Was ein Kuss verraten kann

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Wie konnte das nur passieren? Die attraktive PR-Agentin Jen hat sich in den erfolgreichen Schriftsteller Harry verliebt, obwohl sie genau weiß, dass er nicht der Richtige für sie ist. Zu viele Frauen umschwärmen ihn! Doch Jen kann ihm unmöglich aus dem Weg gehen - ausgerechnet sie leitet die PR-Kampagne für sein neuestes Buch. Und wann immer sie sich treffen, verraten ihr Harrys heiße Küsse, dass sie auf dem besten Weg ist, sein Herz zu erobern …


  • Erscheinungstag 06.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757519
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Miss Summers“, drängte eine Männerstimme leise hinter Jen, doch sie ignorierte sie, weil sie sich nicht ablenken lassen durfte.

Dies war ihr großer Auftritt. Zum ersten Mal leitete sie allein eine Pressekonferenz. Journalisten hatten begonnen, Fragen zu stellen. Kameras surrten.

„Miss Summers, ich muss Sie sprechen.“ Diesmal schwang in der dunklen Stimme ein leicht ungeduldiger Unterton mit.

Meine Güte! Es gehörte schon beachtliche Dreistigkeit dazu, eine Pressekonferenz zu unterbrechen! Die Tontechniker nahmen die unerwünschte Störung sichtlich unwirsch auf. Jen hob den Kopf und machte über die Schulter eine Abwehrbewegung mit der Hand, ohne den Reporter aus den Augen zu lassen, der ihrem Klienten ein Mikrofon vor die Nase hielt.

Unwillkürlich verkrampfte sich Jens Magen. Ihr Klient Maurice war berüchtigt für seine Wutausbrüche vor der Presse. Und die aufdringliche Art des Reporters war förmlich dazu angetan, einen herauszufordern. Jetzt wird’s gefährlich! dachte Jen. Selbst wenn der Typ mit der dunklen Stimme ihr mitteilen wollte, dass sie eine Million Dollar gewonnen hatte, musste er warten.

„Maurice, Sie sind berühmt, weil die schönsten Frauen sich von Ihnen frisieren lassen“, säuselte der Reporter. „Heute eröffnen Sie eine Kette von Salons in mehreren Vororten von Sydney. Aber haben Sie auch der Durchschnittsfrau etwas zu bieten? Wann haben Sie einer ganz normalen Frau das letzte Mal persönlich die Haare geschnitten?“

Maurice’ Gesicht färbte sich puterrot. „Ich war von jeher ein Mann des Volkes“, brüstete er sich lautstark. „Deshalb möchte ich auch den Damen in den Vororten meine Künste zugänglich machen.“

Das Glitzern in seinen zusammengekniffenen Augen warnte Jen. Kam jetzt ein Tobsuchtsanfall? Sie wünschte, sie hätte mehr Erfahrung mit solchen Auftritten. Am Morgen war ihre Chefin für zwei Wochen in Urlaub nach Thailand geflogen und hatte ihr nur wenige allgemeine Anweisungen hinterlassen. Dies war ihre Feuerprobe.

Entsetzt sah sie, dass Maurice sich plötzlich auf den Reporter stürzte, ihm vor laufenden Kameras den Notizblock entwand, ihn durchriss und die Fetzen in die Luft schleuderte.

„Jetzt geht’s los!“ Ein Reporter neben Jen grinste hämisch und versetzte seinem Nachbarn einen Knuff.

„Dank meiner Kunst kann jede Frau aussehen wie ein Superstar“, prahlte Maurice. „Für mich gibt es einfach keine hässliche Frau.“

Die Menge reagierte mit aufgeregtem Gelächter. Jen schlug das Herz bis zum Hals. Jetzt war es an ihr, die brenzlige Lage in den Griff zu bekommen. Doch ehe sie reagieren konnte, eilte Maurice auf sie zu und hielt sie fest.

„Sehen Sie das hier!“, rief er und schob ihr die Finger in die schulterlange Mähne. „Das ist ganz gewöhnliches Haar. Absoluter Durchschnitt!“

Peinlicher konnte es kaum noch werden! Wie versteinert stand Jen da. Alle Journalisten im Friseursalon betrachteten sie amüsiert. Sie war Public-Relations-Beraterin, kein Haarmodel.

„Toll! Dranbleiben!“, schrie jemand von den Medienleuten dem Kameramann zu.

