Traumtage auf der Jacht der Leidenschaft

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AUF EINER YACHT IM MITTELMEER

Im Hafen von St. Tropez geht für Shannon ein Traum in Erfüllung. Ihre große Liebe Kane Falconer hält auf seiner Luxusjacht um ihre Hand an. Ihr Glück scheint vollkommen - bis ihr Vater einen bösen Verdacht in ihr weckt …

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  • Erscheinungstag 07.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735234
  • Seitenanzahl 870
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Elizabeth Power, Lindsay Armstrong, Valerie Parv, Justine Davis, Sara Wood, Sara Craven

Traumtage auf der Jacht der Leidenschaft

IMPRESSUM

Auf einer Yacht im Mittelmeer erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2005 by Elizabeth Power
Originaltitel: „Tamed By Her Husband“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe
Band 1652 - 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban

Umschlagsmotive: LiliGraphie / GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779719

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Er konnte die Spannung in der Luft förmlich spüren. Die schwüle Nachmittagshitze war drückend, und obwohl er einen leichten Sommeranzug trug, fühlte Kane Falconer sich denkbar unwohl.

Normalerweise war Barcelona ein Ort, an dem er sich gern länger aufhielt, doch während er jetzt durch die baumbestandene Fußgängerzone schlenderte, vorbei an Kiosken mit Souvenirs, farbenfrohen Blumenständen und Freiluftcafés, war er froh, das Geschäftliche hinter sich zu haben.

Der Studentenprotestmarsch, der ihn wenig interessierte, hatte den Verkehr zum Erliegen gebracht. Ein ohrenbetäubendes Hupkonzert, untermalt von Motorengedröhn, erfüllte die Straßen der Umgebung, und die spanischen Fluchtiraden aus staubigen Taxis trugen ihren Teil dazu bei, den wachsenden Höllenlärm unerträglich zu machen. Gekreisch an einem Stand zog Kanes Aufmerksamkeit auf Käfige mit bunten Vögeln, die sich flatternd vergeblich gegen ihr Gefängnisdasein zu wehren versuchten.

Angewidert wandte er sich ab. Auch er sehnte sich nach Freiraum, doch er konnte wenigstens davongehen. Ich sitze in diesem Inferno aus Lärm, Hitze und Staub glücklicherweise nicht fest, sagte er sich dankbar, obwohl ihm zunehmend unbehaglicher wurde. Sein Blick fiel auf einen Korb mit farbenprächtigen Pflanzen, vor dem eine junge Frau sich auf Zehenspitzen stellte und den Kopf leicht zurückbog, um den Duft einer herabhängenden Blüte einzuatmen.

Beim Anblick ihres langen, biegsamen Halses, des hellblonden Haares, das ihr in seidigen Wellen über den Rücken fiel, blieb Kane wie versteinert stehen.

Shannon Bouvier! Ausgerechnet sie hier zu treffen hätte er am allerwenigsten erwartet. Als er sich vor über einem halben Jahr in Mailand nach ihr erkundigen wollte, hatte der Vermieter ihm herablassend erklärt, sie sei zu ihrem Freund gezogen und mit ihm ins Ausland gegangen, wohin, wisse niemand.

Shannon Bouvier … Partygirl, reiches Biest, wie weniger freundlich Gesinnte sie nannten, Erbin eines großen englischen Baukonzerns, der sie nicht im Geringsten interessierte.

Schmal war sie geworden, wie Kane auffiel, während er ihr nabelfreies rotes Oberteil und die tief auf den Hüften sitzende, billig wirkende Cargohose betrachtete, sehr viel dünner als damals, als er Shannon zuletzt gesehen hatte. Damals war sie ein vor Energie strotzender Teenager gewesen, der unter den erbarmungslosen Angriffen der englischen Presse um seine Würde und seinen Ruf hatte kämpfen müssen. Doch kein Zweifel, es war Shannon.

Er wappnete sich und ging aufgewühlter, als er sich eingestehen wollte, auf sie zu.

Wie so oft, wenn die zerbrechlich wirkende Señorita vorbeikam, schenkte die Besitzerin des Standes ihr eine Orchidee.

Jetzt zuckte die Frau nur die Schultern und breitete hilflos die Arme aus, als könnte sie sich so vor dem Geschrei und Gehupe schützen, das die Demonstration verursachte. Es hatte ein friedlicher Aufmarsch werden sollen, doch Aufsässige hatten gedroht, ihn zu stören. Verunsichert drehte Shannon sich um. Beim Anblick jedoch des Mannes, der ihr die Sicht auf die demonstrierenden Studenten versperrte, stockte ihr unwillkürlich der Atem.

„Hallo, Shannon.“

Etwas geschah mit ihr, eine vertraute Erregung erfasste sie, wie stets in seiner Nähe, und noch etwas anderes, das sie sofort vorsichtig machte. Kane Falconer war der Letzte, den sie zu treffen erwartet hatte. Doch hier stand er vor ihr – in ganzer Lebensgröße.

Nein, größer, dachte sie nervös. Seine imposante Erscheinung schien alles andere auszublenden, als wäre er die einzig wichtige Person auf der Las Ramblas. Die Demonstration auf der Durchgangsstraße, die außer Kontrolle zu geraten begann, mutete sie auf einmal wie der Hintergrund eines Films an – unwirklich, nur nebensächlich gegenüber dem, was zwischen ihr und Kane geschah.

„Kane!“ Es gelang ihr nicht, sich gleichmütig zu geben. Viel zu lange betrachtete sie seine markanten Züge, versuchte, sich wieder mit jeder Einzelheit vertraut zu machen: dem sorgfältig frisierten dichten braunen Haar, der hohen Stirn, dem energischen Kinn mit dem auffallenden Grübchen. „Was tust du denn hier?“

Dem eleganten hellen Anzug nach zu schließen, der seine sportliche Gestalt unterstrich, war er offenbar geschäftlich unterwegs, obwohl er keine Krawatte und das elegante Hemd am Hals offen trug, sodass seine gebräunte Haut zu sehen war.

„Das Gleiche wollte ich dich auch fragen.“ Trotz des Gehupes und wütenden Geschreis um sie her klang Kanes dunkle Stimme sanft und gelöst. Er wirkte keineswegs angespannt oder durcheinander, wie sie sich fühlte, und Shannon wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ich hatte dich weit weg vermutet.“ Forschend betrachtete er ihre feinen Züge und die zarte Orchidee in ihrer Hand. „Jemand hat mir erzählt, du seist in Rio.“

So? Sie musste sich der hypnotisierenden Wirkung dieser graugrünen Augen entziehen. Hatte er sich nach ihr erkundigt? Oder hatte jemand nur beiläufig über das Mädchen gesprochen, das Leben zerstört hatte und vor drei Jahren tagelang Schlagzeilen gemacht und die Neugier der sensationslüsternen Öffentlichkeit gestillt hatte?

„Tja … wie du siehst, ist das nicht der Fall.“ Schulterzuckend hob sie die Arme, sodass Kanes Blick auf ihre kleinen, festen Brüste unter dem leuchtend roten Oberteil mit dem Slogan „Emanzipation für Bullen“ gelenkt wurde.

Er presste die Lippen zusammen und sah sie spöttisch an, wie auch früher so oft. „Kämpfst du immer noch für die Benachteiligten, Shannon?“

Sie blickte ihn nicht einmal an. „Jemand muss es tun.“

„Ich bin eher der Ansicht, dass man als Gast die Sitten eines fremden Landes respektieren sollte“, bemerkte er ironisch.

Würdevoll warf sie den Kopf zurück. „Du hast das Recht, eine eigene Meinung zu haben.“

Er nickte. „Und was tust du hier in Spanien?“

Shannon blickte zu einem jungen Paar, das am Nachbarstand handgearbeiteten Schmuck begutachtete. Ja, was tat sie hier? Am liebsten hätte sie sich Kane anvertraut, doch sie besann sich eines Besseren und erwiderte nur schulterzuckend: „Ich schlage die Zeit tot.“ Na ja, irgendwie stimmte das sogar.

Seine Miene wurde ernst, und um seinen Mund erschien ein grimmiger Zug. „Was soll das heißen?“, fragte er gefährlich leise.

Unwillkürlich verkrampfte sie sich. Kane hatte alles missbilligt, was sie tat. Wie alle anderen hatte er eine vorgefasste Meinung von ihr, so auch beim letzten Mal, als er sie ein verzogenes, reiches Ding genannt hatte. Komisch, aber es tat selbst jetzt noch weh.

„Ich wollte damit sagen, dass man hier ebenso gut wie anderswo dem Nichtstun frönen kann.“ Um darüber hinwegzukommen. Die Batterien neu aufzuladen. Seelisch zu gesunden.

„Und das tust du jetzt?“ Er schob eine Hand in die Hosentasche, sodass der Stoff sich über seinen schmalen Hüften spannte. Sein verächtlicher Ton verriet, dass ihre Antwort ihn nicht weiter beeindruckte.

Wieder zuckte sie nur die Schultern, was alles und nichts bedeuten konnte. Mir würde er alles zutrauen, dachte sie verbittert. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass die Frau vom Stand sie beide beobachtete und einzuordnen versuchte. Offenbar hielt die Spanierin sie für ein Paar: den großen, kraftvollen Mann und das blonde Mädchen. Ob sie spürte, dass es zwischen ihnen gefährlich knisterte? So war es immer gewesen, obwohl sie beide sich dessen nicht wirklich bewusst gewesen waren, nicht einmal, bevor Kane für immer aus dem Büro ihres Vaters gestürmt war, weil er im Gegensatz zu den anderen Vorstandsvorsitzenden nicht bereit gewesen war, sich dem Willen Ranulph Bouviers zu beugen.

„Und wo wohnst du?“, fragte er ruhig, doch nun spürte sie, dass auch er angespannt war.

Die Adresse, die sie ihm nannte, befand sich in einer Nobelgegend, doch etwas anderes hätte er auch nicht erwartet.

„Machst du hier Urlaub?“

Sie schien zu zögern, dann schüttelte sie den Kopf.

„Bist du allein hier?“ Prüfend musterte er ihre schmalen, wunderschönen Züge.

„Ja.“

Den Freund gab es also nicht mehr. „Das überrascht mich nicht.“

„Wieso nicht?“

Meine Güte! An Selbstbewusstsein fehlte es ihr nicht! Wie alt war sie jetzt? Einundzwanzig? Aber was erwartete er denn? Selbst als schlaksiger Teenager war sie entschieden selbstsicherer gewesen als viele erwachsene Frauen!

„Wohnst du in einem Apartment?“

„In einem Haus“, verriet sie. „Es gehört einem Freund von mir.“

„Ich verstehe.“

Sie hasste diesen abschätzigen Ton. „Nein, das tust du nicht.“

Da hatte sie recht. Er fragte sich, warum sie so schäbig gekleidet war. Was war mit ihr geschehen? Doch er wollte sie nicht danach fragen, schon gar nicht hören, dass es da doch einen Freund gab.

„Und was hast du vor, wenn du das Nichtstun hier leid bist?“, fuhr er schneidend fort. „Oder ist das ziemlich unwahrscheinlich?“

„Möglich ist es.“ Sie gab sich bewusst unbeteiligt.

„Wann?“, fragte er grob. „Wenn etwas – oder jemand Aufregenderes daherkommt?“

Ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem dünnen Stoff. Sie kämpfte gegen den Drang an, diesem arroganten Mann eine sarkastische Antwort zu geben. Irgendwie spürte sie, dass er trotz seiner kühlen, unbeeindruckten Art wütend war. Aber warum? Sie hatte sich idiotisch benommen und teuer dafür bezahlt. Doch alles das gehörte der Vergangenheit an. Warum war Kane so versessen darauf, sie immer wieder daran zu erinnern?

Um sich nicht aus der Reserve locken zu lassen, erwiderte sie nur: „Irgendetwas kommt meist daher.“

„Und die ganze Zeit über scheinst du nicht den geringsten Gedanken an deinen Vater verschwendet zu haben, der sich sorgt, wo seine einzige Tochter sein könnte“, versuchte Kane, den bedenklich anschwellenden Lärm um sie her zu übertönen. „Hast du überhaupt schon mal daran gedacht, nach Hause zurückzukehren?“

Seine zornige Reaktion verletzte sie, und sie kämpfte gegen die Gefühle an, die sie zu überwältigen drohten. Natürlich hatte sie daran gedacht, träumte von nichts anderem. Doch Ranulph Bouvier hatte seiner einzigen Tochter nach dem Skandal, in den sie verwickelt gewesen war, unmissverständlich klar gemacht, was er von ihr erwartete, und das kam für sie nicht infrage. Das verbot ihr die Selbstachtung. Deshalb hatte sie sich dem Druck ihres Vaters mit seinen Millionen entzogen und seit zweieinhalb Jahren ein Leben geführt, von dem Leute wie Kane Falconer nichts ahnten.

„Nein, Kane. Auch das geht dich nichts an“, antwortete sie betont gelassen.

„Du erkundigst dich nicht einmal, wie es ihm geht? Wie die Dinge in England stehen?“

In Shannons hellblauen Augen erschien ein schmerzlicher Ausdruck. Anfangs hatte sie über die Zeitungen verfolgt, was sich zu Hause tat, sich Auskünfte von allen möglichen Leuten besorgt, die etwas mit der Firma oder ihrem Vater zu tun haben konnten. Doch das lag einige Zeit zurück, und in den letzten Monaten war es ihr unmöglich gewesen, Informationen nachzujagen …

Vorsichtig fragte sie: „Hattest du in letzter Zeit Kontakt mit ihm?“ Das hätte sie überrascht. Nachdem Kane seinen Posten wütend hingeworfen und die Firma verlassen hatte, dürfte zwischen Ranulph Bouvier und ihm Funkstille herrschen. Für ihn gab es sicher keinen Weg zurück.

„Vergiss es“, wehrte er rau ab. „Du hast recht. Es geht mich nichts an.“ Er schob die andere Hand in die Hosentasche und drehte sich zu der von Demonstranten verstopften Durchgangsstraße um.

Inzwischen hatte der Aufmarsch das obere Ende der Las Ramblas erreicht. Sprechchöre und Hetzparolen erfüllten die Luft, und Kane musste nun selbst fast schreien, um gehört zu werden.

„Was soll das Ganze?“ Es war eine rhetorische Frage, die er auch vorhin in der Besprechung gestellt hatte, in der ihm nach harten Verhandlungen der Bau neuer Luxusapartments entlang der Côte d’Azur übertragen worden war.

„Sie fordern Gerechtigkeit. Verständnis“, erklärte Shannon.

Suchte sie das auch? Betrachtete sie ihn als unverbesserlichen Tyrannen, weil sie sich von ihm zu Unrecht verurteilt fühlte? Weil er sie nicht verstand? Ihre sinnliche Stimme, ihre zerbrechliche Schönheit berührten ihn als Mann und machten ihm unbehaglich bewusst, dass sie diese Wirkung auch auf andere Männer gehabt haben musste. Aber das verstand er nur zu gut! Und er wusste, warum Ranulph Bouvier sich über den Verlust seines einzigen Kindes grämte, während seine vergnügungssüchtige Tochter um die Welt jettete und sich amüsierte, ständig auf der Jagd nach Neuem, Aufregendem, wie sie gerade selbst zugegeben hatte. Dennoch hätte er fast schwören können, in ihren unschuldig blickenden blauen Augen nicht nur Aufsässigkeit, sondern auch einen schmerzlichen Ausdruck entdeckt zu haben …

„Vielleicht gehen die Studenten es falsch an.“ Er sprach jetzt sehr laut, um den Lärm zu übertönen. „Wenn sie müde Menschen auf dem Heimweg von der Arbeit aufhalten, werden sie kaum Sympathien ernten.“

Ihre Wangen röteten sich leicht. „Aber erst recht nicht, wenn sie den Mund halten und sich alles gefallen lassen, was die Gesellschaft ihnen zumutet.“

Wie sie es auch nicht getan hatte? fragte er sich unwillkürlich. Wie immer sie sich aufgeführt hatte, Ranulph Bouvier hatte sie mit eisernem Willen beherrscht, wie auch seine Angestellten. Schweigend betrachtete Kane ihre zarte Gestalt, die so gar nicht zu ihrem rebellischen Wesen passte, und irgendwie verstand er, dass sie sich von ihrem Vater erdrückt gefühlt haben musste.

Kane deutete mit dem Kopf zu den Demonstranten. „Es wundert mich, dass du dort nicht mitmarschierst.“

„Das hätte ich getan, wenn …“ Ihre Aufmerksamkeit wurde von etwas weiter unten an der Straße abgelenkt.

Kane folgte ihrem Blick. Vor einem Café schrien und schlugen mehrere junge Männer aufeinander ein.

„Wenn was?“, fragte er und setzte abschätzig hinzu: „Wenn du nicht etwas Aufregenderes vorgehabt hättest?“

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, und sekundenlang blickte sie Kane mit ihren blauen Augen eindringlich an. „Ja, so ungefähr“, erwiderte sie gezwungen lächelnd und warf den Kopf zurück.

„Höchste Zeit, dass wir hier wegkommen“, entschied Kane.

Erstaunlich sanft schüttelte sie seine Hand von ihrem Arm ab. „Das finde ich nicht …“, begann sie und stieß dann einen Schrei aus, als ein spitzes Holzstück ihre Schläfe traf. „Oh!“

Doch ehe sie in sich zusammensinken konnte, bekam Kane sie bei der nackten Taille zu fassen und hielt sie fest. „Alles in Ordnung, Shannon?“ Er stieß eine Verwünschung aus.

Sekundenlang nahm sie alles nur verschwommen wahr.

„Shannon!“ Aus weiter Ferne, wie durch einen langen Tunnel, drang Kanes besorgte Stimme zu ihr durch. Sie nickte nur und hörte ihn erleichtert aufatmen.

„Jetzt wirst du auf mich hören!“, befahl er ihr aufgebracht.

„Wieso bist du wütend? Immer bist du böse auf mich“, brachte sie schleppend, wie betrunken, hervor.

„Sei still und komm mit. Du kannst doch gehen, oder?“

„Natürlich kann ich das.“ Allmählich gelang es ihr, wieder klarer zu denken. Zu schaffen machte ihr nur die erregende Wärme, die sich durch Kanes dünnes Jackett auf ihre nackte Haut übertrug. Am liebsten hätte Shannon sich an ihn geschmiegt und sich ihm willig überlassen. „Mir geht’s gut“, flüsterte sie und versuchte, gegen ihre Empfindungen anzukämpfen.

„Dann komm“, beharrte er rau und nahm ihren Arm. Rasch hob er ihre schäbige Umhängetasche auf und führte Shannon aus der unmittelbaren Gefahrenzone.

„Meine Orchidee!“

Verstört drehte sie sich um, sah die Blüte zertreten auf dem Pflaster liegen, und dann kamen ihr die Tränen.

„Lass sie!“, drängte Kane und zog sie fort.

Am Ende der Fußgängerzone schob Kane sie in ein Taxi.

„Wieso fahren wir zum Hafen?“, fragte Shannon, nachdem er sich zu ihr gesetzt und dem Fahrer das Ziel genannt hatte.

„Weil ich mit dem Boot gekommen bin.“ Entschlossen zog er die Wagentür zu. „Du kannst an Bord bleiben, bis der Tumult sich gelegt hat.“

„Boot?“ Shannons Schläfe begann zu pochen. Was für ein Boot?

Er bemerkte ihre Reaktion und lächelte. „Ich bin nicht nur geschäftlich hier“, erklärte er, während das Taxi sich durch die verstopfte Straße in Richtung Hafen durchzuarbeiten begann. „Glücklicherweise habe ich das Geschäftliche heute fast hinter mir.“

Das würde sie nicht schaffen … mit Kane Falconer auf einem Boot auf engstem Raum zusammen zu sein! Nicht, dass sie befürchtete, er könnte sie bedrängen. Er würde sie mit der gewohnten kühlen Höflichkeit behandeln. Es machte ihr nur Angst, dass sie ihm an Bord nirgends aus dem Weg gehen konnte.

„Ich möchte lieber versuchen, nach Hause zu kommen“, betonte sie und blickte furchtsam zurück.

„Und wie willst du das schaffen? Mit dem Bus? Oder hoffst du, dass ein geflügeltes Taxi dich durch die Stadt trägt?“

Also nahm er an, dass sie kein eigenes Auto besaß, was leider stimmte. Wie die meisten ihrer Besitztümer hatte sie ihren Porsche auf der Flucht vor ihrem verpfuschten Leben in England zurückgelassen.

Doch Kane hat recht, dachte sie beim Anblick des stehenden Verkehrs. Hinter ihnen spielten sich beängstigende Szenen ab. Oberhalb des Hafens rührte sich kein Fahrzeug mehr vom Fleck. Busse, Straßenbahnen, Taxis und Pkws saßen in einem einzigen hoffnungslosen Stau fest.

„Ich kann laufen“, erklärte Shannon.

„Mit der Beule am Kopf?“, spottete Kane. „Das traust du dir zu?“

Sie wünschte, sie könnte es bestätigen, aber das wagte sie nicht.

„Warum die Eile?“, fuhr er etwas freundlicher fort. „Erwartet dich zu Hause ein Tier, das gefüttert werden will?“

„Nein.“

Er lachte leise, schien zu spüren, dass sie sich gegen ihn sperrte. „Falls du für heute Abend verabredet bist, bringe ich dich zu ihm.“

„Danke“, erwiderte sie nur und wandte sich ab, sodass die heiße Julisonne, die durchs offene Fenster flutete, ihr hellblondes Haar golden schimmern ließ und die Schönheit ihres ernsten Profils untermalte.

„Bist du es?“, hakte Kane nach.

