seiner Vorstellung das Bild von einer Wasserstoffblondine mit Solariumsbräune und viel zu kurzem Kleid entstanden. Tamsin Stewart hatte zwar blondes Haar, sonst aber wirkte sie ganz anders, als er gedacht hatte.

Ein langes dunkelblaues Seidenkleid umschmeichelte die verführerischen Kurven ihres schlanken Körpers, und Bruno konnte nur erahnen, welche Perfektion sich darunter verbarg. Sie hatte große, ausdrucksstarke Augen, deren Farbe er aus der Entfernung allerdings nicht ausmachen konnte, volle, sinnliche Lippen und ein zartes, schmales Gesicht. Die elegante Hochsteckfrisur brachte ihren langen, schlanken Hals besonders gut zur Geltung, und das Diamantcollier, das sie trug, erregte beinah ebenso viel Aufsehen wie sie selbst.

Eine richtige Schönheit, stellte Bruno fest und ärgerte sich im Stillen, dass er ihrer Austrahlung offenbar ebenso wenig entgegenzusetzen hatte wie sein Freund James. Dieses plötzlich in ihm aufsteigende Verlangen war nun wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte! Zumal er doch jeden Grund hatte, diese Frau zu verachten. Schließlich hatte sie es ganz offensichtlich nur darauf abgesehen, sich einen reichen Earl zu angeln.

Verärgert nahm Annabel ein Champagnerglas von der Bartheke. „Schau sie dir nur an! Wie sie sich ihm an den Hals wirft!“, sagte sie angewidert und leerte das Glas in einem Zug.

Auch wenn Annabel mittlerweile achtzehn Jahre alt war und Alkohol trinken durfte, runzelte Bruno missbilligend die Stirn. Für ihn war sie so etwas wie eine kleine Schwester, und er verabscheute es, wenn etwas sie bedrückte.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Ballsaals klopfte Tamsin Stewart seinem anscheinend völlig verzückten Freund gerade ein verirrtes Konfettistück vom Jackett und lächelte dabei so warm, als wäre er gerade aus dem Krieg heimgekehrt, eine Geste, die Bände sprach. Missbilligend schüttelte Bruno den Kopf. Bis eben hatte er noch geglaubt, Annabel sähe Gespenster. Ausgerechnet der kluge und vernünftige James sollte sich Hals über Kopf in eine so junge Frau, kaum halb so alt wie er, verliebt haben? Bis vor Kurzem war es doch für ihn noch absolut unvorstellbar gewesen, überhaupt eine neue Beziehung anzufangen – und nun stürzte er sich blind in ein solches Abenteuer? In seinem ganzen bisherigen Leben hatte Bruno nicht einen einzigen Geschäftsmann getroffen, der es mit James Graingers Scharfsinnigkeit hätte aufnehmen können. Doch in den anderthalb Jahren, in denen er um seine geliebte, viel zu früh verstorbene Frau trauerte, hatte er sich verändert.

Aus Sorge um seinen Freund hatte Bruno einige Nachforschungen bezüglich Tamsin Stewart in Auftrag gegeben. Über Kontakte verfügte er schließlich reichlich, und was er über sie erfahren hatte, beunruhigte ihn dermaßen, dass er kurz entschlossen nach England geflogen war, um bei der Hochzeit von James’ ältester Tochter Lady Davina dabei zu sein.

Ihre Trauung mit Baron Hugo Havistock hatte am Vormittag in der kleinen Privatkapelle auf dem Anwesen der Graingers stattgefunden. Nach dem Mittagessen im engsten Familien-und Freundeskreis waren nun Hunderte von Gästen in das nahe gelegene Luxushotel geladen, um mit dem glücklichen jungen Paar zu feiern. Unter ihnen auch Tamsin Stewart.

Missmutig beobachtete Annabel, wie ihr Vater die hübsche Blondine auf die Tanzfläche führte. „Siehst du“, flüsterte sie Bruno aufgebracht zu, „ich bilde mir das nicht nur ein! Sie scheint meinen Vater völlig verhext zu haben.“

„Dann müssen wir eben einen Weg finden, ihn zu entzaubern, piccola“, erwiderte er tröstend.

„Und wie willst du das anstellen?“ Annabels Stimme klang bitter. „Mir hat er jedenfalls kein Diamantcollier gegeben.“

„Was soll das heißen?“

„Daddy hat jeder Brautjungfer eine Kette geschenkt“, erklärte sie und zeigte frustriert auf die schimmernden Perlen an ihrem Hals. „Als ich beim Aufräumen zufällig auf das Diamantcollier stieß, dachte ich, es sei für mich. Immerhin bin ich seine Tochter. Aber falsch gedacht! Tamsin hat es bekommen. Angeblich als Dank für die Umgestaltung von Davinas Apartment.“ Annabel stieß einen verächtlichen Laut aus. „Wenn er doch nur keine Innenarchitektin eingestellt hätte! Dann müssten wir uns jetzt nicht mit dieser Tussi herumschlagen! Davina glaubt zwar, dass Daddy sich nur ein bisschen einsam fühlt und es deshalb so genießt, sich mit Tamsin zu unterhalten. Meine Schwester hatte jedoch in letzter Zeit so viel mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun, dass sie gar nicht mitkriegen konnte, welche Macht diese schreckliche Frau über ihn hat.“

Hastig leerte Annabel ein weiteres Glas Champagner und hielt es wortlos dem Barkeeper hin, der es sofort wieder füllte. „Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll“, seufzte sie theatralisch. „Am Ende wird sie noch die neue Lady Ditton! Seit dem Tod meiner Mutter ist Dad so schrecklich unglücklich. Ich könnte es einfach nicht ertragen, wenn diese Person ihn ausnutzt!“

„Das wird sie nicht, piccola! Ich lasse es nicht zu“, versprach Bruno bestimmt. Niemand nutzte seine Freunde aus! Schon gar nicht die Graingers, die für ihn seit vielen Jahren wie eine zweite Familie waren. Abschätzend betrachtete er Tamsin Stewart, die noch immer in James’ Armen über die Tanzfläche schwebte, und wiederholte in Gedanken, was er von ihr wusste: fünfundzwanzig Jahre alt, vor zwei Jahren geschieden und seitdem anscheinend Single. Nach dem Studium hatte sie in London für eine der besten Designfirmen der Welt gearbeitet, wo sie sich mit der Zeit einen hervorragenden Ruf als außergewöhnlich kreative Innenarchitektin erwarb. Vor Kurzem hatte sie jedoch zu Spectrum Design, dem kleinen Unternehmen ihres Bruders, gewechselt.

Bruno kniff die Augen leicht zusammen. Mit Sicherheit hatte dies eine heftige Gehaltseinbuße bedeutet. Wie, um alles in der Welt, hatte diese Frau es sich danach leisten können, ein schickes neues Auto zu kaufen und dann zwei Wochen Luxusurlaub auf Mauritius zu machen? Von ihrer Vorliebe für teure Designerkleidung einmal ganz abgesehen. Das Ballkleid, das sie heute Abend trug, stammte zwar nicht von ihm, aber es verriet die Handschrift eines ebenso exklusiven Modemachers. Unerschwinglich für eine kleine Innenarchitektin! Jemand musste es ihr geschenkt haben, und er hatte schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wer es gewesen sein könnte.

Schließlich wusste er ja aus sicherer Quelle, dass James Grainger jede Woche nach London fuhr, um Tamsin zu sehen. Bestimmt hatte sie ihn bei einer solchen Gelegenheit geschickt in die Boutiquen gelockt und ihn dazu gebracht, ihr den teuren Schmuck und das Kleid zu kaufen. Allerdings waren diese Shoppingtouren nichts im Vergleich zu der riesigen Summe, die sein Freund in das Unternehmen von Tamsins Bruder investiert hatte. Vor ungefähr einem Monat wäre Spectrum Design beinah pleitegegangen, wenn James der Firma nicht mit seinem eigenen Vermögen aus der Klemme geholfen hätte. Und das, obwohl seine Steuerberater strikt dagegen gewesen waren.

Dass aber auch der Verstand bei den vernünftigsten Männern aussetzte, wenn eine schöne Frau ihnen den Kopf verdrehte! Sein eigener Vater, Stefano Di Cesare, war dafür das beste Beispiel. Blind vor Liebe – oder Lust – hatte er eine zwanzig Jahre jüngere Schauspielerin geheiratet, die ihn geschäftlich und gesellschaftlich in den Ruin getrieben, vor allem aber den Familienfrieden für immer zerstört hatte.

Anfang zwanzig war er damals gewesen. Alt genug, um zu verstehen, was sein Vater in den Armen dieser Frau gesucht hatte, jedoch noch lange nicht tolerant genug, um ihm zu vergeben, dass er diese raffgierige Person geheiratet hatte. Und das kaum ein Jahr nach dem Tod seiner Ehefrau. Dio, wie sehr hatte er versucht, seinen Vater vor Miranda zu warnen, doch der hatte einfach nicht auf ihn hören wollen. Sein Bauchgefühl trog Bruno nie, und Tamsin Stewart gehörte danach ganz klar zu den Frauen, die sich die Gefühle eines verletzlichen älteren Mannes zunutze machten!

Auf der anderen Seite des Saales lachten James und Tamsin fröhlich miteinander. Fast schien es, als hätten sie die vielen Menschen um sie herum völlig vergessen.

„Sie war übrigens mit dem Bruder einer meiner Freundinnen verheiratet“, meldete Annabel sich wieder zu Wort, die das Treiben auf der Tanzfläche eine Weile schweigend beobachtet hatte. „Caroline hat mir erzählt, dass Tamsin sich sofort an Neil herangemacht hat, sobald sie wusste, dass er ein steinreicher Banker ist. Leider merkte er erst nach der Hochzeit, welchen Fehler er gemacht hatte. Denn sie beschwerte sich pausenlos darüber, dass er zu viel arbeiten würde. Allerdings hat sie sich nie darüber beklagt, währenddessen sein Geld mit vollen Händen ausgeben zu können. Als er sich schließlich von ihr trennen wollte, hat sie ihm eröffnet, sie erwarte ein Baby. Wahrscheinlich um ihn unter Druck zu setzen, bei ihr zu bleiben.“

„Also hat sie ein Kind?“, fragte Bruno überrascht.

„Aber nein. Keine Ahnung, ob es überhaupt je eine Schwangerschaft gegeben hat. Caroline glaubt, dass alles erlogen war. Neil hat sich jedenfalls trotzdem scheiden lassen. Und Caro ist heilfroh darüber.“

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann fuhr sie mürrisch fort: „Kennst du eigentlich schon Daddys neueste Schnapsidee? Jetzt will er Ditton Hall von Grund auf renovieren und umgestalten lassen. Dabei hat Mommy es so geliebt, wie es jetzt ist. Und natürlich hat er wieder Tamsin als Innenarchitektin eingestellt. Daddy sagt, wir müssten akzeptieren, dass Mommy nicht mehr bei uns ist, und ein neues Leben beginnen. Wenn diese Tamsin sich in Ditton Hall breitmacht, ziehe ich aus. Und wenn ich auf der Straße leben muss!“

Bruno verkniff sich nur mühsam ein Lächeln. Die verwöhnte Annabel und auf der Straße leben! Verständlicherweise war sie außer sich über die Affäre ihres Vaters mit seiner jungen Innenarchitektin.

Grimmig presste er die Lippen zusammen, packte Annabel am Handgelenk und zog sie hinter sich her auf die Tanzfläche. „Dein Vater würde bestimmt nie etwas tun, das dich verletzt, und schon gar nichts, das dich aus dem Haus treibt“, meinte er. „Doch jetzt wird es wirklich höchste Zeit, dass du mir diese wunderbare Miss Stewart einmal persönlich vorstellst!“

Tamsin betrachtete besorgt James Graingers aschfahle Gesichtszüge und runzelte die Stirn. Wie müde und erschöpft er aussah! „Nach diesem Tanz solltest du dich wirklich setzen und ein wenig ausruhen. Wie ich dich kenne, bist du wieder den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Du weißt doch, was der Arzt gesagt hat. Du musst dich mehr schonen“, beschwor sie ihn.

„Jawohl, Schwester Tamsin“, antwortete er amüsiert. Dann wurde er unvermittelt ernst und fügte wehmütig hinzu: „Wenn du so mit mir sprichst, klingst du fast so energisch wie meine Frau – und das will was heißen! Lorna wäre heute richtig in ihrem Element gewesen. Wie gern hätte sie Davinas Hochzeit ausgerichtet!“

„Ich weiß“, erwiderte Tamsin leise. „Du hast sie jedoch würdig vertreten. Davina sieht jedenfalls sehr glücklich aus. Und ich glaube wirklich, keines der Mädchen ahnt etwas.“ Erschrocken biss sie sich auf die Lippe. Mist! Darüber hatte sie jetzt eigentlich gar nicht reden wollen. Aber nun war es zu spät. „James, ich finde, du solltest es deinen Töchtern endlich sagen. Spätestens wenn Davina und Hugo aus den Flitterwochen zurückkehren.“

„Nein, auf keinen Fall! Es ist gerade einmal achtzehn Monate her, dass sie ihre Mutter durch Krebs verloren haben. Da kann ich ihnen doch unmöglich eröffnen, dass man mir dieselbe Diagnose gestellt hat! Jedenfalls jetzt noch nicht“, fügte er etwas weniger heftig hinzu. „Erst will ich noch einmal mit dem Spezialisten reden und hören, wie meine Überlebenschance ist. Ich möchte sie nicht unnötig erschrecken. Annabel ist gerade erst achtzehn Jahre alt und viel zu jung, um noch mehr Leid zu ertragen. Versprich mir, dass du den Mädchen nichts verrätst. Und auch sonst niemandem“, bat er nachdrücklich.

Widerwillig gab Tamsin ihm das Versprechen. „Selbstverständlich sage ich nichts, wenn dir so viel daran liegt. Ich werde dich jedoch am Freitag ins Krankenhaus begleiten. Letztes Mal ging es dir nach der Chemotherapie einfach zu schlecht.“ Nach einer kurzen Pause setzte sie unsicher hinzu: „Vielleicht irre ich mich ja, aber ich habe das ungute Gefühl, dass unsere Freundschaft Annabel ein Dorn im Auge ist. Besonders seit die Arbeiten an Davinas Apartment beendet sind. Wenn sie wüsste, dass du nicht meinetwegen jede Woche nach London fährst, sondern weil du ins Krankenhaus musst …“

„Nein“, wehrte James ab. „Sie würde sich zu Tode ängstigen. Außerdem habe ich ihr erzählt, dass du jetzt Ditton Hall umgestalten wirst.“

„Das erklärt ihren feindseligen Gesichtsausdruck.“ Was für eine schwierige Situation!

