Zärtliche Krieger: Ritter und Bastarde - Best of Historical 2020

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Historical-Romane aus 2020 - leidenschaftlich, aufregend und romantisch. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

DIE SCHÖNE GEFANGENE DES WALISISCHEN RITTERS von NICOLE LOCKE

Wales, 1290. Eine Waldnymphe? Gebannt beobachtet Lord Teague of Gwalchdu die wunderschöne Frau, die leichtbekleidet auf der mächtigen Eiche herumklettert. Doch als sie aus luftiger Höhe wüste Beschimpfungen ausstößt, erkennt der Ritter seinen Irrtum. Sie ist keine Waldnymphe, sondern seine Feindin, die ihn für einen Verräter der walisischen Sache hält. Womöglich ist sie es auch, die in letzter Zeit Morddrohungen für ihn hinterlässt! Wie kann er sie überführen? Das Schicksal entscheidet für ihn: Sie stürzt vom Baum und bleibt bewusstlos zu seinen Füßen liegen. Er macht die begehrenswerte Anwen of Brynmor zu seiner willenlosen Gefangenen …

GEFANGEN IN DEN ARMEN DES FEINDES von JENNI FLETCHER

Der Feind steht vor den Toren ihrer Burg! Mutig und entschlossen tritt Lady Juliana dem Anführer der Truppen entgegen, um zu verhandeln. Doch mit Schrecken muss sie feststellen, dass Lothar nicht nur ein starker Krieger ist, sondern auch ein sinnliches Begehren in ihr weckt! Als Verhandlungspartner ist er absolut unnachgiebig. Es gibt nur eine Lösung: Sie muss ihn verführen, um ihn auf ihre Seite zu ziehen! Schon beim ersten Kuss entbrennt heiße Leidenschaft. Kann Juliana nicht nur ihre Burg, sondern auch ihr Herz vor seinem Ansturm verteidigen? Denn niemals darf Lothar erfahren, welches Geheimnis sie vor ihm verbirgt …

DIE UNWILLIGE BRAUT DES BASTARD-KRIEGERS von DENISE LYNN

Ein breitschultriger Fremder, dessen Gesicht im Schatten liegt: In einer Traumvision sieht die schöne Lady Lea of Montreau den Vater ihres Kindes. Sie braucht schnell einen männlichen Erben, sonst droht der Verlust ihrer Burg. Lea ist zu jedem Opfer bereit! Aber welch Schock, als Jared of Warehaven Einlass in ihre Feste begehrt und sie ihn als den Mann aus dem Traum erkennt. Ihm gehörte ihr Herz, bis Jared statt Liebe den Schwertdienst wählte. Der Bastard-Krieger, der Leben raubt und zärtliche Gefühle verschmäht, wird niemals ihr Lager teilen, schwört Lea! Doch auf verhängnisvolle Weise erfüllt sich ihre Vision …


  • Erscheinungstag 07.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505451
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Nicole Locke, Jenni Fletcher, Denise Lynn

Zärtliche Krieger: Ritter und Bastarde - Best of Historical 2020

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Nicole Locke
Originaltitel: „In Debt to the Enemy Lord“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 356 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Nina Hawranke

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733748272

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

 

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Prolog

Hilflos stand er neben ihr im Morgenlicht. Sie kniete auf dem kalten Steinboden am Eingang zum Saal, und die Sonnenstrahlen fielen, Speeren gleich, über ihre kauernde Gestalt.

Sie weinte.

Tränen strömten ihr aus den geröteten Augen und tropften auf ihre geballten Hände. Ihr elegantes blaues Gewand umhüllte sie wie Schatten, und ihr schwarzes Haar umgab in wirren Locken ihr Gesicht. Jäh warf sie den Kopf in den Nacken, wie ein waidwundes Tier, das seinem Jäger die Kehle darbietet, und das erbarmungslose Licht entblößte die vom Schluchzen angespannten Sehnen. Sie öffnete den Mund, brachte aber nur ein kehliges Krächzen heraus. Danach Stille, ehe sie einen Namen schrie, den er niemanden in seiner Gegenwart je wieder aussprechen lassen würde. Diesen Schrei würde er niemals vergessen.

„William!“ Sie verkrampfte sich, bäumte sich auf, das Gesicht gen Himmel gehoben, den Namen ausstoßend, ihr Atem ein flaches Keuchen. Der Name traf ihn wie ein Peitschenhieb.

Teague betrachtete seine untröstliche Mutter, sah, wie sie an ihrem Kleid zerrte, wie ihr Leib von Lauten der Qual geschüttelt wurde. Er schaute zu, unfähig, die Wahrheit zu ändern. Wie lange sie auch um ihn weinte, sein Vater konnte ihre Rufe nicht vernehmen, denn er war tot.

Er trauerte nicht. Sein Schmerz entsprang einer weit tiefer reichenden, dunkleren Empfindung. Wut. Wut, die in ihm kochte, seit er vor einigen Tagen seine Mutter und seine Tante belauscht hatte.

Sie hatten geflüstert, doch von seinem Versteck aus in einer Nische, verborgen hinter den gewebten Wandteppichen, hatte er die Anspannung herausgehört. Er mochte bloß ein Kind sein, aber aus ihren hastig hervorgestoßenen Bezichtigungen hatte er geschlossen, dass sein Vater nicht zurückkehren würde. Nun war sein Vater tot, aber das kümmerte ihn nicht. Für mich ist er gestorben, als er mich vergessen und Mutter im Stich gelassen hat.

Er trauerte nicht um seinen Vater und wusste seine Mutter nicht zu trösten. Sie weinte ohne Unterlass, während er keine Tränen hatte. Sie liebte den Mann noch, er indes nicht. Sein Vater hatte sie beide nicht gewollt. Er hatte sie betrogen. Dennoch hörte er Liebe heraus, als seine Mutter den Namen seines Vaters rief. Teague trat zu ihr, schlang ihr die Arme um den Nacken und hielt sie fest. Plötzlich erstarrte sie und gab einen merkwürdigen Laut von sich, wobei sie sich eine Hand an den stark gerundeten Bauch presste.

„Teague! Teague, hol Hilfe!“, stieß sie keuchend aus.

Zwischen ihren Knien färbte Wasser, von roten Schlieren durchzogen, den Steinboden dunkel. Er löste sich erst von seiner Mutter, als die unheilvoll anmutende Flüssigkeit sich sammelte und auf seine Füße zufloss. Während er losrannte, um Hilfe zu holen, leistete er im Stillen einen Schwur.

1. KAPITEL

Wales, 1290

Ich werde sterben“, murmelte Anwen of Brynmor. „Und wieso? Weil ich auf einen Baum klettern und in den Tod stürzen werde. Deshalb.“

Sie umrundete die riesige Eiche. Die dicken unteren Äste würden sie mühelos tragen, doch nicht die gaben ihr zu denken, sondern die dünnen Zweige der Krone, die sie würde erklimmen müssen. Sie konnte ihren Jagdhabicht, der sich ganz oben verfangen hatte, nicht sehen, hörte ihn jedoch kreischen.

„Ach, jetzt brauchst du mich, Gully, hm? Du hättest auf mich hören sollen, als du dich von der Lockschnur losgerissen hast und in den Dameg Forest geflogen bist.“

Sie sprang, um den untersten Ast zu erreichen, und verfehlte ihn. Ihr weites blaues Kleid legte sich schwer um ihre Beine. Rasch schnürte sie ihr Mieder auf.

„Aber nein, ich habe dich gerufen und gerufen, und du bist einfach auf deinen kleinen Schwingen von dannen geflattert, mitsamt Geschüh. Nun haben sich die Lederriemen im Geäst verfangen, und wir haben den Schlamassel.“

Sie streifte ihr Obergewand ab, sodass es ihr um die Füße fiel. Bibbernd und zähneklappernd stieg sie heraus. Im Grunde war es zu kalt für einen Aufenthalt im Wald, und sich auszuziehen war erst recht unklug. Wenigstens tummelten sich bei dieser Kälte so früh keine Menschen im Dameg Forest. Somit gab es niemanden, der ihren Mangel an Sittsamkeit beanstanden konnte. Nachdem sie Schmutz und Knitterfalten ausgeschüttelt hatte, legte sie das Kleid sorgsam über einen umgestürzten Baumstamm. Es war ihr bestes Gewand, trotz des verschlissenen Saums und des Lochs im Ärmel.

„Ginge es nach mir, würde ich dich deinem Schicksal überlassen, Gully. Aber es geht nach Englands erlauchtem König und Gwalchdus hochnäsigem Lord, die befohlen haben, dass demjenigen, der dich verliert, eine Hand abgehackt wird.“

Der kleine Habicht schrie aufgeregt.

„Nur wäre nicht ich diejenige, die bestraft würde, sondern Melun. Der gute alte Falkner hat dir nie auch nur eine Feder gekrümmt. Seinetwegen werde ich dich herunterholen und nicht etwa, um dir deinen dürren Hals zu retten.“

Sie trat näher an den Stamm, ging in die Hocke und sprang, nur um sich an der Rinde die Hände aufzuschürfen und mit dem Hinterteil im halb gefrorenen Morast zu landen.

„Auuu!“

Sie atmete tief durch, konnte ihren Ärger jedoch nicht bezähmen. Sie machte ihm Luft, indem sie mit der Faust in den Matsch hieb. „Hätten wir nicht einfach nach Hause zurückkehren können? Du weißt, wie sehr ich das Dorf Gwalchdu mit seinen ach so schmucken Reetdachhäuschen und den blitzblanken Sträßchen verabscheue.“

Der Gedanke an Gwalchdu versetzte sie erst recht in Rage. Sie sprang auf und schleuderte Schlamm gegen den Baum. „Und dann musst du auch noch auf und davon flattern und mir weiteres Ungemach aufhalsen, du dummer Vogel!“

Abermals sprang sie, erwischte den Ast und umklammerte ihn mit ihren wunden Fingern. Schmerz schoss ihr in die Arme, aber sie ließ nicht los, sondern schwang die Beine und stemmte die Füße gegen die raue Borke. Dabei rutschten ihr die Hände weg. Zorn übermannte sie.

Es war schlimm genug, seinen Stolz zu verwirken und einen Vogel zu beschimpfen. Schlimmer noch war, sich in missmutigen Betrachtungen zu ergehen, indem sie Brynmor mit Gwalchdu verglich. Gwalchdu würde ihrer Heimat nie das Wasser reichen können.

Sie krallte die Finger in die Rinde und setzte alles daran, nicht erneut abzugleiten. Brynmor, durch und durch walisisch, hatte den Engländern bis zum Kriegsende getrotzt, und sie selbst würde das weiterhin tun. Einen wilden Schrei ausstoßend zog sie sich mit aller Kraft hoch.

„Hast du das gehört? War das ein Schrei?“ Teague, Lord of Gwalchdu, ließ sein Pferd langsamer gehen.

„Hier im Dameg Forest gibt es nichts außer Tieren, Bäumen und Morast.“ Rhain schüttelte sich. „Mir will nicht in den Sinn, warum wir uns durch dieses gottverlassene Gestrüpp schlagen müssen.“

„Sei still.“

Teague lauschte angestrengt, vernahm jedoch nur das Knirschen des halb gefrorenen Bodens unter den Pferdehufen. Die Spätherbstluft duftete nach Kiefern und feuchter Erde, und er hörte Rascheln im Laub und Gesträuch. Falls sich Menschen im Wald herumtrieben, waren sie nicht in der Nähe.

Er tat das Geräusch als Vogelschrei ab. „Du weißt, warum wir hier sind“, knurrte er. „Es ist der einzige Ort, der als Versteck noch infrage kommt.“

„Unmöglich, hier jemanden aufzustöbern“, wandte Rhain ein. „Außerdem ist es Stunden her, seit wir die Drohung erhalten haben. Der Feind ist längst über alle Berge. Finden können wir höchstens seine Fährte.“

Teague trieb sein Pferd an. Sein Missmut wuchs. „Dann suchen wir eben danach.“

Es war zu kalt für eine solche Suche, und bald würde Regen einsetzen, vielleicht sogar Schnee fallen. Sollte sein Widersacher sich im Wald aufhalten, wäre er törichter als gedacht. Andererseits konnte nur ein Narr sein, wer einem Marcher Lord drohte, der im Auftrag des Königs die englisch-walisische Grenze bewachte. Durch die Kriege zwischen den beiden Ländern, deren Ende über zehn Jahre zurücklag, hatte Teague noch mehr Einfluss und Land erworben und bis heute behalten. Und sollte es erforderlich sein, konnte er Unterstützung von König Edward persönlich anfordern.

Doch er wollte keine Unterstützung, wollte keine Aufmerksamkeit auf das lenken, was ihn und seine Leute bedrohte. Daher suchten er und sein Bruder allein. Bislang erfolglos. Der Feind, der ihm hasserfüllte Botschaften sandte, blieb unsichtbar.

Zunächst hatte er die Drohungen ignoriert. Er war bei den Walisern nie beliebt gewesen Dennoch hatten sie ihm Respekt entgegenzubringen. Auch wenn die Waliser die Engländer nach wie vor aus tiefstem Herzen hassten, war der Krieg doch vorbei. Früher oder später würden sie ihre Niederlage hinnehmen müssen. Er jedenfalls hatte sich damit abgefunden, ein Verräter zu sein, als er sich auf die englische Seite geschlagen hatte; als er König Edward zum Sieg verholfen hatte und dafür Gwalchdu hatte behalten dürfen.

Nein, er war keineswegs beliebt bei den Walisern, und so war er gewillt, über kleinliche Drohungen hinwegzusehen. Inzwischen jedoch galten diese nicht länger nur ihm, sondern auch Gwalchdus Bewohnern. Der Feind war dazu übergegangen, die Botschaften um die blutigen Kadaver von Tieren, die innerhalb von Gwalchdus Mauern gelebt hatten, zu ergänzen. Das bewies, dass er in die Wehranlage einzudringen vermochte, sodass Teague die Sache ernst nehmen musste.

Ihm war schleierhaft, wieso die Drohungen jetzt, so lange nach Kriegsende, auftauchten und was sie bezweckten, denn der Feind stellte keine Forderungen. Was er hingegen mit Sicherheit wusste, war, dass er dem Ganzen ein Ende setzen würde.

„Die Stille ist geradezu unheimlich.“ Rhain zügelte sein Pferd, um Teague durch den dichten Bewuchs hindurch zu folgen. „Ich frage mich, Bruderherz, weshalb du deinen kostbaren Hals riskierst. Falls sich dein Feind hier verbirgt, lieferst du dich ihm praktisch ans Messer.“

Teague duckte sich unter einem Ast hindurch. Sein Pferd tänzelte unruhig seitwärts, und er zügelte es, um sich das Bein nicht an der Rinde eines Baumes aufzuschürfen. „Der Feigling versteckt sich, aber, bei Gott, ich werde ihn finden.“

Er würde ihn aufspüren, und dann … Doch mit Worten würde er das nicht bewerkstelligen. Und auch nicht, indem er sich mit seinem Bruder über sein Wohlergehen stritt. „Mir fehlt die Geduld für eine solche Unterhaltung. Trennen wir uns, bis die Sonne ihren Mittagsstand erreicht.“

Vom Dickicht verborgen und das Schwert griffbereit, stand Teague wie gebannt da, unfähig, einen klaren Gedanken fassen. Das Blut rauschte ihm heiß durch die Adern und sammelte sich in tieferen Regionen. Was immer er erwartet hatte, als er Äste hatte knarren hören, mit dieser Waldnymphe hatte er nicht gerechnet.

Von ihm abgewandt, stand sie auf dem Ast einer gewaltigen Eiche, die Arme um den Stamm geschlungen. Während sie nach oben blickte, fiel ihr das blonde Haar offen über den Rücken.

Doch nicht etwa, dass sie auf einen Baum geklettert war, fesselte ihn, sondern dass sie so gut wie … hüllenlos war. Ihr graues hemdartiges Unterkleid war so fadenscheinig, dass ihr rosiges Hinterteil hindurchschimmerte, und große Löcher ließen ihre makellose helle Haut erkennen.

Sie hievte sich auf einen höheren Ast und setzte sich rittlings darauf, wodurch sich ihr Unterkleid über ihren weiblichen Rundungen spannte.

Er konnte nicht widerstehen und beugte sich vor, um besser zu sehen. Als ihm das nicht genügte, trat er vor, auch auf die Gefahr hin, sich durch Geräusche zu verraten und seine Deckung aufzugeben. Es war ihm gleich. In seinen kühnsten Träumen hätte er keine verführerischere Gewandung heraufbeschwören können.

„Dafür werde ich im Fegefeuer schmoren!“

Er blieb stehen und rückte sein Schwert zurecht. Ihre dunkle, leicht heisere Stimme war nicht die einer Waldnymphe. Offenbar war sie nicht allein. Die Erkenntnis drang durch sein Begehren wie die Spitze eines Schwerts im Nacken.

„Würdest du nicht Nahrung für uns jagen …“, unbeholfen stand sie auf, fand mit Händen und Füßen kaum Halt und klammerte sich am Stamm fest, „… Nahrung, auf die wir angewiesen sind, würde ich womöglich lieber riskieren, durch Edward, der sich widerrechtlich König schimpft, eine Hand zu verlieren.“

Ohne sie aus den Augen zu lassen, wich Teague in den Schatten zurück, ihrem ketzerischen Gerede lauschend.

Linkisch und unsicher hangelte sie sich hinauf auf den nächsten Ast. „Dieser Verräter ist schuld daran, dass ich auf diesen Baum steigen muss.“

Wer immer bei ihr war, blieb stumm. Sie sprach nicht nur aufrührerisch, sondern ihre Worte ähnelten obendrein ganz denen seines Feindes. Höher und höher kletterte sie, unbeirrbar, bis hinauf in die Zweige, die sie kaum noch trugen.

„Dabei wollte ich dich doch nur ein wenig abrichten, gute Geschühriemen erstehen und heimkehren.“ Sie verlagerte ihr Gewicht und streckte sich vom Stamm fort. Das Holz unter ihr ächzte vernehmlich, bis sie den Ast über sich zu fassen bekam. „Ich wollte nicht in diesem verfluchten Wald festsitzen. Und erst recht wollte ich dein Geschüh nicht bei ausgerechnet dem Gerber kaufen, der uns vom Verräter abspenstig gemacht wurde.“

Teague pirschte sich an, inzwischen überzeugt davon, dass sie allein war. Da erspähte er, was sie zu erreichen trachtete: einen Vogel, der sich mit den Lederriemen an seinen Klauen im Geäst verfangen hatte. An ihn richtete sie die tollkühnen Worte, die gewiss für niemandes Ohren bestimmt waren.

Schon gar nicht für seine.

„So wie dieser Verräter uns auch alles andere genommen hat, nachdem er sich auf die Seite des englischen Packs geschlagen hat.“ Oberhalb ihres Kopfes nach Halt tastend, schob sie sich vom Stamm fort, bis sie unter dem Ast des Vogels stand. Mit einer Hand nestelte sie an den dünnen Lederriemen und befreite das Tier. „Wales hätte den Krieg gewinnen sollen und hätte es auch getan, wäre der selbstherrliche Lord of Gwalchdu nicht übergelaufen. Und warum? Um sich seinen feisten Wanst zu füllen!“

Da hatte er seinen Feind. Es war kein Mann, sondern bloß eine Frau, die bequemerweise auf einem Baum festsaß.

Teague teilte das vertrocknete braune Buschwerk mit dem Schwert, marschierte hinüber zur Eiche und nahm darunter Aufstellung.

Die Frau erschrak, der Ast über ihr entglitt ihren Fingern. Der dünne Ast unter ihr geriet ins Schwanken, als er ihr ganzes Gewicht tragen musste. „Ihr!“

Selbst aus dieser Entfernung sah er erst Fassungslosigkeit und dann Erkennen in ihrer Miene. Beides wich mörderischem Hass, der dem seinen offenbar in nichts nachstand.

„Ja, ich.“ Tiefe Befriedigung erfüllte ihn. Er kam sich vor wie ein Fuchs, der die Fänge in seine Beute gräbt. „Und Ihr werdet herunterkommen, um mir den gebührenden Respekt zu erweisen.“

„Gebührend?“, spie sie, vor Ingrimm sichtlich bebend. „Gebührend!“, wiederholte sie, wobei der Ast unter ihr bedenklich knackte.

