Unsere Insel der Leidenschaft

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Kurz vor ihrer Hochzeit mit Scheich Bari erfährt Prinzessin Noor, dass ihr heißgeliebter Bräutigam von seinem Großvater zur Ehe gezwungen wurde. Wütend und in ihrer Ehre gekränkt, flieht sie Hals über Kopf in einem Flugzeug. Doch sie hat nicht mit Bari gerechnet, der ihr heimlich an Bord gefolgt ist ...


  • Erscheinungstag 22.09.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759346
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ungeduldig schob Prinzessin Noor den Brautschleier zur Seite, blickte aus dem Cockpitfenster – und verfiel fast in Panik.

Wolken.

Eine dicke grauweiße Masse bedeckte das Festland, so weit das Auge reichte.

Aber sie hatte keine Ahnung, wie man sich ausschließlich anhand der Instrumentenanzeigen orientierte. Sie konnte nicht durch Wolken fliegen.

„Das kann doch nicht sein!“, flüsterte sie. Die türkisfarbenen Wellen des Golfs von Bakarat glitzerten unter ihr noch immer im Sonnenlicht. Aber das war auch keine Lösung, denn sie hatte nicht die geringste Übung darin, auf dem Wasser zu landen.

Warum hatte sie nicht früher gemerkt, dass sich da etwas zusammenbraute? Sie hätte längst etwas unternehmen sollen, um dieser Katastrophe auszuweichen. Hatte die Demütigung, die ihr wie ein Stachel im Fleisch saß, sie so sehr abgelenkt?

Noor blinzelte, als würde sie aus einem Traum erwachen, und sah sich um.

Was tat sie hier überhaupt?

Nicht einmal ihren Schleier hatte sie abgelegt, bevor sie ins Ungewisse gestartet war – und schon gar nicht auf das Wetter geachtet. Ja, sie hatte nicht einmal ein Ziel, außer so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Hochzeit mit Scheich Bari al Khalid zu bringen.

Wieder blickte sie hinaus auf die sich immer weiter ausbreitende Wolkendecke. Ihr Herz pochte heftig. Gut möglich, dass sie nicht nur die Hochzeit mit Scheich al Khalid für immer hinter sich gelassen hatte. Wenn diese Wolke sie einholte, dann würde sie überhaupt niemanden mehr heiraten.

Es hatte begonnen – ja, wann hatte es eigentlich begonnen? Als die Familien ihrer Eltern vor etwa dreißig Jahren aus diesem herrlichen Land flohen, damals nach Ghasibs Staatsstreich, und sich für Australien entschieden? Als ihre Eltern sich als junge Exilbagestani verliebten und heirateten?

Oder hatte es erst vor wenigen Monaten begonnen, als der viele Jahre währende Kampf der königlichen Familie um den Thron endlich von Erfolg gekrönt worden und Sultan Ashraf in seinem mittlerweile legendären Triumphzug, umjubelt von Menschenmassen, zum Alten Palast gezogen war?

Ja, vielleicht war das der Anfang gewesen, denn damals war Noor Ashkanis angenehmes, vorhersehbares Schicksal so sehr durcheinandergeraten, dass es ihr vorkam, als sei sie plötzlich eine ganz andere Person geworden.

Damals hatte ihr Vater etwas verkündet, was ihre Welt völlig verändern sollte. Während sämtliche Mitglieder ihrer Familie, wie so viele andere Exilbagestani überall auf der Welt, im Fernsehen die Ereignisse verfolgt, Freudentränen vergossen und sich gegenseitig umarmt hatten, hatte ihr Vater auf das ernste, hoheitsvolle Gesicht von Sultan Ashraf al Jawadi gedeutet und gesagt: „Jetzt endlich kann es gesagt werden: Du bist nicht, was du denkst, Noor. Dieser Mann ist dein Cousin.“

Cousin! Dieser Mann auf dem weißen Pferd, der bald zum Sultan von Bagestan gekrönt werden würde! Und nicht einmal ein entfernter Cousin, oh nein. Noors Mutter war die Tochter des gestürzten Sultans Hafzuddin und dessen zweiter Frau Sonia. Ihr Vater stammte aus der Familie der Schwester des alten Sultans. Sie besaßen Paläste und andere Güter, die Ghasib beschlagnahmt hatte und die jetzt wieder an sie zurückgegeben werden würden. Sie, Noor, gehörte zum Adel.

