Wenn ein Märchenprinz heiraten will ...

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Für sein Land nimmt Prinz Shehab vieles in Kauf, sogar die Ehe mit der Königstochter Farah Beaumont … auch wenn er sie noch nie gesehen hat. Auf einem Kostümball will er die angebliche Femme fatale kennenlernen. Doch ein Glas fällt klirrend zu Boden, Shehab dreht sich um - und gerät völlig aus dem Konzept! Heißes Verlangen rauscht durch seinen Körper. Diese Traumfrau soll mit Männern nur spielen? Sie wirkt so unschuldig und doch so verführerisch … Als er sie auf seine Insel entführt, gibt Shehab seine wahre Identität vorsichtshalber nicht preis. Und er bereut es bitter!


  • Erscheinungstag 04.07.2009
  • Bandnummer 1570
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955336
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Es geschah tatsächlich.

Und Shehab ben Hareth ben Essam Ad-Din Al Masud konnte es immer noch kaum glauben.

Ya Ullah. Stand er wirklich im Zeremoniensaal der Zitadelle Bayt el Hekmah, dort, wo seit sechshundert Jahren jedes wichtige Ereignis stattfand, das das Königshaus betraf? Und trug er tatsächlich das schwarze Gewand des designierten Thronfolgers – ein Ereignis, mit dem er nie gerechnet hatte?

So unglaublich es ihm auch immer noch erschien – es war so. Und alle Mitglieder des Ältestenrats, alle Mitglieder der Königsfamilie, alle Repräsentanten der Adelshäuser waren anwesend. Und alle Blicke ruhten auf ihm.

Er versuchte, sich auf seinen ältesten Bruder Faruq zu konzentrieren. Der trug das traditionelle weiße Gewand, das der Machtübergabe vorbehalten war. In seinem Blick lagen Bedauern und die Bitte um Verständnis.

Shehab schloss kurz die Augen. Ja, sie waren Brüder, und dies alles konnte nur geschehen, weil sie beide sich seit seiner Geburt wie durch ein unsichtbares Band verbunden fühlten.

Er verstand, um was sein Bruder ihn wortlos bat, und er akzeptierte sein Schicksal. Faruq handelte so, weil er es musste, weil er genau wusste, dass sein Bruder diese Bürde tragen konnte.

Dann sprach Faruq. Seine entschlossenen Worte hallten in dem riesigen Saal wider: „O’waleek badallan menni.“

Ich übertrage dir die Thronnachfolge an meiner statt.

Ihr Onkel, der König, saß auf dem Thron und wirkte elend. Er war seit Längerem schwer krank, und in den Aufregungen der letzten Zeit hatte sich sein Zustand noch verschlechtert. Seine Stimme klang schwach und besorgt, als er den Beschluss offiziell machte. „Wa ana ossaddek ala tanseebuk walley aahdi.“

Und ich bestätige, dass du mein Erbe sein sollst.

Shehab kniete vor seinem älteren Bruder nieder und streckte beide Hände aus, die Handflächen oben. Es war die Geste, um das juwelenbesetzte Schwert der Thronnachfolge zu empfangen. Als Shehab die schwere Waffe auf seinen Händen spürte, war es, als ob das Gewicht der ganzen Welt auf ihm lastete.

Und in gewisser Weise war es auch so. Das Schicksal des Landes Judar ruhte nun schwer auf seinen Schultern. Der Stahl war kalt und schien sich dennoch in seine Handflächen einzubrennen.

Ya Ullah. Es geschah tatsächlich.

Noch vor ein paar Tagen hatte er sich ausschließlich um sein milliardenschweres Informationstechnik-Unternehmen gekümmert. Das war sein Beitrag dazu, seinem Land auch im Bereich moderner Technologien einen Platz an der Welt-spitze zu sichern. An den Thron hatte er keinen Gedanken verschwendet. Es gab ja einen anderen – seinen Bruder –, der ihn dereinst übernehmen sollte.

Doch dann hatte sich von einem Tag auf den anderen alles geändert.

