Wilde Affäre oder wahre Liebe? (3-teilige Serie)

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EIN RIVALE ZUM KÜSSEN
Unverschämt! Cooper Remington behauptet, ihm gehöre Allies Boot "Dragonfly"! Allie ist total wütend auf ihn - bis sie mit ihm auf den Ozean hinausfährt. Sie sieht die Sonne in Coopers Augen, den Wind in seinen Haaren und will nur noch eins: ihren Rivalen küssen …

EINE HEISSE NACHT MIT FOLGEN
Reece braucht dringend mehr Spaß in seinem Leben – und Sara weiß auch schon, wie: Sie entführt den attraktiven Wirtschaftsprüfer in exotische Restaurants, nimmt ihn mit zu aufregenden Strandpartys und verführt ihn spontan zu einer heißen Liebesnacht. Nicht ohne Folgen …

NUR EINE UNBEDEUTENDE AFFÄRE
Finger weg von Angestellten und Single-Müttern - war immer Max' eiserner Grundsatz. Warum hat er sich jetzt auf diese heiße Affäre eingelassen – ausgerechnet mit der hübschen Jane, die für ihn arbeitet, jung, sexy und auch noch alleinerziehend ist? Das muss ja Ärger geben …


  • Erscheinungstag 20.04.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522205
  • Seitenanzahl 363
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Ein Rivale zum Küssen erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2008 by Karen Leabo
Originaltitel: „Reluctant Partners“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 275 - 2009 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Valeska Schorling

Umschlagsmotive: jacoblund / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2023 .

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751522120

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
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1. KAPITEL

Am Kai des Jachthafens von Port Clara betrachtete Cooper Remington seine Erbschaft eingehend vom Bug bis zum Heck. Kaum zu glauben, dass er nach all den Jahren wirklich hierher zurückgekehrt war.

„Sie ist ganz schön angeschlagen.“ Die Bemerkung stammte von Max, Coopers Cousin und seit Neuestem einer seiner Geschäftspartner.

„Eine Katastrophe.“ Reece, der dritte Remington-Cousin, schüttelte den Kopf. „Ich habe euch ja gesagt, wir hätten uns die Sache gründlicher überlegen sollen, anstatt auf blauen Dunst nach Texas zu fliegen.“

„Okay, die Dragonfly hat etwas Aufarbeitung nötig“, sagte Cooper. Er hatte den Rost und die abblätternde Farbe bemerkt. „Das war aber auch klar. Onkel Johnny war in den letzten Monaten seines Lebens krank, und davor hatte er ein Alkoholproblem. Wahrscheinlich war er nicht mehr in der Lage, das Boot abzuschleifen und zu streichen. Wir aber schon.“

Mit sechsunddreißig Jahren war er der Älteste und der Optimist der drei Cousins. Sicher, er war traurig über Onkel Johnnys Tod, aber seitdem er wusste, dass er und seine zwei Cousins die Dragonfly geerbt hatten, sprudelte er vor Ideen nur so über.

Er liebte das Meer, Boote und das Segeln. Und er war zu Tode gelangweilt vom Unternehmensrecht, ein Gebiet, das er nur gewählt hatte, weil seine Familie es von ihm erwartete. Cooper und seine Cousins, von ihren zweitklassigen Jobs im Familienunternehmen desillusioniert, konnten mit der Betreibung eines Charter-Fischerbootes viel Geld verdienen – und auch noch Spaß dabei haben.

Das war zumindest die Theorie.

„Wir sollten vielleicht mal an Bord gehen“, sagte Reece, etwas grün im Gesicht. Er machte sich nicht allzu viel aus Booten, genauso wenig aus Autos, Zügen oder Flugzeugen. Ohne sein Mittel gegen Reiseübelkeit reiste er nirgendwohin.

Max’ Aufmerksamkeit galt jedoch nicht der Dragonfly, sondern der schicken Vergnügungsjacht nebenan, deren Deck gerade von einer Frau im Bikini gefegt wurde.

„Max.“ Cooper versetzte seinem Cousin einen Stoß. „Wir gehen an Bord.“ Sie hatten zwar noch keine Schlüssel, aber zumindest konnten sie einen Blick auf das werfen, was in Sichtweite lag.

In dem Moment, als Cooper die Kette zur Gangway löste und an Bord trat, waren die vergangenen Jahre für ihn plötzlich wie ausgelöscht. Er war wieder ein Junge, der sich auf einige Wochen Fischen und Schwimmen freute und darauf, Onkel Johnny und Tante Pat bei ihren Angelexpeditionen auszuhelfen. Wie damals, bevor Tante Pat starb und Onkel Johnny zu trinken begann und die Familie beschloss, dass Johnny keine passende Gesellschaft für leicht zu beeinflussende Jugendliche war. Und bevor Onkel Johnny, verletzt durch diese Brüskierung, sämtlichen Kontakt mit seiner Familie abgebrochen hatte.

Auch bei näherer Inspektion machte die Dragonfly keinen besseren Eindruck. Max und Reece hatten recht – das Boot war in einem schlechten Zustand. Aber harte körperliche Arbeit war genau das, was Cooper jetzt brauchte, was sie alle brauchten, um das vom erbarmungslosen Konkurrenzkampf geprägte Leben im Familienunternehmen von sich abzuschütteln.

„Sie ist kleiner als in meiner Erinnerung“, bemerkte Reece.

„Du bist einfach größer geworden“, antwortete Cooper. „Wie alt warst du, als du das letzte Mal an Bord warst? Zehn?“

„In dem letzten Sommer damals war ich dreizehn.“ Reece lachte unvermittelt auf. „Ich habe Onkel Johnnys Kunden und dessen prämierten Thunfisch vollgekotzt.“

Cooper war fünfzehn Jahre alt gewesen, als seine Eltern den Sommerferien bei Onkel Johnny ein Ende gesetzt hatten. Er hatte es für falsch gehalten, Johnny einfach seiner Trauer und dem Alkohol zu überlassen, aber seine Eltern waren unnachgiebig gewesen. Er hatte geglaubt, es würde noch andere Sommer geben, doch Johnny hatte seine Neffen nie wieder eingeladen.

„Ah!“ Max’ zufriedener Seufzer brachte Cooper schlagartig in die Gegenwart zurück. Sein jüngster Cousin hatte sich hingesetzt und nahm ein Sonnenbad. „Was mir jetzt noch fehlt, sind ein Frozen Daiquiri und zwei Mädchen in Bikinis.“ Er warf einen Blick über die Schulter auf die Jacht nebenan, aber die Frau war verschwunden.

Cooper nutzte die Schwäche seines Cousins zu seinem Vorteil. „Das wirst du alles bekommen. Sobald wir die Dragonfly erst mal wieder aufpoliert haben, wird sie die Mädels anziehen wie ein Magnet.“

„Aber kann sie dich und Max auch finanziell über Wasser halten?“, fragte Reece. „Hast du die Zahlen durchkalkuliert?“

Coopers Enthusiasmus war ungebrochen. „Machst du Witze? Sie kann uns alle drei ernähren. Weißt du eigentlich, was wir hier vor uns haben?“

Reece hob eine Augenbraue. „Ein Fass ohne Boden?“

„Eine Lizenz zum Gelddrucken! Wir können für jede Exkursion Tausende von Dollars nehmen. Max, mit deiner Verkaufsund Marketingerfahrung wirst du die Spendierfreudigen scharenweise anlocken. Und du, Reece, kannst das Geschäft finanziell zum Laufen bringen.“

„Während du der Kapitän bist?“ Max blickte seinen Cousin zweifelnd an.

„Ja. Ach, das ist mir nicht so wichtig. Wir können uns abwechseln, wenn du willst. Gleichberechtigte Partner. Kein Katzbuckeln mehr vor unseren Vätern und älteren Brüdern.“ Der Remington-Clan war mit einem Überschuss an männlichen Erben gesegnet – oder gestraft –, die vor Ehrgeiz und Testosteron nur so strotzten.