Sie war also nicht mehr Noor Ashkani, Tochter eines Exilbagestani, der sich in der Fremde eine Existenz aufgebaut hatte und ziemlich wohlhabend war. Nein, sie war Sheikha Noor Yasmin al Jawadi Durrani, Enkelin des gestürzten Sultans von Bagestan, Cousine des jetzigen Thronanwärters und verwandt mit der königlichen Familie des benachbarten Königreiches Parvan.

Wie zur Bestätigung kam bald darauf die Einladung des neuen Sultans zu den Krönungsfeierlichkeiten in Bagestan, gedruckt auf edelstem Papier von besonders schwerer Qualität und mit dem königlichen Siegel versehen, das man seit mehr als dreißig Jahren nirgendwo mehr gesehen hatte.

„Eigentlich eher ein Befehl als eine Einladung“, hatte ihr Vater stolz erklärt.

Niemals war Noor etwas so zu Herzen gegangen wie der Anblick des königlichen Paares, beide hochgewachsen und von stolzer Schönheit, angetan mit golden schimmernden Gewändern, geschmückt mit Perlen und Diamanten. Hunderte von ehrfürchtig schweigenden Gästen hatten zugesehen, wie sie langsam über den roten Teppich schritten, bis zum Thronsaal des Alten Palastes.

Scheich Bari al Khalid war einer der neu ernannten Tafelgefährten des Sultans und folgte, wie die anderen, dem Paar. Später erfuhr Noor, dass er der Enkel des Freundes ihres Großvaters war. Vor langer Zeit waren die beiden Großväter Tafelgefährten des damaligen Sultans gewesen.

Nun, wie auch immer, er war schlicht einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte.

Noor drehte am Funkgerät.

„Matar Filkoh, hier ist Ida Siegfried Quelle zwo sechs.“

„Ida ¼ sorry ¼ bitte wiederholen.“ Das Funkgerät gab alle möglichen Geräusche von sich, nur keine verständlichen Worte. Offenbar war sie schon fast außerhalb der Reichweite des Towers.

„Hier ist ISQ, Ida Siegfried Quelle zwo sechs“, wiederholte sie langsam. „Erbitte aktuellen Wetterbericht, ich wiederhole, Wetterbericht.“

„Landebahn in ¼ zwo, Bodenwind eins acht null Grad ¼ bis zu fünfunddreißig ¼ Wolken ¼ fünfhundert Meter Höhe, ¼ ziemlich schwerer Sturm ¼ Regen!“

Und dann war absolut nichts mehr zu hören. Mit klopfendem Herzen brach Noor den Funkkontakt ab und lehnte sich einen Moment zurück, um zu überlegen. Der Flughafen befand sich in den Bergen, und bei einem Gewitter mit Windstärke zehn ¼ würde sie es überhaupt schaffen?

Als sie losgeflogen war, war der Himmel klar gewesen. Dieses Wolkenungetüm musste sich in den Bergen zusammengeballt haben.

Jede Art von Wolke konnte absolut tödlich sein, wenn man nicht den Instrumentenflug beherrschte. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung davon. Wozu auch, wenn sie doch nur zum Spaß das Fliegen gelernt hatte?

Das Beste wäre, sofort auf dem Wasser zu landen. Aber sie hatte noch nie eine Wasserlandung gemacht.

Immerhin, sie hatte einmal einem Experten dabei zugeschaut. War das nichts?