Davor hatte Shehab die Freiheit besessen, sein Leben zu führen, wie er wollte. Jetzt musste er die Thronfolge antreten und damit auch eine ungeheure Verantwortung übernehmen. All das war durch wenige Worte besiegelt worden.

Jetzt war er der Kronprinz von Judar, der zukünftige König des Landes.

Falls es in Zukunft noch ein Judar geben würde, in dem er herrschen konnte. Falls es noch einen Thron gab, auf dem er Platz nehmen konnte.

Nichts war mehr sicher.

Alles hing davon ab, dass er die Abmachung erfüllte, die mit den Al Shalaans getroffen worden war, dem zweitmächtigsten Stamm Judars, der einflussreichsten Minderheit.

Und dafür musste Shehab eine Frau heiraten, die er noch nie gesehen hatte.

1. KAPITEL

Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.

Diese Redensart seines Heimatlandes ging Shehab nicht aus dem Kopf. Er sah sich im Festsaal um, wo sich die Gäste während des Kostümballs amüsierten.

Immer noch keine Spur von der Frau, auf die er wartete.

Das Orchester spielte Mozart, aber ihm ging immer nur dieser Spruch durch den Kopf: Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.

Irgendjemand hatte irgendwann noch hinzugefügt: „Unersättlich wie der Tod.“

All das sollte auf die Frau zutreffen, die er immer noch nicht persönlich kannte.

Beschreibungen, die sich fast wie Adelstitel anhörten. Wie die Adelstitel, die er von Geburt an trug. Scheich Al Masud. Königliche Hoheit. Und jetzt sogar: Ihre Hoheit, der Kronprinz.

Ihre Attribute, so hieß es, hatte die Frau sich allerdings redlich verdient.

Und von Shehab wurde erwartet, dass er sie heiratete.

Und man erwartete es nicht nur von ihm, er würde es auch tun. Er musste es tun.

Alles in ihm zog sich zusammen. Er biss die Zähne zusammen.

Ya Ullah. Mittlerweile hätte er sich mit seiner Lage abfinden müssen. Immerhin war es inzwischen über einen Monat her, dass sein Schicksal besiegelt worden war, um Judars Thron zu sichern.

Manchmal hasste er Carmen geradezu, die Frau, die sein Bruder über alles liebte und der zuliebe Faruq seinen Anspruch auf den Thron aufgegeben hatte. Nun lag die Last auf seinen, Shehabs, Schultern.

Eigentlich hatte er das immer als das Schlimmste empfunden: eine arrangierte Ehe, eine Zwangsheirat aus Gründen der Staatsräson. Trotzdem hätte er sich noch damit abfinden können, wenn die ihm zugedachte Braut wenigstens akzeptabel erschienen wäre.

Aber Farah Beaumont, die uneheliche Tochter von König Atef Al Shalaan, war alles andere als das. Nicht weil sie unehelich geboren war. Und auch nicht, weil sie sich geweigert hatte, ihr Erbe anzuerkennen und den Frieden zu bewahren. Für Ersteres konnte sie nichts, und über das Zweite hätte sie ihre Meinung ja noch ändern können. Vielleicht war ihr Nein nur eine Kurzschlussreaktion gewesen, weil sie so überraschend ihre wahre Herkunft erfahren hatte und nicht sofort mit den damit verbundenen Verpflichtungen zurechtkam.

Nein, das waren nicht die Gründe, die Farah Beaumont inakzeptabel machten. Übrigens ein schlauer Schachzug ihrer Mutter, sie Farah zu nennen – ein arabischer Name, der aber auch im Westen in Mode war. Was Farah in Shehabs Augen so widerwärtig, so abstoßend machte, war etwas anderes: ihr Lebenswandel.

Sie war schon reich geboren worden; der französische Multimillionär, den ihre Mutter geheiratet hatte, hatte sie adoptiert. Doch nach seinem Tod war sein Vermögen verloren gegangen. Und seitdem hatte Farah alles getan, um wieder nach oben zu kommen. Sie erreichte ihr Ziel, indem sie die rechte Hand und Geliebte des mächtigen Geschäftsmannes Bill Hanson wurde – eines verheirateten Mannes, der fast alt genug war, um ihr Großvater zu sein.

