Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2016

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DER HIGHLANDER UND DIE STOLZE SCHÖNHEIT

Der Highlander Athdar MacCallum bringt Isobels junges Herz zum Erbeben! Aber sie gibt sich keinerlei Hoffnung hin. Niemals würde ihr gestrenger Vater einer Verbindung mit dem fremden Clan-Chef zustimmen. Trotzdem ist die temperamentvolle Schönheit wehrlos gegen die Gefühle, die der breitschultrige Hüne in ihr weckt. Sie sehnt sich so danach, in seinen Armen zu liegen. Und ihr heimlicher Wunsch wird erhört, als sie Athdar nach einem Skandal heiraten muss! Doch hat Isobel damit ihr Schicksal besiegelt? Denn es heißt, der Highlander sei verflucht: Jede Frau, die er liebt, findet ein tragisches Ende …

IN DEN ARMEN DES BARBAREN

North Yorkshire, 876. "Begrüße deinen neuen Lord!" Wie ein nordischer Gott betritt Wikinger Brand Bjornson das Anwesen Breckon, das bis zu diesem Moment Lady Ediths Zuhause war. Sein eisblauer Blick lässt sie furchtvoll erbeben, doch lieber würde sie sterben, als sich ihm widerspruchslos zu fügen! Stattdessen macht Edith ihm stolz ein Angebot: Sie ist zur Ehe mit ihm bereit, wenn Brand ihre Leute verschont. Aber der Eroberer hat andere Pläne mit ihr: Arrogant will er nur Gnade walten lassen, wenn Edith als Mätresse sein Lager teilt. Was für eine Erniedrigung! Die schöne Lady ahnt nicht, welche Lust sie in den Armen des Barbaren erwartet …

ENTEHRT VON EINEM HIGHLANDER

Schottland, 1370. "Hure! Ehebrecherin!" Seit Catriona in glühender Umarmung mit dem Highlander Aidan MacLerie erwischt wurde, spuckt man im Dorf vor ihr aus. Doch bevor ihr Mann Gowan davon erfährt, fällt er auf dem Schlachtfeld. Was soll nun aus Catriona werden? Aus ihrem Heim wird sie verbannt, ihr Ruf ist durch Aidans wilde Zärtlichkeit zerstört! Da macht ausgerechnet dieser schottische Draufgänger der schönen Witwe das Angebot, in seinen Clan zu ziehen. Will er sie endlich auf seinem Lager haben? Mehr als seine Hure kann Catriona niemals für ihn sein! Denn Aidan steht kurz vor der Hochzeit mit einer anderen ...


  • Erscheinungstag 05.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775735
  • Seitenanzahl 768
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Terri Brisbin, Michelle Styles

Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2016

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2013 by Theresa S. Brisbin
Originaltitel: „The Highlander’s Dangerous Temptation“
erschienen bei: Halequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 321 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ralph Sander

Abbildungen: Hot Damn Stock, Martin McCarthy, abzee/iStockphoto, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733765200

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

 

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PROLOG

Los, kommt mit!“, rief Athdar im gleichen Tonfall wie dem des Befehlshabers der Krieger seines Vaters. Das hölzerne Schwert hocherhoben, zeigte er auf den Wald und erklärte: „Unsere Feinde haben sich in den Schutz der Bäume zurückgezogen.“

Athdar führte seine Freunde, zwei Cousins und zwei Söhne eines Dorfbewohners, alle im gleichen Alter wie er, zwischen den Bäumen hindurch. Während er die Schatten absuchte, ob sich irgendwo etwas rührte, folgte er dem Trampelpfad, der in der Nähe des Flusses entlangführte.

Da! Etwas hatte sich vor ihm im Gehölz bewegt, und er rief den anderen erneut Befehle zu. Vielleicht ein Reh, vielleicht ein Fuchs oder ein anderes wildes Tier streifte durchs Gesträuch. Lachend versuchten sie, ihm zu folgen, doch es verschwand im Dickicht. Nach einer Weile bemerkte Athdar, dass das Rauschen der Wellen leiser wurde und dass ihr Weg sie vom Fluss weggeführt hatte. Er sah sich um und musste feststellen, dass nichts um ihn herum vertraut aussah. Er blieb kurz stehen, dann rannte er los und rief den anderen zu, ihm zu folgen. Unerwartet gelangte er auf eine kleine Lichtung, an deren Rand ein tiefer Graben verlief, der früher einmal Teil des Flussbetts gewesen war. Er lief noch etwas schneller, um genug Schwung zu bekommen, sprang über das Hindernis und landete auf der anderen Seite in einem Haufen Blätter. Schnell stand er auf und rief: „Macht schon! Dieser Graben kann uns nicht aufhalten!“

Als der Sohn des Lairds war er es gewöhnt, diese zusammengewürfelte Truppe aus Freunden anzuführen. Er winkte ihnen zu, damit sie ihm endlich folgten.

„Habt ihr etwa Angst?“, forderte er sie heraus. „Nehmt Anlauf, und dann schafft ihr es.“ Athdar sah ihnen ihre Unentschlossenheit an, wollte jedoch nicht, dass sie sich selbst ihr Abenteuer verdarben. „Nur Feiglinge missachten die Befehle ihres Anführers.“ Seine harschen Worte versetzten ihm selbst einen Stich, aber er wusste, seine Freunde mussten angefeuert werden.

Sie stießen sich gegenseitig an, nickten sich zu und gingen ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Athdar stand lächelnd da und verschränkte die Arme vor der Brust, ganz so wie sein Vater es oft tat. Fast gleichzeitig machten die vier einen Satz in die Luft, um den tiefen Graben zu überspringen.

Ihre anfeuernden Rufe verwandelten sich in Entsetzensschreie, als sie merkten, dass der Schwung nicht reichte, um bis zur anderen Seite zu gelangen. Fassungslos hörte Athdar mit an, wie die Schreie einer Totenstille wichen. Sein hastiger Atem war das einzige Geräusch, als er sich zögerlich dem Rand des Grabens näherte und in die Tiefe spähte.

Gut zwanzig Fuß unter ihm lagen seine Freunde auf dem Grund des steinigen, ausgetrockneten Flussbetts. Auch wenn er erst sieben Jahre alt war, begriff er sofort, dass ein paar von ihnen tot und die anderen schwer verletzt waren. Die Art, wie Gliedmaßen und bei dem einen oder anderen auch der Kopf verdreht waren, konnte nichts Gutes verheißen.

Und alles war seine Schuld! In aller Eile suchte er in seinem Beutel nach dem Seil, das er gewöhnlich mit sich führte, aber es war nicht da. Da er sich so dicht am Grabenrand aufhielt, löste sich immer mehr Erde und regnete auf seine Freunde hinab. Ein leises Husten verriet ihm, dass zumindest einer von ihnen noch lebte. Nacheinander rief er ihre Namen, erst auf ein lautes „Robbie!“ hin stöhnte einer von ihnen.

„Robbie! Ich komme runter!“, sagte er und schob die Beine über die Kante, um am Rand des Grabens nach unten zu rutschen.

Das war seine Schuld. Allein seine Schuld. Er musste ihnen helfen!

„Bleib oben“, ächzte Robbie. „Wir haben nichts davon, wenn du mit uns hier unten in der Falle sitzt.“

Athdar hielt inne und klammerte sich an der freiliegenden Wurzel eines Baums gleich neben ihm fest, um nicht wegzurutschen. Es stimmte. Wenn er seine Freunde nicht nach oben holen konnte, war er für sie keine Hilfe. Ein Strahl der bereits tief stehenden Sonne, der durch das Blattwerk gedrungen war, machte ihn darauf aufmerksam, dass es schon bald dunkel werden würde und dass dann neue Gefahren drohten.

„Ich hole Hilfe!“, rief er einmal laut, dann ein zweites Mal, als von unten keine Reaktion kam. Schließlich hängte er sich den Beutel um und versuchte sich zu orientieren. Sie waren von Ost nach West durch den Wald gelaufen. Oder … doch nicht? In allen Richtungen sah es für ihn gleich aus. Er musste tief durchatmen, sich beruhigen, da er sonst vor Angst den Kopf verlor.

Er musste den Heimweg finden. Er musste Hilfe holen. Er musste …

Athdar rannte los, tauchte unter den niedrig hängenden Zweigen hindurch und lief weiter, um das Flussufer zu erreichen.

Es dauerte eine Weile, bis er den Fluss erreichte, und am Ufer angekommen, hatte er keine Ahnung, ob er sich nach links oder nach rechts wenden sollte. Sobald die Angst oder die Erschöpfung zu groß wurde, rief er sich das Bild ins Gedächtnis, das seine Freunde tief unten im Graben zeigte. Es gab ihm die Kraft zum Weiterlaufen. Es wurde dunkel, und irgendwann brach er völlig übermüdet zusammen und schlief ein.

Auch als er im Morgengrauen erwachte, wusste Athdar noch immer nicht, wie er nach Hause gelangen sollte. Schließlich ließ er die Angst und das schlechte Gewissen siegen und begann um seine Freunde zu weinen.

Das war der Moment, als sein Vater, sein Onkel und zwei Clans-Angehörige auf ihren Pferden auf ihn zugeprescht kamen und ihn entdeckten. Schnell schilderte er, was geschehen war, doch es verging geraume Zeit, bis er sie zur Unglücksstelle geführt hatte. Dort sah er mit an, wie die Männer Robbie und die anderen aus dem Graben holten.

Athdar fühlte sich schrecklich. Bei jedem seiner Freunde, der nach oben geholt wurde, brach es ihm das Herz. Nur einer von ihnen regte sich, und die Stille, die herrschte, während die Männer überprüften, ob noch Leben in den Verunglückten war, brachte ihn fast um. Schließlich machten sie sich völlig niedergeschlagen auf den Weg zur Feste.

Auch wenn die Eltern der toten Jungen von einem verheerenden Unfall redeten, kannte Athdar die Wahrheit. Das Ganze war seine Schuld. Ebenso gut hätte er jeden seiner Freunde persönlich in den Graben stoßen können. In gewisser Weise hatte er das ja auch getan, indem er ihren Stolz infrage gestellt und sie zu einer Mutprobe getrieben hatte, die ihnen zum Verhängnis geworden war. Und als er sie anschließend vielleicht noch hätte retten können, hatte er sich verirrt und kostbare Stunden verloren, die möglicherweise entscheidend über Leben und Tod gewesen waren.

Auch wenn niemand anklagend mit dem Finger auf ihn zeigte, entgingen ihm nicht die misstrauischen Blicke, als drei seiner Freunde beerdigt wurden. Er hörte die getuschelten Zweifel an seiner Unschuld, und am liebsten hätte er seine Schuld laut hinausgeschrien. Doch seine Eltern versuchten ihn davon zu überzeugen, dass er nichts dafür konnte und dass es sich nicht so zugetragen hatte, wie er behauptete. Es war ein schrecklicher Unfall, an dem niemand etwas ändern konnte. Mit der Zeit würde die Erinnerung daran verblassen.

Und so kam es dann auch. Niemand verlor je wieder ein Wort darüber, weil sein Vater, der Laird, es verboten hatte. Niemand sprach von den Kindern, die gestorben waren, oder von Robbies Eltern, die aus dem Dorf weggezogen waren. Es redete auch niemand über die Verletzungen, die der überlebende Junge erlitten hatte. Niemand stellte zu beharrliche Fragen, und Athdar selbst wurde dazu angehalten, nicht darüber nachzudenken. Mit der Zeit verblassten die Erinnerungen an das Unglück und an seine Freunde, und innerhalb weniger Jahre war dieser Teil seiner Vergangenheit völlig verstummt.

Ein Teil, an den er sich nicht länger erinnerte.

Aber jemand erinnerte sich noch daran.

Jemand trauerte um die Toten und suchte Trost in jener Art von Wahnsinn, der von unerträglichem Schmerz ausgelöst wurde.

Und dieser Jemand beschloss, denjenigen zur Rechenschaft zu ziehen, der dafür verantwortlich war, auch wenn der sich längst nicht mehr daran erinnerte.

1. KAPITEL

Lairig Dubh, Schottland, im Jahre 1375

Sieh doch! Sieh doch! Da ist er!“

Das aufgeregte Flüstern ließ Isobel hellhörig werden. Ihre Freundin Cora nahm kaum einmal von einem Mann Notiz, also musste es sich wohl um jemand Besonderen handeln. Sie drehte sich um und entdeckte Athdar MacCallum, den Bruder von Jocelyn, der Ehefrau des Lairds. So zielstrebig, wie er in Richtung Bergfried ging, ohne nach links oder rechts zu schauen, machte klar, dass er etwas mit Connor MacLerie, dem Laird, zu besprechen hatte und er sich durch nichts und niemanden davon abbringen lassen würde. Dennoch bot dieser Mann einen aufregenden Anblick.

„Er reist bald ab und kehrt nach Hause zurück“, sagte sie und erklärte auf Coras fragenden Blick hin: „Mein Vater hat es heute Morgen erwähnt.“

„Wird er zum Nachtmahl noch hier sein?“, fragte Cora.

Isobel hielt sich zurück, ihre Begeisterung und ihr Interesse an Athdar zu zeigen, denn wenn ihr Vater davon erfuhr, würde sie Probleme bekommen. Normalerweise genügte es bereits, den Namen zu erwähnen, dann reagierte ihr Vater sofort äußerst missmutig – und niemand wollte den Missmut des großen Kriegers Rurik hervorrufen.

Denn Rurik, der halb nordische, halb schottische außereheliche Sohn des Earl of Orkney hatte nicht viel Geduld mit Dummköpfen, und irgendwann, noch lange vor ihrer Geburt, das wusste Isobel, hatte Athdar etwas sehr Dummes gemacht, das ihr Vater ihm nicht verzeihen konnte. Dabei kümmerte es ihn nicht, dass Athdar damals noch ein ungestümer kleiner Junge gewesen war, und es spielte auch keine Rolle, dass als Folge dieser Dummheit Jocelyn MacCallum nach Lairig Dubh gekommen und die Ehefrau des Lairds geworden war. Für ihren Vater zählte nur, dass es Athdar seinerzeit an Charakter gemangelt hatte, und dass das jetzt wohl immer noch so war. Isobel drehte sich zu Cora um.

„Ich weiß nicht, ob er heute Abend noch hier sein wird, Cora. Ich halte nicht nach, wann er kommt und wann er geht.“

Auch wenn sie das machen würde, wenn sie es könnte.

In den letzten Jahren hatte sie mit angesehen, wie ihre vielen Cousins und Cousinen verheiratet wurden, und seit sie selbst nun ebenfalls im heiratsfähigen Alter war, hatte sich Athdar als der einzige Mann erwiesen, der ihr Interesse weckte. Natürlich hatte das nichts zu tun mit seinem muskulösen Körper oder den eindringlich blickenden braunen Augen oder dem langen braunen Haar, das sein markantes Gesicht umrahmte. Hitze stieg ihr in die Wangen, als sie sich seine maskuline Gestalt vorstellte. Schnell tupfte sie ein paar Schweißperlen von ihrer Stirn ab, und ihr wurde klar, dass sie viel zu sehr auf seine körperlichen Vorzüge konzentriert gewesen war.

Aber die waren es nicht allein, was sie an ihm faszinierte. Ihr gefiel seine respektvolle Art, wenn er so mit ihr redete, als sei es für ihn normal, dass eine Frau einen Verstand besaß. Und er machte im Gegensatz zu anderen Männern keinen Bogen um sie. Er war stark und selbstbewusst. Jemanden zu haben, der sich gegen ihren Vater behaupten konnte, wäre sicher nicht verkehrt. Dem Laird zufolge war Athdar ein gerechter, kluger Mann, und seine Schwester Jocelyn bescheinigte ihm Mitgefühl mit anderen.

Isobel konnte ihm eine durchdringende Traurigkeit anmerken, die etwas tief in ihrer eigenen Seele ansprach und ihr sagte, dass sie diejenige sein musste, die ihm Trost spendete. Diese Traurigkeit sprach sie an, während manch andere Frau davor zurückgeschreckt wäre. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie wieder in seine Richtung sah.

Cora entging diese Reaktion nicht, und sie lächelte wissend. „Ich glaube, er ist dir nicht so gleichgültig, wie du mich glauben lassen willst, Isobel.“

„Warum sollte ich kein Interesse an ihm haben? Er ist über meinen Vater mit mir verwandt“, wich sie aus und hoffte, Cora würde das Thema nicht weiter verfolgen. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem Kleid ab und strich sich die Haare zurück. „Komm, wir müssen vor dem Nachtmahl noch Arbeiten erledigen, ganz gleich, ob Athdar dabei sein wird oder nicht.“

Das war knapp gewesen. Zum Glück bohrte ihre Freundin nicht nach, während sie mit einigem Abstand zu Athdar den Burghof in Richtung des Bergfrieds überquerten. Der Gedanke, beim Spätmahl mit ihm reden zu können, ließ ihr Herz so rasen, dass sie versuchen musste, es wieder zu bändigen. Und fast wäre es ihr auch gelungen, hätte in diesem Moment nicht jemand hinter ihnen seinen Namen gerufen. Athdar blieb stehen und drehte sich um. Isobel spürte förmlich den intensiven Blick seiner braunen Augen, obwohl sie noch ein Stück weit von ihm entfernt war.

Jegliche Hoffnung, sich ihm gegenüber so zu verhalten, als wäre seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber etwas Alltägliches, schwand auf der Stelle, da er ihr zuzwinkerte und sie anlächelte. Wie erstarrt blieb sie stehen und versuchte, ruhig zu atmen. Obwohl ihr Hitze in die Wangen stieg, zwang Isobel sich, Athdar anzusehen und das Lächeln zu erwidern. Doch noch während sie überlegte, was sie zu ihm sagen könnte, eilte Ranald an ihr vorbei und stellte sich vor sie.

„Ich bin auf dem Übungsgelände, Dar“, rief der Krieger ihm zu. „Komm rüber, wenn du beim Laird fertig bist.“

Athdar nickte, dann ging er weiter Richtung Bergfried.

Ranald wandte sich um, grüßte sie und Cora und kehrte zum Übungsgelände zurück.

Amüsiert stellte Isobel fest, dass Coras Blick ihm Schritt für Schritt folgte. Schließlich räusperte sie sich laut, und die Freundin wandte sich ihr zu. Deren rote Wangen mussten ihre eigenen widerspiegeln, da ihr Gesicht immer noch glühte. Isobel gab Cora ein Zeichen, weiterzugehen. Auf deren unübersehbares Interesse an Ranald kam sie nicht zu sprechen.

Als sie den Bergfried betraten, beschloss Isobel, später unter einem Vorwand zum Übungsplatz zu gehen und den beiden Männern bei den Trainingskämpfen zuzusehen. Ganz sicher würde Cora sie dann begleiten wollen.

Athdar fluchte stumm, als er vor den beiden jungen Frauen zum Bergfried ging, wo sein Schwager, der Laird, ihn erwartete. Er musste sich mit Connor und einigen von dessen Beratern zusammensetzen, um Änderungen an ihren Plänen zu besprechen. Während er im Vorbeigehen jedem zunickte, den er kannte, ärgerte er sich über seine Dummheit. Es musste ihm wirklich an Verstand fehlen, wenn er Isobel in der Gegenwart anderer Leute zulächelte.

Oder ihr sogar zuzwinkerte …

Isobel war Ruriks Tochter. Und wenn Rurik davon erfährt, dass ich ihr zugelächelt habe, wird er mir den Kopf abreißen … oder andere Körperteile, dachte Athdar. Der Mann hatte ihm schon einmal mit dem Tod gedroht, und das sollte ihm kein zweites Mal widerfahren. Nicht einmal für die reizende Isobel.

Verdammt, sie war aber auch eine Schönheit! Er hatte sie vom schlaksigen Mädchen zu dieser selbstbewussten und intelligenten jungen Frau heranwachsen sehen. Ihre Eltern hatten dafür gesorgt, dass sie genauso Unterricht erhielt wie die meisten engeren Angehörigen der MacLeries. Und so wie viele von den anderen Mädchen und Frauen aus dem Clan war sie dazu angehalten worden, ihren Verstand zu benutzen und ihre Meinung zu sagen. Er wusste, das war äußerst ungewöhnlich, doch in der Feste und im Dorf seines Schwagers schienen diese Dinge alle völlig normal zu sein.