Bari. Unwillkürlich schaute sie an sich herab. Weiße Seide, weiße Gaze, bestickt mit Perlen. Oh ja, Bari al Khalid war ein fantastischer Pilot, ein Experte. Wie auch in manch anderer Hinsicht, zum Beispiel was Verführungskünste betraf.

Oder Lügen. Aber zum Glück hatte sie das noch rechtzeitig herausgefunden. Suchend glitt ihr Blick über die Instrumententafel. Ah, da war die Uhr. Eine Stunde! War das alles? Hätte sie nicht gehört, was sie gehört hatte, und wäre sie nicht geflohen, dann wäre Scheich Bari al Khalid jetzt ihr Ehemann.

Es war auf dem Empfang im Anschluss an die Krönungszeremonie. Bari al Khalid wirkte so unglaublich hoheitsvoll, so männlich und stolz, geradezu arrogant in seinem rotbraunen Seidenjackett, der perlenbestickten Schärpe und dem mit Juwelen besetzten Schwert an der Hüfte, dass es völlig unmöglich war, keine Notiz von ihm zu nehmen.

Besonders aufregend war die Art, wie er sie immer wieder ansah. Sein Gesicht drückte dabei eine eigenartige Mischung aus Begierde und Zorn aus. Außerdem schien er ständig in ihrer Nähe zu sein. Jedes Mal, wenn sie aufblickte, war er da.

Noor war eine hübsche junge Frau, auf deren rundlichem Antlitz sich die Schönheit erst andeutete, zu der sie in einigen Jahren reifen würde. Doch an jenem Tag sah sie besonders bezaubernd aus. Ihren Eltern war nichts zu kostspielig gewesen, und so trug Prinzessin Noor ein sündhaft teures Kleid wie aus Tausendundeiner Nacht, es war aus pastellgrüner Seide, eine Kreation von Prinzessin Zaras Lieblingsdesigner.

Das Oberteil war eng anliegend und rückenfrei, und der halbtransparente, mit glitzernden Perlen bestickte Stoff schmiegte sich an ihre vollen Brüste und ihre schmale Taille. Unterhalb der Taille bauschte sich der Stoff in einer eigenwilligen Mischung aus halblangem Rock und Pluderhose um ihre Beine. Gleichsam als eine ironische Anspielung auf den traditionellen Schleier vervollständigte ein Gebilde aus durchsichtigem Tüll, das vom Hinterkopf bis zu den Füßen reichte, ihr Outfit.

Noors Make-up war makellos, ihr dunkles rötliches Haar glänzte. Es war streng nach hinten frisiert, sodass ihre kleinen, perfekt geformten Ohrmuscheln betont wurden sowie ihr niedliches rundes Kinn und der seidig glatte, schlanke Hals.

Und alle Leute um sie herum hörten nicht auf, sie mit „Eure Hoheit“ anzureden.

Trotzdem fand sie es überwältigend, dass solch eine imposante Erscheinung wie Bari al Khalid nur einen Blick auf sie geworfen und sofort Feuer gefangen hatte.

Der Schatten des kleinen Flugzeugs tanzte über die glitzernden Wellen. Verzweifelt versuchte Noor, zu einer Entscheidung zu kommen. Sie war mit diesem Flugzeug schon zuvor gelandet, auf festem Boden und mit Bari auf dem Copilotensitz. Sie wusste, wie man es machte. Und falls nötig, würde sie auch auf flüssigem Grund landen.

Aber solange es noch eine andere Möglichkeit gab ¼ Sie zog die Karte heraus und versuchte, ihre Position einzuschätzen, was nicht einfach war, da fast alle Landmarken, bis auf die Spitzen der Berge, von der Wolkenmasse verdeckt wurden.

Sollte sie versuchen, sofort zu landen? Dann wäre sie allerdings ziemlich weit draußen auf See. Wer würde sie finden und retten? Sollte sie es riskieren, näher ans Festland zu fliegen – und damit näher an die Wolke – bevor sie landete? Was, wenn die Wolke sich plötzlich ausdehnte und sie im Tiefflug verschluckte?

