Verliebt in den Arzt aus Italien

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Seite an Seite retten sie das Leben von Kindern, aber seit die hübsche Ärztin Lucy sich in ihren Chef Dr. Niccolo Alberici verliebt hat, kann sie sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Wird sie ihren Job verlieren? Nur Niccolo kann ihr jetzt noch helfen ...


  • Erscheinungstag 25.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729547
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Geld oder Leben?“

Lucy fuhr herum und starrte den Straßenräuber an. Sie erkannte weder seine Stimme noch die untere Hälfte seines Gesichts, die nicht von der Dominomaske verdeckt war. Auch die dunklen Augen, eine seltsame Mischung aus Braun und Grau, die sanft und durchdringend zugleich wirkten, waren ihr unbekannt.

Gefährliche Augen.

Geld oder Leben?

Ohne Lucy Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, lächelte der Mann sie an. Ein Lächeln, das noch gefährlicher war als seine Augen. Ein Lächeln, das ein aufregendes Kribbeln in ihrem Magen verursachte.

Der Unbekannte sah einfach umwerfend aus. Dunkles Haar, das sich unter einem breitkrempigen schwarzen Hut lockte, glatte gebräunte Haut, ein weites weißes Seidenhemd, das nur zur Hälfte geschnürt war und somit die dunklen Härchen auf seiner Brust enthüllte, eine enge schwarze Hose, auf Hochglanz polierte schwarze Stiefel und dazu ein seidig glänzender schwarzer Umhang.

Der romantische Straßenräuber in Person.

„Ich würde mich auch mit einem Kuss zufriedengeben“, sagte er rau und beugte sich vor, um ihn sich zu holen.

Der Kuss an sich war recht keusch und fand mitten in der Öffentlichkeit statt: nämlich auf dem Wohltätigkeitsmaskenball der Mitarbeiter im Treverro-Krankenhaus. Doch als ihre Lippen sich berührten, gaben Lucys Knie plötzlich nach. Zum Glück hielt der Mann sie an beiden Ellbogen fest, sonst wäre sie womöglich gestolpert.

Doch es kam noch schlimmer.

Als er sich von ihr löste, um ihr ins Gesicht zu schauen, las Lucy es in seinen Augen. Er spürte ganz genau, welche Wirkung er auf sie gehabt hatte. Er wusste, dass ihr gerade so ziemlich alle Sicherungen durchgebrannt waren.

„Bis später, Prinzessin“, sagte er, tippte kurz an seinen Hut, zwinkerte ihr mit einem breiten Lächeln zu und machte mit einem eleganten Schwung seines schwarzen Umhangs auf dem Absatz kehrt.

Es war eine absolut theatralisch übertriebene Geste, und eigentlich hätte Lucy lachen sollen. Aber ihr wurde beinahe übel bei dem Gedanken, was eben geschehen war. Wer dieser Straßenräuber auch sein mochte, dieser Kuss war auf jeden Fall eine abgekartete Sache gewesen. Und zwar eine sehr öffentliche. Sie konnte sich schon denken, wer ihn dazu angestiftet hatte, – und mit welchen Worten: „Lucy ist eine Eiskönigin. Es wird Zeit, dass jemand mal den Beweis liefert, dass sie auch auftauen kann.“

Sie biss die Zähne zusammen. Wenn sie diesem Straßenräuber jemals wiederbegegnen sollte, würde sie ihm das Fell über die Ohren ziehen.

Und was ihren Assistenzarzt betraf … Malcolm Hobart sollte lieber hoffen, dass sich ihre Laune bis zum Dienstbeginn morgen früh wieder gebessert hatte.

1. KAPITEL

„Das ist wirklich Pech, Lucy“, meinte Malcolm. „Eigentlich hättest du den Job kriegen müssen.“

„Die da oben sind anscheinend anderer Meinung.“ Sie zuckte die Achseln. „Wolltest du mich wegen irgendetwas Besonderem sprechen, liebster Malcolm, oder können wir jetzt unsere Visite machen?“

„Das ärgert dich wirklich, oder? Von Nic Alberici verdrängt zu werden, obwohl alle dachten, dass der Job dir gehört.“

„Es ärgert mich überhaupt nicht“, erklärte sie gereizt.