Nach ihren Handlungen zu urteilen – und nach allem, was die Leute über sie sagten –, war Farah Beaumont eine kalte, männerverschlingende, verdorbene Person.

Aber das änderte nichts daran, dass man sie brauchte, um dem Land Judar und der gesamten Region den Frieden zu sichern. Doch sie hatte es abgelehnt, ihre Pflicht zu tun. Einfach so. Knallhart.

Nun musste er seine Pflicht tun. Und die bestand darin, sie umzustimmen.

Er erwiderte, so freundlich es eben ging, die Blicke eines Paares, das als Marie Antoinette und Louis XVI verkleidet war.

Er selbst war wie ein Tuareg-Krieger angezogen. Shehab hatte gehofft, in dieser Verkleidung möglichst unauffällig zu wirken, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Wenigstens konnte er unter dem Gesichtsschleier nicht erkannt werden, was ein Risiko dargestellt hätte. Deshalb war die Feier auch als Maskenball geplant worden.

Er atmete tief durch, um die innere Anspannung abzubauen. Sein Atem schlug ihm durch den Schleier entgegen, der sein Gesicht von der Nase abwärts bedeckte. Dann wandte er sich um, bevor ihm das Paar ein Gespräch aufzwingen konnte. Dabei stieß Shehab mit einer großen Frau zusammen, die als Irma la Douce verkleidet war, das Freudenmädchen aus dem berühmten Musical und dem gleichnamigen Hollywoodfilm. Die Unbekannte klimperte verführerisch mit den Wimpern, eine Anmache, die ihm nicht fremd war. Bevor sie ihre Charme-Attacke fortsetzen konnte, murmelte er ein paar Worte, mit denen er ihr klarmachte, dass er lieber allein sein wollte.

Als die Prostituierte mit dem Herzen aus Gold sich sichtlich enttäuscht davonmachte, seufzte er. Die Leute sollten ihn einfach nur in Ruhe lassen. Obwohl er die gesamte Feier finanziert hatte, hatte er niemanden aus seinem näheren Bekanntenkreis eingeladen, niemanden, den er wirklich mochte und respektierte. Stattdessen waren die Einladungen an Leute gegangen, die er entweder kaum kannte oder die ihm nichts bedeuteten. Es sollte eine Kulisse von Personen sein, die strikt im Hintergrund blieb. Denn er war nur aus einem einzigen Grund hier: um die Aufmerksamkeit von Farah Beaumont zu erlangen.

Wenn sie denn endlich erscheinen würde.

Plötzlich hörte er hinter sich aufgeregtes Gemurmel.

So beiläufig wie möglich drehte Shehab sich um. Das Getuschel galt einer Gestalt, die soeben den Ballsaal betreten hatte.

Dann sah er sie und verlor fast die Fassung. Er nahm nichts mehr wahr außer dieser Frau im grünen Kleid, die einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht entstiegen schien.

Das war … sie?

Er blinzelte, als ob er aus einer Trance erwachte.

Was für eine Frage! Natürlich war sie es. Er hatte sich ja extra jede Menge Fotos von ihr an die Wand geheftet, um sich auf seine Aktion vorzubereiten. Auf mehreren dieser Bilder umarmte sie ihren steinalten „Gönner“, und das in einer Weise, die keinen Zweifel über die Art dieser Beziehung aufkommen ließ. Oh ja, er wusste genau, wie sie aussah.

Das hatte er zumindest gedacht. Doch jetzt, da er sie in Fleisch und Blut sah, wirkte sie doch ganz anders. Sie war … viel mehr, als die Fotos wiedergeben konnten.