Reece schüttelte den Kopf. „Ich kümmere mich um die Finanzen und stelle die Buchhaltung auf, aber dann bin ich weg.“

Max grinste. „Nun, ich bin dabei. Ich habe mir keine Hintertüren offen gelassen, als ich kündigte. Mein Vater redet nicht einmal mehr mit mir.“

Auch Cooper hatte bei seinem Abgang bei Remington Industries nicht gerade herzliche Gefühle hinterlassen. Zwar sprach sein Vater, Chef der Rechtsabteilung, noch mit ihm, aber nur um ihm Vorwürfe zu machen wie „Du bist wohl vollkommen verrückt geworden“ und „Erwarte nicht, dass du deinen alten Job zurückkriegst, wenn du wieder angekrochen kommst.“

Und seine Mutter weinte bei jedem Gespräch und beklagte schluchzend die Verschwendung des Geldes für sein Jurastudium in Harvard.

Sie würden schon darüber hinwegkommen. Cooper wünschte, Reece hätte ebenfalls gekündigt, anstatt seinen seit Jahren angesammelten Urlaub zu nehmen, den er generell für Zeitverschwendung hielt. Wenn schließlich jemand nötig hatte zu lernen, wie man sich wehrte und das Leben genoss, war es Reece. Der Mann war angespannter als ein Segel im Wirbelsturm.

Cooper blickte auf die Uhr. „Fast neun. Lasst uns mal nachsehen, ob der Jachthafen schon geöffnet ist.“

Er drehte sich gerade zur Gangway, als ein weiblicher Aufschrei hinter ihm fast sein Herz zum Stillstand brachte. Er wirbelte herum und fand sich Angesicht zu Angesicht mit … einer rothaarigen Traumfrau. Barfuß, mit langen gebräunten Armen, aufreizend präsentierten Beinen in knappen Shorts und einem kurzen T-Shirt, war die vor ihm stehende Frau einfach atemberaubend schön. Und verdammt wütend.

„Was haben Sie auf meinem Boot zu suchen?“ Sie machte einen drohenden Schritt vorwärts, wobei sie eine schwere Kaffeetasse mit den Händen umklammert hielt.

Cooper zweifelte nicht daran, dass sie damit großen Schaden anrichten konnte.

„Sie dürfen nicht einfach ohne Erlaubnis ein fremdes Boot betreten. Machen Sie, dass Sie wegkommen! Ich habe eine Pistole da unten, und ich werde sie benutzen, wenn Sie nicht in fünf Minuten verschwunden sind!“

Coopers Respekt vor ihr wuchs. Was für eine erstaunliche Frau, so stark und gleichzeitig so verletzlich. Ihm war klar, dass er ihre Warnung ernst nehmen sollte, aber er stand wie angewurzelt da, und es hatte ihm die Sprache verschlagen.

Allie Bateman hatte Todesangst, aber sie gab sich alle Mühe, das zu verbergen. Man hatte sie davor gewarnt, allein auf der Dragonfly zu leben, doch bis jetzt hatte sie nicht wirklich geglaubt, dass ihr etwas zustoßen könnte.

Eigentlich dürften diese Typen in ihren Lifestyle-Freizeitklamotten ihr keine Angst machen, aber etwas an dem Mann vor ihr – eine gewisse eiserne Entschlossenheit – verursachte ihr Unbehagen.

Er schien sich einen Ruck zu geben. „Wer sind Sie?“

Wenigstens hatten ihre ungebetenen Gäste es offenbar nicht sofort auf Vergewaltigung und Plünderung abgesehen. Sie änderte daher ihre Strategie. „Ich bin Allie Bateman. Wollen Sie ein Fischerboot chartern?“ Es wäre schließlich dumm, sich ein gutes Geschäft zu verscherzen. Diese Kerle kamen mit Sicherheit nicht von hier, nicht mit dieser Kleidung und diesem Yankee-Akzent. Hatten sie auf ein wildes Wochenende mit Alkohol und Frauen spekuliert?

Sie betrachtete nochmals eingehend den Anführer der Gruppe. Er sah nicht gerade aus wie jemand, der einen verschwenderischen Lebensstil pflegte.

Der Mann erwiderte ihren forschenden Blick. „Nein, deswegen sind wir nicht hier.“

„Und was machen Sie dann auf meinem Boot?“ Ihr Unbehagen wuchs.

„Die Frage ist nicht, was wir auf Ihrem Boot machen, sondern was Sie auf unserem zu suchen haben. Ich bin Cooper Remington, und das sind meine Cousins Reece und Max. Dies ist doch Johnny Remingtons Boot, oder etwa nicht?“

Der Gedanke an Johnny versetzte ihrem Herzen noch immer einen schmerzhaften Stich, vor allem wenn sie daran dachte, wie tapfer er bis zum Schluss gegen seine Krankheit gekämpft hatte. Nie hatte er sich über die Schmerzen beklagt, die furchtbar gewesen sein mussten. Sie holte tief Luft. „Johnny Remington ist vor zwei Monaten gestorben. Ich bin die neue Eigentümerin.“ Das fehlte ihr gerade noch – betroffene Familienangehörige, die zu spät für jede Hilfe kamen, aber rechtzeitig genug, um an sich zu raffen, was nur möglich war.

Derjenige, den sie Cooper nannten, sah sie aus schmalen Augen an. „Ich fürchte, das sind Sie nicht. In Johnnys bei einem New Yorker Gericht hinterlegtem Testament hinterlässt er uns das Boot. Wir sind seine Neffen. Daher sind alle Abmachungen, die er mit Ihnen getroffen hat, null und nichtig.“

„Null und nichtig? Wirklich?“ Sie legte den Kopf auf die Seite. „Sind Sie zufällig Anwalt?“

„Bin ich zwar, aber das spielt keine Rolle.“

Allie wurde wütend. „Ich wusste es. Anwälte kann ich auf zehn Meilen Entfernung erkennen.“ Auch das noch. Die mächtigen Remingtons würden die Dragonfly bestimmt nicht einfach kampflos einer Fremden überlassen.

Sie sah sich zurückversetzt in eine andere Zeit, in ein anderes Boot, zu einem anderen gewieften Anwalt und einer anderen Auseinandersetzung über Eigentumsrechte. Damals hatte Allie den Kampf verloren, doch das würde ihr nicht noch einmal passieren. Johnny hatte sein Testament zwar per Hand geschrieben, aber notariell beglaubigen lassen, und Allie war überzeugt, dass es vollkommen rechtsgültig war.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Johnnys letzter Wille erklärt mich zur Erbin der Dragonfly. Daher werden Sie jetzt bitte mein Boot verlassen.“

„Und Sie sind?“

„Zum zweiten Mal, mein Name ist Allie Bateman.“

„In was für einer Beziehung standen Sie zu Johnny?“

Sie hätte ihm erklären können, dass Johnny über zehn Jahre lang ihr Arbeitgeber war, ihr Lehrer, Vaterfigur und ein sehr lieber Freund. Doch sie wusste, was dieser Kerl dachte – dass sie nur irgendein Flittchen war, das Johnny irgendwie um sein Boot gebracht hatte, als er krank und schwach war.

Sollte er doch denken, was er wollte. „Das geht Sie nichts an.“

„He, Allie!“, rief ihre Nachbarin Jane Simone herüber. „Ist alles in Ordnung?“

Allie blickte Cooper herausfordernd an. „ Ist alles in Ordnung? Oder soll ich Jane bitten, die Bullen zu holen?“

Coopers blaue Augen blitzten. Es war offensichtlich, dass er die Kampfansage genoss. „Ich werde meine eigenen Bullen mitbringen. Sobald ich mit einem gerichtlichen Räumungsbefehl wiederkomme.“

„Prima Idee. Konfrontieren Sie mit dieser New Yorker Einstellung mal einen texanischen Richter. Dann werden Sie ja sehen, wie weit Sie damit kommen.“

Cooper Remington warf ihr einen letzten anerkennenden Blick zu, drehte sich um und marschierte mit seinen Cousins davon.

Allie blickte ihnen hinterher, bis sie in einen silberfarbenen BMW stiegen und davonfuhren.

„Was war denn das?“, fragte Jane.

„Ärger, Jane. Ich fürchte, jetzt habe ich ein echtes Problem.“

Ihr Herz klopfte noch immer auf dem Weg in die Kombüse, wo sie ihren abgekühlten Kaffee absetzte. Ihre Besucher hatten sie mehr aufgewühlt, als sie sich eingestehen wollte.

Sie war im Recht, es konnte einfach nicht anders sein. Es war Johnnys Wille gewesen, dass sie das Boot bekam. Sie hatte viel Geld in den Erhalt gesteckt, als Johnnys sich verschlechternder Gesundheitszustand ihn zwang, die Exkursionen einzuschränken. Und der Großteil ihrer übrigen Ersparnisse war in den Monaten nach seinem Tod in das Boot geflossen. Sie hatte Johnny gefragt, ob seine Familie etwas dagegen einwenden würde, als er ihr sein Boot überlassen wollte.