Kennengelernt hatte sie James Grainger, als sie den Auftrag bekam, Davinas und Hugos Apartment neu einzurichten. Dabei hatte sie sofort bemerkt, dass dieser nach außen hin so charmante Mann todunglücklich und einsam war, und es dauerte nicht lange, bis sich zwischen ihnen eine tiefe Freundschaft entwickelte. Ihr hatte er sich anvertraut. Sie allein teilte sein Geheimnis, dass er an Prostatakrebs litt, und bisher hatte sie ihn trotz etlicher Versuche nicht dazu bewegen können, seinen Kindern die Wahrheit über seinen Zustand mitzuteilen. Wenn wenigstens Annabel sie nicht immer so hasserfüllt ansehen würde!

Seufzend tastete sie nach dem schweren Diamantcollier an ihrem Hals.

„Ich habe beinah das Gefühl, es ist eine Belastung für dich“, stellte James, dem ihre Handbewegung nicht entgangen war, belustigt fest.

„Ich bin ständig in Sorge, es zu verlieren“, gestand sie. „Außerdem sollte ich es dir besser zurückgeben, es ist viel zu kostbar.“

„Wie oft soll ich es noch sagen? Ich nehme es nicht zurück! Es ist ein Geschenk!“

„Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich es nicht annehmen kann?“, erwiderte sie heftig. „Das Collier muss ein Vermögen wert sein. Es zu behalten wäre einfach … unangemessen.“

„Das finde ich überhaupt nicht, denn damit möchte ich mich bei dir für deine Hilfe und Unterstützung in den letzten Monaten bedanken. Du verdienst dieses besondere Geburtstagsgeschenk, Tamsin. Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich getan hätte, und ich bin sicher, Lorna hätte dich auch sehr gerngehabt“, fügte er leise hinzu.

Sein trauriger Blick berührte sie zutiefst. Impulsiv legte sie die Arme um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich unterstütze dich, weil Freunde das nun einmal tun. Nicht weil ich im Gegenzug teuren Schmuck erwarte.“ Seufzend schüttelte sie den Kopf. Sie befand sich in einer wirklich verzwickten Lage! Wenn sie darauf bestand, die Diamantkette zurückzugeben, würde sie James bestimmt verletzen. Deshalb sagte sie schließlich: „Trotzdem: vielen, vielen Dank. Es ist ein wunderschönes Schmuckstück, und ich werde es immer in Ehren halten.“

„Daddy, du hast den ganzen Abend nicht ein einziges Mal mit mir getanzt“, ertönte in diesem Augenblick eine vorwurfsvolle Stimme hinter ihnen. Als Tamsin sich umsah, fing sie Annabels eiskalten Blick auf. Schnell rückte sie von James weg. Sie hatte ihn in der Tat schon zu lang in Anspruch genommen. Immerhin war dies ein Familienfest. Hastig wollte sie in der Menge verschwinden, um im nächsten Moment gegen eine muskulöse Brust zu prallen. Erschrocken blickte sie auf und direkt in die dunklen Augen von Annabels Begleiter.

Was für ein Mann! Sekundenlang war sie wie gelähmt, so atemberaubend gut sah er aus. Er hatte eine sonnengebräunte Haut, ein markantes Kinn, das Entschlossenheit verriet, und schien es gewohnt zu sein, seinen Willen durchzusetzen. Und seine sinnlichen Lippen verhießen Dinge, die ihr einen heißen Schauer über den Rücken jagten. Die Hitze stieg ihr ins Gesicht, und sein Lächeln sagte ihr, dass er genau wusste, was in ihr vorging. Oh nein!

Warum musste er auch so groß, schlank und breitschultrig sein? Der dunkelgraue Maßanzug betonte seinen muskulösen Körper perfekt. Völlig verwirrt wich sie einen Schritt zurück und stieß eine Entschuldigung hervor.

„Tut mir leid, Kleines. Ich dachte, du hättest Spaß mit deinen Freunden“, hörte sie, wie James sich rechtfertigte. „Hast du dich gut um mein kleines Mädchen gekümmert, Bruno?“

„Selbstverständlich“, erwiderte der Fremde, ohne den Blick von Tamsin abzuwenden. „Aber ich glaube, jetzt, da die große Schwester verheiratet ist und Ditton Hall verlässt, wird Annabel ihren Papà mehr denn je brauchen.“

Sprach er mit italienischem Akzent? Dass seine tiefe, warme Stimme vorwurfsvoll geklungen hatte, daran bestand kein Zweifel.

Auch James schien das bemerkt zu haben, denn er sagte fröhlich: „Dann komm, Kleines! Tanz mit mir!“ Und zu Tamsin gewandt fügte er hinzu: „Du hast doch nichts gegen einen Partnertausch? Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Bruno ein exzellenter Tänzer ist.“

Eine unangenehme Pause entstand, und Tamsin wusste nicht, was sie erwidern sollte. Schon die Nähe dieses Mannes hatte eine überwältigende Wirkung auf ihren Körper. „Ich glaube, ich mache lieber mal eine kleine Pause“, murmelte sie, den Blick auf James gerichtet.

Der schüttelte missbilligend den Kopf. „Du liebe Güte, wo sind eigentlich meine Manieren geblieben? Ich habe euch einander ja noch nicht einmal vorgestellt. Tamsin, das ist Bruno Di Cesare – der Besitzer des Di-Cesare-Modeimperiums und einer meiner besten Freunde. Bruno, das ist Tamsin Stewart. Sie ist eine unglaublich begabte Innenarchitektin.“

Ungeduldig zog in diesem Moment Annabel ihren Vater am Arm. „Komm schon, Daddy, lass uns gehen“, rief sie laut, doch Tamsin nahm es kaum wahr. Sie nahm auch nicht mehr wahr, wie James mit seiner Tochter zur Bar ging. Die Musik, die anderen Gäste, die Tanzfläche – alles verschwand wie in einem Nebel. Sie sah nur noch Bruno Di Cesare.

„Miss Stewart.“

Seine merklich kühler gewordene Stimme holte sie schlagartig zurück in die Wirklichkeit. Ein kalter Schauder jagte ihr über den Rücken. Vielleicht lag es an der Größe des Mannes, dass er derart einschüchternd auf sie wirkte, oder an diesem leicht zynischen Ausdruck, der offenbar immer dann seine Lippen umspielte, wenn er sie anblickte. Plötzlich nahm er ihre Hand, und sie zuckte erschrocken zusammen.

„Oder darf ich Sie Tamsin nennen?“

Wie er ihren Namen aussprach! Als würde er einen edlen Wein verkosten. Dann hob er ihre Hand an seine Lippen und hauchte einen zarten Kuss darauf. Die sanfte Berührung ließ Tamsin erröten und am ganzen Körper erbeben. Das amüsierte Lächeln des Fremden verriet, dass er nur zu gut wusste, welche Wirkung er auf sie hatte.

„Wie ist es mit einem Tanz?“, raunte er ihr mit diesem verboten sinnlichen Akzent ins Ohr. „Ich hoffe doch sehr, dass ich Sie dazu überreden kann, oder?“

Tamsin hatte das Gefühl, als könnte er sie zu weitaus mehr verführen, zumal sein Lächeln sie ungeheuer verwirrte. Himmel, warum musste er auch so gut aussehen? Nie zuvor hatte die Nähe eines Mannes ein solches Verlangen in ihr ausgelöst. Nicht einmal die ihres Exmannes!

Natürlich hatte sie sich von Neil angezogen gefühlt. Und irgendwann hatte sie sich auch in ihn verliebt. Doch eine derartige Anziehungskraft war von ihm nie ausgegangen.

Bisher hatte sie sich immer eingeredet, sie sei dafür nicht empfänglich, denn schon in der Schule hatte sie sich lieber mit Büchern beschäftigt, statt wie die meisten anderen Mädchen ihren Alters für irgendwelche Popstars zu schwärmen. Schon früh hatte sie eine klare Vorstellung davon gehabt, wie ihr Lebensweg verlaufen sollte: Studium, Karriere, heiraten und eine Familie gründen. Dann hatte Neils Untreue diesen Traum zerstört, und eine Zeit lang hatte sie nicht mehr gewusst, was sie sich wünschen sollte. Bis jetzt. Jetzt wollte sie sich nur noch in die Arme dieses gut aussehenden Unbekannten werfen! Auch wenn es völlig verrückt war.

Oh nein! Wie lange mochte sie ihn jetzt schon angestarrt haben? Reiß dich zusammen, rief sie sich zur Ordnung. Du führst dich ja auf wie ein Teenager beim ersten Date! Sie rang sich ein Lächeln ab und sagte so gelassen, wie es ihr in dieser Situation möglich war: „Ja, warum nicht.“

Langsam folgte sie ihm auf die Tanzfläche. Als er ihr seinen starken Arm um die Taille legte und sie an seine breite Brust zog, erbebte sie leicht. Sein Duft betörte ihre Sinne. Nur gut, dass er sie so festhielt. Denn wie lange ihre weichen Knie sie noch tragen würden, konnte sie beim besten Willen nicht sagen.

Erstaunt blickte Bruno in Tamsins gerötetes Gesicht. Die Reaktion ihres Körpers auf seine Berührung war ihm nicht entgangen. Noch vor wenigen Minuten hatte sie ihn kühl und abweisend angeblickt. Seitdem James ihn ihr jedoch als Besitzer einer weltweit bekannten Modefirma vorgestellt hatte, wirkte sie plötzlich sehr viel weniger distanziert! Im Gegenteil sogar!

Geld ist eben ein zuverlässiges Aphrodisiakum, dachte er spöttisch. Er wusste, dass er gut aussah. Doch sein Reichtum allein genügte schon, um die meisten Ladys schwachzumachen. Bisher hatte er noch um keine Frau kämpfen, geschweige denn sich ernsthaft bemühen müssen. Manchmal fragte er sich, ob er dadurch vielleicht etwas verpasst hatte.

Und wenn schon! Rasch verdrängte er den Gedanken. Im Augenblick interessierte ihn nur Tamsin Stewart und die Tatsache, dass sie wie auf Bestellung errötete. Wie sie das wohl anstellte? Eins musste er ihr lassen, ihre gespielte Unschuld wirkte beinah echt. Sie ist schön, aber hinterhältig, rief er sich ins Gedächtnis. Sie war eine geldgierige Person, die es nur auf das Vermögen seines Freundes abgesehen hatte, und mit solchen Frauen wollte er nichts zu tun haben! Doch auch wenn sein Verstand ihn warnte, sein Körper war nur zu bereit, jede Vernunft außer Acht zu lassen. Wie gern würde er jetzt diese einladend geöffneten weichen Lippen küssen!

Verdammt, das ging nicht! Wie zur Hölle sollte er seinen Freund vor dieser Frau bewahren, wenn er ihr nicht einmal selbst aus dem Weg gehen konnte. Angewidert betrachtete er die funkelnden Diamanten an Tamsins Hals. Zweifellos der Grund für ihre „Freundschaft“ zu James. Nein, eine so hübsche junge Frau konnte nicht ernsthaft an einem so viel älteren Mann interessiert sein. Auch wenn er seinen Vater an diese habgierige Miranda verloren hatte, Annabel würde ihren nicht auf die gleiche Weise verlieren! Dafür würde er sorgen.

Mit einem Blick auf Tamsins noch immer leicht geröteten Wangen dachte er triumphierend: Und ich weiß auch schon, wie ich dich kriege, Miss Stewart!

2. KAPITEL

„Sie sind also Innenarchitektin?“, erkundigte sich Bruno und neigte sich zu ihr, sodass sein warmer Atem ihr Ohr streifte. „Annabel hat mir erzählt, dass Sie vor Kurzem Hugos und Davinas Apartment umgestaltet haben.“

„Ja“, murmelte Tamsin geistesabwesend und versuchte, etwas Abstand von ihm zu bekommen. Doch sofort zog er sie wieder an seine breite, muskulöse Brust. Wenn ihr nur nicht der Kopf vom Champagner schwirren würde! Sicherlich war der Alkohol schuld daran, dass sie nicht klar denken konnte.

Beklommen überlegte sie, was Annabel ihm noch alles über sie erzählt haben mochte. Das junge Mädchen hatte sich ihr gegenüber von Anfang an nicht besonders freundlich verhalten. Eigentlich sollte sie das ja nicht weiter überraschen. Immerhin war Caroline Harper, eine von Annabels Freundinnen, meine Schwägerin, dachte Tamsin. Caroline war entsetzlich eifersüchtig auf sie gewesen und hatte sich in alles Mögliche eingemischt – einer von vielen Faktoren, die schließlich zur Scheidung geführt hatten.

„Ich hatte mich sehr über diesen Auftrag gefreut“, erklärte sie lächelnd.

Der dir außerdem die Gelegenheit gegeben hat, dir einen reichen, alleinstehenden Mann kennenzulernen, fügte Bruno in Gedanken zynisch hinzu. James Grainger verbrachte die meiste Zeit auf seinem Landsitz oder in Klubs, zu denen nur Adlige Zutritt hatten. Ohne den Auftrag wäre sie James niemals begegnet. Nein, er durfte sich von diesen unschuldig blickenden blauen Augen nicht täuschen lassen! Und wenn sie ihn zehnmal an den tiefblauen Himmel der Toskana erinnerten.

„Sie kennen die Graingers also noch nicht sehr lange?“

Sein bedeutungsvolles Lächeln verwirrte sie. Wieso interessierte er sich so sehr für ihr Verhältnis zu den Graingers? „Nein, erst seitdem ich für sie als Innenarchitektin arbeitete. Wie Sie sich sicher vorstellen können, habe ich dabei viel Zeit mit Hugo und Davina verbracht. Dadurch sind wir schnell Freunde geworden. Ich bin stolz darauf, dass sie mit meiner Arbeit so zufrieden sind und sie mich zu ihrer Hochzeitsfeier eingeladen haben.“

„Annabel meinte, Sie seien auch mit James befreundet?“

Obwohl seine Miene gleichgültig wirkte, klang seine Stimme irgendwie tadelnd. Merkwürdig. Offensichtlich hatte Bruno nicht die geringste Ahnung, wie es um die Gesundheit seines Freundes stand.