Nein, die Fotos hatten die hundert bronzenen Farbschattierungen ihres seidigen Haars nicht zeigen können, weder ihre cremefarbene Haut, noch die Tiefe und Ausdrucksstärke ihrer Augen. Ihre Augen waren grün, das war auf den Bildern zu sehen gewesen, aber selbst auf diese Entfernung erkannte Shehab jetzt, wie unglaublich grün die Augen tatsächlich waren, so grün wie duftige Sommerwiesen. Ihr Gesicht war unvergleichlich, und eine magische, ihr wohl angeborene Aura des Geheimnisvollen umgab sie.

Auf den Fotos hatte sie gut ausgesehen. Doch in natura war sie … einfach atemberaubend.

Er blinzelte wieder. Lass dich bloß nicht beeindrucken, dache er. Sie mag aussehen wie eine Göttin, aber in Wahrheit ist sie eine selbstsüchtige, geldgierige, skrupellose Person. Sie stellt ihren Luxuskörper dem höchsten Bieter zur Verfügung. Ja, so eine ist sie!

Sie stolzierte durch den Ballsaal. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, aber das schien ihr völlig gleichgültig zu sein. Sie stellte ihre Eiseskälte zur Schau, von der er schon so viel gehört hatte.

Oder war es doch etwas anderes?

Bei näherem Hinsehen war es doch keine Arroganz, keine Geringschätzung. Es war etwas, das er nur zu gut kannte – von sich selbst. Der Wunsch nach Einsamkeit, das Bestreben, sich von Menschenansammlungen fernzuhalten. Shehab wusste ja, wie es war, stets im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn man es gar nicht wollte – und zu wissen, dass man dieser Falle niemals entrinnen könnte.

Jetzt fange ich schon wieder damit an, dachte er. Ich suche nach menschlichen Zügen bei einer Frau, die tatenlos zusieht, wie ein wohlhabendes Königreich im Chaos versinkt, obwohl sie es verhindern könnte. Und nicht nur das, ich entdecke sogar eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen uns!

Genug davon, sagte er sich. Es ist an der Zeit loszulegen. Das wird alles sehr unschön, und wenn ich keinen Ausweg finde, wird es auf Dauer auch so bleiben. Warum das Unvermeidliche noch länger hinauszögen?

Er gab den Kellnern ein Zeichen.

Mit langen Schritten ging er los, er wollte Farah auf ihrem Weg zur Terrasse abfangen.

Doch kurz bevor er sie erreicht hatte, blieb er stehen. Er sah sie an, archaische Urbedürfnisse erwachten in ihm, und er vergaß alles, was er hatte sagen wollen.

E’lal jaheem. Verdammt, warum wich er plötzlich von seinem ursprünglichen Plan ab?

Ihre Blicke trafen sich. Und dann sah er es in der unergründlichen Tiefe ihrer Augen. Sie hatte ihn wahrgenommen und war von ihm offenbar ebenso beeindruckt wie er von ihr.

Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Die Eiskönigin war für seine Präsenz also durchaus empfänglich!

Bei ihrem Ruf hatte er befürchtet, sie wäre vielleicht die Ausnahme, würde ihn im Gegensatz zu allen anderen Frauen nicht sofort anziehend finden, sodass er sich richtig Mühe geben müsste. Aber ihr Ruf als Eiskönigin rührte vielleicht daher, dass sie vorher noch keinem Mann begegnet war, der das Zeug dazu hatte, sie auf den ersten Blick zu beeindrucken.

Nun war sie ihm begegnet.

Vielleicht hatte er damit schon gewonnen. Vielleicht würde sie bereitwillig einlenken, wenn sie erfuhr, dass er der ihr zugedachte Ehemann war. Sie würde ja nur einen milliardenschweren Geschäftsmann gegen den anderen eintauschen. Und als Dreingabe würde sie seine unbestreitbaren Fähigkeiten im Bett bekommen, etwas, womit ihr derzeitiger alternder Liebhaber sicher nicht aufwarten konnte …

Stopp! Was waren denn das für Gedanken? Egal, wie anziehend sie als Frau sein mochte, sie war unmoralisch und herzlos. Er würde sie nur so lange bei sich im Bett behalten, wie es nötig war, um den unbedingt erforderlichen Erben zu zeugen.

