Warum spricht er nicht von Liebe?

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Eine zauberhafte Nacht hat Laurel in den Armen des feurigen Griechen Damian Skouras erlebt. Obwohl sie ihn nicht wiedersehen will, bereut sie keine Sekunde. Bis sie einige Wochen später feststellen muss, dass die traumhaften Liebesstunden nicht ohne Folgen geblieben sind ...


  • Erscheinungstag 26.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777395
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Damian Skouras hielt nicht viel von Hochzeiten.

Mann und Frau, die, umgeben von Angehörigen und Freunden, vor einem Geistlichen standen und sich ewige Liebe und Treue gelobten – Versprechen, die kein menschliches Wesen einhalten konnte –, gehörten für ihn in das Reich der Märchen.

Mit dem wirklichen Leben hatten solche Ereignisse jedenfalls nichts zu tun.

Dennoch stand Damian in diesem Moment vor einem blumengeschmückten Altar. Die Orgel ließ mit Mendelssohns Hochzeitsmarsch das Gebälk der Kirche erzittern, und hundert Gäste reckten die Hälse, als eine errötende Braut durch den langen Mittelgang auf ihn zuschritt.

Er musste zugeben, dass sie sehr hübsch war, aber wie schon das Sprichwort sagte, waren alle Bräute schön. Diese hier, die ein altmodisches Kleid aus weißem Satin und Spitze trug und einen Strauß aus winzigen weißen und violetten Orchideen umklammert hielt, war allerdings besonders attraktiv. Ihr Lächeln war durch den hauchzarten Schleier, der ihr bis zu den Fingerspitzen reichte, nur zu erahnen, als sie den Altar erreichte.

Ihr Vater küsste sie. Sie ließ seinen Arm los und blickte dem wartenden Bräutigam liebevoll in die Augen. Damian schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel, dass nicht er der Auserwählte war. Nur Pech, dass es Nicholas erwischt hatte!

Neben ihm schien Nicholas plötzlich das Gleichgewicht zu verlieren. Damian betrachtete den jungen Mann, der bis vor drei Jahren sein Mündel gewesen und dessen gutgeschnittenes Gesicht jetzt blass war.

Er runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung?“, fragte er leise.

Nick schluckte. „Klar.“

Es ist noch nicht zu spät, mein Junge, hätte Damian gern gesagt, aber er schwieg. Nick war schließlich volljährig. Viel problematischer – er war verliebt. Jedenfalls hatte er das gesagt, als er an jenem Abend zu Damian gekommen war, um seine Hochzeit mit einem Mädchen anzukündigen, das er erst seit zwei Monaten kannte.

Damian hatte seine Argumente sorgfältig gewählt, um Nick davon zu überzeugen, dass er einen Fehler machte, doch Nick hatte auf alles eine Antwort gewusst. Schließlich hatte Damian die Geduld verloren. „Du Narr! Kriegt sie etwa ein Kind?“

Nick versetzte ihm einen Fausthieb, oder besser gesagt, er versuchte es, denn mit seinen einsfünfundachtzig war Damian größer und schneller als sein siebzehn Jahre jüngerer Neffe. Die Lektionen, die er als Junge in Athen auf der Straße gelernt hatte, kamen ihm noch heute zugute.

„Nein, sie ist nicht schwanger!“, rief Nick empört, während Damian ihn mühelos auf Abstand hielt. „Wir wollen heiraten, weil wir uns lieben.“

„Liebe“, meinte Damian verächtlich.

Nicks Augen funkelten zornig. „Jawohl, Liebe! Verflixt noch mal, kannst du das denn nicht verstehen?“

Damian verstand sehr wohl. Was Nick empfand, war wohl eher Wollust als Liebe, doch wenn er ihn darauf hinwies, würden sich die Fronten nur noch mehr verhärten. Stattdessen sagte er, was seine Schwester und ihr Mann vermutlich gesagt hätten, wenn sie noch am Leben gewesen wären. Er sprach von Verantwortung, Reife und Vernunft und davon, dass es sicher klüger wäre, noch einige Jahre zu warten.

