Zeit der Zärtlichkeit in Cornwall

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Gebannt starrt Charlotte in Dr. Alexanders funkelnde Augen: Der Herzchirurg und Millionär flirtet heiß mit ihr! Wie gern würde sich Charlotte in diesen Augen verlieren, aber sie weiß, wie weh die Liebe tun kann. Darf sie riskieren, erneut enttäuscht zu werden?


  • Erscheinungstag 16.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507295
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ist das da drüben nicht Sophia?“ Die Blondine deutete mit dem Champagnerglas zum anderen Ende des Raumes.

James wusste, dass er entweder das Thema wechseln oder sich schleunigst verabschieden sollte. Aber er konnte nicht anders – er sah hin.

Und da stand sie. Sophia Alexander, Partygirl und Liebling der Szene, hing am Arm eines gut aussehenden Kerls und lachte, als amüsiere sie sich blendend.

Was wahrscheinlich sogar der Fall war.

„Hmm“, antwortete James vage.

„Also ist sie nicht mehr mit dem italienischen Dressman zusammen?“

Der, mit dem sie auf der Jacht seines Vaters fotografiert worden war, keine sechs Monate, nachdem sie mit James vor dem Altar gestanden hatte? Von jeder Titelseite der Regenbogenpresse war ihm der Anblick seiner barbusigen Frau in den Armen ihres Geliebten buchstäblich ins Gesicht gesprungen.

Nach dem Italiener hatte Sophia eine Affäre mit einem spanischen Schauspieler – Liebhaber Nummer zwei auf den Scheidungspapieren. Dann mit einem brasilianischen Fußballer, eine Woche vor ihrem ersten Hochzeitstag.

„Ich habe gehört, er ist Franzose, Gourmetkoch“, fügte das blonde Gift hinzu.

Ach ja? Keine Frage, der Typ würde Sophia heute Abend mit einem opulenten Alles Gute zur Scheidung-Essen beglücken – unter anderem.

Ha. Und da hatte er geglaubt, es wäre eine gute Gelegenheit, auszugehen und seine wiedergewonnene Freiheit zu feiern. Allerdings hätte er sich denken können, dass seine Exfrau wirklich ein Fass aufmachte. Sie zeigte ihm auf ihre Art, dass sie der Ehe mit ihm keine einzige Träne nachweinte und jeden einzelnen Penny ihrer äußerst großzügigen Abfindung genießen würde.

„Wen wird sie sich als Nächstes angeln, was meinen Sie? Einen griechischen Reeder?“

Es geht wirklich diskreter, wenn sie herausfinden will, ob ich über meine Ex hinweg bin, dachte James und hatte schon eine scharfe Antwort auf der Zunge. Da entdeckte er einen Ausdruck in den Augen seines Gegenübers, der ihn stutzig machte. Nein, sie war kein normaler Gast oder nur ausgesprochen taktlos. Die Blondine war Reporterin und hinter einer Story her. Sie wusste ganz genau, was dieser Tag für James Alexander bedeutete.

Heute war das endgültige Scheidungsurteil ergangen.

James hatte gehofft, dass Sophia ihren alten Namen Carvell-Jones wieder annehmen würde. Dann würde ihn die Presse vielleicht in Ruhe lassen.

Wie naiv von ihm.

„Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht“, erklärte er. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe an der Bar einen alten Freund entdeckt.“

Das war gelogen, und sie wusste es genauso gut wie er. Doch sie ließ ihn ziehen, ohne ihm weitere Fragen zu stellen.

James blieb nicht mehr lange auf der Party.

Ohne Zweifel würden die einschlägigen Gazetten am nächsten Morgen auf die Tränendrüse drücken und ausführlich darüber berichten, dass der arme James Alexander ausgerechnet am Tag seiner Scheidung zusehen musste, wie seine Exfrau mit dem nächsten Lover ausgelassen feierte. Sicher überboten sich die Blätter gegenseitig in wilden Spekulationen, wer denn nun den Herzspezialisten von seinem gebrochenen Herzen heilen würde.