Er hatte geantwortet, dass seine Familie ihn nicht einmal mehr wahrnahm.

Doch wenn es um Erbschaften ging, tauchten Verwandte immer wie aus dem Nichts auf. Bloß weil die Dragonfly rechtlich Allie gehörte, hieß das noch lange nicht, dass sie sie auch wirklich behalten würde. Der Kerl da draußen hatte wahrscheinlich eine dicke Brieftasche und kannte wahrscheinlich alle möglichen legalen Tricks, sie um ihren Lebensunterhalt zu betrügen. Wahrscheinlich würden er und seine Cousins die Dragonfly an den Meistbietenden verkaufen und mit dem Erlös an die Riviera jetten oder sie als Partyboot nutzen und schließlich auf Grund setzen.

Sie dagegen hatte überhaupt kein Geld und nur einen über siebzigjährigen Anwalt. Er hatte das Testament für sie verwahrt und ihr versichert, dass es rechtsgültig war. Die Umstände sprachen nicht gerade für sie. Aber kampflos würde sie auf keinen Fall aufgeben.

Cooper und Reece saßen auf der Seeblick-Terrasse des „Old Salt’s Bar & Grill“, eines von einer Handvoll Lokalen, die sich am Strand um Port Claras Haupt- und Jachthafen reihten. Max war irgendwohin verschwunden. Cooper hatte den Verdacht, dass dies mit Allie Batemans hübscher Nachbarin im Bikini zusammenhing. Max war intelligent, Remington Industries’ erfolgreichster Verkaufsleiter. Aber wenn es um schöne Frauen ging, verlor er regelmäßig den Verstand.

„Also, was denkst du?“, fragte Reece.

„Dass sie einfach hinreißend ist“, antwortete Cooper.

Offenbar war Max nicht der Einzige, dem ein hübsches Mädchen den Kopf verdrehen konnte. Reece klappte die Kinnlade herunter. „Die Dragonfly? Sie ist ein Wrack!“

„Ich meinte Allie Bateman.“

„Oh.“ Reece nahm seine Brille ab und wischte sie geistesabwesend mit seiner Serviette ab. „Wahrscheinlich ist sie in Ordnung, aber was hat das schon zu sagen? Sie sitzt auf deinem Schiff. Glaubst du, sie sagt die Wahrheit?“

„Nicht sehr wahrscheinlich.“ Seiner Erfahrung nach hielten schöne junge Frauen wie Allie es nicht besonders mit der Wahrheit. Sie verdrehten die Tatsachen und setzten ihre Reize ein, um die Männer um den Finger zu wickeln. „Ich werde einen Spezialisten aus Austin engagieren und ihn das angebliche Testament überprüfen lassen. Spontan würde ich sagen, dass es sich dabei um eine Fälschung handelt. Allie ist nicht einmal mit Johnny verwandt.“

„Kann schon sein, aber ich bezweifle, dass sie eine Fremde ist“, erklärte Reece. „Vielleicht war sie seine Freundin.“

Cooper verzog angewidert die Lippen. Sein über siebzigjähriger Onkel und die junge, lebendige Allie Bateman … schon allein die Vorstellung!

„Oder sie lebten in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen“, fügte Reece hinzu.

Cooper trank einen großen Schluck Kaffee und betrachtete das Spiel der Wellen auf dem Strand unter ihm. „Er hätte sein Testament niemals geändert.“

„Warum nicht? Wir haben ihn seit Jahren nicht gesehen.“

„Das vielleicht nicht. Aber ich habe ihm jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk geschickt und manchmal eine Karte von ihm bekommen. Ich frage mich, warum er niemandem erzählt hat, dass er Krebs hat.“

„Wärst du denn sofort hierher geeilt, um dich um ihn zu kümmern, wenn du davon gewusst hättest?“, fragte Reece. „Oder irgendein anderer von uns? Soweit ich weiß, herrschte zwischen meinem Vater und Johnny Funkstille.“

„Ich habe keine Ahnung, was für Probleme Johnny und der Rest der Familie miteinander hatten, aber er hatte nichts gegen dich, Max oder mich. Er hätte uns nicht einfach so enterbt, nicht ohne einen verdammt guten Grund.“

„Vielleicht wollte er einfach nur für Allie sorgen.“

„Und vielleicht hat Allie den kranken alten Mann auch nur ausgenutzt und ihn mit irgendwelchen Tricks dazu gebracht, sein Testament zu ändern.“

Die Kellnerin servierte das Frühstück.

Reece runzelte die Stirn über seiner Schüssel Haferbrei, pulte sämtliche Rosinen einzeln heraus und tat stattdessen Erdbeeren hinein.

Cooper machte sich über Eier mit Speck her.

„Nicht alle Frauen sind wie Heather“, sagte Reece geistesabwesend.

Cooper biss die Zähne zusammen. „Lass sie aus dem Spiel.“

Kurz darauf stieß Max zu ihnen, sein Gesicht vorsichtig abgewandt. Er griff nach einem der Holzstühle, drehte ihn herum und setzte sich rittlings drauf.

„Großer Gott, was ist denn mit dir passiert?“, fragte Cooper, als er den Eisbeutel sah, den Max sich gegen das Gesicht hielt.

Max grinste nur. „Du erinnerst dich doch an Allies Nachbarin Jane? Na ja, die Frau hat einen eifersüchtigen Ehemann mit einem kräftigen linken Haken.“

Reece blickte entsetzt auf, doch Cooper war ungerührt. „Max, wann wirst du endlich lernen, vorher zu fragen? Eines Tages wird ein eifersüchtiger Mann dir noch mehr verpassen als nur ein blaues Auge.“

Max seufzte. „Was für eine aufregende Frau. Der Typ drohte, mich zu töten, wenn ich jemals wieder auch nur einen Blick auf sie werfe. Aber wie soll ich das vermeiden, wenn sie doch auf dem Boot nebenan lebt?“

„Du wirst zu beschäftigt sein“, antwortete Cooper. „Wir müssen für Remington Charters eine große Werbe- und Marketingkampagne starten. Du machst doch mit?“

Max wurde lebhaft. „Auf jeden Fall. Wann fangen wir an?“

„Wir legen los, sobald ich den Rotschopf rausgeschmissen habe.“

„Du willst sie doch nicht einfach auf die Straße setzen?“, fragte Reece. „Was ist, wenn sie sonst nirgendwohin kann?“

„Nicht mein Problem.“

Max sah etwas besorgt aus. „Ich dachte, du hättest es satt, das gewissenlose Ekel zu spielen. Was ist mit deinem netten, liebenswürdigen Ich?“

„Es wartet auf sein verdammtes Boot.“

„Dein Kredit ist überfällig, Allie“, bemerkte der Lebensmittelhändler Dino freundlich, aber mit einem etwas besorgten Unterton, als er ihre Einkäufe am Montagmorgen zusammenrechnete.

Viele Menschen hatten daran gezweifelt, dass sie den Charterdienst allein übernehmen konnte. Als Johnny bis vor zwei Jahren noch gesund und kräftig war, hatte Remington Charters einen Haufen Geld eingebracht. Genug, um Johnnys Rechnungen und Allie ein anständiges Gehalt zu zahlen. Sie durfte zudem in der Koje schlafen, wodurch sie etwas Geld zurücklegen konnte.

Doch als es Johnny dann immer schlechter ging, sah es auch mit den Finanzen nicht mehr so rosig aus. Johnny hatte sie gedrängt, einen anderen Job anzunehmen, aber für sie stand es außer Frage, ihn zu verlassen, auch weil er keine Familie hatte, die sich um ihn kümmerte. Pat, seine einzige Liebe, war schon Jahre zuvor gestorben. Sie waren kinderlos geblieben, und er hatte nie wieder geheiratet.

So hatte Allie sich um ihn gekümmert und später für seine Beerdigung gesorgt. Nach einer angemessenen Frist hatte sie wieder Aufträge angenommen, zumal sie bei der Überholung der beiden Motoren an die eiserne Reserve gehen musste. Aber das Geschäft lief schleppend. Sie konnte nicht wie früher große Gruppen annehmen – es war unmöglich, allein mehr als vier Passagiere anzuweisen, gleichzeitig Snacks zu servieren und das Boot zu navigieren.