Athdar suchte das Gemach auf, das Connor als Arbeitsraum benutzte, und traf ihn und einige andere Leute an, die er kannte. Bevor sie ihre Unterredung begannen, schweiften seine Gedanken ab zu einem herzförmigen Gesicht mit fröhlich dreinblickenden blaugrünen Augen, eingerahmt von hellblonden Locken. Und erst diese vollen rosigen Lippen, die ihn zum Wahnsinn treiben konnten. Sein Körper folgte diesen Gedanken und reagierte so überraschend und stark, dass Athdar auf seinem Stuhl umherrutschte und die Aufmerksamkeit des Lairds auf sich lenkte.

„Geht es dir gut?“, fragte Connor und bot ihm einen Becher Wein an.

„Ja, es geht mir gut“, antwortete er und trank einen Schluck, damit er sich auf die Unterredung konzentrieren konnte, aber nicht auf die reizende und doch verbotene Isobel. „Wie sieht es mit den Vorbereitungen für den Winter aus?“

Sosehr er sich auch bemühte, Connors Ausführungen zu folgen, musste er doch bald schon wieder an Isobel denken.

Und an die Aussichtslosigkeit, sie jemals zu der Seinen machen zu können.

Als er sich umsah und feststellte, dass fast alle Anwesenden glücklich verheiratet waren, ging ihm wie so oft ein Stich durchs Herz. Glücklich könnte er wohl sein, aber heiraten würde er nicht noch einmal.

Das traurige Ende seiner beiden vorangegangenen Ehen und der Verlobung hatte ihm die Entscheidung abgenommen, nie wieder eine Frau den Gefahren auszusetzen, die eine Heirat mit ihm bedeutete.

Vor allem nicht die reizende Isobel.

Die Tragödien seiner Vergangenheit mochten ihn Tag und Nacht verfolgen, doch er würde nicht das Leben einer so kostbaren und vor Leben sprühenden Frau auf die Gefahr hin riskieren, dass er wahrhaftig verflucht war.

Mancher würde lachen und ihn zum Narren erklären. Menschen starben. Frauen starben, besonders häufig sogar bei der Geburt eines Kindes. Doch dann würden sie sich daran erinnern, dass zwei Gattinnen zu Tode gekommen waren, eine Verlobte einen Unfall erlitten hatte und zwei potentielle Ehefrauen Reißaus genommen hatten vor dem Schicksal, das ihnen drohte, sollten ihre Väter der Heirat zustimmen.

So sehr er sich auch wünschte, eine Ehefrau zu finden und eine Familie zu gründen, war ihm dennoch klar, dass das Schicksal gegen ihn war. Er stand auf und ging zum Fenster, von wo aus er Connors Erklärungen folgte und seine Fragen beantwortete.

Als hätten seine Gedanken sie beschworen, entdeckte er Ruriks Tochter, die soeben den Hof in Richtung des Übungsplatzes überquerte. Sie und ihre Freundin unterhielten sich angeregt, lachten und beobachteten die Männer, die den Umgang mit dem Schwert und anderen Waffen übten. Athdar trank seinen Becher aus und stellte ihn auf einem Tablett ab.

„Ich werde dein Angebot annehmen und für ein paar Tage bleiben, Connor.“ Ohne sich um die fragenden Blicke der Anwesenden zu kümmern, ging er zur Tür. „Ich muss mit meinen Leuten reden, welche Vorräte wir benötigen.“

„Deine Schwester ist im Wohngemach, Dar“, sagte Connor.

„Sie werde ich später aufsuchen.“ Er hob den Riegel an und zog die Tür auf. „Ich bin bald zurück.“

Als hätten seine Füße ein Eigenleben entwickelt, machten sie sich mit ihm auf den Weg, noch bevor er sich sein sonderbares Benehmen erklären konnte. Es war, als hätte jemand ein Seil um ihn gelegt, um ihn mitzuziehen, mit zu … ihr. Noch gerade rechtzeitig merkte er, dass er mit seinem Verhalten sein Wohl und ihres in Gefahr brachte. Er wurde langsamer und beschloss, seine Kräfte mit Ranalds zu messen.

Ein ordentlicher Schlagabtausch würde ihm schon diese verrückten Ideen austreiben. Dann würde er sich vor Augen führen können, wieso er eigentlich hergekommen war … und wieso er jeden Gedanken an eine Heirat so schnell wie möglich unterdrückte.

Wahrscheinlich hätte sein Plan funktioniert, wäre da nicht Isobel gewesen, die nach Luft ringend seinen Namen ausstieß, als er nach dem einen gezielten Haken von Ranalds Faust mit dem Gesicht voran im Staub landete. Wie sollte es ihm gelingen, diese Frau jemals zu ignorieren, wenn er sie mit Leib und Seele für sich beanspruchen wollte?

„Rurik erwägt, sie anderweitig zu verheiraten.“

Connor trat näher und sah sich an, was sich unter ihnen auf dem Hof abspielte. Dies war sein Lieblingsplatz: auf der Brustwehr hinter seiner geliebten Jocelyn stehend. Er beugte sich ein wenig vor, legte ihr die Hände an die Hüften und atmete den Duft ihrer Haare ein. Die bloße Nähe zu ihr erregte ihn, und er musste den Kopf schütteln, da er nicht fassen konnte, dass sie auch nach ihrer langen Ehe für ihn immer noch die Versuchung in Person war.

„Hat er endlich eingesehen, dass sie im heiratsfähigen Alter ist?“, fragte Jocelyn und drehte sich in seinen Armen zu ihm um. „Er hat sich ja lange genug dagegen gesträubt.“

„Zwei Anträge liegen ihm seit Kurzem vor. Wir haben ausführlich darüber geredet, und er musste schließlich zugeben, dass die Zeit gekommen ist.“

„Und du unterstützt diese Anträge?“, wollte sie wissen. Etwas schwang in ihrer Stimme mit. Argwohn? Sarkasmus?

Connor lachte. „Dann hat das Spiel begonnen, Weib?“ Er küsste sie und sah das schelmische Funkeln in ihren Augen. „Tatsächlich, es hat begonnen.“

Er ließ sie los und schaute seitlich über das Brustwehr nach unten auf den Übungsplatz in einer Ecke des großen Burghofs. Ihr Bruder hatte sich von der Besprechung zurückgezogen und kämpfte jetzt von einer begeisterten, johlenden Menge umgeben gegen Ranald, einen der jüngeren Krieger. Sogar auf diese Entfernung konnte Connor an Dars Kampfstil erkennen, dass er nicht bei der Sache war. Und wenn er sich nicht irrte, wusste er auch, wer der Grund dafür war.

„Er hat von ihr Notiz genommen.“ Er spürte, wie Jocelyn sich verkrampfte, und wartete nur auf ihren Widerspruch. „Rurik wird das nicht erfreuen.“

„Athdar hat geschworen, nie wieder zu heiraten“, flüsterte Jocelyn ihm zu, während sie mit ansehen mussten, wie ihrem Bruder die Kontrolle über den Kampf entglitt. „Er trägt so viel Schmerz in sich.“

Connor schwieg, da er wusste, es hätte genauso gut eine Schilderung seiner eigenen Geschichte sein können – der Schmerz, die Weigerung zu heiraten, das Unvermögen, doch noch auf die Liebe hoffen zu können. Einzig die Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte sein Herz und seine Seele vor der ewigen Finsternis bewahren können. „Rurik hofft, dass sie einen anderen erhören wird, und dabei ist Dars Name nicht einmal gefallen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass Rurik irgendeinen Groll so beharrlich hegen würde“, sagte Jocelyn und sah ihn forschend an. „Das ist alles so lange her, und Athdar war doch noch so jung. Außerdem war es nur eine Beleidigung, aber kein Angriff.“

„Du hast dich bislang nicht in Dars Angelegenheiten eingemischt. Warum willst du dir jetzt diese Mühe machen?“, fragte er, während er insgeheim überlegte, ob die beiden womöglich ihre nächste Herausforderung darstellten, zwei Menschen zu verkuppeln.

„Ich hatte kein Recht dazu, Connor. Und das hatte ich so hingenommen“, antwortete sie betrübt.

„Hatte?“ Das hörte sich nicht gut an.

„Bei Zusammenkünften sehe ich seinen sehnsüchtigen Blick. Er will das, was wir haben. Eine Ehefrau, Kinder, eine Familie. Er will Liebe. Aber er fürchtet sich davor, es noch einmal zu wagen.“

„Vielleicht solltest du ihm dann auch die Entscheidung überlassen.“ Es konnte nicht schaden, seiner geliebten Ehefrau einen leichten Schubs in die richtige Richtung zu geben. „Er ist jetzt der Anführer, er trägt Verantwortung. Ich glaube, es würde ihm nicht gefallen, wenn er wüsste, dass du etwas über seinen Kopf hinweg planst.“ Er konnte nur noch hoffen, dass seine Worte genügten, um sie davon abzuhalten, diese gegenseitige Anziehung zwischen Dar und Isobel zu festigen. „Ich habe noch zu tun. Sehen wir uns an der Tafel?“

Sie lächelte beschwichtigt, doch tief in seiner Seele wusste er, sie würde eine mögliche Heirat zwischen ihrem Bruder und Ruriks Tochter nicht sich selbst überlassen. Und er wusste auch, sie würden es alle bereuen, wenn sie Anstrengungen in dieser Richtung unternahm. Im Moment fehlte ihm die Zeit, um ihr das Risiko klarzumachen, das damit verbunden war, aber das würde er später nachholen. Noch heute Nacht. In ihrem Bett.

„Bis dahin“, sagte sie leise, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

Sein Blick haftete am verführerischen Schwung ihrer Hüften, als sie wegging. Dabei fiel ihm auf, dass sie ihm mit keinem Wort versprochen hatte, sich nicht als Kupplerin zu betätigen. Einmal mehr war er dem Verlangen nach seiner Ehefrau erlegen und hatte sich überlisten lassen. Leise fluchend ging er in die entgegengesetzte Richtung weg. Er musste mit Rurik reden.

Oder vielleicht doch nicht.

Denn einmal in Rage gebracht, war der Befehlshaber all seiner Truppen sogar für ihn eine Herausforderung. Vielleicht werde ich mich diesmal einfach zurückhalten und nur zusehen, wie sich die Dinge entwickeln, überlegte Connor.

Von den Gedanken erfüllt, welche Verlockungen ihn heute Nacht in seinem Schlafgemach erwarteten, machte er sich auf den Weg, um jemanden zu finden, der mit ihm kämpfen würde. Es war eine gute Methode, um einen klaren Kopf zu bekommen und den Verstand zu schärfen. Den würde er dringend nötig haben, sollte seine Frau sich für einen Ehekandidaten für Isobel entschieden haben.

Nach dem überlegenen Gesichtsausdruck zu urteilen, unmittelbar bevor Jocelyn sich weggedreht hatte, würde aber womöglich sein scharfer Verstand nicht ausreichen, um diesen Kampf zu gewinnen.

2. KAPITEL

Da er ein Familienmitglied und kein Besucher mit einer offiziellen Mission war, überraschte es Athdar nicht, dass es beim Nachtmahl zwanglos zuging. Er hatte oft hier in Connors großem Saal gespeist, und meistens war es dabei abgelaufen wie auch jetzt. Familie, Freunde, Dorfbewohner und jeder, der eine Mahlzeit benötigte, saßen beim Essen zusammen und unterhielten sich, wobei manche von Tisch zu Tisch zogen, um mit anderen Gästen zu reden.

Wie so oft wanderte sein Blick zu Connor, der seit gut zwanzig Jahren sein Schwager war. In vielem war Connor sein Mentor, in manch anderer Hinsicht seine Nemesis, dennoch störte er sich weder an seiner Anwesenheit noch an seinen Ansichten. Wenn Athdar beobachtete, wie das Gesicht dieses Mannes einen sanftmütigen Ausdruck annahm, sobald er seine Kinder oder seine Frau ansah, dann durchströmten ihn die widersprüchlichsten Gefühle: Neid, Eifersucht und Bewunderung. Dass der furchtlose und gefürchtete Connor MacLerie, Earl of Douran, ein weiches Herz hatte, weckte in ihm einmal mehr den Wunsch, er hätte das, was sein Schwager hatte.

Er trank einen Schluck und nickte Bekannten zu, die an seinem Tisch vorbeikamen und ihn grüßten. Als er seinen Blick weiter durch den Saal schweifen ließ, entdeckte er Rurik, der mit Frau und Kindern an einer der langen Tafeln saß. Sein Sohn, der einige Jahre jünger war als Isobel, würde schon bald so Respekt einflößend sein wie der Vater. Größe und Statur ließen das nordische Erbe deutlich erkennen. Plötzlich lachte Isobel, und Athdar erschauerte. Als sie den Kopf hob, begegneten sich ihre Blicke.

Er wusste, er sollte wegsehen. Sie war zu jung für ihn. Sie war zu unschuldig für all die Schrecken, die er erlebt hatte. Für den Moment gelang es ihm, das Unschuldige und Unverbrauchte zu genießen, das in ihren Augen zu erkennen war, und nicht an sein brennendes Verlangen zu denken. Doch dann erschien seine Schwester und brach den Bann.

„Athdar“, sagte Jocelyn und setzte sich zu ihm auf die Bank. „Wann wirst du nach Hause zurückkehren?“

Ihre Worte ließen ihn auflachen. Hätte er sie nicht so gut gekannt, wäre er davon überzeugt gewesen, die angebotene Gastfreundschaft über Gebühr strapaziert zu haben. „Ich gehe davon aus, dass wir am Morgen aufbrechen werden“, antwortete er. „Ich habe mit deinem Ehemann alles besprochen, was besprochen werden musste.“

Sie beugte sich vor und nahm sich etwas von seinem Teller. „Ich habe überlegt …“, begann sie, schob das Stück Fleisch in den Mund und begann zu kauen.

Wenn Jocelyn sich etwas überlegte, bedeutete das für ihn meistens Ärger. Das war schon in seiner Kindheit so gewesen, und daran hatte sich bis jetzt kaum etwas geändert. „Das ist nicht gut für dich, Joss“, sagte er. „Connor sollte dir das Überlegen ausreden.“

Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Manchmal bist du so ein Dummkopf. Ist ja kein Wunder, dass du …“ Sie verstummte. Anscheinend war ihr klar geworden, dass jede scherzhafte Bemerkung über seine Ehen ein Schlag ins Gesicht sein würde. Doch das Mitleid, das den Schalk in ihrem Blick verdrängte, schmerzte mehr als die unschönen Erinnerungen. „Dar …“ Sie wollte nach seiner Hand fassen, aber er zog sie schnell zurück.

„Und was hast du dir überlegt?“, fragte er in der Hoffnung, dass sie sich jede weitere Bemerkung verkneifen und zum ursprünglichen Thema zurückkehren würde.

„Wird das dein letzter Besuch bis zum Ende des Jahres sein? Ich weiß, du hast mit Connor über die Lieferung von Vorräten gesprochen, aber ich habe keine Ahnung, ob das auch heißt, dass du bis zum Frühjahr nicht mehr reisen wirst.“

„Connor hat mich auf einen weiteren Besuch eingeladen, und diese Einladung werde ich wahrnehmen, solange noch gutes Wetter herrscht.“

„Solange noch gutes Wetter herrscht …“, wiederholte sie leise, wandte den Kopf von ihm ab und schwieg einen Moment. „Gut“, sagte sie dann. „Ich freue mich immer, dich zu sehen.“

Er war sich sicher, dass sie noch etwas sagen wollte, doch Connor kam dazwischen, weil er sie zu sich rief. Nachdem sie aufgestanden und zwei Schritte weit gegangen war, drehte sie sich nochmals zu ihm um. „Hat er erwähnt, dass er … dir helfen will … ein Arrangement zu finden?“

Athdar wusste, was sie meinte. In diplomatische Worte gehüllt, hatte Connor sich angeboten, für ihn einen Heiratsvertrag zu vermitteln. Das hatte er schon für andere Verwandte und Verbündete getan, daher war es kein ungewöhnliches Angebot, aber Athdar wollte diese Form der Hilfe nicht.

„Ja, das hat er, Joss, und ich habe dankend abgelehnt.“

„Aber du brauchst …“

„Halt dich da raus!“, unterbrach er sie ungehalten und war offenbar viel lauter geworden als beabsichtigt, da alle im Saal verstummten und sich zu ihm umdrehten.

Connor eingeschlossen.

Und auch Isobel. Verdammt, warum musste ihm das bloß auffallen?

Und Isobels Vater.

Rurik, der seit langer Zeit loyal zu Jocelyn stand, würde nicht tatenlos zusehen, wie sie beleidigt wurde. Der Befehlshaber aller MacLerie-Krieger war bereits aufgestanden und kam zu ihm, doch Connor ging dazwischen und schickte ihn zurück.

„Jocelyn?“, fragte er und hielt seiner Frau die Hand hin.

„Ich mische mich wieder einmal ein, nachdem du, mein Gemahl, mich davor gewarnt hast“, sagte sie und lächelte ihn an. „Diesmal war mein Bruder das Ziel, der meine Einmischung gar nicht wünscht.“

Wie üblich versuchte sie, den Zorn anderer von ihm auf sich zu lenken. Das hatte sie schon als Kind gemacht, und das war auch jetzt noch so, obwohl sie in einer Position war, in der sie das nicht tun musste. Dieses Verhalten hatte vor langer Zeit ihrer beider Leben in unumkehrbarer Weise verändert.

„Verzeih mir meinen Tonfall, Jocelyn“, sagte Athdar laut genug, um von allen gehört zu werden. Immerhin war er nur ein Gast und sie die Gattin des Lairds. Jocelyns Reaktion ließ die Anspannung im Nu verfliegen, da sie sich ihm an den Hals warf und ihn fest an sich drückte. Er gestattete sich einen Moment der Schwäche, dann löste er sich aus ihrer Umarmung.

„Ich möchte mich jetzt von dir verabschieden, Schwester“, sagte er und nickte seinem Schwager zu. „Ich breche beim ersten Tageslicht auf und möchte so früh niemanden aus dem Schlaf holen.“

Connor gab ihm die Hand und kehrte zu seinem Platz zurück. Ringsum setzten die anderen Gäste ihre Gespräche fort, als wäre nichts geschehen. Athdar trank sein Ale aus und begab sich zu seiner Schlafkammer. Dabei wurde ihm einmal mehr deutlich, wie einsam er doch war.

Ganz gleich, was er zu seiner Schwester gesagt hatte, ihm gefiel dieser Zustand nicht. Doch die Gefahren, die damit verbunden waren, etwas an diesem Zustand zu ändern, wogen schwerer als sein eigenes Verlangen. Nach dem Tod von zwei Ehefrauen und einer Verlobten würde er keine Frau mehr dem Risiko aussetzen, mit ihm liiert zu sein.

Isobel hatte von ihrem Platz an der Tafel aus beobachten können, wie Athdar mit Lady Jocelyn gesprochen hatte. Und ihr waren auch nicht seine schroffen Worte entgangen, die die Burgherrin kreidebleich hatten werden lassen. Während Totenstille eingetreten war, waren ihr Vater und der Laird besorgt zu ihr gelaufen.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Lady vor Athdar beschützt werden musste. Immerhin war der Mann ihr Bruder. Aber dann hatten sich die Gemüter wieder beruhigt, ihr Vater und der Laird waren an ihre Plätze zurückgekehrt, Athdar hatte den Saal verlassen – und ihr war klar gewesen, dass sie ihn bei diesem Besuch nicht mehr wiedersehen würde. Und genauso wusste sie, dass er immer diesen traurigen Blick haben würde. Und das konnte sie einfach nicht zulassen. Sie musste etwas unternehmen.

Nachdem sie mit ihrer Familie in ihr Cottage mitten im Dorf zurückgekehrt war, begab sich Isobel zu Bett und versuchte vergebens einzuschlafen. Dabei wurde ihr klar, dass sie Athdar nur helfen konnte, wenn sie ihre Mutter auf ihrer Seite hatte, denn auf sie würde ihr Vater hören. Und auch die Unterstützung von Lady Jocelyn wäre von Vorteil. Im Verlauf der nächsten Stunden legte sie sich einen Plan nach dem anderen zurecht, bis sie durch das kleine Fenster ihrer Schlafkammer sehen konnte, dass der Morgen anbrach.