Außerdem: Noor konnte nur landen, solange die Sichtverhältnisse gut waren. Sie würde die Orientierung verlieren, sobald sie den Höhenmesser als einzige Orientierungshilfe hätte.

Das Meer war so trügerisch. Vielleicht würde sie aufs Wasser aufschlagen, während sie sich noch in dreißig Meter Höhe wähnte. Oder was sie für eine kleine Welle hielt, könnte sich als fünf Meter hohe Woge entpuppen.

Wie Bari al Khalid, dachte sie. Ich glaubte, wir seien uns nah, doch all die Zeit war er Welten von mir entfernt.

Dass der Tafelgefährte mit der Cousine des Sultans bekannt gemacht wurde, war eine protokollarische Selbstverständlichkeit. Er verbeugte sich höflich, mit einer Faust an der Brust, doch sein Blick war voller Glut. Und die männlich arrogante Selbstsicherheit, die seine dunklen Augen ausstrahlten, ließ Noor regelrecht dahinschmelzen.

„Kommen Sie“, hatte er gesagt, mit diesem typisch aristokratischen, unterschwellig befehlsartigen Ton, als ob es gar nicht möglich sei, dass sie andere Wünsche haben könnte als er. „Ich werde Ihnen die Gärten zeigen. Die Wasserspiele werden Ihnen gefallen.“

Noor war noch nie im Sturm erobert worden. Und sie wusste, es würde niemals wieder geschehen, nicht auf so überwältigende, schwindelerregende Art. In den folgenden Wochen ihres Aufenthaltes in Bagestan – sie sollte die Heimat ihrer Eltern kennenlernen – nahm Bari all ihre Zeit in Anspruch. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so gut amüsiert, und das, obwohl schon ihr ganzes Leben fast nur aus Vergnügen bestanden hatte.

Bari schien in allem ein Experte zu sein. Er spielte teuflisch gut Tennis, und er bewegte sich dabei so geschmeidig, dass Noor sich immer wieder vom Spiel seiner Muskeln ablenken ließ, anstatt auf den Ball zu achten. Er machte herrliche Segeltouren mit ihr auf der schönsten kleinen Jacht, die sie je gesehen hatte. Er ließ sie sein Privatflugzeug steuern, führte sie aus zu den Partys der Reichen und Berühmten, zu denen sie bis jetzt niemals Zugang gehabt hatte, und er brachte sie zum Lachen ¼

Und schließlich, bei einem ihrer Segelausflüge, hatten sie Sex gehabt. Es war das erste Mal für Noor, und es war traumhaft gewesen.

„Natürlich wirst du mich heiraten“, hatte er zu ihr gesagt, und seine Stimme war heiser und fordernd gewesen vor Leidenschaft. „Wir werden hier in Bagestan unsere Zukunft aufbauen und leben und unsere Kinder großziehen.“

Es war alles viel zu schnell gegangen. Natürlich. Ihre Cousine Jalia hatte sie gewarnt, und sie hatte recht gehabt. Aber in Noors Kopf hatte sich alles gedreht. Seit ihr Vater verkündet hatte, wer sie wirklich war, war ihre ganze Welt durcheinandergeraten. Der einzige Halt war Bari gewesen – und Bari wollte sie zur Frau, Bari wusste, was er tat.

Sie war nur nach Hause geflogen, um alles Nötige zu veranlassen und so bald wie möglich wieder nach Bagestan zurückzukehren, zu einer gigantischen Hochzeitsfeier, die man in atemberaubendem Tempo auf die Beine gestellt hatte, und zu der praktisch jeder, der in Bagestan Rang und Namen hatte, eingeladen worden war.

Und dann, die Trauung sollte in wenigen Minuten stattfinden, war ihr der einzige Halt entrissen worden, den sie hatte. Sie hatte erfahren, was für eine Närrin sie gewesen war.

Bari wusste, was er tat, oh ja. Aber er liebte sie nicht. Er wollte sie nicht aus Liebe heiraten. Er wollte sie eigentlich überhaupt nicht heiraten.

