Viel mehr als eine Sommerliebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

So unerfahren sie auch als Nanny ist: Seit Bailey ihm und seinen verwaisten Nichten und Neffen hilft, fühlt Gib sich weniger allein mit der Verantwortung für die Kinder. Zwar spürt er, dass sie etwas verheimlicht, dennoch empfindet er immer mehr für Bailey …


  • Erscheinungstag 27.03.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773878
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich will ein Baby haben“, verkündete Bailey Coltrain.

Sie und Jean Oslin standen im Waschraum eines Restaurants in der Nähe des medizinischen Zentrums der Universität von Colorado. Sie kamen gerade von einer Konferenz über den Umgang mit Herzproblemen bei schwangeren Frauen. Es war gerade Mittagspause.

„Du willst ein Baby haben?“, fragte Jean sie ungläubig.

Bailey überhörte ihren ironischen Tonfall. Schließlich war Jean ihre beste Freundin. Sie teilten sich zusammen das Haus, in welchem sich auf der einen Seite Baileys Gynäkologie- und Geburtshilfepraxis und auf der anderen Seite die kardiologische Praxis von Jean befanden.

„Genau. Ich möchte ein eigenes Baby haben.“ Sie fuhr sich mit einem Kamm durch ihr kinnlanges walnussbraunes Haar, obwohl jede einzelne Strähne ihrer Frisur bereits tadellos saß.

„Du möchtest ein eigenes Baby haben?“ Jean wiederholte ihre Worte noch ungläubiger als vorher und starrte Bailey im Spiegel an. Ihre dunklen Augen weiteten sich, und sie sah über ihre eigene zerzauste Kurzhaarfrisur hinweg, obwohl diese einen Kamm eher vertragen hätte als Baileys.

„Genau das sagte ich, Jean. Hast du noch das Piepsen von den Kopfhörern in den Ohren oder was?“

„Ich höre dich gut. Ich kann nur nicht glauben, was ich da höre.“

„Ich weiß“, sagte Bailey. Sie ahnte schon, worauf ihre Freundin hinauswollte. „Ich bin nicht verheiratet …“

„Nicht einmal mit jemandem zusammen.“

„Es ist noch nicht einmal eine intimere Beziehung in Sicht. Das ist es ja. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt. Ich bringe jeden Tag anderer Leute Babys auf die Welt. Ich will ein Eigenes. Ich denke da an eine künstliche Befruchtung.“

„O Gott.“

„Ich sage doch nur, dass ich eine etablierte Ärztin bin und gutes Geld verdiene. Ich bin gesund, glücklich und bereit. Was kann ich dafür, dass sich mein Traummann noch nicht hat blicken lassen? Und noch länger kann ich nicht mehr auf ihn warten.“ Sie trug sich einen zartrosa Lippenbalsam auf.

Jean starrte sie weiterhin fassungslos an.

„Was ist?“, fragte Bailey ungeduldig.

„Du bist eine gute Ärztin, Bailey. Eine der Besten in der Gegend. Aber sei mal ehrlich – wenn Marguerite morgen aufhören würde, bei dir zu arbeiten, könntest du dir nicht einmal eine Tasse Tee selber zubereiten. Du willst die Verantwortung für ein Kind übernehmen? Du lässt sogar Goldfische sterben.“

„Das waren nur ein paar. Ich war einfach zu beschäftigt, um daran zu denken, sie zu füttern. Außerdem hatte ich gedacht, dass die Sprechstundenhilfe sich um sie kümmern würde.“

„Genau das meine ich.“

„Ich hätte nicht vergessen, sie zu füttern, wenn es Kinder gewesen wären, Jean.“

„Nein? Da bin ich mir nicht so sicher. Manchmal vergisst du sogar, dich selbst zu füttern. Und was glaubst du, wie viel Unordnung ein Kind mit sich bringt? Aufräumen ist nun wirklich nicht gerade deine Stärke. Du hast mir sogar einmal erzählt, dass du es noch nie getan hast. In deinem ganzen Leben noch nicht. Du hast noch nie Staub gewischt, niemals gekocht und nicht einmal die Waschmaschine bedient.“

