Exklusivinterview mit Julia Quinn: 20 Fragen an die "Queen of Romance"

Julia Quinn am Tisch vor ihrem Computer

© Fotografin Chona Kasinger

Julia Quinn ist die „Queen of Romance“. Ihre acht Bestseller-Romane rund um die Familie Bridgerton, die alle im Verlag HarperCollins erschienen sind, liefern die Grundlage für die erfolgreiche Netflix-Serie. Jeder Band für sich garantiert ein Eintauchen in eine Welt voller Liebe und Poesie. Im Gespräch mit Redakteurin Stephanie Morcinek verrät die Star-Autorin, warum Penelope die perfekte Lady Whistledown ist; wir sprechen über die heißen Sexszenen und darüber, warum die Menschen sich gerade so sehr nach Romantik sehnen.

Als Julia Quinn um achtzehn Uhr deutscher Zeit zum Interview via Zoom das erste Mal auf dem Bildschirm erscheint, sitzt die 53-Jährige in einem simplen blauen Longsleeve in ihrem Wohnzimmer. Ihre dunklen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden; auf der Nase hat sie eine auberginefarbene Brille. Hinter Julia Quinn stehen zwei graue Sofas, in der Mitte des Raumes ein Couchtisch. Auf der einen Seite des Raumes gibt es noch ein altes Bücherregal aus Eichenholz, auf der anderen scheint die Sonne durch die bodentiefen Fenster.

Bei Julia Quinn, die in der Nähe von Seattle wohnt, ist es jetzt neun Uhr morgens. „Das ist meine typische Zeit für alles, was mit Europa zu tun hat.“ Die Star-Autorin lacht herzlich und erschafft damit die perfekte Grundlage für ein Gespräch über Romantik, Sex und Gay Rights.

Liebe Frau Quinn, alle warten gespannt auf die dritte Staffel von Bridgerton, in der es um die Liebe zwischen Penelope Featherington und Colin Bridgerton geht. Wie finden Sie es, dass Netflix nicht wie in ihrer Bücherreihe mit der Liebesgeschichte um Benedict Bridgerton weitermacht, sondern das vierte Buch vorzieht?

Als ich das erste Mal von den Plänen hörte, war ich ein wenig besorgt, weil ich wusste, dass sich die Fans sehr auf die Benedict-Story gefreut haben. Das Filmteam konnte mir aber erklären, dass es total Sinn ergibt, wenn in der dritten Staffel mit Penelope und Colin weitergemacht wird, da die beiden in den ersten Staffeln schon einen größeren Part eingenommen haben. Und wenn man sich bewusst macht, dass die Charaktere nach ihrer großen Lovestory kaum noch eine Rolle spielen, können sich die Fans zumindest freuen, dass sie Benedict noch mindestens zwei Staffeln sehen werden.

Die Fans lieben Colin und Penelope. Warum glauben Sie, sind gerade die beiden so beliebt?

Ich glaube, es liegt zum einen daran, dass sich die Charaktere über mehrere Bücher entfalten können und dass Penelope eine Figur ist, mit der sich einige Leserinnen verbunden fühlen. Sie weiß tief in sich verankert, wer sie ist, kann das aber kaum zeigen. Es geht wohl vielen Menschen ähnlich, dass sie sich oftmals nicht trauen, ihr wahres Selbst zu zeigen, und genauso ist es mit Penelope. Doch Colin erkennt es, und so kann sie endlich sie selbst sein.

Haben Sie sich deshalb entschieden, Penelope zu Lady Whistledown zu machen?

Oh Gott, es ist so lange her, dass ich diese Entscheidung getroffen habe. Am Anfang wusste ich noch nicht so recht, wer die Rolle der Lady Whistledown bekommen sollte. Erst nach einem Gespräch mit meinem Vater war es für mich klar, dass ich einen Charakter festlegen muss, um das Mysteriöse um die Lady aufrechtzuerhalten. Ich liebe es, dass Penelope zwar bei den wichtigsten gesellschaftlichen Events anwesend ist, ihr jedoch niemand zutrauen würde, Lady Whistledown zu sein. Auch meine Leser und Leserinnen waren wirklich verwirrt (lacht).

Stört es Sie, dass die optische Erscheinung mancher Charaktere anders ist als in den Büchern? Penelope ist zum Beispiel nicht brünett, sondern rothaarig?

Das ist mir total egal. Simon Hastings hat im Buch zum Beispiel blaue Augen, aber es hat sich wirklich niemand in der Serie über das Aussehen von Regé-Jean Page (er spielt den Duke of Hastings) beschwert, ganz im Gegenteil!

Der Cast wurde nach dem Prinzip „colour consciousness“ ausgewählt, wobei weiße Personen auch von People of Colour gespielt werden.

Oh ja, das war Shonda Rhimes (die Produzentin der Serie, Anm. d. Red.) sehr wichtig und ist ihr großartig gelungen.

Wie stark sind Sie in die Adaption der Serie eingebunden?