Rasch zog sie sich an und schlich sich aus dem Cottage, um ja niemanden zu wecken. Wenn das Glück auf ihrer Seite war, würde sie zurück in ihrem Bett sein, bevor jemand ihr Verschwinden bemerken konnte. Einige Dorfbewohner gingen bereits ihrem Tagwerk nach, im Vorbeigehen nickte sie ihnen zu. Auch wenn sie selbst nicht so genau wusste, wieso sie jetzt mit Athdar reden wollte, beschloss sie, es einfach auf sich zukommen zu lassen, und ging weiter in Richtung der Feste und auf das Haupttor zu.

Sie wickelte ihr Schultertuch eng um sich, um die morgendliche Kälte abzuwehren. Ein knirschendes Geräusch verriet ihr, dass das zweiflügelige Tor in der Burgmauer geöffnet wurde. Sie hob den Kopf und erblickte eine kleine Gruppe Berittener, die auf sie zukam. Der Reiter an der Spitze gab den anderen ein Zeichen und brachte sein Pferd vor ihr zum Stehen.

„Es ist noch etwas früh am Morgen, um schon unterwegs zu sein, Mädchen“, sagte Athdar in gedämpftem Tonfall. „Weiß Euer Vater, dass Ihr allein unterwegs seid?“ Seine Stimme klang etwas rau und ließ ihr aus unerfindlichen Gründen einen Schauer über den Rücken laufen. Seine tadelnde Äußerung versuchte sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.

„Ich … äh … habe Lady Jocelyn etwas zu überbringen, wenn … äh … Ihr das unbedingt wissen müsst“, stotterte sie. Sie wandte sich ab und ging um sein Pferd herum, da seine Nähe sie verwirrte.

Was machte er bloß mit ihr?

Ihre von ihren Eltern so gelobte selbstbewusste Art ließ sie im Stich und gab ihr das Gefühl, in seiner Gegenwart nichts weiter als ein dummes Kind zu sein. Mit jedem im MacLerie-Clan und mit praktisch jedem Besucher der Feste konnte sie eine intelligente Unterhaltung führen. Doch sein Anblick, wie Athdar gebieterisch hoch zu Ross saß, hatte ihr anscheinend vorübergehend den Verstand verwirrt, sodass sie nicht vernünftig mit ihm sprechen konnte. Heiße Röte war ihr in die Wangen gestiegen.

Er wendete sein Pferd und sah sie an. „Ich möchte Euch nicht von Euren Pflichten gegenüber meiner Schwester abhalten.“

Als er ihr zunickte und sie anlächelte, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.

„Geht jetzt, Mädchen, ich werde warten, bis Ihr hineingegangen seid“, forderte er sie auf.

Wie fürsorglich von ihm, dachte Isobel. Er wollte nicht, dass sie in Gefahr geriet.

„Eine sichere Reise, Laird MacCallum.“

„Mein Name ist Athdar, Mädchen.“

So hatte sie ihn noch nie angesprochen, immerhin war er älter als sie und stand im Rang über ihr. Dennoch …

„Dann wünsche ich Euch eine sichere Reise, Athdar“, sagte sie und nickte.

Er verzog den Mund zu einem Lächeln, mit dem sich sein ganzes Erscheinungsbild veränderte. Das Unheilvolle wich von ihm, an seine Stelle trat ein Ausdruck, der etwas Verruchtes an sich hatte und ihn noch attraktiver wirken ließ. Ihr stockte der Atem, und sie suchte krampfhaft nach der kühnen Art, die ihrem Vater die Sorgenfalten ins Gesicht getrieben hätte. „Und mein Name ist Isobel“, rief sie ihm keck zu.

Dass er ihre Worte mit einem Lachen quittierte, verschaffte ihr ein Gefühl der Befriedigung. „Ich wünsche Euch einen guten Tag, Isobel!“, erwiderte er und wendete erneut sein Pferd, trieb es an, um zu seinen Männern aufzuholen, die bereits vorausgeritten waren.

Isobel ging eilig in Richtung Tor und grüßte die Wachen, die dort ihren Dienst verrichteten. Bei jedem Schritt musste sie sich mit aller Macht zwingen, sich nicht nach Athdar umzudrehen. Obwohl sie keine bestimmte Nachricht für Lady Jocelyn hatte, beschloss sie, sie dennoch aufzusuchen und ihren Feldzug zur Eroberung von Athdar in Angriff zu nehmen.

3. KAPITEL

Die MacCallum-Feste, zwei Monate später

Athdar ritt durch das Tor der Feste und rief seine Männer zu sich, während er sich den Stallungen näherte. Zwei Tage hatte er damit verbracht, seine Ländereien zu inspizieren, das Ende der Ernte und die Einlagerung des Getreides für den kommenden Winter zu überwachen. Auch wenn er schon viele Jahreszeitenwechsel erlebt hatte, kam ihm dieser dennoch anders vor. Irgendetwas lag in der Luft. Er fragte sich, ob Schnee und Stürme früher als üblich die Bergpässe überwinden würden.

„Laird.“

Athdar sprang aus dem Sattel, drehte sich um und sah, dass sein Steward zu ihm kam. „Broc“, sagte er und wartete, bis der Mann bei ihm angekommen war. „Die Vorbereitungen laufen ganz nach Plan, so wie du es gesagt hast.“

„Wird dies dann ein ruhiger Winter werden?“, erklang plötzlich die Stimme von Padruig MacCallum.

Sein Clans-Mann hatte die Angewohnheit, sich an andere Leute heranzuschleichen. Er hatte es sich antrainiert, so leichtfüßig zu gehen, dass man ihn nicht hören konnte. In Gefahrensituationen war das schon oft von Nutzen gewesen, aber mitunter ging es Athdar höllisch auf den Geist, wenn Padruig wie aus dem Nichts auftauchte.

„Der MacLerie hat seine Kontrolle und seinen Einfluss im gesamten Südwesten Schottlands gefestigt, da der König sich nicht rührt. Er sieht keinen Anlass für Feindseligkeiten, jedenfalls noch nicht“, berichtete Athdar.

Die Mienen der beiden Männer verrieten ihm nicht, ob diese Neuigkeiten sie erfreuten oder betrübten. So wie jeder Krieger hatte er nichts gegen einen guten Kampf einzuwenden. Doch seit er für den Clan und dessen Wohlergehen verantwortlich war und da die Vorräte gesichert waren, fand er, dass ein ruhiger Winter seinen Reiz hatte. Jedenfalls konnte er das sich selbst gegenüber eingestehen.

„Welche Neuigkeiten hast du noch für mich, Padruig? Was machen die Kampfübungen? Hat dein Sohn den Schwertkampf inzwischen gemeistert?“

Um das Gesprächsthema zu wechseln, war es immer sehr hilfreich, seinen Freund auf dessen Sohn anzusprechen. Padruig war in den Jungen, der längst fast ein Mann war, völlig vernarrt und lobte dessen Begabungen über alles. Als Athdar sah, wie sich die sonst eher mürrische Miene des Mannes aufhellte, wusste er, welche Richtung die Unterhaltung von nun an nehmen würde. Innerlich machte er sich bereits auf die Tortur gefasst, die er sich selbst eingebrockt hatte.

Es kam so wie erwartet.

Broc machte sich umgehend aus dem Staub, um den Lobeshymnen auf den jungen Mann zu entgehen. Athdar hätte zu gern das Gleiche gemacht. Mit jeder begeisterten Schilderung aus Padruigs Mund kam es ihm vor, als würde ein weiterer Dolch in sein Herz getrieben, denn er würde niemals einen Sohn haben. Anscheinend verriet seine Miene dem Freund seinen Schmerz, denn er beendete abrupt seine Rede und wechselte das Thema.

„Hat Broc mit dir gesprochen?“

„Wegen des Viehs?“

„Nein, wegen deiner Schwester, Lady MacLerie“, erklärte Padruig.

„Broc!“, rief Athdar dem Steward hinterher, der auf dem Weg zum Bergfried war. Padruig fasste ihn am Arm, um ihn zurückzuhalten.

„Jocelyn ist hierher unterwegs. Ein Vorreiter hat die Nachricht überbracht.“

„Warum kommt sie jetzt her?“, wunderte er sich und befreite sich aus dem Griff seines Freundes. Er winkte einen Stallknecht herbei, übergab ihm seinen Hengst und begann, ebenfalls zum Bergfried zu gehen, um einige Antworten zu erhalten. Er hielt kurz inne. „Schick zwei Männer los, um sie in Empfang zu nehmen.“

„Dar.“ Padruig schnaubte missmutig.

Wenn Jocelyn auf Reisen war, dann war sie mit genügend Vorräten und ausreichend Wachen unterwegs. Anders würde Connor es nicht zulassen. Die Sicherheit seiner Schwester bot also keinen Grund zur Sorge. „Vergiss, was ich gesagt habe.“

Dennoch musste er unbedingt mehr erfahren. Deshalb begab er sich in den Bergfried und suchte seinen Steward. Hatte Broc absichtlich vergessen, ihm von dem anstehenden Besuch zu erzählen? Er fand ihn in einem der Lagerräume neben der Küche.

„Meine Schwester?“, rief er ihm zu, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Ein Problem konnte Jocelyn dazu geführt haben, ihn aufzusuchen, aber das musste nicht der Grund sein. Seine Schwester und ihr Ehemann kamen mehrmals im Jahr her, manchmal um ihn zu besuchen, manchmal auch, weil sie auf dem Weg zu einem anderen Ziel hier vorbeikamen und Rast machten. Was der Anlass für Jocelyns Reise war, wusste er nicht – ganz im Gegensatz zu seinem Steward, der ihm nicht geantwortet hatte.

„Broc!“, rief er so energisch, dass die Dienerschaft in der Küche und im angrenzenden Korridor vor Schreck erstarrte. Endlich straffte sein Steward die Schultern und drehte sich zu ihm um.

Im gleichen Moment kam eine hübsche Magd hinter Broc zum Vorschein. Verdammt, der Mann hatte wirklich ein Händchen dafür, was Frauen anging. Nach dem Lächeln und den geröteten Wangen zu urteilen, musste sie seine neueste Eroberung sein.

„Laird“, sagte sie leise und verließ an Athdar vorbei den Raum.

Broc wartete, bis sie durch den Korridor davongeschlendert war, dann kam er nach vorn an die Tür des Vorratsraums.

„Nicht viel länger und sie wäre ausgezogen gewesen“, stellte Athdar fest. „Mein Gott, Mann, du bist unglaublich schnell. Du hast doch erst vor ein paar Augenblicken den Hof verlassen.“

Sein Steward war schon immer ein Mann gewesen mit mehr Affären, als jeder andere hätte bewältigen können. So hatte er sich schon in jüngeren Jahren verhalten, und es gab keine Anzeichen dafür, dass sich mit zunehmendem Alter daran etwas ändern würde. Broc zuckte amüsiert mit den Schultern und nahm die Bemerkung anscheinend als Kompliment auf, wie Athdar es auch gemeint hatte.

„Meine Schwester ist auf dem Weg hierher?“ Athdar trat in den Korridor.

Broc schloss die Tür hinter sich zu, und gemeinsam begaben sie sich in die Küche. „Aye. Ihr Kurier sagte, dass sie noch einen Tagesritt von hier entfernt sind und morgen gegen Mittag eintreffen werden.“

„Stimmt irgendetwas nicht? Hat sie den Grund für ihren Besuch genannt?“

„Nein, mit keinem Wort. Nur, dass sie mit einer kleinen Gruppe unterwegs ist und etwa eine Woche bleiben wird. Ich habe den Auftrag gegeben, das große Gemach für sie und ihre Begleiterinnen herzurichten.“

Seine Feste war nicht vergleichbar mit der von Connor mit ihren vielen Stockwerken, Schlafkammern und Türmen. Es gab einen großzügigen Raum im Erdgeschoss gleich neben dem Rittersaal, der für Gäste zur Verfügung stand, außerdem vier kleinere Gemächer im ersten Stockwerk, dazu einen Turm für die Wachen. Der Saal und die Küche beanspruchten im Erdgeschoss den meisten Platz, Stallungen und Kapelle befanden sich außerhalb des Bergfrieds. Im Vergleich zur Connors Burg war alles recht bescheiden, aber es war sauber und bequem, und es gehörte ihm.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken, und er fragte sich, was ihm mehr Sorgen bereitete – der drohende Wetterumschwung oder der anstehende Besuch. Es passte nicht zu seiner Schwester, ohne Einladung und ohne frühzeitige Ankündigung herzukommen. Als Lady MacLerie und als Countess of Douran hatte sie so viele Verpflichtungen, dass sie eigentlich nicht aus einer Laune heraus quer durch halb Schottland reisen konnte, um ihn zu besuchen. Er konnte nur hoffen, dass sein Unbehagen kein Vorzeichen für drohendes Unheil war.

Athdar nickte, und Broc entfernte sich, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Dann suchte er selbst den kleinen Raum auf, den er benutzte, um seine Geschäftsbücher und Schriftrollen aufzubewahren. Da sie nicht bedeutend genug waren, um sie von einem Priester führen zu lassen, kümmerte er sich selbst um seine Niederschriften, worauf er auch stolz war. Als er jetzt die Zahlen begutachtete, war er davon überzeugt, dass sie den kommenden Winter gut überstehen würden.

Sein ungutes Gefühl verließ ihn jedoch nicht, auch nicht, während er sich den Tag über um seine ganz normalen Pflichten kümmerte.

Als sich am darauffolgenden Tag seine Vorahnungen noch verstärkten, während er über den Burghof ging, kam er sich vor wie Laria, die alte Heilerin, die auch über hellsichtige Fähigkeiten verfügte. Er musste über sich selbst lachen und fuhr herum, als ihm vom Tor aus zugerufen wurde, dass seine Schwester angekommen war.

Verblüfft riss er beim Anblick von Jocelyns Begleiterin die Augen auf und wusste im selben Moment, dass sein ungutes Gefühl tatsächlich eine Vorwarnung gewesen war. Auf dem Pferd gleich hinter dem seiner Schwester saß die Frau, die ihn in größte Verwirrung zu stürzen vermochte: Isobel Ruriksdottir.

Begeisterung überkam Isobel, als das Tor der Feste und der Bergfried dahinter in Sichtweite kamen. Sie konnte es nicht fassen, dass ihr Plan so reibungslos verlief. Natürlich gab es keine absolute Gewissheit, dass ihre Mutter sich auf ihre Seite stellen oder Lady Jocelyn der Meinung sein würde, sie sei die beste Wahl für die neue Ehefrau ihres Bruders. Noch immer gab es zu viele Dinge, die ihren Plan zum Scheitern bringen konnten. Immerhin war sie hier und würde Athdar noch am heutigen Tage zu Gesicht bekommen.

Als sie durch das Tor ritten, setzte sich Isobel etwas gerader hin und sah sich in der Hoffnung auf dem Hof um, dass er bereits hier unten wartete. Lady Jocelyn hatte ihn erst spät wissen lassen, dass sie hierher unterwegs waren, und dabei kein Wort über den Anlass für diesen Besuch bei ihrem Bruder verlauten lassen.

Tatsächlich hatte die Lady einen Grund, auch wenn man ihn als fadenscheinig bezeichnen mochte. Die Kräuter, die Athdars Heilerin Laria für ihre eigenen Mittel benötigte, waren bei der letzten Lieferung von Vorräten vergessen worden. Diese Kräuter und Pflanzen waren sorgfältig in feuchte Tücher eingeschlagen worden, ganz so, wie ihre Mutter es vorbereitet und angewiesen hatte, und befanden sich nun in ihrem Gepäck. Die Lieferung wurde noch vor Anbruch des Winters gebraucht, also hatte es einen Anlass für diese Reise gegeben – abgesehen von dem Grund, weshalb sie selbst Athdars Feste aufsuchen wollte.

Die Gruppe kam zum Stehen, und Isobel hörte, wie Athdar seine Schwester begrüßte. Da sie sich schräg hinter dem Pferd ihrer Mutter befand, konnte er sie und sie ihn nicht sehen. Mehrere Stallburschen kamen zu ihnen, um sich um die Pferde zu kümmern, einer von ihnen hob sie aus dem Sattel und stellte sie auf dem Boden ab. Mit seiner Hilfe löste sie auch die Riemen ihrer Satteltasche, die sie dann an sich nahm. Ihre Mutter hielt ihr die Hand hin, sie fasste danach, und gemeinsam gingen sie zum Laird, um ihn gebührend zu begrüßen.

„Margriet!“, rief er, als er ihre Mutter entdeckte, dann folgte ein „Isobel“, wobei er ihr in die Augen sah. „Willkommen in meinem Zuhause.“

Ihre Mutter war schon einmal hier gewesen, für sie selbst war das der erste Besuch. Zusammen mit den anderen betrat sie den Bergfried, interessiert sah sie sich dabei alles und jeden an. Jocelyn hatte bis zu ihrer Heirat mit Connor MacLerie hier gelebt. Anscheinend war die Vermählung die Folge von irgendeinem von Athdars jugendlichen Streichen gewesen, wenn sie das richtig verstanden hatte. Sie kannte nur ein paar Einzelheiten dieser Geschichte, aber auf jeden Fall war sie glücklicher ausgegangen, als man damals zu hoffen gewagt hatte.

Der Bergfried war nicht so groß wie der der MacLeries, da er nur über Erdgeschoss und ersten Stock verfügte, zudem gab es lediglich einen Wachtturm. Seit Athdar Laird geworden war, hatte er laut Jocelyn einige Veränderungen vornehmen lassen, und inzwischen war auch alles bequemer eingerichtet, was jedoch eher seinen Ehefrauen zu verdanken war. Viel wichtiger aber war, dass die MacCallums sich zu engen Verbündeten des MacLerie-Clans entwickelt hatten.

Sie betraten die Große Halle, wo Athdar sie zu einer Tafel führte, auf der viele Tabletts mit Speisen und Ale-Krüge standen.

„Broc war der Meinung, dass ihr hungrig sein könntet, nachdem ihr so lange Zeit zu Pferd unterwegs gewesen seid.“ Lady Jocelyn und ihre Mutter nickten beide einem Mann zu, bei dem es sich um Athdars Steward handeln musste.

Isobel schätzte, dass Broc etwa genauso alt war wie Athdar, doch während der stets eine ernste Miene machte, zeugten Brocs Gesichtszüge von Belustigung und noch irgendeiner anderen Gefühlsregung, die sie aber nicht entschlüsseln konnte. Das lange schwarze Haar hatte er im Nacken zusammengebunden, seine Augen hatten den gleichen Farbton wie die Steine, aus denen die Wände des Saals errichtet waren. Isobel begegnete seinem Blick, und sofort spürte sie, wie ihre Wangen zu glühen anfingen. Athdar führte ihn zu ihrer Mutter und ihr, damit er sie begrüßen konnte.

„Margriet, willkommen“, sagte er und machte vor ihr eine tiefe Verbeugung. „Es ist schon einige Jahre her, seit Ihr uns das letzte Mal die Ehre Eures Besuchs erwiesen hattet.“

Seine tiefe Stimme zeigte sogar bei ihrer Mutter Wirkung, deren Wangen so rot glühten wie ihre eigenen. Und dann begann sie auch noch zu kichern! Isobel hatte bei vielen Frauen diese Reaktion beobachtet, wenn die ihrem Vater gegenüberstanden. Aber sie hätte niemals für möglich gehalten, dass ihre Mutter auch so in den Bann eines Mannes geschlagen werden könnte.

„Isobel, willkommen“, sagte Broc, nahm ihre Hand und lächelte sie an. „Wir sind uns vor Jahren einmal auf Lairig Dubh begegnet, aber da wart Ihr noch ein kleines Mädchen. Jetzt dagegen …“ Athdar räusperte sich unüberhörbar, und Broc redete hastig weiter: „Ich hoffe, Euer Aufenthalt hier wird Euch gefallen.“

Sie hätte nicht gedacht, dass sie so leicht empfänglich wäre für die Komplimente eines gut aussehenden Mannes, doch da hatte sie sich geirrt. Aber da auch ihre Mutter und sogar Lady Jocelyn dem Charme dieses Mannes nicht widerstehen konnten, erwiderte sie ebenfalls das zuvorkommende Lächeln.