Aber schließlich hatte die Touristensaison gerade erst begonnen, und Allie war zuversichtlich, dass die Geschäfte bald besser laufen würden. Wenn sie erst einmal die dringlichsten Schulden beglichen und das Boot etwas in Schuss gebracht hatte, konnte sie einen Assistenten engagieren, die Website aktualisieren und ein bisschen Werbung betreiben.

Falls sie dann noch das Boot hatte.

„Ich habe heute Nachmittag eine lukrative Fahrt“, erzählte sie Dino, als sie den Beleg für ihre Einkäufe unterschrieb. „Du stehst auf meiner Schuldnerliste ganz oben.“

Dino lächelte und ließ die Sache auf sich beruhen. Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. „Es ist sehr mutig von dir, das Boot ganz allein zu übernehmen. Warum suchst du dir nicht einen Ehemann, der dir ein bisschen unter die Arme greift?“

Sie verdrehte die Augen. „Schick mir einen gut aussehenden Kerl, der etwas vom Segeln versteht – oder von mir aus auch einen durchschnittlich aussehenden, der kochen und sauber machen kann – und ich werde in Erwägung ziehen, ihn zu heiraten.“ Als ob die Kerle bei ihr Schlange stünden.

Sie fragte sich, ob Cooper Remington segeln konnte. Gut aussehend war er zumindest.

Dino packte das Obst in Tüten. „Ich habe gehört, dass ein paar Leute aus Johnnys Familie hier aufgetaucht sind. Sie wohnen bei Miss Greer.“

Miss Greer betrieb das „Sunsetter“, das beliebteste Bed and Breakfast der Stadt, eines der wenigen viktorianischen Häuser, das die Zeit und die Hurricanes noch nicht zerstört hatten. Übrigens hatte Allie auch gehört, dass das Neffen-Trio nicht im Geringsten von ihren deutlichen Worten am Freitagmorgen eingeschüchtert war. Es sah ganz so aus, als würden sie sich hier häuslich niederlassen, zum Kampf bereit.

Vorsorglich hatte sie für den folgenden Morgen ein Treffen mit ihrem Anwalt Arlen Caldwell vereinbart, nur um sich zu vergewissern, dass das Recht auf ihrer Seite war. Und um sich gegen Cooper Remingtons Tricks zu rüsten.

„Die Kerle machen dir doch keinen Ärger, Allie? Sonst werde ich Robert mal auf ein Wörtchen zu ihnen rüberschicken.“ Robert war Dinos hünenhafter Sohn, der in verschiedenen Bars in Port Clara als Rausschmeißer arbeitete.

Allie griff nach ihren Einkaufstüten. „Dieses Problem kann man leider nicht mit Fäusten und Kraftausdrücken lösen. Aber vielen Dank für das Angebot.“

„Es steht jederzeit.“

Sollten Cooper und seine Gang ihr das Boot wirklich abnehmen, würde sie Robert vielleicht von der Leine lassen. Die Vorstellung tröstete sie etwas, als sie ihre bescheidenen Einkäufe in den Kofferraum ihres alten Autos packte.

Seinerzeit hatten sie und Johnny ganztägige Exkursionen inklusive Gourmetessen und Wein angeboten. Heute bekamen ihre Kunden leckere Snacks – frisches Obst, Bagels mit Frischkäse, Kekse und Softdrinks.

Sie hielt beim Quicky Mart für Eis und Getränke. In diesem Laden konnte sie leider nicht anschreiben lassen.

Sie parkte auf ihrem Parkplatz am Jachthafen und griff zuerst nach dem Eis, um es zum Kühlschrank zu bringen, wo sie Drinks und Snacks aufbewahrte. Auf diese Art konnten die Kunden sich selbst bedienen. Als sie in ihren Flipflops den Kai zur Dragonfly herunterschritt, sah sie Hilfssheriff Thom Casey, der lässig an einem Mast in der Nähe ihres Anlegeplatzes lehnte. Ihr Herz begann zu klopfen.

Das hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten.

Als er sie erblickte, richtete er sich auf, wobei ihm sichtlich unbehaglich zumute war. Seine Anwesenheit war also kein Zufall.

„Hallo, Thom, was gibt’s?“,fragte sie, wobei ihre Stimme zitterte.

„Hallo, Allie. Tut mir leid, dass ich dich so früh am Morgen mit schlechten Nachrichten überfallen muss.“

„Schlechte Nachrichten? Ist jemand gestorben?“ Sie hatte zwar keine Familie mehr, dafür aber zahlreiche Freunde in Port Clara.

„Das nicht. Aber ich muss dir diese gerichtliche Verfügung überreichen. Die Dragonfly wird beschlagnahmt, bis die Besitzverhältnisse geklärt sind. Das bedeutet, dass sie ihren Platz nicht verlassen darf.“

Allie erbleichte. „Ich bin die ganze Woche ausgebucht!“

„Ich weiß, Allie.“

„Dahinter steckt dieser miese Anwalt, Cooper Remington. Muss ich das Boot verlassen?“ Ein beängstigender Gedanke. Die kleine Schlafkoje auf der Dragonfly war zwar eng, aber ihr einziges Zuhause. Allie hatte nicht genug Geld auf ihrem Girokonto, um auch nur eine Monatsmiete für eine kleine Wohnung zu bezahlen.

„Davon steht hier nichts. Normalerweise würde man in so einem Fall ein Schloss an der Zündung des Boots anbringen, damit der Motor nicht gestartet werden kann. Aber ich vermute, dass Richter Isaacs nicht so weit gehen wollte. Er weiß schließlich, dass du seine gerichtliche Anweisung befolgen wirst.“

„Natürlich werde ich das, aber warum war das überhaupt nötig? Ich verstehe ja, dass sie sich mein Boot unter den Nagel reißen wollen, aber was würde dagegen sprechen, wenn ich weiterarbeite, bis alles geklärt ist?“

Thom zuckte die Achseln. „Ich habe keine Ahnung.“ Er reichte Allie die gerichtliche Verfügung.

Sie stopfte das Papier ungelesen in ihre Strohtasche.

„Tut mir furchtbar leid“, sagte Thom. „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann …“

„Das ist wirklich lieb von dir.“ In diesem Augenblick bemerkte sie, dass die „Princess II“ – Janes und Scotts Boot nebenan – fest verschlossen war. „Was ist denn mit den Simones passiert?“, fragte sie. „Am Freitag waren sie noch hier. Ich dachte, sie wollten das ganze Wochenende bleiben.“

Wieder zuckte Thom mit den Schultern.

Niedergeschlagen verabschiedete sich Allie und ging mit ihrem nun nutzlos gewordenen Eis an Bord der Dragonfly. Sie würde für die Kunden, die sie in zwei Stunden erwartete, ein anderes Fischerboot mit einem anderen Kapitän anheuern müssen. Bei dem Gedanken, einige ihrer treuesten Kunden zu enttäuschen, war ihr ganz elend. Johnny hatte viele Jahre gebraucht, um einen Ruf als gutes, zuverlässiges Charterunternehmen aufzubauen.

Ein paar abgesagte Trips, und es würde sich schnell herumsprechen, dass sie unzuverlässig und geschäftsuntüchtig war.

Allie verstaute die Lebensmittel und ging schweren Herzens den Kai hinunter, um nach einem freien Fischerboot Ausschau zu halten. Doch schon nach wenigen Schritten hielt sie abrupt an. Vielleicht gab es doch noch eine andere Lösung. Dafür würde sie das ganze Vitriol, das sie Cooper Remington am liebsten entgegenschleudern würde, herunterschlucken und die Liebeswürdige spielen müssen. Aber dazu war sie bereit, wenn sie auf diese Weise die Niederlage abwenden konnte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging zu ihrem Auto.

2. KAPITEL

Das Sunsetter B & B war ein schönes, etwas exzentrisches viktorianisches Backsteinhaus in der Magnolia Lane, zwei Blocks von der Front Street entfernt.

Jahre zuvor hatte Miss Greer der jungen Sara Kaufman, einer von Allies besten Freundinnen, freie Kost und Logis im Austausch gegen Hilfsarbeiten angeboten. Sara, die damals zum ersten Mal allein war, hatte die Chance sofort ergriffen. Seitdem lebte sie dort.

Im Moment allerdings war sie nicht da. Sie hatte einige Wochen freigenommen.