Sie fuhr zum Stamm herum, um sich festzuklammern. Zu spät.

„Fangt mich auf!“, befahl sie, als der Ast brach. Wild mit den Armen rudernd warf sie sich möglichst weit fort vom Geäst, aber nicht weit genug.

Mit den Beinen, dem Leib, selbst dem Kopf prallte sie gegen unnachgiebige Äste, bevor sie so hart in seinen Armen landete, dass es ihm die Luft aus der Brust presste. Um Atem ringend bettete er ihre scheinbar leblose Gestalt auf die Erde.

Sie atmete, doch aus ihrer linken Schläfe sickerte Blut. Er ließ sie los, riss einen Streifen Stoff von seinem Leinenhemd und verband ihr den Kopf. Anschließend tastete er nach gebrochenen Knochen, sorgsam die blutigen Kratzer an Armen und Beinen meidend. Sie war unversehrt bis auf die Kopfverletzung, die dringend behandelt werden musste.

Sie war der Feind, aber sie war allein und hilflos. Sie wurde zusehends blasser und wirkte, als stünde sie mit einem Bein im Grab. Ließe er sie hier, würde sie sterben.

Er barg ihren Kopf in der Armbeuge, hob sie hoch und pfiff nach seinem Pferd. Es würde wertvolle Zeit kosten, zu Fuß nach Gwalchdu zurückzukehren, doch ohne Hilfe würde er es nicht schaffen, sie so behutsam auf sein Ross zu hieven, dass ihr kein zusätzliches Leid widerfuhr.

So entledigte er sich seiner Feinde nicht. Seine Feinde starben durch seine Hand, nicht durch irgendeinen Baum.

„Was ist passiert?“

Teague fuhr nach rechts herum. Er war noch mehrere Meilen von Gwalchdu entfernt und hatte nicht damit gerechnet, jemanden zu treffen. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass es sein Bruder war und dieser keine Gefahr darstellte.

„Wo zur Hölle hast du gesteckt?“, verlangte er zu wissen.

Rhain stieg vom Pferd. „So, wie du mich vorhin zum Teufel gejagt hast, hatte ich den Eindruck, dir liegt nichts an meiner Gesellschaft. Ich hätte dir gleich sagen können, dass es sinnlos ist, sich aufzuteilen. Wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, du hieltest nichts von meinen Schwertkünsten.“

„Ich habe keine Zeit, deine verletzten Gefühle zu hätscheln. Sie ist verwundet.“

„Lass mich dir beim Aufsteigen helfen. Danach reite ich voraus und benachrichtige Schwester Ffion.“

„Sie ist nicht tot!“

Rhain streckte die Arme aus. „Das sehe ich, Bruderherz. Vielleicht hat Ffion die passenden Kräuter, um sie zu heilen.“

Teague übergab ihm die Frau, ehe er aufs Pferd stieg und Rhain sie ihm hinaufreichte. Edwards Kriege hatten ihn den Umgang mit Verwundeten gelehrt, wenngleich dies hier kein Soldat in schwerer Rüstung war, sondern eine Frau – so zierlich, dass er ihr Gewicht wider Erwarten kaum spürte.

„Ffion wird nicht erfreut darüber sein, dass du ausgerechnet jetzt jemanden mitbringst“, bemerkte Rhain.

Ffion würde nicht erfreut sein, wenn sie erführe, wen er da mitbrachte. „Wann hätte unsere Tante sich je gefreut? Offenbar hatte ihr Gott einen schlechten Moment, als er diese Frau hier in meine Obhut gegeben hat.“

„Du könntest sie im Dorf lassen.“

„Nein!“, entfuhr es Teague, und die Heftigkeit erstaunte ihn selbst. Er wollte die Frau nicht aus den Händen geben. „Wir vergeuden Zeit. Reite los und lass mein Gemach herrichten.“

Er schaute seinem Bruder nicht nach, sondern konzentrierte sich auf die Frau in seinen Armen. Ihren schlaffen Leib an sich gepresst, spürte er ihre flachen Atemzüge. Der weiße Stoffstreifen um ihren Kopf war leuchtend rot vor Blut. Ihr zerzaustes Haar war voller Blätter und Rinde, und ihr bleiches Gesicht wirkte fast durchscheinend. Zwar saß er nun zu Pferd, aber der Rückweg würde dennoch lang werden.

Er hoffte, es rechtzeitig zu schaffen.

2. KAPITEL

Wer ist sie?“ Rhain sprach gedämpft, wenn auch weniger aus Rücksichtnahme als vielmehr, um nicht gehört zu werden.

Teague wandte den Blick nicht von der Frau in seinem Bett ab. „Ich weiß es nicht, aber ich habe so eine Ahnung.“ Das Gesinde war rührig gewesen. Ein Kaminfeuer verströmte behagliche Wärme, und in Eimern dampfte heißes Wasser, während Ffion Heilkräuter mischte.

„Und trotzdem bringst du sie nach Gwalchdu, in deine Kammer?“

„Ja.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete, wie Greta, eine seiner zuverlässigsten Mägde, die Kopfwunde auswusch. Die Lider der Verletzten flatterten, doch sie schlug die Augen nicht auf. Vielleicht würde sie trotz aller Fürsorge sterben.

„Ja?“, echote Rhain. „Eine äußerst aufschlussreiche Antwort, Bruderherz. Wirklich erhellend.“ Er wandte sich zum Gehen. „Ich bin im Saal, etwas essen.“

Teague sah Rhain nach, der die Tür hinter sich schloss. Er wusste, er hätte ihm folgen sollen. Er würde ihm erklären müssen, was im Wald vorgefallen war.

Es bestand kein Grund, zu bleiben und Greta zuzuschauen, die behutsam die Haut um die Wunde trocken tupfte. Er würde sich vor dem Nachtmahl Schweiß und Blut abwaschen müssen. Ihr Blut.

Wie anders sie jetzt wirkte. Vorhin auf dem Baum waren ihre Bewegungen wenig elegant, aber überraschend kraftvoll gewesen. Nun hätte er sie für tot gehalten, hätte sich ihre Brust nicht regelmäßig gehoben und gesenkt.

Die Kopfwunde musste genäht werden. Er beobachtete, wie Greta der Frau das Haar flocht, damit es nicht im Weg war. Nie zuvor hatte er dabei zugesehen, und so schlicht die Tätigkeit war, es faszinierte ihn, wie Greta mit ihren dicklichen Fingern das Ende des Zopfes zusammenband.

Er rief sich ins Gedächtnis, wie die lange goldfarbene Mähne im Sonnenlicht geglänzt hatte. Derart gebändigt, wirkte ihr Haar so schlaff wie ihre Gestalt.

Hastig rang er den Anflug von Bedauern nieder und verließ sein Gemach.

Nachdem Teague gebadet hatte, betrat er den Saal. Das Nachtmahl war abgetragen, und seine Schritte hallten in dem menschenleeren Raum wider. Rhain saß auf einem Stuhl mit hoher Rückenlehne vor dem kleinsten der Kamine. Das Feuer darin war fast niedergebrannt.

„Was ist im Wald geschehen?“

Teague goss sich von dem Wein ein, der auf dem Tisch neben einem Holzbrett mit Brot und Käse stand. Er nahm einen tiefen Schluck und verzog das Gesicht.

Rhain lachte leise. „Der Wein ist mit Wasser versetzt. Du magst auf so etwas nicht achten, aber du weißt ja, wie Ffion ist, wenn es um Wein geht.“

„Erinnere mich daran, meinem Verwalter einzubläuen, meine persönlichen Vorräte schärfer im Auge zu behalten.“ Er ließ sich auf dem anderen Stuhl nieder und schilderte, was er im Wald gesehen und gehört hatte.

„Das ergibt keinen Sinn. Wieso sollte sie allein durch den Wald wandern? Vor allem so nah bei Gwalchdu“, meinte Rhain.

Sie ist der Feind.“

„Bist du sicher?“

„Sie hat gegen mich und den König gewettert.“

„Wir befinden uns im Grenzland. Welcher Dörfler hier wettert nicht gegen dich oder den König? Ich fürchte, deine unübertreffliche Besonnenheit schwindet, was dich zu voreiligen Schlüssen verleitet.“ Rhain presste sich die zusammengelegten Fingerspitzen an die Lippen. „Warum verdächtigst du nicht mich?“

Teague hob die Brauen. „Weshalb sollte ich? Du hattest keinen Wachdienst letzte Nacht, als die Botschaft hinterlassen wurde.“

„Die Drohungen haben nach meiner Rückkehr begonnen.“

Teague warf ihm einen gereizten Blick zu. „Nicht du bist der Feind.“

„Du bist zu vertrauensselig. Das könnte dir zum Verhängnis werden.“

„Ich vertraue niemandem.“ Er nahm seinen Becher in beide Hände und schwenkte ihn. „Und ich weiß nicht, wieso ich mich auf dieses Thema einlassen sollte.“

„Weil du kein Narr bist. Alles deutet auf mich. Im Sommer bin ich heimgekehrt, nachdem ich als Junge von hier fortgeschickt wurde. Die erste Botschaft traf einen Monat später ein. Die Drohungen richten sich gezielt gegen dich und tauchen im Innern deiner Burg auf, ohne dass du zu ermitteln vermagst, wer dahintersteckt.“

„Du bist es jedenfalls nicht.“

„Wer zöge einen Vorteil aus deinem Tod? Ich. Wer kann sich ungehindert umherbewegen, um die Botschaften zu platzieren? Ich. Wer könnte dir nahe genug kommen, um dich zu töten? Ich.“

„Das reicht“, grollte Teague.

„Weshalb bist du dir so sicher?“

„Weil du mein Bruder bist.“

„Du bist von Sinnen.“ Rhain lachte in sich hinein. „Oder dir ist klar, dass ich gute Gründe habe, nicht zu riskieren, meine Heimstatt zu verlieren.“

Hungrig schob Teague sich ein Stück Käse in den Mund, kaute und schluckte es hinunter. „Vielleicht weiß ich einfach, dass du viel zu redselig bist, um ein Geheimnis zu wahren.“

Rhain griff nach dem Wein. „Wie bist du so rasch zu dem Schluss gelangt, diese Frau sei der Feind?“

Teague starrte in seinen Becher. Im spärlichen Licht wirkte der Rotwein schwarz, und er konnte nicht bis auf den Grund blicken.

„Was hat sie so nah bei meiner Burg getrieben?“ Er nahm einen Schluck. „Dass sie hier ist, mutet nicht wie ein Zufall an, auch wenn ich selbst sie hergebracht habe. Falls sie nicht der Feind ist, soll sie uns vielleicht ablenken.“

Rhain rieb sich übers Kinn. „Indem sie von einem Baum fällt? Sie wäre bei dem Sturz fast gestorben. Wir sollten ihr trauen.“

Von seinem gutmütigen Bruder hatte Teague nichts anderes erwartet. „Und mich nennst du von Sinnen?“

„Nun, dir liegt Misstrauen im Blut, mir Vertrauen. Du warst immer schon ein Sturkopf, wohingegen ich nachgiebig wie Wasser bin. Wieso sollte es plötzlich anders sein?“

„Vielleicht, weil ich und meine Leute von einem unbekannten Feind bedroht werden?“

„Und du hältst die verletzte Frau in deinem Bett für diesen Feind?“

„Ja. Unter den gegebenen Umständen ist es besser, Vorsicht walten zu lassen, statt ein Messer im Rücken zu riskieren.“

Rhain hob eine blonde Braue. „Diese Umstände, die da in deinem Bett liegen, hast du angeschleppt. Und die Frau ist kaum bei Bewusstsein und schwerlich in der Lage, ein Messer zu schwingen.“ Er stand auf und streckte sich. „Ich bin neugierig, was sie betrifft. Ich denke, wenn sie wieder wohlauf ist, werde ich sie einfach um eine Erklärung bitten.“

Es war schon spät, und Stille hatte sich über die Burg gesenkt, als Teague in sein Gemach zurückkehrte. Greta schlummerte in einer Ecke, das mollige Kinn auf der Brust.

Wie von einer unsichtbaren Macht angezogen, ging er neben dem Bett in die Hocke, sein Gesicht nah an dem der blonden jungen Frau. Er konnte sie nicht aus seinen Gedanken verbannen. Ständig sah er sie auf dem Baum vor sich, ihr Haar im Rhythmus ihrer Bewegungen schwingend.

Dann, als der Ast gebrochen war … seine Machtlosigkeit; ihr Ruf, er solle sie auffangen. Obwohl er sie für seine Feindin hielt, hatte er die Arme ausgestreckt. Trotz ihrer hassverzerrten Miene war sie ihm entgegengefallen.

Ehe er sich zurückhalten konnte, strich er ihr übers Haar. Ihre Lider bebten, aber sie kam nicht zu sich. Aus unerfindlichen Gründen wirkte es beruhigend, sie zu streicheln. Dadurch fühlte er sich weniger rastlos … weniger einsam. Diese Empfindung war ihm ebenso fremd wie die andere, die sie in ihm hervorrief.

Hoffnung. Sie weckte Hoffnung in ihm. Sie war ihm in die Arme gefallen, voller Zuversicht, dass er sie retten würde.

Hoffnung. Eine so lächerliche wie unsinnige Anwandlung.

Er richtete sich auf und ging. Offenbar war er müde. Weich zu werden war nicht seine Art. Fast sein ganzes Leben lang war er ein Einzelgänger gewesen, und er würde es bleiben.

Eine Frau konnte ebenso tödlich sein wie ein Mann, wenn nicht tödlicher. Deshalb hatte er seit Beginn der Drohungen keiner mehr beigelegen. In solchen Zeiten war kein Platz für Hoffnung. Ihrer aller Leben stand auf dem Spiel. Die Menschen in seiner Obhut bauten auf seinen Schutz.

Ihr war, als triebe sie auf etwas Weichem, Warmem und Behaglichem dahin, als das Knarren der Tür sie aus dem Halbschlaf riss.

Anwen schlug die Augen auf. Ein kleiner Junge trat ein, unter dem Gewicht eines Wassereimers zitternd.

„Oh!“ Er ließ den Eimer fallen. „Ihr seid wach!“

Das unbarmherzige Pochen in ihrem Schädel hinderte sie daran zu antworten.

Der Junge hielt den kippelnden Eimer fest. „Ich bringe Euch Wasser zum Waschen, Mylady. Aber Ihr seid wach! Ich muss es den anderen sagen.“ Fort war er. Sie starrte zu der offenen Tür, unfähig, den Kopf zu bewegen.

Ihr Blick wurde klarer, als ein Mann im Türrahmen erschien und diesen ausfüllte. Es war der schönste Mann, den sie je gesehen hatte.

Alles an ihm war licht, als wäre er von Kopf bis Fuß aus purem sonnenglänzendem Gold. Seine warmen bernsteinfarbenen Augen leuchteten; ein markanter Kiefer und eine Adlernase prägten seine Züge.

Er lächelte. Dieses Lächeln hätte so manche Jungfrau in Ohnmacht fallen lassen, doch nicht sie. Nicht unter diesen Bedingungen.

„Wo … wo bin ich?“, presste sie hervor.

„Wisst Ihr das nicht?“ Er nahm einen Schemel und trat näher. „Erinnert Ihr Euch an irgendetwas?“

Schmerz fuhr ihr wie Messerklingen in den Schädel. „Nein.“ Abermals drohte Schwärze sie zu überwältigen, doch sie wehrte sich. „Nein.“

Er tupfte ihr mit einem feuchten Tuch das Gesicht ab. Es war angenehm kühl. Sie schloss die Augen. Bilder blitzten in ihr auf: jemand, der sich ihrer annahm; eine tiefe Stimme; sanfte, schwielige Hände. Hatte sich dieser Mann um sie gekümmert?

„Wer seid Ihr?“

„Ich heiße Rhain. Ganz ruhig.“ Er griff nach einem Becher und hob ihren Kopf an, damit sie trinken konnte.

Mühsam schluckte sie den verdünnten Wein, bemüht, sich auf Rhains Worte zu konzentrieren. „Mein Kopf … drückt.“

„Ihr seid verletzt. Was drückt, ist der Verband.“ Er setzte sich, eine Hand ausstreckend. „Nein, nicht anfassen. Eure Wunde ist noch frisch.“

„Aber wie bin ich …?“ Sie verstummte. Da war jemand gewesen. Unter einem Baum. Jemand …

Die Tür ging auf, und herein kam ein Gott oder Dämon – nein, es war ein Mann, aber kein gewöhnlicher. Hatte Rhain wie aus Gold gewirkt, umgab diesen Mann Düsternis. Sein Haar, seine Augen, seine dunkle Kleidung gemahnten an die Nacht. Doch das lag weniger an seinem Äußeren als vielmehr an dem, was er ausstrahlte. Er war dunkel. Sogleich war sie auf der Hut, sah ihn jedoch unverwandt an.

Er kam ihr bekannt vor, war er nicht …? Nein, ihr wollte keine Antwort einfallen. Hatte sie ihn gesehen, als sie halb besinnungslos gewesen war? Das konnte unmöglich er gewesen sein. Sie erinnerte sich an leise, tröstliche Worte, bevor der Schmerz übermächtig geworden war und Schwärze sie umfangen hatte. Dieser Mann dort tröstete nicht, er zerstörte.

„Ist sie wach?“, fragte er, den Blick auf sie geheftet.

Rhains Augen wurden schmal. Offenbar erfasste er die finstere Stimmung des anderen. „Kann das nicht warten?“

„Nein, es drängt.“

Anwen bemühte sich krampfhaft, die brennenden Augen offenzuhalten. Je näher er kam, desto stärker wurde ihr Bedürfnis, sich in Sicherheit zu bringen. Bezwungene Wut ging wie Wellen von ihm aus. Macht und Autorität sprachen aus seinen Zügen. Es war offenkundig, dass er etwas von ihr wollte und es sich nehmen würde, sollte sie es ihm nicht freiwillig geben. Sie verspannte sich, und Schmerz schoss ihr in den Kopf.

„Es geht ihr nicht gut. Lass sie in Ruhe.“ Rhain erhob sich und schob den Schemel beiseite, damit der andere ans Bett treten konnte.

„Sie ist wach; sie kann reden.“

Das konnte sie nicht. Ihr Herz raste, sie war schweißgebadet. Ihr Magen hob sich, und sie holte ein paarmal tief Luft.

„Bruder“, mahnte Rhain.

Ihr Magen beruhigte sich nicht. In ihrem Kopf drehte sich alles. Wogen heftiger Übelkeit überkamen sie.

„Ich bin …“, setzte sie an, und der Dunkle neigte sich ihr zu. „Ich bin …“

Jäh stemmte sie sich hoch und erbrach sich über die Hose des bedrohlich wirkenden Mannes.

„Bei Gwyn!“, stieß er aus, bevor sie wieder in Ohnmacht sank.

„Also, ich muss zugeben, so etwas habe ich zum ersten Mal erlebt.“ Rhains amüsierter Tonfall entging Teague nicht, und er sah seinen Bruder scharf an. „Ach, Teague, sie hat es doch nicht absichtlich getan.“ Rhain nahm das Tuch aus dem Eimer mit kaltem Wasser und wusch der Frau Mund und Gesicht ab.

„Mir war nicht klar, wie schwach sie ist.“ Teague griff nach einem Handtuch und tauchte es in den Eimer, um sich zu säubern.

„Ah, ja, Schwäche. Ich vergaß, welch unverzeihliche Eigenschaft die in deiner Welt ist. Aber sie ist eine Frau, und Gott hat Frauen nun einmal eine weiche Seite verliehen, ob du diesen verwerflichen Makel nun gutheißt oder nicht.“

„Ich bin kein Unhold. Ich weiß, dass sie eine Frau ist. Es ist bloß …“ Er rief sich ins Gedächtnis, wie beherzt sie auf den Baum gestanden und wie geistesgegenwärtig sie sich im Fallen vom Astwerk fortgestoßen hatte. Sie war anders als andere Frauen.

„Sie hat mich überrascht“, endete er.