„Ich danke Euch für diese warmherzige Begrüßung“, sagte sie. „Ganz sicher werde ich meinen Aufenthalt hier genießen.“

Broc führte sie zu einem Stuhl. „Darf ich Euren Beutel in Euer Gemach bringen?“, fragte er und winkte den wartenden Dienern zu, damit sie mit ihrer Arbeit anfingen.

„Der Inhalt ist für Laria bestimmt“, kam Lady Jocelyn ihr zuvor.

Isobel wusste, dass die Heilerin in Athdars Dorf alles würde gebrauchen können, was sie für sie mitgebracht hatten.

„Soll ich ihr die Sachen bringen lassen, oder ist Euch lieber, wenn sie herkommt?“, wollte Athdar wissen.

„Vielleicht könnte Isobel ja die Sachen zu ihr bringen, wenn wir hier mit allem fertig sind.“

„Selbstverständlich kann ich das erledigen“, erwiderte sie. Diese Gelegenheit würde sie nutzen, um sich im Dorf umzusehen und sich nach vielen Tagen zu Pferd endlich die Beine zu vertreten.

Sie nahm auf dem Stuhl Platz und beobachtete, wie Athdar sich leise mit seiner Schwester unterhielt. Erleichterung prägte seine Miene, offenbar hatte der überraschende Besuch bei ihm schlimmste Befürchtungen geweckt. Nachdem seine Anspannung nachgelassen hatte, bekam sein Gesicht mit einem Mal einen jungenhaften Ausdruck. Nun wirkte er so anziehend, dass ihr der Atem stockte.

Sie erlaubte sich, diesen Anblick einen Moment lang zu genießen, dann wandte sie sich an ihre Mutter, um mit ihr über die mitgebrachten Pflanzen zu reden. Duncans Ehefrau Marian besaß ein besonderes Geschick im Umgang mit Kräutern und kümmerte sich auch um den Gemüsegarten von Lairig Dubh. Isobel hatte Marian schon einige Male geholfen und dabei vieles von ihr für die Zeit gelernt, wenn sie einmal heiraten und den Haushalt ihres Mannes führen würde. Die mitgebrachten Kräuter sollten den vorhandenen Bestand ergänzen, um Fieber, Husten und Schmerzen zu bekämpfen, was für den kommenden Winter wichtig war. Sie hatten sie noch zeitig hergebracht, damit sie getrocknet und vorbereitet werden konnten.

Athdar und Jocelyn gesellten sich zu ihnen, gemeinsam berichteten sie ihm, was sich in der letzten Zeit auf Lairig Dubh ereignet hatte. Nachdem sie gegessen hatten, brachte der Steward sie zu ihren Gemächern, in denen bereits ihr Gepäck stand. Isobel entschuldigte sich bei den Damen und begab sich wieder in die Große Halle zu Athdar.

„Würdet Ihr mir sagen, wo ich Larias Cottage finde?“, fragte sie höflich und machte einen Knicks.

„Kommt, ich bringe Euch hin“, erwiderte er.

„Ihr habt gewiss Wichtigeres zu tun“, wandte sie ein. Auch wenn sein Angebot ihrem Plan förderlich war, wollte sie ihn nicht von seinen Pflichten als Laird abhalten … zumindest jetzt noch nicht.

„Es gehört auch zu den Aufgaben eines Lairds, sich um seine Gäste zu kümmern, daher haltet Ihr mich nicht von irgendetwas Wichtigerem ab.“ Nach seinem Tonfall und dem Ausdruck in seinen Augen zu urteilen, schien er nicht zu scherzen – ebenso wenig wie sie.

„Ich fühle mich geehrt, Athdar.“

Isobel nickte ihm zu und hakte sich bei ihm unter, als er ihr den Arm bot. Während sie den Saal durchquerten, passte er sich ihren kleineren Schritten an. Auf dem Weg durch die Küche nach draußen machte er sie im Vorbeigehen mit Verwandten bekannt, erklärte beiläufig dies und jenes und achtete darauf, dass ihre Unterhaltung nicht ins Stocken geriet.

Die Feste war nicht so groß wie Lairig Dubh, und auch das Dorf fiel kleiner aus, aber jeder, dem sie begegneten, machte einen gut gelaunten und gesunden Eindruck. Ob Alt oder Jung, ob Mann oder Frau – niemand schien sich davor zu fürchten, auf den Laird zuzugehen und ihn anzusprechen. Die Erträge der abgeschlossenen Ernte und der nahende Winter kamen dabei am häufigsten zur Sprache. Ein paar übermütige Knaben forderten Athdar zu Zweikämpfen heraus, und er versprach ihnen, sich demnächst mit ihnen zu messen.

Auch wenn er immer wieder ihren Arm losgelassen hatte, wenn er mit den Dorfbewohnern redete, ließ er sie sich jedes Mal bei ihm unterhaken, sobald sie weitergingen. Als sie über eine freiliegende Baumwurzel stolperte, hielt er sie fest und verhinderte, dass sie hinfiel. Nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, erreichten sie den Waldrand und folgten dem Pfad, bis sie eine Lichtung erreichten. Dort stand eine Kate inmitten eines Gartens, um den sich eine niedrige Mauer zog. Aus dem Schornstein stiegen leichte Rauchschwaden auf, die einen Hauch von Torfgeruch in der kühlen Luft verbreiteten. Athdar öffnete das Gartentor und ließ Isobel vorgehen. Kaum standen sie vor der Haustür, da wurde die bereits geöffnet, eine Frau kam heraus.

„Laird“, sagte sie zu Athdar, dann folgte ein „Guten Tag“ an Isobel.

„Guten Tag, Laria“, erwiderte er und zog den Arm weg. „Dies ist Isobel Ruriksdottir aus Lairig Dubh. Sie bringt dir etwas von meiner Schwester.“

„Ah, dann seid Ihr Margriets Tochter?“ Als Isobel nickte, sah die andere Frau sie genauer an. „Ihr seid ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Dann trat sie einen Schritt zur Seite und bat sie ins Haus.

„Ich muss zurück zur Feste. Soll ich jemanden schicken, der Euch abholt?“, fragte Athdar, der auf dem schmalen Trampelpfad vor dem Cottage stand und wartete.

„Nein danke, ich finde den Weg zurück schon“, sagte sie. „Nochmals vielen Dank, dass Ihr mich hergebracht habt.“

Der kurze, aber wunderschöne gemeinsame Spaziergang war vorüber. Isobel sah Athdar hinterher, wie er sich vom Cottage und von ihr entfernte, bevor sie eintrat. Auch wenn er sich für sie Zeit genommen hatte, war er für seinen Clan ein wichtiger und vielbeschäftigter Mann, der sich nicht um jeden Gast einzeln kümmern konnte. Umso mehr gefiel es ihr, dass er ihr diese Gunst gewährt hatte.

„Ihr bringt mir die Heilpflanzen?“, fragte Laria.

Erst jetzt merkte Isobel, dass die ältere Frau sich zum anderen Ende des Zimmers zu einem Tisch begeben hatte, auf dem es von Behältnissen und Gefäßen aller Art und den verschiedensten Kräutern und Pflanzen wimmelte. Sie ging zu ihr und legte den Beutel auf die einzige freie Stelle auf dem Tisch.

„Marian hat uns mitgegeben, worum Ihr sie gebeten hattet, außerdem noch ein paar andere Kräuter, die Ihr vielleicht gebrauchen könnt“, erklärte sie, öffnete den Beutel und holte die Bündel heraus. Schweigend beobachtete Isobel, wie die ältere Frau die mitgebrachten Kräuter und Pflanzen fast ehrfürchtig behandelte, indem sie sie behutsam auspackte und vorsichtig Blätter und Wurzeln löste. Manche legte sie in kleine Schüsseln voll Wasser, andere setzte sie in Erde ein. So gut kannte Isobelsich nicht mit Kräutern aus, um zu wissen, was wie behandelt werden musste. Laria war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie gar nicht mehr auf sie achtete. Also schlenderte Isobel durch den Raum, sah sich den Inhalt abgedeckter Gefäße an oder roch an den aromatischer duftenden Pflanzen. Als sie aber eine davon berühren wollte, rief Laria energisch:

„Nicht!“

Der harsche Tonfall ließ Isobel zusammenzucken, und sie zog überrascht die Hand von der dunklen Pflanze zurück, die ihr Interesse geweckt hatte. „Es tut mir leid“, sagte sie und stellte sich wieder zu Laria an den Tisch.

„Einige von ihnen sind … empfindlicher als andere, sie darf man nicht anfassen“, erklärte die Frau und hielt ihr den leeren Beutel hin. Einen Moment lang war sich Isobel sicher gewesen, dass sie etwas anderes als „empfindlicher“ hatte sagen wollen.

„Ich bitte um Verzeihung, ich werde künftig vorsichtiger sein, Laria.“

Isobel entging nicht, dass sich die Stimmung der Heilerin auf irgendeine Weise verändert hatte, doch was der Grund dafür sein mochte, konnte sie sich nicht erklären. Hatte vielleicht jemand vor ihr eine der Pflanzen berührt und einen nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet? Der Blick, den die Frau ihr zugeworfen hatte, bestätigte ihren Verdacht, dass irgendetwas vorgefallen war.

„Wenn Ihr sonst nichts für mich habt“, sagte Laria nun und deutete auf die mitgebrachten Pflanzen. „Ich muss mich jetzt darum kümmern.“ Ihr Gesicht ließ keine Gefühlsregung erkennen, doch ihre Augen nahmen für einen kurzen Moment einen finsteren, misstrauischen Ausdruck an.

War sie womöglich übermüdet? Oder war das einfach ihr Wesen? Isobel strich sich eine Strähne aus der Stirn und nickte. „Wir sind hier für zwei Wochen zu Besuch. Wenn Ihr noch etwas von Lairig Dubh benötigt, lasst es einfach mich oder Lady MacLerie wissen, dann können wir veranlassen, dass Ihr es bekommt, noch bevor der Winter einsetzt.“

Isobel ging zur Tür, blieb dort aber noch einmal stehen. Sie konnte sich selbst nicht erklären, welchen Grund es für sie gab, die folgende Frage zu stellen:

„Athdar hat oft von Eurer Begabung gesprochen, Krankheiten zu heilen, Laria. Wenn ich verspreche, vorsichtig zu sein und mich streng an Eure Anweisungen zu halten, würdet Ihr dann etwas von Eurem Wissen an mich weitergeben, solange ich hier bin?“

„Wieso?“, konterte die Frau barsch.

„Mein Wissen über Pflanzen und Kräuter ist noch lückenhaft. Da meine Eltern nun überlegen, mich zu verheiraten, ist mir klar geworden, dass ich mich vielleicht viel eher als erwartet im Haushalt meines Ehemanns um solche Dinge kümmern muss. Ich würde mir gern etwas von diesem Wissen aneignen, bevor ich heirate.“ Ihre Worte entsprachen der Wahrheit, aber in ihrem Inneren lauerte noch ein anderer Grund, den sie nicht so leicht benennen konnte.

Laria sah sie so lange schweigend an, dass Isobel bereits dachte, sie würde ihr Anliegen rundweg ablehnen. Doch zu ihrer großen Überraschung willigte sie ein, auch wenn sie sich dazu sichtlich durchringen musste.

„Wenn Ihr wollt, kann ich mir morgens etwas Zeit für Euch nehmen“, sagte sie.

„Aye, das würde mir gefallen. Vielen Dank, Laria.“

„Und Ihr werdet nichts anfassen, wenn ich das nicht ausdrücklich sage.“

„Auf keinen Fall.“ Isobel hob den Türriegel an. „Dann werde ich morgen früh wieder herkommen.“

Erfreut und verwundert zugleich machte Isobel sich auf den Weg durch den Wald und zurück zur Feste. Sie grüßte die Menschen, die ihr unterwegs begegneten. Alle reagierten freundlich, einige hatten sie auf dem Hinweg an der Seite von Athdar gesehen. Ein paar von ihnen kannte sie vom Sehen, da die bei verschiedenen Anlässen zusammen mit ihrem Laird nach Lairig Dubh gekommen waren.

Am Tor angelangt, winkten die Wachen sie durch. Jeder verhielt sich ihr gegenüber nett und freundlich, auch nachdem sie den Bergfried betreten und sich in den Saal begeben hatte, wo ihre Mutter mit Lady Jocelyn und den anderen Frauen an einem Tisch saß.

Wenn aber alles so in bester Ordnung war, wieso verspürte sie dann in ihren Knochen diese Kälte? Und wieso fühlte es sich so an, als wäre jemand über ihr Grab geschlichen?

4. KAPITEL

Jocelyn saß mit Margriet und mehreren Cousinen im Saal an einem Tisch, gemeinsam besserten sie den großen Wandteppich mit ihrer Lieblingsszene, nämlich eine Waldlandschaft mit See und allen Tieren, die in dieser Umgebung lebten. Als Kind hatte sie oft lange Zeit vor diesem Wandteppich gesessen und ihn angesehen, während sie sich für die Tiere Namen und Geschichten ausdachte. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie bereits die ausgefransten Ränder bemerkt, daher freute sie sich, jetzt bei der Reparatur mitzuhelfen.

Verschlissene Wandteppiche, löchrige Bettlaken, nicht ganz frische Binsen – darin machte es sich bemerkbar, dass Athdar keine Ehefrau hatte. Es gab einfach zu viele Dinge in der Feste und im Dorf, die nur einer Frau auffallen konnten. Moira, eine Cousine, hatte stellvertretend die Aufgaben der Burgherrin übernommen und kümmerte sich gemeinsam mit Broc um die Angelegenheiten des Haushaltes. Allerdings war sie nicht gut genug vorbereitet worden, um ihrer Rolle gerecht zu werden.

Also, Athdar brauchte eine Ehefrau. Und er brauchte einen Erben. Es war für den Clan unverzichtbar, dass der Laird heiratete.

Vor allem aber verdient mein Bruder ein Glück, das auch von Dauer ist, dachte Jocelyn. Ihr schmerzte das Herz, wenn sie daran dachte, was er alles verloren hatte. Dass er selbst dieses Glück auch wollte, aber nicht einmal darauf zu hoffen wagte, zerriss ihr die Seele. Seine Traurigkeit war auch der Grund, weshalb sie entschieden hatte, sich einzumischen.

Jeder verdiente die Chance auf eine Familie. Wenn ihr Ehemann, der als der Schrecken der Highlands bekannt gewesen war, das Glück gefunden hatte, sollte das für ihren Bruder auch möglich sein.

„Hältst du es denn für klug?“, fragte Margriet sie leise, während sie das Garn weiterreichte. Die anderen Frauen plauderten miteinander und bekamen von ihrer Bemerkung nichts mit.

„Darfst du mir diese Frage überhaupt stellen? Du kennst doch unsere Abmachung“, erwiderte Jocelyn lächelnd.

„Du hast gegen alle Regeln verstoßen, als du mich auf deine Mission mitgenommen hast“, machte Margriet ihr klar und legte die Hände in den Schoß. „Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich nur dasitze und zuschaue, wenn meine Tochter in deinem Plan die Hauptrolle spielt.“

„Margriet, es gibt keinen Plan. Wir wissen, dass Isobel sich zu Athdar hingezogen fühlt und dass er umgekehrt an ihr ebenfalls interessiert ist. Ich will erst einmal sehen, ob das zwischen den beiden mehr ist als nur ein Strohfeuer. Erst dann werde ich sie ermutigen, einander näherzukommen.“

„Aber er hat geschworen, nie wieder zu heiraten! Wie willst du dagegen ankommen?“, fragte Margriet.

„Ich glaube, die wichtigere Frage dürfte die sein, wie wir deinen Mann dazu bewegen, einer Ehe zwischen den beiden seinen Segen zu geben. Weder Rurik noch Athdar haben den Zwischenfall jemals verwunden.“ Margriets ohnehin blasse Haut wurde noch weißer, als Jocelyn auf ihren Ehemann zu sprechen kam.

Athdars dummes Verhalten, die Auseinandersetzung bei seiner ersten Begegnung mit Rurik und die anschließenden Beleidigungen hatten letztlich dazu geführt, dass Jocelyn gezwungen worden war, den Laird der MacLeries zu heiraten. Aus irgendeinem wohl typisch männlichen Grund hatte das für sie und Connor glückliche Ende und die Verbindung ihrer Familien weder Rurik noch Athdar einlenken lassen. Zwar respektierten sie sich gegenseitig so, wie es ihre Stellung im jeweiligen Clan erforderte, doch geschah dies nur widerwillig.

„Er stellt sich schützend vor sie“, sagte Margriet. „Er hat sich für keinen der Vorschläge erwärmen können, die Connor ihm unterbreitet hat. Rurik hält sie immer noch für ein Kind. Wenn er Zeit hat, sich die Vorteile einer Ehe zwischen Isobel und Athdar vor Augen zu führen …“ Sie ließ den Satz unvollendet und dachte über die möglichen Reaktionen ihres Mannes nach.

Jocelyn schnaubte als Erste und begann zu lachen, Margriet schloss sich ihr an, was die Aufmerksamkeit der anderen Frauen auf sie lenkte. Nach einem kurzen Schulterzucken wartete Jocelyn ab, bis alle wieder in ihre Unterhaltungen vertieft waren.

„Vielleicht wäre es besser, um Verzeihung anstatt um Erlaubnis zu bitten“, überlegte Jocelyn.

Sie erinnerte sich an die Geschichte von Tavis und Ciara. Hätte Tavis MacLerie um Erlaubnis gebeten, Marians und Duncans Tochter Ciara zu heiraten, wäre ihm die verweigert worden. Hätte Ciaras Verlobter darum gebeten, die Verlobung zu lösen, weil er eine andere Frau heiraten wollte, wäre ihm das auch verweigert worden. Manchmal war es einfach besser, wenn man eine Angelegenheit selbst in die Hand nahm, anstatt den Weg zu gehen, der von einem erwartet wurde.

„Das könnte etwas voreilig sein, Jocelyn. Wir wissen noch nicht, ob es mehr als nur eine oberflächliche Anziehung zwischen den beiden ist. Wenn meine Tochter heiratet, dann soll sie in ihrer Ehe auch glücklich sein“, betonte Margriet.

„Das ist wahr. Und das ist auch der Grund, weshalb ich euch beide auf diese Reise mitgenommen habe. Ich will sehen, wie sie miteinander umgehen, und zwar hier, wo er allein das Sagen hat und weder Connor noch Rurik in der Nähe sind. Ich will sehen, wie Athdar wirklich ist.“

Sie verfielen in einvernehmliches Schweigen und arbeiteten eine Weile an dem Wandteppich weiter und blickten erst auf, als auf einmal Isobel den Saal betrat. Jocelyn war froh darüber, dass ihr Bruder sich angeboten hatte, Isobel zum Cottage der Heilerin zu begleiten. Nach den geröteten Wangen und dem Lächeln auf ihren Lippen zu urteilen, war das eine gute Idee gewesen.

„Lady Jocelyn“, sagte Isobel und machte einen Knicks, als sie an den Tisch kam. „Mutter.“

Margriet hielt ihr Nadel und Faden hin, Isobel nahm beides und setzte sich zu ihr. Ihre Tochter konnte hervorragend mit Nadel und Faden umgehen, aber ihre anderen Begabungen waren noch viel beeindruckender und würden einen Segen für jeden Mann darstellen, der das Glück haben würde, sie zu heiraten. Sie war vernünftig, intelligent und umgänglich und würde eine ausgezeichnete Burgherrin abgeben. Zudem war sie zu einer der besten Schachspielerinnen herangewachsen, die ihre Familie je hervorgebracht hatte, und sie konnte ihren Vater inzwischen mühelos besiegen. Das bewies, welch klaren Verstand sie besaß und wie gut sie darin war, die Abläufe hinter den Dingen zu durchschauen.