„Was?“

„Verabredet?“

Ihr war schleierhaft, warum er das fragte. Ruhig sagte sie: „Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.“

Sie fuhren über eine Brücke, und einen Moment lang zog das imposante Kolumbusdenkmal am Horizont ihre Aufmerksamkeit auf sich.

„Da hast du recht“, gab er zu. „Es geht mich nichts an.“

„Warum hast du dann gefragt?“, wollte Shannon wissen und setzte herausfordernd hinzu: „Oder war das ein Versuchsballon … um dich mit mir zu verabreden?“

Nun lachte Kane. Es war ein hartes, zynisches Lachen, das ihr verriet, was er davon hielt. Er brauchte nichts zu sagen. Schließlich hatte er früher genug Gelegenheit gehabt, sich mit ihr zu verabreden. Doch er hatte es nie getan.

Und plötzlich war es ihr wichtig, dass er eine gute Meinung von ihr hatte. „Ob du es glaubst oder nicht, Kane, sogar ich bleibe gelegentlich zu Hause, um mir die Haare zu waschen.“

„Was soll das nun wieder heißen?“

„Ich habe nichts Besonderes vor.“

Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu, der ihr verriet, dass er seine Meinung von ihr nicht ändern würde.

„Ein hartes Los, Tag und Nacht nichts zu tun“, meinte er zynisch und betrachtete sie. „Ich hätte dich für intelligenter gehalten, als sinn- und ziellos durch die Welt zu zigeunern und die Zeit totzuschlagen, wie du es nennst.“

„Wer sagt denn, dass ich durch die Welt zigeunere?“

„Du selbst“, erinnerte er sie grimmig. „Aber das Leben ist keine einzige große Party, Shannon. Ich hatte gehofft, das hättest du inzwischen auch gemerkt.“

Sie blickte aus dem Fenster und musste sich auf die Zunge beißen, um ihm nicht entgegenzuschleudern, wie toll ihr Leben gewesen sei. Im Hafenbecken vor ihnen ragten zahllose Schiffsmasten in den Himmel – von dümpelnden Sportseglern bis zu kleineren Segelbooten, die sich neben den glänzenden Rümpfen mächtigerer Motorschiffe zu behaupten versuchten.

„So?“ Ihr Haar wehte im Fahrtwind, als sie sich Kane wieder zuwandte. „Wir wissen beide, dass ich zu den wenigen Privilegierten dieser Welt gehöre. Ich musste nie arbeiten. Daddy bezahlt alle meine Rechnungen, und ich bin es gewöhnt, bis in die Puppen zu schlafen, damit ich mich die Nächte hindurch amüsieren kann.“

Etwas an ihrem Ausbruch veranlasste ihn, sie anzusehen.

Er war unverschämt groß und breitschultrig, viel zu dominant und sexy! Ihre Kehle fühlte sich plötzlich wie zugeschnürt an.

Leise, sodass der Fahrer es nicht hören konnte, fragte er: „Sollte ich jetzt beeindruckt sein?“

Es hatte keinen Sinn, wie ihr bewusst wurde. Sein abfälliger Blick verletzte sie. Natürlich wollte sie Kane nicht beeindrucken, und was sie gesagt hatte, stimmte auch nicht. Doch sie erwiderte nichts, da er sowieso bereit war, von ihr das Schlimmste anzunehmen.

„Scher dich zum Teufel!“, flüsterte sie und wandte sich ab.

Nachdem Kane das Taxi bezahlt hatte, ging Shannon schweigend neben ihm den Kai entlang.

„Welches ist deins?“, fragte sie ironisch und betrachtete provozierend eine Reihe primitiver Fischerboote inmitten von Kleinmastseglern und kompakten Kabinenkreuzern, die zwar schnell waren, doch wenig Luxus boten.

Inzwischen war sie hinter Kane zurückgeblieben, weil es ihr zunehmend schwerer fiel, mit ihm Schritt zu halten.

Vor einem kleineren Kreuzer blieb er stehen, um auf sie zu warten. Etwas dahinter erhob sich eine schnittige, mindestens siebzehn Meter lange Hochseejacht, die vom Reichtum ihres Besitzers sprach und Shannons Blick auf sich zog.

Die würde besser zu dir passen, mein lieber Kane, dachte sie. So etwas wäre eher dein Stil: Schnell. Stark. Teuer.

„Geht es dir gut?“

Forschend betrachtete er sie, während sie näher kam, und ihr war bewusst, dass er die Schweißperlchen auf ihrer Stirn bemerken musste … und wie mühsam und flach sie atmete.

„Bestens.“ Das war glatt gelogen. Sie fühlte sich erschöpft.

„Schmerzt die Beule noch?“

„Nein. Es ist nichts weiter.“ Shannon ging an ihm vorbei, um sich seinem Blick zu entziehen.

„Mir machst du nichts vor!“, widersprach er rau, hob sie mühelos hoch und trug sie auf die glänzende Jacht.

2. KAPITEL

„Du hättest mich nicht zu tragen brauchen“, brachte Shannon matt hervor, nachdem Kane sie kurzerhand über die eingelegten Teakstufen zum überdachten Achterdeck gebracht und vor einer gläsernen Doppeltür abgesetzt hatte. „Ich hätte selbst gehen können.“

„So?“ Auf Knopfdruck glitten die Türen zu einem Innenraum auf, der jeden Luxus bot: cremefarbene Sitzgelegenheiten, poliertes Ahornholz, flauschiger Teppichboden, geschmackvoll darauf abgestimmte Wildlederdecke. „Du bist benommen gewesen und hast ausgesehen, als würdest du jeden Moment in Ohnmacht fallen, Shannon.“ Kane führte sie wenige Stufen hinunter in den tiefer liegenden Salon, der vom Kai her nicht einsehbar war. „Und du hast Ringe unter den Augen, bist außerdem erschreckend blass und viel zu dünn. Richtig krank siehst du aus.“

Shannon schnitt ein Gesicht. „Danke für das Kompliment.“

Über weitere teppichbelegte Stufen nach oben betraten sie eine supermoderne Küche.

Draußen erfüllte Sirenengeheul die Stadt, heranbrausende Polizeifahrzeuge versuchten offenbar, des Tumults Herr zu werden.

„Setz dich, Shannon“, wies Kane sie ruhig an.

Dankbar ließ sie sich auf die cremefarbene halbrunde Polsterbank sinken und legte die Arme auf den ovalen Tisch.

„Ich meine es ernst, Shannon. Du siehst schrecklich aus“, wiederholte er und warf ihre Umhängetasche auf den Tisch. „Was hast du in letzter Zeit gemacht? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Zweieinhalb Jahre?“ Vorwurfsvoll betrachtete er sie. „Hast du das süße Leben wieder mal bis zur bitteren Neige ausgekostet, wie so oft?“

Sie verfolgte, wie Kane an der Marmoranrichte hantierte, etwas aus dem Küchenschrank nahm und einen blitzenden Chromhahn über der Spüle aufdrehte.

„Warum fragst du, wenn du es sowieso weißt?“, erwiderte sie forsch. „Ich glaube, man nennt es ‚die Kerze an beiden Enden anzünden‘, Kane, aber das tust du ja nie. Oder bist du so groß und stark, dass das süße Leben dir nichts anhaben kann?“ Sie betrachtete seine durchtrainierten breiten Schultern, und das Pochen in ihrer Schläfe wurde stärker.

Er kam zu ihr zurück. „Sehen wir uns die Verletzung mal an“, sagte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

Erstaunlich sanft hob er ihr Kinn an und begutachtete die Verletzung.

„Ein blauer Fleck wird dir wohl kaum erspart bleiben.“ Unwillkürlich atmete Shannon tief ein, als er geschickt eine kühle Kompresse auf die wunde Stelle legte.

„Tut’s weh?“

„Nein“, log sie. Er sollte sie nicht für wehleidig halten. Doch es war nicht nur das. Seine Nähe, die beunruhigende Intimität seiner Berührungen ließ ihr Herz rasen. Starr blickte sie auf Kanes dünnes Hemd unter dem offenen Jackett und das dunkle Brusthaar, das sich darunter abzeichnete.

„Gehört das Ding hier wirklich dir?“, fragte sie unsicher, als er die Beule behutsam betupfte. Dann musste er sich enorm verbessert haben, nachdem er Bouvier verlassen hatte.

„Wäre ich für dich interessanter, wenn es so wäre?“

Hitze durchflutete sie. Sie konnte kaum atmen, obwohl sie spürte, dass er sich über sie lustig machte. Er hatte die Achtung vor ihr verloren, sie längst verurteilt, wie alle anderen.

„Du könntest mich nicht reizen, Kane, und wenn du mit zwanzig Jachten aufwarten würdest“, erwiderte sie kalt lächelnd, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Ach ja, gibt’s hier in den Kabinen nicht irgendwo eine Ehefrau?“ Sie deutete auf die Stufen, die offensichtlich zu den Schlafräumen hinunterführten, und versuchte, sich zu erinnern, ob er irgendwann eine ernsthafte Beziehung gehabt hatte.

„Keine Ehefrau“, sagte er nur.

Shannon fühlte sich schwach vor Erleichterung. „Und warum nicht?“, fragte sie kühn. „Du wirst schließlich nicht jünger.“ Wie alt mochte er jetzt sein? Dreiunddreißig? Vierunddreißig?

„Halt still“, murmelte er, ohne auf die Herausforderung einzugehen, und Shannon kam sich kindisch vor. Es hatte ihr immer besonders imponiert, dass Kane so reif und überlegen war.

Also schwieg sie und ließ den Blick über seine schmale Taille schweifen … und tiefer. Meine Güte! Lieber nicht hinsehen! Sie schloss die Augen und bemerkte nun, wie schwer und flach Kane atmete, als wäre es ihm doch nicht so leicht gefallen, sie zu tragen.

„Hier. Halt das mal.“ Unvermittelt drückte er ihr die kalte Kompresse in die Hand und ging zur Anrichte.

Kane war froh, mit Tassen und dem Wasserkessel hantieren zu können. Shannon Bouvier zu berühren war etwas, das ihm – wie wohl jedem Mann – zu schaffen machte. Auch jetzt hatte sie eine verheerende Wirkung auf ihn, brachte seine Sinne in Aufruhr. Gegen seinen Willen reagierte sein Körper stark auf sie. Hoffentlich löste die Demonstration in der Stadt sich bald auf, sodass er Shannon nach Hause bringen konnte. Nervös schlug er die Schranktür zu und gab Tee in die Kanne.

Wieso widerstrebte es ihm, Shannon gehen zu lassen? Schlecht sah sie aus, so zerbrechlich, dennoch konnte er sich ihrer erotischen Ausstrahlung selbst jetzt nicht entziehen. Was er für sie empfand, war sehr viel mehr als männlicher Beschützerinstinkt. Er begehrte diese gefährlich schöne Frau, wollte sie besitzen. Aber es wäre katastrophal, ihr zu verfallen. Jetzt war sie kein täuschend unschuldiges Mädchen mehr, sondern eine voll erblühte, sinnliche Frau. Doch sie war krank, das war nicht zu übersehen, und er sorgte sich um sie, weil sie in der Fremde allein war. Falls sie allein lebte.

Verflixt! Warum hatte er sich überhaupt mit ihr eingelassen? Grimmig presste Kane die Lippen zusammen und schaltete den Kessel aus, um den Tee aufzubrühen. So viel schuldete er Ranulph Bouvier auch wieder nicht. Er war nicht für sie verantwortlich. Am besten, er setzte sie einfach in ein Taxi, das sie nach Hause brachte. Schließlich war sie volljährig und konnte selbst über ihr Leben bestimmen. Es ging ihn nichts an, wenn sie es verpfuschte. Wieso verspürte er dennoch diesen idiotischen Drang, sie zu beschützen?

„Gibt’s hier auch eine Waschgelegenheit?“

„Sicher.“ Er hörte, dass sie aufstand, und drehte sich um. Wie schwach und erschöpft sie aussah … wie in Trance, am Ende ihrer Kräfte.

„Geht’s dir auch gut?“ Besorgt kam Kane um die Anrichte herum und bemerkte sofort die Schweißtröpfchen auf Shannons Stirn.

„Ja“, versicherte sie matt, seltsam schleppend.

Und plötzlich packte ihn die Angst. Wie sie aussah, so abgemagert … Meine Güte, warum hatte er an diese Möglichkeit nicht gedacht?

Er wollte nach der schäbigen Leinentasche greifen, aber Shannon kam ihm zuvor. „Nein!“

Blitzschnell packte er ihre Handgelenke und drehte ihre Arme so, dass er sie auf Einstichstellen überprüfen konnte.

„Was suchst du?“ Schockiert sah Shannon ihn an und riss sich los. „Rauschgift?“

Kurzerhand öffnete er ihre Umhängetasche und schüttete den Inhalt auf die polierte Tischplatte.

„Was fällt dir ein?“, rief Shannon empört.

Zielstrebig begutachtete Kane ihre Sachen und hasste sich dafür, doch er musste es tun. Aus Sorge um sie. Für ihren Vater. Für sich …

Lippenstift. Kamm, Geldbörse. Ausweispapiere, eine Packung Aspirin … eine Flasche mit Tabletten …

Kane nahm sie in die Hand, um das Etikett zu studieren, doch Shannon entriss sie ihm.

„Verdauungsprobleme. Klar? Deshalb bin ich hier und nicht in Peru!“

Erstaunt kniff er die Augen zusammen. Das Mädchen war eine richtige Weltenbummlerin! „Peru?“

Sie zuckte die Schultern. „Rio. Peru. Was interessiert es dich? Dir kann es egal sein, wo ich war oder was ich vorhabe. Du sorgst dich doch nur, was ich auf dein kostbares Boot einschleppen könnte.“

So war es nicht, aber das konnte er ihr nicht sagen.

„Na gut, ich habe mich geirrt.“ Er wollte die Sachen wieder in die Tasche packen, doch Shannon entriss sie ihm.

„Du hast dich gewaltig geirrt und könntest dich wenigstens entschuldigen!“ Zornig begann sie, ihre Sachen zu verstauen. „Du und viele andere, ihr mögt nicht viel von mir halten, aber das ist mir egal!“ Sie atmete viel zu schnell. „Bei verheirateten Männern und Drogen hört es bei mir auf! Ich will meinen Körper nicht zerstören.“

Unwillkürlich ließ Kane den Blick über ihre schlanke Gestalt schweifen: über die schmale Taille, den flachen Bauch, die sanft gerundeten Hüften. Er sehnte sich danach, Shannon in die Arme zu nehmen, wie auf der Las Ramblas, doch diesmal nicht, um sie zu beschützen, sondern um ihre Wärme zu spüren, ihre samtig zarte Haut …

Zum Teufel mit ihr! Er reagierte wie ein verknallter Teenager. Entschlossen unterdrückte er die Empfindungen, nahm den Pass auf, der immer noch auf dem Tisch lag, und reichte ihn ihr.

„Schleppst du den ständig mit dir herum?“

Shannon riss den Ausweis an sich und schob ihn ebenfalls in die Leinentasche. „Bei mir wurde zweimal eingebrochen, während ich …“ Sie verstummte und sah Kane unschlüssig an. „Jedenfalls trage ich ihn seitdem stets bei mir. Wer ihn haben will, muss es mit mir aufnehmen“, setzte sie bedeutsam hinzu.

Kane musterte sie. „Klar. Du bist ja auch stark genug, um mit jedem fertig zu werden“, bemerkte er trocken.

Ihr Lächeln hätte jeden Mann verzaubert, doch er ließ sich nicht täuschen. „Es wird dir guttun, wenn du dich eine Weile hinlegst“, schlug er vor und führte sie nach unten in eine luxuriös eingerichtete Kabine im Bug mit hellen Möbeln und einem großen Bett. „Du siehst aus, als könnte etwas Ruhe dir nicht schaden. Dort drüben ist die Dusche.“ Er deutete auf eine Glastür. „Wenn du dich frisch gemacht hast, bringe ich dir Tee.“

„Danke.“

In der abgewetzten Cargohose und dem nabelfreien Oberteil mit dem idiotischen Slogan sieht sie wie eine Obdachlose aus, dachte Kane grimmig, und so ganz und gar nicht wie die Erbin eines Multimillionenpfund-Konzerns.

Und plötzlich übermannte ihn die Neugier. „Bei verheirateten Männern hört es bei dir auf, hast du gesagt?“

Argwöhnisch sah sie ihn an, und er bereute es, sie daran erinnert zu haben. Warum hatte er es getan? Um nicht zu vergessen, wie gefährlich sie war?

Sie zuckte die Schultern. „Ein gebranntes Kind …“

Nun ritt ihn der Teufel. „Hast du mich deshalb gefragt, ob ich verheiratet bin?“

Rasch zog Kane die Kabinentür hinter sich zu, und Shannon hätte ihm am liebsten etwas nachgeworfen. Sie hatte ihn also falsch eingeschätzt.

Für ihn war sie auch jetzt noch die „superreiche Göre“, wie die englische Boulevardpresse sie getauft hatte. Der Gedanke an ihren Ruf, vor dem sie aus England geflohen war, tat immer noch weh. Am meisten schmerzte sie, dass Kane so eine schlechte Meinung von ihr hatte.

Shannon warf die Umhängetasche auf die helle Bettdecke und schob die Badezimmertür auf. Hier war alles in einem zarten Austernton gehalten: Duschkabine, Waschbecken, die glänzenden Marmorablagen. Sie lächelte anerkennend. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie solchen Luxus genossen hatte. Auf der Flucht in die Freiheit hatte sie all das hinter sich gelassen.

Nichts deutete darauf hin, dass Kane das Bad auch benutzte. Dankbar, seiner beunruhigenden Nähe für einige Augenblicke entronnen zu sein, wusch Shannon sich das Gesicht und sah zu, wie das Wasser ablief. Könnte sie ihre Erinnerungen doch auch so leicht fortschwemmen!

Neun Jahre war sie gewesen, als ihre Mutter bei einem Reitunfall ums Leben kam. Seitdem hatte Ranulph Bouvier nicht gewusst, wie er seine rasch heranwachsende, abenteuerlustige Tochter bändigen sollte. Sie hatte ein teures Internat nach dem anderen besucht, die Ferien im Ausland mit bezahlten Angestellten verbracht, während sie sich nach der Liebe und Zuwendung ihres Vaters sehnte. Doch er war stets beschäftigt gewesen, hatte keine Zeit für sie gehabt. Dafür hatte er sie maßlos verwöhnt mit schnellen Wagen, Schmuck, Kleidern, Reisen, obwohl sie sich nur eins gewünscht hatte: eine liebevolle, innige Beziehung zu ihrem Vater. Sie hatte von ihm ernst genommen werden, über ihre Träume und Ziele sprechen wollen, aber Ranulph Bouvier war kein Mann, der jemandem zuhörte.

Er hatte nicht begriffen, dass sie etwas Sinnvolleres tun wollte, als, wie ihre Mutter, einen in der Gesellschaft angesehenen Mann zu heiraten. Vielleicht hatte sie deshalb so hartnäckig rebelliert: sich nächtelang auf Partys herumgetrieben in fragwürdiger Gesellschaft. All das hatte ihr die Liebe, die Aufmerksamkeit ersetzen sollen, nach der sie hungerte. Doch die Erfüllung war stets nur kurzlebig gewesen, wie auch ihre Beziehungen zu Männern. Und je öfter sie enttäuscht worden war, umso heftiger hatte ihr Vater ihr vorgeworfen, flatterhaft und zügellos zu sein. „Merkst du nicht, dass du dich schauderhaft danebenbenimmst?“, hatte er ihr wiederholt vorgehalten. Aber was konnte sie dafür, wenn die Männer, die sie interessierten, nur hinter ihrem Geld her waren? Alle außer Kane Falconer.

Shannon hängte das Handtuch wieder auf den blitzenden Halter und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Das große Bett mit den dicken Kissen lockte, die Sichtblende am Bullauge war zum Schutz gegen die heiße Sonne heruntergezogen.

Vielleicht sollte sie Kanes Rat befolgen und sich eine Weile hinlegen. Es würde länger dauern, bis der Aufruhr in der Stadt sich legte, und es wäre unsinnig, nach Hause zu wollen, ehe die Lage sich beruhigt hatte.

Erschöpft streckte Shannon sich auf dem luxuriösen Bett aus und versuchte, sich nicht damit zu beschäftigen, wo Kane schlafen würde. Dennoch drängte er sich unwillkürlich in ihre Gedanken, wie stets, seit sie siebzehn war.

Schon bei der ersten Begegnung hatte sie sich auf Anhieb in ihn verliebt. Sie war in das moderne Bouvier-Gebäude gekommen, und Kane hatte am Schreibtisch ihres Vaters gesessen, als gehörte er dorthin. Nie würde sie diesen Augenblick vergessen …

Ein Weilchen blickte Kane nicht auf, und Shannon blieb Zeit, seine blendende Erscheinung zu betrachten, die markanten Züge, das gepflegte dunkle Haar, die breiten Schultern, den eleganten Anzug. Schließlich bewegte Shannon sich gereizt. Warum nahm er keine Notiz von ihr? Allen fiel sie auf. Sie trug einen schwarzen Seidenhosenanzug, ihr Haar war raffiniert hochgesteckt, und natürlich wusste sie, wie sexy sie in der tief ausgeschnittenen Jacke und der engen Hose wirkte.

Endlich blickte Kane sie an, als hätte er ihre Anwesenheit eben erst bemerkt. Doch diesem Mann entging nichts, das wusste Shannon, schon gar nicht sie, die mit ihrer Größe und den zehn Zentimeter hohen Absätzen kaum zu übersehen war.