Die Inseln! Natürlich! Es gab dort draußen Inseln! Wie hatte sie das vergessen können? Sie und Bari waren doch über die Inselgruppe geflogen. Al Jeza ‚ir Khaleej hatte er sie genannt. Die Golfinseln.

„Sie sind unbewohnt, seit man die Insulaner gewaltsam evakuiert hat“, hatte er ihr erklärt. „Bis auf die größte, dort befindet sich ein Luxushotelkomplex. Das Gulf Eden Resort war einer der Tricks, mit denen Ghasib sich seine Taschen mit Devisen gefüllt hat. Es wurde von einer großen internationalen Hotelkette gebaut, für die Reichsten dieser Welt.“

Baris Stimme war voller Verachtung gewesen, und Noor hatte den Blick gesenkt und verschwiegen, dass sie selbst schon einmal erwogen hatte, dort Urlaub zu machen. Nur das strikte Verbot ihres Vaters hatte sie davon abgehalten.

Das könnte meine Chance sein, sagte sie sich. Aber wo waren die Inseln? Fieberhaft suchte sie auf der Karte und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.

2. KAPITEL

Scheich Bari al Khalid betrachtete seine entflohene Braut über die Lehne des Passagiersitzes, der das Cockpit vom Gepäckraum trennte.

Wie konnte sie es wagen, sich auf diese Weise von ihrer Hochzeit davonzustehlen? Ohne ein Wort der Entschuldigung, ohne den geringsten Versuch einer Erklärung?

Was glaubte sie, wer er war, dass er sich mit einer solchen Beleidigung abfinden würde?

Sein Blick nahm einen Ausdruck grimmiger Belustigung an. Der Flughafen war also unter Wolken versteckt. Die Situation war heikel. Seine reizende Braut wusste nicht, wie man eine Wolke durchflog, und sie konnte nicht auf Wasser landen.

Wie sehr sie es verdient hatte, dieses Dilemma.

Wie dumm von ihr, diese Fluchtmethode zu wählen. Die See war launisch und unruhig seit dem Ende der Trockenzeit vor ein paar Wochen, und das wusste sie doch genau. Als unerfahrene Pilotin hätte sie niemals dieses Risiko eingehen und allein starten dürfen.

Erst als seine Lippen sich zu einem boshaften Grinsen verzogen, wurde ihm bewusst, wie sehr er die Kiefermuskeln angespannt hatte. Am liebsten würde er seine flüchtige Braut noch länger in ihrem Unglück schmoren lassen, um ihr eine Lektion zu erteilen. Verdammt, es wäre nicht schlecht, sich hier versteckt zu halten, bis der Tank fast leer wäre und sie das Schicksal um einen schnellen Tod anflehen würde. Wie sehr würde er es genießen, sie so verzweifelt zu sehen!

Aber er konnte das Risiko nicht eingehen. Sie könnte jeden Augenblick in Panik verfallen, und das könnte sie beide innerhalb von Sekunden das Leben kosten.

Nein, man konnte sich nicht darauf verlassen, dass Noor in einer schwierigen Situation einen klaren Kopf behalten würde.

Man konnte sich nicht einmal darauf verlassen, dass sie einfach nur ihr Wort hielt!

Nun, er würde sie dazu bringen. Dazu war er wild entschlossen. Sie würde nicht entkommen. Sie hatte sich ihm versprochen, und sie würde dieses Versprechen einlösen.

Bari richtete sich auf. „Na, da bist du wohl in deine eigene Falle getappt“, äußerte er sich vernehmlich. „Was hast du dir nur davon versprochen?“

„Bari?!“ Noors Kopf fuhr herum. Sprachlos betrachtete sie die vor Zorn glühenden Augen, das dunkle, schöne Gesicht, die hochgewachsene Gestalt in dem königlichen Gewand aus roter, mit perlenbestickter Seide. Sein mit Juwelen verziertes Schwert hing an seiner Seite.