Da sie genug von seinem Fragespiel hatte, erklärte sie resolut: „James Grainger ist ein sehr charmanter Mann, und ja, ich denke, wir sind so etwas wie Freunde geworden.“ Sie errötete leicht, als sie an ihr Versprechen dachte, nichts über seine Krankheit zu verraten. Dann fügte sie hinzu: „Sehr gute sogar. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, wenn er sich anschauen wollte, wie es mit den Arbeiten im Apartment voranging. Manchmal sind wir danach gemeinsam zum Essen gegangen.“

Als er sie mit seinen dunklen Augen durchdringend ansah, fragte sie sich, was er wohl von ihr wollte. „Ich … ich glaube, James fühlt sich einsam seit dem Tod seiner Frau“, fuhr sie stockend fort.

„Und wie ich vermute, haben Sie ihm gern Ihre zarte Schulter zum Anlehnen angeboten“, meinte er spöttisch.

Tamsin dachte noch über den Sinn seiner Worte nach, als er mit seinen schlanken, kräftigen Fingern sanft ihren Hals streifte und das Diamantcollier berührte.

„Ein fast so edles Schmuckstück wie die Frau, die es trägt“, bemerkte er galant, und sein sinnlicher Blick ließ ihr Herz heftig klopfen. „Sie haben einen exquisiten Geschmack, bella. Sonst hätten Sie sich wohl kaum für ein so meisterlich gearbeitetes Teil entschieden.“

„Oh, ich habe es mir nicht selbst gekauft. Es ist ein Geschenk von …“ Sie verstummte unvermittelt. Eigentlich gab es ja keinen Grund, ihm zu verschweigen, dass James ihr das Schmuckstück zum Geburtstag geschenkt hatte. Trotzdem hatte sie das merkwürdige Gefühl, dass Bruno als Nächstes fragen würde, weshalb der Earl seiner Innenarchitektin ein so teures Präsent gemacht habe. Wie aber sollte sie ihm das erklären, ohne zu erwähnen, dass James ihr damit für die vielen, vielen Stunden hatte danken wollen, die sie mit ihm im Krankenhaus zugebracht hatte?

Bildete sie sich es ein, oder überspielte er mit seinem Lächeln so etwas wie Abneigung? „Ein Geschenk von Ihrem Liebsten, nehme ich an?“, fragte er seidenweich.

Jetzt spielte die Fantasie ihr ganz sicher einen Streich. Das hatte ja beinah eifersüchtig geklungen. Dabei waren seine starken Arme, die er ihr um die Taille gelegt hatte, und die Hitze, die sein gefährlich naher Körper in ihr hervorrief, keinesfalls ein Produkt ihrer Fantasie, ebenso wenig wie die Wirkung, die das auf ihre Denkfähigkeit hatte. Benommen schüttelte sie den Kopf. Konnte es sein, dass sie, Tamsin Stewart, einem so unglaublich gut aussehenden Mann wie Bruno Di Cesare gefiel? Auch wenn ihr Verstand diese Frage eindeutig negativ beantwortete, sagte ihr irgendetwas in seinen Augen, dass er genauso überwältigt war wie sie.

„Ich habe keinen Liebsten“, erwiderte sie leise, unfähig, den Blick von seinen Lippen zu lösen.

„Das kann ich kaum glauben, cara“, raunte er ihr ins Ohr. „Doch wer auch immer Ihnen dieses Collier geschenkt hat, meinen Sie nicht, dass er vielleicht gern Ihr Liebster wäre?“

„Nein“, widersprach sie entschieden und drehte den Kopf weg. James war ein Freund, der noch immer um seine verstorbene Frau trauerte. Nie würde sie ihm unterstellen, derartige Hintergedanken gehabt zu haben! Und wieso interessierte sich Bruno so sehr für dieses verdammte Collier?

Als sie versuchte, sich von ihm loszumachen, zog er sie noch fester an sich, sodass sie seine harten, muskulösen Schenkel an ihren spürte. „Im Moment bin ich völlig ungebunden“, stieß sie atemlos hervor. „Ich hoffe, das befriedigt Ihre Neugier.“ Himmel, seine Nähe brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Was ging ihn das alles an?

Doch bevor sie ihn auffordern konnte, sie endlich loszulassen, erwiderte er ungehalten: „Allerdings, Tamsin. Sehr sogar. Denn es bedeutet, dass Sie sich hier und jetzt an mich binden können.“

„Wie … wie bitte?“, fragte sie verblüfft. „Wir kennen uns doch kaum. Ich habe Sie vor knapp zehn Minuten zum ersten Mal gesehen.“

„Und seitdem herrscht eine überwältigende erotische Anziehung zwischen uns“, stellte Bruno gelassen fest, und sein Lächeln schien sie herauszufordern, das Gegenteil zu behaupten.

Dann ließ er eine Hand so langsam über ihren Rücken gleiten, dass sie ihn eigentlich hätte zurechtweisen müssen. Doch wenn sie ehrlich war, bedauerte sie nur, dass sie kein rückenfreies Kleid trug. Unglaublich, wie sehr sie sich danach sehnte, seine Finger auf ihrer nackten Haut zu spüren!

„Lust ist ein wunderbares Gefühl, finden Sie nicht?“, flüsterte er, und seine tiefe, sexy Stimme ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. „Ich will dich, und du willst mich. Was könnte einfacher sein als das?“

Oh, wie einfach wäre es doch, Bruno Di Cesares Charme zu erliegen! Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihrem Verlangen nachzugeben und ihm zu folgen, wohin auch immer er sie führen würde. Geradewegs in sein Bett vermutlich, wie ihr sein heißer, vielsagender Blick verhieß. Doch irgendetwas warnte sie. Noch nie war sie einem Mann wie Bruno begegnet. In den zwei Jahren seit der Trennung von ihrem Mann hatte sie ja noch nicht einmal ein Rendezvous gehabt. Selbst wenn sie sich noch so sehr zu ihm hingezogen fühlte, sollte sie besser vorsichtig sein.

Glücklicherweise endete in diesem Augenblick die Musik. Abrupt machte sie sich von Bruno los, denn auf der anderen Seite des Saales ging James gerade durch die Flügeltür in den nebenan gelegenen Speisesaal.

„Ich glaube, ich werde einmal dem Büfett einen kleinen Besuch abstatten, Signore“, erklärte sie mit einem selbstbewussten Lächeln. „Die Sandwiches, die ich mir in der Mittagspause gekauft habe, waren ungenießbar, und ich bin schrecklich hungrig. Ich bin mir aber sicher, Sie werden ohne Probleme eine andere Partnerin finden“, fügte sie trocken hinzu. Während des Tanzes hatte mehr als nur eine Frau neidisch jede ihrer Bewegungen verfolgt.

Für den Bruchteil einer Sekunde lag eiskalte Verachtung in seinen Augen, ehe er ihr wieder ein verführerisches Lächeln schenkte. Ganz der vollendete Gentleman, bestand er darauf, sie in den Saal zu begleiten, in dem ein zwanzig Meter langes Büfett aufgebaut war.

„Verzeihen Sie meine Ungeduld, Tamsin“, entschuldigte er sich mit rauer Stimme, als sie missbilligend die Stirn runzelte. „Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ihre Schönheit raubt mir jedoch völlig den Verstand.“ Galant reichte er ihr einen Teller und ließ den Blick über die vielen erlesenen Delikatessen schweifen. „Ich hoffe, Sie erlauben mir, Ihnen beim Essen Gesellschaft zu leisten?“, bat er höflich und fügte leise hinzu: „Auch mir knurrt schon der Magen.“

Tamsin wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Welche Frau konnte einem solchen Mann schon lange widerstehen? Bei ihm würde selbst eine Nonne schwach werden! Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, als spielte er mit ihr. Was wollte er von ihr? Sie war zwar keineswegs hässlich, doch hier konnte er unter vielen wunderschönen Frauen wählen, die ihm allesamt zu Füßen lagen.

Nachdenklich legte sie einige Häppchen mit Frischkäse und Räucherlachs auf ihren Teller. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Bruno sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu knistern. Abrupt wandte sie den Blick wieder dem Büfett zu, obwohl sie plötzlich keinen Appetit mehr verspürte.

Bruno Di Cesare ist ein Playboy, rief sie sich ins Gedächtnis. Schon öfter hatte sie in der Zeitung über ihn gelesen. Auf den Wirtschaftsseiten ebenso oft wie in den Klatschkolumnen. Sie wusste, dass Antonio Di Cesare die Firma vor beinah achtzig Jahren gegründet hatte. Ursprünglich produzierten die Di Cesares nur edle Lederwaren, doch im Lauf der Zeit erweiterten sie ihre Produktpalette, und heute zählte The House of Di Cesare, so der offizielle Name der Firma, zu einem der erfolgreichsten Hersteller auf dem Weltmarkt. Neuerdings wurden dort auch exklusive Möbel und Haushaltsgegenstände, wie Geschirr und Dekoartikel, produziert. Alles nur vom Feinsten und zu atemberaubenden Preisen.

Wie sehr sich Brunos Welt doch von ihrer unterschied! Er war Milliardär, allseits beliebt und bewundert, gewohnt, tun und lassen zu können, was ihm gefiel. Er bekam immer das, was er wollte, ganz gleich, ob es sich nun um einen günstigen Vertragsabschluss oder eine schöne Frau handelte.

Tamsin krauste die Stirn. Wenn er glaubte, er brauche nur mit den Fingern zu schnippen, um sie zu kriegen, hatte er sich getäuscht!

Entschlossen steuerte sie auf James Grainger zu. Doch ehe sie es sich versah, hatte Bruno sie am Ellbogen zu einem abgelegenen Zweiertisch geführt, nahm ihr dort den Teller aus der Hand und rückte ihr einen Stuhl zurecht. Sofort erschien ein Ober und brachte ihnen eine Flasche mit eisgekühltem Champagner. Völlig überrumpelt nahm Tamsin Platz. Wenn Bruno doch nur nicht so gut aussehen würde! Sein selbstsicheres Lächeln hatte eine seltsame Macht über sie. Ihr ganzer Körper kribbelte, auch wenn Brunos Blick sie an den eines Wolfs erinnerte, der kurz davor war, sich auf seine Beute zu stürzen.

„Worauf wollen wir anstoßen, Tamsin? Auf die Anziehungskraft zwischen uns und wohin sie uns sehr bald führen wird?“

„Ganz sicher nicht“, erwiderte sie schnell. „Wenn überhaupt, sollten wir auf das Brautpaar trinken und ihm eine lange und glückliche Ehe wünschen“, sagte sie mit bebender Stimme, weil sie unwillkürlich an ihre eigene gescheiterte Ehe denken musste. Dass Davina und Hugo sich sehr liebten, war nicht zu übersehen. Würde es aber immer so sein?

Ihre kurze Verbindung war ihr eine Lektion gewesen. Was für ein naives kleines Mädchen sie damals doch gewesen war! Gerade einmal einundzwanzig Jahre alt und viel zu leicht zu beeindrucken. Natürlich hatte sie sich in den gut aussehenden, lebhaften Banker Neil Harper verliebt, der ihr kaum sechs Monate später schon einen Heiratsantrag machte, den sie überglücklich annahm. Doch es verging nur ein knappes Jahr, und das romantische Märchen nahm ein böses Ende, als ihr Traumprinz mit der Immobilienmaklerin Jacqueline anbandelte.

An ihrem Hochzeitstag hatte Tamsin geglaubt, ihre Liebe zu Neil würde ein Leben lang anhalten und dass er sie ebenso sehr liebte wie sie ihn. Damals glaubte sie sogar, sie hätten beide den gleichen Traum. Später erfuhr sie, dass eigentlich nur sie in einer Traumwelt gelebt hatte. Als ihr Exmann vor zwei Jahren an Heiligabend ausgezogen war, hatte er ihr eröffnet, bereits vor ihrer Hochzeit eine Affäre mit Jacqueline gehabt zu haben.

Meine ganze Ehe ist eine einzige Illusion gewesen, überlegte Tamsin bitter, ohne zu bemerken, dass ihr Gesichtsausdruck Bände sprach.

„Warum sehen Sie denn so traurig aus, bella?“, fragte Bruno leise. „Glauben Sie etwa nicht, dass Davina und Hugo glücklich miteinander werden?“

„Oh, doch, doch. Bestimmt. Jedenfalls hoffe ich es. Sie lieben sich sehr, und das ist allein ausschlaggebend, nicht wahr?“

„Ist es das?“, fragte er. Warum bebte denn ihre Stimme auf einmal? „Ich fürchte, weder Liebe noch Ehe gehören zu meinem Spezialgebiet. Mir ist allerdings bekannt, dass viele Frauen eine feste Verbindung als finanzielle Rückversicherung betrachten.“

Tamsin entglitt ihre Gabel, die klirrend auf dem Teller landete. „Wie zynisch Sie sind! Keine vernünftige Frau würde meines Erachtens heiraten, nur weil viel Geld dabei im Spiel ist. Davina ist nicht wegen Hugos Vermögen seine Frau geworden, und auch ich habe meinen Exmann geliebt, obwohl mich sein Konto überhaupt nicht interessiert hat.“ Ärgerlich blickte sie ihn an. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass ihr Ex ein wohlhabender Banker gewesen war?

Forschend sah er sie an. „Ah ja. Annabel erwähnte, dass Sie verheiratet gewesen sind. Doch die Ehe wurde ziemlich schnell geschieden, richtig?“

„Ja“, bestätigte sie emotionslos und senkte den Blick. Das Scheitern ihrer Ehe schmerzte sie noch immer, und sie hatte absolut keine Lust, sich mit einem wildfremden Mann darüber zu unterhalten. Noch dazu mit so einem!