Höflich erhob er sich und reichte ihr die Hand. „Kane Falconer.“ Seine Stimme klang dunkel und sinnlich. Shannons Gereiztheit war wie weggeblasen, und als er sie anlächelte, schmolz sie förmlich dahin. „Ich bin das neue Vorstandsmitglied von Bouvier.“ Er drückte ihr die Hand. Seine Finger fühlten sich warm und fest an. Die Berührung verwirrte sie so, dass sie vergaß, sich vorzustellen. Unsicher fragte sie: „W-o ist mein Vater?“

„Ihr …“ Erst jetzt schien ihm aufzugehen, wer sie war, und er betrachtete sie genauer. Seine Augen, umrahmt von dichten, langen Wimpern, erinnerten sie an einen kühlen Bergsee. „Sie sind also Jezabel“, benutzte er amüsiert den Spitznamen, den die Medien ihr gegeben hatten.

Wenn sie nicht so durcheinander gewesen wäre, hätte sie gelacht, doch sie war diesem Mann bereits verfallen und ertrug die unerwartete Kritik nicht.

Gespielt gleichmütig erwiderte sie: „Die Prinzessin, die sich schamlos über alle Regeln hinwegsetzte, indem sie auf dem Ball in Rot erschien, als alle anderen Damen Weiß trugen.“ Das hatte sie einmal in einem alten Hollywoodfilm gesehen. Als der Mann am Schreibtisch nur nickte, fuhr sie gezwungen lachend fort: „Vielleicht hätten sie mich Danielle taufen sollen, weil ich es gewagt habe, mich gegen alle zu stellen.“

„Daniel war ein Mann“, berichtigte Kane Falconer sie und gab ihre Hand endlich frei. „Und er hat sich den Löwen gestellt, was einer klatschgierigen Reportermeute sicher vorzuziehen war. Aber Sie sind noch ein Mädchen.“ Das mochte er glauben, doch als er den Blick kühl über ihren Hals, den tiefen Ausschnitt ihrer Jacke schweifen ließ, wurde sie erwachsen, wusste, dass sie ihren Meister, den Mann ihres Lebens, gefunden hatte. „Tut es weh?“, fragte er. „Stört es Sie, was über Sie gedruckt wird?“

Natürlich störte es sie, aber wenn das bekannt wurde, hatten die Presseleute gewonnen und sie wirklich vernichtet. Gleichgültig zuckte Shannon die Schultern und gewährte Kane Falconer dabei mehr Einblick in ihren Ausschnitt, als sie beabsichtigt hatte. „Was? Dass ich auf keiner wilden Party fehle und meine Freunde öfter wechsle als die Unterwäsche?“ Wieso zitierte sie diese üblen Verleumdungen, obwohl sie völlig aus der Luft gegriffen waren? Noch nie war ihr ein Mann begegnet, auf den sie sofort einen guten Eindruck machen wollte. Gelassen setzte sie hinzu: „Warum sollte mich das stören?“

„Es tut Ihrem Vater weh.“ Kane wippte auf den Absätzen und musterte Shannon erneut. „Aber vielleicht beabsichtigen Sie ja genau das.“

Das saß. Für wen hielt dieser Mann sich eigentlich? Was fiel ihm ein, so mit ihr zu reden, obwohl er sie gar nicht kannte und von ihrer unglücklichen Beziehung zu ihrem Vater nichts wissen konnte?

„Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind oder was Sie hier tun, Mr. Falconer, aber mein Privatleben und unsere Familienangelegenheiten gehen Sie nichts an. Falls Sie es für Ihre Pflicht halten, mich an die Hand zu nehmen und auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, kann ich Sie nur warnen: Sie würden glatt Ihre Zeit verschwenden!“

Er hantierte mit Unterlagen auf dem Schreibtisch herum und blickte auf. Ihr Ausbruch schien ihn nicht zu berühren.

„Ich habe nicht die Absicht, Sie irgendwohin zu führen, Shannon.“ Zum ersten Mal nannte er sie beim Namen, und die Art, wie er ihn aussprach, jagte ihr Schauer über den Rücken. „Die Herausforderung würde mich zwar reizen, aber es wäre nicht nach meinem Geschmack, meinen Namen in der Regenbogenpresse wiederzufinden.“

Hoch erhobenen Hauptes, ohne ihn eines weiteren Wortes zu würdigen, verließ Shannon daraufhin das Büro. Sie war den Tränen nah und hatte vergessen, warum sie in die Firma gekommen war.

Danach versuchte sie, Kane Falconer aus dem Weg zu gehen, doch das erwies sich als unmöglich. Ranulph Bouvier war begeistert von ihm und lud ihn oft zum Abendessen nach Hause ein. Gelegentlich kam Shannon nicht darum herum, mit ihm zu reden, wenn er ihren Vater zu Hause anrief, und jedes Mal fieberte sie vor Aufregung, wenn sie nur seine Stimme hörte. Natürlich erschien Kane Falconer auch bei allen Firmenveranstaltungen, an denen sie auf Drängen ihres Vaters teilnahm.

„Wie alt sind Sie, Kane?“, fragte sie ihn eines Abends mutig, nachdem er sie zum Tanzen aufgefordert hatte.

„Zu alt für Sie“, erwiderte er trocken.

Inzwischen war sie neunzehn und zu einer atemberaubenden Schönheit erblüht. Sie studierte an der Universität, hatte den Flugschein gemacht, engagierte sich bei Hilfsaktionen und war sehr viel selbstbewusster geworden. Lachend blickte sie ihm ins Gesicht und versprühte ihren weiblichen Charme. „Und wieso glauben Sie, dieser einfachen Frage entnehmen zu können, dass ich Sie begehre?“, erwiderte sie übertrieben liebenswürdig.

Ihre Kühnheit überraschte ihn, doch er lachte nur leise und zog sie schockierend eng an sich. „Weil ich vermutlich der einzige Mann in London bin, der nicht die Absicht hat, mit Ihnen ins Bett zu gehen.“ Er strahlte sie an, doch in seinen Augen lag ein ironischer Ausdruck. „Und ich vermute, am meisten reizt Sie, was Sie nicht haben können.“

Obwohl sie schallend lachte, war sie niedergeschlagen. Es wäre also Zeitverschwendung, sich ins Zeug zu legen, um Kane Falconer dazu zu bringen, sie zu mögen … zu begehren. Er war zu erfahren, zu geschickt. Mit ihrem Teenagercharme würde sie bei ihm nur eine traurige Niederlage nach der anderen einstecken.

Als sie mit Jason Markham auszugehen begann und er sie für den Sommer auf seine Berghütte in Schottland einlud, nahm sie die Einladung an, um ihrem despotischen Vater und ihren starken Gefühlen für Kane zu entfliehen.

Ihre Beziehung zu Jason verlief wenig dramatisch. Was sie für ihn empfand, war lediglich Freundschaft, etwas, das ihr bisher gefehlt hatte. Die meisten Mädchen sahen in ihr höchstens eine Rivalin, während die Männer sich gern mit ihr schmückten.

Jason jedoch interessierte sich für sie als Mensch, er hörte ihr zu, schien ähnliche Träume wie sie zu haben. Und obwohl die Beziehung sehr viel weniger leidenschaftlich verlief, als er sich wohl erhofft hatte, bedrängte er sie nicht, zeigte sich geduldig, war bereit zu warten. Bei ihm fühlte sie sich einfach nur wohl, und das war gut so. Jason Markham, aufsteigender Rennfahrer und Sohn eines prominenten Kabinettmitglieds, war greifbar, er war da. Seiner konnte sie sich sicher sein.

Der Selbstmordversuch seiner Frau war ein gefundenes Fressen für die Sensationspresse, die Shannon in den Schlagzeilen als Ehebrecherin anprangerte, während Markham als armes Opfer dastand.

Verstört und entsetzt, weil Jason ihr verschwiegen hatte, dass er verheiratet war, kehrte Shannon nach London zurück, wo sie mit Fragen überschüttet wurde, die zu beantworten sie sich weigerte. Hinzu kamen die Wutausbrüche ihres Vaters, der sich mit Kane Falconer zerstritten hatte, worauf dieser seinen Posten hinwarf und die Firma verließ.

Shannon wusste, dass Konkurrenzfirmen mehr als einmal versucht hatten, Kane abzuwerben, und dass es schwierig war, für Ranulph Bouvier zu arbeiten. Doch nachdem sie sich von dem Mann verraten fühlte, den sie zu lieben geglaubt hatte, traf Kanes Ausscheiden sie umso tiefer.

Sie war allein zu Haus, als er an einem Wochenende vorbeikam, um persönliche Unterlagen abzuholen.

Nachdem sie sich darüber beschwert hatte, durch den Skandal in jedermanns Schusslinie geraten zu sein, und ihm dann vorhielt, die Firma Bouvier verlassen zu haben, fuhr Kane sie an: „Du wagst es, mich zu kritisieren, Shannon?“, ging er sofort zum Du über. „Ausgerechnet du, ein sensationslüsternes Partymädchen, das für einen Nervenkitzel vor nichts Halt macht?“ Damals hatte sie noch nicht gewusst, dass Kane mit Jennifer Markhams Familie befreundet und deshalb so außer sich war. „Ich kann nur hoffen, du findest, was du suchst“, setzte er schneidend hinzu und ging zur Tür.

Betroffen und unglücklich über seine schlechte Meinung von ihr, rief sie ihm nach: „Bei unserer ersten Begegnung hast du mich Jezabel genannt! Na gut, ich bin Jezabel. Und du bist ein Judas, der zur Gegenseite übergelaufen ist!“

Aus Wut und Enttäuschung war ihr das herausgerutscht. Wie sie ihn beneidete! Kane konnte sich gegen ihren Vater durchsetzen und einfach davongehen. Er war kein Jasager und ließ sich von niemandem herumkommandieren.

Ohne zu antworten, schlug er die Tür hinter sich zu und verließ das Haus …

Seitdem hatte Shannon ihn nicht wiedergesehen. Bis heute. Gerüchteweise hatte sie erfahren, er wäre sofort in eine andere Firma eingetreten. Ihr Vater hatte getobt und geschworen, dafür zu sorgen, dass Kane diesen Schritt bitter bereue. Seiner Jacht nach zu schließen, war dies jedoch nicht der Fall. Offenbar hatte er einen anderen einträglichen Posten übernommen und sich auch dort an die Spitze emporgearbeitet.

Das Dümpeln des Schiffs entspannte Shannon, und sie begann zu gähnen …

Die goldenen Strahlen der Abendsonne fielen schräg aufs Wasser und das Achterdeck. Kane atmete tief ein und genoss die kühle Meeresbrise.

Der Verkehr am Hafen kam wieder in Gang. Motoren dröhnten, die ersten Lichter in Bars und Cafés flammten auf. Kane dachte an jenen Tag vor fast einem Jahr, als er Ranulph Bouviers Hilferuf erhalten hatte.

Der Skandal hatte Shannons Vater schwer mitgenommen. Er war ein gebrochener Mann. Dabei ist er mit schuld, dass alles so gekommen ist, dachte Kane. Doch er hatte es nicht über sich gebracht, dem Schwerkranken Vorhaltungen zu machen, der Hilfe und Rat brauchte. Seine einstige Firma lag Kane zu sehr am Herzen, um sich Ranulph Bouviers Hilferuf zu verweigern.

Der Mann arbeitete zu viel. Die Ärzte hatten ihm dringend geraten, die Dinge leichter angehen zu lassen. Doch nicht nur die Sorge um die Firma zermürbte ihn. Er sehnte sich verzweifelt nach seiner Tochter.

Selbst jetzt noch meinte Kane ihn flehen zu hören: „Finden Sie meine Tochter. Ich bitte Sie, finden Sie sie, und …“

Das Flehen seines einstigen Chefs ging Kane zu Herzen. Der Mann war ein Tyrann, ein Despot, doch wenn man mit ihm umzugehen verstand, war er wie ein zahnloser Tiger … laut, aber harmlos. Und er wollte seine Tochter zurückhaben.

Gereizt seufzte Kane. Na und? Das ging ihn nichts an. Außerdem wusste er nicht viel über die Beziehung zwischen Vater und Tochter. Natürlich hatte er sich verschiedentlich bemüht, sie zu finden, auch aus persönlichen Gründen. Doch es war ein schwieriges Jahr gewesen. Er hatte nur wenig Zeit gehabt, durchgebrannten Erbinnen nachzujagen, sodass seine Suche erfolglos geblieben war. Bis heute.

Jetzt hatte er Shannon gefunden … aber sie sah krank aus. Wenn er wenigstens vernünftig mit ihr sprechen und sie überreden könnte, nach Hause zurückzukehren, ehe sie völlig zusammenbrach. Wie sollte er das jedoch in wenigen Stunden schaffen? Ungeduldig presste er die Lippen zusammen. Ihm blieb einfach nicht genug Zeit.

Sein Blick fiel auf das imposante Kolumbusdenkmal über dem Hafen, und zum ersten Mal fiel Kane auf, dass der große Entdecker nicht westlich in Richtung Amerika, sondern nach Osten auf das endlose, glitzernde Mittelmeer deutete. Ein Gedanke begann Form anzunehmen.

Wenn du das tust, wird sie dich hassen, Falconer, sagte er sich und überquerte entschlossen das Deck. Aber kommt Zeit, kommt Rat.

3. KAPITEL

Das Dröhnen des Hubschraubers wurde lauter. Lachend und winkend riefen die Kinder ihr etwas zu, während die Rotorblätter sich durch Staub und Hitze fraßen und schwirrend näher kamen. Jetzt konnte sie die Gesichter der Kleinen schon fast erkennen. Sie lachten nicht mehr, blickten ängstlich drein, einige weinten und andere schrien … Verzweifelt schlug sie um sich, der Lärm kam nicht mehr vom Hubschrauber, sondern von einem Riesenschwarm angreifender Insekten …

„Nein!“ Shannon fuhr auf, und ihr Herz raste. Sie schlug die Hände vors Gesicht und rang nach Luft. Es ist nur ein Traum, dachte sie, blickte sich um und versuchte, wieder normal zu atmen. Sie war eingeschlafen und befand sich in einer Kabine von Kanes Jacht. Die hellen Möbel um sie her bestätigten es, und die Geräusche stammten von …

Schockiert richtete sie sich in dem luxuriösen Bett auf und lauschte. Motoren? Ohne eine Sekunde zu verlieren, tastete sie mit den Füßen nach den flachen Schuhen, die sie abgestreift hatte – wie lange mochte das her sein? –, stürzte zum Bullauge und spähte durch die Ritzen der Sichtblende und sah – wie Barcelona in der Ferne verschwand!

Noch halb schlaftrunken stolperte Shannon zur Kabinentür.

Kane saß nicht am unteren Steuer, als sie an Deck kam. Die Plätze hinter der Kombüse waren verlassen, also musste er auf dem Oberdeck sein.

Entschlossen kletterte Shannon die steilen Stufen zur Schiffsbrücke hinauf. Tatsächlich entdeckte sie ihn vor der Instrumententafel. Er trug jetzt ein schwarzes T-Shirt und Jeans, und Shannon entging nicht, wie männlich er wirkte und wie breit und kraftvoll seine Schultern waren.

Übers offene Deck eilte sie zu ihm. „Wohin fahren wir?“

Überrascht blickte Kane auf. Sie sah ihn herausfordernd an, während ihr Haar in der leichten Brise wehte.

„Endlich bist du wach. Wie fühlst du dich?“

Idiotische Frage! Shannon betrachtete sein Haar, in das die untergehende Sonne rötliche Lichter zauberte. „Ich habe gefragt, wohin wir fahren!“, beharrte sie.

Er überprüfte etwas an der Instrumententafel und blickte nicht auf. „Du kannst es dir leisten, die Zeit totzuschlagen, während ich Termine einhalten muss.“

„Termine? Was für Termine?“, fragte sie beunruhigt. Sie machten flotte Fahrt und schossen mit jeder Sekunde weiter aufs offene Wasser hinaus. „Wohin bringst du mich?“ Sie drehte sich zur Sonne um, die das schäumende Kielwasser feurig aufblitzen ließ.

„Ich muss das Ding hier bis zum Wochenende in Cannes abliefern und habe schon genug kostbare Zeit verloren“, erklärte Kane gelassen. „Du wirst mich also begleiten müssen, bis ich es übergebe.“

„Cannes. Cannes!“, wiederholte sie entsetzt. Unmöglich! Kane scherzte. „Das liegt ja in Frankreich!“

Spöttisch lächelnd hielt er weiter Kurs aufs Meer hinaus. „Note eins in Geografie, Shannon! Schön zu wissen, dass du auf den teuren Internaten etwas gelernt hast.“

Wütend blickte sie ihn an. „Kehr sofort um!“ Als er nicht reagierte, forderte sie ihn lauter auf: „Kehr auf der Stelle um!“

„Tut mir leid, Shannon, aber das geht nicht“, erwiderte er ruhig. „Wie gesagt, ich bin sowieso schon spät dran. Jemand von der Mannschaft ist ausgefallen, und du hast doch selbst gesagt, dass du nichts Besonderes vorhast.“

„Du hast mich entführt und besitzt obendrein die Frechheit, mir einen Mannschaftsjob andienen zu wollen?“, empörte sie sich.

„Aber du hast doch zugegeben, das Aufregende zu suchen.“

„Ich …“ Hatte sie das wirklich gesagt?

„Und ich weiß auch, dass du früher oft mit der Jacht hinausgefahren bist.“

Ja, das stimmte. Ab und zu war sogar ihr Vater mitgekommen. Sie musste daran denken, wie aufgeregt – und tollpatschig sie in seiner Gegenwart gewesen war.

„Du hast mich also entführt, damit ich für jemanden von der Mannschaft einspringe!“ Furcht packte sie … und Wut, weil Kane sie ausgetrickst hatte. „Wenn du nicht auf der Stelle umkehrst, schwimme ich zurück, das schwöre ich dir!“

„Mach dich nicht lächerlich!“

„Wart’s nur ab!“ Shannon stürmte davon, entschlossen, ihre Drohung wahr zu machen, dabei stieß sie sich die Hüfte an einem Grillgerät und ihr entging, dass Kane die Geschwindigkeit drosselte.

„Mach keinen Unsinn, Shannon!“ Er war zu schnell für sie, sie schaffte es nur bis zur Treppe. Als er sie bei der Taille zu fassen bekam, schrie sie auf.

„Lass mich los!“ Zornig wand sie sich in seinen Armen und trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. „Lass mich sofort los, du Grobian!“

„Meine Güte, Shannon, so beruhige dich doch! Glaubst du wirklich, ich nehme dich gern mit? Meine Besprechung hat erst am Nachmittag angefangen, sodass ich allein dadurch kostbare Zeit verloren habe. Und in deiner Verfassung hätte ich dich ja schlecht mitten in dem Aufstand zurücklassen können. Danach hast du so friedlich geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte.“

Sie fühlte sich benommen und schwach, doch das lag an Kanes Nähe. Wütend befreite sie sich aus seinem Griff. „Ach so ist das? Du hast mir also einen Gefallen getan?“

„Das hoffe ich.“

Die Abendsonne blendete Shannon, und sie blinzelte, um Kane besser sehen zu können. „Was soll das nun wieder heißen?“

„Es wird dir guttun, wenn ich mich einige Tage um dich kümmere. Vielleicht bringe ich dich dazu einzusehen, dass du dir selbst schadest, indem du dich weigerst, den Tatsachen ins Auge zu sehen und nach Hause zurückzukehren.“

Sie funkelte ihn mit ihren blauen Augen aufgebracht an. „Was meinst du mit ‚Tatsachen‘? Was für Tatsachen?“

„Eine Firma, die voraussichtlich eines Tages dir gehören wird, ob es dir gefällt oder nicht. Einen Vater, der nicht jünger wird.“

Ihr schoss das Blut in die Wangen, und plötzlich verspürte sie Gewissensbisse. „Du hast behauptet, ihn nicht mehr gesehen zu haben.“

„Habe ich auch nicht.“

Sie versuchte, sich zu erinnern, was Kane ihr auf der Straße erzählt hatte.

„Was ist mit ihm? Es geht ihm doch gut, oder?“, flüsterte sie ängstlich.

„Sorgst du dich wirklich um ihn, Shannon?“

„Was denkst du denn?“ Kanes zweifelnder Ausdruck nervte sie. Ranulph Bouvier mochte sie nicht gerade mit Liebe und Zuwendung überschüttet haben, aber er war ihr Vater.

„Ich denke, es wird Zeit, dass du vom Spaßkarussell deiner Freunde abspringst und dir überlegst, ob dein Vater dich nicht vielleicht braucht. Bedenke, dass er in manchen Dingen sogar recht gehabt haben mag, und hör auf, so hochnäsig zu sein und gegen alles zu rebellieren, was er verkörpert.“

„Man kann mir manches vorwerfen, Kane, aber hochnäsig bin ich nun wirklich nicht. Wenn ich mich recht erinnere, warst du meinem Vater gegenüber auch nicht gerade unterwürfig. Du hast dich knallhart gegen ihn gestellt, als du die Firma verlassen und ihn im Stich gelassen hast.“

Kane lächelte grimmig.

Daran scheint er nicht gern erinnert zu werden, dachte Shannon. Ob er noch wusste, wie sehr sie aneinander geraten waren, als er das letzte Mal zu ihnen ins Haus gekommen war?

„Wenn jemand ihn im Stich gelassen hat, war es seine von ihm vergötterte, eigensinnige Tochter, nachdem sie den Namen Bouvier in den Schmutz gezogen hatte.“

„Das ist nicht wahr!“, verteidigte sie sich heftig und dachte an die verlogenen Anschuldigungen der skandalsüchtigen Presse, die sie zum Opfer erkoren und als Sündenbock abgestempelt hatte. Am schlimmsten aber war es gewesen, vom eigenen Vater verurteilt zu werden, der sich so wenig für sie interessiert hatte, dass er nicht einmal merkte, was mit seinem einzigen Kind geschah. „Ich bin gegangen, weil er nicht wahrhaben wollte, dass ich eigene Ansichten und Meinungen hatte – genau wie du!“

„Mit einem Unterschied“, widersprach Kane.