Sie zog eine Grimasse. „Verflixt! Ich habe wohl Halluzinationen!“

„Ich wünschte, es wäre so!“, zischte er. „Ich wünschte, wir würden beide halluzinieren. Den Verstand zu verlieren wäre besser, als erkennen zu müssen, was für eine Frau du bist.“

Er nahm ihren Schleier, den sie auf den Copilotensitz gelegt hatte, und warf ihn verächtlich auf den Passagiersitz hinter ihr, so als ob ihm dieses Symbol ihrer Trauung Übelkeit bereitete. Noor spürte ein Ziepen auf ihrem Kopf, da das Ende des Schleiers immer noch an ihrem Haarkranz aus weißen Rosen befestigt war.

Bari schob sein Schwert geschickt zur Seite und setzte sich. Mit einer Selbstverständlichkeit, die Noor wütend machte, schnallte er sich an.

„Ich übernehme“, sagte er nur und begann, die Kontrollinstrumente auf seiner Seite einzuschalten. Seine Bewegungen waren ruhig und sicher und verrieten nichts von den Gefühlen, die ihn aufwühlten. Das Flugzeug gehorchte seinem Meister wie ein wohlerzogener Hund.

„Bist du real?“ Noor fragte sich, ob sie völlig verrückt geworden war. Sie hatte soeben jemandem die Kontrolle überlassen, der vielleicht nur ein Phantom war. Stürzten deshalb manchmal Flugzeuge ab, weil der Mann, der sie flog, nur in der Fantasie eines Verzweifelten existierte?

„Du wirst schon sehen, wie real ich bin“, brummte Bari. Noch nie hatte sie diese herrlich geschwungenen, sinnlichen Lippen so fest zusammengepresst gesehen. Er konnte keine Sinnestäuschung sein. Weshalb also sollte sie sich mit einer Halluzination noch mehr Angst machen als sie sowieso schon hatte?

„Ich schätze, du bist die Antwort auf mein Stoßgebet“, sagte sie und lachte bitter. „Gott hat schon einen merkwürdigen Sinn für Humor.“

„Du sprichst im Zusammenhang mit dieser Situation von Gott? Du?“

Sein Ton war so verächtlich, dass Noor eine Gänsehaut bekam.

Baris Blick war fest auf die Instrumententafel gerichtet. Da sie auf dem Pilotensitz saß, musste er den Oberkörper verdrehen, um alles sehen zu können. Sie spürte, wie das Flugzeug den Kurs änderte und in einem großen Bogen aufs Meer hinaus flog. Dort gab es keine Wolken, aber selbst wenn die Wolken sie einholen würden – Bari beherrschte die Kunst des Blindflugs.

„Wie bist du hierher gekommen? Hast du dich heraufbeamen lassen?“

Seine Stimme war wie ein Peitschenhieb. „Was glaubst du, wie schwierig es ist, einer weißen Limousine zu folgen, aus deren Schiebedach ein Brautschleier flattert? Und es war auch nicht schwierig zu erraten, dass du das Flugzeug nehmen würdest.“

Da irrte er sich. Das hatte sie gar nicht geplant. Darauf war sie erst gekommen, als sie entsetzt festgestellt hatte, dass sie in ihrer panischen Flucht nichts mitgenommen hatte, weder eine Handtasche, noch frische Kleidung, noch Bargeld. Und sie hatte nicht gewagt, zum Palast zu fahren. Dort würde man sie als erstes suchen.

Die Vorstellung, zur Hochzeit zurückkehren und den Gästen eine Erklärung abgeben zu müssen, wenn es doch keine vernünftige Erklärung gab, hatte sie in Panik versetzt. Aber dann hatte sie sich erinnert, dass Bari im Flugzeug immer einen gewissen Geldbetrag aufbewahrte für den Fall aller Fälle. Nach diesem Strohhalm hatte sie gegriffen.