„Gut, ich bin eben keine Hausfrau.“

„Das kannst du laut sagen.“

„Es ist doch nicht mein Fehler, dass ich so aufgewachsen bin.“

„Ich weiß. Mami Neurologin, Papa Herzchirurg. Als Jugendliche hast du nicht einmal als Babysitter gejobbt. Hast du jemals einem Kind die Windeln gewechselt?“

„Nein, aber …“

„Du hattest keine Geschwister. Als Praktikantin hast du mir gesagt, dass dir der Einsatz auf der Kinderstation am schwersten gefallen ist, weil du mit Kindern nicht umgehen konntest. Du hattest nicht einmal gleichaltrige Freunde. Und nun meinst du, dass du ein Kind alleine großziehen kannst?“

„Okay, ich hatte eine ungewöhnliche Kindheit. Das ist einer der Gründe, warum ich ein eigenes Kind will. Ich möchte ihm die Kindheit ermöglichen, die ich so vermisst habe.“

„Weißt du, was ich glaube?“

„Du wirst es mir gleich sagen.“

„Ich glaube, du hast eine Art verfrühte Midlife-Crisis. Erst nimmst du keine schwangeren Patientinnen mehr an, damit du keine Geburten hast, um drei Monate ausgerechnet nach Afrika zu fahren. Und jetzt willst du schwanger werden. Das klingt alles irgendwie ein bisschen extrem, Bailey.“

„Okay, ich fühle mich eben unruhig und unzufrieden, seit meine Eltern letztes Jahr gestorben sind. Du hast es selbst gesagt – auf die eine oder andere Weise kreiste mein ganzes Leben um die Medizin. Ich habe kein anderes Leben, besonders jetzt, wo meine Mutter und mein Vater nicht mehr da sind. Du hast Harvey. Du hast Kinder. Du hast mehr als nur deine Arbeit. Das ist es, was ich auch möchte. Mit Männern hatte ich immer nur Pech, aber ein Kind kann ich auch ohne sie bekommen. Ich will eins, und ich werde eins haben!“

Jean zog ihre Augenbrauen zusammen. „Also steht deine Entscheidung fest? Du denkst nicht nur laut nach?“

„Nein, ich denke nicht nur laut nach.“ Tatsächlich hatte sie bereits lange darüber nachgedacht. Danach sehnte sie sich schon so lange. Genau in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie sich entschlossen hatte. Sie würde es tun.

Jeans Gesichtsausdruck veränderte sich. „Es ist nicht so, dass ich dich nicht verstehe, Bailey“, sagte sie sanft. „Ich habe schon tausendmal zu Harvey gesagt, dass ich glücklich bin, nicht so aufgewachsen zu sein wie du. Mir würde es auch nicht gefallen, wenn abends niemand außer der Haushälterin auf mich wartet. Aber ein Kind, Bailey. Ein Kind. Du hast überhaupt keine Ahnung, was da auf dich zukommt. Vor allem als alleinerziehende Mutter.“

„Ich habe darüber nachgedacht. Ich komme damit schon klar.“

„Das kannst du doch nicht wissen, solange du keine Ahnung hast, was das mit sich bringt.“

Bailey rollte mit den Augen.

„Ich meine es ernst. Man wird nicht so mir-nichts-dir-nichts über Nacht zu einer guten Hausfrau. Wenn du eine Mutter werden möchtest, solltest du besser wissen, wie du diese süßen Lätzchen wieder sauber kriegst, die es vollsabbern wird, wie du die verschiedenen Gerichte zubereiten kannst, die es sich hinterher in die Haare schmieren wird, und wie du die Toilette von dem Lack befreien kannst, den es hineingeschüttet hat. Und das solltest du lernen, bevor du es bekommst. Du würdest dem Kind keinen großen Gefallen damit tun, wenn du es auf die Welt bringst in der Hoffnung, es wird sich schon jemand finden, der dir die Drecksarbeit abnimmt.“

Jean verschwand in einer der Toiletten, und Bailey puderte sich ihre etwas zu schmal geratene, aber gerade Nase. Während sie die feinen Linien in ihrem Gesicht betrachtete, die in ein paar Jahren als Falten erkennbar sein würden, dachte sie, dass sie nicht vorhatte, ihr ganzes Leben ohne eine eigene Familie zu verbringen.

