Skandal in Samt und Seide

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Marcelline Noirot will nur eins sein: Londons erfolgreichste Damenschneiderin. Deshalb muss sie um jeden Preis den Auftrag für das Brautkleid der künftigen Duchess of Cleveland erhalten! Allerdings muss sie dafür zuerst deren Bräutigam für sich und ihre Kunst begeistern. Ein gewagter Plan, denn der Duke of Cleveland stellt sich als geradezu unwiderstehlich attraktiv heraus. Zwar versucht Marcelline nach Kräften, die knisternde Leidenschaft zwischen ihnen zu ignorieren. Doch ehe sie sich versieht, steckt sie mitten in einem skandalösen Spiel aus Gefahr und Verführung. Und plötzlich hängt ihre Zukunft am seidenen Faden …


  • Erscheinungstag 10.10.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737764
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Im Sommer 1810 brannten Mr Edward Noirot und Miss Catherine DeLucey nach Gretna Green durch.

Mr Noirot hatte sich vorgaukeln lassen, dass er mit einer englischen Erbin entfliehe, deren Vermögen durch die tollkühne Tat das Seine werden würde. Indem man mit der Braut Reißaus nahm, ersparte man sich die leidige Einmischung durch Eltern und Advokaten in Form eines Ehevertrags. Damit, dass er gemeinsam mit einer wohlhabenden englischen Dame das Weite suchte, folgte er einer altehrwürdigen Familientradition: Auch seine Mutter und seine Großmutter waren ursprünglich Engländerinnen.

Leider war er aber von seiner Auserkorenen hereingelegt worden, denn sie beherrschte Lug und Trug ebenso formvollendet wie ihr Liebhaber. Ein Vermögen hatte es in der Tat gegeben – mit Betonung auf „hatte“. Es hatte ihrer Mutter gehört, die von John DeLucey gemäß der altehrwürdigen Familientradition verführt worden und mit ihm nach Schottland gegangen war.

Der angebliche Reichtum war längst dahin. Miss DeLucey hatte ihre finanziellen Verhältnisse verbessern wollen, und zwar auf die für Frauen ihrer Familie übliche Weise – indem sie einen so arglosen wie liebestollen blaublütigen Gentleman mit dicker Geldbörse in die Ehe lockte.

Doch auch sie war genarrt worden, denn Edward Noirot war nicht vermögender als sie selbst. Er war, so behauptete er, der Nachkomme eines französischen Comte. Doch das Kapital war der Familie vor Jahren während der Revolution abhanden gekommen, wobei, nicht zu vergessen, diverse Anverwandte ebenfalls ihren Kopf verloren hatten.

Durch diese Irrungen und Wirrungen vereinte sich der anrüchigste Zweig eines französischen Adelsgeschlechts mit seinem englischen Pendant, das auf den Britischen Inseln nur als die Ungeheuerlichen DeLuceys bekannt und berüchtigt war.

Es dürfte dem Leser leichtfallen, sich den Unmut der Frischvermählten auszumalen, als kurz nach der Trauung und nur wenige Meilen jenseits der schottischen Grenze die Wahrheit ans Licht kam.

Zweifellos erwartet der Leser an dieser Stelle das gemeinhin mit derlei Ereignissen einhergehende Geschrei nebst Tränen und gegenseitigen Anschuldigungen. Damit jedoch läge er falsch. Da sie beide Schurken waren – und sich zudem aufrichtig liebten –, bogen sie sich vor Lachen. Dann verbündeten sie sich und machten sich daran, jeden Einfaltspinsel, der ihnen über den Weg lief, um den Finger zu wickeln und bis auf die Knochen auszunehmen.

Dieser Weg war lang und verschlungen und ließ die beiden Liebenden zwischen England und dem Kontinent pendeln, wobei sie den einen Ort zugunsten des anderen verließen, sobald es zu brisant für sie wurde.

Im Laufe ihres Nomadendaseins schenkten Catherine und Edward Noirot drei Töchtern das Leben.

1. KAPITEL

DIE DAMENSCHNEIDERIN. Unter dieser Überschrift fassen wir nicht nur den Tätigkeitsbereich der Gewandschneiderin, sondern auch den der Putzmacherin. Eine Putzmacherin benötigt Geschmack und Kreativität; sie muss die neuen, sich in gehobenen Kreisen ständig wandelnden Modeströmungen rasch erfassen, kopieren und aufwerten können.

The Book of English Trades, and Library of the Useful Arts, 1818

London, März 1835

Marcelline, Sophia und Leonie Noirot, Schwestern und Inhaberinnen der Damenschneiderei Maison Noirot an der Kreuzung Fleet Street und Chancery Lane, waren alle zugegen, als Lady Renfrew, die Gattin von Sir Joseph Renfrew, die Bombe platzen ließ.

Die dunkelhaarige Marcelline, die älteste der Schwestern, wand gerade eine Stoffschleife, mit der sie ihre Ladyschaft locken wollte, die neueste Kreation zu erwerben. Sophia oder auch Sophy, die mittlere der Schwestern und zugleich der blonde Engel, räumte eine der Schubladen auf, die vorhin für eine der anspruchsvolleren Kundinnen durchwühlt worden war. Leonie, der Rotschopf, befestigte den Saum am Kleid von Mrs Sharp, der Busenfreundin von Mrs Renfrew.

Obgleich es nur beiläufig eingestreuter Tratsch war, kreischte Mrs Sharp auf – ganz so, als sei tatsächlich eine Bombe hochgegangen. Dabei geriet sie aus dem Gleichgewicht und trat Leonie auf die Hand.

Leonie fluchte zwar nicht laut, aber Marcelline sah, dass sie mit den Lippen stumm ein Wort formte, das ihre beiden Kundinnen wohl nicht oft zu hören bekamen.

Ohne sich darum zu kümmern, dass sie soeben einer unbedeutenden Schneiderin wehgetan hatte, fragte Mrs Sharp: „Der Duke of Clevedon kehrt zurück?“

„Ja“, erwiderte Lady Renfrew mit selbstzufriedener Miene.

„Nach London?“

„Ja“, meinte Lady Renfrew. „Das weiß ich aus überaus zuverlässiger Quelle.“

„Was ist geschehen? Hat Lord Longmore gedroht, ihn zu erschießen?“

Jede Schneiderin, die danach strebte, die Damen der gehobenen Gesellschaft einzukleiden, hielt sich auf dem Laufenden über alles, was sich in jenen Kreisen abspielte. Dementsprechend waren Marcelline und ihre Schwestern mit sämtlichen Einzelheiten dieser Geschichte vertraut. Sie wussten, dass Gervase Angier, der siebte Duke of Clevedon, einst das Mündel des Marquess of Warford gewesen war, bei dem es sich wiederum um den Vater des Earl of Longmore handelte. Sie wussten, dass Longmore und Clevedon die dicksten Freunde waren. Sie wussten, dass Clevedon und Lady Clara Fairfax, die älteste von Longmores drei Schwestern, füreinander bestimmt waren. Clevedon war von klein auf vernarrt in sie gewesen. Nie hatte er eine andere Frau hofiert, wenngleich er gewiss jede Menge Liebschaften der anderen Art unterhalten hatte, vor allem in den drei Jahren auf dem Kontinent.

Dass sich das Paar nie verlobt hatte, wurde als reine Formalität betrachtet. Die ganze Welt hatte geglaubt, der Duke werde sie heiraten, sobald er und Longmore von ihrer Kavaliersreise zurückgekehrt waren. Und alle Welt war schockiert gewesen, als Longmore vor einem Jahr allein heimgekommen war und Clevedon sein ausschweifendes Leben auf dem Kontinent fortgesetzt hatte.

Offenbar war einem Mitglied der Familie der Geduldsfaden gerissen, denn vor zwei Wochen war Lord Longmore erneut nach Paris gereist. Die Gerüchte stimmten dahingehend überein, dass er vor allem plane, seinen Freund wegen der zu lange hinausgezögerten Hochzeit zur Rede zu stellen.

„Ich vermute, er hat Clevedon mit der Peitsche gedroht, aber Genaues weiß man nicht“, fuhr Lady Renfrew fort. „Man hat mir nur zugetragen, dass Lord Longmore nach Paris gereist sei und etwas gesagt oder angemahnt habe, das seine Gnaden dazu bewogen hat, zuzusichern, er werde vor dem Geburtstag des Königs wieder in London sein.“

Obwohl des Königs Geburtstag eigentlich in den August fiel, würde er dieses Jahr am achtundzwanzigsten Mai gefeiert werden.

Keine der Schwestern Noirot machte sich bemerkbar, indem sie kreischte, stolperte oder auch nur eine Braue hob. Deshalb wäre ein Betrachter nie darauf gekommen, dass die Neuigkeit für sie von ungeheurer Tragweite war.

Sie kümmerten sich um die zwei Damen und auch die anderen Kundinnen, die ihr Geschäft betraten. Abends schickten sie die Näherinnen zur gewohnten Stunde nach Hause und schlossen den Laden ab. Sie stiegen die Treppe hinauf zu ihrer behaglichen Wohnung und nahmen wie üblich ein leichtes Abendessen ein. Marcelline erzählte ihrer sechsjährigen Tochter Lucie Cordelia eine Geschichte, bevor sie das Mädchen zur üblichen Zeit ins Bett brachte.

Als Lucie den Schlaf der Unschuldigen schlief – so unschuldig man eben sein konnte, wenn man in diese infame Familie hineingeboren worden war –, schlichen die drei Schwestern die Treppe hinab in die Arbeitsstube ihres Geschäfts.