Allie stellte den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Mit etwas Glück würde sie Cooper hier antreffen und ihm ihren Vorschlag unterbreiten. Sie holte tief Luft und zwang sich zur Beherrschung.

„Wie schön, Sie zu treffen, Allie“, sagte Miss Greer erfreut.

Allie umarmte sie. „Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Miss Greer. Ist Mr. Remington da?“

„Welchen meinen Sie?“

„Ganz egal.“ Vielleicht würde sie gar nicht direkt mit Cooper sprechen müssen.

„Mr. Cooper ist im Esszimmer und arbeitet an einem Computer, der nicht größer als eine Brotscheibe ist. An so einem schönen Tag!“

Wahrscheinlich schrieb er gerade Räumungsklagen für unschuldige Frauen und Kinder. Anwälte liebten so etwas. „Ich möchte ihn nur eine Minute sprechen.“ Länger würde sie nicht brauchen, um ihr Anliegen vorzutragen und herauszufinden, ob Cooper ein vernünftiger Mann oder ein Idiot war.

Sie sah ihn, bevor er sie bemerkte. Er saß am Esstisch, den er mit Papierstapeln und Aktenordnern bedeckt hatte. Sein kleiner Laptop stand geöffnet vor ihm, und er tippte konzentriert etwas hinein.

Cooper sah attraktiv aus. Sein Haar war für ihren Geschmack zwar ein bisschen kurz, hatte jedoch eine schöne, tiefbraune Farbe. Sein Gesicht war das eines Filmstars, und sein Mund weckte bei ihr Fantasien, die gerade jetzt vollkommen unpassend waren.

Sie räusperte sich. „Mr. Remington?“

Er blickte auf und war offensichtlich überrascht. „Miss Bateman? Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier zu sehen. Wenn es um unsere Auseinandersetzung geht, würde ich es vorziehen, per Anwalt mit Ihnen zu kommunizieren.“

„Ich treffe meinen Anwalt morgen, aber ich muss etwas Dringendes mit Ihnen besprechen.“ Höflich bleiben. Immer schön höflich.

Sein Blick richtete sich auf die Tür hinter ihr. „Vielleicht sollten wir nach draußen gehen. Ich könnte etwas frische Luft gebrauchen.“

Auch recht. Cooper ging ihr auf dem Weg zur Eingangstür voraus, öffnete sie und ließ ihr höflich den Vortritt. Als sie durch die Tür ging, stieg ihr sein frischer Citrusduft in die Nase. Er glaubte doch nicht etwa, sie mit guten Manieren und seinem Designer-Aftershave beeindrucken zu können? Nichtsdestotrotz schnüffelte sie noch einmal.

Als sie beide vor der geschlossenen Tür standen, drehte sie sich zu ihm herum. „Warum haben Sie diese gerichtliche Verfügung veranlasst?“

Er schien etwas überrascht über ihre Direktheit, aber es war nun mal nicht ihre Art, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Seine offenbar auch nicht. „Wegen des Fluchtrisikos. Sie stehen kurz davor, ein Wertobjekt zu verlieren, und haben keine engen Bindungen an diesen Ort. Daher …“

„Keine engen Bindungen?“ Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Ich habe mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht und viele enge Freunde hier. Aber in Ihrer Welt zählt Freundschaft vermutlich nicht viel. Nur Blutsbande.“ Blutsbande, die Johnny zu Lebzeiten nicht die geringste Hilfe gebracht hatten.

„Lassen Sie uns spazieren gehen.“ Ohne auf ihre Zustimmung zu warten, schritt er vor ihr die Eingangsstufen hinunter und bot ihr einen ausgesprochen erfreulichen Anblick. Toller Po. An diesem erzkonservativen Typen eine echte Verschwendung.

Sie holte ihn ein und passte sich seinen großen Schritten an.

„Selbst wenn ich Ihnen trauen könnte“, sagte Cooper arrogant, „besteht dennoch die Gefahr, dass etwas mit dem Boot passiert, wenn Sie auf dem Meer sind – ein Sturm oder ein Leck.“

„Das ist sehr unwahrscheinlich“, erwiderte sie. „Ich bin eine ausgezeichnete Seglerin und kenne die Meeresströmungen und die Gefahren genau. Das Boot ist voll versichert. Und ich habe noch nie jemanden in meinem Leben betrogen.“

Aber schließlich kannte Cooper sie nicht, daher war es klar, dass er den Verdacht hatte, sie könnte ihn irgendwie übers Ohr hauen. Anwälte unterstellten das vermutlich jedem Menschen, weil sie von sich auf andere schlossen.

„Ich bin zuversichtlich, dass das Recht sich durchsetzen wird“, fuhr sie fort, „und ich möchte mein Boot behalten. Sie haben vermutlich bereits Nachforschungen angestellt und entdeckt, dass Johnnys Testament so hieb- und stichfest ist, wie ich gesagt habe.“

„Es ist ein handschriftliches Testament.“

„Ein holografisches Testament“, antwortete sie, „und Sie wissen genauso gut wie ich, dass es vollkommen rechtsgültig ist. Aber für den Fall, dass ich mich irren sollte … was haben Sie eigentlich mit Johnnys Boot vor?“

Er antwortete ohne zu zögern. „Meine Cousins und ich wollen den Charterdienst übernehmen.“

„Wie bitte?“ Sie prustete los und musste lachen, bis ihr die Tränen kamen. Vielleicht war sie ein bisschen hysterisch, aber sie konnte einfach nicht anders. Allein die Vorstellung, wie diese Remington-Cousins ein Fischerboot betrieben, war lächerlich.

Sie hörte auf und lehnte sich gegen einen Zaun, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

Cooper blieb währenddessen mit verschränkten Armen stehen. Offenbar fand er es gar nicht komisch.

„Verstehen Sie überhaupt etwas vom Fischen?“, fragte sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Auch wenn es Sie überrascht, aber ich habe auf der Dragonfly gearbeitet, als ich ein Teenager war. Sicher, wir müssen noch viel lernen, aber …“

„Zuerst sollten Sie lernen, dass Remington Charters Ruf an erster Stelle steht. Siebzig Prozent meiner Kunden sind Stammkunden. Wenn Sie das Boot beschlagnahmen und mich zwingen, Exkursionen abzusagen und meine Kunden woanders hinzuschicken, kann es Jahre dauern, bis der Schaden behoben ist.“

„Das habe ich nicht bedacht.“

„Offensichtlich nicht.“ Sie kam jetzt richtig in Fahrt. „Ich muss Rechnungen bezahlen. Glauben Sie etwa, dass ein Anlegeplatz im Jachthafen von Port Clara nichts kostet? Oder dass meine Schuldner jemals wieder Geschäfte mit mir machen, wenn ich sie Ihretwegen nicht bezahlen kann?“

„Sie müssen verstehen, dass ich nur meine Vermögenswerte schützen will. Aber ich habe über das Problem nachgedacht und möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.“

Sie wurde wütend. Was für einen Trick hatte er jetzt wieder auf Lager?

„Das Boot ist mein Vermögenswert. Was für einen Vorschlag?“

„Meine Cousins und ich haben darüber gesprochen, Sie großzügig abzufinden, damit Sie auf Ihren Anspruch auf das Boot verzichten.“

„Nein!“

Er blinzelte einige Male. „Sie haben doch noch gar nicht gehört, um welchen Betrag es sich handelt.“

„Spielt keine Rolle. Ich werde das Boot niemals freiwillig aufgeben. Johnny hat darauf gebaut, dass ich es übernehme, und ich werde ihn nicht enttäuschen. Ich liebe das Fischen und bin seit meiner Geburt auf dem Meer.“

Er starrte sie an, bis der Blickkontakt nahezu unerträglich wurde. Vermutlich suchte er nach verräterischen Anzeichen, dass sie ein falsches Spiel trieb, aber da konnte er lange warten.

„Dann tut es mir leid. Die gerichtliche Verfügung steht.“

„Was kann ich denn bloß tun, damit Sie Ihre Meinung ändern?“ Plötzlich kam ihr eine Idee. Warum hatte sie nicht gleich dran gedacht? „Sie sorgen dafür, dass die Verfügung aufgehoben wird, lassen mich mit den Exkursionen weitermachen, und jedes Mal, wenn das Boot den Hafen verlässt, sind Sie oder einer Ihrer Cousins mit an Bord. Sie haben selbst gesagt, dass Sie noch viel lernen müssen – ich kann es Ihnen beibringen und werde dafür nichts berechnen. Wir können sogar die Einnahmen teilen.“ Ein halbes Einkommen war schließlich besser als gar keines. Zumindest konnte sie damit ihre dringlichsten Schulden bezahlen.