Nick ließ ihn höflich ausreden. „Das Gleiche haben wir schon von Dawns Eltern gehört“, antwortete er. „Aber wir sind uns sicher, dass wir für immer zusammenbleiben wollen.“

Damian, der sein Vermögen unter anderem dadurch verdient hatte, dass er wusste, wann er angreifen und wann er nachgeben musste, hatte sich ins Unvermeidliche geschickt. Nun stand er hier und lauschte den salbungsvollen Worten des Pfarrers, während die meisten Frauen, darunter auch die Mutter der Braut, ergriffen in ihre Taschentücher weinten. Dabei wusste er von Nick, dass Dawns Eltern geschieden waren, genauso wie er selbst und vermutlich über die Hälfte der Hochzeitsgäste.

Seine Ehe war glücklicherweise so kurz gewesen, dass sie keine bleibenden Spuren hinterlassen hatte. Die Trauung war keine griechisch-orthodoxe Zeremonie gewesen, sondern von einem Friedensrichter vollzogen worden. Nachdem er seine erste erfolgreiche Übernahme mit zu viel Sex und viel zu viel Champagner gefeiert hatte, war er aus einer Laune heraus mit seiner Auserwählten nach Las Vegas geflogen. Als er wieder einen klaren Kopf gehabt hatte, war es zu spät gewesen. Er hatte seinen Fehler mit einer horrenden Abfindung teuer bezahlt und war entschlossen, ihn nicht zu wiederholen.

Zwischen seinen eisblauen Augen war eine tiefe Falte zu sehen. Vielleicht geschah ein Wunder, und die Ehe zwischen Nick und Dawn hielt. Für Damian war sein Neffe der Sohn, den er vermutlich nie haben würde, und nur deshalb hatte er sich bereit erklärt, an dieser lächerlichen Zeremonie mitzuwirken und nachher auch mit der rundlichen Brautjungfer zu tanzen, die Nick ihm besonders ans Herz gelegt hatte. „Sie hat furchtbare Angst, dass niemand auf dem Empfang mit ihr redet, weil sie nicht nur dick, sondern auch furchtbar schüchtern ist.“

Wenn er seine Pflichten als Ersatzvater mit Anstand hinter sich gebracht hatte, würde er in das Hotel am See fahren, wo er und Gabriella bereits die letzte Nacht verbracht hatten, und mit ihr ins Bett gehen.

Damian blickte zu seiner derzeitigen Geliebten, die in einer Bank in der dritten Reihe saß. Wie er hatte sie die Ehe bereits ausprobiert und keinen Gefallen daran gefunden. „Ehe ist nur ein anderes Wort für Sklaverei“, hatte sie zu Beginn ihrer Beziehung geäußert. Allerdings hatte sich ihr Verhalten in letzter Zeit merklich verändert. „Wo bist du gewesen, Damian?“, wollte sie wissen, wenn er einmal einen Tag nicht anrief. Auch seinen Umzug in die neue Wohnung hatte sie als Aufforderung verstanden, Möbel für ihn zu bestellen. Er hatte den Auftrag gerade noch rückgängig machen können, und der sich daraus entwickelnde Krach hatte ihr Verhältnis zueinander wochenlang getrübt. Seit dem gestrigen Abend war sie allerdings sehr süß, und als sie jetzt seinen Blick auffing, lächelte sie zärtlich und tupfte sich mit einem Spitzentaschentuch die Augen.

Damian verspürte einen Stich des Bedauerns. Vielleicht war es Zeit, die Sache zu beenden. Wenn eine Frau diesen Blick bekam …

„Damian?“

Er blinzelte. Nicholas zischte ihm etwas zu. War der Junge etwa zur Besinnung gekommen und wollte die Sache abblasen?

„Der Ring, Damian!“

Natürlich, der Ring. Damian suchte verzweifelt in seiner Jackentasche. Hatte er etwa …? Nein, hier war er. Erleichtert reichte er Nick den schlichten Goldreif. Eine der Brautjungfern schluchzte auf. Die Mutter der Braut griff mit tränenüberströmtem Gesicht nach der Hand ihres geschiedenen Mannes, nur um sie gleich darauf wieder fallen zu lassen.