Sobald die Konferenz zu Ende wäre, würde Jean nach Hause zu ihrem Mann und ihren Kindern fahren. Auf Bailey wartete nur ein Haus, das Marguerite, die Haushälterin, sauber hinterlassen hatte. Sauber und leer. Und bei Weitem zu leise.

Während sie auf Jean wartete, stellte sie sich vor den großen Spiegel und betrachtete sich im Profil. Sie legte die Hände auf ihren flachen Bauch und versuchte die Haltung einer Schwangeren zu imitieren, indem sie sich etwas nach hinten lehnte. Dabei versuchte sie sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, ein Kind in ihrem eigenem Leib heranwachsen zu spüren. Wie es sich bewegte – ihr eigenes Fleisch und Blut.

Wie schwer kann das Leben einer Hausfrau und Mutter wohl sein? Wenn sie ein Baby zur Welt bringen kann, kann sie sich auch um eines kümmern.

Aber vielleicht hatte Jean recht. Vielleicht sollte sie vorher doch etwas Übung darin erlangen. Das war sie ihrem zukünftigen Kind schuldig, wenigstens vorbereitet zu sein, wenn es kam.

Als Jean zurückkehrte, richtete sie sich wieder auf und strich die Falten in ihrem Kleid glatt. So als hätte sie die ganze Zeit nichts anderes getan.

„Also, was schlägst du vor, wo könnte ich alles Notwendige erlernen, bevor ich ein Baby bekomme?“, fragte sie Jean, während sie sich die Hände wusch.

„Woher soll ich das wissen. Vielleicht kannst du dir eines von Marguerites Enkelkindern ausleihen und es überreden, dir Unterricht zu geben.“

Auf Marguerites Hilfe würde sie lange warten müssen, denn sie hatte ihr die nächsten drei Monate freigegeben und ihr obendrein noch ein Ticket gekauft, damit sie ihre Schwester in New Mexico besuchen konnte. Das konnte sie nun nicht mehr rückgängig machen.

Aber plötzlich konnte sie sich selbst nicht mehr mit dem Gedanken anfreunden, die nächsten drei Monate im Urlaub zu vergeuden. Nicht wenn sie die Zeit damit verbringen könnte, sich in ihre neue Rolle einzuarbeiten. Die Rolle, nach der alles in ihr verlangte.

Jean sah auf die Uhr. „Wir sollten besser zurückgehen.“

Aber auf dem Rückweg zum medizinischen Zentrum und während der ganzen Nachmittagsvorträge konnte sich Bailey beim besten Willen nicht auf die Herzprobleme bei schwangeren Patientinnen konzentrieren.

Jetzt ging es darum, ihre Reise abzusagen und eine Möglichkeit zu finden, Erfahrungen als Hausfrau und Mutter zu sammeln.

Sie hatte zwar noch keine Ahnung, wie sie das anstellen wollte, aber feststand, dass sie die nächsten drei Monate freihatte, und Jean hatte sie darauf gebracht, wie sie diese Zeit besser nutzen konnte.

2. KAPITEL

Es war ein älteres, holzverkleidetes Haus mit einer großen überdachten Veranda und einer lang gezogenen Grünfläche, die das Haus auf angenehme Weise von der Straße trennte. Das Einzige, was Bailey in Wheatridge, einem Vorort nordwestlich von Denver, kannte, war das Krankenhaus. Als sie mit Gib Harden am Telefon sprach, hatte sie sich den Weg von dort aus beschreiben lassen. An diesem Samstagnachmittag nun saß sie, anstatt in einem Flugzeug nach Afrika, in ihrem dunkelgrünen Jaguar und betrachtete das Haus.