Jeden Tag brachte ein verlotterter kleiner Bengel den neuesten Satz Skandalblätter an die Hintertür des Ladens, kaum dass sie bereit waren für die Auslieferung – für gewöhnlich, bevor die Druckerschwärze getrocknet war. Leonie klaubte die heutige Lieferung auf und breitete sie auf dem Arbeitstisch aus. Die Schwestern überflogen die Spalten.

Kurz darauf meldete sich Marcelline zu Wort. „Da steht es: ‚Der Earl of L. ist gestern Abend aus Paris zurückgekehrt (…) Wir wurden davon in Kenntnis gesetzt, dass einem gewissen Duke, der derzeit in der französischen Hauptstadt weilt, recht unmissverständlich beschieden wurde, Lady C. habe es satt, darauf zu warten, dass er sich die Ehre gebe (…) Seine Gnaden erwartet, rechtzeitig zum Geburtstag des Königs zurück zu sein (…) Die Verlobung soll am Ende der Saison im Rahmen eines Balls auf Warford House verkündet werden (…) Die Hochzeit wird noch vor Ende des Sommers stattfinden.‘“

Sie reichte Leonie den Bericht, und diese las weiter: „Sollte der Gentleman es versäumen, wie versprochen zu erscheinen, wird die Eintracht zwischen den beiden vonseiten der Dame in Zwietracht umschlagen.“ Leonie lachte auf. „Dann folgen ein paar interessante Mutmaßungen darüber, wer in diesem Fall der Nachfolger des Herrn werden könnte.“

Sie schob das Journal Sophia zu, die den Kopf schüttelte. „Sie wäre eine Närrin, wenn sie ihn aufgeben würde. Ein Herzogtum, um Himmels willen! Wie viele gibt es davon schon? Und ein dazugehöriger lediger Duke, der jung, ansehnlich und gesund ist? Solche Männer kann ich an einem Finger abzählen.“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf den Bericht. „Als da wären – er.“

„Warum nur diese Hast?“, fragte sich Marcelline. „Sie ist ja kaum zweiundzwanzig.“

„Und was muss sie schon großartig tun, außer sich im Theater, in der Oper, auf Bällen oder bei großen Gesellschaften blicken zu lassen?“, warf Leonie ein. „Ein vornehmes Fräulein mit Schönheit, Status und einer beachtlichen Mitgift braucht sich nicht darum zu sorgen, keine Verehrer zu haben. Ein solches Fräulein …“

Sie musste den Satz nicht zu Ende führen.

Die Schwestern hatten Lady Clara Fairfax bei zahlreichen Gelegenheiten gesehen. Sie war atemberaubend schön: Mit ihrem blonden Haar und den blauen Augen entsprach sie ganz dem klassischen Bild der „englischen Rose“. Zu ihren zahllosen Vorzügen gehörten ein hoher Rang, eine makellose Ahnenreihe und besagte üppige Mitgift, und so lagen ihr die Männer reihenweise gern zu Füßen.

„Sie wird nie wieder so viel Einfluss auf die Herrenwelt haben wie jetzt“, meinte Marcelline. „Ich finde, sie sollte mit dem Heiraten bis Ende zwanzig warten.“

„Ich schätze, Lord Warford hat nicht damit gerechnet, dass der Duke so lange fortbleibt“, sagte Sophy.

„Er hat immer unter der Fuchtel des Marquess gestanden, heißt es“, gab Leonie zu bedenken. „Seit sein Vater sich zu Tode getrunken hat. Man kann es seiner Gnaden kaum verübeln, Reißaus genommen zu haben.“

„Ich frage mich, ob Lady Clara allmählich ungeduldig wird“, sagte Sophy. „Clevedons Abwesenheit schien bislang niemanden zu kümmern, auch nicht nach Longmores Rückkehr.“

„Weshalb auch?“, fragte Marcelline. „Faktisch sind Clevedon und Lady Clara längst verlobt. Sollte er sich von ihr lossagen, würde er mit der gesamten Familie brechen.“

„Vielleicht ist ein anderer Liebhaber aufgetaucht – einer, für den Lord Warford nichts übrig hat“, erwiderte Leonie.

„Wahrscheinlicher ist, dass Lady Warford nichts für etwaige andere Liebhaber übrig hat“, entgegnete Sophy. „Sie möchte sich das Herzogtum bestimmt nicht durch die Lappen gehen lassen.“

„Mit was Longmore wohl gedroht hat?“, sinnierte Sophy. „Sowohl er als auch Clevedon gelten als ungestüm. Mit einem Duell im Morgengrauen wird er Clevedon jedenfalls kaum gekommen sein. Den Duke zu töten, wäre seinen Interessen wenig dienlich. Womöglich hat er seine Gnaden schlicht vor der Abreibung seines Lebens gewarnt.“

„Das möchte ich sehen“, sagte Marcelline.

„Ich auch“, fügte Sophy an.

„Ich auch“, stimmte Leonie mit ein.

„Zwei gut aussehende Aristokraten, die sich grün und blau prügeln.“ Marcelline lächelte. Die Schwestern hatten Clevedon bislang nicht zu Gesicht bekommen, da sie erst einige Wochen nach dessen Abreise in London eingetroffen waren. Doch alle Welt war sich einig darin, dass er ein gut aussehender Mann sei. „Das würde ich nicht verpassen wollen. Zu schade, dass wir es nicht sehen werden.“

„Andererseits findet auch eine herzogliche Hochzeit nicht jeden Tag statt – und ich hatte schon geargwöhnt, dass wir diese nicht mehr erleben würden“, meinte Sophy.

„Das wird die Hochzeit des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts werden“, verkündete Leonie. „Das Brautkleid ist nur der Anfang. Lady Clara wird eine komplette Brautausstattung und eine brandneue Garderobe wünschen, wie es sich für ihre Position gehört. Alles wird von höchster Qualität sein müssen. Stapelweise Seidenspitze. Die herrlichsten Seidenstoffe. Hauchfeiner Musselin. Sie wird Tausende und Abertausende Pfund ausgeben.“

Eine Weile saßen die drei Schwestern schweigend da und schwelgten in dieser Vorstellung wie fromme Seelen, die über das Paradies nachsannen.

Marcelline hegte keine Zweifel daran, dass Leonie diese Tausende bis auf den letzten Penny vor Augen hatte. Sie alle kannten sich gut mit Zahlen aus, vor allem im Hinblick aufs Kartenspiel. Und Leonie war um einiges sachlicher, als ihr Äußeres vermuten ließ. Unter der nicht zu bändigenden roten Mähne steckte eine nüchterne Geschäftsfrau. Sie hatte ein leidenschaftliches Faible für Geld und ging in allem auf, was mit diesem zu tun hatte. Mit Inbrunst brütete sie über Hauptbüchern, Abrechnungen und dergleichen. Marcelline hingegen hätte lieber Aborte geputzt, als sich mit Zahlen auseinanderzusetzen.

Jede der Schwestern hatte ihre Stärken. Außer der brünetten Marcelline ähnelte keine äußerlich dem Vater. Ihres Wissens war sie die Einzige, die wirklich seine Tochter war. Auf jeden Fall hatte sie seinen Sinn für Mode, seine Fantasie und sein Zeichentalent geerbt. Auch seine Schwäche für alles Elegante hatte sie in die Wiege gelegt bekommen. Allerdings war diese Neigung bei ihr und ihren Schwestern auch deshalb stärker ausgeprägt, weil ihre Eltern sie schon in jungen Jahren zu einer Verwandten abgeschoben hatten, die sich ihren Lebensunterhalt als Damenschneiderin verdiente. Was Marcelline zunächst als Schikane empfunden hatte – ein ihr in der Kindheit aufgedrängtes Handwerk, das allein dem Überleben diente –, war später zu ihrem Leben und ihrer großen Obsession geworden. Sie entwarf nicht nur die Kleider für die Maison Noirot, sondern war auch die Seele des Geschäfts.

Sophia hingegen hatte einen Hang zum Dramatischen, was sie gewinnbringend einzusetzen wusste. Nach außen hin war sie eine blonde blauäugige Unschuld, im Innern jedoch ein äußerst gerissenes Schlitzohr. Sie hätte Beduinen Sand verkaufen können, sie zwang hartherzige Pfandleiher in die Knie und sorgte dafür, dass knauserige Matronen die kostspieligsten Kreationen, die sie anzubieten hatten, erwarben.

„Denkt doch nur an ihren Einfluss“, warf Sophy ein. „Die Duchess of Clevedon wird tonangebend sein, was das Modegeschehen angeht. Was sie vorgibt, wird alle Welt nachahmen.“

„Eine Wegbereiterin wäre sie nur unter der richtigen Führung“, wandte Marcelline ein. „Derzeit allerdings …“

Ein dreifaches Seufzen erklang.

„Sie hat einen beklagenswerten Geschmack“, beschied Leonie.

„Dank ihrer Mutter“, ergänzte Sophy.

„Dank der Schneiderin ihrer Mutter, um genau zu sein“, berichtigte Leonie.

„Hortense die Schreckliche“, riefen sie grimmig im Chor.

Hortense Downes war die Inhaberin von Downes’s, der größten Hürde für die drei Schwestern auf ihrem Weg zur angestrebten Herrschaft über die Londoner Damenschneiderwelt.

In der Maison Noirot nannte man das Geschäft der verhassten Rivalin nur „Dowdy’s“ in Anlehnung an die dort herrschende Geschmacklosigkeit.

„Sie Dowdy’s zu entreißen, wäre ein Akt der Barmherzigkeit“, sagte Marcelline.

Schweigend hingen sie ihren Träumen nach.