„So?“

„Mich hat er nicht aufgezogen.“

Shannon ließ die Schultern hängen und legte schützend die Arme um sich. Starr blickte sie zum spanischen Festland hinüber, wo die Häuser sich wie dunkle Silhouetten gegen den leuchtend roten Ball der untergehenden Sonne abhoben.

Sie konnte nicht in die Abhängigkeit zurückkehren, sich diktieren lassen, was sie tun oder lassen sollte … weiter ertragen, dass alle das Schlimmste von ihr annahmen! Ihr einziger Fehler war es gewesen, sich einem Mann zuzuwenden, den sie für ledig gehalten hatte. Der Umstand, dass er ein bekannter Rennfahrer und der Sohn eines prominenten Politikers war, hatte natürlich dazu beigetragen, dass die angebliche Affäre die Titelblätter füllte, nachdem seine Frau eine Überdosis Schlaftabletten genommen und ihr ungeborenes Baby verloren hatte.

Vielleicht wäre es besser gewesen, meine Sichtweise der Angelegenheit darzulegen, dachte Shannon. Doch das wäre ihr dumm vorgekommen, und deshalb hatte sie geschwiegen, als die Reporter sie gejagt und als Ehebrecherin verdammt hatten. Danach hatte ihr Vater versucht, sie noch fester in den Griff zu bekommen und ihre Freiheit weiter zu beschneiden, bis sie geglaubt hatte, ersticken zu müssen. Kurz nachdem Kane die Firma verlassen hatte, war sie endgültig aus London geflohen.

„Hat mein Vater dich beauftragt, mich zu suchen?“ Argwöhnisch wandte sie sich Kane wieder zu. „Mich nach Hause zu bringen?“ Als er keine Miene verzog und auch nicht antwortete, wusste sie Bescheid. „Das ist es also!“ Sie ließ die Arme sinken und nahm eine kampfbereite Haltung an. „Er hat dich überredet, wieder für ihn zu arbeiten, stimmt’s?“ Verbittert presste sie die Lippen zusammen, als Kane nur die Schultern zuckte. „Die Jacht hier gehört meinen Vater, richtig? Sie ist gar nicht deine. Und ich dachte, du hättest dich aus eigener Kraft hochgearbeitet!“ Verächtlich lachte sie. „Der Name Bouvier ist also doch nicht so beschmutzt!“, höhnte sie. „Oder war das Angebot diesmal noch sehr viel verlockender?“

Kane atmete tief durch. „Läuft bei dir alles nur darauf hinaus? Auf Geld?“, fragte er schneidend und kehrte zum Ruder zurück.

„Ist es nicht so?“ Shannon war ihm gefolgt und betrachtete seinen breiten Rücken. Ihrer Erfahrung nach rangierte Geld bei den meisten ganz oben, jedenfalls bei den Männern, die sie kennengelernt hatte, den „Anhängseln“, den vielen oberflächlichen, so genannten „Freunden“. „Was hat er dir geboten? Eine hübsche, fette Prämie für den Fall, dass du mich zurückbringst?“ Sie beobachtete, wie Kane sich wieder ans Steuer setzte und die Fahrt mit wenigen Griffen beschleunigte. „Was er dir auch bezahlt, ich verdopple es“, bot sie ihm an.

„Von deinem Taschengeld?“ Zweifelnd zog er eine Braue hoch.

Vielleicht kann ich ihn mir nicht leisten, überlegte sie und fragte sich, wie viel Kane wusste.

Sie umklammerte die kalte Reling und musste nun fast schreien, um den Fahrwind zu übertönen. „Ich habe einiges zu bieten.“ Da waren ihr Schmuck und die Gemälde, die sie in England gelassen hatte – keine Monets oder Constables –, aber sicher besaßen sie einen gewissen Wert. Und dann ihr Porsche …

„Das sehe ich.“

„Vergiss es!“, wehrte sie ab, als Kane den Blick sinnlich über ihre schlanke Gestalt schweifen ließ. Typisch Mann, sie bewusst falsch zu verstehen!

„Dann ist es ja gut“, übertönte er das Getöse. „Ich finde dich zwar reizvoll, aber es ist nicht meine Art, mich mit schlagzeilensüchtigen Partymädchen einzulassen. Vor mir bist du sicher, falls du dich deswegen sorgst.“ Und ehe sie antworten konnte, setzte er hinzu: „Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dein Vater könnte mir etwas angeboten haben?“

„Weil ich ihn kenne.“ Sie sah, dass er einen Schalter bediente, worauf Daten auf dem Monitor erschienen. „Und inzwischen weiß ich, dass auch du wie die meisten anderen Menschen käuflich bist, wenn der Preis stimmt.“

„Tja, Shannon“, erwiderte Kane, ohne sie anzusehen, „ich fürchte, dich zurückzubringen, wird sehr viel mehr kosten, als du dir leisten kannst.“ Bedeutsam blickte er auf ihre Brust mit dem aufreizenden Spruch. „Die Bullen werden also eine Weile ohne deine galante Unterstützung auskommen müssen.“

„Du …“ Ihre nächsten Worte gingen im Rauschen der See unter. „Und ich hatte dich für etwas besser gehalten als die anderen.“

Einen Moment lang sahen sie sich stumm an, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Eingeständnis Kane überraschte. Dann wandte er sich ab. „Tut mir leid, dich enttäuscht zu haben.“

Aufgebracht eilte Shannon in den Salon hinunter, wo sie sich auf eine helle Ledercouch sinken ließ. Kane tat es also leid, sie enttäuscht zu haben …

Ihr auch!

Er war genau wie alle anderen! Außerdem hatte er ihr gerade unmissverständlich klar gemacht, dass er kein Interesse an ihr hatte. Für ihn war sie nur das verwöhnte reiche Mädchen, das er gegen Bezahlung nach Hause zurückbringen sollte.

Wütend blätterte sie ein Hochglanzmagazin durch, um es dann wieder auf den Tisch zu werfen. Du weißt nichts von mir, Kane Falconer! Und dabei soll es auch bleiben!

Nachdem Shannon davongestürmt war, blieb Kane nachdenklich zurück. Ihm war nicht entgangen, dass sie enttäuscht war. Sie hätte ihn für etwas besser gehalten als die anderen, hatte sie gesagt, und das überraschte ihn, machte ihn glücklich. Von Anfang an war er überzeugt gewesen, dass sie nicht viel von ihm halten würde. Jetzt kam er sich wie ein Schuft vor. Er hatte sie nicht verurteilt, weil alle es taten – auf Gerede hatte er noch nie etwas gegeben –, sondern weil er erkannt hatte, wohin ihr Weg führte. Sie hatte verrückte Dinge getan, doch jeder Angeklagte verdiente es, angehört zu werden. Und diese Möglichkeit hatte er ihr nicht gegeben.

Vielleicht hätte er sie einfach in Barcelona lassen sollen, statt zu versuchen, sie von seinem Standpunkt zu überzeugen. Aber wenn ihr etwas zugestoßen wäre … Wäre er bloß nicht so sehr in das Ganze verstrickt!

Shannon hatte recht mit ihrem Verdacht, dass ein attraktives Angebot ihn zu Bouvier zurückgebracht hatte. Doch wenn sie wüsste, was für einen „Handel“ Ranulph ihm vorgeschlagen hatte, damit er seine Tochter nach Hause brachte, wäre sie über die Reling gesprungen.

Seufzend überprüfte Kane den Kompass, um die Entfernung zum Anlegeplatz abzuschätzen. Ob Shannon ihm abnahm, dass er sich um sie sorgte? Hielt er sie hier wirklich nur fest, weil er sich um ihre Gesundheit und ihre Sicherheit sorgte?

Gleich bei der ersten Begegnung im Büro ihres Vaters vor fünf Jahren hatte es ihn wie der Blitz getroffen. So jung und rebellisch sie ihm erschienen war, schon damals hatte er sie begehrt wie noch keine Frau.

Kane packte das Steuer fester und manövrierte das hochtourige Schiff durch die einsetzende Dämmerung. Wie, zum Teufel, sollte er sich darauf konzentrieren, die Jacht nach Cannes zu bringen, wenn Shannon an Bord war und er sie am liebsten ausgezogen hätte, sobald er sie erblickte? Er sah sie wieder schlafend auf dem großen Bett vor sich, das blonde Haar auf dem Kissen ausgebreitet, und ihn erfüllten Wünsche, die er nicht haben durfte. Glühend beneidete er jeden Mann, mit dem sie geschlafen, dem sie zärtliche Koseworte zugeflüstert hatte, während er ihren herrlichen Körper mit Küssen bedeckte. Bei der Vorstellung wurde ihm heiß, und er kämpfte gegen den Drang an, sie zu berühren, sie zum Gipfel der Ekstase …

„Was ist mit deinem letzten Passagier?“

„Wie bitte?“ Ertappt wirbelte Kane herum und hätte um ein Haar einen Becher neben der Instrumententafel zu Boden gefegt.

„Dem Passagier, der bei der Mannschaft eingesprungen ist“, erklärte Shannon. „Was ist mit ihm?“

„Gar nichts.“ Sie betrachtete seine kraftvollen Hände, mit denen er jetzt den Becher hielt. „Sie ist in Barcelona von Bord gegangen.“

Sie?

Nun ja, aber es ging sie schließlich nichts an, wen er auf der Jacht mitnahm. „Warum?“, fragte sie ironisch. „War sie es leid, von dir herumkommandiert zu werden?“

„Nein.“

Sollte sie jetzt erleichtert sein? „War sie masochistisch veranlagt?“, erkundigte sie sich forsch.

Kane lächelte belustigt.

Hatte diese Sie mit ihm geschlafen? Beim Anblick seiner muskulösen Arme bekam Shannon Magenflattern. Hatte die Dame endlose Liebesstunden in seiner Suite verbracht, zu der die Treppe neben dem Salon hinaufführte? Natürlich! Shannon atmete tief ein. Deshalb also hatte er behauptet, kein Interesse an ihr zu haben …

„Hast du Hunger?“ Er hatte die Fahrt verlangsamt, sodass die Jacht jetzt ruhiger dahinglitt.

Die Hände in den Taschen, blickte Shannon auf die Lichter hinaus, die sich auf dem dunklen Meer spiegelten. „Nicht so sehr, dass ich etwas von dir annehmen würde.“

Kane verfolgte weiter den Kurs. „Wie du willst“, sagte er gelassen. „Bis Cannes ist es noch ziemlich weit.“

Shannon kehrte in den luxuriösen Salon zurück und ging rastlos auf und ab. Was sollte sie tun? Meuternd herumsitzen, während Kane sie an die französische Riviera entführte? In jedem Fall war es ratsam, erst einmal etwas zu essen. Dabei würde ihr sicher auch einfallen, was zu tun war. Kurz entschlossen ging sie in die Kombüse.

Kane musste die Beleuchtung eingeschaltet haben, denn der gemütliche Raum erstrahlte in einem sanften Licht.

Gereizt begann Shannon, Schränke zu öffnen und zuzuschlagen. Schließlich entdeckte sie im Gefrierschrank Fertiggerichte, die nur erhitzt zu werden brauchten. Sie nahm eins heraus, schob es in die Mikrowelle und drückte auf verschiedene Tasten, bis es plötzlich zu summen begann.

Während das Essen heiß wurde, kehrte sie an Deck zurück und wäre fast mit Kane zusammengeprallt, der die Treppe herunterkam. Inzwischen war es ganz dunkel geworden, und nur der Vollmond malte einen hellen Silberpfad auf die Wellen.

„Vielleicht hast du noch nicht daran gedacht …“, sie verstummte, weil Kane auf dem halbdunklen Achterdeck im ersten Moment fast bedrohlich auf sie wirkte, „… aber ich habe nichts anzuziehen.“

Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie spürte, dass er amüsiert lächelte. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, wieder hineinzugehen.

„Bestimmt findest du in den Schränken deiner Kabine etwas, das dir passt.“ Er schaltete die Salonbeleuchtung ein und verschwand über die Treppe nach unten, vermutlich in den Maschinenraum.

Blitzschnell kombinierte Shannon. Also hatte Kanes Passagierin die Fahrt in ihrer Kabine begonnen, war dann jedoch bequemerweise in Kanes übergesiedelt. Und die Dame hatte ihre Sachen an Bord zurückgelassen, also beabsichtigte sie wiederzukommen …

„Wenn du glaubst, ich würde die abgelegten Sachen deiner Exfreundin tragen, irrst du dich gewaltig, mein lieber Kane!“, erklärte Shannon würdevoll, als er zurückkam.

„Tja, irgendwann musst du deine wohl ausziehen. Und wenn dir das Angebot nicht gefällt …“ Mit Kennerblick musterte er ihre schlanke Gestalt, als versuchte er, sie sich nackt vorstellen. „Die Alternative würde mich schon reizen.“

Shannon spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und war froh, als der Duft von überbackenem Käse Kane ablenkte. „Hm, hier riecht es aber lecker!“, stellte er schnuppernd fest.

„Das ist mein Abendessen“, betonte Shannon. „Wenn du glaubst, ich würde für dich kochen, nachdem du mich ausgetrickst und entführt hast, mach dich auf eine herbe Enttäuschung gefasst.“

„Eigentlich habe ich nichts anderes erwartet, aber jetzt weiß ich’s.“

„Und was sollst du mit mir machen? Mich zur Raison bringen?“ Unwillkürlich verkrampfte Shannon sich, als Kane sich eine Strähne ihres blonden Haars um den Finger wickelte und sanft daran zog. Der Duft seines Aftershaves ließ ihr Herz schneller schlagen, doch sie hielt seinem Blick herausfordernd stand.

„Keine Sorge“, antwortete er, „aufsässige Damen zu zähmen macht mir nicht unbedingt Spaß, aber ich finde, es hätte dir nicht geschadet, wenn man dich mal so richtig versohlt hätte.“

Ohne nachzudenken, holte sie aus und versetzte Kane eine schallende Ohrfeige. Erst als sie seine gerötete Wange sah, wurde ihr entsetzt bewusst, was sie getan hatte.

„Zu deiner Information, ich bin fast zweiundzwanzig, und wie ich lebe, geht dich nichts an“, flüsterte sie, nachdem sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Na gut. Vielleicht habe ich das verdient“, gab er atemlos zu. „Aber lass uns eins klarstellen: Ich hatte nicht vor, dich an Bord zu locken, und habe dich auch nicht ausgetrickst. Auf der Jacht schienst du mir einfach sicherer zu sein, bis der Tumult in der Stadt sich gelegt hatte. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, mir für diese Fahrt eine temperamentvolle Wildkatze aufzuhalsen, wenn die Umstände es nicht erfordert hätten.“

„Du meinst, weil ich krank aussah?“, rief sie Kane hinterher, der zur Brücke zurückkehrte.

„Ganz recht. Weil du krank ausgesehen hast.“

Shannon eilte ihm nach. „Wie großherzig von dir!“, spottete sie.

„So ist es nun auch wieder nicht. Ich sagte dir ja schon, dass ich spät dran bin.“ Er setzte sich wieder an seinen Platz am Steuer. „Ich habe versprochen, mit der Jacht bis zum Wochenende in Cannes zu sein, und dabei bleibt es. Wenn ich dich bis dahin nicht zur Vernunft gebracht habe und du fit genug bist, sorge ich dafür, dass du nach Barcelona zurückkehrst.“

„Bravo!“ Das Mondlicht warf silberne Streifen auf ihr Haar, als sie sich, die Hände in die Hüften gestemmt, neben ihn stellte. „Womit es völlig in Ordnung ist, dass du mich entführt hast!“

„Der erste Hafen, den wir anlaufen werden, ist St. Tropez“, fuhr er sachlich fort. „Wenn du Kleider brauchst, werden die Boutiquen dort sicher etwas Passendes für deinen verwöhnten Geschmack haben.“

Wieder ein Seitenhieb auf die Person, für die er sie hielt. Er kannte nicht die wahre Shannon Bouvier, die Gefühle, Hoffnungen und Träume hatte.

„Sorge dich bitte weder um meinen Geschmack noch um meine Gesundheit, werter Kane. Ich habe Neuigkeiten für dich! Sobald wir festen Boden unter den Füßen haben werden, frage ich dich nicht erst um Erlaubnis, sondern fliege mit der ersten Maschine nach Barcelona.“

Leere Worte, dachte Shannon zynisch. Sie hatte nicht einmal Geld für einen Bus, geschweige denn für ein Flugticket. Nachdem sie wochenlang krank gewesen war und nicht hatte arbeiten können, waren ihre Ersparnisse geschrumpft. Was noch übrig war, brauchte sie, um die Schulden zu bezahlen, die sich ohne ihr Zutun angehäuft hatten. Doch der Stolz verbot ihr, Kane zu verraten, wie traurig ihre finanzielle Lage aussah. Sonst würde ihr Vater recht behalten: dass sie allein nicht zurechtkam.

„Wie du willst“, erwiderte Kane gelassen. „Spiel nur weiter die aufmüpfige Tochter.“

Shannon wollte davongehen, doch die Bemerkung ließ sie innehalten. Klar, damit hatte ihr Vater sie geschickt bei der Stange gehalten. Er hatte immer versucht, ihr Schuldgefühle einzuimpfen, und damit stets erreicht, was er wollte.

„Dein Vater sorgt sich um dich“, hielt Kane ihr vor, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Er befürchtet, dass du nicht genug auf dich achtest, und da mag er recht haben.“ Demonstrativ rieb er sich die gerötete Wange. „Aber wenn’s hart auf hart kommt, stehst du deine Frau verflixt gut.“

„Mein Vater glaubt, ohne Mann käme eine Frau nicht weit“, erklärte sie abschätzig.

„Und du bist entschlossen, ihm das Gegenteil zu beweisen.“

„Was ist daran auszusetzen?“

„Nichts. Aber es gibt den vernünftigen Weg und den …“ Kane verstummte, weil in diesem Augenblick in der Kombüse ein explosionsartiger Knall ertönte.

„Nein!“ Shannon stürzte davon. Sie hatte die Lasagne in der Mikrowelle völlig vergessen. Als sie in die Kombüse kam, stellte sie entsetzt fest, dass die Glasscheibe des Mikrowellengeräts mit einer teigigen Masse bespritzt war.

„Sieht so aus, als hätte dein Abendessen ein Eigenleben entwickelt“, bemerkte Kane trocken hinter ihr und schaltete das Gerät aus. Dann bediente er eine Taste, und die Tür sprang auf, und Hitze und Dampf kamen ihnen entgegen.

„Vielleicht solltest du mich in Zukunft kochen lassen“, schlug Kane vor und versuchte, die dampfenden Überreste des Plastikbehälters mit einem Tuch zu entfernen. „Dazu bist du nun mal nicht geboren“, setzte er ironisch hinzu und beförderte den Rest der Lasagne in die Spüle.

„Zu Hause hatten wir für alles Dienstboten. Und dort, wo ich in letzter Zeit war, brauchte ich auch kein Mikrowellengerät zu bedienen.“

Dort hatte sie weder fließendes Wasser noch ein Bad gehabt, manchmal nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Höchstens die Plane eines schmutzigen, zwanzig Jahre alten Lasters. Aber auch das würde sie Kane nicht erzählen.

4. KAPITEL

Sie hatte Durst! Shannon legte das Taschenbuch beiseite, das sie auf dem Frisiertisch gefunden hatte, und glitt vom Bett. Ob Kane es geschafft hatte, das Mikrowellengerät zu säubern?

Vor einer Weile hatte er den Anker geworfen, und seitdem war nur noch gelegentlich leichter Wellengang zu spüren.

Um Kane aus dem Weg zu gehen, hatte Shannon sich in ihre Kabine zurückgezogen. Geschah ihm recht, hinter ihr aufräumen zu müssen, denn schließlich hatte er sie entführt. Jetzt bereute sie jedoch, sich nicht wenigstens einen Imbiss mit hinuntergenommen zu haben, nachdem sie Kanes Angebot stolz abgelehnt hatte, ihr etwas zu kochen.

„Von dir will ich nichts haben“, hatte sie entschlossen erklärt. „Mir genügt etwas Kaltes.“ Im Kühlschrank hatte sie Käse entdeckt und auf der Anrichte ein Stangenbrot. „Und das esse ich in meiner Kabine – und zwar allein!“

Kane hatte nur die Schultern gezuckt und erwidert: „Wie du willst.“

Als Shannon jetzt den Schrank in ihrer Kabine durchging, fand sie nur wenig, das sie hätte tragen können. Außer einer Strandtunika und zwei kurzen Leggings gab es da nichts. Von Sachen für die Nacht keine Spur!

Vielleicht brauchte seine Freundin keine, dachte Shannon mürrisch. Aber welche Frau brauchte so etwas schon, wenn sie das Bett mit einem Mann wie Kane teilte?

Na ja, vielleicht lässt sich mit der Strandtunika doch etwas anfangen, entschied sie. Nachdem sie sich das Haar kräftig durchgebürstet hatte, ohne in den Spiegel zu sehen, kehrte sie wieder in die Kombüse zurück.

Kane stand am Herd und kochte. Gerade goss er Sahne über etwas in der Pfanne, das einladend brutzelte und einfach köstlich duftete. Als Shannon erschien, sah er sie prüfend an, doch sie nahm keine Notiz von ihm, ging einfach an ihm vorbei durch den Salon und trat in die kühle Nachtluft hinaus.

Auf dem Achterdeck war unter der Markise ein Tisch, auf dem eine Kerze in einem Leuchter brannte, für zwei Personen gedeckt. Also erwartete Kane, dass sie mit ihm aß. In einem Eiskübel neben dem Brotkorb stand auch eine Flasche Weißwein. Hatte er mit seinem anderen, sicher sehr viel entgegenkommenderen Bordgast auch so feudal getafelt?