Das Flugzeug war vollgetankt gewesen und bereit für ihre Hochzeitsreise. Erst in diesem Augenblick war ihr der verrückte Gedanke gekommen, einfach vor den unlösbaren Problemen, die sie verursacht hatte, davonzufliegen.

„Wenn ich nur verstehen könnte, warum du das getan hast“, sagte Bari schneidend. „Selbst jemand, der in der Gosse groß geworden ist, würde sich nicht so taktlos und kindisch verhalten wie du!“

Noor zuckte innerlich zusammen. Sie hatte noch nie so einen hasserfüllten und verächtlichen Ausdruck auf Baris Gesicht gesehen. Sie hatte überhaupt noch nie jemanden so zornig gesehen, und sie musste zugeben, dass er nicht völlig unrecht hatte. Aber so eine Schuldzuweisung konnte sie nicht widerspruchslos hinnehmen.

„Du bist vor mir im Flugzeug gewesen, und anstatt mich anzusprechen, hast du dich versteckt. Und du nennst mich kindisch?“

„Ja, dir hätte eine Konfrontation in aller Öffentlichkeit wohl Spaß gemacht, Noor, aber mir nicht. Wir werden nach Hause zurückkehren, und du wirst mich heiraten, ohne Widerspruch und ohne ein Wort in der Öffentlichkeit über dein unverzeihliches Verhalten.“

„Zurückkehren?“, rief sie mit überschnappender Stimme. Sie hatte gemerkt, dass Bari erneut den Kurs geändert hatte, zurück nach Bagestan. „Was machst du da? Wohin fliegen wir?“

„Wir werden am Bootssteg landen, zum Haus gehen und uns bei unseren Gästen für die Verspätung entschuldigen. Und dann werden wir unser Gelübde ablegen“, erklärte er mit jener ruhigen Bestimmtheit, zu der man nur in eiskaltem Zorn fähig ist. „Ein bisschen spät, aber gewisse Zugeständnisse an eine junge Braut sind noch zulässig, denke ich.“

Noor starrte ihn wütend an. Wie unglaublich anmaßend er war! Ihre aufkeimenden Zweifel an der Richtigkeit ihres Verhaltens wurden verdeckt von ihrer Wut. „Vielleicht ist es dir entgangen, dass die Braut es sich anders überlegt hat, Bari! Ich werde dich nicht heiraten!“

„Du hast es dir nicht anders überlegt“, erklärte er kühl. „Du hättest dich natürlich nie so verhalten, wenn du jemals wirklich vorgehabt hättest, mich zu heiraten. Aber du hast dir den falschen Mann ausgesucht, Noor. Ich mache diese Spielchen, die in der westlichen Welt wohl üblich sind, nicht mit. Du hast gesagt, du würdest mich heiraten. Und du wirst es tun.“

„Es ist kein Spiel! Ändere sofort den Kurs!“, schrie sie. Wie konnte er einfach so über sie hinweggehen, wo er doch bestimmt wusste, weshalb sie getan hatte, was sie getan hatte? Zumindest musste er einen Verdacht haben! Wofür hielt er sich eigentlich? „Wer glaubst du ¼?“

„Es wird nicht lange dauern. In der Zwischenzeit kannst du mir erklären, was das Ganze soll, wenn es denn kein Spiel ist. Und ich möchte nichts als die Wahrheit hören.“

„Die Wahrheit! Ha, das ist gut, wirklich! Ich bin nicht diejenige, die von Anfang an gelogen hat! Ich bin nicht diejenige, die ohne Gewissen handelt. Wie wäre es, wenn du anfängst ¼“

„Du redest zu mir von Gewissen?“, schrie Bari. Offenbar war er kurz davor, seine eiserne Selbstkontrolle aufzugeben. „Was hat dich dazu gebracht, so zu tun, als wolltest du mich heiraten und mir dann so übel mitzuspielen? Hunderte von Gästen sind gekommen.“

„Es kann für dich nicht schwer sein, zu erraten, was mich dazu gebracht hat. Deine Lügen! Du musst doch gewusst haben, dass ich die Wahrheit ¼“