Sobald sie der Konkurrenz nur eine einzige Kundin abspenstig gemacht hätten, würden weitere folgen.

Die Damen der feinen Gesellschaft waren wie Schafe. Das konnte man zum eigenen Vorteil nutzen, sofern man es schaffte, die Schafe zu lenken. Problematisch war, dass nicht annähernd genügend vornehme Damen die Dienste des Maison Noirot beanspruchten, da deren Freundinnen es auch nicht taten. Kaum eine von ihnen war bereit, Neues auszuprobieren.

Die Maison Noirot gab es seit drei Jahren. Im Laufe der Zeit hatten die Schwestern einige Frauen für sich gewinnen können, so wie Lady Renfrew. Allerdings war sie lediglich die Gattin eines Gentlemans, der erst kürzlich in den Ritterstand erhoben worden war. Die übrigen Kundinnen waren, wie Lady Renfrew, entweder von niederem Adel oder neureich. Die Elite des ton – die Duchesses, Marchionesses, Countesses und andere Mitglieder der besseren Gesellschaft – frequentierte nach wie vor die namhafteren Etablissements wie Dowdy’s.

Obwohl ihre Werke denen ihrer Londoner Konkurrentinnen überlegen waren, fehlte den Inhaberinnen der Maison Noirot noch das Prestige, um jene Damen anzulocken, die auf der Rangliste ganz oben standen.

„Es hat uns zehn Monate gekostet, Lady Renfrew aus Dowdy’s Klauen zu befreien“, merkte Sophy an.

Gelungen war ihnen dies nur, weil ihre Ladyschaft die Vorarbeiterin von Dowdy’s hatte raunen hören, Mieder für die älteste Renfrew-Tochter zu fertigen sei heikel, da deren Brüste erschreckend ungleich seien.

Die indignierte Lady Renfrew hatte eine umfangreiche Bestellung für Trauerkleider zurückgezogen, um auf Empfehlung ihrer Freundin Lady Sharp umgehend zur Maison Noirot zu eilen.

Während der Anprobe hatte Sophy der in Tränen aufgelösten ältesten Tochter versichert, dass die Brüste einer Frau niemals gleich groß seien, dass die Haut des Fräuleins samtweich sei und die halbe Damenwelt der Oberschicht sie um ihr Dekolleté beneiden würde. Als die Schwestern Noirot die junge Frau herausgeputzt hatten, hätte sich angesichts ihrer Figur selbst Aphrodite vor Neid die Haare gerauft.

„Wir haben aber nicht zehn Monate lang Zeit“, gab Leonie zu bedenken. „Und wir können nicht darauf zählen, dass diese Giftnudel bei Dowdy’s auch Lady Warford vor den Kopf stößt. Immerhin ist die Dame eine Marchioness und nicht die unbedeutende Frau eines einfachen Ritters.“

„Wir müssen sie so bald wie möglich auf unsere Seite ziehen oder die Chance ist für immer dahin“, fügte Sophy an. „Wenn Hortense die Schreckliche den Auftrag für das Brautkleid der künftigen Duchess of Clevedon erhält, bekommt sie auch den Rest.“

„Nicht, wenn ich ihr zuvorkomme“, wandte Marcelline ein.

2. KAPITEL

OPÉRA-ITALIEN. Place des Italiens. Wie der Name schon sagt, können sich Liebhaber der italienischen Sprache und Musik hier an Sängern von herausragendem Talent ergötzen. Dieses Haus wartet ausschließlich mit Stücken der italienischen Komischen Oper auf; die Institution wird von der Regierung gefördert und ist an die große Pariser Oper angeschlossen. Die Aufführungen finden jeweils dienstags, donnerstags und samstags statt.

Francis Coghlan, A guide to France, explaining every form and expense from London to Paris, 1830

Paris, Opéra-Italien, 14. April 1835

Clevedon bemühte sich, sie nicht zu beachten.

Dabei legte es die atemberaubende Brünette eindeutig darauf an, Aufmerksamkeit zu erregen. Erst im allerletzten Moment war sie in Begleitung einer Freundin in der Loge gegenüber aufgetaucht.

Der Zeitpunkt ihres Erscheinens war unglücklich gewählt.

Er hatte Clara versprochen, ihr eine ausführliche Beschreibung der heutigen Vorstellung von „Der Barbier von Sevilla“ zu schicken. Er wusste, wie gern Clara nach Paris gekommen wäre, auch wenn sie behauptete, seine Briefe wären ihr genug. Hätte er sie vor drei Jahren geheiratet, wären sie zusammen angereist – doch keinem von ihnen hatte damals etwas an der Hochzeit gelegen. Er hatte sie schon als Kind geliebt, und sie hatten einander geschrieben, seit sie einen Stift hatte halten können. Er kannte sie sehr gut. Allerdings waren Longmore und er sich vor drei Jahren einig darin gewesen, dass sie mit knapp achtzehn Jahren noch Zeit brauchte, um erwachsen zu werden und den gesellschaftlichen Firlefanz Londons zu erleben, den er selbst herzlich satthatte. Bevor sie Ehefrau und Mutter und somit häuslich wurde, sollte sie eine sorglose Zeit verbringen, ohne etwas anderes im Sinn zu haben, als sich zu amüsieren und Möchtegern-Liebhaber an der Nase herumzuführen.

Auch er hatte mit dreiundzwanzig noch Zeit für sich gebraucht, fernab der erstickenden Regeln und Verpflichtungen, denen er sich schon als Junge hatte beugen müssen.

Folglich gab es Clara in London und Madame St Pierre hier, und Letztere warf ihm gerade bedeutungsvolle Blicke zu. Er hatte mit Gaspard Aronduille um zweihundert Pfund gewettet, dass Madame ihn zu ihrer Soiree nach der Oper einladen würde. Clevedon war überzeugt davon, dass er nach der Soiree direkt in ihrem Bett landen würde.

Ihm blieb gut ein Monat, ehe er nach London zurückkehren und das Leben wieder aufnehmen musste, aus dem er ausgebrochen war. Um Claras willen würde er treu sein. Er würde sich nicht in die Sorte von Gatte und Vater verwandeln, zu der sein eigener alter Herr gezählt hatte.

Bis dahin hatte er vor, das Beste aus jeder Minute dieser letzten Wochen in Freiheit zu machen.

Doch diese Brünette …

Jeder Mann in der Oper hatte nur Augen für sie.

Keiner schenkte der Opernaufführung auch nur die geringste Aufmerksamkeit.

Allerdings hatte er Clara versprochen … Und zudem hatte er zweihundert Pfund auf seine … nun, auf Madame St Pierre gesetzt.

Die übrigen Herren in seiner Loge konnten nicht länger an sich halten. Im Gegensatz zum englischen oder italienischen Publikum wohnten französische Zuschauer einer Vorstellung in der Regel respektvoll schweigend bei. Doch seine Begleiter flüsterten aufgeregt miteinander und fragten sich gegenseitig, wer „dieses umwerfende Wesen“ sei, das da neben der Schauspielerin Sylvie Fontenay sitze.

Clevedon wendete den Blick von Madame St Pierre und spähte zu der Brünetten hinüber.

Kurz darauf – während seine Gefährten noch spekulierten und diskutierten – verließ er seinen Platz und ging hinaus.

„Das ging aber schnell“, murmelte Sylvie hinter ihrem Fächer.

„Spionage macht sich eben bezahlt“, erwiderte Marcelline. Sie hatte eine Woche darauf verwendet, Clevedons Gewohnheiten und Aufenthaltsorte auszukundschaften. Unbemerkt und ohne sich zu verstecken, war sie ihm Tag und Nacht kreuz und quer durch Paris gefolgt.

Wie der Rest ihrer unseligen Familie konnte sie sich nach Belieben unsichtbar machen.

Heute Abend nun war Marcelline ins Rampenlicht getreten. Heute Abend war jeder Blick auf sie gerichtet. Pech für die Darsteller, aber die hatten sich ohnehin nicht gerade ihre Gunst erworben. Im Gegensatz zu ihr legten die Schauspieler sich nicht besonders ins Zeug. Rosina konnte die hohen Töne nicht halten, und Figaro fehlte es eindeutig an Temperament.

„Er verschwendet keine Zeit“, meinte Sylvie, den Blick unverwandt auf das Bühnengeschehen gerichtet. „Er möchte vorgestellt werden, und was tut er? Er begibt sich schnurstracks zur Loge der beiden größten Pariser Klatschbasen – zu meinem alten Freund, dem Comte d’Orefeur, und dessen Mätresse, Madame Ironde. Dies, meine Liebe, zeugt davon, dass er ein gestandener Fraueneroberer ist.“

Dessen war sich Marcelline bewusst. Seine Gnaden war nicht nur ein sehr versierter Verführer, sondern hatte auch einen hervorragenden Geschmack. Er stellte nicht jeder attraktiven Frau nach, die ihm über den Weg lief. Er stahl sich nicht in Bordelle – nicht einmal in die gehobenen –, wie so viele ausländische Besucher es taten. Er hatte es nicht auf Dienstmädchen und Putzmacherinnen abgesehen. Trotz seiner angekratzten Reputation war er nicht der typische Wüstling, sondern hatte die höhergestellten adeligen Schönheiten von Paris sowie die Crème de la Crème der Halbwelt zur Beute auserwählt.

Das bedeutete zwar, dass ihre Tugend – oder was davon übrig war – vor ihm sicher sein sollte. Es stellte sie jedoch vor die Herausforderung, ihn so lange in Bann zu schlagen, bis sie erreicht hatte, was sie wollte. Deshalb begann ihr Herz schneller zu schlagen, genau so, wie es der Fall war, wenn das Rouletterad sich drehte. Dieses Mal allerdings stand weit mehr auf dem Spiel als Geld. Der Ausgang dieses Spiels würde über die Zukunft ihrer Familie entscheiden.