Verständnislos schüttelte er den Kopf: „Umso erstaunlicher finde ich es, dass Sie trotzdem glauben, dass Davina und Hugo miteinander glücklich sein werden. Halten Sie es trotz Ihrer Erfahrung für möglich, dass man einem einzigen Menschen das ganze Leben lang treu sein kann?“

Tamsin sah ihm in die Augen und nickte. „Ja, davon bin ich überzeugt. Ich halte die Institution Ehe keineswegs für überkommen, sondern für etwas Wundervolles. Hoffentlich begegne ich eines Tages einem Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Und eines kann ich Ihnen versichern: Ob er arm oder reich ist, wird dabei völlig unwichtig sein“, fügte sie nachdrücklich hinzu.

„Eine bewundernswerte Einstellung, bella“, erwiderte er trocken. Doch obwohl sie überzeugend klang, glaubte er ihr kein Wort. Annabel hatte ihm erzählt, dass Tamsin von ihrem Exmann nach der Scheidung großzügig abgefunden worden war. Kein Wunder also, dass sie eine leidenschaftliche Verfechterin der Ehe war! Wahrscheinlich war es für sie so etwas wie Sport, reiche Männer zu heiraten und hinterher auszunehmen. Wieso sollte sie auch sonst die Freundschaft eines so viel älteren Mannes suchen?

In den letzten zehn Jahren war James fast so etwas wie ein Vater für ihn geworden. Immer hatte er ihm mit guten Ratschlägen zur Seite gestanden und ihn vor Dummheiten bewahrt. Jetzt bietet sich mir endlich die Gelegenheit, meinem Freund auch einmal einen Dienst zu erweisen und ihn vor dieser geldgierigen Frau zu bewahren, dachte Bruno.

Mit einem gewinnenden Lächeln, das sie wie geplant erröten ließ, schenkte er ihr noch Champagner nach. Ihren Protest entkräftete er mit einem beschwichtigenden „Sie müssen doch nicht mehr Auto fahren, oder?“.

Plötzlich kam ihm ein unangenehmer Verdacht. „Schlafen Sie hier im Hotel oder in Ditton Hall?“

„Hier. James hatte mich zwar nach Ditton Hall eingeladen, da er aber schon das ganze Haus voller Gäste hat, fand ich es besser, mir ein Hotelzimmer zu nehmen. Wo übernachten Sie denn?“

„Ebenfalls hier.“ Und mit einem unmissverständlichen Lächeln fügte er hinzu: „Wer weiß? Vielleicht frühstücken wir ja morgen zusammen.“

„Das ist eher unwahrscheinlich“, erwiderte sie schnell. Unglaublich, wie frech er war!

Amüsiert lehnte sich Bruno in seinem Stuhl zurück, denn sie errötete schon wieder. Frauen, mit denen er sonst zu tun gehabt hatte, passierte das nie. Doch selbst wenn Tamsin Stewart mit ihren großen Augen und rosigen Wangen fast wie ein unschuldiges Schulmädchen wirkte, bezweifelte er stark, dass sie eins war.

Langsam ließ er den Blick über ihren schlanken Hals zu ihren Brüsten gleiten und betrachtete mit einem zynischen Lächeln die einladenden Rundungen. Diese Frau davon zu überzeugen, dass er selbst eine noch viel bessere Partie als sein Freund war, würde auch für ihn einige angenehme Seiten haben.

„Erzählen Sie mir etwas über sich“, forderte er sie auf, als sie ihren Teller beiseiteschob. Seltsamerweise hatte sie kaum etwas gegessen. „Was macht Ihre Familie? Haben Sie Geschwister?“

Warum wollte er denn das wissen? Nun gut. Es war besser, wenn sie sich darüber unterhielten als über ein gemeinsames Frühstück.

„Ich habe zwei Schwestern, die beide glücklich verheiratet sind. Übrigens mit Männern, die kein großes Vermögen besitzen“, fügte sie spitz hinzu. „Außerdem habe ich noch einen Bruder. Er heißt Daniel, und in seiner Firma arbeite ich zurzeit.“

„Richtig. Spectrum Design“, murmelte Bruno. „Wie läuft der Betrieb denn so? Im Moment ist die wirtschaftliche Lage in England für junge Firmen ja nicht so einfach.“

„Ehrlich gesagt, kümmere ich mich nur um den künstlerischen Bereich. Das Geschäftliche macht mein Bruder. Ich denke jedoch, es läuft ganz gut“, erwiderte sie lächelnd. „Immerhin hat Daniel gerade ein Penthouse-Apartment in Chelsea, einer der besten Gegenden Londons, gekauft. Wir wollen es renovieren, einrichten und dann meistbietend veräußern. Dabei erwarten wir einen hohen Gewinn.“

„Oh, in Chelsea?“ Natürlich kannte er den noblen Londoner Stadtteil, der am westlichen Rand der Innenstadt lag. Das einstige Künstlerviertel, zu dem auch die bei Touristen aus aller Welt beliebte Gegend um Notting Hill gehörte, mochte er vor allem wegen der zahlreichen edlen Designerboutiquen, trendigen Galerien und hervorragenden Restaurants.

„Ja. Ich liebe den Charme von Chelsea. Die Straßen sind sehr gepflegt, überall gibt es kleine Gärtchen oder Parks. Wie die meisten Gebäude dort handelt es sich bei unserem Objekt um ein dreigeschossiges Stadthaus aus rotem Ziegeln. Es bietet eine wunderbare Aussicht auf den Sloane Square mit seinen typisch englischen Pubs, den kleinen Theatern und natürlich dem wunderschönen Springbrunnen. Im Sommer kann man dort gemütlich auf einer Bank sitzen und in der Sonne relaxen.“

„Die Lage ist schon einzigartig“, bestätigte Bruno. „Zumal Chelsea so nah an der Themse liegt. Gerade vom Flussufer aus hat man ja die malerischsten Ausblicke auf die Stadt. Außerdem ist es nicht weit zum Hydepark, und wenn man shoppen möchte, schlendert man einfach die King’s Road hinunter, und schon findet man alles, was das Herz begehrt.

„Für eine solche Investition wird Ihr Bruder ziemlich viel Kapital benötigt haben“, bemerkte er wie beiläufig. „Anscheinend haben die Leute von Ihrer Bank Sie für ausgesprochen kreditwürdig gehalten. Oder haben Ihnen private Investoren dabei geholfen?“

„Soweit ich weiß, hat Daniel Geld aufgenommen. Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher.“

Sie war doch erst vor Kurzem in die Firma eingetreten und über derartige Dinge noch nicht informiert. Wie peinlich! Jetzt stand sie wie ein kleines Dummchen da, das keine Ahnung von den Finanzen hatte. Schnell wechselte sie das Thema.

„Was ist denn mit Ihnen? Haben Sie Familie?“

„Meine Eltern leben nicht mehr. Ich habe aber eine Schwester, die ein paar Jahre älter als Annabel Grainger ist.“ Seine kleine Jocasta. Wie sehr hatte sie unter ihrer Stiefmutter Miranda gelitten!

Als Tamsin jetzt ihr Diamantcollier berührte, musste er unwillkürlich daran denken, wie sein Vater seine neue Frau mit unzähligen kostbaren Schmuckstücken überschüttet hatte. Darunter waren viele Familienerbstücke gewesen. Nach dem Tod seines Vaters hatte Bruno sie für das Fünffache ihres Wertes von Miranda zurückgekauft. Die Gier seiner Stiefmutter erfüllte ihn noch jetzt ebenso sehr mit Abscheu wie damals.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Tamsin unsicher. Eben noch hatte er sie angelächelt, doch jetzt schaute er sie so grimmig an, als wollte er sie erwürgen.

Er rang sich ein Lächeln ab. „Nein, nein. Alles ist in Ordnung, bella. Möchten Sie noch etwas Champagner?“

„Nein, danke.“ Sie trank so selten Alkohol, dass ein Glas schon eine verheerende Wirkung auf sie hatte. Von zweien ganz zu schweigen. Hilfesuchend sah sie sich um, doch James saß mittlerweile nicht mehr auf seinem Platz.

„Was meinen Sie, gehen wir zurück in den Ballsaal?“, schlug Bruno vor, der ihrem Blick gefolgt war.

„Wie Sie wollen. Sie müssen sich wirklich nicht verpflichtet fühlen, mir den ganzen Abend Gesellschaft zu leisten“, erwiderte sie ausweichend, während er ihr beim Aufstehen half. Sie musste endlich wieder einen klaren Kopf bekommen, was allerdings in Signor Di Cesares Gegenwart ein Ding der Unmöglichkeit war. „Da sind ja auch noch andere Gäste, mit denen Sie sicher gern etwas Zeit verbringen möchten.“

Lächelnd führte er sie in den Ballsaal zurück. „Ganz und gar nicht, cara. Die einzige Person, die mich im Moment interessiert, steht genau vor mir.“ Ehe sie noch protestieren konnte, zog er sie in seine Arme. Tamsin fühlte sich von seinem verlangenden Blick wie hypnotisiert. Krampfhaft versuchte sie, sich von ihm loszumachen. Doch er gab sie nicht frei.

„Ich muss aber mit James sprechen“, wandte sie ein. „Wir haben heute kaum ein Wort miteinander gewechselt.“

„Ich glaube, es ist besser, wenn Sie ihn diesen Abend Annabel überlassen“, sagte er barsch. Als sie ihn verwundert anblickte, fügte er etwas freundlicher hinzu: „Sie vermisst ihre Mutter so schrecklich, und jetzt zieht auch noch ihre Schwester aus. Da ist es besonders wichtig, dass ihr Vater genügend Zeit für sie hat.“

Nachdenklich sah Tamsin zu Annabel hinüber, die gerade mit ihren Freunden viel Spaß zu haben schien. Merkwürdig. Fast schien es so, als beabsichtigte Bruno, sie von James fernzuhalten. Gerade wollte sie ihn bitten, sie gehen zu lassen, da begann er sanft und aufreizend ihren Rücken zu streicheln, und anstatt ihn von sich zu stoßen, wie sie es noch vor wenigen Sekunden vorgehabt hatte, schmiegte sie sich enger an seine muskulöse Brust. In seiner Nähe schien ihr Körper einen völlig eigenen Willen zu entwickeln.

„Lass uns von hier verschwinden, bella“, raunte er ihr zu, nahm sie an der Hand und zog sie auf die große Terrasse hinaus in eine Ecke, wo Clematis und Kletterrosen so etwas wie einen blühenden Pavillon bildeten.

Die frische Nachtluft kühlte Tamsins glühende Haut. Wieso war ihr nur so schwindlig? Hätte sie bloß auf das zweite Glas Champagner verzichtet! Doch als Bruno sich zu ihr umwandte, wusste sie, dass es nicht der Alkohol war, der ihr den Kopf vernebelte, sondern der elektrisierende Blick seiner dunklen Augen. Er sagte ihr, wie sehr er sie begehrte. Dabei hatte sie sich zwei Jahre lang weder als attraktiv noch begehrenswert empfunden, denn Neil hatte ihr jedes Selbstwertgefühl genommen.

Verunsichert schaute sie Bruno an. Er schüttelte den Kopf und sagte leise etwas auf Italienisch. Dann zog er sie heftig an sich. Dieses Mal versuchte sie gar nicht erst, ihm zu widerstehen. Langsam neigte er sich zu ihr herab, sah ihr tief in die Augen und dann …

Heiß und sinnlich berührten seine Lippen ihre und nahmen von ihnen so fordernd Besitz, dass sie am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. Dann ließ er seine Zunge in ihren Mund gleiten.

Grenzenloses Verlangen erfasste sie, und voller Begierde erwiderte sie seinen Kuss. Längst hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Nur ihn nahm sie noch wahr, ihn, seinen Duft und die Wärme seiner Haut, als sie zärtlich sein Kinn berührte. Wenn dieser Kuss doch nie zu Ende ginge! Sie wollte ihn, wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren, seine Haut an ihrer. Sehnsüchtig schmiegte sie sich noch dichter an ihn, als er eine ihrer Brüste umschloss. Leise stöhnend ließ sie den Kopf in den Nacken sinken.

Doch plötzlich gab Bruno sie so unvermittelt frei, als hätte er sich die Finger verbrannt. „Dio, bella“, stieß er hervor, „was machst du mit mir?“

Erstaunt klang er, beinah wütend, und er sah aus, als wollte er sie von sich stoßen.

„Bruno?“, flüsterte sie verunsichert. Bestimmt hatte sie etwas falsch gemacht! Dass sie keine Meisterin in Sachen Verführung war, wusste sie schließlich. Sonst wäre Neil ja auch nicht fremdgegangen.

Verzweifelt wollte sie sich abwenden, doch er zog sie wieder an sich, dichter als je zuvor, sodass sie seinen wilden Herzschlag spüren konnte.

„Du bist unglaublich“, flüsterte er teils verwundert, teils ärgerlich. Dann neigte er sich erneut zu ihr herab und küsste sie leidenschaftlich.

Im Bruchteil einer Sekunde lösten sich all ihre Zweifel in Luft auf. Atemlos klammerte sie sich an ihn. Nie hätte sie geglaubt, dass sie eine solche Begierde empfinden könnte. Jetzt wurde das Spiel ihrer Zungen langsamer, zärtlicher. Sie stöhnte leise.

„Zu dir oder zu mir?“, fragte er mit rauer Stimme.

Überrascht blickte sie ihn an. Auf einmal schien der Zauber gebrochen. Ihre Vernunft, die sie bisher den ganzen Abend im Stich gelassen hatte, meldete sich wieder.

„Ich …“

„Ich muss dich haben, bella – noch heute Nacht!“ Nie zuvor hatte eine Frau dieses brennende Verlangen in ihm ausgelöst. Am liebsten hätte er sie sich über die Schulter geworfen und in sein Zimmer getragen. Einen guten Grund hatte er ja, Tamsin zu verführen. Schließlich wollte er doch seinen Freund James, der offensichtlich Gefahr lief, in die Fänge dieses blonden Gifts zu geraten, vor Tamsin bewahren. Für ihn selbst bestand dabei kein großes Risiko, schließlich hatte er sich noch nie verliebt. Allerdings musste er sich eingestehen, dass er kaum an James dachte, wenn sie ihm so nahe war. Und im Augenblick nahm der Druck in seiner Lendengegend sowieso seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

„Die anderen Gäste sind dabei, sich zu verabschieden. Niemand wird also bemerken, wenn wir ebenfalls gehen“, versuchte er, sie zu überzeugen. Zu seinem größten Erstaunen schüttelte sie den Kopf und wich einen Schritt zurück.