„Lucy Williams, Oberärztin für Geburtsmedizin. Klingt gut.“ Malcolm warf ihr einen scherzhaften Blick zu. „Wenn du Luke Williams gewesen wärst, hättest du vielleicht bessere Chancen gehabt.“

Obwohl Lucy wusste, dass sie sich nicht von Malcolm provozieren lassen sollte, konnte sie sich nicht zurückhalten. „Männerjobs, stimmt’s? Und da ich nicht die Absicht habe, mich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, um ein italienischer Playboy zu werden, der den Krankenhausbossen zusagt, muss ich mich wohl damit abfinden, oder?“

Da sah sie, wie Rosemary, die Stationsschwester und leitende Hebamme, den Kopf schüttelte und mit den Händen die Geste für „Hör sofort auf!“, machte.

Zu spät, denn hinter sich hörte sie eine anzügliche Stimme sagen: „Eigentlich bin ich nur Halbitaliener. Meine Mutter ist Engländerin.“

Am liebsten wäre Lucy im Erdboden versunken. Weil dies jedoch nicht möglich war, holte sie tief Luft und drehte sich um, um sich bei Nic Alberici zu entschuldigen.

Da sah sie seine Augen – dunkle Augen, eine seltsame Mischung aus Braun und Grau. Augen, die sie schon einmal gesehen hatte. Nur dass sie diesmal nicht lächelnd, sexy und wissend wirkten, sondern zornig und kalt.

Schlimmer kann’s nicht mehr kommen, dachte Lucy. Der Mann, der sie beim Maskenball in Verlegenheit gebracht hatte, war ausgerechnet ihr neuer Chef. Sie konnte ihn also nicht so anschnauzen, wie sie es nur allzu gern getan hätte.

Entschlossen hob sie das Kinn. „Tut mir leid. Sie müssen Mr. Alberici sein“, sagte sie höflich und streckte die Hand aus. „Lucy Williams, Stationsärztin. Willkommen auf der River-Station.“

Er nahm ihre Hand nicht. „Männerjobs … ein italienischer Playboy, hm?“

Achselzuckend erwiderte sie: „Eine Redensart. War nicht persönlich gemeint.“

„Ich denke, Dr. Williams, dass zwischen Ihnen und mir eine kleine Unterredung fällig ist. Vielleicht könnten wir dazu in mein Büro gehen?“

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Malcolms schadenfrohes Grinsen und hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. Selber schuld, dachte sie. Wahrscheinlich hat Malcolm ihn kommen sehen und mich deshalb provoziert. Aber einen schlechten Start mit Nic Alberici kann ich wirklich nicht gebrauchen.

Kleinlaut folgte sie Nic in sein Büro. Das Büro, das sie in den letzten Monaten als stellvertretende Oberärztin benutzt hatte.

Er bedeutete ihr, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

„Es tut mir leid, dass Sie meine Bemerkung mitbekommen haben“, sagte Lucy.

„Mir ist durchaus klar, dass sie nicht für mich bestimmt war.“ Der Ausdruck in seinen Augen wurde noch eine Spur kühler.

„Ich hätte es gar nicht sagen sollen.“

„Falls Sie ein Problem damit haben, mit mir zusammenzuarbeiten, Dr. Williams, würde ich das gerne als Erster erfahren“, antwortete Nic. „Es ist wichtig, dass die Patienten …“

„… Vertrauen zu dem Team haben, das für sie zuständig ist“, warf sie ein. „Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Und ich habe kein Problem damit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Mr. Alberici. Was Sie da gehört haben …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „… ist nicht das, was ich denke, sondern das, was einige Mitarbeiter von mir glauben. Ich gebe zu, ich dachte, ich würde die Oberarztstelle bekommen. Seit Mike uns verlassen hat, habe ich die Vertretung übernommen. Aber Sie sind älter als ich, Sie haben mehr Erfahrung und einen guten Ruf. Also waren Sie der bessere Kandidat, und ich bin sicher, ich kann noch einiges von Ihnen lernen.“

Er wirkte nicht recht überzeugt. „Und warum …?“

„Warum ich das zu Malcolm gesagt habe?“ Lucy zuckte die Achseln. „Sie kennen ihn doch.“ Ganz sicher sogar. Schließlich hatte Malcolm ihn dazu überredet, sie auf dem Ball zu küssen, oder etwa nicht?