Nach allem, was er von ihr wusste, hatte ihre Weigerung, dem Land durch die Heirat zu helfen, vor allem einen Grund: In ihrer jetzigen Partnerschaft war sie eindeutig der dominierende Teil und genoss schier unbegrenzte Freiheiten. Sie beherrschte einen älteren Mann, musste ihm nichts zurückgeben, nichts aufgeben. Wenn sie jedoch ein zukünftiges Staatsoberhaupt heiratete, würde sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen und sich vieles, was sie jetzt mit Sicherheit heimlich trieb, nicht mehr erlauben können. Das würde ihr nicht gefallen. Aus ihrer Sicht würde sie sich mit einem jüngeren Mann, der ihr Paroli bot, nur verschlechtern.

Nein, es konnte nur nach hinten losgehen, wenn er ihr jetzt seine Identität offenbarte. Stattdessen würde er seinen ursprünglichen Plan durchziehen.

Während all dieser Überlegungen und Gedanken hatte er ihre Augen immer im Blick behalten. Um ihre Reaktion auf ihn zu erforschen, wie er sich einredete.

Und er war sich jetzt ganz sicher: Noch nie hatte er in den Augen einer Frau ein derart offensichtliches Begehren gelesen. In ihm loderte ein ebenso starkes Verlangen, aber er bemühte sich, es zu verbergen.

Farah blieb wie benommen stehen, was ihn zutiefst befriedigte.

Und dann stießen seine beiden Komplizen mit ihnen zusammen.

Farah Beaumont fühlte sich wie auf dem Präsentierteller.

Die Blicke aller Anwesenden im prächtigen Ballsaal waren auf sie gerichtet, das plötzliche Gemurmel und Getuschel, das sogar fast die Musik übertönte, hörte sich an wie das Zischen tausender Kobras.

Was nicht mal übertrieben war, denn sie fühlte sich, als wäre sie in eine Schlangengrube getreten. Aber sie hatte die Neugier und Feindseligkeit, die ihr entgegenschlugen, ja selbst herausgefordert – indem sie sich bereit erklärt hatte, sich als Bills Geliebte auszugeben. Es gab zwar handfeste Gründe für dieses Spielchen, aber manchmal fragte sie sich, ob das Ganze es wert war – all diese Verachtung, die sie erfahren musste.

Andererseits hatte es eben auch sein Gutes. Bill zahlte es seiner Frau heim, dass sie ihn betrog. Und Farah hatte Ruhe und Frieden gefunden, seit er ihr Schutzschild war. Lieber ertrug sie die üble Nachrede, als dass sie ständig von Möchtegernverführern und Glücksrittern bedrängt wurde. Hoffentlich versuchten solche Typen heute nicht, sich an sie heranzumachen – denn sie war allein hier.

Bill hatte darauf gedrängt, dass sie zu diesem Kostümball ging, der gleichzeitig eine Wohltätigkeitsveranstaltung war. Er hatte zwar versprochen, noch nachzukommen, aber daran glaubte Farah nicht so recht. Er musste sich dringend um eine Krise kümmern, die urplötzlich aufgetreten war und sein aktuelles Multimilliarden-Dollar-Geschäft gefährdete. Und das würde sich wohl kaum in so kurzer Zeit klären lassen.

Aber Bill hatte es für unabdingbar gehalten, dass zumindest sie als seine Repräsentantin pünktlich erschien. Denn der Ausrichter der Veranstaltung war ein milliardenschwerer Geschäftsmann aus dem Nahen Osten, der erst vor Kurzem in der internationalen Geschäftswelt aufgetaucht war und sich sofort als wichtiger Mitspieler etabliert hatte. Und daher durfte man ihn nicht brüskieren, sondern musste ihm die Ehre erweisen, zu seiner Veranstaltung zu erscheinen. Oder zumindest einen Stellvertreter schicken. So waren nun mal die Gepflogenheiten in der Geschäftswelt. Davon abgesehen hätte Bill den geheimnisvollen Unbekannten zu gern einmal kennengelernt. Und bei dieser Veranstaltung, da war er sich sicher, würde der mysteriöse Geschäftsmann auftauchen.