Zu ihrer Überraschung schien Cooper wirklich darüber nachzudenken. Er überlegte wahrscheinlich, wie er ihre Idee zu seinem Vorteil nutzen konnte. „Halbe-halbe?“

„Nach Abzug der Kosten natürlich. Sie können einen Vertrag aufsetzen, wenn Sie wollen.“

„Ich könnte mich auf diese Weise wieder mit dem Geschäft vertraut machen“, dachte er laut.

„Genau. Eine Situation, von der beide Seiten profitieren. Ich weiß, dass Ihr Anwälte immer nur in Gewinner-Verlierer-Kategorien denkt, aber selbst Sie müssen erkennen, dass das die vernünftigste Lösung ist.“ Vor allem dann, wenn Allie Cooper irgendwie klarmachen konnte, dass ein Charterunternehmen doch nicht das Richtige für ihn war. Schließlich handelte es sich dabei nicht um eine glamouröse Margarita-Party.

Er lächelte, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich.

Allies Herz machte einen kleinen Satz. Der Mann sah noch zehnmal besser aus, wenn er lächelte.

„Dann wären wir Partner“, sagte er mit einem unerwarteten Funkeln in den Augen, das Allie nervös machte. Vielleicht hätte sie sich das vorher doch gründlicher überlegen sollen.

Cooper wunderte sich, dass er Allies Vorschlag so schnell akzeptiert hatte. Bei Remington Industries war er schließlich für seine Härte und Kompromisslosigkeit bekannt. Niemand dort wäre auf die Idee gekommen, ihn als weichherzig zu bezeichnen.

Und doch hatte er zugestimmt, ohne an die Konsequenzen zu denken oder die Dinge zumindest mit Reece und Max zu besprechen. Was vielleicht daran lag, dass er es kaum erwarten konnte, an Bord der Dragonfly zurückzukehren. Vielleicht auch daran, dass Allies Kinn so gezittert hatte. Doch letztlich hatte ihre Idee auch viel für sich.

„Ich muss zum Boot zurück“, sagte Allie. „Meine Kunden kommen in einer halben Stunde. Sie pfeifen den Richter zurück und bereiten sämtliche erforderlichen Papiere vor. Um halb elf fahren wir los. Und ziehen Sie sich etwas anderes an, Shorts, Segelschuhe und vielleicht ein etwas bunteres Hemd? Ein Anzug wäre etwas fehl am Platz.“ Sie drehte sich um und lief zu ihrem Auto.

Cooper hatte keine Chance mehr, ihr zu sagen, dass die Mühlen des Gesetzes nicht so schnell mahlten. Er konnte nicht einfach die Verfügung rückgängig machen und einen Vertrag herbeizaubern.

Doch schließlich könnte niemand ihr das Segeln untersagen, vor allem wenn er, der Kläger, persönlich anwesend war. Den Vertrag würde er abends aufsetzen, vorausgesetzt, Reece und Max waren einverstanden. Allie hatte recht, den Kunden nicht abzusagen. Auch Reece würde es begrüßen, mit der Dragonfly Geld zu verdienen, anstatt sie nutzlos im Hafen liegen zu lassen.

Und ihm selbst konnte etwas mehr Segelerfahrung nicht schaden, bis er das Boot endgültig in Besitz nahm.

Seine Cousins würden sich diesen Argumenten nicht verschließen.

Doch jetzt hatte er keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Er musste seine Koffer inspizieren und etwas Maritimes heraussuchen, was ihn nicht wie einen Juristen aussehen ließ.

Fünf vor halb elf lenkte Cooper seinen Mietwagen auf den Parkplatz des Jachthafens und eilte zur Dragonfly.

Kapitän Cooper Remington! Das klang gut. Auch die Kunden hatten bestimmt lieber einen Mann vor sich. Nicht, dass er Allie für inkompetent hielt. Aber sie war recht klein, möglicherweise nicht allzu kräftig, und Fischen war nun einmal eine Männerdomäne. Er jedenfalls würde beim Fischen jemanden vorziehen, der aussah, als wisse er, was er tat, zumal wenn er einen Haufen Geld dafür ausgab.

Natürlich würde er das Wort „Kapitän“ vor Allie zunächst vermeiden. Doch nach und nach würde er ihr schon klarmachen, wer hier das Sagen hatte.

Als er sich dem Anleger näherte, erblickte er an Deck einige Männer in Shorts und Polohemden. Ihre bleichen Gesichter ließen darauf schließen, dass es sich um leitende Angestellte im Urlaub handelte.

Arme Langweiler. Es gab Cooper ein Gefühl der Überlegenheit, dass er es geschafft hatte, die heiligen Hallen des amerikanischen Geschäftslebens hinter sich zu lassen und seinen Traum zu leben. „Guten Morgen“, begrüßte er sie. „Ich bin Cooper Remington, Ihr K…“ Er hatte sich gerade noch rechtzeitig unterbrochen.„Ihr zweiter Betreuer. Was gibt’s denn heute? Makrelen?“

„Falsche Saison“, sagte der Älteste der Gruppe und trat vor, um Cooper kritisch zu beäugen. „Allie meinte, es gäbe jede Menge Barsche in der Bucht. Remington, sagten Sie?“

„Ja, Sir“, antwortete Cooper, inzwischen schon etwas weniger selbstsicher. Stimmt, die Makrelensaison begann später im Sommer. Das hätte er eigentlich wissen müssen. Er streckte seine Hand aus. „Ich bin der neue Eigentümer von Remington Charters. Johnny war mein Onkel.“

„Einen Augenblick“, sagte der Alte. „Sind Sie etwa der Neffe, der auf meinen Fisch gekotzt hat?“

Cooper zuckte innerlich zusammen. Der Mann war offensichtlich ein sehr alter Kunde. Kein Wunder, dass Allie ihn nicht enttäuschen wollte. „Das war mein Cousin Reece. Ich bin derjenige, der den Fisch hinterher sauber gemacht hat.“

„Schon gut“, sagte der Mann. „Tut mir leid, das mit Ihrem Onkel. Johnny war ein verdammt guter Kapitän. Ich hatte eigentlich gedacht, das Mädchen hier würde das Boot übernehmen.“

„Wir müssen noch einige juristische Fragen klären“, erklärte Cooper glatt, „aber vorerst hilft sie mir aus. Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“

Er ging nach unten und blickte sich um. Die Einrichtung hatte sich in den letzten fünfzehn Jahren nicht sehr verändert. Noch immer hingen dieselben Gardinen an den Fenstern, und auch der Teppich kam ihm bekannt vor. Alles war nur ein bisschen schäbiger. Doch offenbar hatte jemand hier vor kurzer Zeit frisch gestrichen, und die Sitze im Salon hatten neue Kissen.

„Allie?“

„Hier unten.“

Cooper blickte in die offene Luke. Allie stand im Motorraum. Cooper erinnerte sich, dass Johnny viel Zeit im Kampf mit den launischen Motoren verbracht hatte, die schon damals nicht mehr neu waren.

Allie hatte einen Schraubenschlüssel in der Hand und einen Ölstreifen im Gesicht. „Motor zwei startet nicht. Verstehen Sie etwas von Dieselmotoren?“

„Leider nein.“ Nicht gut. Wenn das Boot bei seiner ersten Fahrt als Eigentümer von Remington Charters nicht auslaufen konnte, würde er einen sehr inkompetenten Eindruck machen. „Ich kann einen Mechaniker holen.“

„Nur, wenn Sie bar zahlen. Ich komme nicht an das Betriebskonto ran. Aber ich weiß schon, wo das Problem liegt. Werden die da oben schon unruhig?“

„Sie wirkten ganz zufrieden, als ich sie begrüßt habe. Warum können Sie kein Geld abheben?“ Sein Tonfall wurde misstrauisch. Bloß weil Allie große grüne Augen und eine wirklich süße Stupsnase hatte, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht imstande war, die Firmenkonten zu räumen.

Sie sah ihn an, als sei er der dümmste Mensch der Welt. „Weil Sie das Konto gesperrt haben.“

„Ach so.“ Das hatte er ganz vergessen.