Es entstand eine längere, höchst unbehagliche Pause.

„Und was jetzt?“, fragte Nic dann.

„Ich entschuldige mich noch einmal. Ich versichere Ihnen, dass ich meinen Beruf ernst nehme. Sie akzeptieren das, und wir fangen jetzt mit der Visite an, ehe unsere schwangeren Mütter womöglich mit drei Tage alten Babys nach Hause gehen.“

Seine Mundwinkel zuckten belustigt. Wenigstens hat sie Sinn für Humor, dachte er. Das ist ja schon mal etwas.

„Entschuldigung angenommen, Dr. Williams.“ Allmählich kehrte die Wärme in seine Augen zurück.

Ganz zu schweigen von der Wärme, die sich in ihrer Magengegend ausbreitete. Wieso musste er auch ein so umwerfendes Lächeln haben? Warum hätte er nicht einfach anders sein können – mittleren Alters, langweilig und nicht im Mindesten sexy? Und dann noch diese Stimme mit dem leichten Akzent. Wie die sich wohl in leidenschaftlichen Momenten anhören mochte …

Oh nein, über so was will ich gar nicht nachdenken, ermahnte Lucy sich. Und schon gar nicht bei meinem neuen Chef.

„Allerdings ziehe ich es vor, meine Kollegen beim Vornamen zu nennen“, fuhr er fort. „Sagen Sie Nic zu mir.“

Die Art, wie er es mit einem etwas lang gezogenen italienischen ‚i‘ aussprach, wirkte unglaublich sinnlich. Lucy musste schleunigst ihre Libido unter Kontrolle bringen. Immerhin hatte sie auf die harte Tour gelernt, was passierte, wenn man sich von seinen Hormonen leiten ließ anstatt von seinem Verstand.

„Lucy.“ Sie sprach ihren Namen so englisch unterkühlt aus, wie sie nur konnte. Ganz die Eiskönigin, ihrem Ruf entsprechend. Sie streckte die Hand aus. „Und ich habe es ernst gemeint. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.“

Sein Händedruck war fest, kühl und professionell. Weshalb schien ihr dann bei dieser Berührung das Blut in den Adern zu pochen? Und wenn das schon bei einem einfachen Händedruck geschah, was wäre dann wohl bei einem intimeren …?

Nein. Entschlossen unterdrückte sie den Gedanken. „Sollen wir?“

Nic nickte, und sie gingen zu Rosemary und Malcolm. Gerade als die Stationsschwester sie über die erste Patientin informieren wollte, ertönte Lucys Pager.

Sie eilte ans Telefon. „Lucy Williams … Sie haben mich angepiept?“

„Danke für Ihren Rückruf“, sagte eine Krankenschwester aus der Notaufnahme. „Wir haben hier eine Patientin mit Verdacht auf Plazenta-Ablösung.“

Wenn sich ein Teil der Plazenta von der Gebärmutter löste, konnte das für Mutter und Kind gefährlich sein. Falls eine schwere Blutung vorlag, musste eine Notentbindung gemacht werden.

„Haben Sie einen Ultraschall gemacht?“, fragte Lucy.

„Das Gerät ist unterwegs. Könnten Sie sich die Patientin mal anschauen?“

„Ich bin gleich unten.“ Vorher musste sie jedoch ihrem neuen Chef Bescheid sagen. Sie steckte den Kopf durch den Vorhang der Kabine, in der er arbeitete. „Mr. Alberici, verzeihen Sie die Störung. Könnte ich Sie kurz sprechen?“

„Natürlich. Bitte entschuldigen Sie mich“, sagte er zu seiner Patientin und kam dann heraus. „Was gibt’s?“

„Wir haben in der Notaufnahme eine Patientin mit Verdacht auf Plazenta-Ablösung. Sie haben mich gerufen.“

„Ich komme mit. Wenn das wirklich der Fall ist, müssen wir sie sofort in den OP bringen. Sie assistieren mir?“

„Sicher“, murmelte sie. Er hätte ja auch anbieten können, mir zu assistieren, dachte sie. Aber nein, er muss sofort die Führung übernehmen.