Farah dagegen glaubte nicht so recht daran. Dieser Mann hatte die Medien und die gesamte Welt der Hochfinanz wie ein gigantischer Marionettenspieler manipuliert. Und immer noch arbeitete er an Vorhaben, die die Wirtschaft in der gesamten Region stark beeinflussen würden. Ihre Vermutung war, dass er sich erst in der Öffentlichkeit zeigen würde, wenn er all seine Pläne verwirklicht, seine Ziele erreicht hätte. Und vielleicht nicht einmal dann.

Und sie hielt das auch für klug. Wer so viel Macht hatte, tat gut daran, nicht aus dem Schatten der Anonymität herauszutreten. Man musste schon irgendwie krank sein, wenn man freiwillig im Mittelpunkt des Interesses stehen wollte.

Komischer Gedanke – hier, inmitten von rund zweitausend solcher „Kranken“.

Trotzdem hätte sie das alles noch halbwegs gelassen durchgestanden: erscheinen, den Typen treffen und ihm Bills Entschuldigung ausrichten. Aber leider hatte Bill zusätzlich darauf bestanden, dass sie dieses blöde Kostüm trug.

Als sie sich darin zum ersten Mal im Spiegel betrachtet hatte, hatte sie laut loslachen müssen. Normalerweise lief sie am liebsten in Jeans und T-Shirt herum, und dieses prachtvolle Scheherazade-Kostüm entsprach so gar nicht ihrem Wesen. Aber Bill war der Meinung gewesen, man müsse Eindruck machen … und sie müsse ihre Reize hervorheben.

So war sie in diese Schlangengrube eingetreten, hatte sich gewünscht, sie könnte im Erdboden versinken – und dann hatte dieser Blick sie getroffen.

Ein Blick wie ein Laserstahl – nein, irgendwie eher wie ein Röntgenstrahl, der ihr Innerstes erkunden wollte. Schau nicht hin, sagte sie sich, erwidere den Blick nicht auch noch.

Aber sie konnte nicht anders. Sie konnte den Blick in diese Augen nicht einmal lange genug abwenden, um sich den Betrachter in seiner vollen Größe anzusehen. Die Augen spiegelten Härte wider, Macht … und Männlichkeit.

Ihr wurde ganz heiß, und ihr Herz begann heftig zu klopfen.

Um Himmels willen, das war doch so gar nicht ihre Art – derart heftig auf einen Mann zu reagieren … und dann obendrein noch schlagartig unanständige Gedanken zu bekommen.

Aber so war es, und sie konnte nichts dagegen tun. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits, wie sie sich verwöhnen und liebkosen ließ …

Sie errötete heftig.

Und dann wurde sie plötzlich angerempelt – und kalte, klebrige Flüssigkeit ergoss sich über sie.

Erschrocken wandte sie den Blick von dem umwerfend attraktiven Mann ab und sah sich an, was passiert war.

Sie war plötzlich stehen geblieben, der Mann ebenso – und daraufhin waren zwei Kellner mit Tabletts voller Champagnergläser in sie beide hineingelaufen. Nun standen sie beide wie begossene Pudel da.

Das Erste, was ihr auffiel, war, dass die Gespräche in ihrer unmittelbaren Umgebung sofort verstummt waren und die Leute sie anstarrten. Sie würde nie begreifen, warum das Missgeschick einer Person auf andere Menschen eine so große Faszination ausübte.

Die Kellner entschuldigten sich tausendfach, und einige der Umstehenden wollten ihr helfen, ihr Kleid abzutupfen und trocken zu reiben. Sie konnte so viele Menschen um sich herum nur schwer ertragen und murmelte: „Es geht schon … alles in Ordnung … danke.“

Doch die Leute, unter ihnen auch die Kellner, ließen nicht von ihr ab. Sie fühlte sich derart bedrängt, dass Panik in ihr aufstieg und sie sich in ihrer Not der einzigen Person zuwandte, die ihr nicht zu nahe kam. Es war der Mann, dessen Blick sie eben noch so fasziniert hatte.