Damian zwang sich, sich auf die Worte des Pfarrers zu konzentrieren.

„Und nun“, sagte dieser feierlich, „wenn es jemanden unter uns gibt, der einen Grund nennen kann, warum Nicholas Skouras Babbit und Dawn Elizabeth Cooper nicht in christlicher Ehe verbunden werden sollen, möge er jetzt sprechen oder für immer …“

Rumms!

Die Flügeltür der Kirche flog auf und schlug krachend gegen die Wand. Stoff raschelte, als sich die Gäste umwandten, um zu sehen, was passiert war. Selbst das Brautpaar drehte sich neugierig um.

In der offenen Tür stand eine Frau. Im Licht der hellen Frühjahrssonne war nur ihre Silhouette zu sehen. Der Wind, der ihr die Tür aus der Hand gerissen hatte, zerzauste ihr das Haar und wehte ihr den Rock um die Schenkel.

Schockiertes Gemurmel hob an. Der Pfarrer räusperte sich. Langsam kam die Frau herein. Damian stockte der Atem. Sie war unglaublich schön. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, aber wenn sie sich irgendwann begegnet waren, hätte er sich an sie erinnert. Eine solche Frau vergaß man nicht.

Ihr Haar hatte die Farbe von Herbstlaub mit goldenen Lichtern und fiel in Wellen um das ovale Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Die großen Augen standen weit auseinander. Sie waren … Grau? Blau? Auf diese Entfernung konnte Damian die Farbe nicht bestimmen. Sie trug keinen Schmuck. Der hätte auch nur von ihrer Schönheit abgelenkt. Selbst ihr Kleid von der Farbe des Himmels kurz vor einem Gewitter war ganz schlicht mit dem runden Ausschnitt, den gefältelten langen Ärmeln und dem kurzen, weiten Rock. Er hätte den Ton als violett bezeichnet, aber die Modeleute hatten wahrscheinlich eine bessere Bezeichnung dafür.

Damian betrachtete die festen, runden Brüste, die schlanke Taille, den sanften Schwung ihrer Hüften. Die Frau stellte eine eigenartige Kombination aus Erotik und Unschuld dar, obwohl die Unschuld wahrscheinlich gespielt war. Es konnte gar nicht anders sein. Schließlich war sie kein Kind mehr, und wer so aussah, musste Erfahrung haben.

Ein Windstoß bauschte ihren Rock. Rasch zog die Frau ihn wieder herunter, aber nicht, ehe Damian einen Blick auf lange, schlanke Beine und ein verführerisches schwarzes Spitzenhöschen erhascht hatte.

Das Wispern der Gemeinde wurde lauter. Jemand lachte. Anstatt verlegen zu reagieren, hob die Frau stolz den Kopf.

Heftiges Verlangen durchzuckte Damian. Ich könnte diesen arroganten Gesichtsausdruck verschwinden lassen, dachte er. Ich bräuchte nur den Gang hinunterzugehen, sie hochzuheben und hinaus auf einen der Hügel zu tragen, die die Kirche umgeben. Dort würde ich sie ins weiche Gras legen und sie küssen, ehe ich jeden Zentimeter ihres Körpers erforsche. Er stellte sich vor, wie er in sie eindrang und sich mit ihr bewegte, während sie vor Leidenschaft stöhnte.

Sein Mund fühlte sich ganz trocken an, und Damian fragte sich, was mit ihm los war. Schließlich war er kein von sexuellen Fantasien geplagter Teenager. Es sah ihm gar nicht ähnlich, von Frauen zu träumen, die er gar nicht kannte.

In diesem Moment sah sie ihn an. Sein Herz pochte zum Zerspringen. Ich weiß genau, was du denkst, sagte ihr Blick, und ich finde es sehr erheiternd.

Damian hörte ein Brausen. Er ballte die Hände zu Fäusten und trat einen Schritt vor.