„Ich werde Malcolm schnell einweisen, dann bin ich bei Ihnen“, erklärte er.

Effizient, höflich … zumindest zu den Patienten, wenn schon nicht zu ihr … und unglaublich attraktiv. Eine verführerische Mischung. Und sehr gefährlich.

Hör auf, warnte Lucy sich. Du darfst nicht so an Nic Alberici denken.

Obwohl er vor ihrem inneren Auge keinen teuren dunkelgrauen Anzug mit einem weißen Hemd, einer Krawatte und einem weißen Kittel trug. Stattdessen sah sie ihn in einem halb offenen weißen Seidenhemd, einer engen schwarzen Hose, einem Hut und einer Dominomaske. Ungemein sexy. Und mit einem vielversprechenden Lächeln …

„Malcolm übernimmt die Visite und wird uns anpiepen, falls es irgendwelche Probleme geben sollte“, unterbrach Nic ihre Fantasien. „Ich sage ihm Bescheid, wenn wir in den OP müssen.“

Lucy wurde rot. „Okay.“

„Ich will nicht die Qualität Ihrer Arbeit kontrollieren“, meinte er, da er ihre geröteten Wangen falsch interpretierte.

„Das habe ich auch nicht gedacht.“

Er seufzte. „Hören Sie, Lucy, wir haben einen schlechten Start erwischt. Vergessen wir das doch einfach und fangen noch mal vorn vorne an, ja?“

Den Kuss konnte sie jedoch nicht vergessen. Sogar jetzt noch schien sie seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren. Aber das Schlimmste war, dass sie sich wünschte, er würde sie wieder küssen. Und zwar in einer wesentlich privateren Situation …

In der Notaufnahme meldete Lucy sich am Empfang: „Ich bin Lucy Williams. Sie haben mich wegen einer möglichen Plazenta-Ablösung gerufen.“

„Ja. Die Patientin heißt Liza Andrews, Raum zwei“, erwiderte die Empfangsmitarbeiterin. „Yvonne Roper ist bei ihr.“

„Danke.“ Lucy ging voraus zu Raum zwei und klopfte.

Yvonne kam heraus. „Danke, dass Sie gekommen sind, Dr. Williams.“

„Nennen Sie mich Lucy. Das hier ist Nic Alberici, der neue Oberarzt auf unserer Station. Wie geht es der Patientin?“

„Sie hat Schmerzen, ihre Gebärmutter ist hart und angespannt, sie hat leichte Blutungen und einen niedrigen Blutdruck.“

Nic wechselte einen Blick mit Lucy. Die Symptome, die Yvonne beschrieben hatte, klangen sehr nach einer Plazenta-Ablösung.

„Der Herzschlag des Babys macht mir auch Sorgen“, setzte Yvonne hinzu.

„Ist der Scanner schon da?“, fragte Nic.

„Nein, ich kümmere mich darum.“

„Gut. Wir gehen schon mal rein.“ Lucy trat ein und stellte sich und Nic vor. „Yvonne hat mir gesagt, dass Sie Schmerzen und Blutungen haben. Sind Sie einverstanden, dass wir Sie untersuchen?“

„Ja, bitte. Tun Sie alles, was nötig ist. Ich will nur mein Baby nicht verlieren“, flüsterte Liza Andrews flehentlich. „Ich bin dreiundvierzig, und das ist mein erstes Kind. Wir haben so lange gewartet, und wenn ich es verliere …“ Ihr versagte die Stimme. „Vielleicht kann ich danach keins mehr bekommen.“

„Wir tun unser Bestes“, meinte Lucy beruhigend und warf einen Blick auf das Kurvenblatt. „Der Herzschlag des Babys ist noch recht regelmäßig, obwohl Ihr Blutdruck ein bisschen niedrig ist. Deshalb werden wir Ihnen eine Bluttransfusion geben. – Yvonne, können Sie eine Kreuzprobe machen und mir vier Einheiten 0-negativ bringen?“, fragte sie, sobald die Krankenschwester wieder zurückkehrte.