Eigentlich kaum. Wenn Sie eine große Veränderung planen, dann werde ich gefragt, ob es für mich okay ist, aber sonst machen sie ihr Ding und ich meines. Ich bin keine Autorin, die in ihren Charakteren lebt. Wenn ich meinen Computer ausschalte, kümmere ich mich um andere Dinge und lasse die Geschichte hinter mir. Ich weiß, das können manche Autoren weniger gut, aber ich vertraue den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite.

Dem Erfolg muss man ja auch recht geben. Die Netflix-Serie hat auch den Verkauf Ihrer Bücher noch mal ordentlich angekurbelt.

Als Romance-Autorin kann man in seinem Genre sehr erfolgreich sein, aber man bleibt doch meist in seiner Blase. Die Serie hat diesen Bann gebrochen und auch Menschen an die Thematik herangeführt, die sonst kaum etwas mit Romance-Literatur zu tun haben. Heute gibt es meine Bücher in 42 Sprachen. Deutsch war die dritte Sprache, in die ich übersetzt wurde. Mich gibt es also schon sehr lange in Deutschland.

Glauben Sie, dass der Erfolg daher rührt, dass sich die Leute einen Gegenentwurf zur Technologie mit all ihren Veränderungen wünschen?

Die Veränderung durch künstliche Intelligenz und Technik im Allgemeinen ist nicht neu; die Medien berichten nur im Moment sehr viel darüber. Ich glaube, dass die Pandemie mit ihren Lockdowns und Ausgangssperren gezeigt hat, wie sehr wir menschliche Verbindungen brauchen. Und die Netflix-Serie und meine Geschichten drehen sich nur um menschliche Beziehungen. Es geht um Liebe, um Menschen, die im Großen und Ganzen nett und freundlich sind. Es ist wie ein Märchen, nur ohne Magie, sondern aus dem richtigen Leben.

Das Schönste an den Geschichten ist, dass es immer ein Happy End gibt.

Genau deshalb sind Romance-Romane so erfolgreich. Sie geben die Garantie auf ein Happy End.

Wenn Sie an die Netflix-Adaption denken, was ist anders im Vergleich zu Ihren Büchern?

Die Bücher als auch die Netflix-Serie basieren auf einer achtteiligen Buchreihe. Jedoch funktioniert Film anders als Literatur. Die Charaktere wurden für die Serie viel stärker herausgearbeitet. Die Featheringtons spielen zum Beispiel im Buch keine so große Rolle wie in der Netflix-Adaption. Außerdem kommt die Queen in meinen Büchern nicht vor, doch ich liebe sie in der Serie. Was Golda Rosheuvel allein mit ihrem Mund macht, ist unglaublich. Die Rolle der Queen bildet einen Rahmen der Geschichte, der für die Serie sehr wichtig ist.

© Fotografin Chona Kasinger

Und auch die weiblichen Charaktere werden immer wieder genannt, wenn es um den Erfolg der Serie geht. In der Regency-Ära waren die Frauen meist nur hübsches Beiwerk, doch Ihre Charaktere sind starke, emanzipierte Frauen.

Ich bin keine Person, die Regeln bricht oder auffällt. Deshalb finde ich es so faszinierend, gegenteilige Charaktere zu entwickeln. Ich stelle mir vor, dass die Frauen von damals auch stark waren, es häufig nur nicht zeigen konnten. Für mich ist die historische Plausibilität wichtiger als die historische Akkuratesse. Ich denke, es ist genau das, was mein Publikum lesen möchte. Ich entwickle Figuren, die zwar in ihrem historischen Kontext leben, dabei aber auch immer wieder aus ihren Rollen ausbrechen, und bringe so den modernen Twist in die Geschichte.

Die Sexszenen in Bridgerton sind auch für das weibliche Auge gemacht. Gemeine Stimmen nennen die Show auch „Bonkerton“ (engl. to bonk = Sex haben). Wie finden Sie diese Szenen?

Es ist einfach ein weiblicher Blick auf Sex, der diesen in einen gleichberechtigten Kontext setzt, der zeigt, dass beide Partner aufeinander achten und wohlwollend miteinander umgehen. Natürlich liegt bei den Paaren eine gewisse Spannung, teilweise auch etwas Aggression in der Luft. Jedoch kommt es nicht nach einem intensiven Streit zu intensivem Sex, wie es oft in Filmen dargestellt wird, sondern die Paare nähern sich aneinander an, scheinen sich zunächst nicht zu mögen, doch mit besserem Kennenlernen funkt es eben doch.

Hätten Sie denn selbst gern in der Regency-Zeit gelebt?

Nein, nicht im Geringsten.

Aber warum schreiben Sie dann darüber? Was ist so faszinierend daran?

Ich finde die romantische Vorstellung der Zeit wundervoll. Allerdings würde ich in keiner Zeit leben wollen, in der es keine Impfungen oder Antibiotika gibt. Oder in einer Zeit ohne Hygieneprodukte (lacht). Ich möchte wählen dürfen und noch viele andere Dinge machen, die den Frauen damals untersagt waren. Aber ein kurzer gedanklicher Abstecher in die Regency-Zeit macht immer wieder Spaß.