„Damian?“, flüsterte Nick. In diesem Moment schlug der Wind die Tür erneut gegen die Wand. Das Geräusch schien den Bann zu brechen, der die Hochzeitsgesellschaft erfasst hatte. Ein Mann aus der letzten Reihe stand auf und schloss die Tür. Er nickte der Frau lächelnd zu, doch sie ignorierte ihn, während sie sich nach einem freien Platz umschaute. Schließlich fand sie einen, setzte sich und sah den Pfarrer erwartungsvoll an.

Dieser räusperte sich erneut. Fast widerstrebend wandte sich die Gemeinde wieder dem Altar zu.

„Wenn es niemanden gibt, der einen Grund nennen kann, warum Nicholas und Dawn nicht heiraten sollten“, sagte er rasch, als befürchtete er eine weitere Unterbrechung, „erkläre ich sie nach dem Gesetz Gottes und des Staates Connecticut zu Mann und Frau.“

Nick nahm seine Braut in die Arme und küsste sie. Der Organist stimmte den Schlusschoral an. Nach und nach standen die Gäste auf, um dem Hochzeitspaar aus der Kirche zu folgen, und Damian verlor die Unbekannte aus den Augen.

Das ist gerade noch mal gut gegangen, dachte Laurel. Schlimm genug, dass sie zu spät zu Dawns Hochzeit gekommen war, aber dass sie auch noch solche Aufmerksamkeit erregt hatte … Sie unterdrückte ein Stöhnen.

Erst vergangene Woche hatte Dawn so etwas vorausgesagt.

Annie war mit ihrer Tochter zur letzten Anprobe des Brautkleides nach New York gekommen, und sie hatten sich zum Mittagessen im Tavern on the Green im Central Park getroffen. Dawn hatte sie über ihre Pasta Primavera angeblickt und vernehmlich geseufzt. „Wie schön du bist! Ich wünschte, ich würde so aussehen wie du.“

Laurel hatte das zarte, ungeschminkte Gesicht ihrer Nichte betrachtet. Das Mädchen hatte noch keine Ahnung, wie übel einem das Leben mitspielen konnte. „Wenn ich so aussehen würde wie du“, sagte sie sanft, „wäre ich immer noch auf dem Titelblatt der Vogue.“

Die Unterhaltung wandte sich Laurels stagnierender Karriere, die nach Annies und Dawns Meinung keineswegs stagnierte, und ihren Zukunftsplänen zu. Laurel tat ihr Bestes, um die Angelegenheit herunterzuspielen. Und schließlich kam das Gespräch auf Dawns Hochzeit.

„Du wirst die hübscheste Braut sein, die es je gegeben hat“, prophezeite Laurel.

„Ich hoffe, dass zumindest Nick mich so sieht“, antwortete Dawn scheu, „aber du wirst alle anderen Frauen in den Schatten stellen.“

In diesem Moment hatte Laurel sich vorgenommen, ihrer Nichte auf keinen Fall die Schau zu stehlen. Wenn man ein bekanntes – beziehungsweise ehemals bekanntes – Gesicht hatte, konnte man das allein dadurch bewirken, dass man einen Raum betrat. Das wollte sie den Menschen, die sie gern hatte, nicht antun.

Deswegen hatte sie auf das eigens für diesen Anlass gekaufte zartrosa Chanel-Kostüm verzichtet und sich für das schon einige Jahre alte rauchblaue Seidenkleid entschieden. Selbst Lipgloss und Mascara, die sie als einziges Make-up trug, wenn sie nicht auf dem Laufsteg oder vor der Kamera stand, hatte sie diesmal weggelassen und das Haar nur durchgebürstet, anstatt es wie sonst zu einem lockeren Knoten aufzustecken, aus dem einzelne Strähnen in Gesicht und Nacken fielen.

Sie war extra früh aufgebrochen und hatte an der Penn Station einen Zug genommen, mit dem sie normalerweise eine Stunde vor Beginn der Trauung in Stratham eingetroffen wäre. Dieser war wegen einer Panne in New Haven stecken geblieben. Bis ein Ersatzbus gekommen war, war fast eine Stunde vergangen, und als man sie endlich am Bahnhof von Stratham abgesetzt hatte, war zu allem Überfluss kein Taxi aufzutreiben.