„Wenn das Ultraschallgerät da ist, können wir besser erkennen, was los ist“, fuhr sie an Liza gewandt fort. „Vielleicht liegt Ihre Plazenta nur besonders tief. Aber ich gebe Ihnen etwas Sauerstoff, um Ihre Atmung zu unterstützen.“ Sie nahm die Maske vom Haken. „Atmen Sie einfach hier durch und versuchen Sie sich zu entspannen, okay?“

Liza nickte.

Behutsam tastete Lucy den Unterleib der Patientin ab.

„Das tut weh“, sagte Liza, wobei sie die Maske vom Gesicht nahm.

„Verzeihen Sie. Die gute Nachricht ist, dass Ihr Baby normal liegt.“ Nic flüsterte Lucy zu: „Vermutlich eine Ablösung.“

Er nickte und nahm Lizas Hand. „Hier steht, Sie sind in der sechsunddreißigsten Woche?“

Ängstlich antwortete sie: „Und es ist noch viel zu früh für das Baby!“

„Es geschieht häufiger, dass Kinder mit siebenunddreißig Wochen zur Welt kommen. Ein paar Tage früher ist also nicht so schlimm, wie es sich anhört“, meinte er mit einem beruhigenden Lächeln. „Sie sind hier genau richtig.“

„Meinem Baby wird also nichts passieren?“

„Wir werden alles dafür tun.“ Sanft drückte Lucy ihr wieder die Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Dann hörte sie den Herzschlag des Kindes ab, der ihr jedoch gar nicht gefiel. Nic beobachtete sie aufmerksam, und mit einem leichten Kopfschütteln gab sie ihm ihre Besorgnis zu verstehen.

Da kam Yvonne mit dem Scanner und den Blutbeuteln herein. Rasch legte Lucy einen intravenösen Zugang für die Infusion, während Nic den Scanner bediente.

„Lucy“, sagte er leise.

Ein einziger Blick auf den Bildschirm genügte, und sie erschrak. Die Plazenta lag nicht zu tief, und da Liza Andrews äußerlich nur wenig Blut verlor, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der größte Teil der Blutung durch die Ablösung in der Gebärmutter gesammelt hatte.

„Mrs. Andrews, Sie haben eine Plazenta-Ablösung“, erklärte Lucy. „Das bedeutet, dass Ihre Plazenta angefangen hat, sich von der Gebärmutterwand zu lösen.“

Liza wurde blass. „Werde ich mein Baby verlieren?“

„Nicht, wenn es in unserer Macht steht. Aber ich kann Sie nicht nach Hause gehen lassen, denn ich möchte wegen des Kindes kein Risiko eingehen.“

„Ich würde das Baby gerne per Kaiserschnitt holen“, sagte Nic.

„Jetzt?“, fragte Liza erschrocken.

„Ja.“

„Aber … warum ausgerechnet ich? Warum jetzt?“

„Die genauen Ursachen kennen wir nicht“, erwiderte Lucy. „Aber es tritt häufiger auf, wenn die Mutter hohen Blutdruck hat oder schon älter ist, außerdem bei Mehrfachgeburten, Rauchern oder Kokainkonsumenten.“

Liza lächelte schwach. „Ich habe nie geraucht oder Drogen genommen. Seitdem ich von meiner Schwangerschaft wusste, habe ich sogar kein einziges Glas Wein mehr getrunken!“

„Das ist gut.“ Lucy drückte ihr die Hand.

„Hatten Sie vielleicht einen Autounfall, sind Sie gestürzt oder haben sich irgendwie Ihren Bauch gestoßen?“, erkundigte sich Nic.

Liza schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüsste.“

„Wir werden ein paar Bluttests machen, um die Ursache festzustellen“, sagte Lucy. „Es könnte sein, dass wir Ihnen Medikamente geben müssen, damit sich Ihre Gebärmutter nach der Geburt wieder zusammenzieht.“

Liza nickte.