Rhain verzog erheitert den Mund, den Blick auf die nassen Hosenbeine seines Bruders gerichtet. „Ja, das sehe ich. Schwach erscheint sie mir indes nicht. Nur ein starker Wille übersteht eine solche Verletzung.“

„Jetzt gerade ist sie schwach, und schlafend nützt sie mir nichts.“

„Warum willst du sie unbedingt gleich befragen? Hast du Nachrichten aus Brynmor, von Robert?“

„Ja, ich habe eine Nachricht von ihm erhalten. Anscheinend vermissen sie eine Frau namens Anwen.“

„Nun lautet die Frage, ob dies Anwen ist.“

„Und ob sie eine Bedrohung darstellt“, ergänzte Teague. Im Schlaf wirkte das Gesicht der Frau entspannter. Ihre Hände jedoch waren immer noch zu Fäusten geballt, was ihr etwas Entschlossenes verlieh, obwohl sie gerade jetzt besonders verwundbar hätte erscheinen müssen.

Er erinnerte sich, dass sie nicht vor Angst geschrien hatte, als sie gestürzt war. Sie so hilflos zu sehen passte nicht zu dem Wenigen, was er über sie wusste. Das stimmte ihn reizbar. Er kannte sie überhaupt nicht; er brauchte Antworten.

„Ich muss mich umkleiden.“ Er warf das schmutzige Tuch in den Eimer. „Sorg dafür, dass sich jemand um sie kümmert“, wies er an, ehe er die Schlafkammer verließ.

Als Anwen neuerlich zu sich kam, war es dunkel in der Kammer. Lediglich ein paar Mondstrahlen fielen durch die Ritzen in den Fensterläden. Dieses Mal bewegte sie den Kopf nicht. Ihre Kehle fühlte sich rau an und ihr Magen sauer. Der Schlaf war ein Segen gewesen, aber etwas hatte sie geweckt. Sie roch Leder und Tannenduft.

Sie riss die Augen auf. Er war ihr so nah, dass sie die Schwärze seiner Augen zunächst für einen Teil der Dunkelheit hielt. Erst als sie den glühenden Blick spürte, merkte sie, dass die Schwärze lebendig war. Ruhe überkam sie. Der Mann, der sie nachts getröstet hatte, war zurück.

„Ihr seid wieder da.“ Sie versuchte zu lächeln.

Er erwiderte nichts, sah sie nur unverwandt an. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Wenn sie ihn lange genug anschaute, würde sie erkennen …

Schmerz!

Sie schloss die Augen. Schmerz stach ihr in den Schädel und barst hinter ihrer Stirn. Höllenqualen, die erst verebbten, als sie sich ihres keuchenden Atems und einer warmen Hand bewusst wurde, die ihre hielt. Auf diese warme, zärtliche Berührung richtete sie ihre Aufmerksamkeit. Es dauerte eine Weile, bis ihr Atem sich beruhigte und die Pein zu einem dumpfen Druck abflaute.

„Ich wollte Euch nicht wecken.“ Seine Stimme war tief und weich.

Es waren schlichte Worte, und doch schwang etwas darin mit … ein gewisser Unterton. Hätte ihr Kopf nicht so wehgetan, wäre sie in der Lage gewesen, den Ton zu deuten. Besorgnis vielleicht? Nein, es klang eher nach Schmerz, nach Einsamkeit, und das verwirrte sie umso mehr. Sie war hier, er war nicht allein.

Verwirrung hin oder her, sie wollte etwas für ihn tun, schaffte es jedoch nicht, die Augen zu öffnen. Erneut fiel die Schwärze über sie her. Er war so gütig. Er sollte nicht leiden.

„Ich bin hier“, flüsterte sie zunehmend schleppender, von den sanften Wogen des Schlafs umspült.

Teague beobachtete, wie die Frau zurück in den Schlummer glitt. Der Drang, sie wach zu halten, war schier übermächtig. Ihre Hand nach wie vor haltend lauschte er ihren leisen, regelmäßigen Atemzügen. Fast hätte dies seine Unruhe zu bezähmen vermocht.

Er sollte gehen. Welchen Grund hatte er, an ihrem Lager zu wachen? Noch immer befand sie sich in den Klauen des Fiebers. Immerhin war sie bei Bewusstsein, obwohl sie jederzeit einen Rückfall erleiden mochte. Sie litt Schmerzen, aber sie genas. Bald würde er entscheiden müssen, was er mit ihr tun sollte.

Nachdem er die Hand der Frau behutsam abgelegt hatte, trat er ans Fenster und öffnete die soliden Läden, um hinunter in den Hof zu schauen. Brennende Fackeln sprenkelten die im Dunkeln liegenden Mauern, und im Licht des Vollmonds konnte er die umhergehenden Wachen erkennen. Während er sie beobachtete, versuchte er, der quälenden Sehnsucht in sich einen Namen zu geben.

Neid. Seine Männer hatten ihre klar umrissenen Aufgaben. Sie hatten des Nachts ein Ziel vor Augen, hatten einander als Gefährten, während sie ihren Pflichten nachgingen. Tagsüber war auch er ausgelastet, doch nachts war er allein. Zwar war sein Bruder wieder da, aber der hatte so viele Freunde, dass er ihm selten Gesellschaft leistete. Bislang hatte seine Einsiedlernatur ihm nicht zu schaffen gemacht … nun jedoch verspürte er ein Verlangen, das er nicht zu stillen wusste.

Angesichts der Morddrohungen gegen ihn war Kameradschaft ein Gut, das er sich nicht leisten konnte. Trotz dieser Erkenntnis tobte ein Kampf in ihm, rang Sehnsucht gegen Versagung.

Er wandte sich vom Hof ab und lehnte sich gegen den Fensterrahmen. Dieser innere Aufruhr entbehrte jeder Grundlage. Wahrscheinlich machte die Müdigkeit ihn dünnhäutig. Ohne einen weiteren Blick auf die Frau zu werfen, verließ Teague das Gemach.

3. KAPITEL

Anwen erwachte davon, dass ihr Luft über die Wange strich. Als sie die Lider hob, sah sie wenige Fingerbreit über sich zwei dunkelgraue Augen, umgeben von Fältchen in pergamentartiger Haut und schlohweißem Haar.

Die alte Frau kicherte beglückt. „Oooh, Ihr seid wieder bei uns. Mein Name ist Edith. Fühlt Ihr Euch besser? Wir wussten, Ihr würdet heute zu Euch kommen. Habt gestern tüchtig gegen die Ohnmacht angekämpft, wenn auch vergebens. Und ganz schön übel war Euch. Beinahe hättet Ihr meine harte Arbeit ruiniert!“

Anwen blinzelte, bemüht, Ediths Worten Sinn abzuringen, aber es war, als lauschte sie dem Wind in den Bäumen. Sie erfasste das Gesagte mehr gefühlsmäßig, als dass sie es verstand.

„Heute, hab ich gesagt, wacht das Kindchen auf.“ Edith nahm ein Tuch und fuhr ihr damit sachte über das Gesicht. Das Tuch war kühl und feucht. „Ihr habt noch ein wenig Fieber, spüre ich, aber das ist kaum der Rede wert. Ihr habt uns einen Heidenschreck eingejagt, als er Euch vor fünf Tagen hergebracht hat und Ihr keinen Mucks von Euch gegeben habt.“

Es kostete Anwen einige Anstrengung, den Kopf zu drehen. „Vor fünf Tagen? Wo bin ich?“

Das helle Licht, das durch die vielen schmalen hohen Fenster fiel, tat ihr in den Augen weh. Sie sah, dass sie in einem dunklen, mit kunstfertigem Schnitzwerk verzierten Bett lag. Die sahneweiße Decke war mit einer sattroten Borte versehen, und das Rot fand sich in den gewebten Behängen wieder, mit denen zwei der Wände der Behaglichkeit wegen verkleidet waren. Darüber machten Hirschfelle auf dem Boden, mit Schnitzereien versehene Tische und Stühle sowie eine verschlossene Truhe mit Messingbeschlägen die Kammer behaglich.

Alles kündete von Reichtum, und nicht einer der Gegenstände war ihr vertraut.

„Ooh, Ihr könnt sprechen. Oh, ja, M’lady. Tja, vielleicht ist es auch etwas länger als fünf Tage her.“ Edith nahm einige Kissen und stopfte sie ihr in den Rücken. „Armes Ding, vermutlich habt Ihr einen Bärenhunger.“

In ihrer zunehmenden Verwirrung fand Anwen es befremdlich, dass der Gedanke an Essen sie lockte. Doch der kleine Brotlaib und der Weinkrug auf dem Tisch neben ihr muteten wie ein Festmahl an.

„Tagelang nichts als Brühe.“ Edith brach Stücke vom Brot ab und fütterte sie damit. „Wie schmeckt das? Gut? Zu viel?“

Mit dem Brot im Mund konnte Anwen nicht antworten. Die alte Frau sprach munter weiter.

„Ihr habt geschlafen und dennoch das ganze Haus auf Trab gehalten. Ständig wollte er wissen, wie es Euch geht, und wenn er nicht zufrieden mit der Antwort war, hat er selbst nach Euch geschaut. Das hab ich noch nie erlebt.“

Edith hörte nicht auf, ihr Brot zu geben, obwohl Anwen gern Fragen gestellt hätte. Zum Beispiel, wo sie sich befand und von wem Edith unablässig redete. Oder wer Edith überhaupt war.

„Er?“, brachte sie endlich heraus.

„‚Er‘, fragt Ihr? Erinnert Ihr Euch an gar nichts?“ Edith schüttelte den Kopf. „Damit wäre wenigstens eine Frage beantwortet. Wir haben nämlich eine Wette abgeschlossen … Na ja, nicht direkt wir, und eine Wette war es eigentlich auch nicht, denn wetten tue ich nicht. Aber einige in der Küche haben sich gefragt, ob die Kopfwunde oder er Euch in die Besinnungslosigkeit geschickt hat. Aber da Ihr nichts über ihn wisst, wäre das geklärt.“

Nachdem sie ihr ein fast zahnloses Lächeln geschenkt hatte, wandte sich Edith zur Tür und rief: „Ich brauche die Handtücher, die beim Eimer liegen, Greta. Und sie weiß nichts über ihn.“

Eine stattliche Frau mit kräftigen Händen brachte Leinentücher herein. Sie sagte nichts, blickte aber freundlich drein und lächelte Anwen herzlich an, ein fröhliches Funkeln in den braunen Augen.

„Wer ist ‚er‘?“ Anwen spürte, dass sich erneut Kopfschmerzen anbahnten.

„Na, der Lord natürlich, M’lady.“ Edith schlug die Bettdecke zurück. „Herrje, diese Kopfverletzung muss Euch arg zugesetzt haben. Bleibt still liegen, während ich Euch mit Wasser kühle.“

Edith schob ihr das Unterkleid hoch, um ihr mit dem feuchten Tuch über die Beine zu fahren. „Ihr müsst schwach wie ein Rehkitz sein.“

Anwen musterte das Unterkleid. Es war hochwertig und reinweiß und somit nicht ihres. „Was ist passiert? Wo bin ich?“

Edith seufzte. „Oh, also schön. Ich gebe ja nichts preis, das Ihr nicht durch einen Blick aus dem Fenster selbst herausfinden könntet. Jenseits dieser Mauern liegt der Dameg Forest. Von diesem Wald habt Ihr gehört?“

„Ja, ich lebe in der Nähe des Dameg Forest. Aber wo bin ich jetzt?“

„Nun, auch wir leben am Rande dieses großen Waldgebiets.“

Anwen schaute Greta an in der Hoffnung auf eine aufschlussreichere Antwort, doch die wrang angelegentlich einen Lappen aus. Beide Frauen blickten beklommen drein, was ihre Verwirrung in Furcht umschlagen ließ.

Bruchstückhafte Erinnerungen blitzten in ihr auf. Brynmor. Gwalchdu. Gully, der in den Wald flog.

Ihr Herzschlag geriet ins Stocken, als sie sich an das bedrohliche Knacken des brechenden Astes entsann. Unter dem Baum stand ein Mann. Sie war wütend. Nein, das ergab keinen Sinn. Weshalb sollte sie wütend sein, wenn er da war, um sie aufzufangen? Sie war in Sicherheit. Der Mann gab ihr dieses Gefühl. Doch wer war er?

Sie betrachtete die edle Einrichtung, die massiven Steinmauern, die prächtigen Wandbehänge, und eine ungute Ahnung befiel sie.

„Wer ist der Lord hier?“

Mit einem Mal wurde Edith fahrig. „Ach, gebt nichts auf mein Gewäsch. Hab keinen Benimm und nehme mir zu viel heraus. Das weiß ich selbst, bei Gott. Da plappere ich drauflos, obwohl es Euch schlecht geht. Du meine Güte, ich schade Euch mehr, als dass ich Euch helfe.“ Sie bückte sich, um das Tuch auszuwringen.

In dem Augenblick betrat ein Mann das Gemach, an der Tür verharrend. Er trug Teile einer Kettenrüstung, als wollte er ein Turnier bestreiten. Doch er wirkte nicht wie jemand, der zum Zeitvertreib kämpfte. Der Blick seiner schwarzen Augen war hart, sein Gesicht wie gemeißelt, und trotz des Tageslichts schien er von Schatten umgeben. Dies war kein Mann der Scheingefechte. Dieser Mann eroberte, und zwar erbarmungslos.

„Seid Ihr wohlauf?“ Seine tiefe Stimme hallte in der Kammer wider.

Am Rande nahm Anwen wahr, dass Edith und Greta sich in einen entlegenen Winkel zurückzogen. Als der Mann auf sie zukam, starrte sie ihm entgegen.

„Habt Ihr gegessen? Könnt Ihr mich verstehen?“, fragte er.

Er war so dunkel, wie der goldene Mann hell war. Er war der Zorn, der über die Güte hereinbrach. Er war derjenige, der bei Tage über sie gewacht und des Nachts ihre Hand gehalten hatte. Er war der Mann, der unter dem Baum gestanden, der Mann, der ihr das Leben gerettet hatte. Bestürzt erkannte sie, um wen es sich handelte.

Teague, der Teufel von Gwalchdu, der Verräter. Ein legendärer Schwertkämpfer, ein Grenzschützer, ein Marcher Lord König Edwards und ihr Erzfeind. Und sie lag in seinem Bett. Aber sie war kein Hasenherz.

„Ja, ich höre Euch laut und deutlich“, entgegnete sie.

Er nickte, ehe er den Blick hinab zu ihren Beinen gleiten ließ.

Ihren nackten Beinen.

Bevor sie sich selbst verhüllen konnte, durquerte er die Kammer und zog ihr grob die Decke über die Beine. Da er nicht zurücktrat, war sie gezwungen, zu ihm aufzuschauen.

„Ihr solltet Euch nicht bewegen“, sagte er bestimmt. „Geht es Euch gut?“

Vor ihr stand Teague of Gwalchdu. Wieso war ihr nicht schon ein Licht aufgegangen, als sie mit Edith allein in der Kammer gewesen war und noch hätte fliehen können? Wie hatte sie eine solche Närrin sein können? Aber wie hätte sie ahnen können, dass sie in der Hölle gelandet war?

Ohne sich umzudrehen, befahl er Edith und Greta: „Lasst uns allein.“

Verzweifelt sah sie zu, wie die beiden die Tür hinter sich schlossen. Nun war sie allein mit dem Mann, der Brynmor ins Verderben gestürzt hatte. Wieder und wieder hatte sie sich vorgestellt, ihm gegenüberzutreten, ihn zur Rede zu stellen, allerdings nicht so schwach, dass sie kaum aufrecht sitzen konnte.

Aus schmalen Augen musterte er sie abschätzend. „Nein, es geht Euch nicht gut. Ihr seid zu blass, und der Bluterguss wird noch größer werden, bevor er abheilt. Tut es weh?“

„Was kümmert Euch das?“

Er ging darüber hinweg. „Wer seid Ihr?“

„Ist das wichtig?“

Seine Haltung sagte ihr, dass er eine Antwort verlangte.

Ihr war nicht danach, ihm eine zu geben. Er wusste also nicht, wer sie war oder woher sie kam. Es war kein Geheimnis, dass Brynmor und Gwalchdu einander spinnefeind waren. Wenn sie ihre Herkunft lange genug verheimlichte, könnte sie vielleicht fliehen.

„Wenn Ihr mir keinen Namen nennt, werde ich Euch selbst einen geben.“

„Anwen“, brachte sie heraus.

„Anwen?“ Sein Ton deutete an, dass er mehr erwartete.

„Ja, Anwen“, wiederholte sie langsam, als hielte sie ihn für schwer von Begriff.

„Habe ich etwas verpasst?“

Die Frage kam von seinem Bruder, dem goldenen Mann, der just die Tür öffnete. Wie stark er sich von Teague unterschied. Auch sein Leumund war ein anderer. Er war zu jung, um in den englisch-walisischen Kriegen gekämpft zu haben. Gegen ihn hegte sie keinen Groll.

„Rhain?“, fragte sie.

„Jawohl!“ Er nahm einen Schemel und einen Stuhl und stellte beides neben das Bett.

„Erinnert Ihr Euch an sonst noch etwas?“, erkundigte er sich, als er sich auf dem Schemel niederließ.

Sie schüttelte knapp den Kopf. Es war sicherer, sich ahnungslos zu geben.

„Hat niemand Euch etwas über diesen Ort verraten?“ Teague sah sie eindringlich an.

„Nein.“

„Gewiss interessiert Euch, wer wir sind und wo Ihr seid.“ Teagues Stimme war samtweich, und ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Wie unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen, vor allem, da Ihr mir gegenüber so offenherzig wart.“

Er setzte sich auf den Stuhl, den Rhain ans Bett gebracht hatte. Damit war er ihr so nah, dass sie seine Bartstoppeln erkennen konnte. Seine Lippen waren voll und weich und dennoch ausgesprochen männlich. Ohne sie aus den Augen zu lassen, antwortete er: „Ich bin Teague, Lord of Gwalchdu.“

Ihre schlimmste Befürchtung bestätigt zu wissen, verschlug ihr die Sprache. Sie lag tatsächlich im Bett von Gwalchdus Lord. „Gwalchdu“ bedeutete „schwarzer Habicht“, und in der walisischen Mythologie gab es keinen unheilvolleren Vogel. Der Name passte ebenso zu diesem Ort wie zu dem Verräter, der vor ihr saß.

„Ihr habt es gewusst“, stellte er fest, ihr Verhalten richtig deutend.

„Ja, aber gesehen habe ich nichts.“ Sie bemühte sich um eine undurchdringliche Miene. Ihr ganzes Leben lang hatte sie diesen Mann gehasst. Sie würde nicht klein beigeben, nur weil ihr der Kopf schmerzte.

Er nickte knapp. „Ihr habt gut daran getan, Euch blind zu stellen. Nun allerdings wirkt Euer Auge wach und aufmerksam.“

Sein Ton war hart. Kein Lächeln lag um seine Lippen.

Anwen verspannte sich und zuckte zusammen, als ihr Körper protestierte. Die Flucht würde sie alle Kraft kosten. Aber sie war zuversichtlich. Sie hatte sich stets auf sich selbst verlassen können, und das würde auch jetzt der Fall sein.

„Allzu aufmerksam bin ich nicht.“ Sie versuchte, sich trotz des Schmerzes in der linken Schläfe zu sammeln. „Sobald Ihr mich ziehen lasst, werde ich noch viel unaufmerksamer sein.“

Rhain erhob sich. „Wir sollten gehen. Man merkt, dass Ihr Euch quält. Ihr braucht Ruhe.“

Er schaute Teague an, doch der hielt den Blick auf sie geheftet. Kurz sah es so aus, als würde er nicht darauf eingehen.

„Gib ihr Zeit, Teague“, mahnte Rhain.

„Lass Ffion holen.“ Teagues Stimme war leise, aber alles andere als sanft.

Anwen hielt den Atem an, bis die beiden Männer die Tür hinter sich geschlossen hatten. Sie saß in der Falle, war die Gefangene eines mächtigen Lords mit Augen so schwarz wie Kohle. Augen, die, wie sie wusste, zu seiner Seele passten. Sein Name war ihr so vertraut wie der Name des Leibhaftigen. Auf Brynmor flüsterte niemand ihn auch nur, ohne sich zu bekreuzigen. Und dieser Mann hatte so nah bei ihr gesessen, dass sie die Schatten unter seinen Augen hatte sehen können.