„¼ aus aller Welt, um nicht nur unsere Hochzeit zu feiern, sondern auch ihre Hoffnungen, die sie mit der Wiedergeburt unseres Landes verbinden.“

„¼ früher oder später herausfinden würde! Du hast wohl auf später gesetzt. Zu dumm!“

„Weißt du eigentlich, dass du fast in die Eskorte des Sultans hineingefahren wärst? Er und die Sultanin ¼“

„Ich habe sie an den bagestanischen Flaggen an den Stoßdämpfern erkannt“, gab Noor zu. „Sie sind gut, die Leute von deinem Boss. Sie haben mich fast von der Straße gefegt.“

Bari drehte sich zu ihr um. Seine Augen erschienen fast schwarz. „Rede nicht so von einem Mann, von dessen Mut und Stärke du keine Ahnung hast.“

Das Flugzeug hatte eine Wende von 130 Grad gemacht. Plötzlich war die Wolkenbank, die sich immer weiter über dem Festland ausdehnte, wieder in Sicht.

Baris Augen weiteten sich. Dann kniff er sie zusammen. Wie hatte er es zulassen können, dass er vor lauter Streiten vergaß, auf den Himmel zu achten?

Noor folgte seinem Blick und keuchte verblüfft. Bari war keine Minute zu früh aufgetaucht. Die Wolke hatte sich schnell vergrößert und raste auf sie zu.

Wenn ich jetzt allein wäre, würde ich mein letztes Gebet zum Himmel schicken.

„Cumulonimbus“, murmelte Bari. „Ich Idiot.“

Hilflos starrte Noor auf die unheilschwangere dunkle Masse, die sich ihnen entgegenschob.

Bari hatte recht.

„Aber am Flughafen sagten sie, es sei Nimbostratus!“, rief sie.

Er gab keine Antwort, sondern drosselte nur die Geschwindigkeit.

Cumulonimbus-Wolken waren selbst für einen gut ausgebildeten, erfahrenen Piloten gefährlich. Sie konnten ernsthafte Turbulenzen verursachen. Solche, in denen ein Flugzeug zerbrechen konnte wie ein Spielzeug.

Sie begannen, an Höhe zu verlieren, und Bari änderte erneut den Kurs, weg von der Küste. Natürlich, er würde versuchen, unterhalb der Wolke weiterzufliegen. Wenn er nur ¼

„Du hattest wohl nicht einmal genug Verstand, um dich umzuziehen!“, sagte Bari scharf, ohne den Blick von den Instrumenten zu nehmen. Dass seine Ex-Braut von mehreren Metern Seide und Tüll umhüllt war, machte es ihm nicht gerade einfacher. „Im Wasser würde dich das Zeug mit Sicherheit in den Tod ziehen. Zieh es aus.“

Dieser kalte Befehlston war ihr an ihm völlig neu. Noor kaute an ihrer Unterlippe. Im Wasser hatte er gesagt. Plötzlich erschien die Gefahr als etwas schrecklich Reales. Während Bari vergebens versuchte, Funkkontakt zum Flughafen zu bekommen, zerrte sie panisch das erste Dutzend Haarnadeln heraus, um den weißen Rosenkranz aus ihrem Haar zu lösen.

Plötzlich war das Meer, der Himmel, die Sonne verschwunden, und das kleine Flugzeug versank in einer Welt aus Grau. Noor hörte ein merkwürdiges Geräusch, wie ein unterdrücktes Prasseln. Im nächsten Moment sah sie die Regentropfen an den Glasscheiben.

Autor

Alexandra Sellers

Alexandra Sellers hat schon an vielen verschiedenen Orten gelebt – wie viele genau, kann sie selbst nicht mehr sagen. Schon als kleines Mädchen träumte sie von fernen Ländern, inspiriert von den Märchen aus 1001 Nacht. Und irgendwann sah sie sich selbst an diesen geheimnisvollen Orten als Schriftstellerin. Prompt wurde die...

Mehr erfahren