Nach außen hin wirkte sie ruhig und zuversichtlich. „Um was wollen wir wetten, dass Monsieur le Comte diese Loge pünktlich zur Pause betritt?“

„Ich bin nicht so dumm, mit dir zu wetten“, konterte Sylvie.

Pünktlich zur Pause – noch bevor die übrigen Zuschauer sich erhoben hatten – betrat Clevedon gemeinsam mit dem Comte d’Orefeur die Loge von Mademoiselle Fontenay.

Das Erste, was er sah, war die Brünette von hinten: makellose Schultern und ein Rücken, von dem ein klein wenig mehr zu sehen war, als die meisten Pariser Frauen zu zeigen wagten. Die Haut war glatt und sahneweiß. Widerspenstige dunkle Locken kringelten sich verführerisch in ihrem Nacken.

Er musterte ihren Hals und vergaß Clara, Madame St Pierre und alle anderen Frauen auf der Welt.

Ein ganzes Leben schien zu verrinnen, ehe er ihr endlich gegenüberstand. Er blickte ihr in die glänzenden dunklen Augen, in denen es amüsiert aufblitzte … betrachtete die üppigen geschwungenen Lippen, und auch in den Mundwinkeln lauerte ein Lächeln. Sie bewegte sich ganz leicht, rührte sich kaum merklich – nur die Schultern regten sich eine Spur. Doch sie tat es wie eine Geliebte, die sich im Bett rekelte. Das zumindest wollte ihn sein Körper glauben machen. Clevedon spürte, wie es in seinen Lenden pochte.

Das Licht fing sich in ihrem Haar, überzog ihre Haut mit einem goldenen Schimmer und tanzte in ihren lachenden Augen. Clevedon ließ den Blick tiefer gleiten, hinab zu den weichen Rundungen ihrer Brüste … zu der geschmeidigen Kurve ihrer Taille …

Vage nahm er die Menschen um sich herum wahr, ohne sich jedoch auf irgendjemand anders als diese Frau konzentrieren zu können. Ihre Stimme war tief, eine Altstimme, leicht rauchig.

Ihr Name, erfuhr er, lautete Noirot.

Wie passend. In dem Namen steckte „noir“, das französische Wort für „schwarz“.

Nachdem er Mademoiselle Fontenay seine Aufwartung gemacht hatte, wandte er sich der Frau zu, die das gesamte Opernhaus in Aufruhr zu versetzen schien. Sein Herz klopfte wild, als er sich über ihre behandschuhten Finger beugte.

„Madame Noirot, enchanté.“ Mit den Lippen berührte er das weiche Glacéleder. Ein dezenter, aber exotischer Duft stieg ihm in die Nase. Jasmin?

Clevedon hob den Kopf und begegnete einem Blick aus mitternachtsdunklen Augen. Einen langen prickelnden Moment sahen sie einander an.

Schließlich wies sie mit ihrem Fächer auf den leeren Platz neben sich. „Es ist unbequem, beim Reden den Kopf in den Nacken legen zu müssen, Euer Gnaden“, sagte sie.

„Verzeihen Sie.“ Er setzte sich. „Wie unhöflich von mir, mich derartig vor Ihnen aufzubauen. Aber der Anblick von hier oben war …“

Er brach ab, als ihm aufging, dass sie Englisch gesprochen hatte, mit dem Akzent seines eigenen und nicht etwa eines niederen Standes. Er war wie selbstverständlich ins Englische gewechselt, von klein auf darauf gedrillt, aus Höflichkeit in der Sprache seines Konversationspartners zu antworten.

„Wie perfide“, entgegnete er. „Ich hätte alles darauf gewettet, dass Sie Französin sind.“ Französin und eine Bürgerliche. Sie musste Französin sein. Er hatte gehört, wie sie sich mit d’Orefeur in einwandfreiem Pariser Französisch unterhalten hatte. Sie sprach es besser als Clevedon selbst, das war gewiss. Ihre Aussprache ließ auf Bildung schließen, doch ihre Begleiterin – mindestens vierzig – war Schauspielerin. Damen der gehobenen Gesellschaft verkehrten nicht mit Schauspielerinnen. Er hatte die Brünette für eine Bühnenkünstlerin oder eine Kurtisane gehalten.

Mit geschlossenen Augen hätte er jedoch schwören können, er unterhalte sich mit einer englischen Aristokratin.

„Sie hätten alles gewettet?“, fragte sie und schaute mit ihren dunklen Augen zu ihm auf, ehe sie den Blick langsam an ihm hinabwandern und auf seinem Krawattentuch verweilen ließ. Clevedon war, als hinterlasse ihr Blick eine heiße Spur. „Zum Beispiel diese hübsche Anstecknadel?“

Ihr Duft, ihre Stimme und ihr Körper raubten ihm fast den Verstand. „Eine Wette?“, fragte er verblüfft.

„Wir könnten uns auch über die Vorzüge des Figaro dort unten austauschen. Oder erörtern, ob Rosina tatsächlich eine Mezzosopranistin ist oder sich lieber als Altistin verdingen sollte. Aber ich glaube, dass Sie sich ohnehin nicht für die Oper interessiert haben.“ Ganz langsam schloss sie ihren Fächer. „Wieso nur habe ich diesen Eindruck gewonnen?“

Er riss sich zusammen. „Was ich nicht verstehe, ist, wie sich überhaupt irgendwer in Ihrer Gegenwart auf die Oper hat konzentrieren können.“

„Es sind Franzosen“, erwiderte sie. „Sie nehmen die Kunst ernst.“

„Und Sie sind keine Französin?“

Sie lächelte. „Das ist die große Frage.“

„Französin“, entschied er. „Sie sind zwar eine brillante Mimin, aber Französin.“

„Wie sicher Sie sind!“

„Ich weiß, ich bin nur ein geistig minderbemittelter Engländer“, meinte er. „Aber selbst ich kann eine Französin von einer Engländerin unterscheiden. Selbst in französischer Mode sieht eine Engländerin aus wie eine Engländerin. Sie hingegen, Madame …“

Er verstummte und musterte sie. Allein schon ihr Haar. Es war so stilvoll zurechtgemacht wie die akkuraten Frisuren französischer Frauen … und doch anders. Ihres war eher … Er fand kein passendes Wort. Es sah aus, als habe sie sich nach dem Aufstehen in aller Hast frisiert. Dennoch wirkte sie nicht derangiert, sondern schlicht … anders.

„Sie sind durch und durch Französin“, erklärte er. „Sollte ich falsch liegen, gehört die Krawattennadel Ihnen.“

„Und wenn Sie richtig liegen?“

Rasch dachte er nach. „Dann werden Sie mir die Ehre erweisen, mich morgen auf einen Ausritt in den Bois de Boulogne zu begleiten.“

„Das ist alles?“, fragte sie, dieses Mal auf Französisch.

„Mir würde es sehr viel bedeuten.“

Abrupt stand sie auf. Seide raschelte. Clevedon kam nur schwerfällig auf die Füße, was ihn überraschte – abermals überraschte.

„Ich brauche frische Luft“, sagte sie. „Es ist recht warm hier drinnen.“

Er öffnete die Tür, die hinaus auf den Gang führte, und Madame Noirot rauschte an ihm vorbei. Mit rasendem Puls folgte er ihr.

Marcelline hatte ihn unzählige Male und aus wenigen Schritten Entfernung beobachtet und den attraktiven, auf kostspielige Weise eleganten englischen Aristokraten in ihm gesehen.

Aus der Nähe betrachtet …

Ihr war noch immer schwindelig.

Zunächst der Körper. Sie hatte Clevedon wiederholt gemustert, während er höflich mit Sylvie geplaudert hatte. Seine beeindruckende Erscheinung war nicht, wie sie angenommen hatte, auf raffinierte Schneiderkunst zurückzuführen, ja diese half nicht einmal nach, obgleich sie exquisit war. Seine breiten Schultern waren nicht gepolstert, und sein sich zur Taille hin verjüngender Oberkörper wurde allein durch Muskeln gestrafft.

Überall hatte er diese festen Muskeln – an seinen Armen, an den langen Beinen. Und kein Schneider hätte die geschmeidige Kraft zu erschaffen vermocht, die seine stattliche Statur ausstrahlte.

Es ist heiß hier drinnen, war ihr erster zusammenhängender Gedanke.

Plötzlich stand Clevedon vor ihr und neigte sich über ihre Hand, und ihr wurde noch heißer.

Seine schwarzen Locken schimmerten seidig und waren kunstvoll zerzaust.

Er hob den Kopf.

Sie sah einen Mund, der der einer Frau hätte sein können, so voll und sinnlich war er. Aber er war eindeutig männlich und überaus erotisch.

Gleich darauf blickte sie in ein Augenpaar von ungewöhnlicher Farbe – jadegrün. Eine tiefe maskuline Stimme schmeichelte ihrem Ohr und schien über Körperteile zu streichen, die der Öffentlichkeit verborgen waren.

Du liebe Güte!

Eilig verließ sie gemeinsam mit ihm die Loge und dachte im Gehen fieberhaft nach. Ihr entging nicht, dass ihr die Gruppen von Opernbesuchern auf dem Gang Platz machten. Das erheiterte sie, während sie über das unerwartete Problem nachgrübelte, das neben ihr einherschritt.

Sie hatte gewusst, dass der Duke of Clevedon keineswegs harmlos war.