Wieso war ihr aufgefallen, dass er erschöpft war? Er war der Verräter. Du lieber Himmel, sie war dem Verräter von Gwalchdu zu Dank verpflichtet! Es stand außer Frage, dass er ihr das Leben gerettet hatte, indem er sie hergebracht hatte. Nun da sie wusste, wer er war, fragte sie sich, was ihn dazu bewogen hatte. Bestimmt nicht Freundlichkeit oder Herzensgüte. Sie hatte gesehen, wie er den Blick über ihre nackten Beine hatte wandern lassen; Güte lag seinem Handeln gewiss nicht zugrunde.

Die Schmerzen wurden schlimmer, doch sie musste dagegen ankämpfen. Sie fasste sich an den Kopf, der nur von dem dicken Verband zusammengehalten zu werden schien. Hoffentlich würde der Schwindel nicht stärker werden. Der Verräter wollte etwas von ihr, und sie hatte nicht vor zu bleiben, um herauszufinden, was. Sie stemmte sich hoch, bis sie aufrecht saß. Einen Augenblick lang glaubte sie, es zu schaffen, ehe die Kammer anfing, sich zu drehen, und Schwärze sie übermannte.

„Nun, immerhin wissen wir jetzt, dass ihr kein Verrat anzulasten ist“, flüsterte Rhain, noch ehe sie den Fuß der Treppe erreichten.

„Meinst du?“ Teague trat durchs Portal hinaus in einen der seltenen sonnigen Dezembertage und hielt auf den Garten zu. Es war Waschtag, und über den Sträuchern hingen Laken.

Rhain folgte ihm. „Sie sagte, sie heiße Anwen. Da auf Brynmor jemand dieses Namens vermisst wird, können wir folgern, dass sie dorthin gehört. Wir müssen ihr nur Ruhe gönnen, bis wir sie zurückbringen können.“

Teague ließ sich auf einer Bank nieder und streckte die Beine aus. Wohlwollend betrachtete er den derzeit fast kahlen Garten in dem Wissen, dass seine Vorratskammer für den Winter gefüllt war. „Aber sie hat nicht zugegeben, von Brynmor zu stammen.“

„Nicht?“ Kurz wirkte Rhain nachdenklich, ehe er mit den Schultern zuckte. „Na, und?“

„Vielleicht hat sie Anweisungen erhalten.“

„Und wenn schon. Sämtliche Adlige haben Edward die Treue geschworen.“ Auch Rhain setzte sich und rückte den Dolch an seinem Gürtel zurecht.

„Alle Adligen, ja, aber nicht alle Menschen.“

„Du hältst die Frau für eine Bedrohung?“

„Ja. Sofern sie uns täuscht und Dinge verschweigt.“

Rhain zuckte mit den Achseln. „Ist das von Belang? Schließlich wissen wir, wer sie ist und woher sie kommt.“

„Dass sie uns Tatsachen vorenthält, ist durchaus von Belang. Was verbirgt sie noch?“

Rhain spielte mit dem Heft seines Dolches. „Sie hat eine schwere Kopfverletzung. Vielleicht hat sie deine Fragen missverstanden.“

„Nein. Beim Betreten der Kammer habe ich ihr angesehen, dass sie wusste, wer ich bin. Sie verheimlicht etwas.“

Rhain presste die Lippen aufeinander, bevor er antwortete. „Lass sie gehen, Teague. Sie kann unmöglich wissen, womit wir uns herumplagen.“

Teague scharrte mit einem Fuß in der umgegrabenen dunklen Erde, aus der nach dem langen Winter neue Pflanzen sprießen würden. Im nächsten Frühjahr, da war er gewiss, würden schmackhafte Kräuter seine Mahlzeiten würzen. Weniger gewiss war er sich in Bezug auf die Frau in seinem Bett. Durfte er riskieren, sie für arglos zu halten? „Den Teufel werde ich tun.“

Es war kurz vor Tagesanbruch, fast noch dunkel in der Kammer, sodass Anwen ihn nur schemenhaft wahrnehmen konnte. Weil sie zu müde für eine Auseinandersetzung war, hielt sie die Augen geschlossen. „Wieso seid Ihr hier?“, flüsterte sie matt.

Teague beobachtete, wie sie zurück in den Schlaf glitt. Ihr Atem wurde ruhiger, und ihre Lider hörten auf zu zucken. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er, obwohl sie ihn nicht hören konnte.

Er sollte nicht hier sein. Nun da sie wieder bei Bewusstsein war, hätte er sich von ihr fernhalten sollen. Er wusste, wer sie war, doch was sie bezweckte, war ihm nach wie vor unklar. Es herauszufinden würde Zeit und Nachforschungen erfordern. Und dennoch trieb er sich müßig in ihrer Nähe herum, wie ein liebestoller Troubadour.

Nein, nicht müßig. Ihm kochte schier das Blut.

Beim Betreten seines Gemachs am gestrigen Tag hatte ihr Anblick ihn getroffen, als hätte jemand seinem Bauch einen Hieb mit der flachen Schwertklinge versetzt: Sie in seinem Bett, auf seinen Kissen, die Beine entblößt, als hätte sie ihn erwartet. Als gehörte sie hierher. Auf die Lust, die ihn befallen hatte, war er nicht vorbereitet gewesen.

Bemüht, sich einen Anschein von Autorität zu bewahren, hatte er sie befragt, und sie hatte sich geweigert zu antworten. So schwach sie auch war, sie hatte ihm die Stirn geboten. Was ihren Namen anging, mochte sie aufrichtig gewesen sein, aber irgendetwas hielt sie zurück. Das spürte er. Sie war der Frage ausgewichen, woher sie kam. Stattdessen hatte sie erfahren wollen, wo sie war, obwohl sie das längst gewusst hatte.

Teague wandte den Blick vom Gesicht der Schlafenden ab. Es war falsch, dass er hier war, doch ebenso tat sie unrecht daran, etwas zu verhehlen. Er durfte ihr keine Geheimnisse zugestehen. Ein Feind bedrohte ihn und seine Leute. Ich werde herausfinden, was sie verheimlicht. Er musste. Um ihrer aller willen.

4. KAPITEL

Ich sehe, Ihr habt Euch verausgabt.“ Mit langen Schritten näherte sich eine ältere Frau in einem schwarzen Ordensgewand dem Fußende von Anwens Bett. „Gebt Acht auf Euch, Mädchen. Ich bin Schwester Ffion, und ich kann mich nicht gleichzeitig um Euch kümmern und meinen Pflichten nachgehen.“

Anwen biss sich auf die Lippe, um der Gottesfrau gegenüber nicht ausfallend zu werden. Sie sah zu, wie Ffion ihrer Ledertasche Kräuter entnahm und sie in den Mörser auf dem nahen Tisch gab.

„Ihr habt Euch den Kopf verletzt und wart ohne Besinnung.“ Ffion hob einen zum Mörser passenden Krug und schwenkte den Inhalt, bevor sie die dunkle Flüssigkeit darin über die Kräuter goss und alles vermengte. „Ich tue, was ich kann, aber letztlich liegt es in Gottes Hand.“

Von der zermahlenen Mixtur ging ein beißender Geruch aus. Anwen öffnete den Mund, um zu protestieren.

„Eure Klagen könnt Ihr Euch sparen.“ Ffion stellte den Krug ab und trat ans Bett. „Beinahe hättet Ihr meine Arbeit zunichtegemacht. Ihr dürft Euch nicht bewegen. Seit Tagen gebe ich diese Packung auf Eure Wunde, um die Heilung zu fördern.“

Anwen versuchte, durch den Mund zu atmen, als sie den Kopf hob und Ffions kühle Hand in ihrem Nacken spürte. „Ihr seid bei mir gewesen?“

„Von Anfang an.“ Ffion wickelte den Verband ab. „Der gute Rhain hat mich sogleich unterrichtet. Er weiß um meine Heilkünste. Wäre er nicht gewesen, wäret Ihr gestorben.“

Sie ließ den Verband in einen Eimer fallen. „Dass Ihr überlebt habt, grenzt an ein Wunder. Rhain hat recht daran getan, mich sofort zu benachrichtigen. So konnte ich schon Kräuter bereitlegen und anmischen.“

Anwen betastete ihre Schläfe. „War nicht … war nicht Lord Teague derjenige unter dem Baum? Hat nicht er mich …?“

Ffion packte sie beim Handgelenk; die kalten Finger bohrten sich ihr wie Krallen in die Haut. „Gwalchdus Lord rettet nichts und niemanden!“

Anwen riss sich los. „Aber …“

Ffion unterbrach sie. „Fasst die Wunde lieber nicht an, sonst gefährdet Ihr die Heilung.“

Ihr Handgelenk reibend bezähmte Anwen ihren Ärger. Ffion wollte ihr bloß helfen. „Wie schlimm ist sie?“

„Es wird eine Narbe zurückbleiben.“ Ffion machte sich daran, die Wunde zu säubern. Das Wasser brannte und brachte zugleich Linderung. „Dauerhaft. Wahrscheinlich werdet Ihr so entstellt sein, dass kein Mann Euch mehr will. Aber so ist es vermutlich am besten.“

Betulich wusch sie das Leinentuch in einer Schüssel aus, während Anwen ihre fast schadenfrohen Worte verarbeitete. In Ffion würde sie keine Verbündete haben, obwohl deren Akzent sie als Waliserin auswies.

„Einige Männer lassen sich davon allerdings nicht abschrecken, habe ich recht?“ Ffion tupfte die Wunde ab. „Jedenfalls scheint es Gottes Wille zu sein, dass die Verletzung verheilt. Trotz der Narbe solltet Ihr jedoch auf Eure Tugend achten.“

Anwen beschloss, nicht darauf einzugehen. Nur eines interessierte sie. „Sie verheilt?“

„Ja. Gott hat mich in seiner unendlichen Weisheit befähigt zu heilen. Noch eine Woche, schätze ich, bis Ihr genesen seid.“ Sie legte einen frischen Kräuterumschlag auf die Wunde.

„So lange doch gewiss nicht mehr.“ Die Kräutermischung brannte.

„Vor wenigen Tagen hätten wir nicht gedacht, dass Ihr überhaupt durchkommen würdet. Ihr werdet noch eine Woche lang liegen bleiben, damit ich Euch nicht umsonst kuriert habe.“

„Ich hatte nicht vor, so lange hier zu sein.“ Herrische Gottesfrau hin oder her, Anwen hatte nicht die Absicht, auf Gwalchdu zu bleiben. Sie wurde auf Brynmor gebraucht. Und nicht nur um Meluns willen. Sie fragte sich, ob ihre Schwester Alinore noch lebte; ob Urien, Lord of Brynmor, ihr abermals etwas angetan hatte. Es tat weh, an all diese Menschen zu denken. Sie musste sich von der Tatsache ablenken, dass sie nicht dort war, um sie zu beschützen.

„Seid Ihr schon lange hier?“

„Fast mein ganzes Leben lang.“ Ein Anflug von Schmerz spiegelte sich in Ffions Miene, als sie hinzufügte: „Viele Jahre.“

„So lange kennt Ihr die Familie bereits?“

„Ich gehöre zur Familie. Ich bin die Schwester von Teagues Mutter.“

Edith kam zur Tür herein. Ihr humpelnder Gang ließ das Brot und den Krug auf dem Tablett, das sie trug, hüpfen.

Ffions Miene verfinsterte sich. „Ich hatte Greta angewiesen, Euch das Essen zu bringen. Bedauerlich, denn Greta wäre Eurer Genesung zuträglicher gewesen.“

Unter lautem Klappern stellte Edith das Tablett auf dem Tisch ab.

Ffion nahm Mörser, Stößel und ihre Tasche. „Es würde Euch nicht schaden, Euch an das zu entsinnen, was ich über Eure Tugend gesagt habe. Gott sei mit Euch.“

Edith machte sich an dem Tablett zu schaffen, bis sich die Tür hinter Ffion geschlossen hatte. „Gott sei mit Euch, sagt sie. Als ob sie mit dem Schöpfer auf Du wäre! Euch zu ermahnen, keine Unzucht zu treiben, obwohl Ihr kaum essen könnt!“

Sie ging zur Tür, öffnete sie und steckte den Kopf hinaus.

„Bestimmt meint sie es gut“, wandte Anwen ein.

„Ach, hört nicht auf mich, Liebes.“ Lächelnd schaute Edith sie über die Schulter hinweg an. „Gebt nichts auf das, was ich sage. Ich bin nur eine alte Frau und schwätze, obwohl ich lieber den Mund halten sollte.“

Anwen wollte das Thema vertiefen, doch da stieg ihr der Duft von Essen in die Nase. Edith trat von der Tür fort, und Greta kam mit einem großen Tablett ins Schlafgemach.

„Habt Dank.“ Sie lächelte Greta an, die das Tablett vor sie hinstellte, jedoch nichts erwiderte.

„Oh, stört Euch nicht an Greta“, meinte Edith, die nach dem Feuer schaute. „Sie hat vor langer Zeit die Stimme verloren. Trotzdem findet Ihr keinen klügeren Kopf als unsere Greta.“ Sie verstummte, ehe sie nachdenklich anfügte: „Na, vielleicht den Lord und dessen Bruder, doch sicherlich keine gütigere Seele.“ Kopfschüttelnd fuhr sie fort: „Schaut sie einfach an und sprecht deutlich, dann versteht sie Euch. Mit ihren Ohren ist alles in Ordnung.“

Anwen blickte von Edith zu Greta. Wie wohl die einseitigen Gespräche abliefen, die die beiden seit Jahren führten?

Wieder sah sie Greta an. „Nochmals danke.“

Gretas Lächeln ließ ihre braunen Augen strahlen.

Anwen wählte ein Stück Käse aus und kaute langsam. Als sie es bei sich behielt, verspürte sie zage Hoffnung. Es ging ihr besser, sie war auf dem Weg, gesund zu werden. Bald würde sie heimkehren, und damit würde sich alles zum Guten wenden.

„Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde.“ Rhain nahm die letzten beiden Stufen hinauf zum Turm der Vorburg.

Trotz der Kälte stand Teague außerhalb des Fackelscheins im Schatten. So war es einfacher, seine Krieger zu beobachten. Mitunter wäre er gern einer von ihnen, wünschte sich, in kameradschaftlicher Gesellschaft durch die frostige Nacht zu schreiten. Doch ihm war es beschieden, allein zu sein.

„Ffion meint, Anwen sei dabei zu genesen, müsse aber noch eine Woche bleiben“, berichtete Rhain.

Wieder einmal Neuigkeiten über die Frau, die so undurchschaubar war wie der nächtliche Wald jenseits der Burg. War sie es, die ihm die Einsamkeit seines Daseins vor Augen führte?

„Nun?“, drängte Rhain.

„Ffion soll das entscheiden.“

„Das wäre das Einfachste, aber ich weiß nicht recht.“ Rhain zuckte mit den Schultern. „Sie hat sich verändert.“

„Als du fortgingst, warst du noch ein Kind“, erinnerte Teague ihn.

„Wohl wahr. Aber was ist mit dem Vorfall vorhin beim Nachtmahl? Ist so etwas zuvor schon passiert?“

Ffions Anfälle wie auch ihre Wutausbrüche und ihr unverständliches Gemurmel waren seit Rhains Rückkehr schlimmer geworden, und Teague sorgte sich um die Tante. „Ja, durchaus, und heute Abend war es vergleichsweise harmlos.“ Er zog seinen Umhang fester um sich. Die Nacht war frostig, und der Atem stand ihm als Wolke vor dem Gesicht. Wie eisig die Luft war, bemerkte er erst jetzt, da sein Bruder da war.

„Irgendetwas hat sie aufgebracht.“

„Es geht auf Weihnachten zu. Ffion ist eine glühende Verfechterin der Feier von Christi Geburt, während andere sich nicht unbedingt an die christlichen Traditionen halten. Es ist ein ewiger Kampf, den beizulegen sie sich weigert.“

„Was ist mit dem Mari-Lwyd-Brauch? Du hast mir einmal geschrieben, sie wettere dagegen. Tut sie das immer noch?“

„Alle Jahre wieder. Sie beharrt darauf, dass der geschmückte Pferdeschädel mit dem weißen Laken der Verehrung der Jungfrau Maria diene…“

„Aber die Dorfbewohner …“

„… holen das Ding ebenso beharrlich zur Weihnachtszeit hervor und feiern mit Strömen von Ale.“

„Zecherei? Ja, ich kann mir denken, dass ihr das gegen den Strich geht.“

„Ganz recht.“ Teague nickte.

„Sie mag ihre Schwächen haben, aber wenigstens beweist ihr Eigensinn, dass sie zur Familie gehört.“

Sie hat mir von jeher nichts als Trotz und Feindseligkeit entgegengebracht, erinnerte sich Teague. Obschon er die Blutsbande nie angezweifelt hatte, ließ er Ffion nicht deshalb auf Gwalchdu wohnen. Nicht deshalb schützte er sie, wenn ein Anfall sie schüttelte oder die Kirche Nachforschungen anstellte.

Ihm war auch gleich, dass seine Tante ihn hasste. Das taten die meisten Menschen. Er würde sie immer beschützen, weil er auf ewig in Ffions Schuld stand.

„Zweifellos verleiht ihr Eigensinn ihr Stärke.“

„Tja, ihr Krieg gegen die heidnischen Bräuche dürfte Weihnachten auf jeden Fall zu einem Erlebnis machen“, bemerkte Rhain.

Keine Seite gewann je die Oberhand, doch Teague sorgte dafür, dass Ffions Wünsche befolgt wurden und die Dorfbewohner ihre uralten Rituale im Verborgenen praktizierten. Es war das Mindeste, was er für seine Tante tun konnte.

Er war noch ein Junge gewesen, als seine Mutter Rhain geboren hatte und er aus der Kammer der Gebärenden verbannt worden war. Doch Ffion war bei ihr gewesen und hatte ihr in jenen letzten Stunden beigestanden. Nach allem, was er inzwischen über ihre Fertigkeiten wusste, war er überzeugt, dass sie wie eine Löwin um das Leben seiner Mutter gekämpft hatte.

„Mir ist, als würde es schlimmer mit ihr.“ Rhain seufzte stockend. Auch sein Atem war in der kalten Luft sichtbar. „Dass es ihr nicht gut ging, war mir schon klar, als sie an die Tafel kam. Ihr Gang war schwankend, und sie hat stark geschwitzt.“ Er schlang sich die Arme um den Oberkörper und klopfte sich auf die Seiten, um sich zu wärmen. „Und als sie das Tischgebet sprach – ich habe kein Wort verstanden.“

Teague dachte erneut daran, was vor so vielen Jahren geschehen war. Er war noch ein kleiner Junge gewesen und hatte binnen weniger Stunden miterlebt, wie seine Mutter zusammengebrochen war und danach, vor Schmerzen schreiend, in den Wehen gelegen hatte. Man hatte ihn aus ihrer Kammer gescheucht. Doch als man ihn zurückholte, um ihr die letzte Ehre zu erweisen, hatte sie friedlich ausgesehen, wie sie da auf dem Totenbett gelegen hatte.

Ffion hatte seiner Mutter in den letzten Augenblicken ihres Lebens Frieden geschenkt.

„Du hast heute Abend beruhigend auf sie gewirkt.“ Teague legte den Kopf schräg. „Bislang musste sie immer aus dem Saal gebracht werden, wenn ihre Wut sie übermannte.“

Etwas in ihm hatte sich den kindlichen Glauben bewahrt, dass Ffion die Trauer und den Schmerz seiner Mutter auf sich genommen habe, damit diese Frieden finde. Seit deren Tod war Ffion nie mehr wie zuvor gewesen. Grimmige Rachsucht, die er nicht nachvollziehen konnte, prägte ihr Wesen.

Aber alles musste er ja auch nicht verstehen. Das Wichtigste war ihm klar. Er stand tief in Ffions Schuld und hätte diese Schuld gern beglichen. Und er hasste es, sie leiden zu sehen.

„Es ist schmerzlich, sie so verändert zu erleben“, meinte Rhain.

Teague konnte ihm nicht widersprechen. Ffion war die einzige Verwandte, die ihnen geblieben war. Ihre Anfälle waren im Laufe der Jahre stärker geworden, ebenso wie ihr Zwang, andere zu bevormunden.