Maurice genoss seinen Auftritt ganz offensichtlich. „Das Haar dieser Frau ist farblos, unscheinbar und schlaff.“

Insgeheim stöhnte Jen. Auch das noch! Ausgerechnet sie! Dabei hatte sie vorgehabt, ihr Haar auffrischen und sich blonde oder kupferfarbene Strähnchen machen zu lassen, doch in den letzten vier Wochen hatten der Umzug von Sydney nach Brisbane und die neue Stelle sie völlig in Anspruch genommen.

„Die moderne Frau trägt flott gestuftes, weich fließendes Haar. Dieser Schnitt ist nun wirklich out!“ Maurice betrachtete Jen, und seine Grimasse sollte wohl Mitgefühl ausdrücken. „Schätzchen, der glatte Look ist mega-out.“

Konnte man vor Verlegenheit sterben? Nur ein einziges Mall hatte Jen sich eine Lockenmähne zugelegt, doch da war sie sich wie Medusa mit dem Schlangenhaupt vorgekommen. Gleich würde Maurice ihre gespaltenen Spitzen vor die Kameras halten, damit alle Großaufnahmen machen konnten. Aber verflixt, wenn sie sich dagegen wehrte, würde der Mann möglicherweise erst richtig zu toben anfangen, und die Pressekonferenz konnte platzen. Hilflos sagte Jen sich, dass sie diese Achterbahnfahrt notgedrungen bis zum bitteren Ende durchstehen musste.

„Jede Sekretärin, jede Kassiererin hat das Recht, toll auszusehen. Und ich verhelfe ihnen dazu“, verkündete Maurice und fuhr Jen mit den langen, schlanken Fingern durchs Haar. „Gebt mir Material wie das hier, das mein Können herausfordert, und ich zaubere euch im Handumdrehen ein Meisterwerk!“

Interessiertes Raunen und hier und da ungläubiges Gelächter folgten.

Maurice nahm Jen beim Arm und schob sie zu einem Sessel vor einem Spiegel, wo sie wegen des grellen Lichtes blinzeln musste und der Hitze der Fernsehscheinwerfer ausgesetzt war.

Wie ein Zauberer schwenkte Maurice den Arm und wählte einen Kamm und eine Schere aus. Mit der anderen Hand schob er Jens Haar zurecht, bis es ihr wie ein feiner Vorhang ins Gesicht fiel.

„Moment mal! Wie lange wird das hier dauern? Ich muss Miss Summers sprechen. Und zwar sofort!“

Meine Güte, wieder diese dunkle, sinnliche Männerstimme.

Jen hatte den Störenfried völlig vergessen, doch da war er wieder. Er machte sich jetzt lautstark bemerkbar und schien nahe daran zu sein, die Geduld zu verlieren.

Das ging zu weit. War der Mann verrückt, ausgerechnet in dieser kritischen Situation dazwischenzufunken?

„Ruhe!“, schrie Maurice. „Während ich meine Kunst ausübe, dulde ich keine Störung.“

„Höchste Zeit, dass Sie sich bessere Manieren angewöhnen“, erklärte der Fremde ungerührt. „Es gibt ja nun wirklich wichtigere Dinge als einen Haarschnitt.“

Maurice schnappte nach Luft, und Jen blickte auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht, um zu sehen, wem die Stimme gehörte.

Er stand an einer Seite des Salons, ein Typ in Livree … groß, breitschultrig, athletisch gebaut, dunkles lockiges Haar, ernst dreinblickende, klare graue Augen. Stolz, mit leicht gespreizten Beinen stand er da. Wie ein Torero in der Stierkampfarena, der auf den Angriff wartete.

Auf der Brusttasche seiner zweireihigen grauen Livreejacke mit den dunkelbraunen Schulteraufschlägen prangte ein Firmenname.

„Wie lange wird das hier dauern?“, wiederholte der Fremde, ohne sich um die Kameras und die verblüfften Journalisten zu kümmern. „Ich muss Miss Summers dringend etwas ausrichten und kann nicht den ganzen Vormittag warten.“

Jen runzelte die Stirn. „Ausrichten?“ Er störte die gesamte Veranstaltung, um ihr etwas auszurichten? Sie hatte keine Ahnung, wer der Mann sein mochte oder wie er sie ausfindig gemacht hatte. Und was fiel ihm ein, hier einfach hereinzuplatzen?

Mit einer knappen Handbewegung trat er zur Seite und drehte sich zur Haupttür des Salons um.