Doch sie hatte ihn gewaltig unterschätzt.

Allerdings war sie eine Noirot, und das Risiko erregte sie umso mehr.

An einem Fenster in einem ruhigeren Teil des Gangs blieb sie stehen. Eine Zeit lang blickte sie hinaus, sah jedoch nur ihr Spiegelbild: eine prächtig gewandete, verführerische Frau, eine wandelnde Werbung für das, was eines Tages – mit ein wenig Hilfe durch Clevedon – Londons führende Damenschneiderei sein würde. Hatten sie erst einmal die Duchess of Clevedon für sich gewonnen, würde die königliche Kundschaft nicht lange auf sich warten lassen – Mond und Sterne, fast zum Greifen nahe.

„Ich hoffe, Sie sind nicht unpässlich, Madame“, bemerkte er in seinem englisch gefärbten Französisch.

„Nein, aber mir will scheinen, dass ich mich lächerlich gemacht habe. Welch eine absurde Wette!“

Er lächelte. „Sie machen doch keinen Rückzieher? Ist ein Ausritt mit mir durch den Bois de Boulogne ein solch grauenvolles Schicksal?“

Es war ein jungenhaftes Lächeln, und in seinen Worten schwang ein selbstironischer Charme mit, der gewiss schon Hunderte Frauen jede Moral in den Wind hatte schlagen lassen.

„In meinen Augen gewinne ich so oder so. Die Wette ist töricht, egal, von welcher Warte aus ich sie betrachte. Bedenken Sie: Ganz gleich, ob ich Ihnen sage, dass Sie richtig oder falsch liegen – woher wollen Sie wissen, dass ich Sie nicht belüge?“

„Glauben Sie etwa, ich würde Sie auffordern, mir Ihren Pass zu zeigen?“, fragte er.

„Hatten Sie etwa vor, mir blind zu vertrauen?“

„Selbstverständlich.“

„Das ist entweder galant oder naiv“, beschied sie ihm. „Ich bin mir nicht sicher, was zutrifft.“

„Sie werden mich nicht anlügen.“

Wären ihre Schwestern zugegen gewesen, hätten sie sich vor Lachen den Bauch gehalten.

„Das ist ein außergewöhnlich edler Diamant“, entgegnete sie. „Wenn Sie glauben, dass eine Frau nicht lügen würde, um ihn zu ergattern, sind Sie erschreckend einfältig.“

Er musterte sie mit seinen fesselnden grünen Augen. „Ich habe mich getäuscht“, sagte er auf Englisch. „Ich lag falsch, gänzlich falsch, wie ich jetzt weiß. Sie sind Engländerin.“

Sie lächelte. „Was hat mich verraten? Meine unverblümte Redeweise?“

„Mehr oder weniger. Wären Sie Französin, würden wir nun darüber diskutieren, was Wahrheit ist. Franzosen können derlei nicht auf sich beruhen lassen. Sie müssen alles durch das Mikroskop der Philosophie betrachten. Es ist anrührend, macht sie in dieser Hinsicht aber auch berechenbar. Alles muss bis ins Kleinste zerlegt und gegliedert werden. Regeln – sie brauchen Regeln. Sie ersinnen Unmengen davon.“

„Das wäre nicht weise gesprochen, wäre ich Französin.“

„Aber das sind Sie nicht. Das haben wir geklärt.“

„Haben wir das?“

Er nickte.

„Sie haben überstürzt gewettet“, fuhr sie fort. „Handeln Sie immer derart kopflos?“

„Manchmal, ja. Aber ich war Ihnen gegenüber im Nachteil. Nie zuvor habe ich jemanden wie Sie getroffen.“

„In gewisser Weise schon“, erwiderte sie. „Meine Eltern waren Engländer.“

„Mit französischem Einschlag?“ In seinen grünen Augen funkelte es amüsiert, und ihr kaltes, berechnendes Herz machte einen Satz.

Verdammt, er war gut.

„Minimal, in Gestalt eines unverfälscht französischen Urgroßvaters. Aber er und seine Söhne bevorzugten englische Frauen.“

„Ein Urgroßvater zählt nicht“, wandte er ein. „In meinem Stammbaum herrschen französische Namen vor, und doch bin ich hoffnungslos englisch – und gemeinhin schwer von Begriff. Geistig rege bin ich nur, wenn es darum geht, voreilig falsche Schlüsse zu ziehen. Tja, nun. Lebewohl, kleine Nadel.“ Er hob die Hände, um die Nadel herauszuziehen.

Clevedon trug Handschuhe, aber Marcelline wusste, dass er damit nicht etwa Schwielen oder eingerissene Nägel verbarg. Seine Hände würden standesgemäß glatt und sorgfältig manikürt sein. Sie waren zu groß, um als elegant zu gelten, obgleich seine Finger feingliedrig waren.

Allerdings nicht im Moment. Sein Kammerdiener hatte die Nadel gründlich unter den Falten des Krawattentuchs festgesteckt. Clevedon hatte sichtlich zu kämpfen.

So jedenfalls schien es.

„Lassen Sie mich das machen“, sagte sie. „Sie sehen nicht, was Sie tun.“

Sie schob seine Hände beiseite und streifte sie dabei leicht. Handschuh strich über Handschuh, mehr nicht. Und doch ging es Marcelline durch und durch, als wäre Haut über Haut gefahren.

Sie war sich seiner kräftigen Brust unter den teuren Lagen von Krawattentuch, Weste und Hemd nur allzu bewusst. Dennoch bewegte sie die Finger, ohne zu zaudern, ohne dass sie bebten. Sie hatte jahrelange Übung. Übung darin, Karten zu halten, ohne zu zittern, obwohl ihr das Herz bis zum Halse schlug. Übung darin, zu bluffen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Die Nadel löste sich und funkelte im Licht. Marcelline betrachtete das schneeweiße Leinen, das sie zerknittert hatte.

„Wie nackt es wirkt“, bemerkte sie. „Ihr Krawattentuch.“

„Höre ich da Reue?“

„Niemals“, entgegnete sie, und das war die volle Wahrheit. „Aber die leere Stelle beleidigt mein ästhetisches Empfinden.“

„In diesem Fall werde ich mich umgehend in mein Hotel begeben und meinen Kammerdiener die Nadel ersetzen lassen.“

„Seltsam, wie bestrebt Sie sind zu gefallen.“

„Daran ist nichts Seltsames.“

„Nur die Ruhe, Euer Gnaden, ich weiß eine hervorragende Lösung.“

Sie zog eine Nadel aus ihrem Mieder und steckte damit seine Krawatte fest. Ihre Nadel war nicht annähernd so prunkvoll und wurde lediglich von einer kleinen Perle geziert. Doch es war eine hübsche, edel glänzende Perle, die auf dem gefältelten Leinen seidig schimmerte.

Marcelline spürte, dass Clevedon sie eindringlich musterte. Stockstill stand er da und wartete.

Behutsam strich sie das Tuch um die Nadel glatt, trat zurück und betrachtete ihr Werk kritisch. „So müsste es gehen.“

„Wirklich?“ Er schaute sie an, nicht die Perle.

„Benutzen Sie das Fenster als Spiegel“, schlug sie vor.

Noch immer starrte er sie an.

„Das Fenster, Euer Gnaden. Sie könnten meine Arbeit wenigstens würdigen.“

„Das tue ich“, entgegnete er. „Sehr sogar.“

Endlich wandte er sich verhalten lächelnd ab und betrachtete sich im Fenster.

„Wie ich sehe“, verkündete er, „ist Ihr Auge ebenso versiert wie das meines Kammerdieners – und dieses Kompliment vergebe ich nicht leichtfertig.“

„Das sollte mein Auge auch sein“, meinte sie. „Schließlich bin ich die größte Modemacherin der Welt.“

Sein Herz pochte unstet.

Vor Aufregung – weshalb sonst? Und wieso auch nicht?

Sie glich wahrhaftig keiner der Frauen, die er bislang getroffen hatte.

Paris war, verglichen mit London, eine fremde Welt, und französische Frauen waren eine andere Gattung als englische. Dennoch hatte er sich an die Kultiviertheit der Pariser Damen gewöhnt und vermochte in beinahe jeder Situation zu sagen, was die Drehung eines Handgelenks, die Bewegung eines Fächers oder die Neigung eines Kopfes zu bedeuten hatte. Regeln, wie gesagt. Die Franzosen lebten danach.

Diese Frau stellte ihre eigenen Regeln auf.

„Und wie bescheiden diese Modemacherin ist“, erwiderte er.

Sie lachte, jedoch nicht silbrig hell, wie er es von anderen Frauen kannte. Ihr Lachen war tief und vertraulich und nur für seine Ohren bestimmt. Sie versuchte nicht wie andere Frauen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nur die seine interessierte sie.

Und das gelang ihr. Er drehte sich zu ihr um.

„Im Gegensatz zu allen anderen in der Oper mag es Ihnen entgangen sein“, sagte sie und wies mit einer schwungvollen Bewegung ihres geschlossenen Fächers auf ihr Kleid.

Clevedon ließ den Blick von der leicht zerzausten Frisur aus tiefer wandern. Was sie trug, hatte er bislang kaum beachtet. Zu sehr hatte ihr Leib ihn gebannt: die üppigen Kurven, die makellose Haut, die strahlenden Augen, das kunstvoll derangierte Haar.

Nun begutachtete er, in welchen Kleidern dieser betörende Körper steckte: ein Umhang oder ein Cape – oder was immer es war – aus schwarzer Spitze über sattrosa Seide; die verwegene Komposition von Farbe, Schnitt und Schmuck; dieser … dieser …

„Stil“, ergänzte Noirot laut.