So wie die Forderungen, die sie in Bezug auf Anwen of Brynmor stellte. Er stampfte mit dem Fuß auf, um die Kälte zu vertreiben, die durch seine Schuhe drang. Statt der Vergangenheit nachzuhängen, sollte er die Schwachstellen seiner Festung ausfindig machen und nach dem Feind fahnden.

Er sollte nach einem Feuer im Wald Ausschau halten. Falls Anwen nicht der Feind oder lediglich eine Komplizin war, dürfte der eigentliche Übeltäter in der Nähe sein. In einer frostigen Nacht wie dieser wäre ein Feuer unerlässlich.

Doch in der Finsternis jenseits von Gwalchdus Mauern war nichts zu sehen. Daher richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Wachturm. Oberhalb des Tores befanden sich zwei Wachen, zwei weitere standen neben dem heruntergelassenen Fallgitter. Im Grunde waren das zu viele Männer, aber im Hinblick auf die Drohungen unerlässlich.

Seine Tante hatte widerwillig darum gebeten, Anwen bleiben zu lassen, und das war nicht zu viel verlangt. Im Grunde wollte er es selbst so.

„Lass sie noch eine Woche bleiben“, verfügte er. „Aber ich will eine Wache vor ihrer Tür.“

Rhain schaute ihn spöttisch an. „Eine Wache vor ihrer Tür? Wieso postierst du nicht gleich welche vor allen Ein- und Ausgängen?“

Teague warf ihm einen scharfen Blick zu.

Rhain hob die Schultern. „Das wird ihr nicht gefallen, aber sie in einen anderen Raum zu verlegen würde ihr gewiss schaden. Sie bleiben zu lassen schadet hingegen niemandem.“

Teague verzog die Lippen. „Niemandem? Was ist mit den Drohungen und dem Umstand, dass sie nicht von hier, sondern aus einer feindlichen Burg stammt?“

„Seit wir sie hergebracht haben, ist kein mit einer Botschaft versehener Kadaver mehr aufgetaucht.“

„Es wäre nicht das erste Mal, dass mehrere Wochen zwischen zwei Botschaften verstreichen.“

„Das alles ist überaus merkwürdig. Nie wird etwas gefordert, weder Geld noch Pferde oder Dienste. Die Nachrichten erscheinen in unregelmäßigen Abständen. Nichts von dem, was wir über feindliches Verhalten gelernt haben, trifft hier zu, abgesehen von den Tierkadavern und der gegen dich gerichteten Todesdrohung, die nie fehlt.“

Teague lehnte sich über die Brüstung, sodass der kalte Nachtwind an ihm zerrte. Was Rhain sagte, stimmte. Der Feind folgte keinem bekannten Muster. Teague konnte nicht in Verhandlungen treten, um den Drohungen ein Ende zu setzen, solange er nicht einmal wusste, mit wem es zu verhandeln galt. Bis der Feind sich offenbart, bin ich gleichsam ein Kämpe in einem Geisterkrieg. Sein Schwert und seine Ausbildung nützten ihm nichts, weil er seinen Feind weder sehen noch verletzen konnte. Und ein Lord, der seine Leute nicht zu schützen vermochte, war kein Lord.

„Wie?“ Teague schlug auf die Brüstung. Er hatte verbreiten lassen, dass für Hinweise auf den Feind wie auch für dessen Ergreifung eine fürstliche Belohnung winke. „Wie gelangt er herein? Wie kommt er an das Vieh und meine Falken?“

„Er gelangt nicht herein; er ist bereits hier.“ Rhain machte eine weit ausholende Geste. „Sieh dich um. Nachts brennen Fackeln, obwohl wir keine Besucher erwarten; die Wachposten an den Toren wurden verstärkt, obwohl Tore und Fallgitter geschlossen sind.“

Teague schüttelte den Kopf. „Die Menschen hier sind mir treu ergeben, und dies ist ihr Zuhause.“

„Ich denke, wir sollten nicht nach dem Wie, sondern nach dem Warum fragen.“

Teague verbarg seine Gereiztheit. „Das Warum liegt auf der Hand.“

„Ja, irgendwer ist dir nicht wohlgesinnt, aber wieso jetzt? Warum Drohungen, ohne dass ihnen Taten folgen?“

„Der Feind wartet ab, bis sich Angst breitmacht, ehe er zuschlägt. Exakt so sind wir in Dolwyddelan vorgegangen. Letzten Endes ist es die Furcht, die erobert.“

„Und herrscht hier Angst?“

„Bei Gott oder Gwyn, nein“, knurrte Teague. „Niemals.“

„Ganz recht.“

Er wandte sich Rhain zu. „Was soll das heißen? Der Feind will mich also nicht vor Angst schlottern sehen?“

„Genau, er bezweckt etwas anderes.“

„Vielleicht hat er sich schlicht verrechnet“, wandte Teague ein. „Die nächste Botschaft wird es zeigen.“

„Können wir uns sicher sein, dass es sich nur um eine Person handelt?“, gab Rhain zu bedenken. „Die Drohungen tauchen mal hier, mal dort auf, was nahelegt, dass mindestens zwei beteiligt sind.“

„Nein, es muss ein Einzelner sein. Ich weigere mich, Gwalchdus Wehrhaftigkeit gänzlich infrage zu stellen. Zwei oder mehr Verräter könnten unmöglich unbemerkt bleiben.“ Er verstummte, ehe er entschlossen anfügte: „Ob nun einer oder zwanzig, ich werde diesem Geisterkrieg ein Ende setzen.“

„Wenn ich dich so sehe, erstaunt es mich nicht, dass man dich den Teufel von Gwalchdu nennt. Kein Wunder, dass der König dir diese strategisch wichtige Burg anvertraut hat.“

„Gwalchdu hat unserer Familie gehört, lange bevor Edward gegen Wales und Schottland gezogen ist. Er müsste die hundertfache Königsmacht besitzen, um mir diese Burg zu entreißen.“

„Hast du ihn von den Drohungen unterrichtet? Ich bezweifle, dass ihm solche Vorgänge hier behagen.“

Teague schüttelte den Kopf. „Er hat andere Sorgen. Die Schotten hätten ihn fast aufgerieben. Schon auf meine Lageberichte antwortet er nur unregelmäßig; mit meinen persönlichen Angelegenheiten will ich ihn nicht behelligen.“

„Womöglich lenkt ihn seine Furcht um die kränkliche Eleanor ab.“

Teague würde nie begreifen, weshalb Edward derart besessen von seiner Gemahlin war. Die Zeit, die er an ihrer Seite verbrachte, hätte er besser darauf verwenden sollen, die Schwierigkeiten in Schottland zu beheben oder seine Herrschaft in Wales zu festigen. Stattdessen war er Eleanor geradezu … verfallen.

Er rief sich die Beziehung seiner Eltern ins Gedächtnis. Auch sie waren einander zugetan gewesen, und diese Zuneigung hatte sich als Schall und Rauch entpuppt. Sein Vater hatte seine Familie, seine schwangere Gemahlin, für eine andere Frau verlassen. Von Kummer zermürbt, war seine Mutter verfrüht niedergekommen und verblutet.

„Des Königs Vernarrtheit in Eleanor saugt ihm die Kraft aus den Knochen“, meinte er. „Sie hat ihm genügend Söhne für ein Dutzend Königreiche geschenkt. Seine nichtigen Sorgen sind reine Zeitverschwendung.“

Rhain klopfte ihm auf den Rücken. „Das ist Liebe, Teague, nicht bloß Vernarrtheit. Und so mancher würde dir widersprechen und behaupten, die Liebe der beiden stärke Edward für alle Herausforderungen.“

Teague wusste es besser. Die Liebe hatte seiner Mutter die Kraft geraubt, als sie sie dringend benötigt hätte, um Rhain zu gebären. Die Liebe hatte sie umgebracht.

„Liebe? Was taugt die schon?“

5. KAPITEL

Ich hoffe, Ihr seid wohlauf heute?“ Ffion betrat das Gemach, ohne anzuklopfen.

Anwen, die am Fenster saß, wandte sich nicht um. Im Burghof standen Wagen, die für den Markt beladen wurden. Mägde mit Körben eilten zur Küche, Soldaten übten sich im Kampf.

„Eure Lage wird sich nicht ändern, indem Ihr sie einfach nicht beachtet“, fügte Ffion hinzu.

„Ich wusste nicht, dass Gefangenen Vergünstigungen zustehen.“

„Ihr seid keine Gefangene“, wies Ffion sie zurecht, während sie zum Tisch hinüberging, um ihre Kräuter zu mischen.

„Seit drei Tagen geht es mir gut. So gut, dass ich nach Hause zurückkehren könnte. Doch vor meiner Tür steht eine Wache, die mich nicht gehen lässt.“ Anwen wickelte ihren Verband ab. Vor einigen Tagen hatte Ffion den Faden der Naht entfernt, dennoch legte sie weiterhin Umschläge auf.

„Wie Ihr wisst, hat die Wache die ausdrückliche Weisung erhalten, dass Ihr eine Woche lang in Eurer Kammer bleiben sollt. Muss ich Euch daran erinnern, dass Ihr ohne mich und Gwaldchu Gastfreundschaft tot wärt?“

Ffion ließ keine Gelegenheit aus, ihr dies vor Augen zu halten.

Anwen neigte den Kopf zur Seite, damit Ffion die Salbe auftragen konnte. „Wenn Ihr mir einen Spiegel zugestehen würdet, den es hier gewiss irgendwo gibt, könnte ich das selbst tun.“

„Natürlich haben wir einen Spiegel, mehrere sogar, aber ich glaube, Ihr habt meine Besuche nötig.“ Ffion hielt mit einer Hand den Verband fest, um mit der anderen die Enden zu befestigen. „Sünde und lüsterne Gedanken beherrschen diese Burg. Wir brauchen Gott und Gebete, um uns davon zu reinigen. Übt Ihr Euch in Keuschheit, Gehorsam und Verzicht?“

„Ich bin Christin, Schwester, und bete, so oft ich kann.“

„Hier auf Gwalchdu erwarte ich, dass sechsmal am Tag gebetet wird. Da es Euch besser geht, solltet Ihr mit uns beten.“ Sie hob einen Zeigefinger. „Denkt immer daran: Gemeinschaft …“

„… Gebet, Versenkung und Gottesdienst“, fiel Anwen ihr ins Wort. „Aber ich werde nicht auf Gwalchdu bleiben, und Ihr könnt mich nicht dazu zwingen.“

Ffion ging zur Tür. Bevor sie die Kammer verließ, wandte sie sich noch einmal um. „Wir müssen abwarten, was Gott mit Euch im Sinn hat. Derweil erwarte ich, dass Ihr Euch uns beim Beten anschließt. Die Glocken sagen Euch, wann.“

Anwen blickte aus dem Fenster. Sie hatte nicht vor, Ffion Folge zu leisten und schon gar nicht zu bleiben.

Aus dem, was sie sah, schloss sie, dass sie sich in einem Turm im Innern der Burganlage befand. Unten gab es weder Gärten mit Blumenbeeten noch Bänke. Bar jeden Zierrats, ragten die nackten grauen Mauern dräuend auf. Es war, als böte die Burg den Naturgewalten trotzig die Stirn, ähnlich wie der Lord, der hier herrschte.

Sie hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, seit er sie nach ihrem Namen gefragt hatte. Damals war sie so schwach und unpässlich gewesen, dass sie an ihm nur Dunkelheit und kaum bezähmbaren Zorn wahrgenommen hatte.

Doch des Nachts war er voller Wärme gewesen, auch wenn sie seinen Widerstand gespürt hatte. Es bestand ein solch himmelweiter Unterschied zwischen dem Mann, der er tagsüber war, und dem, in den er sich bei Nacht verwandelte, dass sie sich fragte, ob sie Letzteren nur erträumt hatte. Der Verräter von Gwalchdu war bar jeder Güte.

Das erkannte sie im kalten Licht des Tages. Sie wurde gefangen gehalten, ganz gleich, was Ffion behauptete. Sie bezweifelte, dass er sie festhielt, weil sie von Brynmor stammte. Wüsste er, dass sie von dort kam, müsste er bloß Sir Robert in Kenntnis setzen und eine Gegenleistung für ihre Auslieferung verlangen. Als Marcher Lord hatte er Macht über Brynmor. Und über sie.

Den Kopf auf die Knie gestützt, starrte sie aus dem Fenster. Falls sie die Tage richtig gezählt hatte, war sie seit über einer Woche hier.

Sie konnte ertragen, was immer der Verräter ihr anzutun gedachte, aber auf Brynmor warteten Menschen, die sie brauchten. Melun, der Falkner, der sie wie ein Vater großgezogen hatte, verlor allmählich sein Augenlicht und war darauf angewiesen, dass sie sich um die Vögel kümmerte. Vermutlich war er für den Verlust des Habichts bestraft worden. Und die zarte, sanftmütige Alinore musste vor ihrem Vater beschützt werden, Lord Urien of Brynmor, der zu Tobsuchtsanfällen neigte.

Anwen fühlte sich eingesperrt und rastlos. Sie hieb mit der Faust auf das sattgrüne Kleid ein, das man ihr gegeben hatte. Untätigkeit war sie ebenso wenig gewohnt wie modische Kleider aus feinen Stoffen. Unten erspähte sie den Mann, der für ihre Gefangenschaft verantwortlich war. Sie beobachtete Teague seit Tagen. Seine hochgewachsene Gestalt, sein dunkles Haar und seine Art, sich zu bewegen, waren ihr inzwischen so vertraut wie der Flugstil eines Falken.

Er unterwies seine Krieger im Kampf Mann gegen Mann und stand in ihrer Mitte einem Rothaarigen gegenüber. Beide belauerten einander in geduckter Haltung, die Arme vorgestreckt und leicht angewinkelt. Trotz des kalten, feuchten Wetters waren sie so gut wie nackt – bis auf eine Bruoch, ein locker sitzendes, knielanges Beinkleid, das an den Hüften gebunden wurde.

Doch es war allein Teague, der ihren Blick anzog. An ihm wirkte die Bruoch eher wie eine zweite Haut denn wie ein Kleidungsstück. Sie schmiegte sich an seinen straffen Bauch und das feste Gesäß. Breite Schultern, sehnige Arme und muskulöse Beine verrieten seine Kraft.

Sie hatte ihn zuvor bereits spärlich bekleidet bei Kampfübungen gesehen, und doch fiel ihr immer wieder eine neue Facette seines Körpers auf. Er strahlte eine wilde Schönheit aus, wie sie auch in den fließenden Bewegungen lag, mit dem die Schwingen eines Wanderfalken die Luft durchschneiden.

Reglos dastehend hielt er den Blick auf seinen Gegner geheftet, aber Anwen bemerkte, wie er sich anspannte, kurz bevor er vorstürzte. Einen Arm um den Hals seines Kontrahenten schlingend, rang er ihn nieder.

Beide erhoben sich wieder. Teague grinste zufrieden, während der Rotschopf sich zu den Umstehenden gesellte.

Anwen stockte der Atem, was ihr in den letzten Tagen, seit sie ihn beobachtete, mehrmals passiert war. Seine Züge waren nicht von demselben makellosen Ebenmaß wie die seines Bruders, sondern markant männlich. Wangenknochen, Stirn und Kieferpartie wirkten, als wären sie aus Gwalchdus Granit gehauen. Seine Schönheit war keine Schönheit im eigentlichen Sinne, sondern entsprach der rauen Erhabenheit zerklüfteter Klippen, an denen sich tosend die Wellen brechen. Und wenn er lächelte und Triumph in seinen Augen aufleuchtete, sah er schlicht umwerfend aus.

Nach seinem Sieg wies er sogleich auf einen anderen Mann, der daraufhin in den Kreis trat. Teague strich sich eine Strähne aus der Stirn, ehe er abermals die geduckte, fast rituell anmutende Stellung einnahm. So würde es stundenlang weitergehen, bis er genug hätte, und wie es aussah, bekam er nie genug.

Nie zuvor hatte sie erlebt, dass jemand seine Mannen so erbarmungslos antrieb. Er ließ sie nicht ruhen, bis sie vor Anstrengung zitterten und schweißgebadet und dreckverkrustet waren. Manchmal wurde er verletzt, durch die missglückte Abwehr eines Schwerthiebs, aber nie sah sie ihn verlieren.

Stets strömte er die Ausstrahlung eines Anführers aus. Er erteilte Anweisungen oder hörte zu, und nie erlebte sie, dass jemand sich über seine Befehle beschwerte oder hinwegsetzte. Ein jeder, so schien es ihr, gehorchte Gwalchdus Lord aus Respekt und Ehrerbietung.

Tagelang hatte sie den Verräter ausgespäht, hatte seine Schwächen zu ergründen versucht, um zu fliehen. Was sie über Teague herausgefunden hatte, widersprach einigem, was sie bislang über ihn erfahren hatte. Hochmut und Autorität umgaben ihn, und so mancher Knecht bekreuzigte sich, ehe er sich ihm näherte, wie um sich vor dem Teufel zu feien. Aber er war auch ein gerechtes, großzügiges Oberhaupt. Nein, Teague of Gwalchdu war nicht ausschließlich ein Verräter, obgleich er immer ein solcher bleiben würde.

Sie hatte die verheerenden Folgen für Brynmor gesehen, weil er sich auf die Seite der Engländer geschlagen hatte. Schon allein deshalb durfte sie ihm nicht trauen.

Stunden später platzten Greta und Edith herein, beladen mit vollen Wassereimern. Weiteres Gesinde folgte mit einem großen Bottich und noch mehr Eimern.

„Die gute Schwester meinte, ein Bad könnte Euch nicht schaden.“ Edith stellte die Eimer neben dem Bottich ab.

Für Anwen gab es weit Wichtigeres als ein Bad, doch der Dampf, der von den Eimern aufstieg, war verlockend. „Danke. Ihr solltet es Schwester Ffion nicht verübeln, dass sie mir ein Bad anrät.“

„Oh, nicht das Bad nehme ich Ihrer Hochnäsigkeit übel.“ Edith half Greta, das Wasser in den Bottich zu gießen, nachdem sich die übrigen Bediensteten leise entfernt hatten. „Ich nehme ihr übel, dass sie erst überlegen musste, wann sie Euch eines zugesteht. Ich hätte es besser wissen sollen, als ihr mit dieser Bitte zu kommen.“ Sie machte eine auffordernde Geste. „Also, soll ich Euch beim Entkleiden zur Hand gehen?“

Anwen vermochte sich nicht daran zu gewöhnen, bedient zu werden, denn sie war nicht einen Tag in ihrem Leben bemuttert worden. Dennoch ließ sie sich von Edith den Verband abnehmen und beim Ausziehen helfen.

Vom Verband befreit, tat sie etwas, das sie seit Tagen tun wollte.

Sie trat an den Badezuber, beugte sich darüber, ohne die glatte Wasseroberfläche zu berühren, und betrachtete ihr Spiegelbild. Wie erwartet, blickte ihr eine Fremde entgegen.

Die Frau, die sie aus dem Wasser anstarrte, war hager. Die Wangenknochen traten hervor, und das Haar fiel ihr schlaff um das gesenkte Gesicht. Dessen linke Hälfte war es, die sie aufkeuchen ließ.

Ffion hatte recht – trotz Naht und der Kräuterumschläge würde eine Narbe zurückbleiben. Die schartige Linie zog sich quer über die Schläfe. Wenigstens war ihr Auge nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Vorsichtig legte sie die Fingerspitzen auf die Wunde.

So war es fast, als existierte sie nicht. Aber sie war da und würde immer bleiben. Hastig richtete sie sich auf und stieg ins Wasser, was kleine Wellen gegen die Seitenwände schwappen ließ.

Umhüllt von Lavendel- und Salbeidämpfen, lehnte sie den Kopf zurück, um sich dem Genuss des Bades hinzugeben. Das gelang ihr auch – etwa zwei Lidschläge lang, bis Edith an ihrer Seite war.

„Ihr dürft Euch jetzt nicht ausruhen. Was, wenn Ihr einschlaft, bevor wir Euch sauber haben? Hilf mir, Greta, stütz sie, damit ich ihr die Haare waschen kann. Dabei kann ich nicht gleichzeitig auf die Wunde achten.“

Ein entspannendes Bad war ihr also nicht vegönnt, da Edith sich sogleich über ihren Rücken und ihre Arme hermachte. Sie schrubbte ebenso resolut, wie sie sprach. Wenigstens war es in Windeseile überstanden.