Sie alle täuschten sich gewaltig. Weder war James arm – trotz der unanständig hohen Abfindung –, noch litt er an gebrochenem Herzen. Seine Gefühle für Sophia waren schon vor langer Zeit erloschen. Wenn er etwas bedauerte, dann die Tatsache, dass er erst nach der Hochzeit begriffen hatte, was für ein Mensch sie war: ein verwöhntes Biest der Londoner Oberschicht, das nicht weiter dachte als bis zur nächsten Party.

Was hätte ich denn tun sollen, James? Du hast ja nie Zeit für mich. Du hast mich in seine Arme getrieben.

Das waren ihre Worte gewesen, vorwurfsvoll und mit schmollender Miene ausgesprochen, als er sie nach der Episode auf der Jacht zur Rede gestellt hatte.

Leider schien sie vergessen zu haben, dass sie einen Chirurgen geheiratet hatte und keinen Jetsetter. James hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie wichtig ihm sein Beruf war. Sophia brachte jedoch kein Verständnis dafür auf, dass er seine kleinen Patienten nicht mitten in der Operation sich selbst überlassen konnte, nur damit sie nicht zu spät zu einer Party kam.

Vielleicht hatte sie sich erhofft, dass er das Fach wechseln würde. Eine Schönheitsklinik an der Harley Street wäre ganz nach ihrem Geschmack gewesen. Feste Arbeitszeiten, nicht mehr als acht Stunden am Tag, Fälle, die er sich aussuchte und sehr gut bezahlen ließ. Stars und Sternchen und andere Berühmtheiten blätterten geradezu obszöne Summen hin, wenn es um ihre Eitelkeit ging.

Ihre Ehe war mit demselben Getöse den Bach hinuntergegangen wie sie begonnen hatte – breitgetreten in den Medien und en detail unter den Augen einer sensationshungrigen Öffentlichkeit durchgehechelt. James hätte Sophia schon nach ihrer ersten Affäre die Scheidungspapiere zuschicken lassen, wenn ihn nicht das Gesetz daran gehindert hätte. Und das besagte, dass man ein Jahr lang verheiratet sein musste, bevor man die Scheidung beantragen konnte.

Also hatte er wohl oder übel warten müssen. Sechs endlose Monate, in denen er gezwungen war, seine Frau mit wechselnden Liebhabern auf den Titelseiten zu sehen.

James ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen und verriegelte sie. Im Moment hatte er London ja so satt! Die Partys, den Großstadtlärm, einfach alles … sogar die schillernden Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er immer voller Elan für sein Krankenhaus organisiert hatte.

Ja, er brauchte eine Auszeit.

Natürlich könnte er seinen Vater anrufen und in einer der Familienvillen Urlaub machen, aber dort würde ihn auch nichts anderes erwarten als hier in London: Gartenpartys, Sommerfeste, Abendgesellschaften mit allem, was Rang und Namen hatte.

James sehnte sich nach Ruhe und Frieden. Er wollte irgendwohin, wo es weder Supermodels noch Partygirls gab, die nichts anderes im Sinn hatten als shoppen zu gehen und sich einen reichen Mann zu angeln – um ihn dann wenige Monate nach der pompösen Glamourhochzeit aus lauter Langeweile mit dem nächstbesten Schönling zu betrügen …

Dummerweise hatte er keine Ahnung, wo er so einen idyllischen, beschaulichen Ort suchen sollte.

Oder doch?

Jack Roberts fiel ihm ein. Sie waren Kollegen gewesen. Jack hatte sich auf plastische Chirurgie spezialisiert und war nebenbei ein begeisterter Partygänger gewesen. Eines Tages war er jedoch nach Cornwall zurückgegangen, in das Küstenstädtchen, wo er aufgewachsen war. Als James eine Einladung zu Jacks Hochzeit bekommen hatte, schickte er ein teures Geschenk und entschuldigte sich mit einer faulen Ausrede. Er hätte es nicht ertragen, das glückliche Paar zu sehen, während seine eigene Ehe allmählich zu einem Albtraum geriet.

Allerdings hatte er sich gewundert, warum sich Jack in der Provinz vergrub. Da standen ihm in London sämtliche Türen offen, er hätte eine großartige Karriere machen können, aber was tat er? Ließ sich in einem kleinen Ort auf dem Land, unter Fischern und Touristen nieder.