Geblendet vom Blitzlichtgewitter der Kameras blinzelte Jen und bemerkte einen riesigen Koffer, daneben ein kleines Mädchen mit einem Miniaturgeigenkasten in der Hand.

Sie betrachtete die zarte Gestalt genauer. „Millie?“, rief sie fassungslos und sprang auf.

„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!“ Von dem kleinen Mädchen blickte sie zu dem Fremden, dann zu dem erbosten Maurice und den Journalisten, die sie, Schreiber und Notizblöcke gezückt, umringten.

Hilflos hob sie die Hände. „Tut mir wirklich leid, aber Sie müssen mich einen Moment entschuldigen …“ Ohne nach rechts oder links zu sehen, bahnte sie sich eiligst einen Weg zwischen der Menge hindurch. „Du liebe Zeit, was hat das zu bedeuten?“

Der Fremde zuckte die Schultern. „Ich soll das kleine Mädchen hier einem Familienmitglied übergeben, und mir wurde gesagt, das seien Sie.“

„Wer sind Sie?“

„Ein Chauffeur.“

„Und wer hat Sie angewiesen, meine Nichte herzubringen? Meine Güte, meiner Schwester Lisa ist doch hoffentlich nichts zugestoßen?“

Abschätzig blickte der Mann zu den wartenden Journalisten, dann kam er näher und erwiderte leise: „Es geht ihr bestens. Sie hat unsere Autoverleihfirma aus Perth angerufen. Anscheinend zieht sich ihre Arbeit dort in die Länge, und das Kindermädchen, das die Kleine betreut, hat Knall und Fall gekündigt.“

Die Nachricht, dass Lisa in Perth war, überraschte Jen nicht. Ihre bildschöne Schwester arbeitete als Model und hetzte ständig von einem Fototermin zum nächsten. „Das Kindermädchen hat plötzlich gekündigt? Wieso denn das?“

Der Fremde unterdrückte eine Verwünschung. „Das ist doch jetzt unwichtig. Es gab da irgendein Familienproblem. Mein Auftrag lautet einfach, das Kind zu Ihnen zu bringen.“

„Aber im Moment kommt mir das völlig ungelegen!“

Verächtlich lächelte der Mann und blickte zu Maurice. „Manche halten das Wohl eines kleinen Mädchens für wichtiger als den Rummel hier.“ Er reichte Jen ein in Leder gebundenes kleines Notizbuch. „Darin sind die Termine der Kleinen eingetragen.“

„Termine?“

„Ballettstunden, Turnen, Schwimmen, Geigenunterricht.“ Ironisch zog er eine Braue hoch. „Bestimmt gibt’s da auch noch Handarbeit und Sprachenunterricht.“

Ratlos rieb Jen sich die Stirn. Ihre Schwester versuchte, ihr kleines Mädchen für ihre häufige Abwesenheit zu entschädigen, indem sie es ständig beschäftigt hielt. Wieder blickte Jen zu Millicent. Die arme Kleine war erst fünf Jahre alt und wirkte in dem Salon inmitten der vielen Fremden herzergreifend zerbrechlich und verloren.

Spontan kauerte sie sich vor ihre Nichte, gab ihr einen Kuss und nahm sie mitfühlend in die Arme. „Was für eine hübsche Überraschung“, sagte sie warmherzig.

Millicent antwortete nicht. Sie war ein unscheinbares kleines Ding mit glattem, hellbraunem Haar wie Jens und ernst blickenden Augen, die an die einer Stoffpuppe erinnerten. Das Kind schien nichts von seiner schönen Mutter, dem berühmten Model Lisa Summers, geerbt zu haben, und Jen hatte es wohl deshalb besonders ins Herz geschlossen. Sie und Millicent waren ganz und gar durchschnittliche Mitglieder der Familie Summers.

Sie seufzte. Ihr war klar, warum Lisa ihre Tochter postwendend zu ihr geschickt hatte. In Krisenfällen wandten sich alle prompt an sie. Das war das Los der Gutmütigen. Ihre Freunde und Verwandten verließen sich unweigerlich darauf, dass sie sich zur Verfügung stellte. Sie war der erste Anlaufhafen im Sturm. Jeder erwartete von ihr, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse ganz selbstverständlich hintansetzte und half.

Bisher hatte sie nichts dagegen gehabt.

Doch diesmal hatte sie beim besten Willen keine Zeit.