Während Greta das Wasser um den Zuber herum wegwischte, strahlte Edith übers ganze Gesicht. „Nun seht Ihr wie ein Engel aus.“

Anwen verzog das Gesicht. „Danke, aber wie einer, der gestürzt ist und sich dabei das Gesichts verunstaltet hat.“

„Habt Geduld“, meinte Edith.

Greta tätschelte Edith den Arm, bevor sie einen weiteren Eimer heißes Wasser in den Bottich goss.

„Oh, ja“, bemerkte Edith. „Greta findet, wir sollten Euch etwas Ruhe gönnen.“

Greta packte Edith mit der freien Hand.

„Aber wir kommen wieder, Kindchen“, warnte Edith, die von Greta mitgezogen wurde und sich mühte, Schritt zu halten. „Mutet Euch nicht zu viel zu. Ihr seid noch nicht gesund.“

„Ich werde mich nicht rühren.“ Anwen lächelte.

Da Edith und Greta angekündigt hatten wiederzukommen, schlug Anwen die Augen nicht auf, als sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde.

„Könnt Ihr sprechen?“

Wenige Schritte von ihrem Zuber entfernt stand Teague. Offenbar kam er direkt vom Kampfplatz, denn er trug nur seine Beinkleider. Sein breiter Oberkörper war übersät mit Narben und Prellungen. Von der Brust abwärts zog sich eine Linie schwarzen Haars über seinen Bauch. Seine nackte Haut glänzte vor Schweiß, der an seinen straffen Muskeln hinabrann und seinen Hosenbund durchtränkte. Mehrere Schnittwunden an seinen Armen leuchteten blutrot. Seine Haltung war die eines Eroberers: die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine leicht gespreizt.

Sie spürte ihr Herz pochen, als ihr das Aroma von Schweiß, Hitze und Männlichkeit in die Nase stieg. Er durchbohrte sie förmlich mit seinem finsteren Blick, ließ ihn tiefer wandern … hinab zu ihren Brüsten, die nur unzureichend vom Wasser verborgen wurden.

Keuchend rappelte sie sich auf und griff hastig nach einem der bereit gelegten Leientücher. Sogleich bereute sie die abrupte Bewegung. Von Schwindel erfasst, hielt sie sich mit einer Hand am Rand des Zubers fest, während sie sich mit der anderen das Tuch um den Leib schlang. Teague erbot sich nicht, ihr zu helfen. Er rührte sich nicht von der Stelle, doch sie hörte ihn scharf die Luft einziehen.

Sobald der Schwindel abebbte, stieg leise Wut in ihr auf. Tagelang hatte er sie mit Fragen malträtiert, obwohl sie zu schwach gewesen war, um sich zu wehren. Später hatte er sie ignoriert und eingesperrt, und nun trat er alle Schicklichkeit mit Füßen. Als sie sich zu ihm umdrehte, stand es um ihre Selbstbeherrschung nicht zum Besten.

„Jawohl, kann ich, und ich frage Euch: Habt Ihr keine Augen im Kopf? Denn hättet Ihr welche, würdet Ihr sehen, dass ich gerade ungestört sein möchte. Hinaus!“ Empört wollte sie auf die Tür weisen, aber das nasse Handtuch ließ sich nur mit beiden Händen festhalten.

Seine Miene wurde abweisend. „Ihr wollt mir befehlen zu gehen?“

„Ja, und zwar sofort. Ihr habt kein Recht, hier einzudringen. Das gehört sich nicht und ist unhöflich.“

„Unhöflich.“ Er schaute sich um. „Ihr schlaft in meinem Bett, tragt Kleider, die ich Euch gegeben habe, und doch haltet Ihr mich für unhöflich?“

„Ihr wollt meinen Dank für Eure Auffassung von Gastfreundschaft? Ihr, der Ihr meine Not ausnutzt und mich einkerkert?“

Er musste verschwinden. Auf der Stelle. Je länger er sie anstarrte, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Das Funkeln in seinen Augen sagte ihr, dass er ihre missliche Lage auskostete.

„Ich frage mich, wer sich an wem schadlos hält.“ Er legte den Kopf schräg. „Genauso gut könntet Ihr diejenige sein, die mich ausnutzt.“

Jäh lag Spannung in der Luft. Versonnen betrachtete er ihr nasses Haar und ihre nackten Schultern und tat einen Schritt auf sie zu. Sie konnte ihn nicht daran hindern. Stiege sie aus dem Zuber, würde sie umso mehr von sich entblößen. Sie war gefangen. Groll, Gereiztheit und etwas, das Zorn recht nahekam, kochten in ihr hoch. Sie verabscheute Männer, die Schindluder mit Schwächeren trieben.

„Wie sollte ich Euch ausnutzen? Ihr haltet die Fäden in der Hand. Zwar habt Ihr meine Wunden versorgen lassen, verweigert mir jedoch die Freiheit. Ihr gebt mir zu essen, aber an die frische Luft lasst Ihr mich nicht.“

Er neigte den Kopf zur Seite. „Seid Ihr wirklich so unbedarft? Wohl kaum. Als ich Euch im Wald zum ersten Mal sah, in einem fadenscheinigen Unterkleid und die Haare offen, konnte ich den Blick nicht von Euch abwenden.“

Er machte einen weiteren Schritt vorwärts, sodass er mit den Füßen fast gegen den Bottich stieß. „Euch ging es so schlecht, dass ich Euch für todgeweiht hielt. Ihr wurdet von Ffion und meinem Gesinde umsorgt, und dennoch konnte ich meine Augen nicht von Euch lassen, konnte ich nicht von Eurer Seite weichen. Ich habe über Euch gewacht, Anwen.“

Das verschlug ihr Sprache und Atem. Ihr Zorn verwandelte sich in etwas anderes. Also hatte sie weder geträumt noch sich getäuscht.

„Dann wart Ihr es, nachts an meinem Bett“, flüsterte sie, obwohl sie wusste, dass sie ihn hätte tadeln sollen. Wie konnte dieser Mann, dieser Verräter, sie trösten?

„Ja, das war ich. Es war meine Hand, die Ihr gehalten habt, meine Berührung, die Ihr gesucht habt, wenn der Schmerz Euch zu überwältigen drohte. Als es Euch besser ging, wusste ich, dass ich mich nicht länger damit begnügen würde, Euch anzuschauen. Daher blieb ich Euch fern.“

Er ließ den Blick über ihren Körper gleiten, bis ihre Haut zu glühen schien, sodass sie das abkühlende Wasser und die kalte Zugluft spürte.

Als er abermals sprach, klang seine Stimme samtweich. „Ihr habt gefragt, ob ich keine Augen im Kopf hätte, um zu sehen, dass Ihr hüllenlos seid. Oh, doch, das sehe ich. Das sehe ich, obwohl Ihr Euch bedeckt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Euch, wie Gott Euch erschaffen hat.“

Ihr war, als verwandelte sich ihr Blut erst in Eis und dann in Feuer. Ihre Haut prickelte, und sie spürte sich rot werden. Der Verräter hatte sie getröstet, hielt sie gefangen, und nun tat er noch etwas anderes. Etwas, das sie stärker bannte als ihre Wut, als seine Fürsorge und die Gefangenschaft.

Seine schwarzen Augen glänzten fiebrig, als er fortfuhr: „Ihr presst Euch die Hände an den Busen in dem Glauben, dieses Leintuch würde Euch verhüllen. In Wahrheit betont es Euren Leib, Eure makellosen Brüste, die nur darauf warten, berührt zu werden. Die Wassertropfen lassen sie seidig schimmern; sie sind wie geschaffen für die heißen Lippen eines Mannes. Für meine Lippen.“

Diesen Worten hatte sie nichts entgegenzusetzen. Nicht das Geringste. Ihr Zorn war verraucht, war etwas Heißerem gewichen, das ihr durch die Adern rauschte. Sie mochte sich seiner Fürsorge, seiner Bevormundung widersetzen, doch gegen ihre eigenen Empfindungen war sie machtlos.

Er schaute ihr wieder in die Augen, und ihr war, als ringe er mit sich, ehe er barsch fragte: „Wie Ihr mich ausnutzen könntet, wollt Ihr wissen?“ Alle Sinnlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden. Er verströmte Ingrimm, und als sich ihre Blicke trafen, lag in seinem die Kälte von Kristall. „Ich habe vor, das herauszufinden. Zieht Euch an und kommt in den Saal. Ich will mit Euch reden.“

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dauerte es einige Momente, bis Anwen sich regen konnte. Sie zitterte am ganzen Leib. Ob wegen Wut, Scham oder seiner glutvollen Worte, wollte sie gar nicht wissen. Sie stieg aus dem Bottich und rieb sich grimmig trocken.

Wieso hatte sie ihm getrotzt? Sie war ihm in jeder Hinsicht unterlegen. Er war ein Mann, der Befehle erteilte, und keiner, der gehorchte. Gemeinhin war sie nicht so töricht.

Welche Schlacht wollte sie gegen ihn gewinnen? Sie nahm sich die sauberen Kleider vom Stuhl. Gewiss nicht die Schlacht, zu der er sie herausgefordert hatte. Seine unverblümten Worte hatten sie aufgewühlt. Sie war nicht so unbewandert, dass sie nicht wusste, worauf er angespielt hatte.

Angefasst hatte er sie indes nicht. Offenbar hatte er sich nur dafür rächen wollen, dass sie ihn der Kammer verwiesen hatte. Er hatte sie demütigen wollen, doch die Demütigung war rasch in etwas anderes umgeschlagen. Bilder waren in ihr aufgestiegen: sein Mund auf ihren Brüsten, seine Hände, die ihr über die Haut strichen.

Vielleicht wären diese Bilder weniger lebendig gewesen, hätte sie sich nicht so klar an seine Berührungen erinnert. Er hatte ihre Hand gehalten des Nachts, wenn sie allein mit ihm gewesen war. Sie hatte sich getröstet gefühlt, hatte dank der Sanftheit und Stärke seiner Finger den Schmerz vergessen können. Nun erinnerte sie sich, wie er ihre Handfläche und ihr Handgelenk mit seinem schwieligen Daumen liebkost hatte, bedächtig und mit kreisenden Bewegungen. Dass sie sich seine Hände mühelos auf anderen Teilen ihres Körpers ausmalen konnte, hätte sie wütend machen, hätte sie ängstigen sollen … aber keine dieser Regungen stellte sich ein, im Keim erstickt durch seine Worte.

Sie musste fliehen.

6. KAPITEL

Mit langen Schritten strebte Teague in den Saal und zu den beiden Stühlen vor dem kleineren der Kamine. Er brauchte Zuspruch und Wein, zwei volle Krüge, und nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.

Er hatte nicht gewusst, dass Anwen badete, sonst hätte er die Kammer niemals betreten. Doch dann hatte er nicht wieder gehen können.

Sie zu bezichtigen hatte er nicht beabsichtigt, doch ihre Rage und ihr bebender Leib hatten ihn die Beherrschung verlieren lassen. Er war hin- und hergerissen gewesen zwischen dem Wunsch, ihr behilflich zu sein, und dem Verlangen, sie in die Arme zu reißen und zu küssen. Ja, er hatte sie küssen wollen, daran bestand kein Zweifel.

Er rückte sich auf dem Stuhl zurecht und positionierte seine Beine anders. Ihren Schmähungen zum Trotz gierte er danach, ihre sinnlichen Lippen zu kosten. Diese Lippen, verbotenen Früchten gleich, hatten ihn schon im Wald fasziniert; nun brannte er darauf, in ihrem Aroma zu schwelgen.

„Was hat dir denn die Laune verhagelt?“, fragte Rhain in seine Gedanken hinein.

Teague schaute auf. „Es überrascht mich, dich allein zu sehen. Ohne schmachtende Dame im Schlepptau.“

Grinsend wies Rhain mit einer ausladenden Geste auf den Saal. „Nun, ich kann nichts dafür, dass dieses düstere, bedrückende Gemäuer so lange ohne mich auskommen musste. Kannst du den Maiden verdenken, dass sie sich an meinem sonnigen Gemüt ergötzen?“

„Ich bezweifle, dass Mary und Anne an deinem Gemüt gelegen ist.“

Kopfschüttelnd verschränkte Rhain die Arme. „Dass die beiden mir heute auf den Kampfplatz gefolgt sind, ist gewiss nicht der Grund für deinen Unmut. Du kannst dich kaum beschweren, bedenkt man, dass ich deinem Hauptmann Peter einiges habe beibringen können … wieder einmal.“ Er sah Teague forschend an und wechselte das Thema. „Gibt es eine weitere Drohung?“

Teague schüttelte den Kopf. „Ich habe die Frau hergebeten, um mit ihr zu reden.“

„Du willst Anwen noch einmal befragen?“ Erheiterung schwang in Rhains Stimme mit. „Hast du Kleider zum Wechseln dabei?“

„Es geht ihr besser.“ Er fing den Blick einer vorbeieilenden Magd ein und verlangte nach Wein und Speisen.

„Du hast schon mit ihr gesprochen?“ Rhain setzte sich auf den anderen Stuhl, streckte die Beine aus und schlug sie übereinander.

„Ja.“ Teague wünschte, er hätte sich durch die Tür hindurch mit ihr unterhalten. Er hatte das Gemach in der Absicht betreten, sie zur Rede zu stellen, doch kaum war er ihrer ansichtig geworden, war er keines klaren Gedankens mehr fähig gewesen. Mit geschlossenen Augen hatte sie dagelegen, den Kopf auf den Rand des Bottichs gelegt, die wohlgerundeten Brüste vom heißen Wasser glänzend. Obwohl der Bottich fast voll gewesen war, hatten sich ihre geschmeidig geschwungenen Knie und die Oberschenkel unter der Oberfläche abgezeichnet. Wie schon im Wald, war ihr Leib entblößt und verborgen zugleich gewesen.

Dieses Mal war seine Lust schier unbändig gewesen. Denn dieses Mal, dieses Mal, hatte sie sich in seinem Schlafgemach befunden. So greifbar war sie gewesen, dass er gemeint hatte, sie zu spüren, zu schmecken, zu wissen, wie es wäre, sich tief in ihr zu versenken. Schließlich hatte sie die Augen aufgeschlagen und ihn herausfordernd angeblickt, obwohl sie zitterte. Dieses Zittern hatte ihm den letzten Rest Beherrschung geraubt. Um sie zu schützen, hatte er die Kammer schleunigst verlassen, doch das Pochen in seinen Lenden hatte dadurch nicht nachgelassen.

„Das erklärt deine Gereiztheit“, meinte Rhain. „Bemerkenswert, dass sie dich dermaßen bärbeißig stimmt.“

„Ich bin nie bärbeißig.“ Teague veränderte seine Haltung. „Ich weiß nur nicht, wer sie ist, und bin vorsichtig.“

„Der Teufel von Gwalchdu, vor einem schmächtigen Mädchen auf der Hut. Nun, langweilig wird es hier nicht. Ich werde ebenfalls auf sie warten.“

Anwen hielt sich dicht an der Mauer, während sie langsam die Stufen hinunterstieg. Auf dem Weg zum Saal begegnete ihr niemand.

Die Opulenz von Gwalchdus Großer Halle traf sie nicht unerwartet, überwältigte sie aber trotzdem. Natürlich war ihr bekannt, dass schon Edward und der walisische Fürst Llewellyn hier zu Gast gewesen waren, doch dieser Saal war selbst für königliche Verhältnisse prachtvoll.

Mehrere Wandteppiche mit Jagdszenen zierten die Mauern, beleuchtet vom flackernden Licht von Kerzen in hohen Kandelabern. Zwei Kamine unterschiedlicher Größe, einander gegenüber, schmückten den Saal zusätzlich, die darin flackernden Feuer spendeten Wärme. In der Mitte standen, parallel zueinander, drei lange aufgebockte Tische, von ebenso langen Bänken flankiert. An einem Ende verlief quer dazu eine weitere Tafel, die auf einem Podium hätte stehen sollen, um den Lord vom Fußvolk zu trennen. Doch das war nicht der Fall. Die Tafel befand sich auf einer Ebene mit den übrigen Tischen, was auf eine gewisse Gleichstellung von Lord und Kriegern schließen ließ. Das Einzige, das auf die privilegierte Position hindeutete, waren die verzierten Armstühle und der riesige Kamin hinter dem Tisch. Durch beides genoss der Lord mehr Wärme und Behaglichkeit als die übrigen Menschen.

Vor dem kleineren Kamin am anderen Ende des Saals standen zwei mit Schnitzwerk versehene Lehnstühle, auf denen Männer saßen. Im Feuerschein sah Anwen dunkles und helles Haar glänzen. Sie ging zu ihnen.

Teague bemerkte sie als Erster. Er stand auf, und Rhain tat es ihm gleich. Sie spürte die Blicke der beiden Männer auf sich.

Die Sonne war fast untergegangen, und nur der Schein der beiden Feuer fiel auf ihr feuchtes ungebundenes Haar, das sich wie ein goldener Heiligenschein um ihren Kopf kräuselte. Als sie sich näherte, ihre zierliche Gestalt von einem weißen Kleid umflossen, wirkte sie engelsgleich.

„Mein Gott.“

„Was hast du gesagt?“, fragte Teague, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

„Ich habe dich für verrückt gehalten, weil du sie hergebracht hast“, raunte Rhain, den Blick wie gebannt auf die Erscheinung geheftet, die auf sie zuschritt. „Aber nun, da ich sie so sehe, wie du sie zum ersten Mal gesehen haben musst, denke ich, dass niemand bei klarerem Verstand ist als du.“

Die Miene verschlossen, blieb Anwen vor ihnen stehen. Teague konnte ihr ansehen, dass sie noch schwach war. Ihre Hände bebten, und ihre blasse Haut war von einem feinen Schweißfilm überzogen. Schon die kurze Strecke hatte sie angestrengt.

Ihre großen blauen Augen waren von langen Wimpern in einem dunklen Goldton umgeben, der sie erstrahlen ließ. Erstrahlen? Rasch verscheuchte er den törichten Gedanken.

„Ihr seid gekommen“, stellte er schroff fest.

„Wie Ihr befohlen habt.“

Anwen stellte fest, dass sich Teagues Erscheinung seit vorhin stark verändert hatte. Sein Haar war frisch gewaschen, und er trug eine dunkelblaue Tunika aus edlem Stoff. Der Anblick wirkte nicht weniger verstörend, als seine nackte Brust es getan hatte. Die Tunika schmiegte sich eng an Schultern, Oberkörper und Bauch. Er war bekleidet, doch seine Kleidung verbarg kaum, was sich darunter befand.

„Leistet Ihr Befehlen grundsätzlich Folge?“

„Sofern sie nicht unzumutbar sind.“ Sie würde ihre Zunge nicht im Zaum halten.

Rhain hüstelte. „Wie schön, Euch wohlauf zu sehen.“

Anwen musterte die zwei Männer. Was Aussehen und Naturell anging, hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Beide waren hochgewachsen, und unter ihrer Kleidung zeichnete sich ein muskulöser Körper ab, aber damit endete jede Ähnlichkeit. Vom Haar über die Augen bis hin zur Ausstrahlung war Teague dunkel. Er wirkte ganz wie der Teufel, als der er galt – wie ein Geschöpf aus der Unterwelt. Rhain, von goldener Schönheit, war in sattroten Samt gewandet. Auch er war kräftig, jedoch schlanker und geschmeidiger. Wie aus Sonnenlicht gewirkt, mutete er an wie ein von Gott geschaffener männlicher Engel.

Sie lächelte ihn einnehmend an. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Teagues Miene eine Spur finsterer wurde, aber sie beachtete ihn nicht weiter. Falls Rhain ein Engel war, könnte sie vielleicht an sein Mitleid appellieren, in der Hoffnung auf Zugeständnisse von seiner Seite. Sie hatte kaum eine Wahl.

„Habt Dank“, sagte sie. „Die Kopfschmerzen sind abgeklungen, und ich bin wieder einigermaßen bei Kräften. Gewiss wäre es mir ohne die hervorragende Pflege weniger gut ergangen.“

Rhain erwiderte ihr Lächeln und deutete ein Nicken an. „Das freut mich, obgleich es mir lieber gewesen wäre, Ihr hättet Euch gar nicht erst verletzt. Möchtet Ihr Euch setzen?“ Er wies auf den Stuhl, von dem er sich erhoben hatte.