„Ich kann nicht“, wisperte sie. „Es tut mir leid.“

„Tamsin …“

Doch sie wollte nichts mehr hören. Fluchtartig verließ sie die Terrasse und lief in den Ballsaal zurück. Tatsächlich waren die meisten Gäste schon verschwunden. Niemand hätte es bemerkt, wenn sie Bruno auf sein Zimmer gefolgt wäre. Wenn sie auf sein unmissverständliches Angebot eingegangen wäre, läge sie jetzt in seinen Armen, würde seine heißen Lippen auf ihren spüren, so wie noch vor wenigen Augenblicken draußen auf der Terrasse.

Was hatte sie bloß zurückgehalten? Wieso hatte sie nicht ein einziges Mal in ihrem Leben auf das gehört, was ihr Körper verlangte? Wieso hatte aber auch Bruno annehmen können, dass sie ihm in sein Bett folgen würde? Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Da hatte er sich aber getäuscht!

Wütend eilte sie aus dem Ballsaal und durch das Foyer des Hotels. Genau genommen war wieder einmal ihr Exmann schuld! Seit ihrer katastrophalen Ehe mit Neil hatte ihr Selbstbewusstsein einen ziemlichen Dämpfer bekommen. Natürlich hatte sie sich durch die Aufmerksamkeit des gut aussehenden Italieners geschmeichelt gefühlt. Und natürlich sehnte sie sich nach fast zwei Jahren ohne Mann an ihrer Seite nach Zärtlichkeit. Doch Bruno Di Cesare hatte den Ruf, ein unverbesserlicher Casanova zu sein, und sie hatte absolut keine Lust, nur eine weitere Trophäe in seiner Frauen-Sammlung zu sein.

„Tamsin, Liebes, ist alles okay?“, hörte sie plötzlich James fragen. „Du siehst verärgert aus.“

„Oh, mir ist im Ballsaal nur ein wenig warm geworden, außerdem habe ich wohl ein bisschen zu viel Champagner getrunken. Sonst ist alles in Ordnung“, antwortete sie schnell. Dann blickte sie sich nervös um, weil sie feststellen wollte, ob Bruno ihr gefolgt war. „Ich möchte jetzt nur noch ins Bett. Ich bin sehr mü…“ Sie verstummte, weil sie in diesem Moment bemerkte, wie blass James war. „Aber du siehst gar nicht gut aus!“

„Keine Sorge, ich bin nur erschöpft“, sagte er lächelnd. „Es war heute ein langer Tag. Davina und Hugo sind schon auf dem Weg zum Flughafen, Annabel hat sich noch ihren Freunden angeschlossen, und ich werde jetzt nach Ditton Hall zurückfahren. Hargreaves wartet bereits mit dem Wagen auf mich.“

„Komm, ich begleite dich noch hinaus.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm sie ihn am Arm und stützte ihn, als sie langsam die Treppen im Foyer hinabgingen. Doch auf der letzten Stufe stolperte er, und Tamsin war froh, dass der aufmerksame Chauffeur ihnen zu Hilfe eilte. „Morgen komme ich dich besuchen“, versprach sie lächelnd, und James nickte zustimmend.

„Das ist schön. Dann können wir gleich die Pläne für die Umgestaltung von Ditton Hall besprechen.“ Einen Augenblick zögerte er, dann fügte er leise hinzu: „Ich habe das Gefühl, du hast dich heute Abend sehr gut mit Bruno verstanden. Und das ist auch völlig in Ordnung“, sagte er hastig, als sie errötete. „Ich kenne ihn seit Jahren. Er ist ein guter, ehrlicher Geschäftsmann. Allerdings auch ein Mann, der zu Recht als Playboy bekannt ist. Bitte sei vorsichtig bezüglich seiner Person, ja? Gute Nacht, Liebes.“

Schwer darum bemüht, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen, tigerte Bruno auf der Terrasse hin und her. Hätte man ihn jetzt gefragt, welche Beschreibung am besten auf Tamsin Stewart passen würde, wären ihm gleich mehrere eingefallen. Keine davon war jedoch sonderlich freundlich. Ihre überraschend leidenschaftliche Reaktion auf seine Verführungskünste hatte sein Verlangen ins Unermessliche gesteigert. Wie hatte diese Frau ihn dann nur so eiskalt stehen lassen können? Warum hatte sie ihn abgewiesen? Machte es ihr etwa Spaß, Männer heißzumachen und dann einfach zu verschwinden? Oder gab es da noch einen anderen Grund?

James Grainger vielleicht? Wahrscheinlich hatte sie gelogen, und sie würde doch die Nacht in Ditton Hall verbringen. Mit James.

„Verdammt noch mal!“, stieß er hervor. Was für ein raffiniertes Luder! Gerade am Hochzeitstag seiner Tochter musste sein Freund besonders empfänglich für Tamsins „Trost“ sein. Sicher saß sie jetzt schon bei ihm im Wagen. Und ich kann nichts mehr tun, um sie aufzuhalten, dachte Bruno frustriert.

3. KAPITEL

Am darauffolgenden Morgen hatte sich seine Laune sich noch immer nicht gebessert. Stundenlang hatte er frustriert, verärgert und irgendwie auch ein bisschen gekränkt wach gelegen. Zu versagen oder zurückgewiesen zu werden hatte er bisher nicht erfahren. Doch am Abend zuvor hatte er gleich beides erleben müssen. Trotz seiner Bemühungen hatte er es nicht geschafft, Tamsin von James fernzuhalten. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, ein leichtes Spiel mit ihr zu haben. Sie war eine sinnliche Frau, die genauso leidenschaftlich sein konnte wie er. Trotzdem hatte sie es vorgezogen, das Weite zu suchen und ihn mitsamt seinem unbefriedigten Verlangen im Regen stehen zu lassen.

Verdammt noch mal! Am meisten ärgerte es Bruno, dass sie mit James nach Ditton Hall gefahren war. Allein der Gedanke daran, sie könnte vielleicht die Nacht mit seinem Freund verbracht haben, machte ihn wahnsinnig.

Aufgebracht lief er in den Frühstücksraum und traute seinen Augen nicht. Dort drüben am Fenster saß Miss Stewart an einem Tisch und schaute hinaus in die Parkanlagen. In ihrem rosafarbenen Top und den weißen Jeans sah sie jung und zugleich unschuldig und unheimlich sexy aus. Sofort loderte sein Verlangen, das ihn die ganze Nacht nicht hatte schlafen lassen, von Neuem auf.

Entschlossen ging er auf sie zu.

„Buon giorno. Darf ich mich zu dir setzen?“

Tamsin, die zwei zankende Spatzen beobachtet hatte, fuhr beim warmen Klang dieser ihr nur zu gut bekannten tiefen Stimme erschrocken zusammen. So, wie sie ihn am Abend zuvor stehen gelassen hatte, musste er ziemlich wütend sein.

„Ja, natürlich“, erwiderte sie leise. Doch seine Frage war, wie sie feststellen musste, eine reine Höflichkeitsfloskel gewesen, denn er hatte bereits auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz genommen. Und was nun? Was am Tag zuvor noch traumhaft gewesen war, kam ihr jetzt eher wie ein Albtraum vor. Allein bei dem Gedanken an das Verlangen, mit dem sie ihn auf der Terrasse geküsst hatte, wurde sie feuerrot vor Scham.

Wenn er sie jetzt nur nicht fragte, weshalb sie Hals über Kopf davongerannt war! Zugegeben, sie hatte sich ihm gegenüber wirklich abscheulich benommen! Merkwürdigerweise sah er aber gar nicht so wütend aus. Im Gegenteil. Er schenkte ihr wieder dieses überwältigende sexy Lächeln, das ihren Herzschlag sofort zum Rasen brachte. In seinem eleganten Anzug hatte er atemberaubend ausgesehen, doch jetzt, in Jeans und cremefarbenem Poloshirt, gefiel er ihr so gut, dass sie den Blick von ihm einfach nicht abwenden konnte.

„Hast du gut geschlafen?“ Und wo hast du die Nacht verbracht?, fügte er in Gedanken hinzu, während er der errötenden Kellnerin zulächelte, die ihm gerade eine Tasse Kaffee einschenkte.

Anscheinend wirkt er immer so auf Frauen, dachte Tamsin ärgerlich und erwiderte nur kurz angebunden: „Ja, danke.“

„Wie findest du dein Hotelzimmer?“ Jetzt wollte er Gewissheit haben.

„Es ist ein bisschen klein. Aber es ist in Ordnung.“ Eine dümmere Antwort hätte sie wohl nicht geben können! Jetzt rieb er ihr bestimmt gleich unter die Nase, dass sie auch in seiner Suite hätte übernachten können. „Hast du denn gut geschlafen?“ Angriff war immer noch die beste Verteidigung.

„Leider nein. Ich bin nicht so richtig zur Ruhe gekommen. Den Grund dafür muss ich ja wohl nicht erläutern, oder, bella?“ Amüsiert beobachtete er, wie sie rot wurde. „Nach einer kalten Dusche geht es jetzt aber wieder einigermaßen“, fügte er augenzwinkernd hinzu.

Erstaunlich, dass er sie nur neckte und keine zynischen Kommentare machte. Plötzlich fühlte sie sich richtig schuldig.

„Bitte verzeih mein gestriges Verhalten. Ich habe bestimmt den Eindruck vermittelt, dass ich … dass ich …“

„Dass du einem erotischen Abenteuer ebenso wenig abgeneigt gewesen bist wie ich?“ So, wie er mit tiefer, leiser Stimme „erotisches Abenteuer“ sagte, rief es bei ihr am ganzen Körper eine Gänsehaut hervor. Verlegen senkte sie den Blick.

„Es steht einer Frau durchaus zu, ihre Meinung zu ändern“, meinte er betont locker. Dann beugte er sich über den Tisch, hob mit zwei Fingern sanft ihr Kinn an und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Geduld ist nicht gerade meine Stärke“, sagte er leise. „Es tut mir leid, wenn ich dich bedrängt habe. Ich kann es verstehen, wenn du noch nicht bereit bist, die Leidenschaft auszuleben, die zwischen uns herrscht.“

Stumm blickte sie ihn an. Seine dunklen Augen mit den kleinen goldenen Sprenkeln faszinierten sie. Sie erinnerten an die eines Tigers. Und diese Lippen. Wie unglaublich gut hatten sie sich auf ihren angefühlt. Am liebsten hätte sie ihn jetzt gleich wieder geküsst!

Überrascht zuckte sie zusammen, als er zärtlich einen Finger über ihre empfindsame Unterlippe gleiten ließ. Ob er ahnte, woran sie gerade dachte? Nach dem merkwürdigen Ausdruck in seinem Gesicht zu schließen, ja. Nur mit größter Willenskraft schaffte sie es, eine gleichgültige Miene aufzusetzen und sich in ihrem Stuhl zurückzulehnen.

„Ich schätze, du fliegst heute noch nach Italien zurück, oder?“ Wo er sie bald vergessen würde. Warum nur empfand sie auf einmal so etwas wie Enttäuschung, als er nickte?

„Und du wirst nach London entschwinden, stimmt’s?“

„Ja, allerdings nicht sofort. Eine meiner Schwestern lebt hier in der Nähe, und ich möchte sie besuchen. Ich mag die Gegend. Unglaublich, dass sie beinah direkt vor den Toren von London liegt. Dieser Teil von Kent ist so wunderschön. Ich liebe die kleinen, gewundenen Landstraßen, die durch beinah mittelalterliche Dörfchen führen. Nur in dieser ländlichen Idylle findet man noch die traditionellen Pubs, in denen sogar heute noch selbst gebrautes Bier angeboten wird. Auch die Küste ist traumhaft! Angefangen bei den atemberaubenden steil abfallenden Kreidefelsen, den ‚White Cliffs‘ bis hin zu den fast unberührten Sand-und Kieselstränden, Buchten und Küstengegenden.

Bist du jemals im Italienischen Garten von Hever Castle gewesen? Er ist wirklich einmalig.“ Als waschechte Engländerin geriet sie immer in Begeisterung, wenn sie von den Schönheiten ihres Landes sprach. Nach einer kleinen Pause fügte sie ein wenig bedauernd hinzu: „Aber ich habe James versprochen, mit ihm in Ditton Hall die Pläne für die Umgestaltung zu besprechen. Also bleibt nicht viel Zeit für Ausflüge in die Umgebung.“

„Wird er dafür überhaupt zugänglich sein?“, wandte Bruno ein. „Soweit ich weiß, hat er viele Verwandte zu Besuch.“

„Nur bis zum Mittag, und Annabel wollte zu ihren Freunden nach Cornwall fahren“, erwiderte sie fröhlich. „Ich denke, James wird sich über meine Gesellschaft freuen.“

Wieder stieg in ihm Wut hoch. Auch wenn sie die letzte Nacht nicht mit seinem Freund verbracht hatte, ihre Finger ließ sie deshalb noch lange nicht von James. Trotzdem, sie war auch gegen den berühmten Di-Cesare-Charme nicht immun, das wusste er mittlerweile.

„Leider kenne ich diesen Teil von England nicht besonders gut, dennoch muss ich dir zustimmen. Es ist wirklich wunderschön hier. Deshalb schlage ich dir einen Deal vor: Du zeigst mir das Schloss und den Italienischen Garten, und ich lade dich dafür heute Abend zum Essen ein.“

„Ich dachte, du musst heute noch nach Italien zurück“, wandte sie unsicher ein, krampfhaft darum bemüht, ihre Begeisterung vor ihm zu verbergen. Einen ganzen Tag mit ihm zu verbringen, was für eine Aussicht!

„Ja, das hatte ich eigentlich vor“, gab er zu. „In der Zwischenzeit habe ich meine Pläne jedoch geändert.“

„Ah ja“, erwiderte sie äußerlich die Ruhe selbst, obwohl in ihr das reinste Gefühlschaos herrschte. Dieselbe Leidenschaft, die sie am Abend zuvor empfunden hatte, nahm sie jetzt gefangen. Doch sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Konnte sie diesem Playboy, der ein Meister der Verführung war, trauen? Wie sollte sie dem bestaussehenden Mann, dem sie je begegnet war, widerstehen?