„Laurel?“

Laurel blickte hoch. Dawn und ihr gut aussehender Bräutigam standen vor ihr. Sie stand auf und umarmte ihre Nichte. „Alles, alles Gute, mein Schatz.“

„Das war vielleicht ein Auftritt“, meinte Dawn lachend.

„Oh Dawn, es tut mir so …“

Zu spät. Das Brautpaar war bereits an ihr vorbeigegangen und trat auf die Stufen vor der Kirche.

Laurel wusste, dass Dawn im Scherz gesprochen hatte, doch sie hätte alles darum gegeben, die letzten Minuten ungeschehen zu machen. Nachdem sie endlich ein Taxi gefunden hatte, war sie sogar einige Minuten vor der Kirche stehen geblieben und hatte überlegt, was schlimmer war – zu spät zu kommen oder die Trauung ganz zu verpassen. Schließlich hatte sie ganz behutsam auf die Klinke gedrückt, doch der Wind hatte ihr die Tür aus der Hand gerissen und ihr damit den ungewollt spektakulären Auftritt verschafft.

Alle hatten sie angestarrt – vor allem dieser entsetzliche Mann mit dem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck. Da er direkt neben Nicholas gestanden hatte, konnte es sich nur um dessen Onkel handeln. Er hieß Damian Skouras oder so ähnlich.

Ein Blick, und Laurel hatte gewusst, wen sie vor sich hatte. Leider kannte sie diesen Typ Mann nur zu gut. Frauen flogen auf solche Männer mit breiten Schultern, schmaler Taille, einem durchtrainierten Körper und einem ebenmäßigen Gesicht, in dem die Augen sich wie eine blaue Flamme von der gebräunten Haut abhoben. Das wellige Haar hatte er glatt zurückgekämmt. In einem Ohr glitzerte ein winziger goldener Stecker.

Dass er über Geld und Einfluss verfügte, war nicht nur an seinem Armani-Smoking zu erkennen, sondern auch an der lässigen männlichen Arroganz, mit der er dastand. Er hatte sie angesehen wie ein neues Spielzeug.

Baby, hatte sein Blick gesagt, ich würde dir zu gern das Kleid ausziehen und nachsehen, was darunter ist.

Darauf konnte er lange warten. Laurel hasste unverschämte Männer, denen Geld und Macht zu Kopf gestiegen waren. Schließlich hatte sie sich selbst über ein Jahr lang von einem an der Nase herumführen lassen.

Der Rest der Hochzeitsgesellschaft zog an ihr vorbei – kichernde Brautjungfern in pastellfarbenen Kleidern sowie nette junge Männer, die sich in Anzug und Krawatte etwas unbehaglich zu fühlen schienen. Annie ging am Arm ihres geschiedenen Mannes an ihr vorbei und begrüßte sie kurz. Und jetzt kam der Kerl, der sie vorhin mit seinen Blicken ausgezogen hatte. Er bildete den Abschluss der Prozession und führte eine der Brautjungfern am Arm, ein Kind, das höchstens halb so alt war wie er.

Das Mädchen sah ihn aus großen Augen an, während er seinen Charme voll aufdrehte und seine viel zu weißen Zähne blitzen ließ. Die Kleine war völlig gebannt von seinem im Fitnessstudio gestählten Körper, der auf der Sonnenbank erworbenen Bräune und dem Selbstbewusstsein, das ein volles Bankkonto mit sich brachte.

Mistkerl, dachte Laurel. Ehe sie wusste, was sie tat, war sie aufgestanden und hatte sich den beiden in den Weg gestellt. Die Brautjungfer war so in seinen Anblick versunken, dass sie beinahe mit Laurel zusammenstieß.

„Was ist denn los?“, fragte sie erschrocken.

„Gar nichts“, antwortete er, ohne den Blick von Laurel abzuwenden.