„Hat Laria noch irgendetwas gesagt?“, wollte Margriet wissen.

„Nein, nicht viel. Ich habe sie aufgefordert, wenn sie noch etwas braucht, soll sie es dich wissen lassen.“ Sie zog den Wandteppich ein wenig zu sich heran, dann sah sie Lady Jocelyn an. „Sie ist kein freundlicher Mensch, nicht wahr?“

„Nein, das ist sie nicht“, antwortete Jocelyn. „Aber sie ist eine vorzügliche Heilerin und tut für den Clan nur Gutes.“

Sie beobachtete, wie Isobel sich die Worte durch den Kopf gehen ließ. Nachdem sie ihre beiden Kinder verloren hatte, war Laria nie wieder dieselbe gewesen. Aber welche Frau konnte von einer solchen Tragödie schon unberührt bleiben? Dennoch arbeitete sie unermüdlich, um jeden mit Kräutermischungen und Arzneien zu versorgen, der etwas benötigte. Nach dem Tod des alten Lairds hatte Athdar die Aufgabe übernommen, für Larias Lebensunterhalt zu sorgen, damit sie sich um die Kranken und Verletzten des Clans kümmern konnte.

„Ihr Garten muss beeindruckend sein, wenn alles blüht“, sagte Isobel. „Ich habe sie gefragt, ob sie mir ein paar Dinge beibringen würde, solange wir hier sind.“

„Tatsächlich?“ Margriet legte die Nadel zur Seite. „Warum? Du hast dich doch für diese Dinge noch nie besonders interessiert.“

„Mutter, ich weiß, dass du und Vater überlegen, mich zu verheiraten, und dann werde ich mich für meinen … Ehemann mit diesen Dingen beschäftigen müssen.“ Sie ließ eine kurze Pause folgen. „Es erschien mir das Sinnvollste, was ich hier tun kann, da ich keine anderen Pflichten zu erfüllen habe.“

Jocelyn verkniff sich ein Lächeln und sah zu Margriet. Isobel hatte verstanden, dass die Zeit der Vermählung gekommen war. Jetzt mussten sie nur noch herausfinden, ob eine Heirat mit Athdar für beide der richtige Weg war.

Das wird mir nicht schwerfallen, dachte Jocelyn, wenn ich mich gründlich damit befasse.

Für Athdar standen zwei Dinge fest, nachdem man ihn über Jocelyns Besuch informiert hatte: Zum ersten würde sich die Feste nach der Abreise seiner Schwester in einem ordentlicheren Zustand befinden, denn das war nach ihren Aufenthalten stets so gewesen. Und zum zweiten war ihm klar gewesen, als er gesehen hatte, wer sie auf dieser Reise begleitete, dass er – hoffentlich viel – Zeit mit der hübschen Isobel verbringen würde. Natürlich hatte er keinen Augenblick daran geglaubt, seine Schwester könnte die weite Reise tatsächlich nur unternommen haben, um Laria ein paar Kräuter und Pflanzen zu bringen.

Er trank noch einen Schluck Ale und dachte über den Besuch von Jocelyn und Isobel ebenso nach wie darüber, wie er auf diesen Eingriff in sein Leben reagieren sollte. Dabei wurde ihm noch etwas anderes deutlich: Jocelyn hatte es noch immer nicht aufgegeben, ihn für eine weitere Ehe zu begeistern.

Als sie jetzt irgendeine Bemerkung machte, die das Essen auf ihrem Teller betraf, nickte er und murmelte etwas Passendes, aber in Gedanken spielte er wieder und wieder diese Situation durch. Er wusste, seine ältere Schwester tat alles, um ihn zu beschützen oder ihm zu helfen. So war es schon immer gewesen.

Durch ihre Heirat mit Connor, die Gott sei Dank zu einer glücklichen Ehe geführt hatte, hatte sie versucht, ihn aus einer heiklen Lage zu retten, eine von vielen, in die er sich in seinem Leben manövriert hatte. Vielleicht hatten ihn jetzt die Sünden der Vergangenheit eingeholt und verhöhnten ihn, indem sie ihm Isobel zum Greifen nah präsentierten.

In diesem Moment lächelte Isobel und sagte etwas zu ihrer Mutter. Wie jung und schön sie doch war.

Und wie verführerisch.

Er lehnte sich zurück und verfolgte die Unterhaltung über irgendeine Haushaltsangelegenheit, dabei fiel ihm auf, dass nicht nur er dem Zauber dieser jungen Frau erlegen zu sein schien, sondern dass Broc, Padruig und etliche andere Männer – unverheiratete ebenso wie verheiratete – von ihr fasziniert schienen. Als Broc seinen Blick bemerkte und ihm zuzwinkerte, wusste Athdar, der Mann würde versuchen, sie zu erobern.

Während er weiter der Unterhaltung lauschte, wurde ihm klar, wie besonders sie war. Die Art, wie sie sich unterhielt, wie sie ihre Meinung äußerte, wenn sie danach gefragt wurde, und wie sie nachfragte, wenn sie sich in einer Sache Klarheit verschaffen wollte, das alles zeugte von ihrer Intelligenz.

Wann war sie bloß vom Kind zur Frau herangewachsen?

Offenbar in der Zeit, die er in der Hölle verbracht hatte.

Jener Hölle, die ihren Anfang nahm, als er die Frau heiratete, die er seit Jahren geliebt hatte. Der Hölle, in der er hatte mit ansehen müssen, wie sie bei der Geburt ihres Sohnes starb, der nur ein paar Tage lang überlebte. Der Hölle, die ihm eine weitere Ehefrau und deren Tod sowie eine tödlich verunglückte Verlobte beschert hatte.

Während Rurik darauf geachtet hatte, dass seiner Tochter nichts zustieß, hatte er es nicht verhindern können, dass drei Frauen ihr Leben verloren.

Kein Wunder, dass er in seinem Kummer und seiner Trauer nichts davon mitbekommen hatte, wie Isobel vom Mädchen zur Frau geworden war.

Er trank wieder von seinem Ale, um den bitteren Geschmack seiner Erinnerungen runterzuspülen. Die Frauen diskutierten weiter über Jocelyns Pläne zur Umgestaltung der Großen Halle. Ihr Vorhaben störte ihn nicht, auch wenn es ihn daran erinnerte, dass er keine Frau an seiner Seite hatte, die sich um die Dinge kümmerte, die ihm niemals in den Sinn kommen würden. Broc erledigte alles, was Vorräte, Lebensmittel, Vieh und Ähnliches betraf, doch die unzähligen Kleinigkeiten, die der Hand einer Frau bedurften, blieben liegen.

„Isobel, spielt Ihr Schach?“, fragte er, nachdem er sein Ale getrunken hatte und die Dienerinnen begannen, das Geschirr abzuräumen. Er wusste, dass ihre Eltern das Spiel beherrschten, ebenso wie seine Schwester und deren Ehemann, daher standen die Chancen gut, dass es für sie ebenfalls galt. Als sie nickte, verspürte er den Wunsch, sie zu einer Partie herauszufordern. „Möchtet Ihr mit mir eine Partie spielen?“

„Athdar, es war ein langer Tag“, kam Jocelyn ihr mit einer Erwiderung zuvor. „Vielleicht morgen?“

Isobel antwortete so, wie man es von einer Dame erwarten durfte: „Ich muss mich Lady Jocelyns Meinung anschließen. Ath… Mylord“, korrigierte sie sich hastig, da sie ihn in Gegenwart anderer nicht mit dem Vornamen anreden konnte. Sein Körper reagierte aber schon darauf, dass ihr nur ein Teil seines Namens über die Lippen gekommen war. Verdammt noch mal!

„Wir sind miteinander verwandt, Isobel“, sagte Jocelyn. „Ich bin mir sicher, mein Bruder hat nichts dagegen einzuwenden, wenn du ihn bei seinem Vornamen nennst. Unsere Familien sind schließlich längst miteinander verbunden.“ Sie zog eine Braue hoch und sah ihn auffordernd an.

Natürlich würde er jetzt nichts verweigern, was er ihr längst gestattet hatte! „Selbstverständlich, Jocelyn“, stimmte er ihr zu. „Meine Damen“, wandte er sich an seine Besucherinnen, „verzeiht mir bitte meine Gedankenlosigkeit. Ich hätte daran denken müssen, dass ihr eine lange Reise hinter euch habt.“ Er stand auf und hielt seiner Schwester die Hand hin. „Wir sehen uns morgen früh.“

Dann umarmte er Jocelyn und verbeugte sich vor Margriet und Isobel. Nachdem sie die Tafel verlassen hatten, nahm er wieder Platz. Am Ausgang zum Korridor blieb Isobel stehen und sah sich um, als suche sie irgendetwas. Er schaute auf ihren Platz und entdeckte das Taschentuch auf der Tischplatte. Athdar nahm es an sich und ging auf sie zu, wobei er ihr das Tuch hinhielt.

„Ihr habt das vergessen“, sagte er.

„Wenn Ihr auf mich warten wollt, würde ich gern eine Partie Schach mit Euch spielen“, flüsterte sie ihm zu.

Er versuchte, sein Erstaunen zu überspielen. Wie außergewöhnlich, dass sie seine Einladung annahm und auch noch so kühn war, später ohne ihre Mutter und ohne seine Schwester zu ihm zurückzukehren. Es hätte sich von ihm gehört, sie aufzufordern, bis zum Morgen in ihren Gemächern zu bleiben. Doch wenn er sich an die gesellschaftlichen Konventionen hielt, bedeutete das, dass er die ganze Nacht hellwach in seinem Bett liegen würde. Es hätte sich gehört … aber zum Teufel!

„Ich werde hier sein.“

Sie machte kehrt und lief zu ihrer wartenden Mutter, während er ihr hinterhersah und lächeln musste. Natürlich wäre Isobel bei ihm völlig sicher aufgehoben. Weder würde er sich gegenüber Ruriks Tochter etwas Unbotmäßiges herausnehmen, noch würde er es wagen, eine unverheiratete Frau der Gefahr auszusetzen, dass ihre Ehre angezweifelt werden könnte. Sie gehörten schließlich alle zur Familie, wie Jocelyn selbst gesagt hatte, und so würde er sie wie eine Verwandte behandeln. Auch wenn sein Körper es ihm nicht leicht machen würde, ihre weiblichen Reize zu ignorieren.

5. KAPITEL

Isobel lag in der Dunkelheit auf ihrem Bett und wartete darauf, dass das gleichmäßige Atmen ihrer Mutter und von Lady Jocelyn ihr verriet, dass sie beide eingeschlafen waren. Dabei wunderte sie sich immer noch über die Kühnheit, die sie im Saal an den Tag gelegt hatte. Als die zwei endlich schliefen, wartete sie noch ein wenig, dann kletterte sie aus ihrem Bett und blieb nach jedem Schritt stehen, um wieder zu lauschen. Es dauerte eine Weile, bis sie auf diese Weise das Gemach durchquert, ihr schlichtestes Kleid angezogen hatte und zur Tür gegangen war.

Sie wusste nicht, was in dem Moment in sie gefahren war, als sie zu Athdar sagte, sie werde zu ihm zurückkommen. Auf jeden Fall erschien es ihr so einfacher. Denn hätte sie Lady Jocelyn widersprochen, hätte sie den Anschein erweckt, die Angelegenheit sei viel bedeutsamer, als es tatsächlich der Fall war. Und sie wollte Athdar jetzt sehen und gegen ihn spielen – und nicht erst morgen. Ihr gemeinsamer Spaziergang zu Larias Cottage war so angenehm gewesen, dass die Anspannung von ihr abgefallen war, die ihr sonst zu schaffen machte, wenn Athdar in ihrer Nähe war.

Vorsichtig hob sie den Riegel an und öffnete die Tür zur Großen Halle, die gleich neben dem Gästegemach lag. Dort war alles ruhig und dunkel, nur der Schein der Flammen im Kamin am gegenüberliegenden Ende sorgte für ein wenig Helligkeit, sodass sie sehen konnte, wohin sie trat. Sie atmete tief durch und durchquerte den Saal. Als sie sich dem Kamin näherte, konnte sie einen Tisch und zwei Stühle erkennen, die davor platziert waren. Athdar stand vor der Feuerstelle, den Blick auf den Wandteppich darüber gerichtet.

„Habt Ihr mitgeholfen, ihn auszubessern?“, fragte er leise. Es freute sie, dass er tatsächlich auf sie gewartet hatte.

„Aye, ich habe ihn zusammen mit meiner Mutter, Eurer Schwester und den anderen geflickt. An dieser Seite war er ganz ausgefranst“, erklärte sie, stellte sich zu ihm und zeigte auf die untere Ecke des großen gewebten und stellenweise bestickten Teppichs. „Lady Jocelyn hat diesen Bären und das Reh dort ausgebessert.“

Athdar lächelte. „Die beiden waren schon immer ihre besonderen Lieblinge.“ Er streckte die Hand aus und berührte die Kante des Wandteppichs, dann drehte er sich zu ihr um. „Nachdem unsere Mutter ihn fertiggestellt hatte, erzählte sie uns zu jedem der Tiere eine Geschichte.“ Er führte sie zum Tisch, wobei er immer noch lächelte. Wahrscheinlich gehen ihm schöne Erinnerungen durch den Kopf, vermutete Isobel.

Nachdem sie beide Platz genommen hatten, nahm er von einem Tablett einen Becher und hielt ihn ihr hin. Sie nahm ihn entgegen und nippte an dem verdünnten Ale.

In diesem Moment zuckte eine grelle Flamme im Kamin in die Höhe und beleuchtete kurz sein Gesicht. Für den Moment war der Schmerz verschwunden, den sie sonst in seinen Augen sehen konnte, und er sah aus wie der Junge, den sie noch aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte. Sie konnte sich den jugendlichen Athdar vorstellen, wie er seine Schwester und seine Eltern mit seinen Streichen geärgert hatte. Bevor er zu dem Mann wurde, der …

… der so viel verloren hatte.

Sie hob den Becher und beugte sich vor, um auf das Schachbrett zu schauen. Wenn sie noch länger über all die Tragödien nachdachte, die ihm widerfahren waren, würde sie womöglich in Tränen ausbrechen.

„Und? Beherrscht Ihr das Spiel besser als Euer Vater?“, fragte er.

„Er würde das nie zugeben, aber das tue ich tatsächlich“, gestand sie ihm. „Nur Duncans Frau Marian kann ich nicht regelmäßig schlagen. Sie spielt so ausgezeichnet, dass mein Vater es nicht mehr mit ihr aufnehmen will.“

„Aber Ihr habt es versucht, sie zu besiegen?“, hakte er nach, während er die schwarzen Spielfiguren an sich nahm. Sie griff nach den roten und stellte sie auf dem Brett auf.

„Sie hat mir das Spiel beigebracht.“

Sie hörte deutlich, wie er schluckte, und musste über seine Reaktion lachen. „Vielleicht sollte ich doch besser zu Bett gehen, was meint Ihr?“

„Nein, so schnell werde ich nun auch wieder nicht kapitulieren. Finden wir heraus, wozu wir beide fähig sind, ehe wir diesen Abend beenden.“ Seine Augen funkelten, und sie verlor sich in ihnen lange genug, dass er es bemerken konnte.

„Na gut, wenn Ihr das so wollt“, neckte sie ihn.

Einvernehmliches Schweigen legte sich über sie, als sie den ersten Zug machte und zusah, wie er darauf antwortete. Sie beeilte sich nicht, und sie trödelte auch nicht, sondern nahm sich nur die Zeit, die nötig war, um seine Methode und seine Strategien zu durchschauen. Sie merkte, dass er viel Erfahrung hatte, aber er spielte verhalten. Ein paar Mal überraschte er sie mit einem gewagten Zug, doch jedes Risiko wurde mit Erfolg belohnt. Letztlich hatte Isobel Mühe, ihre Niederlage nur als solche erscheinen zu lassen und nicht tatsächlich zu verlieren.

„Ihr seid eine gefährliche Widersacherin, Isobel Ruriksdottir.“

„Aber Ihr habt gewonnen, Athdar“, stellte sie fest und trank noch einen Schluck.

„Ihr habt mich gewinnen lassen. Ihr hättet mir einige von meinen Figuren wegnehmen können, die ich in Gefahr gebracht hatte.“

Schon vor langer Zeit hatte sie lernen müssen, dass Männer nicht viel für Frauen übrig hatten, von denen sie besiegt werden konnten. Daher hatte sie nicht vor, seinen Verdacht zu bestätigen. Doch dann begegneten sich ihre Blicke, und sie entschied sich dagegen.

„Habe ich Euch beleidigt?“, fragte sie und musterte ihn aufmerksam.

„Ja, nämlich in der Hinsicht, dass Ihr glaubt, ich müsste wie ein kleines Kind verhätschelt werden.“ Das Funkeln war in seine Augen zurückgekehrt, weshalb sie vermutete, dass er eigentlich nicht beleidigt war.

„Wir könnten noch einmal spielen …“

„Eine ehrliche Partie?“

„Wenn Ihr das wollt.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begannen sie die nächste Partie, die einem ständigen Hin und Her unterworfen war. Zu keinem Zeitpunkt hätte man vorhersagen können, wer am wahrscheinlichsten siegen würde. Schließlich machte Isobel den entscheidenden Zug und setzte Athdars König schachmatt. Sie begann, alle gewonnenen Figuren in die kleine Holzkiste neben dem Spielbrett zu verstauen, erst dann sah sie Athdar an.

Würde er seine Niederlage wirklich akzeptieren? Oder würde er allen Beteuerungen zum Trotz doch verärgert sein?

„Sehr gut gespielt, Isobel“, lobte er. „Ich dachte tatsächlich, ich würde siegen, aber dann habt Ihr diese letzten drei Züge gemacht. Mehr als nur geschickt, Mädchen. Ihr habt ein richtiges Talent dafür.“

Sein Lob und seine Komplimente ließen sie erröten. Ein angenehm warmes Gefühl breitete sich in ihr aus.

Athdar stand auf, sammelte die restlichen Figuren ein und legte sie in das Kistchen, das er dann zuklappte. Als er das Spielbrett vom Tisch nahm, blieb sie sitzen und wartete ab, bis er alles weggestellt hatte.

Isobel hatte keine Vorstellung davon, wie viel Zeit sie mit Schach verbracht hatten, doch es mussten einige Stunden gewesen sein, da das Kaminfeuer weit heruntergebrannt war. Niemand war in der ganzen Zeit in den Saal gekommen, wohl weil sie alle im Bett lagen und schliefen, was sie auch hätte tun sollen.

„Athdar, ich …“

„Isobel …“

Sie lachte leise und wartete, dass er weiterredete. Doch gerade als er dazu ansetzte, war ein lautes Räuspern zu vernehmen. Sie drehten sich beide um und entdeckten Isobels Mutter, die vor der Tür zum Gästegemach stand.

„Ich sollte jetzt besser gehen“, flüsterte sie ihm zu.

„Aye, geht nur“, erwiderte er. „Wenn Ihr wollt, dass ich mit ihr rede, werde ich das tun.“

„Gute Nacht, Athdar“, sagte sie nur und wandte sich zum Gehen.

„Ich wünsche Euch auch eine gute Nacht.“

Sie war erst wenige Schritte gegangen, da hörte sie ihn im Flüsterton ihren Namen rufen. Der warme Klang seiner Stimme ließ sie wohlig erschauern. Isobel ging zügig weiter, obwohl sie keine Lust hatte, sich so bald dem Zorn ihrer Mutter aussetzen zu müssen. Viel lieber wollte sie die Freude genießen, die ihr die Zeit mit Athdar allein bereitet hatte. Seine lobenden Worte gingen ihr wieder durch den Kopf.

„Wer hat gewonnen?“

Diese Frage hatte sie nun wirklich nicht von ihrer Mutter erwartet, dann schon eher mahnende Worte wegen ihres Verhaltens. „Ich“, antwortete sie leise und folgte ihrer Mutter zurück in das Schlafgemach. Lady Jocelyn saß im Bett und sah ihnen entgegen, als sie beide hereinkamen.

„Wie hat er es aufgenommen?“, wollte sie wissen, während sie ihr Laken glatt strich und dann ihre für die Nacht zum Zopf geflochtenen Haare über die Schulter schob. Isobels Mutter setzte sich auf die Bettkante.