„Aber wir sind sowieso knapp bei Kasse. Ich musste vor zwei Wochen bei den Motoren einige sehr teure Reparaturen durchführen lassen, die eigentlich …“ sie wies mit einem anklagenden Finger auf den schweigenden Motor … „ das vermeiden sollten! Sie beugte sich wieder über den Motor und setzte den Schraubenschlüssel erfolglos bei einer rostigen Schraube an. Für die bessere Hebelwirkung stemmte sie ein prachtvolles Bein gegen den Schiffskörper und schaffte so schließlich, die Mutter zu lösen. Sie hob eine Metallplatte, unter der jede Menge Kabel lagen.

„Aha“, sagte sie triumphierend. „Genau wie ich dachte, ein Kurzschluss. Sehen Sie sich mal dieses Kabel an. Das hätte womöglich ein Feuer verursachen können. Wenn ich Mickey zu fassen kriege … Sie machte sich daran, das verschmorte Kabel zu lösen und wühlte in einer Werkzeugkiste nach einem Stück Ersatzkabel. Dann entfernte sie die Gummibeschichtung von den Enden und verband … was auch immer hier durchtrennt worden war.

„Wer ist Mickey?“, fragte Cooper.

„Der mieseste Mechaniker in Port Clara. Würden Sie mal den Zündschlüssel drehen, damit wir sehen, ob das Ding wieder läuft?“

„Wird es nicht gleich wieder einen Kurzschluss geben?“

„Vielleicht. Aber ich habe noch jede Menge Kabel. Genug, um uns irgendwie über den Tag zu retten. Danach rufe ich Mickey an.“

„Sollten Sie nicht jemand anders engagieren?“

„Die Zündung bitte!“

Cooper konnte es überhaupt nicht leiden, herumkommandiert zu werden. Aber er musste zugeben, dass Allie offensichtlich mehr von Bootsmotoren verstand als er. Und wenn ihn Unternehmensrecht eines gelehrt hatte, dann, dass Wissen Macht war.

Er würde einiges lernen müssen. Bis dahin war es vielleicht keine so schlechte Idee, Allie noch ein bisschen hier unten zu lassen – nur bis seine Beine sich an das Schaukeln gewöhnt hatten. Apropos Beine, er sollte ihre nicht so anstarren.

Cooper kletterte auf die Kommandobrücke. Er drehte den Zündschlüssel herum, und beide Motoren begannen zu brummen. Dankbar atmete er auf.

Als er das Steuerrad ergriff, überkamen ihn die Erinnerungen. Es gehörte zu den stolzesten Momenten seiner Jugend, als Onkel Johnny ihn das erste Mal ans Steuer ließ. Er hatte sich heimlich vorgestellt, ein Pirat zu sein, der abwechselnd das Wasser nach Hindernissen und den Horizont nach Beuteschiffen absuchte.

Cooper hörte ein Geräusch hinter sich, drehte sich um und erblickte Allie, die zufrieden lächelte. Es war das erste Mal, dass er sie lächeln sah, und sogar sein misstrauisches Herz war nicht immun gegen die Wirkung.

Sie war wirklich bezaubernd. Onkel Johnny, ein alternder, alkoholabhängiger Witwer, musste Wachs in ihren Händen gewesen sein.

„Wissen Sie, wie man ablegt?“, fragte sie.

„Das können Sie übernehmen“, sagte er galant und festigte seinen Griff um das Steuerrad. „Mein Platz ist hier.“

„Von wegen. Runter von meiner Kommandobrücke.“

„Unserer Kommandobrücke. Wir sind Partner, schon vergessen?“

„Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Boot gesteuert?“

„Klar. Onkel Johnny hat es mir beigebracht.“

„Und wann war das?“

Na ja, vor mehr als zwanzig Jahren. „Das ist wie Fahrradfahren; man verlernt es nie.“

„Haben Sie in den letzten zehn Jahren schon mal einen Blick auf eine Seekarte geworfen? Sandbänke haben sich verschoben, Riffe verändert. Auch wenn Sie sich noch daran erinnern, wo alle Hindernisse vor zig Jahren mal waren, nützt ihnen das heute nichts mehr!“

Sie musterte ihn spöttisch von Kopf bis Fuß, unterzog seine Segelkleidung offenbar einer kritischen Prüfung. Er trug Khakishorts, ein Polohemd und Mokassins – vollkommen angemessene Freizeitkleidung – sehr ähnlich übrigens der seiner Passagiere. Dennoch fühlte er sich fast overdressed.

Allie selbst trug nur diese ausgeblichenen Shorts und ein weißes Top mit einem gestrickten Remington-Charters-Logo über der linken Brust. Einer hübschen Brust übrigens. Plötzlich wurde ihm heiß. Komisch, bislang waren Naturmädchen nicht gerade sein Typ. Die meisten Frauen, die er traf, waren Karrierefrauen – von einigen müßigen Erbinnen mal abgesehen. Allie war vielleicht darauf aus, ihn zu schröpfen, aber er fand ihre Natürlichkeit erfrischend und anziehend. Kein Make-up, keine langen, lackierten Fingernägel, keine Fünfhundert-Dollar-Schuhe oder Salonsträhnchen. Einfach nur Frau pur.

Widerstrebend löste er seinen Griff vom Steuerrad. Auch wenn es ihm nicht gefiel, aber sie hatte recht. Er benahm sich wie ein blöder Macho.

„Na, wo finden wir die Barsche?“, fragte sie.

Er hob die Hände in einer Geste der Niederlage. „Schon gut, schon gut. Heute sind Sie der Kapitän, und ich bin der Maat. Aber morgen tauschen wir.“

Er würde sie genau beobachten und sich vergewissern, dass er die Lage genauso gut meistern konnte. Das dürfte doch wohl nicht so schwer sein?

Allie kochte vor Wut, als sie die Dragonfly aus dem Jachthafen manövrierte. Glaubte Cooper wirklich, er konnte einfach anmarschiert kommen und den Charterdienst einfach übernehmen, bloß weil er als Kind mal mitgefahren war?

Ihr erster Impuls war, ihm die Dragonfly einfach zu überlassen. Sollte er doch das Geschäft noch vor Ende der ersten Saison ruinieren, oder gleich das Boot selbst.

Doch das brachte sie nicht übers Herz. Alles, was sie besaß und im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, steckte in diesem Betrieb. Sie konnte und wollte nicht noch einmal ganz von vorn anfangen.

Auf dem offenen Meer hielt Allie Kurs auf die Stelle, wo sie am wahrscheinlichsten auf Barschschwärme stoßen würden. Dazu würden sie mehr als eine Stunde brauchen. In der Zwischenzeit musste sie dafür sorgen, dass alle Männer die richtige Ausrüstung und die richtigen Köder hatten, und sie musste ihnen einen Snack servieren.

Sie blickte hinab aufs Deck und erblickte Cooper in einem Liegestuhl. Er unterhielt sich angeregt mit einem der Passagiere.

„Cooper!“, rief sie. „Übernehmen Sie mal das Steuer.“ Er musste nur geradeaus fahren und anderen Booten ausweichen. Das würde selbst er hinkriegen.

Er blickte zu ihr hoch und grinste. „Aye-aye, Captain.“

Sie kümmerte sich um die Angelruten.

„Stimmt das, was ich von dem Remington-Jungen gehört habe?“, fragte Mr. Cox leise. „Dass er das Geschäft übernimmt?“

„Das ist zumindest seine Absicht“, sagte Allie betont gleichgültig. „Er will das Testament anfechten.“

„Glaubt er, dass er damit durchkommt?“

„Im Gegensatz zu mir haben die Remingtons genug Geld, um vor Gericht zu gehen. Wir müssen abwarten.“

„Das erscheint mir sehr unfair.“

Allie tätschelte Mr. Cox’Arm.„So ist das Leben.“ Zumindest ihrer bisherigen Erfahrung nach. Aber sie vertraute darauf, dass ihr diesmal Gerechtigkeit widerfahren würde, nachdem ihr hinterhältiger Onkel ihr seinerzeit das Boot ihres Vaters gestohlen hatte.