Andererseits … vielleicht war das gar nicht so verkehrt, wenn man vom Großstadtleben die Nase voll hatte.

In Cornwall, Meilen von London entfernt, könnte er den Frieden finden, den er suchte. James griff nach seinem Telefon und wählte Jacks Nummer.

Es klingelte und klingelte. Und klingelte. Nach dem sechsten Mal wollte er schon auflegen, da wurde am anderen Ende abgenommen.

„Hallo?“, meldete sich eine verschlafene Männerstimme.

Irritiert blickte James auf seine Armbanduhr. Es war Samstag und noch nicht einmal Mitternacht. Der Jack Roberts, den er kannte, würde jetzt erst allmählich losziehen! „Jack? Hier ist James. Entschuldige, habe ich dich geweckt?“

„Kein Problem. Ich hole mir nur eine Mütze Schlaf, solange Helena schläft“, sagte Jack und gähnte verhalten.

Ach ja, sie hatten ein Baby bekommen. Was er komplett vergessen hatte … „Tut mir leid, Mann.“

„Alles okay bei dir?“

„Ja.“ Nein. „Weswegen ich anrufe … Vor ein paar Monaten hast du mal gesagt, wenn ich Lust hätte, euch für einige Tage zu besuchen …“

„Also …“

„Entschuldige, ich hätte nicht fragen sollen“, unterbrach James ihn sofort. Wie konnte er nur so gedankenlos und egoistisch sein? „Ihr habt mit eurer Kleinen genug um die Ohren.“

„Nein, nein, natürlich kannst du kommen. Alison hat bestimmt nichts dagegen.“

James war sich dessen nicht so sicher. „Ich glaube, es ist besser, ich übernachte im Hotel. Aber es wäre schön, wenn wir uns mal wieder treffen. Ein Bier zusammen trinken, hören, was der andere so gemacht hat. Was meinst du?“

„Ja, klar.“ Jack schien jetzt richtig wach zu sein. „Geht’s dir auch gut, James? Du klingst ein bisschen abgekämpft.“

„London geht mir auf den Geist.“ Seine Scheidung erwähnte er nicht. Der arme Jack schien unter akutem Schlafmangel zu leiden, da musste er ihn nicht mit Details aus seinem traurigen Privatleben nerven. „He, leg dich wieder hin. Ich rufe morgen noch einmal an … wenn es zeitlich besser passt.“

Jack lachte. „Du meinst, nachdem du dich am Nachmittag aus dem Bett gequält hast?“

James zwang sich, das Lachen zu erwidern. „So ungefähr.“

„Falls du wirklich aus London weg willst, dann könnte ich dir vielleicht helfen. Im St. Piran, dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, hing letzte Woche ein Stellenangebot am Schwarzen Brett. Sie suchen einen Oberarzt für das Herzchirurgen-Team. Warum siehst du dir das nicht mal an?“

Es wäre ein Schritt seitwärts statt nach vorn. Andererseits bestand an einem kleineren Krankenhaus die Chance, dass man ihm mehr Verantwortung übertrug. Mit neunundzwanzig wusste James, dass er noch mehr Erfahrung sammeln musste, ehe er eine höhere Position anstreben konnte. Vielleicht wäre das St. Piran genau das richtige Sprungbrett.

„Vielleicht tue ich das wirklich“, antwortete er.

„Im St. Piran lässt es sich gut arbeiten“, erklärte Jack. „Ich bin glücklich hier.“

Sicher. Jack hatte ja auch die große Liebe gefunden.

Als hätte James seine Gedanken laut ausgesprochen, sagte Jack plötzlich: „Und wer weiß, vielleicht triffst du hier jemanden, der dir hilft, Sophia zu vergessen.“

James lachte auf, aber es klang hohl. „Vergiss es. Eine Ehe reicht mir fürs Leben.“ Er glaubte nicht mehr an die Liebe. „Keine Bindungen, keine Verpflichtungen, vielen Dank.“

Zu seiner Erleichterung versuchte Jack nicht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. „Ruf mich morgen an“, sagte er nur. „Dann habe ich mit Alison gesprochen.“

„Okay, danke.“

„Und überleg dir das mit dem Job. Kann sein, dass es genau das ist, was du brauchst.“