„Er hat mir ein Kompliment gemacht, weil ich so gut spiele.“

Die beiden Frauen warfen sich einen Blick zu, den sie nicht zu deuten wusste, und drehten sich wieder zu ihr um.

„Es ist schon nach Mitternacht, Kind“, sagte ihre Mutter. „Geh ins Bett.“

Isobel hatte fest damit gerechnet, dafür getadelt zu werden, dass sie sich über Lady Jocelyn hinweggesetzt und sich aus dem Schlafgemach geschlichen hatte, um sich heimlich mit Athdar zu treffen. Stattdessen sah sie nur rätselhafte Mienen. Sie spürte, dass beide Frauen es guthießen, dass sie die Möglichkeit einer Beziehung mit Lady Jocelyns Bruder aus eigenem Antrieb erkunden wollte. Auch wenn Athdar viele Jahre älter war als sie, und obwohl ihre Eltern andere Heiratspläne für sie geschmiedet haben mussten, unternahm ihre Mutter nichts, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Und Lady Jocelyn hatte sie sogar ausdrücklich eingeladen, sie auf dieser Reise zu begleiten. Da sie wusste, dass beide ihre Meinung kundtun würden, wenn sie es für nötig hielten, zog sich Isobel aus, schlüpfte in ihr Nachtgewand und legte sich wieder ins Bett.

So sehr sie es auch versuchte, sie fand einfach keinen Schlaf. Sie drehte sich von einer Seite auf die andere, während sie in Gedanken jeden Moment mit Athdar noch einmal erlebte und die Partien Zug für Zug nachspielte. Sie dachte an seinen Mund, wenn er lachte, an die Art, wie er die Augenbrauen zusammenzog, wenn sie einen Zug tat, mit dem er nicht gerechnet hatte. Vor allem aber dachte sie daran, dass sie Zeit mit ihm allein verbracht und dabei festgestellt hatte, wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte.

Wenn sie die halbe Nacht mit Athdar Schach gespielt hatte, dann war die andere Hälfte dafür draufgegangen, jede einzelne Minute noch einmal zu erleben. Viel früher als erwartet drang der schwache Schein der aufgehenden Sonne durch die Ritzen der Fensterläden in das Schlafgemach und begann die Dunkelheit zu vertreiben. Isobel drehte sich ein letztes Mal auf die andere Seite und lauschte auf die Geräusche im benachbarten Saal, wo die Vorbereitungen für das Frühmahl begonnen hatten.

Sie wartete, bis sich ihre Mutter und Lady Jocelyn rührten, ehe sie sich in ihrem Bett aufsetzte und die zerzausten Haare glatt strich, die sich in dieser rastlosen Nacht aus dem Zopf gelöst hatten. Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt hatte, setzte sie sich auf die Bettkante und sah, wie eine Dienstmagd einen Eimer mit dampfendem Wasser ins Zimmer trug. Es dauerte nicht lange, da hatte sie sich gewaschen und angezogen und war bereit für das, was der Tag bringen würde.

Da sie vorhatte, nach dem Frühmahl wie vereinbart Laria für ihre erste Unterrichtsstunde aufzusuchen, war sie umso erstaunter, als ihr die Heilerin im Saal begegnete.

„Ich muss südlich der Feste noch einige Pflanzen sammeln, deshalb hielt ich es für das Sinnvollste herzukommen“, erklärte sie und drehte sich zu Lady Jocelyn und Isobels Mutter um. „Mylady, Margriet“, sagte sie kurz, dann wandte sie sich wieder an Isobel. „Die Luft ist kälter geworden, nehmt einen dicken Mantel mit.“

Lady Jocelyns Lächeln verriet Isobel, dass diese schroffe Art tatsächlich der ganz normale Umgangston der Heilerin war. Sie eilte ins Schlafgemach zurück, um ihren warmen Umhang und die Lederhandschuhe zu holen. Da sie wusste, dass sie heute Morgen an der Seite von Laria in der Natur unterwegs sein würde, zog sie zudem die halbhohen Stiefel an, die ihre Füße vor dem feuchten Gras und vor Morast schützen würden. Binnen kürzester Zeit kehrte sie fertig angezogen in den Saal zurück, wo Jocelyn sich mit Laria unterhielt. Ihre Mutter drückte ihr ein kleines Bündel in die Hand, während Laria sich zum Gehen wandte.

„Du hast noch nichts gegessen, Isobel. Hier ist etwas Brot und Käse.“ Isobel bedankte sich, nahm es entgegen und folgte Laria, die ihr mit einem knappen Nicken angedeutet hatte, mit ihr zu kommen, um die anstehenden Arbeiten zu erledigen.

Praktisch den ganzen kühlen und bewölkten Morgen über folgte Isobel der Heilerin über Wiesen und durch Wälder. Auf Larias Anweisung trennte sie von allen möglichen Pflanzen Blätter und Blüten ab, wickelte sie anschließend in feuchte Tücher und legte sie in den großen Korb, den sie auf Anordnung der Kräuterfrau trug. Von dem Widerwillen, den Laria am Tag zuvor gezeigt hatte, war ihr nun nichts mehr anzumerken, vielmehr kam es Isobel so vor, als würde es ihr inzwischen gefallen, von einer Helferin begleitet zu werden, während sie diese wichtigen Vorbereitungen für den kommenden Winter erledigte.

Die Unterhaltung beschränkte sich fast nur auf Larias Erklärungen bei jeder Pflanze, wie die haltbar gemacht und zur Anwendung verarbeitet werden musste, und die Fragen, die Isobel wissbegierig dazu stellte. Die ganze Zeit waren sie dabei auf dem Land der MacCallums unterwegs. Auch wenn sich die Luft ein wenig erwärmte, je höher die Sonne stieg, wurde ihr dennoch nur der frostigste Biss genommen. Zu keiner Zeit wurde es warm genug, dass Isobel den Umhang hätte ablegen können.

Nach einigen Stunden kehrten sie zur Feste zurück. Kurz bevor sie das Tor erreichten, nahm Laria den Korb an sich, entließ Isobel mit einem kurzen Nicken und ging weiter zu ihrem Cottage. Isobel war bis zum nächsten Morgen erst einmal entlassen.

Sie hatte sich nie für verhätschelt oder faul gehalten, doch nachdem Laria den ganzen Vormittag mit ihr über Wiesen und durch Wälder von Pflanze zu Pflanze gezogen war, fühlte sie sich jetzt völlig erschöpft. Langsam näherte sie sich dem Tor der Feste und beobachtete die Dorfbewohner, die zu ihren Katen zurückkehrten. Am Rand einer schmalen Brücke entdeckte sie einen Abschnitt der flachen Mauer, der von der Sonne beschienen wurde. Sie setzte sich hin, zog den Umhang enger um sich und legte den Kopf in den Nacken, um die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihren Wangen zu spüren.

Schon nach wenigen Augenblicken hatte Isobel das Gefühl, dass sie jeden Moment vor Erschöpfung einschlafen könnte. Der Weg zu ihrem Gemach erschien ihr zu weit und zu anstrengend. Deshalb rutschte sie ein Stück weiter bis ans Ende der niedrigen Mauer und lehnte sich gegen den Baum, der gleich daneben stand. Zum ersten Mal seit dem Aufstehen im Morgengrauen nun endlich still dasitzen zu können, fühlte sich einfach wunderbar an. Sie schloss die Augen, hörte, dass Leute an ihr vorbeigingen, doch deren Schritte und Stimmen rückten nach und nach in den Hintergrund, während sie vom Schlaf übermannt wurde.

„Isobel?“

Jemand sagte ihren Namen, doch sie war noch so schlaftrunken, dass sie die Augen einfach nicht aufmachen konnte.

„Mädchen?“

Eine große Hand legte sich auf ihre Schulter, gleichzeitig sagte der Mann mit der wohlklingend tiefen Stimme erneut ihren Namen.

„Isobel? Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“

Athdar sah, wie sie die Augen aufschlug, ihn anschaute und erkannte. Er ließ die Hand auf ihrer Schulter liegen, um ihr Halt zu geben. Erst als sie richtig wach war, nahm er die Hand weg. Wahrscheinlich wartete auf ihn noch Ärger mit Margriet, weil er letzte Nacht jeglichen Anstand hatte vermissen lassen, als er mit Isobel mitten in der Nacht Schach gespielt hatte – und das ohne Anstandsdame. Aber wenn Margriet davon erfuhr, dass ihre Tochter am Rand einer Brücke sitzend eingeschlafen war, weil sie die halbe Nacht wach geblieben war, dann konnte er nur noch die Flucht ergreifen.

„Athdar“, murmelte sie und setzte sich gerader hin, ehe sie Hals und Schulter streckte. Schließlich lächelte sie ihn an und stand auf. „Es war so angenehm, eine Weile in der Sonne zu sitzen, da muss ich wohl eingenickt sein.“ Er sah, wie sich ihre Wangen vor Verlegenheit auf eine ganz bezaubernde Art röteten.

„Es war rücksichtslos von mir, Euch bis spät in die Nacht wach zu halten, Isobel. Und dann habe ich auch noch zugelassen, dass Laria Euch ohne Frühstück mitgenommen hat, kaum dass Ihr aufgestanden seid. Und jetzt musstet Ihr Euch zum Schlafen auch noch auf einer Brücke niederlassen. Ich bin ein schrecklicher Gastgeber.“

Als sie vor ihm stand, hätte er am liebsten die Schatten unter ihren Augen berührt und verschwinden lassen, weil sie auf ihrer zarten Haut wie Makel wirkten. Schon hob er die Hand, da hörte er ganz in der Nähe Stimmen. Leute überquerten die Brücke, sie konnten genau sehen, was er da tat, und sie konnten jedes Wort hören, das er sprach.

Also ging er zwei Schritte nach hinten, damit sie sich von der Mauer entfernen konnte, auf der sie gesessen hatte. Nachdem sie ihren Umhang ausgeschüttelt hatte, bot er ihr den Arm.

„Kommt, ich bringe Euch zurück in den Saal.“

Isobel sah sich um und nickte seinen Männern zu, die er auf ihren Pferden sitzend hatte warten lassen, damit er sich um sie kümmern konnte. Als er sie auf der Mauer entdeckte, hatte er sie wohl vergessen.

„Ihr habt Eure Verpflichtungen, Laird MacCallum, von denen ich Euch nicht abhalten darf“, sagte sie laut genug, damit die anderen sie auch hörten. „Aber ich danke Euch für Eure Freundlichkeit.“

Athdar wollte ihr dafür danken, dass sie so geschickt seine Würde gerettet hatte. Einmal mehr hatte bei ihrem Anblick sein Verstand ausgesetzt, und er hatte alles um sich herum vergessen.

„Wir wollen sehen, wie die Reparaturen an der Mühle vorankommen“, sagte er noch, bevor er sich zu seinem Hengst begab.

Nach den Blicken zu urteilen, die Padruig und die anderen ihm zuwarfen, würden sie ihn wegen seines Verhaltens noch verspotten. Er war eben erst aufgesessen, da begannen auch schon die Sticheleien. Er ließ sie schweigend über sich ergehen, da er wusste, jede Reaktion würde es nur noch schlimmer machen und die Aufmerksamkeit seiner Männer auf eine Sache lenken, von der er nicht wollte, dass sie sich damit befassten. Als sie den Weg erreichten, der zur Mühle führte, kam ihm eine passende Bemerkung in den Sinn.

„Ich habe mich als guter Gastgeber gezeigt, dem das Wohl seiner Gäste wichtig ist“, erklärte er an die Männer gewandt. „Aber womit wollt ihr rechtfertigen, dass ihr euch nicht aufmerksam gegenüber einer jungen und gut aussehenden Frau, die im heiratsfähigen Alter ist, verhalten habt?“

Dann ritt er wortlos weiter. Zwei Dinge waren ihm jetzt klar. Zum einen würden die Junggesellen unter seinen Männern, allen voran Fergus und Niall und wohl auch der erst vor Kurzem verwitwete Connal Isobel mit anderen Augen sehen, wenn sie alle beim Spätmahl in der Halle zusammensaßen. Zum anderen war ihm der schwerwiegende Fehler unterlaufen, sich mit der Tatsache zu beschäftigen, dass er sich von Isobel angezogen fühlte. Wenn er nicht umgehend wieder seinen Entschluss festigte, kein weiteres Mal zu heiraten, würde ein Mädchen wie Isobel ihn womöglich dazu bringen, es sich doch noch anders zu überlegen.

6. KAPITEL

Es war so angenehm warm, dass Isobel sich nicht rühren wollte. Sie zog die Bettdecke bis zum Hals hoch, damit sie die kühle Luft im Gemach nicht spürte. Die Sonne musste vor einer Weile aufgegangen sein, da es im Zimmer bereits sehr hell war. Ihre Mutter und Lady Jocelyn hatten sich bereits zum Frühmahl begeben. Aber obwohl der gestrige Tag noch anstrengender gewesen war als die Tage zuvor, regte sich ihr schlechtes Gewissen, dass sie noch in den Federn lag.

Als sie Lady Jocelyns Einladung, sie zur Feste ihres Bruders zu begleiten, angenommen hatte, war sie davon ausgegangen, sich die Zeit mit Stickereien und Gesprächen mit Jocelyns Verwandten zu vertreiben. Stattdessen hatte sie seit ihrer Ankunft mehr und härter gearbeitet als zu Hause. Sie flickte Kleidung, sie zerkleinerte und kochte Gemüse, das eingemacht werden sollte, säuberte zwei Vorratsräume und besuchte so gut wie jeden Dorfbewohner.

Die Vormittage hatte sie jedoch stets mit Laria verbracht, die sie weiter in die Kräuterheilkunde eingewiesen hatte. Inzwischen kannte sie den Unterschied zwischen einer Tinktur und einer Salbe, und sie wusste, wie man die getrockneten Blätter bestimmter Pflanzen mahlen musste, um eine Paste zu erhalten, die gegen vielerlei Leiden half.

Isobel hatte nichts gegen die viele Arbeit einzuwenden, jedoch war sie abends so erschöpft, dass sie Athdar kein zweites Mal zu einer Partie Schach hatte herausfordern können. Bereits beim Nachtmahl musste sie dagegen ankämpfen, dass ihr die Augen zufielen. Und wenn sie erst einmal im Bett lag, konnte sie sich nicht dazu durchringen, noch einmal aufzustehen und in den Saal zurückzukehren, um nachzusehen, ob Athdar wohl auf sie wartete.

Heute, am Morgen des vierten Tages, beschloss sie zu faulenzen und lange im Bett zu bleiben. Sie würde nicht wieder durch die Wildnis kriechen, um unter Büschen oder an Bachufern nach bestimmten Gräsern oder Blumen zu suchen.

Heute nicht!

Vielleicht würde sie sich später ein Buch aus der Sammlung der MacCallums aussuchen, sich an einen sonnigen Platz im Saal setzen und lesen. Nach einem erholsamen Tag wäre sie dann endlich ausgeruht genug, um am Abend wieder aus ihrem Gemach zu schleichen und mit Athdar Schach zu spielen.

Oder sie …

Ein Klopfen unterbrach ihren Gedankengang. Ein zweites, energischeres Klopfen veranlasste sie, die Decke zur Seite zu schlagen. Mit dem dritten Klopfen war ihr klar, dass sie ihren Plan vom Faulenzen aufgeben musste.

„Herein“, rief sie, blieb aber weiter liegen.

Glenna, eine der Dienstmägde, kam herein, machte die Tür hinter sich zu und wartete, bis Isobel das Bett verlassen hatte und vor ihr stand.

„Lady Jocelyn lässt ausrichten, dass sie an der Tafel auf Euch wartet“, sagte Glenna.

„An der Tafel? Hat sie noch nicht gefrühstückt?“, fragte Isobel und suchte hastig aus ihrer Truhe frische Kleidung heraus. Unter keinen Umständen wollte sie Lady Jocelyn unnötig warten lassen.

„Doch, das hat sie. Für Euch hat sie einen Imbiss kommen lassen, da Ihr …“ Glenna ließ den Satz unvollendet, da sie nicht wusste, wie sie „da Ihr den lieben langen Tag wie ein faules Flittchen vertrödelt“ höflich formulieren sollte.

„Sag ihr, ich bin sofort bei ihr“, trug Isobel der Magd auf, aber die verließ nicht das Gemach, sondern half ihr beim Umziehen und Frisieren, sodass sie innerhalb kürzester Zeit bereit war, zu Lady Jocelyn in den Saal zu gehen.

Glenna reichte ihr noch ein Schultertuch. „Es ist kälter geworden, Ihr werdet das womöglich brauchen.“

Als sie den Saal betrat, musste sie feststellen, dass nicht allein Lady Jocelyn auf sie wartete, sondern auch ihre Mutter sowie fünf junge Männer und ein älterer Mann. Alle standen auf, als sie den Tisch erreichte. Sie blieb stehen und deutete an Lady Jocelyn gerichtet einen Knicks an.

„Mylady“, sagte sie und nahm auf dem einzigen freien Stuhl Platz. „Verzeiht meine Verspätung.“

„Isobel, Athdar hat uns gebeten, dass wir dich mit seinen Verwandten bekannt machen“, sagte ihre Mutter. „Er dachte, du würdest Tomas, Dougal, Angus, Connor und James gern kennenlernen.“

Jeder der Männer verbeugte sich, sobald sein Name fiel, schließlich setzten sie sich auf ein Zeichen ihrer Mutter hin wieder auf ihre Plätze. Isobel wusste, was von ihr erwartet wurde, und begann sich mit Athdars Verwandten zu unterhalten. Nebenbei aß sie immer wieder von ihrem Eintopf, der ihr zwischenzeitlich serviert worden war. Sie bezweifelte zwar, dass irgendeiner von ihnen einen Anspruch auf einen Adelstitel besaß, aber vermutlich hatte sie es mit den wohlhabenderen Landbesitzern und Handwerkern aus dem Dorf zu tun.

Isobel achtete darauf, jedem der Männer gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken. Manchmal mischten sich auch ihre Mutter und Lady Jocelyn in die Unterhaltung ein, wenn ihr der Gesprächsstoff auszugehen drohte. Nachdem eine angemessene Zeit verstrichen war, bedankte Isobel sich bei den Männern für den Besuch. Zwar nickten diese daraufhin, erhoben sich aber im ersten Moment nicht von ihren Plätzen. Als sie schließlich aufstanden, taten sie das wie ein Mann, so als fürchtete jeder Einzelne, einen wichtigen Vorteil aus der Hand zu geben, wenn er vor den anderen den Tisch verließ. Die Gruppe entfernte sich geschlossen, und Isobel musste es sich verkneifen, über ein so kindisches Verhalten zu lachen.

„Dein Vater würde keinen von ihnen gutheißen“, gab Lady Jocelyn zu bedenken.

„Ich frage mich, warum dein Bruder überhaupt vorgeschlagen hat, dass sie Isobel kennenlernen sollen“, wunderte sich ihre Mutter.

Diese Frage stellte Isobel sich auch, aber Lady Jocelyn gab darauf keine Antwort. Hätte sie nicht in diesem Moment hingesehen, wäre ihr der Blick entgangen, den die beiden Frauen sich zuwarfen. Diese Reaktion fand sie verwirrender als Athdars Idee, sie mit seinen Verwandten bekannt zu machen.

„Ich habe Laria gesagt, wenn überhaupt, bin ich heute etwas später bei ihr“, sagte sie und stand auf. „Wenn ich hier nicht mehr gebraucht werde, möchte ich jetzt gern zu ihr gehen.“

„Überanstrenge dich nicht, Isobel“, warnte Lady Jocelyn sie. „Ich befürchte, dieser Wetterumschwung ist kein gutes Zeichen. Es könnte sein, dass wir früher als geplant abreisen müssen.“

„Gut“, erwiderte sie und beschloss, nur kurz bei Laria zu bleiben und am frühen Nachmittag wieder zurück in der Feste zu sein.

„Und zieh deinen warmen Umhang an“, riet ihre Mutter ihr. „Es ist kalt geworden.“

Isobel ließ sich von Glenna den Umhang bringen, dann verließ sie durch die Küche den Bergfried.