Das junge Mädchen zupfte ihn am Ärmel. Sie war zwar unerfahren, aber nicht dumm. „Kommen Sie, Damian. Wir müssen zu den anderen.“

Er nickte. „Gehen Sie schon voraus, Elaine. Ich komme gleich nach.“

„Mein Name ist Aileen.“

„Aileen“, verbesserte er sich. Noch immer sah er Laurel unverwandt an. „Ich bin gleich bei Ihnen.“

Das Mädchen sah Laurel mürrisch an und eilte den anderen nach.

Aus der Nähe stellte Laurel fest, dass die Augen des Mannes von einem ungewöhnlichen Blau waren, hell und kühl mit einem dunklen Ring um die Iris. Eis, dachte sie. Pures Polareis.

Eine Ader an ihrem Hals begann zu pochen. Ich hätte bleiben sollen, wo ich bin, dachte Laurel.

„Ja?“, fragte er. Seine Stimme passte genau zu den Augen.

Die Kirche war jetzt leer. Nur wenige Meter entfernt konnte Laurel Stimmen und Gelächter hören, aber hier drinnen war es bis auf das Hämmern ihres Herzens ganz still.

„Wollten Sie mir irgendetwas sagen?“

Seine Worte waren höflich, doch sein kalter Tonfall ließ ihr den Atem stocken. Einen Moment lang war sie versucht, sich umzudrehen und davonzulaufen, aber sie war noch nie in ihrem Leben vor irgendetwas geflohen. Außerdem sollte dieser Kerl nicht denken, dass sie sich einschüchtern ließ. Schließlich gab es nichts, wovor sie Angst zu haben brauchte.

Laurel straffte sich, warf das Haar aus dem Gesicht und maß ihn mit einem hochmütigen Blick, den sie für die Kamera perfektioniert hatte. „Eigentlich wollte ich Sie nur darauf aufmerksam machen, dass es unter Ihrem Niveau sein müsste, Ihr Spiel mit kleinen Mädchen zu treiben. Sollten Sie sich nicht lieber eine Spielgefährtin suchen, die weiß, mit wem sie es zu tun hat?“

Er betrachtete sie schweigend. Laurel freute sich bereits, den ersten Punkt gemacht zu haben, doch dann lächelte er sie auf eine Weise an, dass ihr das Herz stehen blieb, und kam so dicht auf sie zu, dass nur noch Zentimeter sie trennten. „Wie heißen Sie?“

„Laurel. Laurel Bennett. Aber …“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung, Miss Bennett. Das Spiel macht wesentlich mehr Spaß, wenn die Beteiligten ebenbürtig sind.“

In seinem Blick las Laurel, was jetzt kam, doch es war bereits zu spät. Ehe sie reagieren konnte, hatte er sie an sich gezogen und küsste sie heftig.

2. KAPITEL

Laurel blickte verstohlen auf die Uhr.

Noch eine Stunde, dann konnte sie gehen, ohne Aufsehen zu erregen. Nur noch eine Stunde – vorausgesetzt, sie hielt so lange durch.

Der Mann, der an dem in Rosa und Weiß eingedeckten Tisch neben ihr saß – Evan Soundso – erzählte einen Witz. Dr. Evan Soundso, wie Annie betont hatte, als sie ihre Gäste miteinander bekannt machte. Annie ließ auch wirklich keine Gelegenheit aus, ihre Schwester zu verkuppeln.

Eigentlich war er ganz nett, auch wenn seine rosa Nasenspitze und der leichte Überbiss an ein Kaninchen erinnerten. Das Problem war nur, dass er schon den ganzen Abend lang Witze erzählte, die sich zum Verwechseln ähnelten. Irgendwann zwischen dem Krabbencocktail und dem Bœuf Stroganoff hatte Laurel den Faden verloren.

Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich an diesem Tag auf gar nichts konzentrieren konnte. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Damian Skouras ab, der an einem Tisch auf dem Podium saß, an seiner Seite eine mondäne Blondine. Obwohl Laurel nicht hinsah, spürte sie seinen Blick deutlich im Rücken.