„Und weil Ihr Baby zu früh kommt, muss es noch eine Weile auf die Intensivstation, um seine Atmung und die Nahrungsaufnahme zu stabilisieren. Aber Sie können Ihr Kind jederzeit sehen“, ergänzte Nic.

„Sollen wir irgendjemanden für Sie anrufen?“, fragte Lucy.

„Mein Mann ist schon unterwegs. Und meine Mutter auch.“ Liza stiegen Tränen in die Augen. „Er wollte doch die Nabelschnur durchschneiden.“

„Das tut mir leid“, antwortete Nic bedauernd. „Da Sie eine Vollnarkose bekommen, kann er bei dem Kaiserschnitt nicht mit dabei sein. Aber sobald das Baby da ist, darf er mit ihm kuscheln.“

Die Tränen liefen Liza über die Wangen. „Eigentlich sollte das alles ganz anders werden.“

„Ich weiß“, meinte Lucy mitfühlend. „Aber Sie sind nicht die Einzige. Das passiert bei einer von fünfzig Schwangerschaften. Und bald werden Sie Ihr Baby im Arm halten.“

„Wenn Sie bitte die Einverständniserklärung unterschreiben würden“, sagte Nic.

„Ich ruf schon mal den Anästhesisten und lass den OP vorbereiten“, erklärte Lucy.

Wenig später auf dem Weg zum OP sagte Nic zu ihr: „Sie sind mit dieser schwierigen Situation sehr gut umgegangen.“

„Wollen wir hoffen, dass alles gut geht.“

Kurz darauf waren sie bereits im OP, und Nic machte den ersten Schnitt. Lucy konnte kaum glauben, wie schnell er arbeitete. Doch sie war erleichtert, als sie endlich das Kind herausheben konnte.

„Ein Mädchen“, meinte sie.

„Willkommen, bellissima“, sagte Nic sanft. Die gekräuselten Linien um seine Augenwinkel verrieten sein Lächeln hinter der Chirurgenmaske, und er reichte Lucy das Kind. „Wie ist das APGAR-Schema?“, fragte er, während er die Plazenta herausholte und dann anfing, die Wunde zu nähen.

Mit dem APGAR-Schema wurde der Zustand eines Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt in Bezug auf Atmung, Puls, Muskelbewegung, Körperfarbe und Reflexe beschrieben.

„Erster Index von fünf“, erwiderte Lucy, die dem Baby vorsichtig die Atemwege absaugte.

„Zweiter Index sieben“, berichtete sie vier Minuten später.

Nach zehn Minuten hatte sich der Wert auf neun verbessert. „Aber dieses kleine Würmchen kommt erst mal auf die Säuglingsintensivstation, um sich ein bisschen aufzuwärmen“, meinte Lucy.

Nic schloss die Wunde. „Wir werden Liza jetzt der Obhut unserer Kollegen im Aufwachraum überlassen, und das Baby unseren Mitarbeitern oben.“ Er schaute auf die Uhr. „Und wir beide gehen zum Mittagessen.“

Er will mit mir zum Essen gehen? Bei dem Gedanken zog sich Lucys Magen nervös zusammen. Ihm an einem der kleinen Cafeteriatische so nah gegenüberzusitzen, dass sich ihre Knie berührten …

Viel zu gefährlich. „Danke für das Angebot, aber ich muss wieder auf die Station zurück“, lehnte sie ab. „Es ist nicht fair, wenn Malcolm die Visite ganz allein machen muss. Einer von uns sollte zurückgehen. Aber Sie haben im OP die ganze Arbeit getan, also haben Sie sich eine Pause verdient. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden gesehen, der mit einem Skalpell so schnell ist.“

Feigling, stand in seinen Augen. „Vielleicht täte es Malcolm ganz gut, wenn Sie ihm zutrauen, dass er die Visite alleine bewältigen kann.“

Herausfordernd hob sie das Kinn. „Vielleicht habe ich aber das Gefühl, dass er noch nicht bereit dazu ist.“

„Erst essen“, erklärte Nic.