Er stutzte, spürte einen Zweifel in sich aufsteigen, durchlebte einen Moment des Unbehagens. Offenbar konnte sie in ihm lesen wie in einem Buch, und sie hatte Inhaltsverzeichnis und Einleitung bereits bewältigt und war zum ersten Kapitel gelangt.

Aber was machte das schon? Sie, die eindeutig keine Unschuld mehr war, wusste, was er wollte.

„Verzeihen Sie, Madame, das ist mir entgangen. Ich habe ausschließlich Sie gesehen.“

„Genau die richtige Antwort gegenüber einer Frau“, meinte sie. „Und genau die falsche gegenüber einer Damenschneiderin.“

„Ich bitte Sie, vorübergehend eine Frau zu sein“, entgegnete er. „Als Damenschneiderin wäre Ihr Talent in meiner Gegenwart nur verschwendet.“

„Keineswegs. Ließe meine Gewandung zu wünschen übrig, hätten Sie Mademoiselle Fontenays Loge nie betreten. Selbst wenn Sie so unbesonnen gewesen wären, die Weisungen des guten Geschmacks zu ignorieren, hätte der Comte d’Orefeur Sie vor einem solch selbstmörderischen Fehltritt bewahrt, indem er sich geweigert hätte, Sie mir vorzustellen.“

„Selbstmörderisch? Ich wittere einen Hauch von Übertreibung.“

„In Hinblick auf guten Geschmack? Darf ich Sie daran erinnern, dass wir in Paris sind?“

„Gegenwärtig ist es mir gleich, wo ich bin“, konterte er.

Wieder das tiefe Lachen. Er spürte den Laut, als streiche ihm ihr Atem über den Nacken.

„Ich sollte auf der Hut sein“, meinte sie. „Offenbar sind Sie darauf aus, mich aus dem Konzept zu bringen.“

„Sie haben angefangen. Sie haben mich aus dem Konzept gebracht.“

„Falls Sie vorhaben, mir Honig ums Maul zu schmieren, um Ihren Diamanten zurückzuerobern – das ist vergebene Liebesmüh’.“

„Falls Sie denken, dass ich Ihnen Ihre Perle zurückgeben werde, irren Sie sich.“

„Seien Sie nicht albern“, wandte sie ein. „Sie mögen zu romantisch sein, um zu würdigen, dass Ihr Diamant fünfzig solcher Perlen wert ist, doch ich bin es nicht. Behalten Sie die Perle, meinen Segen haben Sie. Nun aber muss ich zurück zu Mademoiselle Fontenay … Und da kommt Ihr Freund, Monsieur le Comte, um Sie vor dem fauxpas zu bewahren, an meiner Seite zurückzukehren. Ich weiß, Sie sind bezaubert und am Boden zerstört, Euer Gnaden, und ja, auch ich bin untröstlich, Ihrer Gesellschaft entrissen zu werden – es ist erfrischend, einem Mann mit Verstand zu begegnen. Aber wir müssen auseinandergehen. Ich darf nicht dabei ertappt werden, dass ich einem Gentleman schöne Augen mache. Das ist schlecht fürs Geschäft. So bleibt mir nur zu hoffen, dass wir uns wiedersehen. Womöglich morgen während der Promenade nach Longchamp, auf der ich natürlich meine Kreationen zur Schau stellen werde.“

Als ein Signal das Ende der Pause ankündigte, gesellte sich d’Orefeur zu ihnen. Eine junge Frau winkte Madame Noirot zu, und sie verabschiedete sich mit einem knappen, eleganten Knicks und – nur für Clevedon erkennbar – einem vielsagenden Blick über den Fächer hinweg.

Sobald sie außer Hörweite war, raunte d’Orefeur: „Nehmen Sie sich in Acht, sie ist gefährlich.“

„Ja“, entgegnete Clevedon und sah ihr nach. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge, und diese teilte sich vor ihr, als sei sie ein Mitglied des Königshauses. Dabei war sie das nicht annähernd. Sie war eine Ladeninhaberin, nichts weiter. Das hatte sie selbst offenbart, unbefangen und ohne sich dafür zu schämen. Dennoch vermochte er es kaum zu glauben. Er beobachtete, wie sie sich im Gegensatz zu ihrer französischen Gefährtin bewegte. Die beiden waren so ungleich, dass sie nicht einmal zur selben Spezies zu gehören schienen.

„Ja“, wiederholte er. „Ich weiß.“

In London juckte es derweil Lady Clara Fairfax in den Fingern, ihrem Bruder eine Porzellanvase an den Hohlkopf zu schleudern. Doch der Lärm hätte nur Aufmerksamkeit erregt, und um nichts in der Welt wollte sie, dass ihre Mutter in die Bibliothek gestürmt kam.

Sie hatte ihren Bruder eigens hierher geschleift, weil ihre Mutter sich in diesem Raum nur selten aufhielt.

„Harry, wie konntest du nur?“, rief sie. „Alle reden darüber. Du hast mich gedemütigt.“

Harry Fairfax, der Earl of Longmore, ließ sich behutsam aufs Sofa sinken und schloss die Augen. „Kein Grund zu schreien. Mein Kopf …“

„Ich kann mir vorstellen, woher du deine Kopfschmerzen hast!“, fiel sie ihm ins Wort. „Und ich verspüre kein Mitleid, nicht das geringste.“

Schatten lagen unter seinen Augen, und seine Haut wirkte fahl. Die Falten in seiner Kleidung kündeten davon, dass er sich nach dem gestrigen Abend noch nicht umgezogen hatte, und seine verstruwwelten Haare machten deutlich, dass sie, ebenfalls seit gestern, keinen Kamm gesehen hatten. Zweifellos hatte er die Nacht im Bett einer seiner Liebschaften verbracht und sich nicht die Mühe gemacht, andere Kleider anzulegen, als Clara nach ihm geschickt hatte.

„In deiner Nachricht war von einer dringlichen Angelegenheit die Rede“, sagte er. „Ich bin hergekommen, weil ich dachte, du bräuchtest Hilfe. Ich bin nicht hier, um mir von dir eine Standpauke halten zu lassen.“

„Dass du einfach nach Paris gehastet bist und Clevedon ein Ultimatum gestellt hast. ‚Heirate meine Schwester, sonst setzt es etwas.‘ Ist das deine Vorstellung von Hilfe?“

Er öffnete die Augen und schaute zu ihr auf. „Wer hat es dir verraten?“

„Die ganze Welt redet davon“, erwiderte sie. „Seit Wochen, wie es aussieht. Früher oder später musste es mir zu Ohren kommen.“

„Dann ist die ganze Welt verrückt geworden. Ultimatum, von wegen. Es war nichts dergleichen. Ich habe ihn lediglich gefragt, ob er dich nun will oder nicht.“

„Oh, nein.“ Sie ließ sich auf einem nahen Stuhl nieder und schlug die Hand vor den Mund. Ihr Gesicht war flammend rot. Wie konnte er nur? Aber was für eine Frage. Selbstredend konnte er. Harry war weder für Takt noch für sein Feingefühl berühmt.

„Besser ich als Vater“, murmelte er.

Sie schloss die Augen. Er hatte recht. Ihr Vater hätte einen Brief geschrieben, weit diskreter, aber zugleich vernichtender als alles, was Harry hätte äußern können. Vater hätte Clevedon in die Ecke gedrängt, indem er an sein Gewissen appelliert und ihm seine Pflichten vor Augen geführt hätte – und eben das, vermutete sie, hatte Clevedon überhaupt erst auf den Kontinent getrieben.

Sie ließ die Hand sinken, schlug die Augen auf und begegnete dem Blick ihres Bruders. „Glaubst du wirklich, es ist so weit?“

„Schwesterherz, Mutter treibt ja mich schon in den Wahnsinn, und ich lebe nicht einmal mit ihr unter einem Dach. Inzwischen graut mir davor, dieses Haus zu betreten, weil sie über nichts anderes mehr spricht. Mir war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Vater sie nicht länger würde ignorieren können. Du weißt, er hat es nicht gutgeheißen, dass wir auf den Kontinent gegangen sind. Nun, zumindest was Clevedon angeht. Mich hat er nur zu gern ziehen lassen.“

Es stimmte, dass ihre Mutter in den vergangenen Monaten zunehmend ungeduldig geworden war. Die Töchter ihrer Freundinnen hatten gemeinsam mit Clara ihr Debüt gehabt, und die meisten von ihnen waren inzwischen unter der Haube. Ihre Mutter fürchtete, dass Clara ihren Clevedon vergessen und sich in einen unpassenden Mann vernarren würde – in jemanden also, der kein Duke war.

„Wieso machst du Lord Adderly schöne Augen, wo du doch weißt, dass er praktisch mittellos ist? Und dort ist der grässliche Mr Bates, der keinen Penny erben wird, da zwei Männer zwischen ihm und dem Titel stehen. Du weißt, dass Lord Geddings Landsitz eine bessere Ruine ist. Und Sir Henry Jaspers … Meine Tochter geht auf die Tändeleien eines bloßen Baronet ein? Willst du mich ins Grab bringen, Clara? Was ist nur los mit dir, dass du nicht einem Mann treu sein kannst, der dich im Grunde schon seit deiner Geburt vergöttert und dem alle übrigen Herren nicht das Wasser reichen können?“

Wie oft hatte Clara diese oder ähnliche Tiraden über sich ergehen lassen müssen, seit sie zur Saison nach London gekommen waren? „Ich weiß, du hast es nur gut gemeint, Harry. Aber ich wünschte, du hättest es nicht getan.“

„Er ist seit über drei Jahren auf dem Kontinent“, entgegnete Harry. „Die Angelegenheit wirkt langsam absurd, selbst in meinen Augen. Entweder will er dich heiraten oder nicht. Entweder will er auf dem Kontinent leben oder in England. Ich denke, er hatte genügend Zeit, sich zu entscheiden.“

Sie blinzelte. Drei Jahre? So lang war es ihr nicht vorgekommen. Im ersten dieser Jahre hatte sie um ihre geliebte Großmutter getrauert. In jener Saison ihr Debüt zu geben, hatte sie nicht über sich gebracht. Zudem waren dieses und die beiden folgenden Jahre erfüllt gewesen mit Clevedons wundervollen Briefen.