Was sollte sie tun? Ihre Chefin war verreist, und die Leitung der gesamten Public- Relations-Agentur ruhte auf ihren Schultern.

Unschlüssig blickte Jen wieder zu Maurice und den Journalisten, die rebellisch zu werden begannen. Einen unglücklicheren Augenblick hätte der Überbringer ihrer Nichte sich wirklich nicht aussuchen können. Wenn sie sich mit ihm noch länger aufhielt, würde die gesamte Pressekonferenz platzen.

Wie auf ein Stichwort hörte sie Maurice schrill protestieren: „Jen! Wir sind noch nicht fertig!“

„Ich komme schon!“, rief sie zurück. „Hören Sie“, sagte sie zu dem Fahrer, „ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie Sie sehen, bin ich … sehr beschäftigt.“

Der Fremde betrachtete kurz ihre Frisur, und in seinen grauen Augen blitzte es belustigt auf. Bestimmt gab er Maurice recht, dass ihr Haar sich in einem bedauernswerten Zustand befand.

Unbeirrt sah sie ihn an. „Im Moment kann ich mich wirklich nicht um Millie kümmern. Bringen Sie sie zu meiner Mutter – Caro Summers. Ihre Adresse ist: 47 Victoria Terrace, St Lucia.“

Doch der Mann schüttelte den Kopf. „Geht nicht. Ich soll um …“

„Bitte!“, unterbrach Jen ihn beschwörend, obwohl er abweisend dreinblickte. Der Mann mochte Chauffeur sein, doch irgendwie wirkte er, als wäre er es gewohnt, Befehle zu erteilen, statt entgegenzunehmen. „Sie müssen sie einfach dorthin bringen. Sie ist Millicents Großmutter, und mir fällt im Moment wirklich keine andere Lösung ein.“

Aufmunternd lächelte sie Millie zu. Die arme Kleine musste sich wie ein Paket vorkommen, das keiner haben wollte. „Liebes, dieser Mann … dieser nette Mann hier …“ Sie wandte sich dem Fahrer wieder zu: „Wie, sagten Sie, ist Ihr Name?“

„Ich habe mich nicht vorgestellt.“ Um seinen Mund bildete sich ein harter Zug. „Ich heiße Harry. Harry Ryder.“

Seine sinnliche, dunkle Stimme und der Ausdruck in seinen unglaublich klaren grauen Augen ließen Jen erschauern. Rasch wandte sie sich wieder Millicent zu. „Harry fährt dich zu Grandma. Sie wird sich um dich kümmern. Ich komme nach, sobald ich mit der Arbeit hier fertig bin.“

„Ich habe nicht Ja gesagt.“

Jen atmete tief durch und sah Harry wieder an. „Aber Sie tun es, nicht wahr?“

Angespanntes Schweigen folgte. Die beiden Erwachsenen sahen sich an und fochten einen stummen Kampf miteinander aus. Schließlich ging Millicent zu Harry und nahm seine Hand. Verblüfft sah er sie an.

„Sagten Sie, die Kleine sei Lisa Summers’ Tochter?“, rief ein Journalist hinter Jen.

Unwillkürlich erbleichte sie. Das fehlte ihr gerade noch, dass nicht die Eröffnung von Maurice’ Salon, sondern das Privatleben ihrer Schwester die Seiten der Abendzeitungen füllte.

„Danke“, sagte sie schnell zu Harry, ohne ihn oder Millicent noch einmal anzusehen, und eilte zu Maurice und den Presseleuten.

Während Harry die schnittige schwarze Limousine auf den Coronation Drive lenkte, warf er einen kurzen Blick in den Rückspiegel und bemerkte empört, dass das kleine Mädchen auf dem Rücksitz steif und aufrecht dasaß. Mit großen, ernsten Augen ließ es den hektischen Verkehr zum Brisbane River auf sich wirkten, auf dem Studenten in Ruderbooten trainierten.

Irgendwie rührte es ihn, dass die Kleine sich stumm und schicksalergeben mit den seltsamen Ereignissen des Vormittags abgefunden hatte. Ob sie es gewohnt war, von einem zum anderen weitergereicht zu werden? Die ganze Zeit über hatte sie kein Wort gesprochen, und er hätte etwas darum gegeben zu erfahren, was sie dachte.