„Ich muss wirklich zurück.“ Lügnerin, sagte eine Stimme in ihrem Innern. Du würdest doch nur allzu gern mit ihm essen gehen.

Bei ihrem Glück mit Männern war das jedoch eine ganz schlechte Idee.

„Ich möchte alle meine Mitarbeiter kennenlernen“, sagte Nic. „Und ich dachte, da kann ich auch gleich bei Ihnen anfangen.“

Es ist also rein beruflich gemeint, sonst nichts, dachte sie. Er wird auch mit allen anderen essen gehen. Ich bin nichts Besonderes. Dennoch konnte sie jenen Kuss nicht aus ihrem Gedächtnis verbannen. Nic hatte ihn mit keinem Wort erwähnt, aber erinnerte er sich noch daran, wie es gewesen war? Dieser unerwartete Funke auf dem Ball, als ihre Lippen sich berührt hatten?

„Also, sollen wir?“

Ehe Lucy etwas erwidern konnte, piepte ihr Pager. Sie blickte auf das Display.

„Sorry, ich werde auf Station gebraucht. Bis nachher“, meinte sie und hoffte, dass ihr Tonfall ebenso beiläufig klang wie seiner. Dann eilte sie rasch davon.

2. KAPITEL

Kühl, ruhig, ausgesprochen englisch – und ganz offensichtlich sehr wütend auf ihn.

Unter den gegebenen Umständen konnte Nic es Lucy nicht verdenken. Er hatte ihr die Stelle weggeschnappt und sie auf dem Ball vor all ihren Kollegen in eine peinliche Situation gebracht. Vielleicht auch vor ihren Freunden? Obwohl Nic noch nicht sicher war, ob Lucy Williams an Freundschaft glaubte.

An die Liebe jedenfalls nicht. Der Schreck in ihrer Miene, als er sie geküsst hatte, war der Beweis dafür.

Allerdings verstand Nic nicht, warum eine so kluge, begabte und schöne Frau noch nicht vergeben war. Nein, sie war mehr als schön. Mit ihrer hellen, zarten Haut, den klaren blauen Augen und dem hellblonden Haar, das sie streng aus dem Gesicht zurückgekämmt trug, sah sie aus wie ein Engel. Er wollte sehen, wie ihr die Haare über die Schultern fielen, oder noch besser, über sein Kopfkissen. Ihr Mund war perfekt geschwungen, und er hatte der Versuchung einfach nicht widerstehen können, sie auf dem Ball zu küssen.

Danach war sie verschwunden. Nach dem nächsten Tanz hatte er sofort nach ihr gesucht, aber sie war fort.

Und dann, als sie ihm auf der Station plötzlich gegenüberstand …

Nic trank einen Schluck Kaffee. Lass sie in Ruhe, sagte er sich. Sei vernünftig. Sonst brichst du all deine Regeln, beruflich und privat.

Aber er konnte es nicht.

„Beherrsch dich“, ermahnte er seine Libido, die sich davon jedoch völlig unbeeindruckt zeigte.

Irgendwie gelang es Lucy, Nic für den Rest ihrer Schicht aus dem Weg zu gehen. Normalerweise blieb sie immer länger, weil auf der Station zu viel zu tun war. Und es störte sie nicht, ihre Freizeit dafür zu opfern. Sie liebte ihre Arbeit. Aber heute musste sie einen möglichst großen Abstand zwischen sich und Nic Alberici schaffen. Jedenfalls so lange, bis sie ihre Hormone wieder unter Kontrolle hatte und ihm mit professioneller Distanz begegnen konnte.

Am nächsten Tag glaubte sie, es geschafft zu haben. Bis Nic in das Zimmer kam, wo sie gerade mit Liza Andrews sprach.

„Dr. Alberici.“ Liza strahlte. „Ich danke Ihnen vielmals für das, was Sie gestern für uns getan haben. Sie und Dr. Williams. Sie haben uns das Leben gerettet.“

„Gern geschehen“, gab Nic zurück. „Wie geht es Ihnen beiden heute?“

„Wir sind müde, aber sonst gut. Lucy schläft die ganze Zeit.“

Erstaunt sah Nic seine Stationsärztin an.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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