„Mir war nicht bewusst, dass so viel Zeit vergangen ist“, meinte sie. „Er schreibt so wirklichkeitsgetreu, dass mir ist, als wäre er hier.“ Sie schrieb ihm, seit sie fähig war, solche Nichtigkeiten zu Papier zu bringen wie: „Ich hoffe, es geht Dir gut. Wie gefällt Dir die Schule? Ich lerne Französisch. Das ist schwer. Was lernst Du gerade?“ Schon als Junge war er ein hervorragender Brieffreund gewesen. Er war ein scharfsinniger Beobachter, besaß die Gabe, trefflich schildern zu können, und hatte einen beißenden Humor. Sie kannte ihn sehr gut, besser als die meisten, jedoch vorrangig durch seine Briefe. Im wirklichen Leben hatte sie kaum Zeit mit ihm verbracht. Den größten Teil ihrer Bekanntschaft hatte sie im Klassenzimmer gesessen, während er anderswo Schule und Universität besucht hatte und schließlich auf den Kontinent gegangen war.

„Ich wage zu behaupten, dass es auch ihm nicht bewusst war“, warf Harry ein. „Als ich ihn unverblümt gefragt habe, was er nun vorhabe, hat er lachend verkündet, dass ich gut daran getan hätte, ihn aufzusuchen. Er wäre vermutlich früher heimgekehrt, meinte er, wenn du ihm nicht in deinen Briefen mitgeteilt hättest, wie sehr du es genießt, das begehrenswerteste Mädchen der Londoner Gesellschaft zu sein. Er wollte dir nicht den Spaß verderben.“

Und sie hatte ihm nicht den seinen verderben wollen. Er hatte keine erfreuliche Kindheit gehabt. Binnen eines Jahres hatte er Vater, Mutter und die Schwester verloren. Claras Vater hatte ihm ein guter Vormund sein wollen, vertrat allerdings strenge Ansichten hinsichtlich Pflicht und Verantwortung. Im Gegensatz zu ihren Brüdern hatte Clevedon sich bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden.

Als er und Harry beschlossen hatten, auf den Kontinent zu reisen, hatte sie sich für beide gefreut. Harry würde ein wenig Kultur eingebläut bekommen, und Clevedon würde fernab von ihrem Vater zu sich selbst finden.

„Er sollte nicht zurückkommen, solange er nicht bereit ist“, sagte sie.

Harry hob die dunklen Brauen. „Bist etwa du noch nicht bereit?“

„Sei nicht albern.“ Natürlich hätte sie Clevedon nur zu gern zurück. Sie liebte ihn, hatte ihn von klein auf geliebt.

„Du brauchst nicht zu befürchten, sogleich vor den Altar gezerrt zu werden“, meinte Harry. „Ich habe angeregt, bis Ende Mai zu warten. Dadurch haben deine Verehrer hinreichend Zeit, sich das Leben zu nehmen, nach Italien ins Exil zu gehen oder im stillen Kämmerlein vor Verzweiflung dahinzusiechen. Ich habe ihm empfohlen, dir nach seiner Rückkehr einen weiteren Monat zuzugestehen, um dich wieder an seine Gegenwart zu gewöhnen. Am Ende der Saison, so habe ich ihm nahegelegt, solle er dir einen formvollendeten Antrag machen, dich vielmals seiner unsterblichen Zuneigung versichern und dies mit einem kapitalen Diamantring unterstreichen.“

„Harry, mach dich nicht lächerlich!“

„Lächerlich? Er hielt es für eine exzellente Idee – und wir haben sie mit drei oder vier oder fünf oder sechs Flaschen Champagner gefeiert, wenn ich mich recht entsinne.“

Paris, 15. April

Verführung war ein Spiel, das Clevedon ungemein genoss. Ihm gefiel die Jagd so gut wie die Eroberung – und jüngst sogar noch mehr als diese. Madame Noirot nachzustellen, versprach ein amüsanteres Spiel als sonst zu werden.

Es würde ihm Abwechslung verschaffen und wäre der krönende Abschluss seines Auslandsaufenthalts. Er fieberte der Rückkehr nach England, wo die Pflicht auf ihn wartete, nicht gerade entgegen, aber es war an der Zeit. Paris verlor allmählich seinen Reiz, und ohne Longmores unterhaltsame Gesellschaft sah er keinen Grund, noch einmal über den Kontinent zu streifen.

Allerdings plante er, auf jeden Fall nach Longchamp zu gehen, um einen kurzweiligen Bericht für Clara zu verfassen. Die Schilderung der Oper war er ihr schuldig geblieben – aber das war jetzt auch egal. Longchamp würde seinem Spott ohnehin mehr Nahrung bieten.

Das alljährliche feierliche Flanieren entlang der Avenue des Champs-Élysées und durch den Bois de Boulogne fand von Mittwoch bis Freitag vor Ostern statt. Das Wetter, das sich Anfang der Woche so gut angelassen hatte, war umgeschlagen. Nun wehte ein kühler Wind. Dennoch war die gehobene Pariser Gesellschaft geschlossen und nach der neuesten Mode gekleidet erschienen, um ihre prächtigen Pferde und Kutschen zu präsentieren. An einer Straßenseite zogen sie hinauf und an der anderen hinunter. Die Straßenmitte war den königlichen Kutschen sowie hochrangigen Persönlichkeiten vorbehalten. Viele allerdings wohnten der Parade, so wie Clevedon, zu Fuß bei, um Zuschauer und Teilnehmer besser beobachten und belauschen zu können.

Er hatte ganz vergessen, wie dicht die Menge war. Es war sogar mehr los als im Hyde Park, wo sich spätnachmittags alle Welt sehen ließ. Eine Weile fragte er sich, wie zum Teufel er Madame Noirot im Gewühl entdecken sollte. Ausnahmslos jeder kam nach Longchamp.

Wenige Minuten später fragte er sich, wie er es hätte anstellen sollen, sie nicht zu entdecken.

Sie sorgte für Aufsehen, so wie in der Oper, nur noch spektakulärer. Clevedon musste sich lediglich an den Tumulten orientieren.

Die Leute verrenkten sich den Hals, um einen Blick auf sie zu werfen. Kutscher lenkten ihr Gefährt in andere Fuhrwerke; Fußgänger liefen gegen Laternenpfähle oder kollidierten miteinander.

Und Madame amüsierte sich großartig, daran zweifelte Clevedon nicht im Mindesten.

Da er sie dieses Mal aus der Ferne betrachtete und weder von den strahlenden dunklen Augen noch der betörenden Stimme abgelenkt wurde, konnte er das Gesamtbild in Seelenruhe auskosten: das Kleid, den Hut … und ihre Art zu gehen. Die Strohhaube, mit zartgrünen Bändern und weißer Spitze besetzt; der lilafarbene Mantel, der sich oberhalb der Taille teilte und den Blick auf ein blassgrünes duftiges Machwerk von Kleid preisgab.

Clevedon schaute zu, wie ein Bursche nach dem anderen sich ihr näherte. Jedes Mal hielt sie kurz inne, lächelte, sagte ein paar Worte und schritt weiter, während die Herren ihr benommen nachstarrten.

Vermutlich hatte er selbst gestern Abend nicht anders dreingeblickt, nachdem sie sich verabschiedet hatte.

Er bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Madame Noirot.“

„Ah, da sind Sie ja“, begrüßte sie ihn. „Genau der Mann, den ich sehen wollte.“

„Das will ich doch hoffen, wenn man bedenkt, dass Sie mich eingeladen haben.“

„Eingeladen? Ich dachte, es sei eher ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen.“

„Ich frage mich, ob Sie in der Oper jedem damit gewinkt haben. Sie alle scheinen hier zu sein.“

„Oh, nein. Ich hatte es allein auf Sie abgesehen. Die anderen sind hier, weil dies der Ort ist, an dem man sich präsentiert. Longchamp. Karwoche. Jedermann begibt sich auf Wallfahrt, um zu sehen und gesehen zu werden. Und hier bin ich, ebenfalls auf dem Präsentierteller.“

„Und welch hübschen Anblick Sie bieten“, erwiderte er. „Darüber hinaus einen äußerst modischen, nach den neidischen Mienen der anderen Damen zu urteilen. Die Männer sind natürlich geblendet – doch sind sie nicht von Nutzen für Sie, möchte ich meinen.“

„Es ist heikel, die Balance zu halten“, erklärte sie. „Ich muss den Männern gefallen, denn sie begleichen die Rechnungen. Aber die Damen sind es, die meine Kleider tragen. Sie werden mein Geschäft kaum aufsuchen, wenn sie in mir eine Rivalin wittern, die ihnen die Aufmerksamkeit ihrer Liebhaber abspenstig macht.“

„Dennoch haben Sie mich durch einen Wink mit dem Zaunpfahl aufgefordert, Sie heute hier in diesem Gewühl zu treffen.“

„In der Tat“, entgegnete sie. „Ich möchte, dass Sie ein paar Rechnungen begleichen.“

Das war – wieder einmal – das Letzte, das er erwartet hatte. Dieses Mal allerdings war er nicht belustigt. Er verspannte sich und spürte, wie ihm heiß wurde, und das keineswegs vor Begehren. „Wessen Rechnungen?“

„Die der Damen Ihrer Familie.“

Er traute seinen Ohren nicht. „Meine Tanten schulden Ihnen Geld, und Sie sind eigens nach Paris gereist, um zu mahnen?“, presste er hervor.