Dabei sollte ihm das eigentlich gleichgültig sein. Er hatte sich als Chauffeur verdingt, um das Leben der Reichen und Berühmten aus nächster Nähe zu beobachten. Diese Leute wollte er scharf unter die Lupe nehmen, in ihre Haut schlüpfen, erfahren, was in ihren Köpfen vorging. Dass er sie mögen würde, erwartete er nicht. Und eigentlich dürfte er auch kein Mitgefühl für eines ihrer Kinder entwickeln, weil es erst fünf Jahre alt war und die Erwachsenen, zu denen es gehörte, sich nicht um die Kleine kümmerten.

Drei Frauen hatten versucht, es abzuschieben: erst die Mutter, dann die Kinderschwester und jetzt diese PR-Tante im gestreiften Designerkostüm. Alle drei waren nur mit sich und ihren eigenen Problemen beschäftigt.

Stirnrunzelnd dachte er daran, wie er reagiert hatte, als Millicent ruhig seine Hand genommen und ihn mit ihren großen, schimmernden Augen so vertrauensvoll angesehen hatte. Und unwillkürlich empfand er den Wunsch, das kleine Mädchen zu beschützen. Gab es im Leben der Kleinen denn überhaupt keine Männer?

Kritisch betrachtete Jen sich im Waschraumspiegel.

Maurice hatte recht. Ihre Frisur wirkte langweilig. Schade, dass er am Vormittag seine Drohung nicht wahr gemacht hatte, sie in eine Glamourfrau zu verwandeln. Doch nachdem der Chauffeur Maurice bei der Ausübung seiner Kunst gestört hatte, war dessen Interesse an ihr erloschen. Er war voll damit beschäftigt gewesen, die Presse zu beleidigen.

Trotzdem war sie natürlich dankbar, dass Maurice seine Pressekonferenz meisterlich selbst gerettet hatte. Auf gut Glück hatte er die Frisuren der meisten Anwesenden verrissen oder gepriesen und so die Aufmerksamkeit wieder auf sich gelenkt. Die Kameras hatten erneut zu surren begonnen, Maurice hatte nach links und rechts Beleidigungen ausgeteilt, sodass der traurige Zustand von Jens Haar in Vergessenheit geraten war.

Was ihr nur recht sein konnte. Doch nach der öffentlichen Bloßstellung plagten sie jetzt wegen ihres glatten, farblosen Haars Komplexe. Sie hielt eine Strähne gegen das Licht. Auch noch gespaltene Spitzen.

Jen seufzte. Als Lisa Summers’ Schwester hatte sie ihr Leben lang im Schatten ihrer bildschönen Schwester gestanden. Lisa besaß alles, was eine Frau sich wünschen konnte: Sie war groß, hatte üppiges rotbraunes Haar, makellose, helle Haut, mandelförmige dunkelgrüne Augen und ausgeprägte hohe Wangenknochen.

Gegenüber Lisa kam Jen sich wie eine graue Maus vor … mit ihrem hellbraunen Haar, den braunen Augen, der dunklen Haut und Wangenknochen, die niemandem auffielen. In den letzten Jahren hatte sie geglaubt, sich mit ihrem Aussehen und ihrer Wesensart ganz gut abgefunden zu haben. Doch jetzt war ihr Selbstvertrauen durch Maurice erneut erschüttert worden.

„Nur nicht unterkriegen lassen“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und wandte sich ab. Schließlich richtete sie ihr Leben gerade neu aus. Sie war von Sydney nach Brisbane gezogen, hatte drei vergeudete Jahre mit Dominic hinter sich gelassen und bei der Zeitschrift „Girl Talk“ gekündigt, um den Posten bei der Public-Relations-Agentur zu übernehmen.

Und nachdem man ihr jetzt unerwartet so viel Verantwortung übertragen hatte, musste sie versuchen, brillante Presseartikel und Reden für ihre Klienten zu schreiben. Das war viel, viel wichtiger als ihre Frisur.

Nachdenklich ging Jen zu ihrem Schreibtisch zurück. Trotzdem wäre eine neue Frisur eigentlich das Tüpfelchen auf dem I. Gut auszusehen war der erste Schritt auf dem Weg zu …

Nein! Fassungslos blieb sie stehen und schüttelte den Kopf.

Harry Ryder stand mitten in ihrem Büro. Er hielt das Kind an der Hand und sah sie anklagend an.

2. KAPITEL

„Bei Ihrer Mutter ist niemand zu Hause“, erklärte Harry trocken, als Jen auf das Mädchen zueilte.