Kann sein, dass du recht hast, mein Freund, dachte James, während er den Hörer auflegte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ich … Nein.“ Charlotte blickte ihren Onkel an. „Entschuldige, Nick. Ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Aber du hast den Kopf voll mit Plänen für die neue Beratungsstelle.“

Richtig. Doch das war es nicht nur. Es war ihr schlichtweg unbegreiflich, warum die Chirurgie ausgerechnet James Alexander eingestellt hatte. Der Mann verbrachte mehr Zeit auf Partys als mit seinen Patienten. Als Sohn eines ehemaligen Supermodels und eines international erfolgreichen Geschäftsmanns stand er im Rampenlicht, wo er auch auftauchte. Und dann überschlug sich die Regenbogenpresse. Wie oft hatte sie sein Gesicht auf der Titelseite einschlägiger Magazine gesehen, die die Patienten von ihren Besuchern geschenkt bekamen.

Meistens stand er auf einem roten Teppich, gekleidet in einen tadellos sitzenden Abendanzug, am Arm eine hinreißende Schönheit mit Beinen bis zu den Ohren, die ihn verführerisch anlächelte. Und sein Lächeln konnte nur das Ergebnis teurer Dentalkosmetik sein, so perfekt strahlten seine ebenmäßigen weißen Zähne.

Ein Mann wie er, der es gewohnt war, sich in exklusiven Clubs und eleganten Hotels zu zerstreuen, würde sich hier schon nach wenigen Stunden zu Tode langweilen. Sicher hatte er keine Augen für die malerische Landschaft in dieser ruhigen Ecke von Cornwall. Für ihn mussten Penhally Bay und Umgebung tiefste Provinz sein.

Und dann würde er den Job hinwerfen, ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, und das Weite suchen … oder vielmehr den gewohnten Glanz und Glamour, der nur in der Großstadt zu haben war. Na toll!

„Charlotte?“

„Oh, tut mir leid.“ Sie lächelte betreten. „Ich war schon wieder in Gedanken.“

„Nicht nur wegen der Beratungsstelle, oder?“

Im ersten Moment wollte sie es abstreiten. Aber Nick hatte ihr sehr geholfen, damals vor zwei Jahren, als sie nach der Gerichtsverhandlung von Liverpool hierhergezogen war. Jetzt saß sie in seiner Küche und trank seinen Kaffee, da konnte sie zumindest ehrlich sein. „Nein, wegen des neuen Kollegen in meiner Abteilung.“

„Machst du dir Sorgen?“ Er griff über den Tisch nach ihrer Hand.

Sie lächelte, weil er taktvoll genug war, nicht direkt auszusprechen, was er meinte. „In dem Sinne nicht, Nick.“ Zum Glück war die Zeit vorbei, in der sie nervös wurde, wenn sie mit einem Mann allein im Zimmer war. „Ich wünschte nur, sie hätten jemand anders eingestellt. Jemanden, dem in erster Linie die Patienten am Herzen liegen und die Arbeit im Team. Keinen Partygänger, der sich gern auf Titelseiten bewundert.“

„Vielleicht ist er nicht so schlimm, wie du denkst.“

„Schön, lassen wir seine selbstverliebten Auftritte in den Medien einmal beiseite – ich glaube trotzdem nicht, dass James Alexander in unser Team passt.“ Als sie sah, wie ihr Onkel die Stirn runzelte, hakte sie nach: „Was ist?“

„Sagtest du James Alexander?“

„Ja. Kennst du ihn?“

„Er ist ein Freund von Jack. Oder er war es zumindest, als Jack noch in London gelebt hat.“

„In seinen wilden Zeiten?“ Auf sein Nicken hin verzog sie das Gesicht. „Na bitte.“

„Menschen ändern sich, Charlotte. Gib dem Mann eine Chance.“

„Hm.“ Sie beschloss, das Thema zu wechseln. Ihrer Erfahrung nach änderten sich Männer nicht. Zugegeben, Nick schon. Wenigstens ein bisschen. Er hatte gelernt, mit seinen Kindern klarzukommen und nach dem Tod seiner Frau die Familie zusammenzuhalten. Allerdings hatten Jack, Lucy und Edward hart daran arbeiten müssen. Und dank Alison war Jack die zweite Ausnahme, die die Regel bestätigte. „Bis zur Eröffnung der Beratungsstelle sind es noch zwei Wochen. Meine Freundin Maggie hat die Homepage fast fertig.“