„Sie sollen nur wissen“, sagte Mr. Cox, „dass ich Ihnen treu bleiben werde, egal wohin Sie gehen. Sie verstehen Ihr Geschäft.“

Seine Loyalität rührte sie. Sie hatte viele gute Freunde in Port Clara und auch außerhalb eine Menge Kontakte. Johnnys Kunden kamen von weither, aus Vancouver und Buffalo und sogar aus Japan. Die meisten von ihnen hatten sie auch diese Saison gebucht, selbst nachdem sie von Johnnys Tod erfahren hatten. Sie waren bereit, ihr eine Chance zu geben. Wenn alle so loyal waren wie Mr. Cox, konnte Allie jedem anderen Bootseigner, bei dem sie anheuerte, einen wertvollen Kundenstamm mitbringen.

Aber dieser Gedanke heiterte sie nicht besonders auf, denn sie liebte dieses Boot. Sie hatte sich so viel Mühe damit gegeben – innen neu gestrichen, Kissenbezüge für den Salon genäht und den Rumpf geschrubbt. Mit Janes Hilfe hatte sie sogar ein Logo für Remington Charters entworfen.

Und das alles nur, damit die Remingtons es kaputt machten?

Schließlich hatten sie nicht umsonst all die Jahre in New York mit Bürojobs verbracht. Das hier war vermutlich nur ein Spaß für sie. Und wenn sie das Boot erst auf Grund gesetzt hatten, würden sie einfach weiterziehen.

So wie ihr Onkel, nachdem er das Geschäft ihres Vaters ruiniert hatte.

Allie gab sich einen Ruck. Sie musste sich jetzt um die Snacks kümmern.

Nachdem sie fertig war, machte sie sich auf die Suche nach Cooper. Sie beobachtete ihn heimlich von der Leiter aus.

Mit dem windzerzausten Haar war er anziehender als je zuvor. Er sah aus, als wäre er nie zuvor so glücklich gewesen. Ganz offensichtlich liebte er das Meer. Zum ersten Mal konnte Allie eine Ähnlichkeit zwischen Cooper und seinem Onkel erkennen.

Sie spürte, wie ihr warm ums Herz wurde, doch dann schrillten sämtliche Alarmglocken.

Nichts da . Cooper war ihr Feind. Er hatte es darauf abgesehen, ihre Träume zu zerstören. Das durfte sie keinesfalls vergessen – auch wenn sie in diesem Augenblick nichts lieber ge tan hätte, als neben ihm zu stehen, ihn zu umarmen und mit ihm sein Glück zu teilen.

Coopers erste Charterfahrt war ein voller Erfolg. Als er sich von den Passagieren mit ihren prall gefüllten Kühltaschen verabschiedete, fühlte er sich so wohl wie schon lange nicht mehr.

Es war die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen und die Erbschaft anzutreten. Vielleicht konnte er Allie für die Zubereitung der Erfrischungen anstellen. Nein, ausgeschlossen. Allie war es gewohnt, an der Spitze zu stehen. Sie würde sich nie mit der zweiten Reihe zufriedengeben.

Außerdem brauchten sie jemanden, der hochklassige Mahlzeiten in der kleinen Kombüse zubereiten konnte. Sandwiches und Chips waren ja ganz okay, aber wenn sie solventere Kunden anziehen und mehr Geld verlangen wollten, mussten sie mehr bieten.

Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Dragonfly ohne Allie nicht mehr dieselbe wäre. Schon nach einem Tag hatte er sich an den Anblick gewöhnt, mit welcher Gewandtheit Allie über das Schiff lief und verschiedene Aufgaben gleichzeitig erledigte. Sie brachte den Passagieren Drinks, befestigte Köder an Haken und überprüfte den Motor.

Sie war gut, auch wenn Cooper sich das nicht gern eingestand. Allein hätte er den Fischschwarm nie gefunden. Sie hatte einfach das Sonargerät geprüft, einen Blick aufs Wasser geworfen und – das war kein Scherz –geschnuppert. Und schon einige Minuten später war ein Schwarm Barsche aufgetaucht. Ihr zuzusehen, war ein wahrer Genuss.

Wie auch der Anblick ihres knackigen Pos in den engen Shorts. Dennoch musste er mit ihr mal über ihre Kleidung reden.

Denn einer der Passagiere hatte seine Stielaugen nicht von ihr abwenden können, und es schadete dem Geschäft, wenn Cooper jemanden niederschlagen musste, weil er sich Frechheiten gegenüber seiner Angestellten herausnahm.

Nachdem alle von Bord gegangen waren, drehte Cooper sich zu Allie um und strahlte. „Wir haben es geschafft.“

„Haben Sie daran gezweifelt?“

Er zuckte die Achseln. „Damit wollte ich nur sagen, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Haben wir für morgen auch eine Buchung?“

„Um zehn Uhr.“

„Ich sehe Sie dann so gegen neun.“

Als er sich umdrehte, griff sie nach seinem Arm. „Halt, halt, halt. Was haben Sie vor? Nur weil die Passagiere gegangen sind, ist der Arbeitstag noch lange nicht vorbei. Wir müssen noch die Arbeitsgeräte säubern und wegpacken. Den Müll raustragen. Die Wasserbehälter leeren. Mickey wegen des Motors anrufen. Und wir müssen uns für morgen vorbereiten, Lebensmittel und Köder besorgen.“

„Sind dazu wirklich zwei …“

„Entschuldigen Sie mal. Wir sind Partner, schon vergessen? Wenn Sie die halben Einnahmen wollen, müssen Sie auch die Hälfte der Arbeit erledigen.“

„Ich habe noch anderweitige Verpflichtungen“, sagte er. „Bankkonten wieder freigeben. Gerichtliche Verfügungen aufheben. Einen Vertrag aufsetzen.“ In Wirklichkeit hatte er Reece die meisten dieser Aufgaben übergeben. Aber wenn er morgen Kapitän sein wollte, musste er noch einiges an Lernstoff aufholen. Er wusste, dass es unfair war, Allie die gesamte Arbeit aufzubürden, doch morgen würde sich das ändern. „Ich habe einen Vorschlag. Morgen mache ich alles sauber, kaufe ein und so weiter. Sie können sich den Abend freinehmen.“

Sie hob eine Augenbraue. „Wirklich?“

„Klar.“

„Okay, abgemacht.“

Er griff in seine Tasche, zog ein Geldbündel heraus und reichte ihr fünf Hundertdollarscheine. „Das sollte für die Geschäftsausgaben reichen, bis Sie wieder an das Geschäftskonto herankommen.“

Allie starrte mit großen Augen auf das Geld. „Tragen Sie immer so viel Geld mit sich herum?“

„Ich bin gern vorbereitet. Bis morgen dann.“

Cooper ging von Bord, sehr zufrieden mit dem Tag. Er hatte einen leichten Muskelkater, und seine Nase war sonnenverbrannt.

Seine gute Laune hielt an, bis er Reece erblickte, der den Kai entlang auf ihn zukam. Mit seinen Anzughosen, dem gestärkten weißen Hemd und der Krawatte wirkte sein Cousin auf geradezu lächerliche Art und Weise fehl am Platz. Was sollte eigentlich die Krawatte? Niemand hier unten trug eine, nur auf Hochzeiten oder Beerdigungen.

„Wo zum Teufel hast du gesteckt?“, fragte Reece. „Warum bist du nicht ans Telefon gegangen?“

„Handys funktionieren auf See nicht. Gibt es ein Problem?“

„Könnte man sagen. Mark Gold hat angerufen.“

Gold war der Spezialist, den Cooper engagiert hatte, um sich Allies Testament näher anzusehen. „Was hat er gesagt?“

„Es gibt ein Testament. Handschriftlich, aber ordnungsgemäß beglaubigt. Demnach hinterlässt Onkel Johnny das Boot Allison Therese Bateman.“

„Wir engagieren einen Fälschungsexperten“, antwortete Cooper rasch. „Das ganze Ding könnte eine Fälschung sein. Onkel Johnny hätte uns nicht leer ausgehen lassen.“

„Anscheinend doch. Ich habe mit dem Anwalt gesprochen, der es verwahrt hat. Sein Name ist Arlen Caldwell. Er war ein persönlicher Freund von Johnny, und für ihn steht es außer Frage, dass Johnny das Testament geschrieben und unterzeichnet hat.“

„Dann werden wir auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Und wenn das nicht funktioniert, werden wir nachweisen, dass Allie ihn dazu gezwungen hat, ein neues Testament zu schreiben.“

„Caldwell meint, dass Johnny im Vollbesitz...

Autor

Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
Wegen ihrer bahnbrechenden, sehr...
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