Rebellisch presste Shannon die Lippen zusammen und ging um den Tisch herum. Vor den Stufen, die zum Beiboot und der Schwimmplattform hinunterführten, blieb sie stehen, als ihr einfiel, dass Kane sie über diese Treppe an Bord getragen hatte.

Das Boot lag in einer von Mondlicht überfluteten Bucht vor Anker. Von der Küste wehte eine erfrischend kühle Brise herüber, die Shannon half, klarer zu denken.

Wo mochten sie hier sein? An der spanisch-französischen Grenze? Sie war sich ihrer Sache nicht sicher, dachte jedoch nicht daran, Kane zu fragen.

Aus der Kombüse wehte ein unwiderstehlicher Duft zu ihr herüber, sodass ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Hatte Kane etwa Pernod zu dem Essen hinzugefügt? Pure Schikane! Sie war ausgehungert, und er tat das absichtlich! Ihr Magen protestierte, denn seit einer Ewigkeit hatte sie nichts mehr gegessen.

Als Shannon gerade wieder hineingehen wollte, kam Kane aus der Kombüse. Rasch kehrte sie ihm den Rücken zu und blickte, die Arme verschränkt, starr aufs Meer hinaus, während er zwei Teller auf den Tisch stellte.

„Komm essen.“

„Nein.“

Er versuchte nicht, sie zu überreden. Angespannt registrierte Shannon, wie er leise hinter ihr hantierte. Hörte, wie die Polsterbank, in der wohl auch Sachen verstaut wurden, leicht knarrte und wie Besteck auf Porzellan klapperte. Ein Glas wurde eingeschenkt. Und die ganze Zeit über folterten unverschämt leckere Düfte ihre Nase.

Einen Moment lang war es still, sicher probierte Kane jetzt den Wein. Wunderbar kühl musste er die Kehle hinunterrinnen. „Mm“, hörte Shannon Kane sagen, „einfach köstlich.“

Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus, drehte sich zu Kane um, der genussvoll etwas aß, das wie raffiniert zubereitete Muscheln aussah. Shannon meinte sie förmlich schmecken zu können … Schließlich siegte ihr Magen.

Den Blick gesenkt, setzte sie sich auf den freien Stuhl Kane gegenüber an den Tisch, nahm Messer und Gabel, spießte eine Muschel auf und führte sie zum Mund. Sie war weich und saftig und zerging auf der Zunge. Genussvoll schloss Shannon die Augen. Kane war ein göttlicher Koch!

„Genau richtig, nicht wahr?“, fragte er, und sie war dankbar, dass er auf weitere Anspielungen verzichtete.

„Der ist auch ganz ausgezeichnet.“ Er wollte ihr Wein einschenken, hielt jedoch in der Bewegung inne. „Entschuldige. Ich habe vergessen, dass du Medikamente nimmst.“

„Ein halbes Glas wird mir schon nicht schaden.“

Zufrieden lächelte er.

„Weshalb nimmst du Antibiotika?“, fragte er, nachdem er ihr Wein eingeschenkt und die Flasche wieder kalt gestellt hatte. „Wieso hast du Verdauungsprobleme? Oder sollte ich das lieber nicht fragen?“

„Du darfst“, erwiderte sie. „Ich bin im Ausland krank geworden. Deshalb musste ich zurückkommen.“

Shannon hatte nicht vor, ihm zu erzählen, wodurch sie krank geworden war.

Doch Kane drang nicht weiter in sie. Das Glas in der Hand, lehnte er sich auf der Polsterbank zurück und betrachtete Shannons makellose Züge und ihr seidiges blondes Haar, das im Mondlicht silbern schimmerte.

„Wie kommt eine englische Rose wie du zu dem Namen Bouvier?“

Unter seinem kühlen Blick beschleunigte sich ihr Puls. Sie wollte hier nicht sitzen, mit ihm plaudern und so tun, als wäre alles in Ordnung. Schnippisch erwiderte sie: „Du bist doch mit meinem Vater ein Herz und eine Seele. Warum fragst du ihn nicht?“

Kane beugte sich vor, und im flackernden Kerzenlicht wirkten seine markanten Züge plötzlich härter. „Ich frage aber dich.“

Seinem bestimmten Ton konnte keine Frau widerstehen.

„Mein Großvater war Franzose“, berichtete sie.

„Dann hast du die Schulferien sicher meist in Frankreich verbracht, oder?“

„In Frankreich nur selten.“ Überall war sie gewesen. „Und bei meinem Großvater überhaupt nicht.“ Stets hatte einer von Ranulphs Angestellten sie begleitet, der dafür bezahlt wurde. „Ich habe ihn gar nicht gekannt. Er starb, ehe ich geboren wurde.“

„Tut mir leid.“

„Es braucht dir nicht leidzutun.“ Schulterzuckend brach sie sich ein Stück von dem Stangenbrot ab, das sie aus dem Korb genommen hatte. „Was man nicht kennt, vermisst man nicht.“

„So?“ Kane runzelte die Stirn.

Hatte er bemerkt, dass ihre Stimme verräterisch bebte?

„Ich habe meine Großväter auch nicht gekannt“, fuhr er fort, „was ich sehr bedauere. Und ich habe auch noch keine Familie gegründet, aber ohne Kinder würde mir etwas Entscheidendes fehlen.“

Sein Geständnis überraschte Shannon. Für einen Familienmenschen hätte sie ihn nicht gehalten.

„Kinder können auch sehr viel Ärger machen“, sagte sie rasch und tunkte das Brot in die köstliche Muschelsauce. „Frag meinen Vater.“ Ohne zu überlegen, setzte sie ironisch hinzu: „Wie konnte ich’s vergessen, das hast du ja bereits getan.“

Schweigen folgte ihrer Bemerkung, nur sanftes Meeresrauschen erfüllte die Nacht.

„Glaubst du, ich würde meine kostbare Zeit damit verschwenden, mit Ranulph über dich zu reden?“

Natürlich nicht, dachte Shannon. Dabei hätte sie es sich fast gewünscht. Doch für einen Mann wie Kane war sie viel zu unwichtig.

„Nein“, erwiderte sie kühl. „Zeit ist Geld, und ich weiß, wie viel es dir bedeutet.“ Mit der Bemerkung hatte sie ihn provozieren wollen, aber er reagierte nicht darauf. Ruhig schenkte er sich Wein nach. „Möchtest du auch noch einen Schluck?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Du bist also der Meinung, dass eigene Kinder für dich nur Ärger bedeuten würden?“

„Aber nein!“, widersprach sie scharf. „Ich würde ihnen das Gefühl geben, erwünscht zu sein! Bei mir …“ Sie verstummte, weil sie Gefahr lief, zu viel von sich preiszugeben.

Ich würde ihnen all die Liebe, Zuwendung und Zeit schenken, die mir gefehlt haben, hätte sie fast gestanden. Stattdessen erklärte sie: „Ich würde ihnen all das geben, was ich selbst nicht hatte.“

Kane sah sie zweifelnd an. „Manche Leute würden sagen, das sei nicht viel.“

Klar! dachte Shannon verbittert und schüttelte abweisend den Kopf. „Wenn ich es dir zu erklären versuchte, würdest du es doch nicht verstehen.“

Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. „Versuch’s doch mal“, riet er ihr sanft.

Zögernd nahm sie ihr Glas auf. „Wie viel Zeit hast du?“

„Die ganze Nacht, wenn du willst.“

Sein sinnlicher Unterton überraschte Shannon, aber irgendwie fiel es ihr auf einmal leichter, sich Kane anzuvertrauen. Sachlich, fast zynisch berichtete sie ihm von ihrer Kindheit, dem Verlust der geliebten Mutter, die sehr viel jünger als Ranulph gewesen war, dem Tod ihrer Großmutter ein halbes Jahr später, den Internaten und Betreuern, und Kane stellte Fragen, hakte nach … und hörte ihr aufmerksam zu.

Sie dachte an die Nächte, in denen sie als Achtzehnjährige wach im Bett gelegen und sich vorgestellt hatte, sich so mit ihm zu unterhalten, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen, mit ihm …

Entsetzt wurde ihr bewusst, welche Richtung ihre Gedanken nahmen. Verunsichert fragte sie: „Und was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„Hast du, abgesehen von den Großvätern, die du nicht gekannt hast, etwas Besonderes aus deiner Familie zu berichten? Gibt es bei dir Leichen im Keller? Oder warst du immer vollkommen?“

Er zog eine Braue hoch. „Ich bedauere, dich enttäuschen zu müssen“, erwiderte er locker, „aber nein … Leichen gibt’s bei mir keine. Aus meiner Kindheit gibt es nichts Interessantes zu berichten. Ich besuchte die üblichen Schulen, die Universität …“ Er lächelte ironisch. „Interessiert dich das wirklich?“

„Nein“, sagte sie schnell, zu schnell, obwohl es sie sogar brennend interessierte. Sie wollte alles über ihn erfahren. Was er gemacht hatte, seit er bei Bouvier ausgeschieden war. Welche Hobbys er hatte. Wer die Frau gewesen war, die freiwillig zu ihm an Bord gekommen war … „Nein“, wiederholte sie. „Aber da wir sonst nichts vorhaben …“

„Was würdest du denn sonst gern tun, Shannon?“, fragte er zu ihrer Überraschung.

Ihre Blicke begegneten sich. Meine Güte, warum musste er sie das in diesem Ton fragen?

Sie rief sich zur Ordnung. Er hatte ihr deutlich genug zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht sonderlich interessierte. Dabei hatten sich alle Männer zwischen sechzehn und sechzig fast überschlagen, als sie siebzehn gewesen war. Nur Kane hatte es nicht getan. Warum nicht?

„Ich möchte ins Bett gehen.“ Sie stand auf und stieß dabei mit dem Knie gegen den Tisch, sodass die Gläser gefährlich schwankten.

Auch Kane erhob sich. „Ich glaube, wir sollten beide ins Bett gehen“, sagte er rau.

Unsicher, wie hypnotisiert sah sie ihn an. Zwischen ihnen knisterte es plötzlich förmlich. Er blickte auf ihre Lippen, die plötzlich brannten, als hätte er sie mit seinen berührt. So hat er es nicht gemeint, dachte sie benommen. Nur weil sie sich so unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlte, hatte sie ihn falsch verstanden …

„Nein, nicht miteinander, Shannon“, setzte er leise hinzu und lächelte, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Ich bin sicher, die meisten Männer würden alles dafür geben, deinen Reizen zu erliegen, ehe sie wie die Zeitung vom Tag zuvor weggeworfen werden. Aber ich gehöre nicht dazu. Wie mögen sie danach nur weiterleben, frage ich mich.“

„Gar nicht“, erwiderte sie verbittert. „Ich zerstöre sie, hast du das vergessen?“ Was fiel ihm eigentlich ein, plötzlich den Moralapostel zu spielen? „Nachdem du immer wieder behauptest, gegen mich immun zu sein, Kane Falconer, kommen mir langsam Zweifel!“ Und ehe sie sich abwandte, setzte sie kühl hinzu: „Es ist äußerst verdächtig, wenn jemand etwas zu heftig von sich weist!“

Als sie wenig später ihre Kabine erreichte, rannen ihr Tränen über die Wangen.

Shannon war sich nicht sicher, was sie geweckt hatte, doch das Licht, das durch die Ritzen der Sichtblende drang, kündigte den Morgen an.

Plötzlich ertönten planschende Geräusche, die Shannon veranlassten, aus dem Bett zu gleiten und aus dem Bullauge zu sehen. Die Spiegelungen der Sonne auf dem Wasser blendeten sie, und sie beschattete ihre Augen mit der Hand.

An Bord schien alles ruhig zu sein, deshalb nahm Shannon an, dass Kane wohl noch in seiner Kabine schlief. Kurz entschlossen holte sie sich eins von den austernfarbenen Badetüchern, wickelte sich darin ein und huschte dann zum Achterdeck.

Trotz der frühen Stunde war es bereits angenehm warm. Die Strahlen der aufgehenden Sonne wärmten sie, als sie unter der Markise hervortrat.

Die Felsenbucht, in der sie ankerten, besaß einen Kiesstrand, der schwimmend leicht zu erreichen war. Von dort führte ein Pfad aufwärts durch dichtes Gebüsch, der nicht ganz ungefährlich aussah, aber zu bewältigen war. Wieder musste Shannon die Augen beschatten, um aufs Meer hinausblicken zu können.

Die Sonne überzog das Wasser mit ihrem goldenen Glanz und blendete so stark, dass es fast schmerzte. Das Meer war fast glatt. Alles war so ruhig, dass sie sich das Planschen, das sie in der Kabine gehört hatte, eingebildet haben musste.

Plötzlich durchbrach gut zehn Meter vom Boot entfernt etwas blitzschnell die Wasseroberfläche, ein grauer Schatten, dann ein zweiter und ein dritter.

Überrascht lachte Shannon und verfolgte, wie die schlanken, stromlinienförmigen Körper von drei Delfinen nacheinander wieder in den glitzernden Fluten verschwanden.

Sie beobachtete die munteren Gesellen einige Augenblicke lang fasziniert, die hochschnellten, wieder abtauchten und erneut erschienen. Wie sie die Tiere um ihre Kraft und Behändigkeit beneidete!

Rasch stieg Shannon die Stufen zur Schwimmplattform hinunter und blieb vor dem Rettungsboot stehen.

Nur ein Schritt – und sie war so frei wie die Delfine …

Kane hatte wie ein Murmeltier geschlafen. Normalerweise war er bereits wach, ehe der Funkwecker losging, der die üblichen Katastrophen meldete … Fluten in Asien, Hitzewellen in Amerika.

Er streifte sich eine dunkle Badehose und ein kurzärmeliges Hemd über, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, schlüpfte in Sandalen und machte sich auf den Weg nach oben zur Kombüse. Er brauchte erst einmal einen Kaffee.

Nachdem er einige Schlucke getrunken hatte, schenkte er eine zweite Tasse ein, um sie Shannon in die Kabine hinunterzubringen. Mehrere Male klopfte er, erhielt jedoch keine Antwort und öffnete schließlich die Tür.

„Shannon?“ Das Bett war zerwühlt, aber leer. Kane blickte zur durchsichtigen Badezimmertür. Dort war Shannon jedoch auch nicht. „Shannon?“

Sie konnte doch unmöglich schon auf sein. Stirnrunzelnd überlegte er. Dann hätte er sie doch sehen müssen … es sei denn, sie war bereits an Deck.

Er ließ die Tasse auf dem Frisiertisch stehen und blickte in die kleineren Kabinen auf beiden Seiten der Gangway. Dann kam ihm ein Gedanke. Er stürmte die Treppe hinauf, quer übers Schiff, dann zum Oberdeck.

Doch auch auf der Sonnenliege traf er Shannon nicht an. Suchend blickte Kane über den Windschutz zum Sonnenpolster am Bug hinunter. Auch dort nichts!

„Shannon?“ Beunruhigt ließ er den Blick übers Meer, das von Felsen durchzogene Gebüsch oberhalb des unzugänglichen Strandes schweifen. Meine Güte, so unzugänglich war er auch wieder nicht!

Ihm wurde heiß und kalt. Um Himmels willen! Der gefährliche Pfad oberhalb des Kiesstrands! Das würde sie doch nicht tun! „Shannon!“ Panik hatte er nie gekannt, jetzt überkam sie ihn. Hätte er am Abend bloß den Mund gehalten! „Shannon!“

Eine Bewegung im Wasser machte ihn stutzig. Delfine … zwei, nein, drei tauchten kurz aus dem Wasser auf.

Plötzlich entdeckte er noch etwas, das sich in den Fluten tummelte: ein Blondschopf, schlanke Arme, Beine …

Das verflixte Mädchen schwamm doch tatsächlich mit den Delfinen! Kane entspannte sich und rannte los. Er kam gerade am Unterdeck an, als Shannon sich wieder an Bord hievte.

Im ersten Moment war er nur unendlich erleichtert, sie unbeschadet zu sehen, dann wurde ihm schockartig bewusst, dass sie nackt war.

Gertenschlank und verführerisch wie eine Meerjungfrau kletterte sie auf die Schwimmplattform und richtete sich auf. Wasser rann ihr über den Körper, das blonde nasse Haar klebte ihr an Kopf und Schultern.

Erst jetzt bemerkte Shannon ihn über sich auf den Stufen, sah ihn überrascht an und atmete tief ein.

Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, blickten sie sich nur an. Ihre Schönheit brachte ihn völlig durcheinander, er konnte sich nicht satt sehen an ihren samtigen Schultern, den kleinen, vollkommenen Brüsten, der schmalen Taille, den sanft gerundeten Hüften und Schenkeln …

Er merkte, wie erregt er plötzlich war. Was, zum Teufel, hatte sie mit ihm vor? Wütend hob er das Badehandtuch auf, das er erst jetzt auf dem Deck bemerkte. War ihr nicht klar, dass er auch nur ein Mann aus Fleisch und Blut war?

„Hier“, sagte er heftig und warf es ihr zu. „Meine Güte! Zieh endlich etwas an!“

Seine Reaktion wunderte Shannon, die den harten Ausdruck in seinen Augen sah und das Handtuch an sich drückte, während sie vorsichtig die Treppe heraufkam. „Warum bist du so schockiert?“, fragte sie ruhig, obwohl sie insgeheim bebte. „Bist du doch nicht so immun gegen mich, Kane?“

Hocherhobenen Hauptes wollte sie an ihm vorbeigehen, doch er packte sie so heftig am Arm, dass sie einen kleinen Schrei ausstieß.

„Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?“ An seiner Schläfe pochte eine Ader, und er spürte, dass er nah daran war, die Beherrschung zu verlieren. „Weißt du, was ich befürchtet hatte, als ich dich nicht finden konnte?“ Es verunsicherte ihn, dass sie jetzt nicht mehr so sorglos wirkte, sondern eher verlegen und beunruhigt. Also war es für sie doch nicht so selbstverständlich, nackt herumzulaufen. „Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du schwimmen gehen willst?“

„Lass mich los, Kane!“

„Nein.“ Der Druck seiner Finger verursachte ihr Schmerz, und sie versuchte, sich ihm zu entwinden. „Erst antwortest du mir!“

„Und was hättest du dann getan?“ Er lockerte den Griff etwas. „Mich daran gehindert, schwimmen zu gehen?“

„Wahrscheinlich. Zumindest hätte ich dich nicht allein ins Wasser gehen lassen.“

„Und wieso nicht? Mir ist doch nichts passiert.“ Wieso regte er sich so auf? Sie bedeutete ihm doch nichts. „Hattest du etwa Angst, ich könnte zu fliehen versuchen?“

„Nur ein Dummkopf würde das tun“, erwiderte er etwas ruhiger. „Und wir wissen beide, dass du keiner bist, Shannon.“

„So?“ Endlich schaffte sie es, seine Hand abzuschütteln. „Ich dachte, Vernunft wäre das Letzte, was du mir zubilligst.“

Irgendwie wirkte er gequält. Sie atmete schneller, und eine seltsame Wärme durchflutete sie, als ihr bewusst wurde, dass Kane sie aufmerksam betrachtete.

„Es sind immerhin wilde Tiere“, betonte er heiser und hoffte inständig, dass Shannon nicht merkte, wie erregt er war, „Sie hätten dich verletzen können.“

„Delfine sind harmlos und tun einem nichts. Anders als bei den Menschen weiß man bei ihnen genau, woran man ist, Kane.“

Sie musste zutiefst verletzt worden sein! Selbst jetzt noch schien sie zu leiden. Er versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Betont sachlich fragte er: „Tust du immer, wonach dir gerade ist? Findest du das nicht leichtsinnig?“

So also schätzte er sie ein!

Über ihnen schwebte plötzlich kreischend eine Möwe.

„Warum sollte ich es nicht tun?“ Shannon zuckte die Schultern. „Ich werfe mit Geld um mich und bin vergnügungssüchtig. Hast du mir das nicht einmal vorgeworfen, Kane? Du solltest dir ein Beispiel an mir nehmen, dann würdest du lockerer werden.“

„Findest du, ich hätte es nötig?“

Hör auf, ihn weiter herauszufordern, warnte die Stimme der Vernunft Shannon. Doch ihr Stolz war verletzt. Außerdem hatte Kane sowieso die denkbar schlechteste Meinung von ihr …

„Ich denke schon! Du verurteilst meine Lebensweise! Dabei bist du genau wie alle anderen Männer, die ich bisher kennengelernt habe! Aber du hältst dich für etwas Besseres! Auch du würdest dich mir liebend gern nähern und dir nehmen, was sich bietet, aber du wagst es nicht, weil du ja so stolz bist! Außerdem bist du ein Angestellter meines Vaters – oder sollte ich besser sagen, sein Lakai?“ Sie wollte ihn erniedrigen, ihm wehtun, wie alle anderen es bei ihr getan hatten. „Du würdest nichts tun, das deine kostbare Position gefährden könnte, stimmt’s? Schon gar nicht, nachdem du bei ihm ausgestiegen und dann wieder angekrochen gekommen bist. Findest du nicht, dass deine Glaubwürdigkeit inzwischen stark gelitten hat? Es wundert mich, dass du dich überhaupt noch für glaubwürdig hältst.“

Shannon wollte den Rückzug antreten, doch Kane war schneller als sie und verstellte ihr den Weg.