„Ach.“ Blitzschnell überlegte sie. Heute war Mittwoch. Natürlich hätte sie daran denken müssen, dass ihre Mutter an diesem Tag Bridge spielte. Sie blickte auf die Uhr. Erst zwei. Sie musste noch Stunden arbeiten, ehe sie sich um Millicent kümmern konnte. Auf keinen Fall durfte sie ihren Job aufs Spiel setzen.

Harry stand da, die Hände auf den Hüften, und deutete mit dem Kopf zu Millicent. „Das Kind hatte nichts zu Mittag gegessen, und da es hungrig war, habe ich ihm eine Wurst gekauft. Ich hoffe, das war in Ordnung.“

„Ja, natürlich“, erwiderte Jen prompt. „Danke. Natürlich bezahle ich Ihnen die Wurst.“ Sie griff nach ihrer Handtasche.

„Nicht doch. Meine Firma setzt es mit auf die Rechnung.“ Harry schwieg einen Moment. „Sieht so aus, als würden Sie nicht darum herumkommen, die Kleine in einem Kindergarten unterzubringen. Im Telefonbuch stehen genug davon“, meinte er dann.

„Nein, das will ich nicht“, wehrte Jen etwas zu schroff ab. Der Mann hatte ihr geholfen, aber sollte sie sich von einem Chauffeur raten lassen, erst recht einem, der sich gar nicht wie einer benahm? „Wenn Lisa ihre Kleine in einem Kinderhort unterbringen wollte, hätte sie es selbst getan. Meine Familie wird sich um Millie kümmern.“

Sie verschwieg, dass von ihrer Familie nur ihre Mutter und Lisa in Brisbane lebten. Jen hielt Millicent die Hand hin, und das kleine Mädchen kam folgsam zu ihr und blickte mit seinen unschuldig blickenden Augen so hoffnungsvoll zu ihr auf, dass es ihr zu Herzen ging.

Beruhigend drückte sie ihrer Nichte die Hand. „Keine Sorge, Mills, ich bin sicher, dass Grandma sich um dich kümmert, sobald sie vom Bridge nach Hause kommt.“

„Dann gehe ich mal“, bemerkte Harry und zuckte die Schultern. „Viel Glück. Mach’s gut, Millicent.“ Er wandte sich der Tür zu und schien es eilig zu haben, fortzukommen. In diesem Augenblick wurde Jen bewusst, dass sie ihn nicht gehen lassen durfte. Sie mochte seinen Rat nicht wollen, aber wie sollte sie ohne ihn klarkommen? Ein Berg Arbeit wartete auf sie, den sie noch an diesem Nachmittag bewältigen musste.

Gerade wollte Harry das Büro verlassen, als Millicent laut sagte: „Mittwochs habe ich immer Ballett.“

„Ballett“, wiederhole Jen matt.

Harry blieb unvermittelt an der Tür stehen. Das kleine Mädchen blickte vertrauensvoll von Harry zu Jen und wieder zu ihm. Den beiden Erwachsenen wird schon etwas einfallen, was da zu tun ist, sagte sein Gesichtsausdruck.

Hilflos streckte Jen eine Hand nach Harry aus. „Haben Sie Millies … Terminbüchlein noch?“

„Aber ja. Klar doch. Das hätte ich fast vergessen.“ Er lächelte ironisch, zog das Notizbuch aus der Tasche und reichte es Jen. „Und ihr Koffer und die Geige stehen auf dem Korridor.“

Rasch überflog Jen die Seiten. „Mal sehen. Mittwoch. Ballett um drei. Miss Zoes Studio. Zweiter Stock, Indooroopilly Shopping Town.“

Sie unterdrückte ein Stöhnen und warf Harry einen flehenden Blick zu. „Könnten Sie vielleicht …?“

„Nichts da. Komm nicht infrage.“ Er schüttelte den Kopf und tippte mit dem Finger auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. „Ich habe noch andere Kunden, die auf mich warten.“

Das Telefon auf Jens Schreibtisch klingelte. „Bitte, bleiben Sie noch einen Moment“, beschwor sie Harry und nahm den Hörer auf.