Es war nicht luxuriös, machte aber einen gepflegten Eindruck, obwohl auf dem Rasen ein roter Puppenwagen, ein Dreirad, knallbunte Rollschuhe, Bälle und diverse andere Spielzeuge verteilt waren.

Bailey parkte den Wagen vor dem Haus und verglich die Adresse mit der auf dem Papier, das auf ihrem Beifahrersitz lag. Sie war richtig.

Zum wiederholten Male las sie die Annonce.

Gesucht: Kindermädchen und Haushälterin für einen Haushalt mit drei Kindern. Zimmer wird gestellt. Erfahrung nicht erforderlich. Verzweifelter alleinstehender Vater braucht dringend Hilfe.

Erfahrung nicht erforderlich war das Schlüsselwort für sie. Deswegen hatte sie aus allen Anzeigen diese ausgewählt. Okay, wer auch immer sie anstellen würde, würde nicht gerade das große Los ziehen. Aber Gib Harden hatte geschrieben, dass Erfahrung nicht erforderlich wäre, also würde er auch keinen Hauptgewinn erwarten. Trotzdem war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Es war nicht ihre Art, Menschen zu täuschen und eine Stelle unter Vorspiegelung falscher Tatsachen anzunehmen. Aber die Gelegenheit war einfach zu günstig, um nicht ihren Plan schnell in die Tat umzusetzen.

Die Tage seit dem Telefongespräch hatte sie noch etwas anderes beunruhigt. Unaufhörlich versuchte sie sich vorzustellen, was für ein Gesicht sich wohl hinter der Stimme am Telefon verbarg. Ein tiefer, voller Bariton mit einem weichen, melodischen Klang. Diese Stimme erschien ihr ruhig, sicher, geduldig, sehr männlich und auf unerhörte Weise erotisch.

Nicht, dass Letzteres etwas zur Sache täte. Es waren die anderen Eindrücke, die sie von ihm gewonnen hatte, die wichtig waren. Positive Aspekte, hoffte Bailey. Nicht etwa, weil der Klang seiner Stimme sie überflutet hatte wie heiße Lava, sondern weil sie hoffte, mit einem gutmütigen, ruhigen und geduldigen Menschen rechnen zu können, der über eventuelle Anfangsschwierigkeiten hinwegsehen würde.

Falls sie den Job überhaupt bekäme.

Womit kaum zu rechnen wäre, wenn sie im Auto Wurzeln schlug.

Sie warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und bahnte sich den Weg durch die herumliegenden Spielsachen zum Haus. Durch die Scheibe in der Eingangstür konnte sie niemanden sehen. Statt dessen war lautes Geschrei zu hören. Ein kreischendes Baby und sich zankende Kinder. Darüber ein tiefer Bariton. „Du sollst doch mit deiner Schwester teilen, Kyle!“

Sie erkannte die Stimme vom Telefon, und ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken. Bailey wunderte sich, dass allein der Klang der Stimme eines fremden Mannes sie mit solch einer Wucht treffen konnte.

Sie beschloss es zu ignorieren.

Wieder überkam sie dieses Gefühl der Unehrlichkeit. Selbst zu ihren Patientinnen war sie immer ehrlich gewesen, sogar wenn sie eine schlechte Nachricht zu überbringen hatte. Aber wenn sie bei der Wahrheit blieb, würde er sie niemals einstellen.

Und überhaupt. Wie schlimm konnte es schon werden? Selbst Teenager konnten babysitten. Wenn eine Dreizehnjährige dazu in der Lage war, würde auch sie damit keine Probleme haben. Mehr würde es ja auch nicht sein. Ein bisschen auf die Kinder aufpassen, ein bisschen aufräumen. Was war schon dabei?