„Ich bin also in deinen Augen ein Kriecher, der Apportierhund deines Vaters.“ Er sprach leise, fast drohend und umfasste ihr Kinn. „Und du glaubst, als Ranulph Bouviers angeblicher Handlanger würde mich das davon abhalten, mir zu nehmen, was ich haben will?“

Sie hatte es nicht anders verdient. Hätte sie doch nur den Mund gehalten! Hilflos stand Shannon da, während Kane den Daumen erregend sinnlich über ihre Lippen gleiten ließ. Schließlich senkte sie die Lider, um den verächtlichen Ausdruck in seinen Augen nicht sehen zu müssen.

„Du hältst dich wohl für die große Verführerin, Shannon, die stets alles unter Kontrolle hat, oder? Für dich ist es nur ein nettes Spiel, die Männer zum Narren zu halten.“

Nein. So war es nicht. Ganz und gar nicht! Ihre Furcht verschwand, Erregung stieg in ihr auf, sie bemerkte Kanes geweitete Pupillen, spürte die unwiderstehliche Kraft, die von ihm ausging.

Es war wie ein tödlicher Cocktail, stärker als alles, was sie je kennengelernt hatte. Was mit ihr geschah, war unerklärlich, berauschend und überwältigend, so urtümlich wie die Delfine, die sie mit ihrer Kraft und Behändigkeit aufgewühlt hatten … so gewaltig wie das Universum und der Sog des Meeres.

Sie senkte den Blick und sah, wie erregt Kane war. Aber das hätte sie auch so gewusst. Seine Wangen waren gerötet, er atmete schwer, das sagte ihr genug.

Ach mein kühler, kluger Kane! Du bist also doch nicht unbesiegbar! triumphierte sie insgeheim und spürte, wie ihre Brustspitzen hart wurden.

„Gratuliere! Ich bin also doch menschlich“, bemerkte er gefährlich leise. „Und jetzt geh, und zieh dir etwas an, ehe ich mich vergesse und dir zeige, wozu es führen kann, mit einem wilden Tier zu spielen.“

5. KAPITEL

Den ganzen Vormittag über war es herrlich sonnig gewesen. Jetzt jedoch zogen weiße Wolken am Horizont auf und ballten sich über den bewaldeten Küstenbergen zusammen.

Mit geschlossenen Augen sonnte Shannon sich am Oberdeck auf einer Polsterbank. Offenbar hatte Kane das Steuer auf Autopilot geschaltet, denn er hatte sich dem Kühlschrank und dem Grill zugewandt.

Nach dem demütigenden Zwischenfall am Morgen hatte Shannon nur noch das Nötigste mit Kane gesprochen. Und er schien zu spüren, dass sie keine Lust hatte, sich mit ihm zu unterhalten, denn er hatte sich mit dem Boot beschäftigt.

Ab und zu konnte Shannon jedoch nicht anders und betrachtete verstohlen seine entschlossenen Züge und die breiten Schultern unter dem weißen T-Shirt.

Wieder musste sie an die Unbekannte denken, die er mit an Bord genommen und in Barcelona abgesetzt hatte. War zwischen den beiden etwas Ernstes gewesen? Sicher gab es scharenweise Frauen, die liebend gern mit ihm auf einen Mittelmeertrip gehen würden …

„Hier. Ich dachte, etwas Kühles wäre jetzt genau richtig für dich.“

Überrascht atmete Shannon tief ein und öffnete die Augen. Kane stand mit zwei Gläsern in den Händen vor ihr, deren roter Inhalt verführerisch aussah.

„Danke.“ Erfreut richtete sie sich auf, um ihr Glas mit den einladend klirrenden Eiswürfeln entgegenzunehmen. „Was ist das?“

Er setzte sich aufs andere Ende der Bank und legte den Arm locker auf die Lehne. „Fruchtsaft mit je einem Schuss Amara und Granatapfelsirup.“ Beruhigend lächelte er sie an. „Der Drink wirft dich schon nicht um.“

Im Gegensatz zu dir, dachte sie. In T-Shirt und knappen Shorts wirkte er mit seinen muskulösen Armen, der durchtrainierten Gestalt und den kräftigen Beinen gegen den Hintergrund des blauen Himmels wie die Verkörperung des Gottes der Männlichkeit. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es sein müsste, diesen kraftvollen Körper an ihrem zu spüren.

Rasch senkte sie den Blick und trank einen Schluck des köstlichen Cocktails.

„Wie fühlst du dich?“ Kane betrachtete sie so durchdringend, dass ihr unter der weißen Strandtunika heiß wurde. Darunter trug sie Slip und BH, die sie am Abend in die Waschmaschine gesteckt hatte.

Der Überwurf war am Saum mit Perlenfransen besetzt und mit dem Aufdruck Ocho Rios versehen. Zum Sonnenbaden wäre Shannon etwas anderes lieber gewesen, doch sie hatte im Schrank nichts Besseres gefunden. Aber selbst wenn sie dort einen Bikini entdeckt hätte, würde sie etwas so Persönliches von einer von Kanes Freundinnen natürlich nicht tragen! Und in BH und Slip konnte sie hier schlecht sitzen.

Kane musterte sie weiter, sodass sie den Blick nervös senkte. „Ich finde, du siehst schon viel besser aus“, meinte er plötzlich. „Deine Wangen haben jetzt etwas mehr Farbe.“

„Was willst du?“ Shannon blickte zur Küste, wo die weiß getünchten Häuser eines Dorfes sich an pinienbestandene Hänge schmiegten. „Mich unter Druck setzen, damit ich Mannschaftsaufgaben übernehme?“ Bisher hatte sie keinen Finger gerührt, und Kane hatte sie auch nicht darum gebeten. Vielleicht hatte er entschieden, dass sie dazu nicht taugte.

„Gib ruhig zu, dass du hier auch schon ein bisschen Spaß gehabt hast.“ Er lächelte leicht belustigt. „Die abenteuerliche Schwimmeskapade heute Morgen hat auf mich jedenfalls fast wie der Ausbruchsversuch eines armen Opfers gewirkt, das gegen seinen Willen hier festgehalten wird.“

Jetzt galt es, das Gesicht zu wahren. „Tja, wie du am Vormittag richtig bemerkt hast, war ich so dumm, fliehen zu wollen.“ Sie konnte sich nicht verkneifen hinzuzusetzen: „Und wie du ja weißt, lebe ich nach der Devise, in jeder Situation Spaß zu haben.“

Insgeheim musste Shannon sich eingestehen, dass sie sich heute – zum ersten Mal seit Wochen – besser fühlte. Doch das lag natürlich an der Sonne und der Meeresluft und nicht an Kane.

„Wie in Mailand?“ Er trank einen großen Schluck aus seinem Glas.

Shannon hielt mitten in der Bewegung inne. „Woher weißt du, dass ich in Mailand war?“

Gelassen blickte Kane sie an. „Ich hatte dich monatelang gesucht und schließlich dort aufgespürt. Dein Vermieter sagte mir jedoch, du seist vor Monaten weggezogen. Was hast du in Mailand gemacht?“, fragte er ernst.

Shannon warf das Haar zurück. „Ich habe dort als Model gearbeitet“, erwiderte sie betont gleichmütig. „Und außerdem studiert.“

„Studiert?“ Überrascht zog Kane eine Braue hoch. „Was denn?“

Sie zuckte die Schultern und trank einen Schluck Fruchtcocktail. „Rebellieren gegen das Unrebellierbare.“

„Das letzte Wort gibt es nicht.“

Nun lächelte sie schwach. „Das Vorlesungsfach auch nicht.“ In Wirklichkeit hatte sie Betriebswirtschaft belegt und einen blendenden Abschluss geschafft. Doch das brauchte Kane nicht zu wissen. „Du hältst mich doch auch nur für eine Rebellin, stimmt’s?“, fragte sie herausfordernd. „Wie mein Vater und alle anderen.“

Kane antwortete nicht sofort, sondern schien über ihre Frage nachzudenken. „Hat nicht Lincoln gesagt: ‚Ein bisschen rebellieren ab und zu darf sein‘?“

„Jefferson“, klärte sie ihn auf und sah, dass er nickte. Er lächelte sogar, als hätte er es genau gewusst. „Ich habe auch den Flugschein gemacht“, verriet sie ihm.

„Du kannst fliegen?“

Das schien ihn wirklich zu beeindrucken.

„War das auch wieder nur eine Laune von dir, Shannon? Ein Mittel gegen die Langeweile? Was willst du mit all dem anfangen, was das Leben dir bietet? Es einfach wegwerfen?“ Die Arme auf die muskulösen Schenkel gestützt, das Glas in den Händen, saß Kane da. „Bei deinen Begabungen und deiner Intelligenz hätte ich gedacht, du würdest sie endlich für etwas Nützliches einsetzen. Mach doch etwas aus deinem Leben!“, forderte er sie ärgerlich auf.

Etwas aus ihrem Leben machen? Selbst jetzt noch meinte sie den Gestank zu riechen, den Staub im Mund zu schmecken und die unerträgliche Hitze zu spüren. Am liebsten hätte sie Kane entgegengeschleudert, dass sie sich in ihrem selbst gewählten Exil mehr als nützlich gemacht habe. Doch wenn sie schwieg, schützte sie ihr Privatleben, das hatte sie längst gelernt, und nach Privatsphäre sehnte sie sich fast so sehr wie nach Liebe und echter Freundschaft. Wenn die Leute nichts aus einem herausbringen konnten, gaben sie es schließlich auf und ließen einen in Ruhe. Wenn sie jemandem etwas über sich anvertraute, konnte das Interesse der Medien an ihr wieder aufflammen, und dann würde die Sensationspresse sich erneut auf sie stürzen und sie erbarmungslos jagen.

„Etwas gegen die Langeweile zu tun ist das Privileg der Superreichen, Kane“, erwiderte sie übertrieben liebenswürdig. „Aber das verstehst du ja doch nicht.“ Sie stand auf, stellte ihr Glas auf die Grillhaube und stellte sich an die Reling.

Das Dorf am Berghang war inzwischen hinter einer Landzunge verschwunden, jetzt erhoben sich über der Küste steil und geheimnisvoll dunkel bewaldete Berge.

„Ich weiß nicht, ob ich so leben möchte“, sagte er nur.

„Jeder möchte schwerreich sein“, betonte sie, während der Wind mit ihrem Haar spielte. „Wer das Gegenteil behauptet, ist nicht normal oder lügt. Aber wenn du weiter vor meinem Vater buckelst, kommst du eines Tages vielleicht auch so weit“, konnte sie sich nicht enthalten zu sticheln.

Kane hatte sie nicht aus den Augen gelassen und bemerkt, dass die Tunika von ihrer linken Schulter geglitten war. Der Anblick ihrer entblößten Haut ließ seinen Puls rasen. Auf Jamaika war er dabei gewesen, als Sophie sich diese Tunika gekauft hatte, doch obwohl sie darin sehr hübsch und weiblich ausgesehen hatte, hatte sie nicht so verführerisch gewirkt wie Shannon jetzt. Diese hatte etwas Besonderes an sich – wie sie aussah, sprach und sich bewegte. Seine sonst so unerschütterliche Selbstbeherrschung war plötzlich in Gefahr. Und das gefiel ihm nicht.

„Du bist eine Zynikerin, Shannon, weißt du das?“, sagte er leise.

Die Perlenfransen ihrer Tunika klirrten leicht und gaben ihre nackten Schenkel frei, als sie sich umdrehte und die Arme auf die Reling stützte. Sein Mund wurde trocken, und er spannte sich an, weil er plötzlich bemerkte, dass sich ihre Brust unter dem dünnen Stoff abzeichnete.

Dann nahm sie unvermittelt die Arme von der Reling, als wäre ihr bewusst geworden, wie aufreizend sie wirken musste.

„Das habe ich schon ein paarmal gehört.“

Kane zwang sich, den Blick von ihrer nackten Schulter abzuwenden. „Was ist aus deinem Freund geworden?“ Danach hatte er sie fragen wollen, seit er ihr auf der Straße begegnet war.

„Freund?“, fragte sie vorsichtig.

„Der Mann, bei dem du eingezogen bist.“

„Eingezogen …“ Shannon gab vor nachzudenken, und er hätte sie am liebsten gepackt und übers Knie gelegt. Sie wusste genau, was er meinte!

Mühsam beherrscht fuhr er fort: „Oder gab es da so viele, dass du dich nicht mehr an alle erinnern kannst? Ich spreche von dem Freund, für den du deine Wohnung aufgegeben hast, als du in Italien warst.“

„Ach, Piers!“ Etwas verkrampft lachte sie. „Mit Piers war ich in Peru.“

„Aha“, sagte Kane nur, als würde das alles erklären.

Shannon wandte sich ab, um sich seinem hypnotisierenden Blick zu entziehen. Mit Piers hatte sie gar nicht zusammengelebt, jedenfalls nicht so, wie Kane dachte. Piers und seine Frau hatten ihr geholfen, ihre Selbstachtung wiederzufinden und etwas Sinnvolles zu tun, als sie aus England und vor der Presse geflohen war.

„Und wo ist der liebe Piers jetzt?“

Kanes abschätziger Ton verletzte sie. Jetzt war sie noch entschlossener, ihm die Wahrheit vorzuenthalten. Sie zuckte die Schultern, trat von der Reling zurück und erwiderte gleichmütig: „Wir haben uns getrennt.“

„Natürlich.“ Er leerte sein Glas und stellte es zu ihrem auf die Grillhaube. „Armer Piers“, sagte er und stand auf. „Er könnte mir fast leidtun, weil du ihn so schnell vergessen hast. Erinnerst du dich überhaupt noch an einen von ihnen?“

Eine Windbö fegte übers Deck und blätterte die Seiten der auf der Bank liegenden Zeitschrift um. Shannon schauderte, aber das lag nicht an dem kühlen Luftzug. Ihr war jetzt klar, dass Kane sie verachtete.

Leise, ohne nachzudenken, gestand sie: „An dich habe ich mich erinnert.“

Eine Wolke verdunkelte die Sonne, und über sein Gesicht huschte ein Schatten. „Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?“, fragte er rau.

Er verachtete sie, und sie hatte nichts getan, um seine schlechte Meinung von ihr zu ändern. Warum auch? Wieso war es ihr dennoch so wichtig, was er von ihr dachte? Wollte keiner ihr eine Chance geben? Würde Kane – wie alle anderen – sie ständig danach beurteilen, was die Medien fälschlicherweise über sie verbreitet hatten?

Verzweifelt stellte sie ihm die Frage, die sie seit dem Abend beschäftigte: „Und was ist mit der Frau, der dieses Ding hier gehörte?“ Sie deutete auf die Tunika.

Er wollte zum Steuer gehen und drehte sich um. „Was soll mit ihr sein?“

„Bedeutet sie dir viel?“

„Sehr viel“, erwiderte er, ohne zu zögern.

Shannons Magen verkrampfte sich. „Wirst du sie heiraten?“ Verflixt! Das war ihr einfach so herausgerutscht.

„Heiraten?“ Kane lachte erheitert. „Nein“, versicherte er und wandte den Blick auf die Instrumententafel. „Ganz sicher nicht. Warum fragst du?“ Forschend sah er sie an, als sie erleichtert aufatmete. „Nimmst du mich als deine nächste Eroberung ins Visier? Falls ja, vergiss es“, riet er ihr trocken. „Von verwöhnten jungen Schönen wie dir halte ich mich grundsätzlich fern.“

„Klar.“ Sie lächelte tapfer und ging unter Deck, um Kane nicht merken zu lassen, wie weh ihr ums Herz war.

Am Nachmittag zog stürmisches Wetter auf. Heftiger Wind peitschte das Meer, und starke Regenschauer prasselten auf die Decks und vertrieben Shannon und Kane. Sehr viel früher als geplant, musste er sich nach einem Ankerplatz für die Nacht umsehen.

„So entspann dich doch endlich“, forderte er sie auf, als er vor dem Abendessen in den Salon kam und Shannon nervös von der halbrunden Ledercouch aufspringen wollte. Er setzte sich zu ihr und hielt sie am Arm zurück.

„Lass mich los!“, fuhr sie ihn heftig an. „Mit jemandem, der mich ständig zu demütigen versucht, will ich nichts zu tun haben.“ Seit der Episode an Deck war sie Kane möglichst aus dem Weg gegangen und hatte auch allein gegessen.

„Inwiefern demütige ich dich?“

Selbst in legeren Sportsachen wirkte er ganz wie ein Mann von Welt. Auch er hatte geduscht, sein Haar war noch feucht, und er duftete herrlich frisch.

„Du hast mich entführt und zwingst mich, hier auszuharren. Das verstößt gegen das Gesetz, und ich könnte dich verklagen!“

In seinen Augen blitzte es auf, doch er lächelte ironisch. „Vielleicht verstoße ich gegen das Gesetz, trotzdem glaube ich nicht, dass du mich verklagen wirst, weil du in Barcelona sowieso nicht glücklich warst.“

Empört entwand sie sich ihm. „Du scheinst dir deiner Sache ja sehr sicher zu sein!“

Er sah, dass sie sich das schmerzende Handgelenk rieb. „Habe ich dir wehgetan? Das wollte ich nicht. Entschuldige. Aber wie gesagt, du schienst mir dort alles andere als glücklich zu sein … und so schwach, als könnte ein Windhauch dich umpusten.“

„So schnell wirft mich nichts um“, betonte sie. Also sorgte Kane sich doch ein bisschen um sie. „Ich bin sehr widerstandsfähig.“ Ihr war damals gar nichts anderes übrig geblieben, als die Beschimpfungen über sich ergehen zu lassen, und das alles nur, weil sie einen Mann gemocht und ihm vertraut und sich gegen die unerträgliche Tyrannei ihres Vaters aufgelehnt hatte.

„Vielleicht bist du doch nicht so unbesiegbar, Shannon“, stellte Kane fest, als sie aufstand und gehen wollte. „Im Übrigen zwinge ich dich nicht, nach Hause zurückzukehren. Ob du das willst, musst du ganz allein entscheiden. Aber deinem Vater geht es nicht gut …“

„Ist er krank?“ Sie wirbelte herum. „Ich habe dich doch gefragt, wie es ihm geht. Warum hast du mir nicht gesagt, dass …?“

„Es ist nichts Lebensbedrohendes“, unterbrach Kane sie.

Aufatmend ließ sie sich in sicherem Abstand ihm gegenüber in einen Sessel sinken. „Es könnte jedoch dazu kommen, wenn er so weitermacht wie bisher. Aber mehr als um alles andere sorgt er sich um dich.“

„Wie soll ich das verstehen?“ Hegte ihr Vater doch tiefere Gefühle für sie? „Und was meinst du mit alles andere?“

„Die schweren Verluste, die seine Firma in den letzten Jahren erlitten hat. Ranulph Bouvier muss möglicherweise Konkurs anmelden. Wusstest du davon nichts?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Nein …“ Ehe sie fortgegangen war, hatte sie gehört, dass die Gewinne des Konzerns gesunken seien. Doch sie hatte geglaubt, dass es nicht weiter von Bedeutung sei. Man würde den Gürtel eben etwas enger schnallen und eine neue Strategie verfolgen müssen. Geschäftliche Dinge hatte ihr Vater nie mit ihr besprochen, und von dem neuen Projekt hatte sie nur andeutungsweise erfahren.

„Meine Güte, Shannon! Ich weiß, für dich zählt nur, dass er deinen extravaganten Lebenswandel finanziert: Trotzdem hätte ich gedacht, dass selbst du ihm früher oder später ein bisschen Zuneigung entgegenbringst.“

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Natürlich hing sie an ihrem Vater. Und natürlich verdankte sie es ihm und seiner Firma, dass sie ein Luxusleben geführt, studiert und Gelegenheit zu vielem erhalten hatte, von dem andere in ihrem Alter nur träumen konnten. Um den Konzern aufzubauen, hatten ihre Eltern schwer arbeiten müssen. Schon deshalb war ihr das Wohl der Firma nicht gleichgültig.

Ohne auf Kanes Bemerkung einzugehen, fragte Shannon: „Was sollte ich sonst noch wissen?“

Es ist beschämend, dass du das erst fragen musst, schien er ihr sagen zu wollen. „Er hatte große Probleme“, berichtete er grimmig. „Die Firma ist am Ende, denn seine neue Strategie hat versagt. Schon vor Jahren ahnte ich, dass es so kommen würde, aber er wollte nicht auf mich hören. Deshalb bin ich gegangen, Shannon.“

„Deshalb …“ War Kane wirklich so klug und weitsichtig? Ein Schauder überlief sie. „Und was war dann? Hat er dich mit offenen Armen wieder in der Firmenleitung aufgenommen, damit du ihm weiter die Zukunft voraussagst?“

Er zog eine Braue hoch. „Dein Vater hat mich gerufen, weil er verzweifelt war“, berichtete er rau.

„Das muss er wohl gewesen sein.“ Also war Kane bei Ranulph Bouvier nicht angekrochen gekommen.

„Er brauchte meinen Rat, weil ihm klar war, dass ich seine Firma in- und auswendig kenne. Und er hoffte, ich könnte ihm helfen, sie wieder flottzumachen.“

Ich hätte bei ihm sein müssen, dachte Shannon. Und wahrscheinlich wäre sie gar nicht fortgegangen, wenn ihr Vater nur einmal angedeutet hätte, dass er sie brauchte, statt sie ständig abzuwerten und alles zu kritisieren, was sie tat oder sagte.

„Und? Hast du es geschafft, die Firma zu retten?“, fragte sie beunruhigt.