Inzwischen wusste sie, dass es sich tatsächlich um Damian Skouras, Nicks Onkel und früheren Vormund, handelte. Annie hatte ihr anvertraut, dass sie die Hochzeit für verfrüht hielt. Sie fand, Dawn und Nick seien viel zu jung. Nun, da sie den Mann kannte, der Nick aufgezogen hatte, wunderte sich Laurel, dass ihre Schwester nicht noch einen zweiten, viel wichtigeren Einwand erhoben hatte. Wer wollte schon einen Schwiegersohn, dessen Vorbild ein egoistischer, arroganter Frauenheld wie Damian Skouras war?

Dass sie ihn dafür hielt, hatte sie ihm ins Gesicht gesagt, als sie sich bei der Gratulationscour gegenüberstanden. Sie hatte versucht, an ihm vorbeizugehen, ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen, doch er hatte einfach ihre Hand ergriffen und sich höflich vorgestellt, als wären sie einander noch nie begegnet.

Entrüstet versuchte Laurel, ihm die Hand zu entziehen. Das schien ihn sehr zu amüsieren. „Ganz ruhig, Miss Bennett“, sagte er leise. „Sie wollen doch nicht wieder alle Blicke auf sich ziehen. Eine solche Szene pro Tag ist genug, finden Sie nicht?“

„Nicht ich habe die Szene gemacht, Sie …“

„Mein Name ist Damian Skouras.“ Er weidete sich sichtlich an ihrem Unbehagen. „Vielleicht genießen Sie es, Aufmerksamkeit zu erregen. Dann machen Sie ruhig so weiter. Aber wenn Sie wie ich der Meinung sind, dass am heutigen Tag Nick und seine Braut im Mittelpunkt stehen sollten, dann schlage ich vor, Sie setzen ein nettes Lächeln auf und tun so, als würden Sie sich amüsieren.“

Er hatte recht. Hinter ihr drängten sich bereits andere Gäste und begannen, die Hälse zu recken. Deswegen lächelte sie nicht nur nett, sondern strahlend und zischte ihm zu, dass sie sich noch besser unterhalten würde, wenn er vom Erdboden verschwände.

Sein Griff wurde fester, und in seinen Augen glomm ein Funke auf, der sie ihre übereilten Worte bedauern ließ. „Das glaube ich nicht“, sagte Damian sanft. „Oder haben Sie vergessen, was passiert ist, als ich Sie geküsst habe?“

Als er festgestellt hatte, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, hatte er zufrieden gelächelt und ihre Hand losgelassen.

Sie würde den Vorfall niemals vergessen. Nach dem ersten Moment des Schocks und der Wut hatte sie sich plötzlich dabei ertappt, dass sie ihm die Hände auf die Schultern legte und ihre Lippen weich und nachgiebig wurden …

„Wenn das so ist, sagte das Huhn“, hörte sie Evan Soundsos nasale Stimme, „hat es nicht viel Sinn, auf die andere Seite zu wechseln.“

Alle am Tisch lachten. Laurel ebenfalls, wenn auch einen Moment zu spät.

„Toller Witz“, meinte jemand.

Evan lächelte, griff nach seinem Weinglas und drehte sich zu Laurel um. „Sie kannten ihn wohl schon.“

„Nein“, antwortete sie rasch. „Ich bin heute nur nicht so reaktionsschnell wie sonst. Vermutlich liegt es am Zeitunterschied. Gestern war ich noch in Paris …“

„Paris“, wiederholte er beeindruckt. „Eine wunderschöne Stadt. Vergangenes Jahr war ich dort auf einem Kongress. Haben Sie Urlaub gemacht?“

„Nein, es war eine Geschäftsreise.“

„Vermutlich sind Sie dort zwei Mal im Jahr zu den Modenschauen.“

„Ja, aber woher …?“

„Ich habe Sie erkannt.“ Evan schmunzelte. „Außerdem hat Annie mir verraten, wer Sie sind. Ich bin ihr Zahnarzt, und als sie das letzte Mal zum Nachschauen kam, sagte sie, sie könnte es gar nicht erwarten, mich mit ihrer kleinen Schwester – dem schönsten Model der Welt – bekannt zu machen. Allerdings hat sie nicht die Wahrheit gesagt.“

„So?“ Laurel heuchelte Interesse, obwohl sie genau wusste, was jetzt kam. Acht von zehn Männern sagten das Gleiche.