Selbst wenn es am Anfang nicht gleich laufen würde; Lernen war ihr schon immer leichtgefallen. Ein oder zwei Tage, und sie hätte alles unter Kontrolle. Er würde nichts merken, und sie würde den Rest der drei Monate ihr Bestes geben, bevor er sich jemand anders suchen müsste.

Nicht, dass sie ihm sagen wollte, dass sie vorhabe, nur drei Monate zu bleiben – noch etwas, das sie ihm verschweigen würde. Aber sie würde ihn nicht im Regen stehen lassen. Wenn die Zeit vorbei war, würde sie ihm jeden Pfennig zurückzahlen und ihm helfen, jemand zu finden, der ihren Platz einnehmen könnte. Bis dahin würde sie natürlich die Stellung weiter halten. Das schien ihr eine gerechte Gegenleistung für ihre Ausbildung und ihre Unaufrichtigkeit zu sein.

In dem Moment, als sie auf die Klingel drückte, hörte sie drinnen ein lautes Krachen. Eine andere Männerstimme rief: „He, Gib, sieh dir diesen Schlamassel einmal an!“

Da sie sich nicht sicher war, ob man die Klingel überhaupt gehört hatte, läutete sie nach einer Weile noch einmal.

„Moment. Ich komme ja schon!“ Das klang leicht gereizt.

Die Tür wurde aufgerissen. „Was ist?“, fragte der hochgewachsene, breitschultrige Mann.

„Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme“, sagte sie automatisch.

Er stand vor ihr, knapp zwei Kopf größer als sie und betrachtete sie misstrauisch.

„Ich bin Bailey Coltrain. Ich habe am Mittwoch mit Gib Harden telefoniert. Wir hatten ein Vorstellungsgespräch vereinbart.“

Seine braunen Augen weiteten sich, als er auf die Uhr an seinem breiten Handgelenk sah. „Ist es schon eins? Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist.“

Er hatte ein unscheinbares weißes T-Shirt an, das gar nicht so unscheinbar schien, wie es sich so um seine breiten Schultern und seine unübersehbar muskulöse Brust schmiegte. Und das, obwohl er darüber noch ein offenes Hemd trug. Die Ärmel hatte er bis an die Ellbogen hochgekrempelt. Dazu trug er alte blaue Jeans, die eng genug saßen, um ihm nicht über die Taille zu rutschen. Um die Hüften trug er einen Werkzeuggürtel.

Nur, dass sich darin kein Werkzeug befand. Aus den Taschen und Schlaufen des Gürtels ragte hier eine zerlumpte Stoffpuppe, dort eine unbenutzte Windel, eine Reisepackung Papiertücher, eine Schleuder, einige saubere Stofftücher, ein Plastikbecher und eine Nuckelflasche.

Bei diesem Anblick hätte Bailey fast laut losgelacht. Der Mann war groß und kräftig, seine Handgelenke so breit wie ihre Fußknöchel. Seine Haut war von der Arbeit im Freien sonnengebräunt. Feine Linien umspielten seine Augenwinkel, und an seinem kantigem Kinn ließ sich der Schimmer eines Bartes erkennen. Sein kräftiges Haar hatte die Farbe von Zartbitterschokolade und fiel locker in seine Stirn. Alles an ihm strahlte eine raue, pure und natürliche Männlichkeit aus. Er bemerkte nicht, dass sie Schwierigkeiten hatte, ihn direkt anzuschauen. „Kommen Sie herein, ich bin Gib Harden!“

Er deutete ihr den Weg ins Haus. Drinnen lagen überall Spielzeug, Klamotten, Schuhe, nasse Badeanzüge und halb aufgegessene Kekse herum.

„Sie sehen, warum ich eine Haushälterin brauche.“ Das war alles, was er dazu sagte.

Nach einem Blick ins Wohnzimmer dachte Bailey, dass er wohl eher eine Mannschaft Möbelpacker und einen Gabelstapler gebrauchen könnte. Aber sie sagte nichts.