„Ihre Ladyschaften haben nie auch nur einen Fuß in mein Geschäft gesetzt. Darin liegt das Problem. Nun, eines der Probleme. Doch darum geht es nicht vorrangig. Vorrangig geht es um Ihre Gattin.“

„Ich bin nicht verheiratet.“

„Aber Sie werden heiraten. Und ich sollte Ihre Gattin einkleiden. Ich hoffe, das leuchtet Ihnen inzwischen ein.“

Er brauchte einen Augenblick, das zu verdauen. Einen weiteren Moment benötigte er, um seine Empörung niederzuringen. „Wollen Sie mir damit etwa sagen, dass Sie den weiten Weg nach Paris auf sich genommen haben, um mich zu überreden, die zukünftige Duchess of Clevedon von Ihnen ausstatten zu lassen?“

„Selbstverständlich nicht. Ich komme regelmäßig zweimal jährlich nach Paris, aus zwei Gründen.“ Sie hielt einen behandschuhten Zeigefinger hoch. „Erstens, um die Aufmerksamkeit der Korrespondenten zu erheischen, die die Damenjournale mit Berichten über die neueste Pariser Mode versorgen. Eine vortreffliche Schilderung des Promenadenkleids, das ich vergangenes Frühjahr getragen habe, hat Mrs Sharp in die Maison Noirot geführt. Sie wiederum empfahl uns ihrer Busenfreundin Lady Renfrew. Nach und nach werden sich all ihre Freundinnen zu unserem illustren Kundenkreis gesellen.“

„Und der zweite Grund?“, fragte er ungeduldig. „Sie müssen nicht Ihre Finger benutzen. Ich bin durchaus in der Lage, bis zwei zu zählen.“

„Grund Nummer zwei ist Inspiration. Das Herz der Mode schlägt in Paris. Ich gehe dahin, wohin es die stilbewussten Menschen verschlägt, und von diesen hole ich mir Ideen.“

„Verstehe“, meinte er, obwohl das mitnichten der Fall war. Aber dies hier war seine Strafe dafür, sich mit einer Ladenbesitzerin eingelassen zu haben, einer vulgären, geldgierigen Person. Er hätte gestern Abend Madame St Pierre ins Bett locken können – ihm wurde die Zeit langsam knapp, überhaupt noch irgendwen ins Bett zu locken –, und diese Chance hatte er vertan, indem er dieser … dieser Kreatur hier nachgejagt war. „Ich bin also nur die Nebenfigur.“

„Ich hatte gehofft, Sie wären intelligent genug, es eben nicht so aufzufassen“, konterte sie. „Es liegt mir am Herzen, Ihnen zu Diensten zu sein.“

Aus schmalen Augen musterte er sie. Sie meinte wohl, ihn an der Nase herumführen zu können. Weil sie ihn aus dem Opernhaus direkt hinein in den Pöbel der Longchamp-Promenade gelockt hatte, dachte sie offenbar, ihn an der Kandare zu haben.

Sie wäre nicht die erste und sicher nicht die letzte Frau, der in dieser Hinsicht die Fantasie durchging.

„Ich bitte Sie lediglich, die Sache zu überdenken“, fuhr sie fort. „Wollen Sie nicht, dass Ihre Frau die bestgekleidete Dame Londons ist? Wollen Sie nicht, dass sie wegweisend in Sachen Mode ist? Wollen Sie nicht, dass sie aufhört, diese unvorteilhaften Kleider zu tragen? Natürlich wollen Sie das.“

„Es interessiert mich nicht die Bohne, was Clara trägt“, entgegnete er steif. „Ich mag sie um ihrer selbst willen.“

„Das ehrt Sie, aber dabei lassen Sie Ihre Position außen vor. Die Menschen sollten zu der Duchess of Clevedon aufblicken und sie bewundern, und im Allgemeinen werten die Leute nun einmal anhand von Äußerlichkeiten. Wäre das nicht der Fall, würden wir alle in Tuniken, Decken und Tierhäute gewandet umherlaufen, wie unsere Vorfahren. Und aus Ihrem Munde klingt die Behauptung, Kleider seien unwichtig, ganz besonders töricht. Schauen Sie sich doch an.“

Vor Wut drohte er sich zu vergessen. Wie konnte sie es wagen, so über Clara zu sprechen? Wie konnte sie es wagen, ihn derart herablassend zu behandeln? Am liebsten hätte er sie hochgehoben und … und …

Zum Teufel mit ihr! Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es einer Frau – einer einfachen Ladenbesitzerin! – je gelungen war, ihn aus der Fassung zu bringen.

„Sehen Sie sich um“, entgegnete er. „Ich bin in Paris. Wo das Herz der Mode schlägt, wie Sie sagten.“

„Und gehen Sie in London etwa in Sack und Asche?“

So sehr musste er sich beherrschen, ihr nicht an die Kehle zu gehen, dass ihm keine passende Antwort einfiel. Er konnte sie nur sprachlos anstarren.

„Es bringt nichts, mich finster zu fixieren“, beschied sie ihm. „Ließe ich mich leicht einschüchtern, hätte ich in meinem Metier gar nicht erst Fuß gefasst.“

„Madame Noirot, offenbar verwechseln Sie mich mit jemandem – mit einem Narren, denke ich. Guten Tag.“ Er wandte sich zum Gehen.

„Ja, ja.“ Sie schickte ihm ein träges Winken hinterher. „Stürmen Sie ruhig davon, nur zu. Wir sehen uns im Frascati, schätze ich.“

3. KAPITEL

HOTEL FRASCATI. Rue de Richelieu, No. 108. Ein Spielkasino, das aufgrund seiner exklusiven Klientel als das zweitrespektabelste in Paris angesehen werden kann. Damen haben Zutritt.

Galignani’s New Paris Guide, 1830

Der Duke of Clevedon hielt inne, drehte sich um und sah Marcelline an.

Seine grünen Augen waren schmale Schlitze, sein sinnlicher Mund fest zusammengepresst. Unterhalb seines Wangenknochens nahe des rechten Ohrs zuckte ein Muskel.

Er war ein stattlicher, mächtiger Mann.

Er war ein englischer Duke, eine Gattung, die berüchtigt dafür war, dass sie alles im Weg stehende Kleine und Nichtige zerquetschte.

Jeder andere hätte sich von seiner Haltung und seiner Miene verschrecken lassen.

Aber nicht Marcelline.

Sie wusste, sie hatte ein rotes Tuch vor einem Stier geschwenkt, und zwar so bewusst wie ein erfahrener Matador. Und wie der Stier hatte er alles bis auf das Tuch ausgeblendet.

„Verflixt und zugenäht“, sagte er. „Nun kann ich wohl kaum einfach davonstürmen.“

„Ich würde Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn Sie es dennoch täten. Sie sind in hohem Maße provoziert worden. Aber ich warne Sie, Euer Gnaden – ich bin die hartnäckigste Frau, der Sie je begegnet sind, und fest entschlossen, Ihre Duchess einzukleiden.“

„Ich bin versucht zu sagen: ‚Nur über meine Leiche.‘ Allerdings beschleicht mich der grauenvolle Verdacht, dass Sie darauf antworten würden: ‚Wenn es denn sein muss.‘“

Sie lächelte.

Seine Miene entspannte sich ein wenig, und in seinen Augen blitzte es diabolisch. „Heißt das, Sie würden wirklich alles tun?“

„Ich weiß, was Sie denken, aber das wird nicht nötig sein. Bitte beachten Sie, Euer Gnaden: Welche Frau, die etwas auf sich hält, würde eine Damenschneiderin aufsuchen, die sich darauf verlegt hat, die Männer ihrer Kundinnen zu verführen?“

„Ah, das gilt also als eine Art Spezialisierung, ja?“

„Ausgerechnet Sie sollten wissen, dass Verführung eine Kunst ist und manche mehr Talent haben als andere“, erwiderte sie. „Ich habe beschlossen, meine Talente darauf zu verwenden, Damen elegant auszustaffieren. Frauen sind kapriziös und schwer zufriedenzustellen. Männer hingegen sind leicht zufriedenzustellen, aber weit kapriziöser.“

Für eine scharfsichtige Frau war es ein Leichtes, in seinem schönen Gesicht zu lesen. Fasziniert beobachtete sie, wie sich ein nachdenklicher Ausdruck breitmachte und die letzten Reste seines Unmuts verschwanden. Er zerbrach sich den Kopf über sie, revidierte seine ursprüngliche Einschätzung und änderte im Zuge dessen seine Taktik.

Ein intelligenter Mann. Sie sollte auf der Hut sein.

Autor

Loretta Chase
Loretta Chase wuchs in Neu-England auf und machte zunächst was Sprache und Schreiben angeht nicht nur freudvolle Erfahrungen, denn in der Schule wurde sie in Rechtsschreibung und Grammatik richtiggehend gedrillt. Trotzdem – oder gerade deshalb? - studierte sie nach der Schule Literatur an der berühmten Clark University. Sie schrieb damals...
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