„Gut“, sagte sie schließlich. „In diesem Fall zeige ich dir gern die Gegend.“

Stunden später ließ Tamsin sich auf ihr Bett sinken und blickte lächelnd an die Zimmerdecke. Sofort tauchte Bruno vor ihrem geistigen Auge auf. Jedes kleinste Detail seines schönen, männlichen Gesichts konnte sie vor sich sehen. Am Tag zuvor war sie noch davon überzeugt gewesen, dass sie niemals mit einem Mann, den sie kaum kannte, ins Bett gehen würde. Jetzt fiel es ihr schon um einiges schwerer, sich treu zu bleiben.

Was für ein Tag! Hever Castle, einst der Wohnsitz der englischen Königin Anne Boleyn, der zweiten Gemahlin Heinrichs VIII., war ein magischer Ort, wo romantische Gärten zum Spazierengehen einluden. Abgesehen von der halsbrecherischen Fahrt in seinem Sportwagen, hatte Bruno sich die ganze Zeit wie ein perfekter Gentleman benommen.

„Entspann dich, bella. Ich beherrsche meinen Wagen“, hatte er zu der total verängstigten Tamsin gesagt und sich amüsiert, weil sie sich an ihrem Sitz krampfhaft festgehalten hatte.

Das hatte sie ihm aufs Wort geglaubt, denn bestimmt machte er alles gut, was er sich vornahm. Ein Versagen kam für Bruno Di Cesare ganz einfach nicht infrage. Außerdem bekam er wahrscheinlich immer, was er sich in den Kopf setzte. Doch was will er ausgerechnet von mir?, hatte sie überlegt und den Gedanken ganz schnell verdrängt, als er sie in einer Ecke des Rosengartens in seine Arme zog und leidenschaftlich und zugleich so zärtlich küsste, dass ihr die Knie weich wurden.

Wie hat er es nur geschafft, mir in so kurzer Zeit den Kopf zu verdrehen?, fragte sie sich jetzt und ging ins Badezimmer, um sich für das Date mit ihm zurechtzumachen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich noch in ihn verlieben. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Das kleine Schwarze zusammen den High Heels sah wie immer elegant und sexy aus. Wenn doch alles im Leben so leicht zu lösen wäre wie das Kleiderproblem!

Himmel, sie spielte einfach nicht in seiner Liga. Egal, wie sie es drehte und wendete, mit einem italienischen Milliardär konnte sie nicht mithalten. Während sie sich nach Wärme und Geborgenheit sehnte, brauchte er seine Freiheit. Das Ganze war also völlig aussichtslos! Und dennoch fühlte sie sich so wohl in seiner Nähe. Sie hatte das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Vor vier Jahren war es ihr ähnlich mit Neil ergangen, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Gedankenverloren legte sie das Diamantcollier an, das James ihr geschenkt hatte. Jetzt wirkte ihre Erscheinung nicht nur elegant, sondern geradezu umwerfend. Außerdem würde sie nicht viele Gelegenheiten haben, den sündhaft teuren Schmuck zu tragen. Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und machte sich dann auf den Weg.

Um sieben Uhr hatten sie sich an der Bar des Hotels verabredet, und sie wollte nicht zu spät kommen.

Als sie dort eintraf, wartete Bruno schon auf sie. Groß und verboten gut aussehend in einem dunkelbraunen Anzug und einem weißen Seidenhemd, stand er am Fenster und schaute in den Park hinaus. Schließlich bemerkte er sie und wandte sich ihr zu. Langsam ließ er den Blick über ihren Körper gleiten. Ein anerkennender Ausdruck lag in seinen Augen, aber auch etwas, das ihr am Abend zuvor schon aufgefallen war und von ihr nicht richtig eingeordnet werden konnte. Warum blickte er so starr auf das Collier? Doch als er unwiderstehlich lächelnd auf sie zuging, vergaß sie das mulmige Gefühl sofort wieder.

„Tamsin, bella, du siehst umwerfend aus!“ Im Gegensatz zu gestern Abend begrüßte er sie jedoch nicht mit einem Handkuss, sondern legte ihr einen Arm um die Taille, neigte sich zu ihr herab und küsste sie sanft auf den Mund.

Die Berührung seiner Lippen raubte ihr den Atem. Dann wurde sein Kuss fordernder. Als Bruno sich schließlich von ihr löste und ihr tief in die Augen sah, fühlte sie sich wie in einem Märchen.

„Ich habe in einem französischen Restaurant einen Tisch für uns reservieren lassen. Bis dorthin ist es nicht weit zu laufen, oder möchtest du lieber fahren?“, fragte er mit einem Blick auf ihre hohen Absätze.

„Gehen ist in Ordnung“, antwortete sie schnell, denn eine weitere Kostprobe seines Fahrstils musste sie nicht haben.

Er lächelte amüsiert. „Angsthase!“

Tamsin schmolz dahin wie eine Praline in der Sonne. Wenn er lachte, sah er noch umwerfender aus! Außerdem war er witzig, ausgesprochen sexy und intelligent. So hatte sie sich immer ihren Traummann vorgestellt.

Der Blick seiner dunklen Augen sagte ihr, wie sehr er sie begehrte. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass er das Abendessen in seine Suite verlegen würde, um mit ihr allein zu sein. Doch anscheinend hatte er sich vorgenommen, sie nicht mehr zu bedrängen, was ihn nur noch attraktiver machte.

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Schnell zog sie es aus ihrer Handtasche, um es auszuschalten. „Oh, es ist James“, sagte sie verlegen. „Stört es dich, wenn ich kurz mit ihm spreche?“

„Natürlich nicht“, antwortete Bruno galant, doch sein Lächeln verschwand, sobald sie ihm den Rücken zuwandte und auf die Terrasse ging. Da hatte er es geschafft, ihren Besuch in Ditton Hall zu verhindern, und nun das. Verdammt noch mal, es war wirklich schwierig, ihren Kontakt mit James zu unterbinden!

Sie hat es in der Kunst des Flirtens zu wahrer Meisterschaft gebracht, dachte er grimmig und beobachtete sie beim Telefonieren durch das Fenster. Zu seinem größten Ärger hatte er den Tag mit ihr sehr genossen. Entgegen seinen Erwartungen war sie intelligent und eine interessante Gesprächspartnerin. Ja, er musste sich sogar eingestehen, dass er sie unter anderen Umständen wahrscheinlich für eine tolle Frau gehalten hätte. Dabei war sie ein raffiniertes, geldgieriges Luder, das mit ihrer gespielten Unschuld seinen Freund reinlegen wollte. Doch ihre unübersehbare Schwäche für mich wird mir helfen, diesen Plan zunichtezumachen, dachte Bruno.

Wie Tamsin mit einem flüchtigen Blick feststellte, hatte Bruno ein kleines, gemütliches Restaurant ausgewählt. Durch den Steinfußboden und die sehr niedrige Zimmerdecke wirkte es eher rustikal. Doch die Gerichte waren erstklassig.

„Vielen Dank für diesen wunderschönen Abend“, sagte Tamsin leise, als sie Stunden später Hand in Hand zum Hotel zurückspazierten.

„Ich danke dir, bella“, erwiderte er charmant. „Möchtest du noch auf einen Drink in die Bar. Oder in meine Suite?“ Als er ihre Unentschlossenheit bemerkte, wusste er, dass sie ihm in dieser Nacht nicht davonlaufen würde. Bisher hatte es ihn kaum Mühe gekostet, Frauen zu verführen, und Miss Stewart würde da keine Ausnahme sein. Während des Essens hatte sie den Blick so gut wie nie von ihm abgewendet. Sie würde ihm bestimmt nicht widerstehen können.

Um sie in noch größere Versuchung zu führen, neigte er sich zu ihr hinab und küsste sie so leidenschaftlich, dass sie schon aus Stein hätte sein müssen, um ihn zurückzuweisen. Zufrieden stellte er fest, dass sie ganz und gar nicht aus Stein war, sondern warm und weich. Selten hatte er sich eine so angenehme Aufgabe auferlegt. Und nicht nur sein Pflichtgefühl drängte ihn, sie zu verführen!

Als der Kuss schließlich endete, rang Tamsin bebend nach Atem, und sie fragte sich, ob Bruno wohl spürte, wie wild ihr Herz schlug. Sei vorsichtig, du kennst ihn doch kaum, warnte die Stimme der Vernunft sie. Aber ihr Körper wollte davon nichts wissen, und die Sprache hatte es ihr auch verschlagen. Brunos sanftes Lächeln zeigte ihr jedoch, dass er sehr wohl wusste, was in ihr vorging. Sacht nahm er sie bei der Hand und führte sie ins Hotel.

Im Lift küsste er sie dann erneut und löste die Lippen von ihren nur, um wenig später die Tür zu seiner Suite aufzuschließen, wo er sie wieder in seine Arme zog. Obwohl Tamsin klar war, dass es ihm lediglich um Sex ging, schmiegte sie sich an ihn. Doch sie konnte ihm einfach nicht länger widerstehen. Er löste irgendetwas in ihr aus, das sie ihre Prinzipien über Bord werfen ließ.

Zum allerersten Mal in ihrem Leben folgte sie nur ihrem Instinkt.

„Möchtest du etwas trinken?“

Nein, weder trinken noch denken. Stumm schüttelte sie den Kopf. Mit einem tiefen Seufzer der Zufriedenheit presste er erneut seine Lippen auf ihre. Was sich so gut anfühlte, konnte doch nicht verkehrt sein? Er weckte Gefühle in ihr, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte.

Entspannt schloss sie die Augen und konzentrierte sich ganz auf seine warmen, fordernden Lippen und das Spiel seiner Zunge. Himmel, er küsste fantastisch! So fantastisch, dass sie protestierte, als er den Kuss beendete.

„Nein, hör nicht auf!“ War diese verführerische Stimme wirklich ihre? Seine Reaktion, das Aufflammen seiner Lust erfüllte sie mit Stolz.

„Das habe ich auch nicht vor, cara“, raunte er ihr ins Ohr, hob sie auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer.

Überrascht rang sie nach Atem, klammerte sich an seine starken Schultern und begann schnell, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, entblößte seine gebräunte Haut, die sich wunderbar warm unter ihren Fingern anfühlte.

Von ihrer Ungeduld angesteckt, ließ er sie hinunter und machte den Reißverschluss ihres Kleides auf, während er ihren Hals mit kleinen, federleichten Küssen bedeckte.

„Ich glaube, das brauchst du jetzt nicht“, flüsterte er, während er ihr das Collier abnahm und es auf den Nachttisch legte. „Am Ende wird das gute Stück noch beschädigt.“ Nur mit Mühe konnte er den sarkastischen Ton unterdrücken.

Angespannt verfolgte Tamsin seine Bewegungen. Dass sie sich tatsächlich in seinem Schlafzimmer befand, konnte sie immer noch nicht glauben. Und die Vorstellung, dass sie gleich auf seinem Bett liegen würde, und zwar mit ihm, ließ sie erbeben. Jeder einzelne Nerv in ihr schien nur auf Brunos Berührungen zu warten. Trotzdem mahnte eine kleine Stimme in ihr sie zur Vernunft. Morgen früh würde sie wahrscheinlich alles bereuen. Aber hier und jetzt zählte nur ihr brennendes Verlangen, ihm endlich ganz nah zu sein.

Nie zuvor hatte sie sich so sehr nach einem Mann gesehnt. Ihr Liebesleben mit Neil war gut gewesen. Oder zumindest hatte sie das gedacht. Damals hatte sie das Kuscheln hinterher immer am meisten genossen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es mit Bruno anders sein würde.

Geschickt schob er die Träger des Kleides von den Schultern. „Du bist so wunderschön“, raunte er mit rauer Stimme und betrachtete bewundernd die hellen Rundungen ihrer Brüste. Dann senkte er den Kopf und begann, sie mit den Lippen zu liebkosen. Als sie sich ihm verlangend entgegenbog, wusste er, dass es sehr schwierig für ihn werden würde, sich Zeit mit ihr zu lassen. Ebenso mühelos wie entschlossen legte er sie auf sein Bett, ohne seine Zärtlichkeiten zu unterbrechen. Jetzt wollte er sie. Sofort!

Plötzlich wurde Tamsin unruhig. Hatte sie da gerade etwas gehört? Verwirrt lauschte sie in die Stille. Ja, da war es wieder. Sie hatte sich nicht getäuscht. Irgendjemand klopfte an die Tür.

„Bruno, da ist jemand“, stieß sie atemlos hervor und stemmte die Hände gegen seine Brust. Einige Sekunden lang schien es, als wollte er das Klopfen ganz einfach ignorieren.

„Und wenn schon, bella. Wahrscheinlich ist es nur der Zimmerservice“, flüsterte er. „Vergiss es, und konzentrier dich auf mich!“

Doch als es erneut klopfte, stand er fluchend auf. „Ich bin sofort wieder da“, versprach er und verließ das Schlafzimmer.

Tamsin hörte, wie er die Tür öffnete, und wenig später drang eine weitere männliche Stimme an ihr Ohr. Kaum hörbar zwar, aber die Unterbrechung rief all ihre Zweifel wach, ob sie nicht gerade dabei war, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen. Ihr Blick fiel in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand.

Was tue ich hier eigentlich? Verblüfft betrachtete sie ihr Spiegelbild. Wer war diese aufreizende Verführerin mit der wilden blonden Mähne und den vom Küssen geschwollenen Lippen? Jedenfalls nicht Tamsin Stewart! Erschrocken schüttelte sie den Kopf. Hatte sie denn plötzlich den Verstand verloren? Sie konnte doch nicht einfach all ihre Prinzipien über Bord werfen! Liebe und Sex gehörten für sie einfach zusammen. Schon vor langer Zeit hatte sie sich geschworen, sich niemals einem Mann hinzugeben, den sie nicht liebte, und Bruno konnte sie ja wohl schwerlich lieben. Sie kannte ihn ja kaum. Was sie für ihn empfand, war Lust. Höchste Zeit, sich das einzugestehen!

Oh nein! Wie wird er mich dafür hassen, dachte sie verzweifelt, als sie aus dem Bett sprang und hastig in ihr Kleid schlüpfte. Noch vor wenigen Minuten hätte sie Bruno alles gegeben. Doch die Magie des Augenblicks war verflogen. Ein kurzer Moment der Leidenschaft war es einfach nicht wert, den Respekt vor sich selbst zu verlieren!