Gib Harden ging um sie herum zur Treppe, die nach oben führte und rief: „Jack? Die Frau, die sich auf die Anzeige gemeldet hat, ist hier.“

„Stell sie ein!“

„Kommst du einen Augenblick alleine zurecht?“

„Jaja, kein Problem.“

Gib Harden schloss eine Schiebetür auf und bat sie hinein. „Hier können wir uns ungestört unterhalten. Das ist mein Büro. Wenn ich es nicht abschließe, sind meine Papiere im Nu mit Erdnussbutter verschmiert.“

Höflich ließ er sie vorgehen, in das geordnete Büro, in dem ein Sofa und mehrere Ledersessel standen. „Entschuldigen Sie, wenn ich die Tür zumache, aber ich weiß nicht, ob mein Cousin die Kinder oben lange halten kann.“ Er zeigte auf das Sofa, und sie setzte sich hinein. Er nahm einen Umschlag zur Hand, in dem sie ihre Bewerbungsunterlagen erkannte, rollte mit einem Bürostuhl an ihre Seite und begann zu lesen. So nah bei ihm, in diesem geschlossenen Raum, hätte sie fast vergessen, weswegen sie eigentlich hier war. Um sich abzulenken, begann auch sie ihre Bewerbung noch einmal im Geiste durchzugehen. Ihre Sekretärin hatte ihr ein Zeugnis ausgestellt, in dem sie als ausgesprochen verantwortungsvoll und vertrauenswürdig dargestellt wurde. Ihr Lebenslauf war eher vage und verriet nichts über ihren eigentlichen Beruf. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht allzu viele Fragen stellen würde.

„Haben Sie schon einmal als Kindermädchen oder Haushälterin gearbeitet?“, fragte er plötzlich.

„Nicht beruflich“, antwortete sie.

„Sind Sie verheiratet?“

„Nein.“

„Haben Sie eigene Kinder?“

„Nein. Ich bin völlig frei und stehe zu Ihrer Verfügung.“ Klang das etwa zweideutig? Sie hatte es jedenfalls nicht beabsichtigt und so fuhr sie hastig fort. „Ich bin vielleicht etwas eingerostet, aber in Ihrer Anzeige stand, dass Erfahrung nicht erforderlich sei.“

„Ja, so stand es da wohl drin“, sagte er, als würde er es bereuen, redete dann aber unbeirrt weiter. „Lassen Sie mich kurz erklären, worum es mir geht. Ich bin alleine mit drei kleinen Kindern – die Jüngste ist zwanzig Monate alt, der Älteste ist jetzt fast fünf. Ich bin Bauunternehmer, und bei der gegenwärtigen Auftragslage habe ich einiges zu tun. Ich brauche jemand, der sich um die Kinder kümmert, kocht, putzt, die Wäsche macht, und was sonst noch so im Haushalt anfällt. Jemand, der sozusagen vierundzwanzig Stunden im Dienst ist, ob ich hier bin oder nicht. Und seien Sie gewarnt, wir hatten dieses Jahr bereits vier verschiedene Haushälterinnen, die alle aufgehört haben, weil sie zu wenig Freizeit hatten.“

Besser das, als wenn sie mit ihm oder den Kindern nicht klargekommen wären, dachte Bailey. Aber sie sagte: „Die Arbeitszeiten sind kein Problem.“

„Sonntags wäre Ihr einziger freier Tag“, sagte er, als hätte sie ihn nicht verstanden.

„Fein!“, sagte sie, denn als richtige Mutter würde sie sogar sieben Tage rund um die Uhr beschäftigt sein. „Mit anderen Worten, ich soll alles tun, was eine Ehefrau und Mutter auch tun würde.“

„Nun ja, nicht alles, was eine Ehefrau tun würde“, sagte er und zog kaum wahrnehmbar einen Mundwinkel nach oben.