Er verstand ihre Notlage sofort und stellte sich vor sie, um die unwillkommenen Helfer abzuwehren. Mit einer herrischen Geste bedeutete er ihnen, sich zu entfernen. Dann wandte er sich zu ihr um.

Diesmal sah sie ihm absichtlich nicht in die Augen, und dennoch wurde ihr trotz der Abkühlung durch Schock und Champagner schon wieder ganz heiß.

Aber sie wollte auf keinen Fall erröten. Nein, das durfte nicht passieren – nicht schon wieder.

Und dennoch geschah es.

Na toll. In Gegenwart dieses Mannes kehrte die Unsicherheit zurück, die sie längst abgelegt zu haben glaubte, damals, als ihr Vater starb – der eigentlich gar nicht ihr Vater war. Dennoch würde François Beaumont für sie immer ihr richtiger Vater sein, in allen Belangen, die zählten. Sein Tod vor über zehn Jahren hatte sie gezwungen, quasi über Nacht erwachsen zu werden.

Aber sie wusste, sie machte sich selbst etwas vor. Sie war nur in gewisser Hinsicht erwachsen geworden. So war sie gut darin, Mauern um sich herum zu errichten und vieles an sich abprallen zu lassen.

Doch in diesem Moment gelang ihr das nicht. Sie war durchnässt, hatte einen hochroten Kopf und fühlte sich wie eine Witzfigur.

Der attraktive Mann wiederum war ihr Retter in der Not. Er reichte ihr Servietten, damit sie sich abtrocknen konnte, und schirmte sie vor den Augen der neugierigen Umstehenden ab. Dann widmete er sich seiner nassen Kleidung.

Als sie halbwegs trocken war, nahm er ihr die Servietten wieder ab und legte sie auf das Tablett eines der Kellner, der sich noch immer wortreich entschuldigte. Dann machte er eine Handbewegung, halb höflich, halb herrisch, und bedeutete ihr, sie solle in Richtung Terrasse gehen.

Nur zu gern leistete sie ihm Folge.

In dem Moment, als sie beide in die Nacht hinaustraten, begann der Geiger eine Melodie zu spielen, die sie nicht einordnen konnte. Es war wie eine Szene aus einem Film. Farah war auf jeden Fall froh, dass sie ins Freie gelangt war, ohne mit ihren hochhackigen Schuhen auf ihren langen Rock zu treten und hinzufallen.

Er war zwei Schritte hinter ihr, aber selbst so spürte sie seine beeindruckende Ausstrahlung und fühlte sich ganz klein. Sie schaute sich um, nahm die mondbeschienene Landschaft aber gar nicht richtig wahr. Alles nur, um ihn nicht anzusehen.

Ein wenig fühlte sie sich wie ein zehnjähriges Kind, das seinen Lehrer beeindrucken wollte und sich dabei lächerlich gemacht hatte. „Das habe ich jetzt wirklich gebraucht“, platzte sie heraus.

„Was denn?“, fragte er unter seinem imposanten Gesichtsschleier, und es schien ihr, als lächelte er dabei. „Die frische Nachtluft? Oder die Tatsache, dass Sie aufdringlichen Verehrern und ungeschickten Kellnern entkommen sind?“

Sein Akzent war eindeutig britisch geprägt, nicht amerikanisch. Man konnte eine hohe Bildung, Vornehmheit und Selbstbeherrschung in seiner Stimme heraushören. Und seinem Tonfall war zu entnehmen, dass Englisch nicht seine Muttersprache war, so perfekt er sie auch beherrschte. Allerdings konnte sie auch nicht heraushören, woher er tatsächlich kam. Auf jeden Fall hörte er sich an, wie er aussah: exotisch, respekteinflößend, beeindruckend.