„Die Zentrale in Sydney auf Leitung zwei für dich, Jen“, meldete Cleo sich vom Empfang. „Kannst du den Anruf übernehmen?“

Oh Mann! Ein Anruf von der Zentrale in Sydney war wie eine Nachricht von Gott. „Hör mal … bitte sie, eine Minute zu warten.“ Jen legte den Hörer nieder und sah Harry verzweifelt an. „Ich flehe Sie an, bitte bringen Sie Millie zum Ballettunterricht. Könnten Sie das nicht irgendwie in Ihrer Tour unterbringen? Ich brauche heute einfach Hilfe, bis ich einen Ausweg gefunden habe. Bitte!“

Meine Güte, wie oft hatte sie diesen Mann heute schon angefleht?

Er stand ganz still da, sah sie nur an, und Jen schoss das Blut in die Wangen. Verflixt, warum konnte er nicht so durchschnittlich aussehen wie andere Chauffeure? Ihr wurde ganz heiß, und sie widerstand dem Drang, sich Luft zuzufächeln. Verwirrt befeuchtete sie sich die Lippen, als er sie weiter so seltsam ansah.

Na gut, er mochte sie nicht. Damit konnte sie leben. Aber musste er sie so in Verlegenheit bringen?

Endlich blickte er wieder zu Millicent, und es überraschte Jen, wie warmherzig sein Gesichtsausdruck wurde. Widerstrebend nickte er.

„Also gut. Ich fahre sie hin. Aber dann sind endgültig Sie an der Reihe.“

Nun strahlte Jen. „Sie sind meine Rettung.“ Unruhig blickte sie wieder auf den Telefonhörer. Es war beruflicher Selbstmord, die Leute von der Zentrale in Sydney warten zu lassen.

Doch ehe sie den Hörer aufnehmen konnte, rief Millicent: „Und wer hilft mir, das Trikot und die Strumpfhose anzuziehen?“

Auch das noch! Gequält stöhnte Jen auf. Sie schloss die Augen, ließ sich gegen den Schreibtisch sinken und verwünschte im Stillen das Kindermädchen, das ausgerechnet heute abgetaucht war. Als Harry leise lachte, öffnete sie verwundert die Augen.

„Dabei kann ich dir nun wirklich nicht helfen, Millicent.“ Er lächelte vergnügt, als würde er die Situation genießen.

Seine Reaktion ärgerte Jen, doch dann siegte ihr Sinn für Humor, und ihr wurde bewusst, wie komisch die Situation war. Verrückt, aber an diesem Tag ging einfach alles schief. Sie konnte nicht anders, sie erwiderte Harrys Lächeln.

Entschlossen nahm sie den Hörer auf und sagte zu Cleo: „Tut mir leid, aber ich rufe später zurück. Hier bei mir ist im Moment der Notstand ausgebrochen.“

Jen Summers’ Lächeln ging Harry Ryder nicht aus dem Kopf, während er das kleine Mädchen zum Ballettstudio fuhr. Vielleicht gehörte sie doch nicht zu den selbstsüchtigen Karrierefrauen, für die er sie anfangs gehalten hatte. Am Vormittag hatte er sie eher unter die modernen, machthungrigen Feministinnen im Nadelstreifenkostüm eingereiht, die keine Zeit für Kinder haben, sie höchstens als Bedrohung ihres Lebensstandards betrachteten, der man sich gar nicht erst aussetzen durfte.

In ihrem Büro hatte sie sich wirklich liebevoll um Millicent gekümmert. Und wie sie das Mädchen für die Ballettstunde zurechtgemacht hatte, war bewundernswert.

Und dann ihr Lächeln. Dieses Lächeln … und wie sie gelacht hatte. Da hatten ihre braunen Augen richtig geleuchtet, und ihre Züge waren völlig verändert gewesen. Schon allein das hatte ihn fasziniert. Doch dann hatte er ihr in die braunen Augen gesehen und festgestellt, dass sie nicht ganz gleich waren. Im linken Auge hatte sie einen kleinen dreieckigen Goldfleck.

Und irgendwie machte gerade diese süße kleine Unvollkommenheit ihr Lächeln unvergesslich. Es verwirrte ihn, dass er ständig an Jen Summers denken musste. Komisch, denn der Friseur hatte laut genug verkündet, wie durchschnittlich sie aussehe … und dieser Typ Frau reizte ihn sonst gar nicht.

Jens Nachmittag entwickelte sich vom Wirbelwind zum Tornado.

Dabei war sie hektisches Arbeiten gewöhnt. Während der Monate, die sie nun schon bei der Agentur war, hatte sie gemerkt, dass ihre Chefin Tamara sich gern lange Mittagspausen genehmigte und auf allen nur erdenklichen Public-Relations-Cocktailpartys herumschwirrte, während sie, Jen, im Büro schuftete.