„Du kommst ja doch noch“, empfing Laria sie auf ihre übliche schroffe Art. „Ich habe für heute so gut wie alle Arbeiten erledigt.“

„Kann ich Euch noch bei irgendetwas behilflich sein?“, fragte Isobel, die schnell gelernt hatte, dass Laria nicht alles so meinte, wie sie es sagte. Sie musste an das denken, was Lady Jocelyn ihr über die Vergangenheit der Heilerin gesagt hatte, dennoch wollte sie ihr keine zu persönlichen Fragen stellen. Sie war hier nur zu Gast, und es gehörte sich nicht, solche Dinge zu fragen. Wenn sie etwas wissen wollte, konnte sie sich immer noch an ihre Mutter wenden.

„Der Wind hat gedreht, es wird früher Winter werden als gedacht“, sagte Laria und zeigte auf zwei kleine Säcke am anderen Ende des Tischs. „Die da muss ich zum Müller bringen.“

„Gibt es jemanden, der Euch begleitet?“, fragte Isobel.

„Nein, diesmal nicht. Aber bis zur Mühle ist es kein weiter Weg.“

Die Mühle. Athdar beaufsichtigte irgendwelche Arbeiten an der Mühle, was dazu führte, dass er jeden Tag erst spät in die Feste zurückkehrte. „Sollen wir jetzt gleich hingehen?“, schlug sie vor, ehe sie verhindern konnte, dass ihr diese Frage über die Lippen kam.

„Aye, lass mich nur den Topf vom Feuer nehmen“, sagte Laria, wickelte ihre Schürze um eine Hand und schob den heißen Topf von den Flammen. „Das genügt.“

Zwar war sie noch nie zur Mühle gegangen, aber Isobel wusste in etwa, wo sie lag.

„Soll das alles gemahlen werden?“, fragte sie, nachdem sie sich auf den Weg zum Fluss gemacht hatten, dessen Verlauf sie folgen würden, bis sie die Mühle erreichten. „Athdar beaufsichtigt seit einigen Tagen Reparaturen an der Mühle.“

Isobel entging nicht, dass sich Larias Laune so schlagartig veränderte wie vor ein paar Tagen, und zwar in dem Moment, in dem sie Athdar erwähnt hatte. Missfiel ihr, dass sie ihn nicht den Laird nannte, sondern seinen Vornamen benutzte? Vielleicht steckte auch mehr dahinter, aber gleich darauf gab sich die ältere Frau wieder ganz normal, so als sei nichts vorgefallen.

Je näher sie der Mühle kamen, umso unruhiger wurde Isobel, weil sie wusste, sie würde Athdar wiedersehen. Seit dem Zusammentreffen auf der Brücke hatte sie kaum noch ein Wort mit ihm geredet, dafür würde sie ihn jetzt erleben, wie er seine Pflichten als Laird ausübte.

Sie hörten die Geräuschkulisse, noch bevor sie um die Kurve gebogen waren, hinter der die Mühle lag. Als sie in Sichtweite kam, sah Isobel, dass mehrere Männer sich damit abmühten, einen neuen Mühlstein einzubauen. Eine Seite des Mühlhauses war entfernt worden, damit diese Arbeit überhaupt erledigt werden konnte. Beim Näherkommen entdeckte Isobel Athdar, der den Mühlstein in die richtige Position zu drücken versuchte und dabei von allen die anstrengendste Tätigkeit verrichtete. Um ihn nicht zu stören oder abzulenken, blieb sie stehen und legte Laria eine Hand auf den Arm, damit sie ebenfalls wartete.

Es dauerte nicht mehr lange, dann befand sich der Stein an seinem Platz. Jubel kam auf, während die Männer das erfolgreiche Ergebnis ihrer riskanten Arbeit betrachteten. Dann wurden Seile gespannt und die Verbindung zum Mühlrad wiederhergestellt, damit das vom Wasser angetrieben den Mühlstein drehen konnte. In diesem Moment sah Athdar zufällig in ihre Richtung, ihre Blicke trafen sich. Er winkte ihr zu und verließ das Gebäude, um zu ihr zu kommen. Laria ging ihrerseits zu dem Mann, der die Arbeiten geleitet hatte, vermutlich der Steinmetz oder der Müller.

Isobel versuchte keine Notiz davon zu nehmen, dass Athdar kein Hemd trug, und sie versuchte auch nicht, einen Blick auf die muskulöse Brust und den flachen Bauch zu werfen. Vor allem aber wollte sie nicht daran denken, wie der Rest seines Körpers aussah, der noch von Stoff bedeckt wurde. Mit einem Mal war die Luft gar nicht mehr so kalt. Ihr wurde heiß, am liebsten hätte sie sich den Umhang von den Schultern gerissen.

Athdar schien die Kälte ebenfalls nicht zu bemerken. Als er näher kam, musste sie sich davon abhalten, den Schweiß wegzuwischen, der ihm über Brust und Bauch lief. Immerhin schien ihm ihr Unbehagen nicht aufzufallen.

„Eure Mutter sagte heute Morgen, Ihr wärt unpässlich. Es freut mich zu sehen, dass es Euch wieder besser geht.“

Sie hielt den Sack hoch, den sie vom Cottage bis hierher getragen hatte. „Laria hatte meine Hilfe nötig“, sagte sie. Es war die fadenscheinigste Erklärung, die sie jemals von sich gegeben hatte. Doch das schien Athdar nicht aufzufallen.

„Broc! Bring das zu Lyall“, rief er seinem Steward zu und nahm ihr den Sack ab. „Frag Laria, was damit geschehen soll.“

Der sündhaft gut aussehende Broc kam dazu und verbeugte sich vor ihr. „Isobel, wie geht es Euch?“ Seine grünen Augen funkelten, sein Blick verweilte auf ihren Lippen. „Ich fürchtete schon, Ihr wärt krank, als Lady Jocelyn heute Morgen sagte, Ihr würdet im Bett bleiben.“

Athdar stieß ihn mit dem Ellbogen an, und Broc zog sich schnell zurück, bevor sie in die Verlegenheit kam, ihm eine Antwort geben zu müssen. Der Mann konnte das Schäkern nicht bleiben lassen, aber inzwischen hatte es auf sie nicht mehr die gleiche Wirkung wie bei der ersten Begegnung. Wahrscheinlich hing das auch damit zusammen, dass sie seitdem einige Zeit mit Athdar verbracht hatte.

„In aller Ernsthaftigkeit, Isobel …“, begann Athdar und nahm das Hemd und das Tuch entgegen, das ein Junge ihm reichte. „Wie fühlt Ihr Euch heute? Aus einem Gespräch mit Eurer Mutter weiß ich, dass dieser Besuch für Euch mit sehr viel Arbeit verbunden war.“

„Mir geht es gut, Athdar. Wirklich“, betonte sie. „Ich wollte heute Morgen nur ein wenig faulenzen, und meine Mutter und Eure Schwester haben mich gewähren lassen.“

„Ihr seid hier zu Gast, Isobel. Ich möchte nicht, dass Ihr Euch überanstrengt, nur weil ihr keine Bitte ablehnen möchtet, die an Euch herangetragen wird. Meine Schwester kann manchmal eine rechte Tyrannin sein.“

Mit dem Tuch wischte er seinen Oberkörper trocken, dann zog er das Hemd über den Kopf. Sie wandte nicht den Blick ab, auch wenn sie das hätte machen sollen. Stattdessen betrachtete sie aufmerksam das Spiel seiner Muskeln, während er sich ankleidete. Ihre Wangen begannen zu glühen, als er seinen Gürtel zurechtzog. Nachdem der Junge ihm sein Plaid gereicht hatte, schickte er ihn zurück zu den anderen. Er wickelte den karierten Stoffschal in den Farben seines Clans um seinen Oberkörper. Dann hielt er Isobel die Hand hin. Sie ergriff sie, er hielt sie fest und zog sie mit sich.

„Kommt, ich stelle Euch Lyall und seine Söhne vor.“ Ihre Hand ließ er erst los, als sie bei den anderen angekommen waren, die die Wand am Mühlengebäude wieder errichteten. „Schon sein Vater hat für meinen Clan die Mühle betrieben. Lyall, dies ist Isobel Ruriksdottir.“

„Erfreut, Euch kennenzulernen“, sagte Lyall und verbeugte sich vor ihr. Eine kleine Meute Jungen umschwirrte ihn, und er strich liebevoll dem einen oder anderen über den Kopf. „Das sind meine Söhne.“ Er lachte, als ein paar nach vorn drängten, um ihr vorgestellt zu werden. „Ihre Namen erspare ich Euch, die müsst Ihr Euch nicht merken. Wichtig ist nur, dass sie alle zu mir gehören.“

Ein Junge stach aus der Gruppe heraus. Weil er kein Junge, sondern ein Mädchen war, das wie ein Junge angezogen war.

„Ah, mein kleines Mädchen, das mit seinen Brüdern mithalten will. Ihr habt sie also bemerkt. Das ist Elizabeth, so wie ihre Mutter, möge der Herr ihrer Seele gnädig sein.“ Lyall beugte sich vor und flüsterte Isobel zu: „Sie ist ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Isobel stiegen Tränen in die Augen, als sie sich vorstellte, dass all diese Kinder ohne Mutter aufwachsen mussten. Aber Lyall schien ihnen genug Liebe geben zu können, das sah sie am Leuchten in seinen Augen.

„Ihr könnt Euch glücklich schätzen, eine solche Familie zu haben, Lyall“, sagte sie zu ihm.

Sie war mit einem jüngeren Bruder und einer jüngeren Schwester großgeworden, dabei hatte sie von ihren Eltern so viel Liebe erfahren, dass sie nur hoffen konnte, so etwas auch in der Familie zu erleben, die sie einmal haben würde, so es Gott gefiel. In diesem Moment sah sie Athdar ins Gesicht, doch sein Blick war auf einen fernen Punkt irgendwo zwischen den Bäumen gerichtet. In seinen Augen erkannte sie den Schmerz, der ihr selbst einen Stich durchs Herz jagte.

Sie nahm sich fest vor, ihm irgendwie zu helfen, selbst wenn sie nicht die richtige Frau für ihn war. Auch wenn sich aus diesem Besuch hier nichts ergeben sollte und sie ohne Verlobungspläne mit ihrer Mutter und Lady Jocelyn heimkehren würde, wollte sie etwas tun, damit er von diesem Schmerz befreit wurde.

„Nun, ich sollte mich jetzt besser wieder um meine Mühle kümmern. Es war mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen.“ Lyall verbeugte sich wieder, dann kehrte er mit den Kindern zu dem Gebäude zurück, an dem noch immer gearbeitet wurde. Amüsiert verfolgte Isobel, wie die Kinder unablässig herumtollten.

Laria gab Lyall genaue Anweisungen, wie fein ihr Mehl aus getrockneten Wurzeln und Bohnen gemahlen werden musste. Athdar stand ein paar Schritte davon entfernt, nahm aber noch immer nichts um sich herum wahr, da er unverändert in seiner Trauer versunken war, die so ausgeprägt war, dass Isobel sie ihm anmerken konnte.

„Athdar?“, sagte sie leise. „Laria und ich brechen gleich auf.“

Er verdrängte die melancholischen Gefühle, die ihn immer dann heimsuchten, wenn er an seinen Traum von einer kinderreichen Familie dachte. Als er sich zu Isobel umdrehte, erkannte er am Ausdruck ihrer wunderschönen blauen Augen, dass sie genau wusste, woran er gedacht hatte. Sie hatte den Schmerz gesehen, der sein Herz und seine Seele fest im Griff hatte.

„Lasst mich Euch zur Feste bringen“, erwiderte er. „Der Wind hat aufgefrischt und wird noch kälter werden.“ Er gab einem der Männer ein Zeichen, sein Pferd zu ihm zu bringen.

„Laria …“, begann sie, sagte aber nicht Nein.

„Einer der Jungen wird sie mit Lyalls Ponywagen nach Hause fahren.“

Sie warf Laria nur einen kurzen Blick zu, um deren Einverständnis einzuholen. Die ältere Frau zog die Brauen zusammen, ehe sie bedächtig nickte. Athdar rechnete nicht damit, dass sie widersprechen würde – das hatte sie noch nie getan, seit er Laird war –, aber er hatte das Gefühl, dass sie überlegte, ob sie genau das machen sollte. Da er nicht von jemandem eine Erlaubnis einholen musste, die der gar nicht erteilen konnte, griff er nach den Zügeln und schwang sich in den Sattel. Er beugte sich zur Seite und hielt Isobel die Hand hin.

Sie widerlegte sofort seinen flüchtigen Gedanken, dass sie zögern könnte, indem sie nach seiner Hand griff, sich mit ihrem Fuß auf seinem abstützte und hinter ihm aufsaß. Er ließ ihr etwas Zeit, um ihre Röcke und den Umhang zurechtzuziehen, dann ließ er sein Pferd in Schritt verfallen. Isobel legte ihm die Arme um die Taille, um sich an ihm festzuhalten, und er ließ eine Hand auf ihren Fingern ruhen.

Verdammt, es fühlte sich so gut und so richtig an, sie so dicht an seinem Körper zu spüren!

Kaum hatten sie die Kurve nahe der Mühle hinter sich gebracht, ließ er sein Pferd antraben. Die ganze Zeit hielt sich Isobel dabei an ihm fest. Es muss an der kalten Luft liegen, sagte er sich. Sie schmiegte sich nur an ihn, um seine Wärme zu suchen, denn bei diesem gemächlichen Tempo hätte sie ihn loslassen können.

Nachdem sie eine Weile unterwegs gewesen waren, setzte sie sich hinter ihm zwar etwas gerader, doch die Arme ließ sie weiter um ihn geschlungen. Er genoss ihre Nähe, fühlte sich auf unbeschreibliche Weise zu ihr hingezogen.

Und das, obwohl es ihm nie an weiblicher Gesellschaft mangelte. Da war diese junge Witwe im Dorf, die sich an seiner Aufmerksamkeit erfreute, ebenso eine in Lairig Dubh. Wieso es sich mit Isobel so ganz anders, so richtig anfühlte, war ihm ein Rätsel, von dem er nicht mal wusste, ob er es gelöst sehen wollte.

Es war nicht statthaft, sich eine unverheiratete junge Frau aus gutem Hause als Gespielin ins Bett zu holen. Sie und ihre Familie sowie Connor als ihr Laird hatten jegliches Recht, davon auszugehen, dass, sollte er Interesse an ihr bekunden, er ein Heiratsangebot folgen lassen würde.

Und genau das war der Grund, weshalb er seine Finger von ihr lassen musste. Er konnte und wollte keiner Frau die Ehe anbieten und damit riskieren, dass sie dem gleichen Schicksal zum Opfer fiel wie die Frauen an seiner Seite vor ihr. Mancher würde ihn dafür auslachen, dass er an einen Fluch glaubte. Einen Fluch, der jedem den Tod brachte, den er liebte oder der ihm etwas bedeutete. Der jedes kleine Glück im Ansatz zerstörte.

Er durfte nicht zulassen, dass Isobel auch noch von diesem Fluch getroffen wurde und womöglich ihr Leben verlor.

7. KAPITEL

Den Ritt zurück zur Feste brachten sie schweigend hinter sich. Da eine Unterhaltung schwierig war, wenn man hintereinander saß, und zudem der Wind laut durch die Bäume pfiff, begann Isobel kein Gespräch. Da es ihm gefiel, wie sie sich an ihm festhielt, ließ er sie gewähren. Hinter ihm war sie ein wenig vor dem kalten Wind geschützt, und als sie sich wieder an ihn schmiegte, sagte er sich erneut, dass sie nur seine Wärme suchte – zumal die Kraft der untergehenden Sonne nachließ.

Als sie kurz vor der Feste waren, bewegte sich Isobel so, als erwarte sie, dass er anhalten und sie ein Stück davor absetzen würde. Doch das kam nicht für ihn in Betracht. Stattdessen ritt er mit ihr durch das Tor, bis sie an den Stufen zum Bergfried angelangt waren, und stieg aus dem Sattel. Er nahm ihre Hand und half ihr abzusitzen, ohne darauf zu warten, dass irgendjemand vortrat, um das für ihn zu erledigen.

„Ich danke Euch, dass Ihr mich mitgenommen habt“, sagte sie.

Der Wind hatte ihre Haare zerzaust, sie strich sie aus dem Gesicht und über die Schulter, dann zog sie ihren Umhang zurecht. Einen Moment lang stellte er sich vor, er wie er mit den Fingern durch ihre hellgoldenen Locken fuhr und sie auf seinem Kissen ausbreitete, während er ihr Lust bereitete.

„Ich wollte nicht, dass Ihr zu erschöpft seid, um meine Herausforderung für den heutigen Abend anzunehmen“, erklärte er und sah ihr tief in die Augen, wobei sein Körper auf alles reagierte, was man an Doppeldeutigkeiten und sinnlichen Anspielungen in seine Worte legen konnte. Bevor er aber sich selbst und Isobel in Verlegenheit brachte, wandte er den Blick ab.

„Ich glaube, ich kann mich nach dem Spätmahl lange genug wachhalten, um für eine Partie zur Verfügung zu stehen“, erklärte sie. Als sie dann mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe strich, machte ihn das fast verrückt. Er räusperte und verabschiedete sich. Bevor er sich wieder in ihre Nähe begab, musste er sich erst einmal unter Kontrolle bringen.

Athdar führte sein Pferd zu den Stallungen und verfluchte sich insgeheim dafür, dass er diese Frau so auf sich wirken ließ. Sie vermochte es, ihn wieder das fühlen zu lassen, wonach er sich sehnte. Sie konnte ihn von Dingen träumen lassen, die er immer hatte haben wollen. Sie konnte …

Als er auf dem Weg zu den Stallungen am Friedhof vorbeikam, erwachte seine Vernunft wieder zum Leben. Die großen und kleinen Grabsteine erinnerten ihn an sein Versagen und gaben ihm seine Selbstbeherrschung zurück. Er konnte jeden Namen auswendig wiedergeben, auch wenn Wind und Wetter den Steinen zugesetzt hatten. Er hatte nie auch nur eines dieser Gräber je vergessen – bis zu dem Moment, da eine gewisse blonde Frau in seine Feste gekommen war.

Wenigstens würde er wieder seinen Frieden haben, wenn sie von hier weggegangen war. Auch wenn der Gedanke ihn traurig stimmte, sie bald wieder abreisen zu sehen, war das doch nur der Preis, den er für sein Versagen zahlen musste.

Er übergab sein Pferd einem der Stalljungen und kehrte zum Bergfried zurück. Das Nachtmahl würde bald serviert werden, und danach konnte er sich ein letztes Mal mit der wunderschönen Isobel im Schach messen. Broc hatte ihm bereits von Jocelyns Absicht berichtet, am nächsten Morgen abreisen zu wollen, um einem verfrühten Wintereinbruch zuvorzukommen. Der Gebirgspass würde zu einer tödlichen Falle werden, wenn sie dort unterwegs waren und von einem Schneesturm überrascht wurden. Vielleicht sollte er sie bis zur Grenze seiner Ländereien begleiten, um zu gewährleisten, dass sie sicher bis zum Pass gelangten.

Jocelyn würde da ein Wort mitzureden haben, also sollte er ihr zuerst einmal seinen Plan mitteilen. Schließlich war sie genauso starrköpfig wie ihr Ehemann, auch wenn sie niemals zugegeben hätte, dass sie sich diesen Wesenszug von ihm angeeignet hatte. Wenn sie einen Entschluss gefasst hatte, ließ sie sich durch nichts und niemanden davon je wieder abbringen.

Unwillkürlich fragte er sich, welche anderen Entschlüsse sie noch gefasst haben mochte. Falls einer ihrer Pläne ihn und Isobel betraf, musste er ihr deutlich machen, dass ein solches Vorhaben unmöglich war. Er ging hinauf in seine Gemächer, um sich den Schmutz des Tages abzuwaschen, ehe er sich zum Essen an die Tafel setzen würde. Wenig später war er auch schon auf dem Weg zum Saal – und damit auch auf dem Weg zur Schachpartie, zu der er Isobel herausgefordert hatte.