Sie war schwach, aber sich zu setzen hätte bedeutet, Teagues Machtposition zu stärken. Da sie selten in den Genuss von Freundlichkeit kam, wusste die Geste jedoch zu schätzen. Abermals lächelte sie.

„Rhain, Peter braucht dich in den Stallungen“, mahnte Teague.

Rhains Miene wurde unergründlich, als er ihr noch einmal zunickte. „Natürlich, wie nachlässig von mir, das zu vergessen. Wenn Ihr mich bitte entschuldigt?“

Bevor er sich abwandte, sah sie ein schelmisches Funkeln in seinen Augen, das sie stärker beunruhigte als Teagues Gewittermiene. Es war fast so, als wüsste er etwas, das ihr entgangen war. Nur was? Teague hatte ihn fortgeschickt, befehlsgewohnt wie stets.

Damit er mich für sich hat.

Was immer sie sich von Rhains Anwesenheit versprochen hatte, es war dahin. Umso schärfer wurde ihr bewusst, dass sie mit dem Verräter allein war.

Seine Worte von vorhin klangen in ihr nach. Hatte sie im Schlafgemach die Signale ihres verräterischen Leibes zu verbergen vermocht? Hier und jetzt war sie bekleidet und gewappnet. Was vorgefallen war, würde sich nicht wiederholen.

Teague sagte nichts, aber das störte sie nicht. Sein Schweigen schien in ihr widerzuhallen. Sie lauschte auf Rhains sich entfernende Schritte wie auch auf ihr Herz, das wie das eines gefangenen Vogels pochte. Immer noch verströmte Teague wachsame Stille.

Sie wollte sich nicht setzen, spürte aber ihre Beine nachgeben.

„Geht es Euch gut genug, um mir ein paar Fragen zu beantworten?“

Ihm entging nichts, auch nicht ihre momentane Entkräftung. Doch sie hatte ihre Beharrlichkeit und Stärke an Männern gestählt, die ihre Dominanz und Autorität an Schwächeren auslebten. Wie oft hatte sie sich selbst und Alinore vor Uriens Fäusten geschützt?

Wut verströmte er keine, sehr wohl aber Macht. Das hatte sie vom ersten Augenblick an gespürt. Tief in seinem Schweigen, in seinem forschenden Blick meinte sie, eine heimliche Verbindung zwischen ihnen zu erfassen, gleich einer Lockschnur für die Ausbildung von Beizvögeln.

Ob dies nun begonnen hatte, als er sie unter dem Baum aufgefangen oder ihr des Nachts Trost gespendet hatte, es würde mit ihrer Rückkehr nach Brynmor enden. Doch angesichts ihrer weichen Beine und der sich anbahnenden Kopfschmerzen galt es zunächst, die Unterredung mit dem Verräter rasch hinter sich zu bringen. „Ob ich Eure Frage beantworte, hängt davon ab, ob ich eine Antwort auf die meine erhalte.“

Er sah sie aus schmalen Augen an, ehe er zwei Mägden winkte, die daraufhin einen Weinkrug, zwei Becher sowie Obst und Brot an den Tisch zwischen den Stühlen brachten. „Bevor wir uns mit Fragen befassen, sollten wir uns stärken.“

Anwen nahm den Blick nicht von ihm. Er wusste genau, dass sie das Gespräch schnell bewältigen wollte. Er wusste es nur zu gut und zwang sie, sich in Geduld zu üben.

Wenigstens gaben Wein und Essen ihr einen Vorwand, sich auf seine auffordernde Geste hin zu setzen.

Nun musste sie sich nicht länger sorgen, ohnmächtig zu werden. Sie musste lediglich seine Begutachtung über sich ergehen lassen und würde dies nutzen, ihrerseits ihn in Augenschein zu nehmen. Da sie vorbereitet war, würde sie nicht noch einmal so auf ihn reagieren wie vorhin, als sie nackt gewesen war. Aber als er den Stuhl ihr gegenüber einnahm … veränderte sich etwas.

Es lag an der fließenden Bewegung, mit der er sich einen grünen Apfel nahm und ihn in seiner starken Hand wog. Es lag daran, wie er hineinbiss, ohne sie aus den Augen zu lassen; daran, wie sich seine Halssehnen beim Schlucken strafften.

Sie schaute ihm in die Augen, in denen sie etwas lodern sah, das ihr neu war. Es machte ihr bewusst, wie nah sie einander kamen, indem sie gemeinsam vor einem Feuer aßen und sich unterhielten. Dass er mit einem Mal wie ein Raubtier wirkte, gemahnte sie an den Wortwechsel vorhin. Obwohl sie bekleidet war und sich nun, da sie saß, kräftiger fühlte, kam sie sich nackt vor, entblößt. Verletzlich. Das verunsicherte sie.

„Wieso bin ich eine Gefangene?“

„Glaubt Ihr, dass Ihr das seid … eine Gefangene?“ Wieder biss er in den Apfel. Dieses Mal war sie gefeit gegen das, was dies in ihr auslöste. Kalt ließ es sie dennoch nicht. Er aß bloß, aber wie er es tat … Wie kraftvoll er in den knackigen Apfel biss. Wie er ihn in der Hand barg.

Sie fühlte sich hier gefangener, als sie es in der Kammer gewesen war. Dabei hielt nichts sie fest außer seiner Gegenwart und den Empfindungen, die er in ihr wachrief.

„Ihr seid keine Gefangene. Die Wache vor Eurer Tür dient Eurem Schutz. Oder habt Ihr Euch etwas zuschulden kommen lassen, das eine Haft rechtfertigt?“

„Wie hätte ich das tun sollen, wo ich tagelang besinnungslos war?“

Er warf das Kerngehäuse ins Feuer. Sie hielt den Blick auf sein Gesicht gerichtet, sodass ihr der spöttische Zug um seinen Mund nicht entging. „Vielleicht sollten wir über das reden, was Ihr getan habt, bevor Ihr vom Baum gefallen seid.“

„Wovon redet Ihr?“ Was sie vor dem Unfall getan hatte, ging ihn nichts an. Wenn er nicht wollte, dass Fremde in sein Dorf kamen, hätte er nicht den besten Gerber der Gegend abspenstig machen sollen.

„Ihr seid aus Brynmor.“

Es gelang ihr gerade noch, ihre Überraschung zu verhehlen. „Ja, dort wurde ich geboren.“ Nicht der Gerber, sondern ihre Herkunft beschäftigte ihn also.

„Ihr gebt zu, unter dem Dach eines walisischen Kleinfürsten zu leben?“

„Ich weiß nicht, was Ihr meint. Seit Edwards Kriegen gibt es keine walisischen Fürsten mehr. Wir sind nun allesamt Engländer.“

„Aber Ihr gesteht, dass Brynmor einst ein feindliches Herrschaftsgebiet war?“

„Ich denke, das hängt von der Sichtweise ab. Ebenso gut ließe sich Eure Burg als die feindliche bezeichnen.“

„Sind wir Feinde?“ Er erhob sich und verschränkte die Hände im Rücken. Die abrupte, rastlos anmutende Bewegung erstaunte sie.

Auch sie stand auf und entfernte sich von Stuhl, Speisen und wärmendem Feuer. Sein freundlicher Tonfall konnte sie nicht narren; sie wusste, dass er sie in eine Falle zu locken trachtete. „Laut König Edward sind wir das nicht.“

„Was hattet Ihr im Dameg Forest zu suchen, so nah bei Gwalchdu?“ Er begann, sie zu umkreisen.

Sie fühlte sich wie die Beute eines Habichts und konnte sich gerade noch davon abhalten, ihm mit dem Blick zu folgen. Stattdessen starrte sie geradeaus. „Mein Zuhause liegt nicht weit entfernt von dem Euren und dem Dameg Forest. Wenn wir nicht verfeindet sind, spricht nichts dagegen, dass ich mich im Wald aufhalte.“

„Kennt Ihr Alinore, Lord Uriens Tochter?“

„Ja, ich kenne sie gut.“

„Und Sir Robert?“

„Es dürfte schwierig sein, auf Brynmor zu leben, ohne den von den Engländern eingesetzten Statthalter zu kennen“, erwiderte sie, ihre Kehle mit einem Mal eng.

„Welche Stellung nehmt Ihr auf Brynmor ein?“

Vor dieser Frage hatte ihr gegraut. Ihre Position auf Brynmor war nicht eindeutig zu benennen, was in den Augen eines Außenstehenden kaum zu ihrer Glaubwürdigkeit beitrüge. Sie konnte ihm schwerlich anvertrauen, wer sie wirklich war: ein unerwünschter Bastard, mit Alinore als Halbschwester und Lord Urien als Vater. Ausweichen konnte sie der Frage indes nicht, weshalb sie sich für einen Teil der Wahrheit entschied.

„Ich bin Falknerin.“

Teague blieb vor ihr stehen. „Falknerin?“

Sein ungläubiger, höhnischer Ton war ihr zuwider. Sie war eine gute Falknerin. „Ich arbeite mit Habichten.“

„Ein ungewöhnliches Gewerbe für eine Frau.“

„Jedes Gewerbe ist ungewöhnlich für eine Frau, aber ich bin nun einmal Falknerin.“

„Es gibt durchaus Betätigungen, die nicht gar so … absonderlich für Frauen sind.“

„Wie bezeichnend, dass Ihr als Mann glaubt, Frauen taugten nur zum Kindergebären.“

„Nicht das Gebären von Kindern hatte ich im Sinn.“

Anwen spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Ihr hätte klar sein müssen, dass seine Lust das Gespräch lenken würde. Was immer er damit bezweckte, sie zu beschämen, es sollte ihr egal sein. Worauf es ankam, war, dass sie diese Unterhaltung hinter sich brachte und nach Brynmor zurückkehrte.

„Solche Fragen beantworte ich nicht. Ihr wollt mich demütigen, und mir ist schleierhaft, wieso. Außerdem ist es mir gleich. Alles, was ich weiß, ist, dass ich gegen meinen Willen und ohne Angabe von Gründen hier festgehalten werde.“ Sie sorgte sich nicht länger um Ohnmacht, Schwäche oder Kopfschmerzen. Zorn und Verzweiflung verliehen ihr Kraft. „Ihr habt Eure Fragen vorgebracht. Nun will ich eine Antwort auf meine. Steht es mir frei zu gehen?“

Wieder dieser durchdringende Blick, unter dem sie sich verwundbar fühlte und der sie zugleich reizte. „Es steht Euch frei … Euch in der Burg umherzubewegen. Gwalchdu verlassen dürft Ihr nicht.“

„Ihr könnt mich hier nicht festhalten!“

„Doch. Ich brauche nämlich einen Falkner. Eure Anwesenheit kommt mir gelegen.“

Aufmerksam sah er sie mit seinen dunklen Augen an. Offenbar wartete er darauf, dass sie sich eine Blöße gab. Da konnte er lange warten. „Ich bin keine besonders gute Falknerin“, behauptete sie.

„Keine besonders gute ist besser als gar keine.“

Da tat sich eine weitere Falle auf, die sie zwingen sollte, die Wahrheit preiszugeben. „Ich habe einen Vogel im Dameg Forest verloren. Ihr wollt gewiss keine Falknerin, der Vögel abhandenkommen.“

„Ihr habt so spät im Jahr noch einen Greifvogel abgerichtet?“

Seine Zweifel trafen ihren Stolz. Sie hatte mit Gullys Ausbildung in der Tat recht spät begonnen, aber nur, weil eine Flügelverletzung die Sache verzögert hatte. Sie war nur deshalb nach Gwalchdu gekommen, um ein hochwertigeres Geschüh zu erwerben. Doch dem Teufel von Gwalchdu zu eröffnen, dass sie auch ältere Vögel abzurichten vermochte, hätte ihren Absichten geschadet. Daher zuckte sie mit den Achseln. „Nun wisst Ihr, wie sinnlos es wäre, mich als Falknerin einzustellen. Ihr solltet mich gehen lassen.“

„Einen Beizvogel einzubüßen ist eine ernste Sache. Wünscht Ihr Gwalchdu deshalb zu verlassen?“

Da er nicht auf ihr Anliegen eingegangen war, würde sie auch seine Frage nicht beantworten. „Jeder Beizvogel ist kostbar. Wenn ich diesen nicht finde und zurückbringe, hat das Konsequenzen für so manchen auf Brynmor.“

„Für wen?“

„Den Falkner.“ Mehr brauchte er nicht zu wissen.

„Einen Falkner kann man ersetzen.“

Das konnte nur jemand sagen, dem niemand etwas bedeutete. Ihr aber bedeutete Melun alles. Er hatte sie aufgenommen, sich um sie gekümmert und war ihr wie ein Vater. Sie musste zurück nach Brynmor, doch was immer sie gehofft hatte, mit diesem Gespräch zu erreichen, es gelang ihr nicht, einen Vorteil herauszuschlagen.

Erneut ergriff er das Wort. „Wie dem auch sei, Ihr seid nun mir verpflichtet.“

„Wie gesagt, ich wäre nutzlos für Euch. Außerdem bin ich zu gar nichts verpflichtet.“

„Da irrt Ihr Euch. Das seid Ihr sehr wohl. Ihr habt eine Schuld zu begleichen. Ihr verdankt mir Euer Leben.“

7. KAPITEL

Eine Schuld, hm?“, fragte Rhain leise, nachdem Teague das Gespräch mit Anwen wiedergegeben hatte. Obwohl sie über wichtige Dinge geredet hatten, war die Unterhaltung kurz gewesen. Fast ebenso rasch war Rhain in den Saal zurückgekehrt. Vermutlich hatte er gar gelauert, denn er trat just ein, als Teague den Saum ihres weißen Kleides die Treppe hinauf verschwinden sah.

Teague setzte sich und streckte die Beine aus. „Es erschien mir zweckdienlich.“

„Du hättest sie einfach fesseln und foltern können.“

„Wohl wahr, aber sie ist noch nicht wiederhergestellt.“

„Ah, du willst sie also gegen ihren Willen hier festhalten, weil du dich um sie sorgst.“ Rhain ging zum Tisch und goss ihnen beiden Wein ein. „Vielleicht hast du ja doch ein weiches Herz.“

Teague nahm einen tiefen Schluck und schwieg.

„Das Beste wäre gewesen, ihr schlicht die Wahrheit zu sagen.“ Rhain veränderte seine Haltung und lehnte sich gegen das vom Feuer warme Mauerwerk. „Zum Beispiel hättest du ihr verraten können, dass jemand dir mit dem Tod droht und du sie für beteiligt hältst.“

„Damit sie mir die Lügen auftischt, die sie sich zurechtgelegt hat? Nein, wir werden beobachten, wie sie sich verhält. Wir beschatten sie und lassen die Lockschnur lang, um sie ganz plötzlich zu straffen.“

„Wissen wir denn, dass sie lügt?“

Er rief sich ins Gedächtnis, wie sie gezittert und ihm dennoch geradewegs in die Augen gesehen hatte. Ein Feigling war sie nicht. Aber er war überzeugt, dass sie etwas verheimlichte. „Ich kann es mir nicht leisten, darauf zu warten, dass sie mich vom Gegenteil überzeugt.“

„Für gewöhnlich verurteilst du niemanden voreilig.“

Teague nahm sich eine Handvoll Nüsse. „Dies sind ungewöhnliche Zeiten.“

„Weshalb hast du ihr nichts von dem Vogel gesagt? Sie will ihn unbedingt zurückbringen.“

„Ja, aber wohin und zu wem? Bloß nach Brynmor? Oder woandershin?“ Teague ließ seine Ungeduld nur im Ansatz durchscheinen. „Können wir uns sicher sein, dass sie die Gehilfin des Falkners ist? In seinem Sendschreiben hat Robert nicht erwähnt, was sie auf Brynmor treibt. Vielleicht ist sie tatsächlich Falknerin, aber sie könnte den Vogel darauf abgerichtet haben, Nachrichten zu überbringen. Dass eine Frau mit Beizvögeln arbeitet, finde ich höchst befremdlich. Welcher Lord würde so etwas erlauben?“

„Wir wissen, dass Urien kaum in der Lage ist, sein teures Brynmor vor dem Zerfall zu bewahren.“ Rhain schwenkte seinen Wein. „Vielleicht ist die Sache gar nicht so seltsam. Robert hat das Sagen, und wir kennen ihn als nachsichtigen Menschen. Vielleicht ist sie aufrichtig. Und womöglich erfüllt ihr Tun sie mit Stolz, auch wenn sie behauptet, kein Händchen dafür zu haben.“ Achselzuckend nahm Rhain einen Schluck Wein. „Faszinierende Frau, meinst du nicht?“

Teague war der Anschauungen seines Bruders überdrüssig. Eingehend betrachtete er jede Nuss, bevor er sie aß. Nicht alle Menschen waren gut. Sie begingen Verrat, wenn man es am wenigsten erwartete. „Sie hat nicht alles preisgegeben. Da bin ich mir sicher.“

„Seit Wochen hat es keine Botschaften mehr gegeben, Teague. Vielleicht waren es nur leere Drohungen von jemandem, der sich die Langeweile vertreiben will.“

Teague wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. „Nein, ich spüre, dass es noch nicht ausgestanden ist.“

„Die Frau steckt nicht dahinter.“

„Wer weiß.“

Seufzend stieß Rhain sich von der Mauer ab. „Dir ist klar, dass ich recht habe. Du hast sie verletzt, deshalb ist sie dir gegenüber so aufsässig.“

„Du hast für diese Fremde zu viel übrig.“

Rhain stellte seinen Becher ab. „Ich weniger, aber mir ist nicht entgangen, wie du sie beobachtest, und ich weiß, wo du nachts bist.“

Teague hob die Schultern. Er schuldete Rhain keine Erklärung.

„Gewiss wäre es höchst angenehm, sich von Anwen das Bett wärmen zu lassen. Aber so betörend sie ist, wir wissen nicht, was sie vorhat. Ich glaube nicht, dass sie der Feind ist, aber ich fürchte, dass sie dich mehr beschäftigt, als gut ist. Das lenkt dich von der eigentlichen Gefahr ab.“

„Sorgst du dich etwa um mich?“

Rhain schüttelte den Kopf. „Pass auf dich auf, Teague. Ich bin nicht immer zur Stelle, um dir den Rücken zu decken.“

Sein Denken getrübt vom Wein und sein Kopf voll scharfer Worte und weicher Kurven, blickte Teague seinem Bruder nach. Rhain hatte recht, die Gefahr kroch stetig näher. Es war eine Gefahr, gegen die er nichts ausrichten konnte, da er den Feind nicht kannte, und obendrein hatte er sich Anwen aufgebürdet.

Vor Schwäche zitternd, hatte sie vor ihm gestanden, stolz und aufrecht trotz Gefangenschaft und Blessuren. Nicht einmal er hatte sie einzuschüchtern vermocht, und das verstörte ihn am meisten. Er hielt sich keineswegs für unbezwingbar, aber die Leute taten es. Er wusste, warum. Es lag nicht allein an seinen Schwertkünsten.

Teufelsblut.

Nahezu sein ganzes Leben lang hatte er sich mit Gerüchten herumschlagen müssen, denen zufolge ihm Teufelsblut durch die Adern fließe. Seine Tante hatte schon vor ihm unter diesen Gerüchten gelitten, denn ihre Anfälle waren es, die sie hatten aufkommen lassen.

Er hatte Ffion seit jeher Leid ersparen wollen. Sobald er es sich hatte leisten können, hatte er der Kirche eine ansehnliche Summe gezahlt, damit seine Tante in ein Kloster hatte eintreten können. Das hatte die Gerüchte verstummen lassen, wenngleich sie nach wie vor existierten. Er nutzte seinen Ruf in Schlachten, um seinen Gegnern Angst einzuflößen, noch ehe er das Schwert hob. Eine so schlichte wie wirkungsvolle Methode.

Es machte ihm nichts aus, dass die Menschen ihn für befleckt hielten und munkelten, er hätte seine Seele verkauft. Er wusste sich zu wehren. Daher machte er sich die Gerüchte für seine Zwecke zu Nutze und lernte ihm Laufe der Jahre, darüber hinwegzusehen, dass die Leute sich bekreuzigten, wenn er vorüberging.