„Ausgezeichnet.“ Nick lächelte anerkennend. „Annabel wäre stolz auf dich. Sie hat oft gesagt, dass du eine ganz Liebe bist, und so vernünftig und klug.“

„Das war sie auch.“ Charlotte hatte ihre Tante vergöttert, und sie vermisste sie noch immer sehr.

„Du erinnerst mich an sie“, sagte Nick sanft. „Nicht nur, weil du ihr sehr ähnlich siehst. Du besitzt die gleiche innere Stärke wie sie, und ich bin genauso stolz auf dich, wie sie es gewesen wäre. Es braucht viel Mut, so ein Projekt anzugehen, wenn …“ Seine Stimme verlor sich.

„Wenn ich so etwas auch durchgemacht habe?“ Charlotte schlang die Arme um sich. „Deshalb tue ich es doch, Nick. Natürlich ist es nicht einfach, vor allem, weil es Erinnerungen weckt, die schwer zu ertragen sind. Aber deshalb …“ Tapfer schluckte sie den gallebitteren Geschmack, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, hinunter. „Weißt du, es ist leichter, mit jemandem darüber zu reden, dem das Gleiche angetan wurde. Und wenn ich davor zurückscheue, dann hat Michael gewonnen.“ Sie hob das Kinn. „Das lasse ich nicht zu, Nick. Ich werde den Frauen helfen, das Trauma zu verarbeiten – so wie andere mir geholfen haben, darüber hinwegzukommen.“

„Aber noch bist du es nicht, oder? Du hast dich seitdem nicht mehr mit einem Mann verabredet. Drei Jahre sind eine lange Zeit, Liebes.“

„Und was du machst, ist besser?“, entfuhr es ihr. „Ein Date nach dem anderen, damit man sich nicht mit sich selbst befassen muss?“

Nick lief dunkel an. „Deshalb musst du nicht grob werden.“

Sie zuckte zusammen. „Entschuldige, das hätte ich nicht sagen dürfen. Nicht zu dir. Ohne dich hätte ich keinen Raum für meine Beratungsstelle.“

Großzügig hatte Nick ihr ein Zimmer in seiner Gemeinschaftspraxis überlassen, in dem sie an jedem Mittwoch Beratungen für vergewaltigte Frauen anbieten konnte. Im Gegenzug hatte sie versprochen, in der Praxis über Herzgesundheit zu informieren, vor allem Gemmas ältere Patientinnen, die die Wechseljahre bereits hinter sich hatten.

„Du hättest etwas anderes gefunden.“

„Aber Penhally Bay ist perfekt. Dieses Städtchen hat etwas … auch wenn es sich albern anhört … etwas Heilendes.“

„Das ist nicht albern. Und ich denke, du hast schon recht – ich bin oft mit Frauen unterwegs, vielleicht zu oft. Aber ich vergesse deine Tante nicht.“ Nick seufzte. „Nie. Wie sie gestorben ist, wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen.“

Jetzt drückte sie seine Hand. „Nick, das hätte Annabel nicht gewollt. Was ihr passiert ist, war furchtbar, aber es war nicht deine Schuld oder die eines anderen. Manchmal geschehen schreckliche, sinnlose Dinge, und dann erscheint einem die Welt dunkel und leer, und man fragt sich immer wieder nach dem Warum. Aber ich bin sicher, dass Annabel gewollt hätte, dass du deinen Frieden damit machst und jemanden findest, der dich genauso sehr liebt, wie sie dich geliebt hat. Du musst die Vergangenheit endlich loslassen und nach vorn sehen.“

Charlotte unterbrach sich und lächelte reumütig. „Na, ich bin gerade die Richtige, dir ins Gewissen zu reden.“ Wie weit war sie denn gekommen, nachdem das mit Michael passiert war? „Aber wir Ärzte sind nicht gerade die vernünftigsten Patienten, oder?“

„Nein“, gab er zu. „Wohl nicht.“

„Vielleicht müssen wir beide uns nur mehr anstrengen.“

„Vielleicht.“ Er hob seinen Kaffeebecher. „Auf dich, die neue Beratungsstelle – und auf gute Zusammenarbeit mit James Alexander.“

„Und auf dich und darauf, dass du jemanden findest, der dich so glücklich macht wie Annabel“, erwiderte sie und stieß mit ihm an.