Jocelyn schaute aus dem Fenster ihres Gemachs. Mit jeder Stunde schien der Wind kräftiger zu wehen, was kein gutes Zeichen war. Zwar versuchte sie immer wieder darüber hinwegzugehen, dass sie keine junge Frau mehr war, doch das änderte nichts daran, dass ihre Knochen jetzt so schmerzten wie vor jedem Unwetter. Der Winter würde in diesem Jahr früh beginnen, und nach allem, was sie beobachten konnte, näherte er sich mit riesigen Schritten.

„Aye, ich denke, wir müssen beim ersten Licht des neuen Tages aufbrechen“, sagte Jocelyn und wandte sich den beiden anderen Frauen im Gästegemach zu, um deren Reaktionen zu sehen. Die eine schien diese Umstände hinzunehmen und zu verstehen, die andere zeigte sich enttäuscht und auch ein wenig unwillig. „Wir können nicht das Risiko eingehen, hier eingeschneit zu werden. Und noch weniger können wir es uns erlauben, in den Bergen in einen Schneesturm zu geraten.“

„Ich werde nach dem Nachtmahl anfangen zu packen“, entgegnete Margriet, stand auf und kam zu ihr. „Connor und Rurik würde es nicht gefallen, uns aus diesen Bergen zu retten.“

Jocelyn lächelte. Ihrer beider Ehemänner würden durch die Flammen der Hölle gehen, wenn es darum ging, ihre Frauen vor irgendeinem Unheil zu bewahren. Das wusste sie ebenso gut wie Margriet. Sie mochten unerbittliche Krieger sein, aber ihre Gemahlinnen waren die großen Schwächen der beiden, und weder Unwetter noch Krieg noch Gott persönlich konnte sie von ihnen fernhalten, wenn sie sie brauchten.

Isobel schwieg die ganze Zeit über. Sie bekam jedes Wort mit, äußerte sich aber zu nichts. Es war eine gute Eigenschaft von ihr, dass sie erst aufmerksam zuhörte, ehe sie eine Bemerkung zum Thema machte. Das war ein weiterer Grund, weshalb Jocelyn fand, dass sie gut zu ihrem Bruder passen würde. Sie war besonnen und gutherzig. Aber nun mussten sie vorzeitig abreisen, und damit wurde ihnen die Gelegenheit genommen, Zeit miteinander zu verbringen und herauszufinden, ob sie wirklich zusammenpassten oder nicht.

„Nun, dann lasst uns in den Saal gehen und zu Abend essen. Unsere Sachen werden wir anschließend packen, und die Männer können dann alle Vorbereitungen treffen, damit wir bereit sind, um beim ersten Licht des Tages aufzubrechen.“

Margriet nahm ihre Tochter an der Hand, Jocelyn folgte den beiden aus dem Schlafgemach. In der Saalmitte angekommen, blieb sie stehen und betrachtete den Ort, an dem sie aufgewachsen war. Der größte Teil ihrer Familie war längst nicht mehr hier. Ihre Mutter war gleich nach ihrer Heirat mit Connor MacLerie gestorben, ihren Vater hatte sie dann vor zehn Jahren verloren. Ihre älteren Cousinen hatten sich vermählt und waren weggezogen. Freud und Leid hatten hinter diesen Mauern existiert, doch jetzt war nur noch das Leid übrig. Isobel bemerkte, dass sie stehen geblieben war, und kam zu ihr zurück.

„Stimmt etwas nicht, Lady Jocelyn?“, fragte sie leise.

„Nein, es sind bloß Erinnerungen an lang vergangene Zeiten, als ich noch ein Mädchen war“, antwortete sie. „Für meine Cousinen und mich gab es das perfekte Versteck, wenn wir von Athdar in Ruhe gelassen werden wollten. Dort oben.“ Sie zeigte auf einen kleinen Alkoven am Laufgang zum oberen Stockwerk. Isobel nickte, als sie ihn entdeckte. „Und mitunter versteckte ich mich dort oben, damit ich nicht meine Aufgaben im Haushalt erledigen musste.“

„Das glaube ich nicht, Mylady!“, protestierte Isobel lachend.

„Oh, als Kind konnte ich eine richtige Plage sein. Athdar war genauso das Ziel meiner Streiche wie umgekehrt.“

Margriet drehte sich ebenfalls zu ihnen um. „Kommt, sie warten schon auf uns.“

Jocelyn lächelte Isobel an und fragte sich, ob sie wohl einen Fehler eingestehen musste, weil sie versucht hatte, diese beiden zusammenzubringen. Doch Isobel hatte ihr mit klaren Worten zu verstehen gegeben, dass sie an Athdar interessiert war, und als sie sie beobachtete, hatte sie erkennen können, dass bei dem Mädchen bereits Gefühle im Spiel waren. Wenn Isobel kühn genug ist, um diese Gelegenheit zu nutzen, und wenn sie klug genug ist, um meine Botschaft zu verstehen, dann kann sie diejenige sein, die Athdar von den Gedanken befreit, die seinen Verstand vergiften, und ihn von seiner Traurigkeit erlösen, überlegte Jocelyn.

Athdar und die anderen Männer an der Tafel standen auf und warteten, bis sich die drei Frauen gesetzt hatten, erst dann nahmen sie auch wieder Platz. Jocelyn konnte nur darauf hoffen, dass sie sich nicht in Isobel getäuscht hatte. So viel hängt einzig und allein davon ab, dass ich mich nicht irre, dachte Jocelyn.

8. KAPITEL

Jocelyn plante irgendetwas, davon war er überzeugt. Athdar erkannte all die Anzeichen wieder, die er auch in der langen Geschichte ihrer Streitigkeiten und Kämpfe hatte beobachten können. Das spürte er ganz deutlich. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, wie um ihn zu warnen, dass seine Schwester einfallsreich und stur, ja sogar verschlagen sein konnte, wenn sie ihr Ziel erreichen wollte. Als sie jetzt mit Isobel zu seiner Tafel kam, wusste er sofort, sie führte etwas im Schilde. Das einzig Gute war, dass sie schon am nächsten Morgen die Heimreise antreten würde. Was zugleich schlecht für ihn war, denn damit würde auch Isobel von hier weggehen.

Er beobachtete die Diener, die damit begannen, Schüsseln mit Fleischeintopf auf der Tafel zu verteilen. Es folgten Platten mit gebratenem Geflügel und mit noch dampfenden Brotlaiben, frisch aus dem Ofen. Es dauerte nicht lange, da war der lange Tisch zum großen Teil mit Speisen vollgestellt. Man reichte die Schüsseln von einem zum anderen, damit jeder sich bedienen konnte. Athdar versuchte etwas zu essen, doch sein Magen war so verkrampft, dass er keinen Bissen herunterbekam. Das Nachtmahl verlief in angenehmer Atmosphäre, es wurde über die bevorstehende Heimreise und viele andere Themen geredet. Nachdem Athdar die Tafel aufgehoben hatte, standen die meisten auf, um noch irgendwelche Aufgaben und Vorbereitungen zu erledigen. Mit einem Mal erkannte er das Gefühl, das er in diesem Augenblick verspürte.

Enttäuschung. Er wollte nicht, dass Isobel von hier wegging.

„Ist noch genug Zeit für eine Partie, Isobel?“, fragte er, als sie sich ebenfalls erheben wollte. Diese letzte Gelegenheit, Zeit mit ihr zu verbringen, durfte er sich nicht entgehen lassen. Isobel schaute kurz zu ihrer Mutter, ehe sie sich wieder ihm zuwandte.

„Aye, ich werde mir die Zeit nehmen, Athdar“, antwortete sie so leise, dass es ihr so vorkam, als würde sie nur zu ihm reden. Doch die zum Teil bestürzten Mienen der anderen, die in der Nähe standen, ließen keinen Zweifel daran, dass sie jedes Wort gehört hatten – und dass ihnen der Tonfall nicht entgangen war. „Wenn Ihr tatsächlich so darauf versessen seid, schon wieder besiegt zu werden“, fügte sie an.

Er musste lachen. „Ich bin nicht darauf versessen, Isobel, aber ich kann eine solche Herausforderung nicht unbeantwortet lassen, wenn ich nicht will, dass Zweifel an meiner Ehre geäußert werden. Also will ich Revanche.“ Er stand auf, als die Frauen sich erhoben, und sah ihnen nach, wie sie zu ihrem Gemach gingen. Dann nahm er wieder an der Tafel Platz.

Sie würde also zurückkommen.

„Was zum Teufel sollte denn das, Dar?“, wollte Padruig wissen, setzte sich zu ihm und stellte einen Krug voll mit Ale vor sich auf den Tisch.

„Schach. Wir haben am ersten Abend nach der Ankunft meiner Schwester gespielt, aber seitdem hat sich keine Gelegenheit mehr ergeben. Die erste Partie hätte ich verlieren müssen, die zweite habe ich verloren.“

„Du hast mit der jungen Frau eben nicht über Schach gesprochen“, sagte Padruig ihm auf den Kopf zu. Manchmal war er einfach zu scharfsinnig. „Du weißt ja, vor wem du dich verantworten musst, wenn sich zwischen euch beiden etwas Unziemliches abspielt, nicht wahr?“

„Aye.“ Athdar griff nach seinem Becher und trank mehrere Schlucke, um etwas Zeit zu gewinnen. Dabei wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit. Er und Padruig hatten sich auf Lairig Dubh aufgehalten, als der junge Rob Mathieson dort aufgetaucht war, um die Hand von Lilidh, Connors ältester Tochter, zu fordern. Das hatte man ihm nicht leicht gemacht. Er hatte einen harten Kampf um die geliebte Frau ausfechten müssen, um sich ihrer würdig zu erweisen. Als bester Krieger der MacLeries war ihm zuerst Rurik gegenübergetreten, was Rob nur mit viel Glück überlebt hatte. Trotz seines Alters war Rurik immer noch der beste Kämpfer, den Athdar kannte. Er war ein Recke, dem er auf dem Schlachtfeld lieber nicht begegnen wollte. Da er nichts plante, womit er Ruriks Tochter hätte entehren können, bereitete ihm das jedoch keine Sorge.

„Und? Wirst du mir erzählen, was zum Teufel du mit ihr vorhast?“

„Ich mag sie, Padruig. Ich mag sie einfach.“ Es tat gut, das zuzugeben. Er sah seinen Freund an und wartete auf dessen Reaktion.

„Das sieht jeder, der nicht blind ist. Und sie mag dich. Aber was soll dabei herauskommen, wenn du doch geschworen hast, nie wieder zu heiraten?“

Nicht einmal seinem engsten Freund gegenüber würde er zugeben, dass sie bei ihm den Wunsch geweckt hatte, seinen Schwur zurückzunehmen.

„Wir werden ein paar Partien Schach spielen. Sie wird am Morgen abreisen und nach Lairig Dubh zurückkehren.“

Padruig knurrte etwas vor sich hin und trank noch einen Schluck aus seinem Becher. Athdar musste nicht hören, was er gesagt hatte, er wusste auch so, dass es ein wüster Fluch gewesen war. Padruig begnügte sich mit einigen derben Schimpfwörtern, wenn er wütend war. Wer ihn kannte, konnte den Fluch mitsprechen.

Zwei Dienstmägde kamen zu ihnen, um die Teller und Schüsseln abzuräumen. Inzwischen hatten sich alle zurückgezogen, sodass nur noch Athdar und Padruig beisammensaßen. Athdar rieb sich übers Gesicht und fühlte sich mit einem Mal älter, als er tatsächlich war. Padruig hatte Frau und drei Kinder, der älteste Sohn übte sich bereits im Schwertkampf.

Ich dagegen habe nichts.

„Hast du mal daran gedacht zu versuchen …“, begann Padruig.

„Ich habe an nichts anderes gedacht.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe es nach Mairi getan, ich habe es nach Seonag getan. Aber nach Tavias Tod wurde mir klar, dass ich nicht noch eine Frau in Gefahr bringen kann. Und du weißt, was dann passiert ist.“

Er wollte über diese Dinge nicht reden, er wollte nicht mal darüber nachdenken. Es war besser, wenn das alles im Dunkel einer unglücklichen Vergangenheit verborgen blieb. Padruig musste gemerkt haben, dass er zu weit gegangen war, da er ohne ein weiteres Wort sein Ale austrank.

„Da kommt sie“, flüsterte er.

Athdar hob den Kopf und sah, dass Isobel auf dem Weg zu ihm war. Entschlossen durchquerte sie mit schnellen Schritten den Saal. Padruig stand auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht.

„Du stehst auf verlorenem Posten, mein Freund.“

Ehe Athdar ihn fragen konnte, was genau er damit meinte, gab der ihm lachend einen Klaps auf den Rücken und ging weg.

„Lady“, sagte er im Vorbeigehen zu ihr. „Er baut zwar eine starke Verteidigung auf, aber lasst Euch davon nicht täuschen.“ Seine Worte waren laut genug, dass auch Athdar sie verstehen konnte.

Isobel ließ sich nicht anmerken, was sie von dieser Äußerung hielt, und sie sagte auch nichts dazu. Athdar zog zwei Stühle heran und stellte sie vor das wärmende Kaminfeuer, sie schob den kleinen Tisch dazwischen.

„Ihr habt ungewöhnlich schnell gepackt“, stellte er fest, während er nach der kleinen Holzkiste und dem Spielbrett griff. „Ich hätte Euch frühestens in einer Stunde erwartet.“

„Meine Mutter meint, ich würde nur alles durcheinanderbringen, also hat sie mich weggeschickt.“

Nachdem sie Platz genommen hatte, setzte er sich auch hin. „Ich vermute, mit dieser Taktik habt Ihr schon in der Vergangenheit Erfolg gehabt.“ Als ihre Wangen daraufhin rot wurden, hatte er die Bestätigung für seine Vermutung erhalten, ohne dass sie ein Wort hatte sagen müssen. „Welche Farbe möchtet Ihr haben?“

„Ich mag die schwarzen Spielfiguren“, erklärte sie, nahm eine von ihnen in die Hand und hielt sie hoch, während sie mit den Fingern über die Kanten rieb. Athdar hätte schwören können, dass er in diesem Moment ihre Finger an der Stelle seines Körpers spüren konnte, wo seine Erregung pulsierte. Er atmete tief durch, um sich nichts anmerken zu lassen. „Das Düstere spricht mich an.“

Auch wenn er lieber sterben würde, anstatt irgendetwas Ehrloses zu tun, musste er doch an die vielen Dinge denken, die er nur zu gern mit ihr gemacht hätte. Sie war noch immer mit der geschnitzten Schachfigur beschäftigt. Irgendwie gelang es ihm, sein Verlangen unter Kontrolle zu bringen, dann nahm er die roten Figuren und stellte sie auf seiner Hälfte des Schachbretts auf. So ausgezeichnet, wie sie am ersten Abend gespielt hatte, musste er bei klarem Verstand sein, wenn er eine Chance auf einen Sieg oder wenigstens ein Remis wahren wollte.

Er ließ sie den ersten Zug machen, doch es dauerte nicht lange, da fing sie an, ihn mit riskanten Zügen herauszufordern, bei denen sie ihre Figuren in Gefahr brachte. Athdar widerstand der Verlockung, auf ihre Finten zu reagieren. Im Krieg oder in einer Schlacht würde sie eine bemerkenswerte Strategin abgeben, überlegte er, als sie ihm die nächste Figur abnahm. Fast seine halbe Armee fiel ihr zum Opfer, bis er das Muster ihrer Züge endlich durchschaute. Er konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen, als ihm klar wurde, auf welch simple Weise sie ihn auf die Probe stellte und mal eine Figur erbeutete, mal einen Rückzieher machte.

Gleich darauf war dann auch schon sein Ende gekommen. Er war so sehr darauf bedacht gewesen, ihre intelligente Spielweise zu bewundern, dass er die letzte Abfolge von Zügen schlichtweg übersah, die ihn seine Dame kostete und dann den König schachmatt setzte. Jetzt stimmte sie in sein fröhliches Lachen ein, was die im Saal verbliebenen Diener aufhorchen ließ.

„Noch eine Partie?“, fragte er und deutete in Richtung der großen Tafel. Ailean sah seine Geste und brachte ihnen den Krug mitsamt zwei Bechern an den Tisch.

„Die Höflichkeit verlangt von mir, dass ich von einer weiteren Partie absehen soll, trotzdem würde ich gern fortfahren“, antwortete sie.

„Einverstanden“, entschied er und ließ sie wieder den ersten Zug machen.

Er hatte inzwischen einiges über ihre Art zu spielen herausgefunden, daher war er diesmal besser vorbereitet. Diesmal gingen sie es in einem gemächlicheren Tempo an, jeder von ihnen widmete sich nach einem Zug länger als zuvor der Situation auf dem Schachbrett. Nach einigen Zügen hatte Athdar bereits eine Figur verloren, da fragte Isobel plötzlich: „Wie heißt Eure Feste eigentlich?“

„Die Feste? Sie hat keinen Namen.“ Nach kurzem Überlegen wurde ihm klar, was sie meinte. „Sie ist nicht so groß und so eindrucksvoll, dass sie einen Namen verdiente.“

„Oh, sie ist schon recht groß. Und eindrucksvoll könntet Ihr sie machen, wenn Ihr das wolltet“, sagte sie.

„Habt Ihr je Euren Großvater besucht?“ Falls ja, würde es erklären, dass sie sich eindrucksvollere Festen vorstellen konnte, sogar noch imposanter als die Connor MacLeries. Ruriks Vater, der Earl of Orkney, war einer der reichsten Männer Schottlands.

„Ich habe ihn kennengelernt“, bestätigte sie und beugte sich vor, um so leise weiterzureden, dass nur er sie verstehen konnte: „Mein Vater möchte nicht, dass ich mich an die prachtvolle Art gewöhne, wie sein Vater sein Leben führt. Aber ich habe meine Großmutter in Caithness besucht und mehrere Monate bei ihr verbracht.“

Ihr Großvater väterlicherseits besaß Macht und Reichtum in außergewöhnlichem Maß, während Ruriks Mutter sich entschlossen hatte, ihren Lebensabend in einem Kloster im Nordosten zu verbringen. Diese beiden Leben konnten kaum extremer sein, und dennoch schien Isobel nicht von einem dieser Extreme tiefer beeindruckt zu sein als von dem anderen.

„Euer Vater ist ein praktisch veranlagter Mensch“, sagte er.

Ihre Augen blitzten auf, sofort bekam sie rot glühende Wangen. Gleich darauf begann sie schallend zu lachen. Sie strahlte solche Freude aus, dass es ihm so vorkam, als würde dieses Strahlen den ganzen Saal erhellen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ihre Haare offen trug, nicht wie noch beim Nachtmahl zum Zopf geflochten.

„In all meinen Jahren …“

Er stutzte. In all ihren Jahren?

„So lange ich zurückdenken kann, habe ich weder meinen Vater noch Euch ein gutes Wort über den jeweils anderen sagen hören. Noch nie“, sagte sie und wischte sich mit dem Handrücken über ihre Augen. „Ich kenne nicht den Grund für diese gegenseitige Feindseligkeit, ich habe immer nur das ein oder andere Gerücht gehört … Was Ihr eben gesagt habt, ist das einzig Gute, das Ihr je über ihn habt verlauten lassen.“

Ihr Lachen tat ihm so gut, er konnte davon gar nicht genug bekommen. So lange Zeit war dies hier ein Ort der Traurigkeit gewesen, und das würde auch bald schon wieder so sein, doch für den Augenblick konnte er sich wenigstens an ihrer Erheiterung erfreuen.

„Ich bin mir sicher, ich habe auch andere gute Dinge über ihn geäußert.“ Athdar suchte in seiner Erinnerung nach einer solchen Bemerkung, aber ihm wollte nichts einfallen. Schließlich sagte er: „Ich habe stets sein kämpferisches Geschick bewundert.“

Sie hörte auf zu lachen, doch ihr Lächeln war mindestens genauso ansprechend. „Dann sagt mir, wie es zu der Feindseligkeit gekommen ist. Ich würde sehr gern die Wahrheit erfahren.“

Athdar zögerte. Es fiel ihm nicht leicht, über erfahrene Demütigungen zu reden. Dennoch …

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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Michelle Styles
Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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