Dabei wusste sie ja eigentlich gar nicht, wie er aussah. Sie hatte nur einen kurzen Blick auf seine Kostümierung geworfen, in der er wirkte, als könnte er dem schlimmsten Sandsturm trotzen. Jetzt wagte sie nicht mehr, ihn genauer zu betrachten. Das würde sie sich wahrscheinlich erst wieder trauen, wenn er zu seiner weiblichen Begleitung zurückgekehrt war.

Denn er war bestimmt in Begleitung hier. Männer wie er – wenn es denn auf der Welt überhaupt noch andere Männer wie ihn gab – waren garantiert in festen Händen. Und eine Frau, die ihn erst einmal hatte, würde ihn bestimmt nicht kampflos aufgeben.

Sie seufzte. „Eigentlich meinte ich die Champagner-dusche.“

Hm, das war jetzt auch nicht besonders geistreich gewesen. Vielleicht sollte sie lieber gar nichts mehr sagen, bis er wieder seiner Wege ging. Sie lebte ja nicht ohne Grund wie eine Ausgestoßene. Die Kunst des gepflegten, nichtssagenden Small Talks war ihr völlig fremd. Sie war einfach nicht gut im Umgang mit anderen Leuten. Jedes Mal, wenn sie ungeschminkt ihre Meinung sagte, verärgerte sie die Leute – oder machte sie sich sogar zu Feinden.

In diesem Fall traf wohl beides nicht zu. Der Fremde musste sie inzwischen einfach für eine komplette Idiotin halten.

Sie wrang die Enden ihres Rocks aus, und noch immer kam Flüssigkeit heraus. Dann zog sie ihre Schuhe aus und leerte sie, um sie mit der Oberseite nach unten zum Trocknen hinzustellen.

Sollte er sie doch ruhig für eine Idiotin halten. Was zählte seine Meinung schon?

Dann hörte sie ihn plötzlich lachen, ein herzhaftes, tiefes Lachen, das zufällig auch noch von einem Cello-Solo aus dem Tanzorchester untermalt wurde. Und er lachte sie nicht aus, sondern lachte mit ihr, das spürte sie genau. Ihr wurde richtig warm ums Herz.

Lässig lehnte er sich an die Balustrade, sah sie an und sagte: „Champagnerdusche, das ist gut. Sie haben die Abkühlung also genossen? Auch wenn Sie jetzt für den Rest des Kostümballs in klebrigen und nassen Klamotten herumlaufen müssen? Und barfuß obendrein?“

„Ach, ich habe so geschwitzt, dass mein Kostüm über kurz oder lang sowieso durchnässt gewesen wäre“, sagte sie. „Der Champagner hat die Sache nur beschleunigt, also war es schon okay.“

„Darf ich fragen, warum eine so entzückend und kühl wirkende Elfe in dem vollklimatisierten Ballsaal so geschwitzt hat?“

Elfe? Das war ja wohl nicht gerade passend! Bei einem Meter siebzig Körpergröße und einem Gewicht von dreiundsechzig Kilo war sie zwar nicht dick, aber auch nicht unbedingt ein Federgewicht. Und warum nannte er sie „entzückend“? Wollte er sie in eine Falle locken? Wollte er, dass sie ihm offenbarte, dass seine Erscheinung sie total durcheinandergebracht hatte? Auf keinen Fall würde sie das tun!

„Vielleicht haben Sie ja eine eingebaute Temperaturregelung“, sagte sie dann, „ich jedenfalls nicht. Als ich den Ballsaal betrat, schlugen mir die Körperwärme und die Aufgeblasenheit von Hunderten von Leuten entgegen. Und dann haben Sie mich noch angesehen – und daraufhin wurde mir noch heißer.“

Oh nein, dachte sie. Halt bloß die Klappe, Farah.

Autor

Olivia Gates
Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind.
Sie fragen sich jetzt bestimmt –...
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Olivia Gates
Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind.
Sie fragen sich jetzt bestimmt –...
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