Doch zu Tamaras Stärken gehörte es, dass sie die Leute von der Zentrale in Sydney geschickt zu nehmen wusste. Sie ließ sich von denen nicht unter Druck setzen.

Leider besaß Jen kein so dickes Fell. Nachdem die Leute von der Zentrale sie mit ihren Anweisungen den ganzen Nachmittag unter Beschuss gehalten hatte, war sie völlig erschöpft. Da fehlte es gerade noch, dass Harry Ryder Millicent nicht rechtzeitig zurückbrachte.

Als Jen auf die Uhr blickte, war es bereits nach fünf. Schon vor einer Stunde musste die Ballettstunde zu Ende gewesen sein. Obwohl Berufsverkehr herrschte, hätten die beiden längst wieder da sein müssen. Nervös ging Jen zum Fenster ihres Büros im dritten Stock und spähte auf die belebte Straße hinunter.

Der Verkehr bewegte sich nur zähflüssig voran, da steckte Harry Ryder mit seiner Limousine wohl irgendwo im Stau. Kein Grund zur Panik also.

Schließlich war der Mann Berufsfahrer und kam von einer angesehenen Autoverleihfirma. Bei ihm befand Millicent sich in bester Obhut.

Trotzdem war Jen irgendwie besorgt. Nachdenklich kehrte sie zum Schreibtisch zurück. Irgendetwas an diesem Chauffeur war ungewöhnlich. Seine stolze Haltung, das selbstbewusste Auftreten, der bestimmte, befehlsgewohnte Ton …

Er hatte etwas Geheimnisvolles an sich, das sie beunruhigte. Besonders jetzt. Sie würde erst aufatmen, wenn Millicent wieder bei ihr war.

Wo blieben die beiden nur?

Wieder blickte Jen aus dem Fenster und begann, im Büro auf und ab zu gehen. Es wurde langsam dunkel, und überall in der Stadt flammten die Lichter auf.

Fragen stürmten auf sie ein. Hatten sie einen Unfall gehabt? Hatte Harry begriffen, dass er Millicent nicht einfach auf dem großen Parkplatz des Einkaufszentrums absetzen und sie allein zum Ballettstudio gehen lassen durfte? Hatte das Mädchen sich vielleicht verlaufen?

War Harry zu einem anderen Auftrag weitergefahren und hatte das Kind vergessen? Konnte sie ihm vertrauen?

In aufsteigender Panik blieb Jen stehen. Um Himmels willen, sie hatte ihre Nichte einem Mann anvertraut, vom dem sie überhaupt nichts wusste. Und bei beiden Malen, die sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie das seltsame Gefühl gehabt, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Sie blickte auf das Telefon auf ihrem Schreibtisch. Sollte sie seine Firma anrufen?

Schreckliche Bilder drängten sich Jen auf … ein Autounfall … Irgendwo hatte sie gelesen, dass die meisten Verkehrsunfälle bei einbrechender Dunkelheit passierten. Im Geist sah sie Millicent in einem Krankenwagen liegen, das Trikot blutdurchtränkt. Oder irrte die arme Kleine verstört und weinend durch die Einkaufsstadt Indooroopilly? Saß sie einsam und verlassen auf dem Rücksitz von Harrys Limousine?

Lisa hatte ihr ihre kleine Tochter anvertraut, und Jen wusste, dass ihre Schwester es ihr nie verzeihen würde, wenn dem Kind etwas zustieß.

Noch nie hatte Jen solche Angst ausgestanden. Nun fürchtete sie sich sogar davor, Harrys Firma anzurufen. Welcher Harry? würden die Leute möglicherweise fragen.

Jen wurde bewusst, dass sie vor Aufregung bebte. Was war nur plötzlich mit ihr los? Sie ging die Dinge doch sonst so kühl und gefasst an.

Autor

Barbara Hannay
Die Kreativität war immer schon ein Teil von Barbara Hannays Leben: Als Kind erzählte sie ihren jüngeren Schwestern Geschichten und dachte sich Filmhandlungen aus, als Teenager verfasste sie Gedichte und Kurzgeschichten. Auch für ihre vier Kinder schrieb sie und ermutigte sie stets dazu, ihren kreativen Neigungen nachzugehen. Doch erst als...
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