Bailey spürte ein unwillkommenes Kribbeln in sich aufsteigen, gleichzeitig fühlte sie, wie eine Enttäuschung sich breitzumachen drohte. Sie schüttelte beides ab, indem sie sich aufrichtete, und sagte schnell: „Ich meine, ich soll mich also um all die alltäglichen Dinge kümmern, die Kinder und der Haushalt so mit sich bringen.“

„Außer sonntags“, wiederholte er. Und diesmal war er es, der ein Lachen unterdrücken musste. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht wusste, dass ihr Unwohlsein nicht mit dem zusammenhing, was sie sagte, sondern mit dem, was sie fühlte.

„Um ehrlich zu sein, würde es mir auch nichts ausmachen, sonntags zu arbeiten“, sagte sie, um wieder zum Thema zurückzukommen. „Ich habe sowieso nichts anderes zu tun.“

Er runzelte die Stirn, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Warum erzählen Sie mir nicht ein bisschen von sich?“

Für einen Augenblick blieben ihre Augen auf seinen langen Beinen hängen, besonders auf seinen Oberschenkeln, die sich groß und kräftig unter dem Stoff der Jeans abzeichneten.

Dann fing sie sich wieder und zwang sich, ihm fest in sein attraktives Gesicht zu blicken.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, sagte sie. „Ich bin College-Absolventin mit einem Abschluss in Chemie. Geboren und aufgewachsen bin ich in Denver. Ich habe kein Familienleben, und ich hätte gern diesen Job.“

„Das ist alles?“

„Tut mir leid, das ist alles.“

Er schaute sie etwas genauer an.

Sie fühlte sich, als würde dieser Blick durch sie hindurchsehen. Er würde sie durchschauen, sie eine Betrügerin nennen und sie vor die Tür setzen. Aber nichts dergleichen.

„Wenn Sie einen Abschluss in Chemie haben, warum bewerben Sie sich dann als Haushälterin?“, fragte er.

„Ich habe den Abschluss nie benutzt.“ Außer für die Bewerbung an der Medizinischen Hochschule, dachte sie und bedauerte, sich immer mehr in Lügen zu verstricken.

„Warum haben Sie sich dann so ein schwieriges Fach ausgesucht, wenn Sie damit nichts anfangen wollen?“

„Mir gefiel Chemie.“

Er wartete, dass sie noch mehr dazu sagen würde. Als sie stumm blieb, schaute er sie so eindringlich an, dass sie seinen Blick fast spüren konnte. Nicht, dass ihr das unbehaglich gewesen wäre. Komisch genug. Von seinem Blick schien eine gewisse Wärme auszugehen. Eine Versuchung …

„Da muss doch noch mehr sein, was Sie mir über sich erzählen können. Was ist mit Hobbys, Neigungen, Talente?“

„Ich lese viel.“

„Wie ist Ihre Ansicht von Kindererziehung? Disziplin und solche Sachen.“

Darauf hatte sie sich vorbereitet und fing an zu rezitieren. „Ich bin für eine strenge Hand, wenn Disziplin gefordert ist. Ich schlage niemanden und lasse Schläge nicht durchgehen, auch keine Ohrfeigen. Ich glaube, dass positive Stärkung der beste Weg ist, um mit den meisten Situationen umzugehen. Liebe und Lob bringen einen viel weiter als Kritik, wenn man jemandem etwas beibringen will. Ich bevorzuge Hausarrest als Strafe und versuche, mich mit den Kindern auseinanderzusetzen und zu verstehen, was ihr Verhalten hervorgerufen hat. Ich glaube, dass eine ausgewogene Kost das Beste ist, würde ein Kind aber nie zwingen etwas zu essen, was es nicht mag. Ich halte nicht viel von Süßigkeiten, glaube aber, dass sie in Maßen genossen keinen großen Schaden anrichten können. War es das, was Sie meinten?“

Er nickte nichtssagend.

„Die Bezahlung ist eher durchschnittlich“, sagte er, als wolle er sie immer noch testen.

„Ich weiß, das sagten Sie bereits am Telefon“, sagte sie.

„Wären Sie einverstanden, sich einem Drogentest zu unterziehen und Ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen?“

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
Mehr erfahren