2. KAPITEL

„Solltest du nicht beim Mittagessen sein?“ Steffie, die Stationsschwester der Kardiologie, lehnte am Türrahmen zu Charlottes Zimmer, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und tappte vielsagend mit dem Fuß.

Charlotte blickte von ihren Notizen auf und deutete flüchtig auf das angebissene Sandwich neben dem Stapel Krankenakten. „Da. Ich bin beim Essen.“

„Du arbeitest“, widersprach Steffie streng. „Du machst keine richtigen Pausen.“

„Ausnahmsweise. Nur bis die Beratungsstelle eingerichtet ist. Die nächsten zwei Wochen habe ich noch so viel zu erledigen, und das meiste kann ich besser in meiner Mittagspause abarbeiten als abends. Falls ich bei Behörden während der Bürostunden anrufen muss.“

„Okay, solange es kein Dauerzustand wird. Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Hey, das ist nicht nötig. Mir geht’s gut.“ Charlotte schenkte ihrer Freundin ein strahlendes Lächeln. „Du kennst mich doch, ich bin gern beschäftigt.“

„Hm.“ Steffie wirkte immer noch skeptisch. „Na ja, morgen wirst du noch mehr zu tun haben.“

„Morgen?“

Die Schwester verdrehte die Augen. „Sag nicht, du hast vergessen, wer morgen hier anfängt? James Alexander, der neue Herzchirurg.“

Charlotte zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich schätze, er wird irgendwann hier auftauchen, um sich vorzustellen.“

„Du warst ja nicht da, als er nach dem Vorstellungsgespräch seine Runde gemacht hat. Aber du hast ihn doch bestimmt in der Zeitung gesehen. Glaub mir, er ist der attraktivste Mann, der jemals seinen Fuß in dieses Krankenhaus gesetzt hat. Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Jedes andere weibliche Wesen bekommt Herzrhythmusstörungen, sobald er in Sicht kommt.“

„Ich stehe mehr auf dunkle Schokolade und ein gutes Buch als auf Kaffee und Klatschblätter.“

Steffie lachte hell auf. „Du bist unmöglich. Trotzdem, ich wette, dass du dahinschmelzen wirst, wenn du ihm begegnest.“

„Wetten wir um deine Ersparnisse? Du wärst sie im Handumdrehen los. Dr. Alexander ist absolut nicht mein Typ.“

„Wer ist dann dein Typ, Charlotte?“

Niemand. Sie verabredete sich nicht. Aber sie konnte nicht widerstehen, ihre Freundin zu necken. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Steffie?“ Sie winkte mit dem Zeigefinger.

Mit neugieriger Miene trat Steffie an den Schreibtisch und beugte sich vor.

„Ich gehe nicht mit Männern aus, weil ich schon verheiratet bin.“

Steffie bekam große Augen. „Du machst Witze!“

„Großes Ehrenwort, ich meine es ernst.“

„Aber … du arbeitest schon seit Jahren hier und hast nie von deinem Mann gesprochen. Keiner von uns hat ihn je gesehen.“

„Oh doch, natürlich kennt ihr ihn.“ Sie lächelte breit. „Mein Job, Steffie, ich bin mit meinem Job verheiratet.“

„Mensch, Charlotte!“ Die Schwester stöhnte auf und knuffte sie in den Oberarm. „Wie ich schon sagte, du bist unmöglich.“

„Wieso? Weil ich meine Arbeit interessanter finde als einen Mann, dessen Ego so groß ist wie der Mars?“

„Dann bist du ihm doch schon begegnet? Oder hast du von einem früheren Kollegen etwas über ihn gehört?“

„Weder noch. Aber das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. James Alexander ist reich und verwöhnt und verbringt die meiste Zeit seines Lebens damit, Prominente zu exklusiven Partys zu begleiten.“ Charlotte zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. „Selbstverständlich hat er ein Ego so groß wie der Mars.“

„Viertausendzweihundertundzwanzig Meilen im Durchmesser. Wenig mehr als die Hälfte des Erddurchmessers, aber dennoch ziemlich riesig für ein Ego“, ertönte eine tiefe, wohlklingende Stimme von der Tür her.