Wenigstens Rhain war nicht betroffen. Vielleicht, weil sie beide grundverschieden waren oder weil er Rhain bereits im Kindesalter fortgeschickt hatte. Was immer die Ursache war, Gesinde und Krieger begegneten seinem Bruder ebenso freundlich und unbeschwert lächelnd, wie Rhain ihnen begegnete.

Teague runzelte finster die Stirn, als er an Rhains Lächeln dachte. Offenbar war auch Anwen nicht gefeit gegen sein sonniges Gemüt. Obwohl sie uns beide kaum kennt, behandelt sie Rhain anders als mich.

Damit, dass er gemieden wurde, konnte er umgehen, ebenso wie mit der Tatsache, dass seine Landsleute ihn für einen Verräter hielten und hassten. Doch etwas in ihm wünschte sich, Anwen möge ihn anders sehen.

Es waren unnütze, gefährliche Gedanken. Er kannte die Frau nicht; sie barg Geheimnisse, während vor Gwalchdus Toren ein Feind lauerte. Ja, sie mochte gar selbst dieser Feind sein. Ein Feind, der alles bedrohte, was er zu schützen trachtete. Er hatte Gwalchdu sein Leben gewidmet. Keine Drohung würde ihn dazu bewegen, diesen Grund und Boden, diese Burg aufzugeben.

Keine Frau – auch wenn sie ihn faszinierte wie keine andere – würde ihn dazu verleiten, weniger wachsam über Heimstatt und Menschen zu wachen.

Mit Verrat war er seit seiner Kindheit vertraut. Dieses Gemäuer, dieses Land, dieses Zuhause waren alles, was er hatte; alles, was er je haben würde.

Dennoch gefiel ihm nicht, dass Anwen seinen Bruder anlächelte. Nicht, solange sie ihm selbst gegenüber argwöhnisch und abweisend war. Bis auf … jenen Augenblick, als er in den Apfel gebissen hatte. Da hatte er etwas anderes in ihrem Blick gesehen. Ein Echo seines eigenen Begehrens.

Er verdrängte jede Regung, die dieser Gedanken weckte, und füllte seinen Becher auf. Als Gwalchdus Lord durfte er sich nicht nach ihr verzehren.

Sollte Rhain doch ihr Wohlwollen genießen. Er war ein guter, tapferer Mann und ein Zweitgeborener, und er trug nicht die Verantwortung für diese Burg und deren Bewohner. Um nichts auf der Welt hätte Teague tauschen mögen. Obwohl er eine große Bürde trug, erfüllten ihn die Stärke und Wehrhaftigkeit der Burg mit Stolz und Zufriedenheit. Sollten die Menschen ihn ruhig fürchten. Das hatte sich bislang für ihn bezahlt gemacht und würde es auch künftig tun, wenn das Rätsel um Anwen erst gelöst wäre.

Er machte sich nichts vor – es widerstrebte ihm, Anwen mit den Todesdrohungen in Verbindung zu bringen. Sie mochte der Feind sein oder diesen kennen, und doch war er, als sie ihm in die Arme gefallen war, von Gefühlen übermannt worden, die er zuletzt als Kind empfunden hatte.

Hoffnung, Angst, Stolz, der Wunsch zu besitzen. Nie zuvor hatte eine Frau ihn derart berührt, und noch beunruhigender war, dass sie sich nicht wie erwartet verhielt.

Statt ihn zu fürchten, hatte sie ihm vertraut. Statt den Blick abzuwenden, wie seine Untergebenen es taten, hatte sie seine Hand ergriffen. Sie bekreuzigte sich nicht, sondern bot ihm die Stirn. Falls sie der Feind sein sollte, war sie ein erstaunlich aufrichtiger Gegner. Was immer sie empfand, spiegelte sich in ihrer Miene: Wut, Gereiztheit … Verlangen.

Selbstzufrieden lächelte er. Ihr Begehren war ihm nicht erst aufgefallen, als er in den Apfel gebissen hatte, sondern bereits, als sie im Badezuber gesessen und ihre Schönheit ihm lüsterne Worte entlockt hatte.

Seine Worte hatten an etwas in ihr gerührt. Sie hatte sich sogleich gefangen, aber kurz hatte er unschuldige Erregung in ihren Augen aufflammen sehen. Oh, könnte er doch erkunden, wohin diese Erregung führen mochte.

Teague atmete tief durch. Das Blut rauschte ihm durch die Adern, und er lächelte nicht länger. Seine Gedanken Anwen betreffend waren ebenso verworren wie verwirrend. Es würde eine lange Nacht werden.

Anwen schritt in ihrer Kammer auf und ab. In seiner Kammer, berichtigte sie sich im Stillen. Sein großes Bett, seine feinen Möbel, sein Badezuber, sein Wein, seine Speisen. Selbst die Pflege, ohne die sie gestorben wäre, hatte er veranlasst.

Ihr oblag es, diese Schuld zu begleichen.

Nichts sprach dafür, sie hier festzuhalten. Sie war fast gesund, und er wusste, wohin sie gehörte. Sie hatte ihn nicht einmal um eine Eskorte gebeten. Vom ersten Augenblick an hatte sie seine Feindseligkeit gespürt. Er erniedrigte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Warum, das wusste sie nach wie vor nicht, aber er hatte recht. Sie verdankte ihm ihr Leben.

Doch der Verräter von Gwalchdu rettete keine Menschenleben. Der Teufel rettete nichts und niemanden. Und er war der Teufel. Daran hegte sie keinerlei Zweifel.

Sie dachte an Flucht, an offene Felder und den gütigen alten Falkner, der auf sie angewiesen war. Sie dachte an Alinore, den Wutausbrüchen ihres Vaters schutzlos ausgeliefert. Längst mochte sie Prellungen von Lord Uriens Fäusten haben. Ihr Leben lang hatte sie Alinore beschützt, und nun ließ sie sie im Stich.

Sie würde begleichen, was immer sie Teague of Gwalchdu schuldete, und bei der erstbesten Gelegenheit fliehen. Sie musste entkommen. Hier ging es nicht um ihr eigenes Leben, sondern um das anderer.

8. KAPITEL

Was tut sie da wohl?“ Rhain packte das Pferd am Zaumzeug.

Teague untersuchte einen Huf des Schlachtrosses. Neben ihm stand Henry, der Stallmeister, auf dessen Stirn vor Sorge eine Ader hervortrat. Die Pferde waren äußerst wertvoll, und eines einzubüßen wäre ein herber Verlust.

Teague brauchte seinen Bruder nicht zu fragen, wer mit „sie“ gemeint war. Als Anwen auf den Hof getreten und hinter einer Mauer verschwunden war, hatte er ein warnendes Prickeln im Nacken verspürt. Und wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass auch andere Teile seines Körpers erwacht waren. Er wandte sich an Henry.

„Was hast du bislang unternommen?“

Der Stallmeister trat von einem Bein aufs andere. „Zweimal täglich die Hufe gereinigt und die Boxen ausgemistet, Sir. Anfangs war es nicht weiter schlimm. Ich dachte mir, ich beobachte es ein paar Tage lang, bevor ich Euch behellige.“

Teague klopfte dem Pferd den Hals. „Es war schon richtig so. Dass es bedenklich werden würde, war nicht vorhersehbar. Hol den Schmied und Schwester Ffion; vielleicht wissen sie Rat.“

Henry verneigte sich und eilte davon.

Teague drehte sich um und suchte mit dem Blick nach der Frau, die sich Mühe gab, im Trubel auf dem Burghof unterzutauchen.

„Sie will fliehen. Das versucht sie seit Tagen“, knurrte Teague.

„Ich schwöre es, sie wird mit jedem Augenblick faszinierender. Wäre sie hergeschickt worden, um dir etwas anzutun, sollte man doch meinen, sie hätte sich vorbereitet, entweder allein oder mithilfe des Rädelsführers, wer immer das ist. Soll ich ihr verraten, dass niemand die Burg ohne deine Erlaubnis betreten oder verlassen kann?“

Im Geiste sah Teague vor sich, wie Rhain lächelnd mit Anwen plauderte. „Wenn du willst“, erwiderte er möglichst gleichgültig.

Rhain ging nicht darauf ein. „Sollte das wirklich ihr Plan sein, kann man ihren Mut nur bewundern. Was hat sie denn vor?“

„Mit der Menge verschmelzen und den günstigsten Fluchtweg finden.“

„Mit diesen Haaren? Ausgeschlossen. Auch wenn sie es geflochten hat, ist ihr Gesicht durch diese bezaubernden Locken wie von einem Heiligenschein umgeben. Und die Farbe? Wie Sonnenlicht nach nächtlichem Dunkel.“

Nur mit Mühe gelang es Teague, sich zu beherrschen. Wieso sollte er sich daran stören, dass seinem Bruder Anwens Haar gefiel?

Rhain ließ sich von der unterdrückten Wut nicht beeindrucken. „Vielleicht ist sie doch nicht ganz aufrichtig, wenn sie zu entkommen versucht, obwohl sie sich einverstanden erklärt hat, ihre Schuld zu begleichen. Solches Verhalten sollte mich eigentlich enttäuschen.“ Grinsend verschränkte er die Arme. „Aber ich will verflucht sein, wenn ich sie nicht bewundere.“

Teague wurde noch missmutiger. „Du rühmst sie allzu überschwänglich.“

„Es missfällt dir, dass mir aufgefallen ist, wie schön und aufgeweckt sie ist.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Oh, ich kenne dich doch. Komisch, du warst nie besitzergreifend.“

„Ich bin nicht besitzergreifend. Wenn es mir missfällt, dann nur, weil man nichts über sie weiß. Es wäre unklug, sie ins Bett zu locken. Das könnte ihren wie immer gearteten Zwecken entgegenkommen.“

„Ja, beispielsweise deine Laune zu heben. In letzter Zeit bist du nämlich ungenießbar.“ Rhain schnaubte. „Weißt du, vielleicht würde sie nicht länger auf Flucht sinnen, wenn du ihr die Sendschreiben zeigtest.“

Teague sah zu, wie Anwen hinter dem Turm am anderen Ende des Hofes verschwand. „Wir antworten in ihrem Namen.“

„Meinst du nicht, wir sollten ihr die Gelegenheit geben, selbst zu antworten? Sie weiß gar nicht, dass Brynmor ihr schreibt. Befremdlich finde ich auch, dass du sie wie eine Gefangene einschließt.“

„Sie ist meine Falknerin, keine Gefangene.“

„Falknerin? Hast du ihr überhaupt schon die Vogelgehege gezeigt?“

„Nein.“ Genau genommen hatte er das vermeiden wollen, doch er konnte ihr nicht ewig aus dem Weg gehen. Er hoffte, dass sein Begehren bis dahin nachlassen würde oder etwas von dem ans Licht käme, was sie verheimlichte. „Es spielt keine Rolle. Sie hat eine Schuld zu begleichen.“

„Und wie genau soll sie das anstellen?“

„Auf die einzige mir bekannte Weise.“ Teague ließ seinen Bruder stehen und folgte eben der Frau, die er hätte meiden sollen.

Anwen gab sich geschlagen, lehnte sich an die innere Ringmauer neben einen Bretterstapel. Nach einer Schwachstelle zu suchen war sinnlos. Das imposante Bollwerk von Gwalchdu unterschied sich grundlegend von Brynmor, und sie hasste jeden Zoll dieses Gemäuers.

Auf Brynmor gab es Blumenbeete und Gemüsegärten, und allenthalben standen Bänke im Schatten von Obstbäumen. Die Leute werkelten im Freien an aufgebockten Tischen, während Kinder umhersprangen oder mit den Hunden um die Wette liefen. Es herrschte ein kunterbuntes Treiben.

Auch Gwalchdu hatte einen Garten, der jedoch wirkte, als wagte kein Hälmchen aus der Reihe zu tanzen. Das übrige Gelände bestand aus festgetretener Erde oder Stein und diente ausschließlich praktischen Zwecken. Gras wuchs nirgends. Die Mauern wiesen kein Schlupfloch auf, die Tore waren stets bewacht.

Die einzige Hoffnung auf Flucht, die ihr blieb, war ein Moment der Unaufmerksamkeit der Wächter. Deshalb hielt sie sich in der Nähe des östlichen Torhäuschens auf und beobachtete das Kommen und Gehen. Sofern sie überhaupt eine Chance hatte zu fliehen, dann durch dieses Torhaus. Doch während die Zeit verstrich, bot sich ihr keine Gelegenheit. Anscheinend war Gwalchdus menschliche Verteidigung ebenso unbezwingbar wie seine Mauern.

„Es gibt keinen Fluchtweg.“

Sie zuckte zusammen und fuhr herum.

Bemüht, ihr pochendes Herz zu beruhigen, erwiderte sie: „Ich habe nicht nach einem gesucht.“

„Das enttäuscht mich“, entgegnete Teague.

Hätte sie bloß ein Schwert. Oder einen Dolch zum Schleudern. „Das kann ich ebenso von Euch behaupten.“

„Ich enttäusche Euch?“ Er musterte den Bretterstapel, neben dem sie stand. „Ah … Ihr sprecht von den Kriegen.“

„Über diese Zeit werde ich nicht mit Euch reden.“

„Weil ich ein Verräter und Feigling bin?“

Es hätte sie nicht verblüffen sollen, dass er es zugab, doch das tat es. Er war ein Kämpe, ein mächtiger Lord, und aus jeder Geste sprach Arroganz. Ob er die übrigen Gerüchte über sich kannte? Dass ihm böses Blut durch die Adern fließe. Dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe. „Unter anderem.“

„So viele vorschnelle Urteile, obwohl wir uns gerade erst begenet sind.“

„Und kaum sind wir einander begegnet, da entführt Ihr mich und sperrt mich ein. Was sollte ich da von Euch denken?“

„Und obwohl Ihr Euch gefangen wähnt, versucht Ihr nicht zu fliehen?“

Er legte den Kopf auf jene ihr inzwischen vertraute Weise schräg und verschränkte die Hände im Rücken. Die Haltung wirkte lässig, doch Anwen sah seine finstere Miene, ehe er den Blick abwandte.

Sie zuckte mit den Achseln. Sie schuldete ihm keine Erklärung, und solange sie hier stand, konnte sie ebenso gut weiterhin das Tor beobachten. Wenn sie ihn nicht beachtete, würde er vielleicht gehen.

„Wusstet Ihr, dass die Baupläne für diese Burg vom Baumeister James of St. George stammen?“, fragte Teague. „Die konzentrisch angelegten Ringmauern waren sein Einfall. Bei einer Burganlage ist kein Bereich wichtiger als der innerste. Im Falle eines Angriffs kann der Feind nicht in breiter Front dorthin vordringen und lässt sich mühelos zurückschlagen.“

Er hatte offenbar nicht vor zu gehen, und auch sie würde nicht weichen, aber dieses Gespräch musste ein Ende finden. Auf einen Vortrag über Gwalchdus Überlegenheit konnte sie verzichten.

„Gwalchdu ist zu groß, zu düster und wirkt wie ein Monster unter den Burgen dieser Gegend.“

Er nickte. „So sieht die Burg der Zukunft aus. Habt Ihr dem Umstand Bewunderung gezollt, dass die Anlage nicht nur von der äußeren Ringmauer, sondern im Westen zudem vom Fluss und auf den übrigen Seiten von einem breiten Wassergraben geschützt wird?“

Sie wandte sich vom Tor ab und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich außerhalb der Mauern zu bewegen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Gwalchdus Wehrhaftigkeit beruht nicht bloß auf Stein. Die meisten der Männer sind hier geboren worden und bereit, ihre Heimat mit ihrem Blut zu verteidigen.“

Auch über seine Männer wollte sie nicht sprechen. Daher schaute sie hinauf zur Brustwehr. Sechs Krieger drängten sich auf den Zinnen oberhalb des Tors. Die Torflügel selbst wirkten äußerst solide. Sie standen offen, und dahinter waren zwei heruntergelassene Fallgitter zu sehen, deren Spitzen sich tief in die Erde gebohrt hatten. Wieso gleich zwei Fallgitter an einem solch kleinen Tor?

„Meine Krieger werden großzügig entlohnt, aber sie kämpfen für mehr als Gold. Sie kämpfen aus Stolz und um sich einen Platz in Englands Geschichte zu erobern.“

„Sich mit einer schmächtigen Frau anzulegen, die obendrein nicht hierhergehört, dürfte sie kaum mit Stolz erfüllen.“

Ein verhaltenes Lächeln ließ seine Augen aufleuchten. „Ah, also habt Ihr doch vor zu fliehen. Tja, seht Ihr, Stolz kommt durch meinen Befehl ins Spiel, Euch nicht entwischen zu lassen.“

Sie hatte genug. „Wieso seid Ihr so grausam?“

„Grausamkeit, Feigheit, Verrat. Wenn es um meine Beweggründe geht, seid Ihr mit einem Urteil schnell bei der Hand.“

„Eure Beweggründe sind mir egal. Sie äußern sich alle auf dieselbe Weise.“ Wenn sie nicht zu Melun zurückkehrte und ihm berichtete, was ihr und Gully widerfahren war, mochte er etwas Unbesonnenes tun, wie die Verantwortung für ihre Taten auf sich zu nehmen. „Es ist eine Weile her, dass Ihr mir meine Schuld vor Augen gehalten und mich zu Eurer Falknerin ernannt habt. Doch Ihr habt mich die Schuld nicht begleichen lassen. Ihr spielt mit mir, und ich habe das Recht zu erfahren, weshalb.“

Sie hatte Ausflüchte und Geheimnisse satt. Sie hatte die Faszination satt, die sein breiter Rücken und seine kräftigen Arme auf sie ausübten. Und erst recht war sie die Empfindungen leid, die seine Nähe auslöste: Unrast und eine nie gekannte Lebendigkeit.

„Ich habe Euch das Leben gerettet“, erwiderte er. „Darf nicht ich bestimmen, wie und wann Ihr mir eine solch immense Schuld vergeltet?“

„Falls Ihr Euch auf den Grundsatz ‚Auge um Auge‘ beruft, müsste ich meinerseits Euch das Leben retten. Was höchst unwahrscheinlich ist angesichts Eurer legendären Fähigkeit, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.“

„Das wird nicht ewig so sein.“

Wie gern sie ihm eigenhändig den Garaus machen würde. „Warum verratet Ihr mir nicht, wie ich die Schuld tilgen kann, damit Ihr mich laufen lasst?“

„Mit der Wahrheit. Weshalb wart Ihr im Wald?“

Gereizt und hilflos warf sie die Arme hoch. Wieder einmal der verflixte Wald. „Ich habe Euch doch gesagt, dass ich dort war, um meinen Vogel einzufangen und anschließend meinen Weg nach Brynmor fortzusetzen. Mehr war nicht dabei.“

„Euren Weg fortzusetzen?“

„Ich war bei Bleddyn, dem Gerber, um ein neues Geschüh zu kaufen. Auf dem Rückweg …“

„Ah! Bleddyn stammt von Brynmor.“ Er nickte. „Aber wieso hattet Ihr den Vogel dabei?“

„Ich habe mit ihm gearbeitet.“

„Niemand richtet so spät im Jahr Vögel ab. Ich bin ein verständnisvoller Mensch, was Ihr wüsstet, würdet Ihr mich nicht anlügen. Ihr werft mir Krumen zu, obwohl ich Eure uneingeschränkte Unterstützung benötige.“

Lord Gwalchdu bat niemals, er befahl. „Was garantiert mir, dass Ihr nicht mehr verlangt, sobald ich Euch das Gewünschte gegeben habe. Bei dem Ruf der Euch vorauseilt …“

Er rührte sich nicht, und doch spürte sie, wie er sich innerlich entfernte. „Ah, nun spielt Ihr auf meine Gier an.“ Er blickte an ihr vorbei, und seine Miene wurde, sofern das überhaupt möglich war, noch düsterer. Als Anwen sich umwandte und Rhain auf sich zukommen sah, fuhr er fort: „Da meine Gesellschaft Euch so zuwider ist, werde ich mich verabschieden.“

Autor

Nicole Locke

Nicole Locke las ihren ersten Liebesroman als Kind im Wandschrank ihrer Großmutter. Später siedelte sie dann mit ihrer Lektüre ins Wohnzimmer um. Und noch später fing sie an, selbst Liebesromane zu schreiben. Sie lebt mit Mann und zwei Kindern in Seattle.

Foto: © David Garfield

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