„Ja. Sie sind nicht nur das schönste Model, sondern die schönste Frau der Welt.“

Treffer, dachte Laurel und setzte ein höfliches Lächeln auf. „Sie dürfen es Annie nicht übel nehmen. Sie kann es einfach nicht lassen, Beziehungen zu stiften.“

„Wenigstens hat sie nicht übertrieben.“ Er neigte sich ihr zu. „Sie sollten die so genannten Traumfrauen sehen, mit denen man für mich schon Verabredungen arrangiert hat.“

„Wir haben keine Verabredung, Doktor“, stellte Laurel richtig, doch als sie seine gekränkte Miene sah, setzte sie rasch hinzu: „Ich kann gut nachempfinden, was Sie fühlen. Auch ich bin schon Opfer wohlmeinender Verkupplungsversuche gewesen.“

„Annie hat mich doch nicht falsch informiert? Ich meine, Sie sind doch ungebunden?“

Laurel nahm sich vor, ihrer Schwester gehörig die Meinung zu sagen. Annie versuchte schon seit Jahren, sie an den Mann zu bringen. Seit ihrer, Laurels, Trennung von Kirk war Annie noch aktiver geworden.

Dabei war sie, Laurel, zu dem Schluss gekommen, dass Männer eigentlich nur zwei nützliche Funktionen hatten, und zwar beim Öffnen von Schraubverschlüssen und beim Sex. Für Schraubverschlüsse gab es inzwischen technische Hilfsmittel, und dem Sex wurde ihrer Meinung nach viel zu viel Bedeutung beigemessen. Auch das war ihr während ihrer Beziehung zu Kirk klar geworden. Möglicherweise gab es Frauen, die Musik hörten und Sterne sahen, wenn sie mit einem Mann im Bett lagen, aber wenn eine Frau ein eigenes Leben führte, war Sex eigentlich nichts weiter als ein Trieb wie Essen und Trinken – nur längst nicht so wichtig.

„Verzeihen Sie mir.“ Evan war rot geworden. „Das hätte ich Sie nicht fragen dürfen.“

„Was denn?“, fragte Laurel, die mit ihren Gedanken ganz woanders war.

„Ob Sie für eine Beziehung frei sind.“

„Wissen Sie“, antwortete sie ausweichend, „ich bin so häufig auf Reisen, dass ich …“

„Miss Bennett?“

Laurel erstarrte. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand. „Ja?“, fragte sie kühl.

„Ich dachte, Sie würden vielleicht gern tanzen“, sagte Damian Skouras. Auf seinem Gesicht lag ein freundliches Lächeln.

„Nein, vielen Dank“, lehnte sie ab.

„Aber sie spielen unser Lied.“

Bisher hatte Laurel der Kapelle kaum Beachtung geschenkt. Jetzt wurde ihr bewusst, dass ein Wiener Walzer an Stelle der Pop-Musik gespielt wurde, die die jüngere Generation bevorzugte.

„Zumindest unsere Art von Lied“, verbesserte er sich. „Ein altmodischer Walzer für ein altmodisches Mädchen – Verzeihung, eine altmodische Frau.“

„‚Frau‘ ist angemessen, aber es macht keinen Unterschied, Mr. Skouras. Ich bin nicht interessiert.“

„Am Walzertanzen?“

„An Ihnen“, stellte sie richtig. „Weder zum Tanzen noch zu sonst irgendwas.“

Eine Dame am Tisch schnappte entzückt nach Luft. Damian Skouras dagegen ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Sie scheinen in eigenartigen Kreisen zu verkehren, Miss Bennett. In meiner Welt stellt eine Aufforderung zum Tanz keineswegs einen unzüchtigen Antrag dar.“

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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