„Ach, du Schande.“ Steffie schoss das Blut ins Gesicht, während sie herumfuhr und den Mann entdeckte, der einen guten Teil ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte.

„Hallo. Ich bin James Alexander“, stellte er sich vor.

Als wäre das noch nötig!

„Stephanie Jones, Stationsschwester auf der Kardiologie … für die Kollegen Steffie.“ Sie schüttelte ihm die Hand. „Äh … schön, Sie kennenzulernen.“

„Ganz meinerseits.“ James lächelte freundlich und wandte sich dann Charlotte zu.

Fragend und leicht spöttisch, wie sie fand.

Ihre Zunge fühlte sich an, als wäre sie am Gaumen festgeklebt.

In einem musste sie Steffie recht geben: James Alexander war tatsächlich der umwerfendste Mann, der je das St. Piran betreten hatte. Groß und schlank, mit dunklem Haar und tiefbraunen Augen, hätte er geradewegs einem teuren Magazin für elegante Männermode entstiegen sein können. Der maßgeschneiderte Anzug saß tadellos an seinem athletischen Körper, und die feinen Lederschuhe waren auf Hochglanz poliert. Charlotte wäre jede Wette eingegangen, dass sie handgenäht waren. Und sein Haar …

James Alexander legte offensichtlich Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Sein volles, schimmerndes Haar war mit einem klassischen Kurzhaarschnitt in Form gebracht, bei dem jede Strähne an ihrem Platz lag. Kinn und Wangen waren perfekt rasiert, nirgends auch nur die Andeutung eines Bartschattens. Zu ihrem Schrecken stellte Charlotte fest, wie es in ihren Fingerspitzen prickelte. Als reizte es sie unwiderstehlich, über sein Gesicht zu streichen, um sich zu überzeugen, dass sich die Haut so warm und glatt anfühlte, wie sie aussah.

Aus dem Schrecken wurde Entsetzen, als sie feststellte, dass James Alexander sie immer noch fragend anblickte. Anscheinend wartete er darauf, dass sie sich endlich vorstellte. Na großartig! Jetzt hatte er sie dabei ertappt, dass sie ihn anstarrte.

Abgesehen davon, dass sie Männer niemals anstarrte, hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn sich der Fußboden auftun würde, um sie gnädig aufzunehmen. Vorzugsweise schon vor fünf Minuten …

„Charlotte Walker, kardiologische Oberärztin“, sagte sie und zuckte beim Klang ihrer eigenen Stimme insgeheim zusammen. Das hatte sich fast feindselig angehört.

Was hatte dieser Mann an sich, dass sie sich so zum Narren machte?

Das kannst du doch besser, ermahnte sie sich. Bleib einfach ruhig, gelassen und professionell!

Der Vorsatz hielt nur so lange, bis er ihr die Hand schüttelte. Ihr Puls überschlug sich förmlich, kaum dass die warmen, schlanken Finger ihre berührt hatten.

Ich muss mir etwas eingefangen haben, war ihre erste Reaktion. Ein Virus, irgendwas, das diesen plötzlichen Schwächeanfall erklärte. Sie bekam nie weiche Knie, wenn ein gut aussehender Mann sie anlächelte!

„Wir haben Sie erst morgen erwartet“, sagte sie, um ihre Verwirrung zu überspielen.

„Ich war in der Gegend und dachte, ich schaue kurz rein, um mich vorzustellen. Dann kann ich morgen ohne Verzögerung mit der Arbeit anfangen.“

Das hatte sie nicht erwartet. Ein winzig kleines Schuldgefühl regte sich in ihr. Vielleicht hatte sie ihm unrecht getan. Charlotte wusste zwar nicht, wie viel er von ihrem Gespräch mit Steffie mit angehört hatte, aber ihr war klar, was sie zu tun hatte.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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