„Alles wäre anders gelaufen, wenn du dich nicht bequemerweise davongemacht hättest, als all das passierte. Hättest du auch nur ein bisschen Interesse gezeigt …“

„Das habe ich doch! Zumindest habe ich’s versucht!“, unterbrach Shannon ihn hitzig. „Du wirst es nicht wissen, aber mein Vater hat mir nie verziehen, dass ich ein Mädchen bin! Er wollte einen Sohn, einen Nachfolger, der sein Lebenswerk und den Namen Bouvier weiterführt. Von mir hat er nur erwartet, dass ich einen passenden Mann heirate! Meine Vorschläge und Meinungen haben ihn nie interessiert!“

Auf Shannons Ausbruch reagierte Kane ziemlich seltsam. Nachdenklich betrachtete er sie, dann zog er die Brauen zusammen und sagte: „Verrate sie mir.“

Einen Moment lang sah sie ihn irritiert an. „Dir?“ Sie lachte ungläubig. „Auch aus deinem Mund würde er meine Vorschläge nie akzeptieren, denn er könnte sich denken, von wem sie stammen. Und selbst wenn er keine Ahnung davon hätte, würde er sich durchsetzen, falls er andere Vorstellungen hat, und du würdest deinen Posten erneut hinwerfen.“

„Nein“, erklärte Kane bestimmt.

„Und wieso nicht?“ Shannon flüchtete sich in Spott. „Ist dein Gehalt jetzt so hoch, dass du diesmal den Mund hältst?“

Ihm wurde bewusst, wie verbittert und verletzt sie war, und Ranulph Bouvier hatte sicher entscheidend dazu beigetragen. Sachlich erwiderte Kane nur: „Dein Vater wird auf mich hören.“

Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Stumm sah er sie an und wartete, dass sie sich ihm anvertraute. Und dann legte sie ihm ihre Vorstellungen dar, wie sie Kundenprojekte attraktiver machen könnten, schlug neue Marketingstrategien vor, die ihr Vater noch nicht in Erwägung gezogen hatte.

„Wir haben uns selbstgefällig auf unseren Namen verlassen, aber das kann sich keine Firma leisten.“ Zügig skizzierte Shannon andere Aspekte, die mehr in den Vordergrund gerückt werden müssten, und Kane hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen, wie ihr Vater es getan hätte. Und irgendwie hatte sie den Eindruck, dass Kane sie tatsächlich ernst nahm.

Doch letztlich war das unwichtig, denn er war nach wie vor ein Angestellter ihres Vaters. Das letzte Wort hatte immer noch Ranulph Bouvier, ganz gleich, was Kane Falconer dachte.

Er war allerdings der Erste, der ihr wirklich zuhörte und von ihren Ausführungen beeindruckt zu sein schien.

„Du bist voller Überraschungen“, meinte er schließlich und betrachtete sie forschend.

„Findest du?“ Unter seinem Blick wurde ihr heiß. Es war, als könnte er ihr auf den Grund ihrer Seele sehen. „Was hattest du denn gedacht?“, fuhr sie herausfordernd fort. „Dass ich gerade noch einen Termin für meine nächste Maniküre machen kann?“ Als Kane nur schwach lächelte, setzte sie mit Nachdruck hinzu: „Aber ich habe sehr viel mehr zu bieten, Kane.“

„Zum Beispiel?“ Unvermittelt stand er auf. „Eine scharfe Beobachtungsgabe?“ Sie verfolgte, wie er zur Stereoanlage ging und eine CD aus der Hülle nahm. „Ich bin sogar sicher, dass du viel zu bieten hast, Shannon. Oder hast du noch andere Überraschungen auf Lager?“

Er nimmt mich also doch nicht ernst, dachte sie hoffnungslos, als er sich amüsiert lächelnd umdrehte. „Seit ich von zu Hause fortgegangen bin, war ich ziemlich aktiv.“

„Das kann ich mir vorstellen“, meinte Kane trocken.

Die Klänge von Debussys „Petite Suite“ erfüllten in diesem Augenblick den Salon.

„Nein, das kannst du nicht!“ Shannon fragte sich, warum ihr so weh ums Herz war. „Du kennst mich doch gar nicht.“

„So?“ Kane atmete tief ein. Einen Moment lang kämpfte er gegen das Verlangen an, Shannon in die Arme zu nehmen. Er ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und versuchte, wieder normal zu atmen. Hätte er die verflixte Musik nur nicht aufgelegt, sie war viel zu einschmeichelnd und erotisierend.

Kane stieß eine Verwünschung aus, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in seine Kabine.

6. KAPITEL

Die Terrakottadächer der Geschäfte und Cafés entlang des Hafens bildeten einen lebhaften Kontrast zum strahlend blauen Himmel.

In einem von Kanes Hemden und den geborgten Leggings stand Shannon an Deck und half ihm mit Anweisungen, die Jacht vorsichtig rückwärts zwischen die Boote am Kai zu manövrieren.

Auf Kanes Kommando hin warf sie dem Mann am Pier das Muringtau über die Reling zu.

„Wie hast du es bloß geschafft, in St. Tropez eine Anlegeerlaubnis zu bekommen?“, hatte sie Kane gefragt. Sie konnte sich denken, dass es nicht leicht war, sich an diesem Treffpunkt der Schönen und Reichen eine solche Genehmigung zu holen.

„Verbindungen“, hatte er nur trocken erwidert, und sie hatte sich damit zufrieden geben müssen.

Jetzt sprang Shannon an Land, um Kane beim Vertäuen zu helfen. Dabei konnte sie erneut seine Geschicklichkeit und Körperkraft bewundern.

Unvermittelt blickte er sie prüfend an, und sie wandte sich rasch wieder dem Mann mit dem wettergegerbten Gesicht namens Stephan zu, der ihnen half. Er strahlte sie an, und sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.

Als sie Kane wieder ansah, wirkte er plötzlich seltsam verstimmt und mürrisch.

Dann nahmen Shannon die Reize des berühmten Rivierabadeortes mit seinen vielen schnittigen weißen Jachten, der Uferpromenade, den weißen und ockerfarbenen Häusern und dem eigenwilligen Kuppelturm der Kirche ganz gefangen. Die Farbenspiele des Wassers, die Klarheit von Himmel und Meer, die grünen Hügelketten der Halbinsel schlugen sie völlig in ihren Bann, bis Kane an Bord zurückkehrte.

„Kaum zu glauben, wie hell das Licht hier ist“, erklärte sie ihm begeistert. Der Sonnenschein auf den Gebäuden blendete fast, die Farben der Umgebung leuchteten unglaublich intensiv, und das Wasser spiegelte farbenfrohe Bilder wider, die an impressionistische Gemälde erinnerten.

„Genau deshalb sind Gauguin, van Gogh und andere berühmte Maler hierhergekommen“, erwiderte Kane. Und solche, die am liebsten in ihre Fußstapfen treten wollen, kommen auch heute noch, dachte Shannon beim Anblick der vielen Maler an ihren Staffeleien entlang des Kais. „Siehst du übrigens jeden Mann an, als wolltest du von ihm ausgezogen werden?“, fragte er unvermittelt.

Seine Bemerkung traf sie unvorbereitet, und sie wirbelte empört herum. „Wie bitte?“

„Machst du jedem Mann so schöne Augen wie dem armen Stephan?“

Befremdet überlegte sie. Kane konnte doch unmöglich das harmlose Lächeln meinen, das sie dem Mann am Kai geschenkt hatte!

Ruhig erwiderte sie: „Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“

„Das glaube ich dir sogar“, erwiderte er schroff.

Es war wunderbar, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren und durch die engen, mittelalterlich anmutenden Gassen mit ihren Cafés und exklusiven Boutiquen zu schlendern. Shannon fühlte sich herrlich beschwingt und nahm Kanes Vorschlag gern an, irgendwo einen Kaffee zu trinken.

Er wählte ein rustikales kleines Café mit schmiedeeisernem Dekor und Korbmöbeln.

„Deux pains aux raisins, s’il vous plaît“, bestellte Kane an der Theke, während Shannon sich an einen Fenstertisch setzte und lauschte, wie Kane sich mit den Kellnern unterhielt. Seine dunkle, sinnliche Stimme war wie geschaffen für die französische Sprache, und sie schämte sich ein wenig, weil sie sie nicht beherrschte, obwohl sie einen französischen Großvater gehabt hatte.

Die beiden jungen Kellner lachten über etwas, das Kane gesagt hatte, und blickten wiederholt in ihre Richtung.

„Kommst du oft hierher?“, fragte sie, als er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte.

„Wann immer ich in St. Tropez bin“, erwiderte er, ohne sich über das Gespräch an der Theke zu äußern.

„Hast du keine Angst, dass jemand mich erkennt und es dann um deinen Ruf geschehen sein könnte?“

„Ich wüsste nicht, wieso. Wir sind doch kein Liebespaar.“

„Nein, Gott sei Dank nicht!“ Sie war froh, dass einer der Kellner mit ihrem Kaffee und einem Korb voll Rosinengebäck an den Tisch kam. Es würde Kane also gar nicht berühren, wenn man über uns klatscht, dachte sie.

„Sie haben sogar vier von denen hergebracht“, stellte er fest, und er nahm ein Gebäckstück auf. „Wie es scheint, hast du die armen Jungen hinter der Theke verhext. Übrigens muss ich hier Geschäftsfreunde besuchen. Sie haben uns zum Mittagessen eingeladen.“

„Uns?“, wiederholte Shannon überrascht und lächelte dem Kellner zu, der ihnen in weiße Servietten gewickelte Bestecke hinlegte.

„Ja, uns“, betonte Kane leicht gereizt und blickte dem davoneilenden Franzosen grimmig nach. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich in St. Tropez allein losziehen lasse?“

„Warum nicht?“ Ihr Haar schimmerte seidig, als sie lachend den Kopf schüttelte, worauf die beiden Kellner fasziniert zu ihr herüberblickten. „Denkst du, dass ich jeden Mann verführen will, der mir über den Weg läuft?“

Kane überging die Anspielung. „Ich dachte, dir wäre inzwischen nach etwas Abwechslung zumute. Außerdem sind die Coltranes alte Geschäftsfreunde deines Vaters, sodass du ebenso dazugehörst wie ich.“

Seine Bemerkung überraschte Shannon. Ihr Vater hätte sie sicher einkaufen geschickt und in der Zwischenzeit seine Geschäfte abgewickelt. Doch obwohl sie gern wieder unter Leute ging, störte es sie, dass Kane einfach über sie bestimmte.

„Das geht nicht“, widersprach sie. „Hast du vergessen, dass ich nichts anzuziehen habe? Ich kann zu dem Essen ja schlecht in deinem Hemd und den abgelegten Klamotten deiner Freundin erscheinen.“

Amüsiert betrachtete er das dunkelblaue Hemd, das ihr einige Nummern zu groß war. Sie hatte die Ärmel hochgekrempelt, und obwohl ihm die Vorstellung gefiel, dass sie seine Sachen trug, musste er sich eingestehen, dass sie in dem Hemd etwas verloren wirkte.

„Kein Problem.“ Er brach ein Stück vom seinem Rosinengebäck ab und schob es sich in den Mund. „In St. Tropez gibt es genügend Boutiquen, in denen eine Frau wie du so richtig aus dem Vollen schöpfen kann.“

„Mag sein, aber …“ Shannon legte das Gebäckstück, das sie aus dem Korb genommen hatte, auf ihre Serviette und sah ihn mit ihren klaren blauen Augen an, dabei leckte sie sich langsam den Zucker von den rot lackierten Fingern. Kane fragte sich, ob sie das absichtlich tat, um ihn zu reizen. „Ich habe kein Geld“, gestand sie leise.

„Nein?“ Betont bedächtig rührte er seinen Kaffee um. „Du bist die Erbin eines Multimillionenvermögens und behauptest, kein Geld zu haben?“

„Es ist aber so.“

Das soll wohl ein Witz sein! „Bezahlt dein Daddy nicht stets brav alle deine Rechnungen?“, fragte er spöttisch.

Sein Ton machte sie wütend, und sie musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und zu gehen. Doch jetzt verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. Es war ihr wichtig, dass Kane in ihr nicht mehr die vergnügungssüchtige Debütantin sah, wie die Sensationspresse sie bezeichnet hatte.

„Bis zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag besitze ich kein eigenes Vermögen, sondern bekomme nur ein Taschengeld“, klärte sie ihn ruhig auf. „Die monatliche Überweisung ist nicht eingetroffen. Mein Vater hat mir das Taschengeld gestrichen. Das habe ich aber erst erfahren, als ich nach Barcelona zurückkam, und da war ich zu krank, um etwas zu unternehmen. Die Bank hat mir keinen Kredit mehr eingeräumt, als die regelmäßigen Zahlungen ausblieben.“ Das Projekt, an dem sie mitgearbeitet hatte, hatte einen Großteil ihrer Ersparnisse verschlungen, doch das brauchte Kane nicht zu wissen. Und mit dem, was übrig geblieben war, hatte sie Schulden abbezahlt.

Ungläubig sah Kane sie an. „Soll das etwa heißen, du bist durch die Welt gejettet und hast mit Geld um dich geworfen, ohne dir auch nur die Mühe zu machen zu überprüfen, ob noch welches da ist?“

So gesehen, hatte sie tatsächlich unverantwortlich gehandelt. Aber es war ihr ja nicht immer möglich gewesen …

Shannon zuckte die Schultern. „Ich hielt es nicht für notwendig. Schließlich war immer was da gewesen.“

„Und du dachtest, das würde ewig so weitergehen?“

Ach, das ist es also! dachte sie hoffnungslos und blickte zu einer chic gekleideten Frau, die mit einem Hund an der Leine am Fenster vorbeiging. Kane hielt sie also für ein verwöhntes Gör …

„Als ich England verließ, nahm ich an, alles sei in Ordnung. Nie im Traum hätte ich gedacht, dass mein Vater mir das Taschengeld bis auf den letzten Penny streichen würde.“

„Und wovon wolltest du jetzt leben? Was hättest du getan, wenn ich dich in Barcelona gelassen hätte?“

„Meine Freunde haben mir ihr Haus mietfrei überlassen, solange sie im Ausland arbeiten. Ihre Schränke und Gefriertruhen waren gut bestückt. Und sicher hast du schon davon gehört, dass man sich den Lebensunterhalt auch verdienen kann.“

„Komisch, das habe ich tatsächlich.“ Kane lächelte ironisch und verschränkte die Arme vor der Brust, sodass seine Muskeln sich spannten.

„Dass ich arbeiten kann, traust du mir wohl nicht zu, oder?“ Als er darauf nicht einging, fuhr sie fort: „Sobald ich wieder fit gewesen wäre, hätte ich mir einen Job gesucht, irgendeinen, bis ich genug Geld gehabt hätte, um nach Peru zurückzukehren.“

„Zu Piers?“

„Nein, nicht zu Piers“, wehrte Shannon leicht gereizt ab. „Piers ist verheiratet.“

Das hat dich doch bisher nicht gestört. Er sprach es nicht aus, doch wie er die Braue hochzog, sagte alles.

„Komm, Shannon“, sagte Kane zehn Minuten später und verließ mit ihr das Café.

„Wohin gehen wir?“

Er verriet es ihr nicht, sondern schlenderte mit ihr durch die Fußgängerzone, die auf einen von Bäumen überschatteten Platz mündete.

„Wir dürfen dich schließlich nicht nackt herumlaufen lassen“, erklärte er und blieb schließlich vor einer Designerboutique stehen.

„Monsieur Fal-co-ner!“, begrüßte eine sexy Verkäuferin Kane, nachdem er mit Shannon den eleganten Laden betreten hatte.

Selbst hier war er bekannt!

„Kleiden Sie die Dame für mich ein, ja?“, wies er die junge Frau charmant in bestem Französisch an und ließ den Blick amüsiert über teure Seiden- und Chiffongebilde schweifen. „Sie kann sich aussuchen, was sie will. Die Rechnung begleiche ich.“

„Ich brauche keinen Gönner, Kane Falconer“, flüsterte Shannon ihm zu. Es ärgerte sie, dass er so tat, als wäre sie gar nicht da.

„Dein Pech, denn dir bleibt gar nichts anderes übrig, als darauf einzugehen“, erwiderte er heiter und verließ die Boutique.

Shannon lächelte die Verkäuferin an, obwohl sie wütend auf Kane war. Hatte er seine Freundin, die ihm so viel bedeutete, hier auch ausstaffieren lassen? Besaß er in dieser exklusiven Damenboutique für solche Fälle ein Kundenkonto?

Schon erwog Shannon, ihm nachzustürmen und ihm zu sagen, was er mit seiner Spendierfreudigkeit machen könne, doch die Verkäuferin verstellte ihr den Weg und fragte sie charmant auf Französisch, was sie ihr zeigen könne.

Na gut. Warum nicht? Shannon ritt mit einem Mal der Teufel. Nachdem Kane ihr so viel Unannehmlichkeiten bereitet hatte, verdiente er eine Strafe. Und da er ihr freie Hand ließ …

„Oui, Madame.“ Sie lächelte vielsagend und suchte sich einige besonders exklusive Teile mit sündhaft teuren Preisen aus. „Die möchte ich anprobieren …“

Na warte, Kane Falconer. Jetzt zahle ich’s dir heim.

Die Türglocke klingelte melodisch, als Kane die Boutique wieder betrat.

„Monsieur Fal-co-ner. Elle est prête pour vous!“ Strahlend deutete die Verkäuferin zur Umkleidekabine, deren Vorhang in diesem Augenblick zurückgeschoben wurde. Kane hielt überrascht den Atem an, und alle seine Sinne reagierten beim Anblick, der sich ihm bot.

Shannon hatte das lange blonde Haar auf einer Seite mit einer Silberspange zurückgehalten, die sie hier offenbar gekauft hatte, und ihre makellose Figur war in einen Anzug aus weichem weißem Leder gehüllt.

Unter der kurzen Jacke schimmerte ein knappes Silbertop hervor, das Shannons schmale Taille freigab und mit feinen Silberkettchen und Schnallen besetzt war. Die dazu passende Hüfthose, verziert mit den gleichen Kettchen, lenkte den Blick auf Shannons flachen Bauch und den süßen kleinen Nabel.

„Sind Sie zufrieden, Monsieur?“, fragte die Verkäuferin auf Englisch. Offenbar hatte sie gemerkt, dass es mit Shannons Französisch nicht weit her war. „Sie sieht sensationell aus, finden Sie nicht auch?“

Das fand er wirklich und war einen Moment lang sprachlos. „Wirklich sensationell“, wiederholte er etwas atemlos und konnte den Blick nicht von Shannon abwenden. Am liebsten hätte er ihr das weiche Leder abgestreift und sie auf dem flauschigen Teppich geliebt!

Shannon erschauerte, als ihr bewusst wurde, welche Wirkung sie auf Kane hatte. Der Ausdruck in seinen blauen Augen überraschte sie. Ihr war, als hätte sie einen Tiger freigelassen, den sie für zahm gehalten hatte. Schließlich reichte sie ihm die Tüten, in denen die Verkäuferin inzwischen alle Sachen verstaut hatte. „Trägst du die für mich?“

Kane kam es so vor, als hätte sie den Laden leer gekauft.

„Ach, den habe ich vergessen!“ Die Verkäuferin eilte mit einer weiteren Tragetasche um die Theke herum. „Hier ist noch Ihr Bikini, Mademoiselle!“

„Bikini?“ Amüsiert blickte Kane zu Shannon, die die Tüte prompt an ihn weiterreichte.

„Jetzt brauchst du nur noch zu bezahlen“, klärte sie ihn verheißungsvoll lächelnd auf.

Du auch, mein Liebling, schien sein Blick ihr sagen zu wollen, während die Verkäuferin die Rechnung ausstellte. War er verärgert, weil sie zu viel Geld ausgegeben hatte? fragte Shannon sich. Natürlich würde sie ihm jeden Penny zurückzahlen, sobald sie wieder zu Hause war.

„Gratuliere“, sagte Kane leise, nachdem sie die Boutique verlassen hatten. „Jetzt fehlt dir nur noch die Peitsche!“

Erheitert lachte sie, hakte sich bei ihm ein und sah ihn kokett von der Seite an. „Wozu brauche ich eine Peitsche? Ich habe doch meinen Kane.“

„Sehr komisch.“ Er lächelte ironisch und wandte den Blick von ihr ab, doch sie spürte, dass er irgendwie angespannt war.

Während sie über den belebten Platz schlenderten, sahen sie, wie ihr auffiel, alle an. Die Frauen neidvoll, die Herren der Schöpfung voller Begehren. Ein, zwei jüngere Männer pfiffen sogar leise.

„Was machst du nur mit den Jungs, Shannon?“, fragte Kane fast anklagend.

Er hatte es also auch bemerkt! „Ich tue doch gar nichts“, beteuerte sie genau in dem Augenblick, als ein älterer Mann, der den Blick nicht von ihr abwenden konnte, sein Fahrrad prompt gegen die Stoßstange eines geparkten Wagens schob.

„Nicht bewusst“, musste Kane zugeben. „Du hast es einfach an dir. Mit deinem schimmernden Engelshaar und den sinnlichen blauen Augen machst du die Männer verrückt. Du bist eine Hexe, Shannon, du verzauberst alle.“

„Aber dich nicht.“

Meine Güte! Es machte ihn wahnsinnig, ständig Abstand zu halten, obwohl sie ihm so nah war! „Jetzt nicht mehr“, erwiderte er nur.

Ein weißer Mercedes stand für Shannon und Kane bereit, als sie zur Promenade zurückkamen. Der Fahrer war Stephan, der sich schon am Kai um sie gekümmert hatte.

„Stephan hat über zwanzig Jahre für die Coltranes, die gute Freunde von mir sind, gearbeitet“, erklärte Kane während der Fahrt durch die blühende Landschaft.

Während er das sagte, schwang ein leiser warnender Unterton mit, der Shannon nicht entging. Befürchtete Kane etwa, sie könnte ihn blamieren, nach all dem Schrecklichen, was die Medien über sie berichtet hatten?