Plötzlich herrschte wieder Stille. Wer auch immer an die Tür geklopft hatte, musste inzwischen gegangen sein. Warum kam Bruno dann nicht zurück ins Schlafzimmer? Vielleicht hatte er Durst und holte sich noch etwas zu trinken? Wie sollte sie ihm nur erklären, dass sie gehen wollte? Dass sie zum zweiten Mal ihre Meinung geändert hatte. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen, doch es half ja alles nichts.

Sie atmete tief ein, öffnete entschlossen die Tür und blieb vor Überraschung wie angewurzelt stehen. Was machte denn James Grainger hier?

4. KAPITEL

„Tamsin!“ James war mindestens ebenso überrascht, sie zu sehen, wie sie ihn.

„Hallo“, erwiderte sie peinlich berührt.

Auch ihm schien die Situation unangenehm zu sein. Er ließ den Blick von ihrem geröteten Gesicht zur Schlafzimmertür, zu dem zerwühlten Bett und wieder zurück zu ihr gleiten.

„Ich schätze, mein Timing ist etwas ungünstig“, murmelte er verlegen und blickte zu Boden, als wünschte er, darin zu versinken. „Bitte entschuldigt! Bruno, du hättest wirklich etwas sagen sollen. Es kann ja immer etwas … Wichtiges dazwischenkommen.“

„Nein, nein. Ich muss mich entschuldigen“, wehrte Bruno höflich ab. „Ich hatte Miss Stewart zum Essen eingeladen und … na ja …“ Er zuckte die Schultern und grinste. Offenbar war ihm die Sache überhaupt nicht peinlich. „Eins führte zum anderen, und ich habe darüber leider völlig vergessen, dass wir heute verabredet waren. Vielleicht können wir es auf morgen verschieben?“

„Selbstverständlich. Du kannst mich ja noch einmal anrufen“, stieß James hervor. „Einen schönen Abend noch, Tamsin“, fügte er mit heiserer Stimme hinzu, bevor er den Korridor verließ und Bruno die Tür hinter ihm schloss.

Verlegen blickte sie zu Boden. Himmel! Was sollte sie jetzt sagen? Am Abend zuvor hatte James sie noch vor Bruno gewarnt, und anstatt auf ihn zu hören, hatte sie das genaue Gegenteil getan. Zu allem Überfluss hätte sie mit diesem Casanova auch noch beinah geschlafen. Knapp vierundzwanzig Stunden später, nachdem sie ihn kennengelernt hatte! Wenn James nicht gekommen wäre, würde sie noch immer in Brunos Bett und in seinen Armen liegen. Und noch immer fühle ich mich zu ihm hingezogen, dachte sie.

„Jetzt sieh doch nicht so entsetzt aus, bella“, sagte Bruno ungehalten.

Irgendetwas in seiner Stimme ließ sie verwirrt aufhorchen, und sein eiskalter, verachtungsvoller Blick jagte ihr einen Schauder über den Rücken.

„Wer weiß, wenn du lieb zu mir bist, kaufe ich dir vielleicht sogar ein noch teureres Collier, als James es getan hat.“

„Wie bitte?“, fragte sie, perplex, wie kalt er sie ansah. Nein, diesmal bildete sie es sich wirklich nicht ein. Kopfschüttelnd versuchte sie, aus seinen Worten schlau zu werden. „Du wusstest also, dass James heute Abend herkommen würde? Ihr wart verabredet?“ Irgendetwas stimmte hier nicht! „Und dann hast du es einfach vergessen?“

Mit einem zynischen Lächeln erwiderte er kühl: „Nein, bella. Das hatte ich durchaus nicht.“ Das war eine Lüge! Sein Verlangen war so groß gewesen, dass er beinah seinen eigenen Namen vergessen hätte. An James und die Mission, die er sich selbst auferlegte hatte, den Freund vor Tamsin zu bewahren, hatte er seit dem Moment nicht mehr gedacht, als er ihre seidige nackte Haut unter seinen Fingern spürte.

„Aber wieso lädst du mich zum Essen ein, wenn du schon mit James verabredet warst?“ Das ergab doch alles überhaupt keinen Sinn!

Wie zart und verletzlich sie auf einmal aussah! Wirklich gut gespielt! Das musste er ihr lassen. „Wenn du es unbedingt wissen willst …“, begann er gelangweilt, ging hinüber zur Bar und schenkte sich einen Whisky ein. „Möchtest du auch einen Drink?“

„Nein! Was ist hier los?“

Er zuckte die Schultern und leerte das Glas in einem Zug. „Ich wollte, dass er dich hier sieht, bella. Ich habe dich hierher gelockt, damit er uns auf frischer Tat ertappen kann.“ Allein der Gedanke, dass sein Freund sie beinah überrascht hätte, ließ sein Herz wie wild in seiner Brust schlagen. Langsam ging er wieder auf sie zu. Doch als er die Hand ausstreckte, um mit den Fingerspitzen ihr Kinn zu berühren, wich Tamsin zurück.

„Ich verstehe“, stieß sie hervor, und plötzlich wurde ihr speiübel. „Und warum hast du so etwas Absurdes getan?“

„Weil ich deine Beziehung zu James beenden wollte“, antwortete er kurz angebunden. „Auch wenn er kurzfristig durch deine nicht zu unterschätzenden Reize und dein vorgetäuschtes Mitgefühl geblendet wurde, wird er sich jetzt seine romantischen Flausen aus dem Kopf schlagen. Er ist ein sehr konservativer Mensch und wird dich sicher nicht mehr wollen, weil er jetzt davon ausgehen muss, dass du auch mit mir schläfst.“

Verblüfft blickte Tamsin ihn an. „James und ich sind nur gute Freunde. Was uns verbindet, hat rein gar nichts mit Romantik zu tun!“ Verwirrt schüttelte sie den Kopf.

So langsam dämmerte ihr, was Bruno sich da zusammenfantasiert hatte. „Himmel, er könnte doch mein Vater sein! Außerdem trauert er noch immer um seine Frau.“

„Genau deshalb fühlt er sich einsam und unglücklich, und das ist genau der richtige Zeitpunkt für eine attraktive und vor allen Dingen mitfühlende junge Frau, sich an ihn heranzumachen.“

„Ich fasse es nicht! Ich habe mich keineswegs an ihn ‚herangemacht‘!“

„Ach nein? Dir sind doch sicher die Vorteile einer Beziehung mit einem älteren reichen Mann bewusst!“

Wie hart und kalt seine Stimme auf einmal klang! Undenkbar, dass sie sich vor Kurzem noch wie in einem Märchen vorgekommen war!

„Du hast doch genau gesehen, dass James sich jemanden an seiner Seite wünscht. Seine Töchter sind erwachsen und ziehen aus. Bald wird er ganz allein auf seinem riesigen Anwesen wohnen. Vielleicht hast du dich sogar schon für die Rolle als neue Lady Ditton erwärmt?“ Er musterte sie angewidert. „Das kann für dich ja nur profitabel sein. Denn wenn dir die Ehe mit einem vierzig Jahre älteren Mann irgendwann doch zu langweilig wird, winken zum Trost immerhin satte Unterhaltszahlungen.“

Unwillkürlich musste er wieder an seine Stiefmutter denken. Er konnte nicht anders. Tamsin hatte einfach zu viel mit ihr gemeinsam. Kaum hatte sein Vater ihr den Ring über den Finger geschoben, hatte sie sich als die hinterhältige, geldgierige Hexe entpuppt, die sie eigentlich war. „Einen einsamen Witwer zu finden, der noch dazu ein Earl ist und steinreich, muss für Frauen wie dich wie der Himmel auf Erden sein.“

Einen Augenblick schien der Boden unter ihren Füßen zu schwanken. Haltsuchend griff sie nach dem Türrahmen. „Ich fasse es nicht“, wiederholte sie mit bebender Stimme. „Meine Beziehung zu James ist völlig harmlos. Er hat keinerlei romantische Gefühle für mich, und ich habe sie auch nicht für ihn. Ich will nur seine Freundschaft!“

„So, so. Und weshalb fährt er dann jeden Freitag nach London, um dich zu sehen? Annabel hat er erzählt, es seien geschäftliche Treffen, aber seit Lorna krank wurde, hat er sich gar nicht mehr selbst um sein Unternehmen gekümmert. Er hatte also überhaupt keinen Grund, einmal pro Woche nach London zu fahren. Hast du ihn bei einem solchen Stelldichein auch dazu überredet, dir das Diamantcollier zu schenken?“, fragte er von oben herab.

„Ich habe nichts dergleichen getan!“, verteidigte sie sich wütend. Doch wie sollte sie ihm erklären, warum James jede Woche nach London fuhr? Einige Sekunden überlegte sie, ob sie Bruno vielleicht doch von der Krebserkrankung seines Freundes erzählen sollte. Immerhin stand er ihm und der Familie Grainger sehr nahe. Vielleicht würde er ja gegenüber Davina und Annabel Stillschweigen bewahren, wenn sie ihn darum bat?

Dann biss sie sich jedoch auf die Lippe. Nein, sie durfte nichts verraten. Sie hatte es versprochen. Wenn James es niemandem sagen wollte, hatte sie das zu respektieren. Wahrscheinlich musste er erst einmal selbst mit dieser schrecklichen Wahrheit klarkommen, bevor er sie anderen mitteilen konnte. Und er vertraute ihr.

„Du hast wohl nichts mehr zu sagen, bella?“, fragte Bruno höhnisch, der ihren inneren Kampf mitbekommen und völlig falsch interpretiert hatte.

„Warum ich mich mit James treffe, geht dich überhaupt nichts an“, rief sie wütend. Wie konnte er nur so eine schlechte Meinung von ihr haben? „Wir haben öfter die Pläne für Davinas und Hugos Apartment besprochen.“

„Annabel hat gesagt, das Apartment wurde schon vor Wochen fertiggestellt.“

Annabel hat gesagt … Plötzlich wurde ihr alles klar. James’ jüngere Tochter, dieses verwöhnte, selbstsüchtige kleine Ding, schien doch tatsächlich zu glauben, dass ihr Vater eine Affäre mit seiner Innenarchitektin hatte!

„Am meisten beunruhigt mich die Tatsache, dass James so viel Geld in eure Firma gesteckt hat. Und das, obwohl seine Berater dagegen gewesen waren“, fügte er scharf hinzu. „Soweit ich weiß, wäre Spectrum Design vor Kurzem beinah bankrottgegangen. Sehr clever von dir, James um Hilfe zu bitten. Anscheinend kann er dir ja keinen Wunsch abschlagen, sonst hätte er eine derart unvernünftige Investition sicher nicht gemacht.“

Wieder musste er an seinen Vater denken, der überall für seinen Geschäftssinn bekannt gewesen war, bis er Miranda kennengelernt und eine unsinnige Entscheidung nach der anderen gefällt hatte, bis The House of Di Cesare kurz vor dem Ruin stand. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass seinem Freund nun das Gleiche passierte!

Verwirrt blickte Tamsin ihn an. „James soll Geld in die Firma meines Bruders investiert haben? Das wusste ich ja gar nicht. Außerdem hätte Daniel mir wohl erzählt, wenn Spectrum wirklich vor dem Konkurs geständen hätte.“

„Vor genau zwei Monaten wollten die Banker euch den Kredit kündigen. Einzig James’ Bürgschaft und die Tatsache, dass er euch mit seinem Geld aus den größten Schwierigkeiten geholfen hat, konnte die Firma retten.“

„Aber davon wusste ich nichts, ich …“ Tamsin konnte nicht weitersprechen. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Spectrum Design war Daniels Unternehmen, nicht ihres. Sie arbeitete nur für ihn. Trotzdem handelte es sich um eine sehr ernste Angelegenheit. Ihr Bruder hätte ihr das sagen müssen, oder nicht? Und wieso hatte auch James ihr gegenüber nichts erwähnt?

Forschend sah sie Bruno ins Gesicht, das wie versteinert wirkte. Anscheinend glaubte er tatsächlich, sie hätte es nur auf das Vermögen des Earls abgesehen. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.

„Du behauptest, James sei dein bester Freund“, begann sie schließlich, „und trotzdem hast du ein derartiges Zusammentreffen arrangiert, obwohl du davon ausgehen musstest, ihn damit sehr zu verletzen?“

„Manchmal muss man jemandem wehtun, um ihn vor noch größerem Schmerz zu bewahren“, antwortete er von oben herab. „Ich finde es jedenfalls besser, wenn James so früh wie möglich erkennt, was für eine Frau du bist. Später wäre die Enttäuschung nur noch größer.“

„Was für eine Frau bin ich denn bitte?“, flüsterte sie verzweifelt.

„Eine, die Männer aussaugt bis aufs Blut! Du hast es doch nur auf ihr Geld abgesehen. Erst als du wusstest, dass ich reich bin, bist du mir willig in die Arme gesunken. Vorher hast du mich nicht eines Blickes gewürdigt. Ich habe zwar keine Ahnung, warum du gestern Abend plötzlich weggerannt bist, ich schätze aber, dieses Manöver sollte meine Leidenschaft noch weiter anfachen.“

Plötzlich legte er ihr den Arm um die Taille und zog sie ungestüm an sich. Mit der anderen Hand hob er ihr Kinn an und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Ich muss leider zugeben, deine Strategie ist aufgegangen“, flüsterte er mit einer Stimme, die rau vor unterdrückter Begierde war. „Ich will dich, Tamsin. Und auch wenn du es niemals zugeben würdest, du willst mich genauso.“

Aufreizend langsam ließ er die Finger zu ihren Brüsten gleiten, und zu ihrem größten Entsetzen stellte sie fest, dass ihr verräterischer Körper es ganz und gar nicht abstoßend fand. Doch der zynische Ausdruck in Brunos Augen ließ keine Leidenschaft in ihr aufkommen!