Sie haben früher auch Romance-Workshops gegeben.

Heute mache ich das eher seltener. Ich bin etwas faul im Moment (lacht). Ich stehe jedoch oft in Buchhandlungen oder in Bibliotheken als Sprecherin auf der Bühne. So kann ich auch etwas bewirken. Vor allem, weil ich in einer privilegierten Situation bin, die Honorare spenden zu können. Ich unterstütze gerade Equality Florida, die größte Organisation für Schwulen- und Lesbenrechte dort.

Warum unterstützen Sie gerade diese Organisation?

In Florida gibt es ein Gesetz, das es verbietet, im Schulunterricht über sexuelle Orientierungen zu sprechen. Das diskriminiert viele Menschen und nimmt Menschen ihre Rechte wieder weg, für die sie viele Jahre gekämpft haben. Ich meine, wer darf anderen vorschreiben, wie sie zu lieben haben? Ich schreibe über Liebe. Warum darf nicht jeder ein Happy End haben? Ich unterstütze deshalb die Menschen, die gegen das Gesetz vorgehen, indem ich Vorträge halte und finanzielle Unterstützung leiste.

Haben Sie auch negative Erfahrungen in diesem Zusammenhang gemacht?

Selbst, wenn ich wegen meiner Unterstützung einige Leser verlieren sollte, ist das für mich in Ordnung. Ich bin in einer privilegierten, also finanziell unabhängigen Situation, die es mir erlaubt, diese Dinge nicht so stark an mich heranzulassen und das zu machen, was ich wirklich fühle. Oh, da wir gerade beim Thema sind: Hier ist mein ganz persönlicher Held. Sie wartet und blickt hinter den Monitor.

Am linken Rand taucht Julia Quinns Ehemann Paul Pottinger auf und begrüßt mich mit einem „Nice to meet you“. Das ist mein Mann! (Sie strahlt in die Kamera.) Er ist Virologe und mit ein Grund, warum ich nicht in der Regency-Ära leben möchte. Ich wäre eine Bäuerin, meine Familie würde wohl auf dem Feld arbeiten (lacht).

Ja, die eleganten Kleider hätten wohl andere an.

Oh ja, die sind so wunderschön. Ich durfte mir den Fundus anschauen. Es war großartig. Oh Moment, ich zeige es Ihnen. (Sie holt ihr Handy hervor, scrollt darauf herum und zeigt mir Backstage-Aufnahmen vom Filmset mit kunterbunten Stoffbahnen, einer Wand mit der Übersicht über Daphne Bridgertons Kostüme und mehrere Modelle, die auf Büsten arrangiert wurden). Ich konnte gar nicht aufhören, die Kleider anzufassen. Es war unglaublich. Vor allem sind alle Kostüme extra für die Netflix-Serie angefertigt worden.

Sie durften ja auch schon ein schickes Kleid tragen: Im Spin-off „Queen Charlotte“ haben Sie einen kleinen Gastauftritt. Sehen wir Sie denn in der dritten Staffel von Bridgerton wieder?

Leider nein. Ich war nur ein einziges Mal am Set. Es war ein Nachtdreh. Leider darf ich Ihnen die Fotos nicht zeigen, aber es hat so viel Spaß gemacht.

Arbeiten Sie denn aktuell an einem neuen Roman, über den Sie ein bisschen erzählen möchten?

Im Moment nicht. Ich gönne mir jetzt erst mal eine kleine Auszeit und mache Urlaub. Alle, die Bridgerton lieben, sollten aber auch meine Romane rund um das Smythe-Smith-Quartett lesen. Hier gibt’s wieder sehr viel Romantik, und da all meine Geschichten auf die ein oder andere Weise verknüpft sind, tauchen auch einige Charaktere aus Bridgerton darin auf. Ich liebe die Reihe sehr und verspreche:

Auch hier gibt es wieder ein Happy End!

 

Julia Quinn (bürgerlicher Name: Julia Pottinger) wollte nach ihrem Harvard-Abschluss eigentlich Ärztin werden. Während sie auf die Aufnahme in die medizinische Fakultät der Yale-University wartete, fing sie an, historische Liebesromane zu schreiben. Diese wurden so erfolgreich, dass sie das Medizinstudium aufgab und sich ganz dem Schreiben widmete. Ihr erster Roman „Splendid“ erschien 1995. Neben ihren acht Bridgerton-Romanen, die es alle auf die Bestseller-Liste der „New York Times“ schafften, hat sie bis heute zahlreiche Romane und Buchreihen veröffentlicht, die alle in der Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts spielen, darunter die Smythe-Smith- oder die Rokesby-Reihe. Die Bridgerton-Romane sind bisher ihre erfolgreichsten Bücher und wurden in 42 Sprachen übersetzt.

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