Selbstzweifel drohten ihr neu gewonnenes Selbstvertrauen zu erschüttern. Wie alle anderen sah Kane in ihr offenbar immer noch das Mädchen, das eine Ehe zerstört hatte und beinah den tragischen Tod einer unschuldigen werdenden Mutter auf dem Gewissen gehabt hätte. Verrückt, aber inzwischen war ihr nur noch Kanes Meinung wichtig. Jetzt saß sie hinter ihm, Berge von Einkaufstüten neben sich und fragte sich unglücklich, warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, sie zu entführen und zur Heimkehr zu überreden. Nur aus finanziellen Erwägungen? Oder hoffte er, sich damit wieder bei Ranulph Bouvier einzuschmeicheln, um auf der Erfolgsleiter voranzukommen? Wie viel mochte ihr Vater ihm für ihre Rückkehr bezahlen?

Doch irgendwie wusste Shannon, dass Kane kein Mann war, der sich bei jemandem lieb Kind machte. Hatte er es doch ernst gemeint, als er behauptete, sich um sie zu sorgen? Aber dann hätte er ihrem Vater doch einfach ihren Aufenthaltsort mitteilen können. Stattdessen hatte er sie mitgenommen. Wollte er sie bei sich haben, obwohl er das bestritten hatte?

Es überraschte Shannon selbst, wie sehr sie sich Letzteres wünschte. Falls Kane sie jedoch um sich haben wollte, warum beherrschte er sich dann so eisern? Weil sie einen schlechten Ruf hatte? Oder wegen der Frau, die er mit nach Barcelona genommen hatte?

Sie waren am Ziel, einer eleganten, weitläufigen Villa mit atemberaubendem Panoramablick über die Küste, angekommen. Farbenfrohe Rankgewächse zierten die Balkone, und üppige Kletterpflanzen schmückten die weißen Mauern des Gebäudes, die sich malerisch gegen den blauen Himmel abhoben.

„Komm.“ Höflich hielt Kane Shannon die Wagentür auf. „Lass deine Tüten im Auto“, riet er ihr. „Sie sind dort gut aufgehoben.“

Während Stephan den Mercedes wegfuhr, kamen ein Mann und eine Frau aus dem Haus. Ihnen voraus stürmte ein kleiner weißer Scotchterrier. Die familiär anmutende Szene rührte Shannon, und sie nahm sich vor, Kane auf keinen Fall zu blamieren.

„Hallo, Baxter, alter Junge!“ Kane tätschelte das übermütig an ihm hochspringende Tier. Es war nicht zu übersehen, dass die beiden sich gut kannten.

„Ach, du bist ja süß!“ Lachend bückte Shannon sich und streichelte das weiße Bündel, das ihr nun gleichfalls seine Zuneigung bekundete.

In diesem Moment rief das Paar den Hund zurück, und Shannon richtete sich auf. Lächelnd kamen die Gastgeber ihnen entgegen und begrüßten Kane warmherzig, die Frau mit einem Kuss auf die Wange, ihr Mann mit festem Händedruck.

„Ich bin Esther Coltrane.“ Die aschblonde Hausherrin reichte Shannon die Hand. „Und Sie sind …?“

„Shannon“, stellte Kane sie vor, woraufhin diese Esthers herzliches Lächeln erwiderte. „Shannon Bouvier.“

„Ach …“ Die Frau reagierte leicht befremdet, und über ihr Gesicht huschte ein Schatten, während sie Kane fragend ansah. Doch dann entspannte sie sich und fuhr freundlich fort: „Willkommen bei uns, Shannon.“

Der Gastgeber, ein kräftig gebauter Mann Mitte fünfzig mit silbergrauem Haar, drückte Shannon spontan beide Hände und flüsterte ihr verschwörerisch zu. „Ich bin Bart, Bartholomew, Coltrane. Was immer die anderen Ihnen von mir erzählen, ich fürchte, es stimmt. Und ich freue mich ganz besonders, Ranulphs zauberhafte Tochter kennenzulernen.“

Dann gab Bart ihre Hände frei und wandte sich dem Hund zu, der immer noch bellend an ihr hochsprang, um sich bemerkbar zu machen. „Ich weiß, sie ist wunderschön“, sagte er zu dem Terrier. „Viel zu schön für Leute wie dich und mich“, fügte er hinzu und zwinkerte Shannon onkelhaft zu.

„Entschuldigung“, versuchte Esther die Situation zu retten. „So ist er sonst nicht.“

Dein Mann oder der Hund? überlegte Shannon amüsiert.

„Bei Fremden macht er nie so viel Aufhebens“, fuhr die Frau fort und versuchte, den ungestümen Baxter zu beruhigen. „Sicher sind Sie sehr tierlieb.“

Nun schlug Bart vor, ins Haus zu gehen.

„Kommen Sie, mein bezaubernder Engel.“ Er nahm den Hund auf den Arm und führte sie in einen luftigen Salon. Ein Schauer überlief Shannon, als Kane ihr beschwörend zuflüsterte: „Ist denn nichts und niemand vor dir Hexe sicher?“

Und wieder einmal wünschte Shannon, ihr Aussehen würde sie nicht ständig in Situationen bringen, die für sie gefährlich werden konnten. Sie drehte sich zu Kane um und erwiderte bedeutsam: „Doch – du.“

7. KAPITEL

Die Coltranes lebten, wie Shannon erfuhr, schon seit zehn Jahren an der französischen Riviera, nachdem sie ihre beträchtlichen Ländereien in England an Bouvier verkauft hatten.

Von ihrem Platz neben Esther bot sich ihr durch die offenen Terrassentüren ein einladender Blick auf den Garten und einen Baum, unter dem der Mittagstisch gedeckt war, und hinter blühenden Oleanderbüschen entdeckte sie einen wunderschönen Swimmingpool, der einen zum Schwimmen verführen konnte.

„Wir kennen Kane schon seit seiner Kindheit“, berichtete die Gastgeberin Shannon, als sie auf ihn und seine Familie zu sprechen kam. In England waren sie Nachbarn gewesen, bis Kanes Eltern während eines Skiurlaubs in Österreich bei einem Lawinenabgang auf tragische Weise ums Leben gekommen waren.

„Wie schrecklich!“ Betroffen blickte Shannon zu Kane. „Das wusste ich nicht.“

„Nein?“, fragte er leise.

Mitfühlend sah sie ihn an. Auch er hatte also schon großen Kummer und Schmerz erfahren. Während sie noch darüber nachdachte, merkte sie nicht, dass die Gastgeber bedeutsame Blicke wechselten.

Schließlich brach Bart, der in einem Sessel bei Kane saß, das drückende Schweigen. Er räuspere sich und fragte Shannon: „Und wie geht es dem guten alten Ranulph jetzt?“

Darauf war sie nicht vorbereitet. Unsicher suchte sie nach einer unverfänglichen Antwort, denn sie brachte es einfach nicht fertig, dem sympathischen Paar zu gestehen, dass sie keine Ahnung habe, wie es ihrem Vater gehe, und lange nicht mehr zu Hause gewesen sei.

Kane rettete sie. „Es ging ihm gut, als ich ihn verließ. Er arbeitet jedoch zu viel, aber wir werden ihm in Zukunft weniger Anlass geben, sich zu sorgen, nicht wahr, Shannon?“

Shannon rang sich ein Lächeln ab. Offenbar wollte er ihr sagen: Ich bringe dich nach Hause, notfalls auch gegen deinen Willen.

In diesem Moment erklangen eilige Schritte in der Diele, und ein weiteres Haushaltsmitglied erschien: ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen von etwa siebzehn Jahren, dessen Gesicht von mittellangem, modisch wuscheligem Haar gerahmt wurde. Temperamentvoll wandte es sich sofort an Kane, als wäre er der einzige Gast im Raum.

„Kane!“ Sie stürmte über den blanken Holzfußboden auf ihn zu und umarmte ihn, ehe er sich richtig erheben konnte.

„Emily.“ Sanft küsste er sie auf die Stirn, entzog sich ihr dann aber elegant. Das Gesicht des Mädchens war vor Aufregung gerötet, und Shannon hatte den Eindruck, dass es das superkurze Kleid extra für Kane angezogen hatte, um seine langen Beine zu zeigen.

„Das ist Barts Großnichte“, machte Esther sie mit Shannon bekannt und stand auf. „Während ihre Eltern in London sind, lebt sie bei uns.“

„Die Shannon Bouvier?“ Begeistert riss das Mädchen die braunen Augen auf. „Was haben Sie in letzter Zeit gemacht? Ich habe seit einer Ewigkeit nichts mehr über Sie gelesen!“

Peinliches Schweigen erfüllte den Raum. Doch Shannon lächelte und ließ sich ihre Verlegenheit nicht anmerken. „Es gab nun mal nichts zu berichten.“

„Shannon war einige Zeit in Peru“, erklärte Kane, der immer noch stand, nur Bart war sitzen geblieben, weil Baxter es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hatte.

„Peru? Tatsächlich?“ Emily strahlte Kane fröhlich an. „Mit Kane?“

„Nein“, erwiderte er lachend. „Nicht mit mir.“

Er will nicht, dass jemand uns für ein Paar hält, dachte Shannon.

„Ich hätte ihn und Sophie gern auf dem Jachttrip begleitet, aber das wollte er nicht“, beklagte Emily sich pikiert.

„Du wusstest doch, dass er Sophie länger nicht sehen würde und einige Tage mit ihr allein sein wollte“, versuchte Esther, das Mädchen zu besänftigen. Einen liebeskranken Teenager im Schlepptau zu haben wäre nicht sein Stil gewesen, dachte Shannon eifersüchtig und war froh, als eine Angestellte hereinkam und ankündigte, das Essen sei serviert.

Zum Mittagessen gab es kaltes Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte und verschiedene Salate.

„Setz dich zu mir“, forderte Emily Kane auf, dessen Arm sie nicht mehr freigegeben hatte, seit sie nach draußen gegangen waren. „Und, Shannon, Sie sitzen auf meiner anderen Seite. Ich möchte mich mit euch beiden unterhalten können.“

War ich mit siebzehn auch so? fragte Shannon sich genervt. Dann wäre es kein Wunder, dass er keine Zeit für sie gehabt hatte!

Nachdem Emily sie unerwartet einem Kreuzverhör unterzogen hatte, wo sie ihre Kleidung kaufe, welche Kosmetikmarken sie benutze, was sie von der Aromatherapie halte, rief das Mädchen unvermittelt überschwänglich: „Ach, Shannon, ich wünschte, ich würde wie Sie aussehen! Wie ist es, wenn einem alle Männer aus der Hand fressen?“

„Emily!“, mahnte Esther das Mädchen.

Nur das Zwitschern eines Vogels in den Reben der Pergola brach das drückende Schweigen, das sich plötzlich über die Tischrunde gelegt hatte.

Shannon versuchte, sich locker zu geben, begann aber zu schwitzen, obwohl sie ihre Jacke ausgezogen hatte. „Höchst unerfreulich“, erwiderte sie und lachte gezwungen. „Manchmal habe ich gewünscht, sie würden Teller benutzen.“ Das sollte ein Scherz sein, doch es klang irgendwie selbstgefällig, und sie ärgerte sich über sich, weil sie sich von dem Teenager in diese Situation hatte bringen lassen. Und obwohl sie sich vorgenommen hatte, Kane nicht zu blamieren, ertrug sie es nicht, dass jemand sie nach dem beurteilte, was die Klatschpresse über sie verbreitet hatte. Zynisch setzte sie hinzu: „Sie mögen Tischmanieren besitzen, aber man kann sich kaum vorstellen, wie gierig sie werden, wenn sie hungrig sind.“

Über den Tisch hinweg bemerkte sie den warnenden Ausdruck in Kanes stahlblauen Augen, und obwohl sie ihre Bemerkung bereits wieder bereute, warf sie herausfordernd lächelnd den Kopf zurück. Was macht es schon? dachte sie aufsässig.

„Ach, Shannon, Sie sind so geistreich!“, schwärmte das Mädchen neben ihr. „Einfach toll, was über Sie alles geschrieben wird!“

„Wenig Schönes“, erwiderte sie gefasst. „Wenn du etwas älter bist, wirst du merken, dass man nicht alles glauben sollte, was man liest.“

„Aber ich möchte wie Sie sein!“, trumpfte Emily auf, die gar nicht begriff, was Shannon ihr klarmachen wollte. „Ich finde das sensationell!“ Sie sah Kane an und fügte dramatisch hinzu: „Eines Tages möchte ich auch eine Sensation sein!“

Das könnte noch kommen, dachte Shannon und hörte, wie Esther dem Mädchen tadelnd etwas zuflüsterte, das sich jedoch nicht darum kümmerte, sondern temperamentvoll auf Kane einredete.

„Ich muss mich für meine Großnichte entschuldigen“, sagte Esther zu Shannon und legte ihr die ringgeschmückte Hand auf den Arm. „Ich fürchte, der Neffe meines Mannes und seine Frau haben sie zu sehr verwöhnt, sodass sie etwas zu kess geworden ist.“

„Schon gut. Wir waren alle mal siebzehn“, erwiderte Shannon leise, dankbar dafür, dass Esther ihr gegenüber unvoreingenommen war.

Es folgte eine allgemeine Unterhaltung über Frankreich und besonders die Provence.

„Ich dachte immer, Frankreich wäre England am ähnlichsten“, meinte Shannon und lehnte sich zurück, um das saftige Grün des Küstengebirges oberhalb der bläulich schimmernden Flussmündung auf sich wirken zu lassen. Die Landschaft erinnerte sie stark an ihre Heimat, die sie zunehmend vermisste.

„Das Land Ihrer Vorväter?“ Esther, die über Shannons französische Verwandtschaft Bescheid wusste, lächelte.

Vielleicht hat Kane recht, dass ich in Barcelona nicht sehr glücklich war, dachte Shannon plötzlich. Eigentlich hatte er ihr mit dieser Entführung einen Gefallen getan und ihr etwas ermöglicht, das sie sich die ganze Zeit über gewünscht hatte. Hatte er gespürt, was mit ihr los war?

Gelächter brach aus, und Emily sprang auf. „Jetzt will ich aber schwimmen! Kommen Sie, Shannon, wir stürzen uns in den Pool.“ Schon zog sie den Reißverschluss ihres Kleides auf. „Und du kommst auch mit, Kane.“

„Tut mir leid, aber ich habe mit deinem Onkel noch etwas Geschäftliches zu besprechen“, lehnte er freundlich ab.

„Ich muss leider auch passen, weil ich kein Badezeug dabeihabe“, erklärte Shannon schnell.

„Wir könnten Ihnen etwas leihen“, bot Esther ihr großzügig an.

„Lieber nicht.“ Sie wäre zwar gern schwimmen gegangen, hatte jedoch keine Lust, sich weiter mit dem taktlosen Teenager abzugeben.

„Du scheinst vergessen zu haben, dass du vorhin im Ort einen Bikini gekauft hast“, erinnerte Kane sie. „Er liegt im Wagen.“

Du meine Güte, warum kann er nicht den Mund halten? dachte Shannon gereizt.

„Ach ja?“ Emily konnte ihre Neugier nicht zügeln. „Kann ich ihn sehen? Wollen Sie ihn nicht holen?“ Sie streifte sich das Kleid ab, unter dem sie einen züchtigen schwarzen Zweiteiler trug, der aber ihre Weiblichkeit unterstrich. „Sie können sich in meinem Zimmer umziehen.“

Verflixt, Kane! Shannon lächelte leicht gequält. „Den Bikini habe ich nur zum Sonnenbaden an Deck gekauft …“

„Kein Bikini ist nur zum Sonnenbaden da!“, widersprach Emily prompt und setzte herausfordernd hinzu: „Oder sind Sie wasserscheu?“

Dankbar wollte Shannon nach dem rettenden Strohhalm greifen, ehe sie jedoch etwas sagen konnte, mischte sich Kane belustigt ein: „Wer sich beim Morgengrauen mit den Delfinen im Meer tummelt, ist bestimmt nicht wasserscheu. Zeig’s ihnen, Shannon.“ Er stand nun ebenfalls auf. „Ich sage Stephan Bescheid, dass er deine Tüten herbringt.“

Nun war guter Rat teuer! Hilflos blickte Shannon ihm nach, als er sich auf die Suche nach dem Chauffeur machte. Jetzt Kopfschmerzen vorzuschützen wäre unglaubwürdig erschienen. Und nachdem die Coltranes sie so nett aufgenommen hatten, wollte sie nicht unhöflich sein.

In ihrem orangefarbenen Bikini und dem dazu passenden Pareo um die Hüften, der auf einer Seite ihr schlankes Bein freigab, verließ Shannon das Haus und ging hocherhobenen Hauptes über den gefliesten Innenhof zum Pool. Das blonde Haar hatte sie hochgesteckt, und Kane konnte nicht umhin, ihr makelloses Profil zur bewundern.

Am Poolrand blieb sie stehen und beobachtete Emily beim Kraulen. Dann löste sie den Pareo und ließ ihn zu Boden gleiten … und in Kane erwachte der Mann, denn Shannons Bikinihöschen bestand nur aus schmalen Perlenriemchen, sodass sie fast nackt wirkte.

Kane war plötzlich so erregt, dass er sich anders hinsetzte, weil ihm die Kleidung zu eng wurde. Wie hypnotisiert blickte er auf das orangefarbene Nichts und pfiff unwillkürlich leise.

„Meine Güte!“, flüsterte Bart, als Shannon geschmeidig in den Pool glitt. „Ein herrliches Geschöpf, Kane! An deiner Stelle wäre ich versucht, sie wegzusperren, um sie ganz für mich zu haben.“

„Ja …“ Kane atmete schwer und wünschte sich genau das. Er konnte den Blick nicht von Shannon abwenden, als sie wieder auftauchte und zu kraulen begann. Wie sollte er auch an etwas anderes denken, solange dieses sündhaft schöne Wesen sich ihm so darbot. Schließlich war er nicht aus Stein! Wofür hielt sie ihn eigentlich? Für Superman?

Dabei war Kane durchaus klar, dass Shannon das verführerische Nichts extra seinetwegen gekauft hatte. Und der Gedanke erregte ihn. Genau das aber hatte sie bestimmt beabsichtigt. Er sollte ihr „aus der Hand fressen“, ihr zu Füßen liegen, wie all die anderen Narren, über die sie sich so verächtlich geäußert hatte.

Dennoch hatte sie nicht vorgehabt, sich vor anderen so zu zeigen, dessen war er sich sicher. Doch selbst wenn sie ihn verführen wollte, was bezweckte sie damit? Wollte sie ihm entgegen seiner Behauptung, gegen ihre Reize immun zu sein, beweisen, dass dem nicht so war? Dann war sie ihrem Ziel jetzt gefährlich nah.

Ein neuer Gedanke drängte sich ihm auf, und ihm brach der kalte Schweiß aus. War sie wirklich nur eine vergnügungssüchtige Hexe, die mit den Männern spielte? Dann musste er sie mit ihren eigenen Waffen schlagen und durfte die entscheidenden Karten nicht aus der Hand geben.

Inzwischen war Shannon zum Beckenrand geglitten und hievte sich geschmeidig aus dem Wasser, dabei begegnete sie Kanes Blick, der unter der Pergola saß und sie gebannt beobachtete.

Esther kam genau in dem Moment mit einem Tablett, auf dem Getränke standen, aus dem Haus, als Shannon in ihrem aufreizenden Tanga den Pool verließ.

Der sinnliche Ausdruck in Kanes Augen ließ Shannons Herz schneller schlagen. Ihr Anblick hatte ihn erregt, das war ihr klar … gleichzeitig schien er wütend auf sie zu sein, weil sie ihn vor seinen Freunden in Verlegenheit gebracht hatte.

„Sie müssen unbedingt wiederkommen“, bat Esther sie eine gute Stunde später, und ihre Einladung klang aufrichtig.

Sie standen auf der Auffahrt vor dem Haus und warteten auf Bart und Kane. Die beiden Männer besprachen sich immer noch unter dem Bogengang der Villa. Auch Emily war bei ihnen, und Shannon konnte sich denken, warum.

„Es tut mir leid, dass Emily sich so aufgeführt hat“, fuhr Esther fort, als hätte sie Shannons Gedanken erraten, „aber sie ist nun mal hoffnungslos verknallt in Kane. Ich hoffe, das hat Sie nicht zu sehr gestört, oder?“

„Aber nein“, erwiderte Shannon freundlich und dachte unglücklich: Warum auch? Ich bin nun mal nicht seine Traumfrau.

„Bart und ich sorgen uns um ihn“, gestand Esther. „Er ist ein richtiges Arbeitstier, aber er scheint sich dabei wohl zu fühlen. Und ich muss zugeben, obwohl er so eingespannt ist, sieht er fantastisch aus.“

Sie drehten sich um und beobachteten Kane, der sich geduldig anhörte, was der Gastgeber ihm zu sagen hatte, während Emily ihn verzückt anhimmelte.

„Ein toller Mann“, sagte Esther und lächelte Shannon an. „Äußerlich ganz kühl, doch unter der Oberfläche schlummert ein Vulkan, der gelegentlich ausbricht. Aber eigentlich wird Kane nur sehr selten wütend. Und er nimmt sich stets Zeit für die Menschen, die ihm etwas bedeuten, besonders für Sophie.“

„Sophie?“ Nun war Shannon hellwach.

„Inzwischen ist sie zu einer bezaubernden jungen Frau herangewachsen“, fuhr Esther ahnungslos fort, „aber Kane fühlt sich immer noch als ihr Beschützer. Ich nehme an, er hat es Ihnen erzählt, sie war ein Nachzügler und erst acht Jahre alt, als die Eltern der beiden starben.“

„Der beiden?“ Shannon glaubte, sich verhört zu haben.

„Eine schreckliche Geschichte.“ Es war klar, dass Esther das Lawinenunglück meinte, doch Shannon hörte ihr kaum noch zu. Sophie war also …

Autor

Justine Davis
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