„Also hattest du den ganzen Tag über nur vorgehabt, mich ins Bett zu kriegen?“, sagte sie kaum hörbar. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sie Hand in Hand durch die Gärten von Hever Castle spaziert waren und wie fröhlich sie gewesen waren. All das hatte er ihr nur vorgespielt. Die Magie dieses Tages war nichts als Illusion gewesen. Bei dem Gedanken, wie blind sie ihm vertraut und dass sie geglaubt hatte, er fühlte sich zu ihr hingezogen, hätte sie am liebsten geweint. „Und die Einladung zum Abendessen? Gehörte die auch zu deinem Plan? Ich kann es nicht fassen, dass du mich in dein Zimmer gelockt hast, um …“, die Stimme drohte ihr zu versagen, „… mich zu verführen, damit James die Beziehung zu mir löst!“

Forschend betrachtete er ihr blasses Gesicht. Irgendwie fühlte er sich unwohl, als er die Tränen in ihren Augen sah. Was für eine hervorragende Schauspielerin sie war! Fast konnte man glauben, er hätte ihr wirklich wehgetan. Dabei trauerte sie nur der verpassten Chance nach, sich nicht einen reichen Earl geangelt zu haben. Seine Stiefmutter hatte auch immer auf die Tränendrüsen gedrückt, wenn sie mit ihrem Latein am Ende gewesen war. Doch im Gegensatz zu seinem Vater würde er nicht darauf hereinfallen.

Nachdenklich ließ er den Blick über Tamsins schlanken Hals zu ihrem Dekolleté gleiten und betrachtete die vollen Rundungen ihrer Brüste, die sich deutlich unter dem dünnen Stoff ihres Kleides abzeichneten. Der erste Teil seiner Mission war also erreicht. James glaubte, Tamsin hätte eine Affäre mit einem anderen, und würde mit höchster Wahrscheinlichkeit einsehen, dass er seine Zukunft nicht an der Seite dieser verführerischen, aber unehrlichen Blondine verbringen konnte. Trotzdem muss ich ja nicht auf jeglichen Spaß verzichten, dachte Bruno. Oder? Langsam und wie beiläufig begann er, ihre Brüste zu streicheln, und bemerkte zufrieden, dass sie erschauerte.

„Lass das!“, herrschte sie ihn an, ärgerlich und erstaunt zugleich, dass ihr Körper noch immer so stark auf seine Berührungen reagierte.

Mit einem selbstsicheren Lächeln, das sie nur noch wütender machte, erwiderte er: „Aber warum denn, bella? Wir könnten viel Spaß miteinander haben! Noch vor einer Viertelstunde warst du nicht so abweisend zu mir.“ Und nach einer kleinen Pause fügte er leise und eindringlich hinzu: „Vergiss James, und ich gebe dir, was du brauchst!“

Noch bevor ihr eine passende Antwort einfiel, zog er sie an sich und presste seine Lippen ungestüm auf ihre. Himmel, wie sollte sie ihm da widerstehen, wenn er sie so küsste? Doch dann gewann ihr Stolz die Oberhand. Nein, das lasse ich nicht zu, dachte sie. Ich werde auf keinen Fall noch einmal meinem Verlangen nachgeben. Sie riss sich von ihm los.

„Wieso findest du mich überhaupt begehrenswert, wenn du mich für eine geldgierige Person hältst?“, stieß sie hervor.

„Weil ich ja kein so verletzlicher, einsamer Mann wie James bin.“ Aufreizend ließ er die Hände über ihre Hüften gleiten, umfasste besitzergreifend ihren Po und presste sie an seinen harten, muskulösen Körper.

Jetzt war Tamsin nicht nur wütend und verletzt, sondern ihr wurde auch richtiggehend übel. Was erlaubte er sich eigentlich? „Nimm sofort deine Finger weg“, fuhr sie ihn an und stieß ihn mit der Kraft der Verzweiflung von sich. „Lieber würde ich aus dem Fenster springen, als mit dir zu schlafen!“

Dann flüchtete sie zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte. Wieso hatte sie diesen grausamen Ausdruck in seinen Augen nicht schon früher bemerkt? Wie hatte sie sich nur derart von seiner männlichen Schönheit blenden lassen? Wieder einmal hatte sie ihre fehlende Menschenkenntnis unter Beweis gestellt. Erst hatte sie einen Mann geheiratet, der nicht treu sein konnte, und dann war sie auf einen hereingefallen, der sie verachtete und demütigen wollte.

Sie musste ganz schnell von hier fort, denn den Triumph, sie weinen zu sehen, gönnte sie ihm nicht. „James hat gesagt, du seist ein ehrlicher Mensch“, bemerkte sie kühl und öffnete die Tür. „Offensichtlich hat er sich in dir genauso getäuscht wie ich mich. Geh zur Hölle, Bruno Di Cesare! Denn da gehörst du hin!“

5. KAPITEL

Als Tamsin in ihrer Wohnung im Norden Londons ankam, wurde sie stürmisch von ihrer Mitbewohnerin Jess begrüßt.

„Ich hatte dich eigentlich schon vor zwei Tagen zurückerwartet“, meinte sie lächelnd und setzte den Kessel auf, um Teewasser zu kochen. „Ich habe schon angenommen, du seist mit irgendeinem gut aussehenden Fremden durchgebrannt.“ Doch ein Blick in das blasse Gesicht ihrer Freundin sagte ihr, dass etwas nicht in Ordnung war. Daher fügte sie fröhlich hinzu: „Aber jetzt bist du ja da.“

„Ja, das bin ich.“ Seufzend stellte Tamsin ihren Koffer in die Ecke und schaute die Post durch, die auf dem Küchentisch lag. „Ich bin etwas länger bei meiner Schwester geblieben. Vicky hat sich nicht so gut gefühlt, da habe ich ihr zu helfen versucht.“

„Oje. Ist sie etwa krank, die Arme?“

„Nein, schwanger. Ihr ist ständig schlecht. Morgens ist es immer besonders schlimm. Deshalb war es gut, dass ich an ihrer Stelle die Zwillinge in den Kindergarten bringen konnte.“

Warum versuchte sie eigentlich, ihrer besten Freundin etwas vorzumachen? Es war ja eigentlich sinnlos, denn Jess merkte immer, wenn etwas nicht stimmte. Sie biss sich auf die Lippe. Nein, sie konnte noch nicht darüber sprechen, was am vergangenen Wochenende passiert war. Nicht einmal mit Jess.

Kaum zwanzig Minuten nachdem sie Brunos Suite verlassen hatte, saß sie schon mit gepacktem Koffer in ihrem Auto und raste die gewundene, schmale Landstraße entlang. In ebenso halsbrecherischem Tempo, wie er nur wenige Stunden zuvor mit ihr gefahren war. Was er konnte, konnte sie schon lange! Eine Stunde später war sie in die Einfahrt vor Vickys Haus eingebogen, erfand irgendeine halbwegs glaubhafte Geschichte über ein unbequemes Hotelbett und entschuldigte sich vielmals, ihre Schwester um Mitternacht aus dem Bett geklingelt zu haben.

„Wirklich nett von dir“, murmelte Jess jetzt und sah ihre Freundin forschend an. „Du würdest sicher gern mit Vicky tauschen und auch ein Baby bekommen, oder?“

„Das ist etwas schwierig, so ganz ohne männliche Beihilfe“, erwiderte Tamsin grimmig. Dieses Thema hatte ihr gerade noch gefehlt! Dabei hatte sie einen Anflug von Neid nicht unterdrücken können, als Vicky ihr von ihrer erneuten Schwangerschaft berichtet hatte. Sie wünschte sich wirklich, ebenfalls glücklich verheiratet zu sein und ein Kind zu erwarten!

„Wie war eigentlich die Hochzeitsfeier?“

„Ganz okay“, erwiderte Tamsin und vertiefte sich in die Gasrechnung. Doch so leicht konnte man Jess nicht hereinlegen.

„So, so. Nur okay? Du hast nicht zufällig jemanden kennengelernt? Männlich, gut aussehend, so wie der, der am Dienstagabend hier vorbeigekommen ist.“

Überrascht ließ Tamsin die Gasrechnung auf den Boden fallen. „Was für ein Mann?“

Sie wirkte so verstört, dass Jess sofort aufhörte, ihre Freundin zu necken. „Ein großer dunkelhaariger Typ. Extrem gut aussehend“, erklärte sie ruhig. „Könnte Italiener sein. Seinen Namen hat er nicht genannt, aber er hat das hier für dich dagelassen“, fuhr sie fort und drückte Tamsin das Diamantcollier in die Hand. „Er meinte, du würdest sicher traurig sein, wenn du den Verlust bemerkst. Oh, und er hat dir eine Nachricht auf die Rückseite seiner Visitenkarte geschrieben“, fügte sie hinzu und holte diese aus einer Schublade. „Ich war brav und habe sie nicht gelesen“, versuchte sie zu scherzen, doch dann wurde sie wieder ernst. „Tamsin, was ist denn bloß los? Wer ist dieser Mann?“

„Niemand!“ Wie kalt sich das Collier in ihrer Hand anfühlte! Beinahe so kalt und hart wie der Eisklumpen, der sich um ihr Herz gelegt hatte. Widerwillig las sie, was auf der Visitenkarte stand. Allein sein gedruckter Name brachte ein halbes Dutzend Schmetterlinge in ihrem Bauch zum Tanzen!

Du weißt, wir könnten viel Spaß miteinander haben, bella. Ich verspreche Dir, ein äußerst großzügiger Liebhaber zu sein. Ruf mich an.

Großzügiger Liebhaber? Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft und laut geschrien. Sie sah ihn richtig vor sich, wie er mit einem arroganten Lächeln diese Nachricht geschrieben hatte, absolut überzeugt davon, dass sie mit ihm eine Affäre beginnen würde. Wie hatte sie nur so naiv sein und glauben können, er sei ernsthaft an ihr interessiert?

Wütend zerriss sie die Visitenkarte und warf sie in den Müll. „Der Typ kann mir gestohlen bleiben“, klärte sie Jess auf, die sie mit wachsender Verwunderung beobachtete. „Ist der Tee schon fertig?“

Wie immer herrschte auf Londons Straßen das reinste Chaos, und obwohl sein Chauffeur sämtliche Abkürzungen kannte, kamen sie nur sehr langsam voran. Den ganzen Tag hatte Bruno mit seinen Rechtsbeiständen verbracht und die Übernahme einer Konkurrenzfirma debattiert. Jetzt fühlte er sich erschöpft und wollte nur noch in sein Hotel. Normalerweise machten ihm derartige Verhandlungen nichts aus. Er war ein guter Stratege und hatte die Konkurrenz im Griff. Doch irgendwie hatte er sich heute überhaupt nicht richtig konzentrieren können. Den ganzen Tag über hatte er immer wieder auf sein Handy gestarrt. Wieso zum Teufel rief Tamsin Stewart nicht an?

Denn melden würde sie sich bestimmt, wenn auch nicht sofort. Ein paar Tage gestand er ihr zum Schmollen zu. Dann würde sie sich damit abgefunden haben, dass sie von James Grainger nichts mehr zu erwarten hatte, und erkennen, dass ein Milliardär wie er selbst auch nicht zu verachten, sondern vielleicht sogar besser als ein alternder Earl war. Natürlich würde sie die Chance wahrnehmen. Sie zögerte einfach etwas länger, als er erwartet hatte.

Unwillkürlich musste er daran denken, wie sie ihn auf der Hochzeitsfeier zurückgewiesen hatte. Ob sie jetzt das gleiche Spiel wiederholte? Raffiniert. Aber sie trieb es ein wenig zu weit. Nächste Woche würde er nach Italien zurückkehren. Und er hatte nicht vor, mit ihr noch einmal Kontakt aufzunehmen.

An weiblicher Gesellschaft fehlte es ihm nun wahrlich nicht. Eigentlich kannte er genügend willige Damen, die ihn nur zu gern zum Essen – und in sein Schlafzimmer – begleiten würden. Trotzdem speiste er jetzt allein und zog es vor, den Rest des Abends zu arbeiten.

Gegen elf Uhr wählte er schließlich James’ Londoner Nummer. Annabel hatte ihm erzählt, dass dieser freitags nach dem Treffen mit Tamsin meistens in der Stadt blieb. Irgendwie war er neugierig, ob sein Freund auch diesmal hier übernachtete. Tamsin besuchte schließlich gerade ihre Schwester. Zumindest hatte ihre Mitbewohnerin das behauptet. Demzufolge musste James eigentlich dieses Mal nach Ditton Hall zurückgekehrt sein.

Fünf-, sechsmal ließ er das Telefon klingeln. Nichts. Gerade wollte er aufgeben, als sich eine atemlose weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung meldete.

„Hallo? Bei Grainger.“ Ungeduldig wartete Tamsin auf eine Antwort. Wer rief denn um diese Uhrzeit noch an? Wenn sie nicht zufällig hier gewesen wäre, hätte James sich noch einmal aus dem Bett quälen müssen. „Hallo, wer ist denn da?“

„Miss Stewart! Was für eine Überraschung!“, ertönte in diesem Moment eine ihr nur zu bekannte tiefe Stimme. „Deine Hartnäckigkeit ist wirklich bewundernswert, bella. Aber schließlich ist James ein sehr reicher Mann.“

„Bruno!“ Sofort begann ihr Herz heftig zu klopfen. Verärgert stellte sie fest, dass ihr die Hände so sehr bebten, dass ihr der Hörer zu entgleiten drohte. „Du willst sicher mit James sprechen, aber er ist schon im Bett, und ich würde ihn jetzt nur ungern stören.“

„Du hast ihn wohl zu sehr erschöpft, bella? Bitte erspar mir die Details.“

Der Spott und die Verachtung in seiner Stimme brachten sie zur Weißglut. Wütend wickelte sie sich das Telefonkabel um den Finger und schnürte sich ihn beinah ab. Wenn ich doch nur das Gleiche mit seinem Hals tun könnte!, dachte sie dabei.

„Was für eine widerliche Fantasie du hast! Nur um James zu schonen, erzähle ich ihm nichts von deinen Unterstellungen. Er hat schon genug um die Ohren!“ Bruno hatte ja keine Ahnung, wie viel!

„So? Ich glaube vielmehr, dass du es nicht tust, weil er sonst deinen wahren Charakter erkennen würde.“

Jetzt war sie wirklich kurz davor, in die Luft zu gehen. „James ist erschöpft, weil er einen langen, harten Tag hinter sich hat. Ich werde ihm sagen, dass du angerufen hast, dann meldet er sich bestimmt morgen bei dir.“

Verärgert runzelte er die Stirn. Sie wagte es doch tatsächlich, ihn abzuhängen! Unglaublich! Rasend machte ihn auch die Vorstellung, dass sie die Nacht mit James verbringen würde.

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

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