Julia Best of Band 240

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GEFANGEN IM HAREM DES SCHEICHS
In den dunklen Augen von Scheich Rakhal Alzirz glaubt Natasha die schimmernden Sterne der Wüste zu entdecken, und als er mit ihr flirtet, lässt sie sich zu einer Nacht mit ihm hinreißen. Mit Folgen, die sie direkt in den Harem des feurigen Scheichs führen ...


DAS HERZ DES WÜSTENPRINZEN
„Nur ein einziges Mal …“, beschwören Amy und Emir einander, als er sie auf starken Armen ins Schlafgemach trägt. Die Nanny weiß, dass der Wüstensohn ihr sein Herz nicht schenken darf: Die Gesetze seines Scheichtums verbieten ihre Liebe. Doch wer könnte sie ändern, wenn nicht er?

KÜSSE - HEISSER ALS DER WÜSTENWIND
Scheich Zahids leidenschaftliche Küsse heilen die schlimmsten Wunden: Trinity kann endlich die Liebe wieder genießen! Sie sehnt sich nach seinen Lippen auf ihrer erhitzten Haut – und hat Angst vor dem Moment, in dem er ihr düsteres Geheimnis erfährt!


  • Erscheinungstag 04.06.2021
  • Bandnummer 240
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502849
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli

JULIA BEST OF BAND 240

PROLOG

„Ich werde erst am Montag zurückkehren“, beharrte Kronprinz Scheich Rakhal Alzirz. „Doch nun zu wichtigeren Dingen.“

„Aber der König verlangt, dass Sie sofort aus London abreisen.“

Rakhals Blick wurde eisig. Es kam selten vor, dass Abdul derart drängte, wenn Rakhal seine Meinung zu einem Thema deutlich gemacht hatte. Denn der Kronprinz änderte seine Meinung nicht oft. Auch nahm er grundsätzlich keine Anweisungen von anderen entgegen, nicht einmal, wenn es sich um seinen persönlichen Berater handelte. Allerdings gab Abdul in diesem Fall nur die direkte Anordnung des Königs weiter, was ihn praktisch dazu zwang, so unverfroren offen zu sprechen.

„Der König besteht darauf, dass Sie morgen nach Alzirz zurückkommen. Etwas anderes wird er nicht akzeptieren.“

„Ich spreche selbst mit meinem Vater“, sagte Rakhal. „Ich werde nicht sofort abfahren, nur weil er es will.“

„Dem König geht es gesundheitlich nicht sehr gut …“ Für einen Moment schloss Abdul die Augen, Sorge und Trauer spiegelten sich auf seiner Miene wider.

„Weshalb ich ja auch zum Ende des Monats heiraten werde“, bemerkte Rakhal. „Mir ist klar, wie wichtig unserem Volk die Gewissheit ist, dass der Kronprinz verheiratet ist, vor allem jetzt, da es um die Gesundheit des Königs nicht zum Besten bestellt ist. Nichtsdestotrotz …“

Rakhal beendete den Satz nicht. Er brauchte sich nicht zu erklären. Deshalb wechselte er erneut das Thema, und sein dunkler Blick warnte Abdul, dass er es nicht noch einmal wagen sollte, zu widersprechen.

„Wie gesagt, nun zu wichtigeren Dingen.“ Er wartete das Nicken des Beraters nicht ab. „Wir brauchen ein passendes Geschenk, um die heutigen Neuigkeiten aus Alzan zu feiern. Ich möchte Scheich König Emir Alzan meine Freude ausdrücken.“ Ein finsteres Lächeln zuckte um Rakhals volle Lippen. Denn trotz der Nachrichten über den Zustand seines Vaters, trotz des Befehls, sofort nach Alzirz zurückzukehren und sich eine Braut zu suchen, hatte es diese Woche doch zumindest eine gute Neuigkeit gegeben.

Genau genommen sogar zwei.

„Etwas in leuchtendem Rosa“, sagte Rakhal, und zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte auch Abdul. Ja, es waren wirklich gute Neuigkeiten. Die Geburt der königlichen Zwillingsmädchen in Alzan verschaffte dem Königreich Alzirz den dringend benötigten Aufschub. Wenn auch sicherlich nicht lange, denn König Emir und seine Frau würden wahrscheinlich schon sehr bald auch einen Sohn bekommen. Doch im Moment gab es Grund zum Lächeln.

Vor langer Zeit waren Alzirz und Alzan ein Reich gewesen – Alzanirz. Doch es hatte Unruhen gegeben, und der damalige Sultan hatte nach einer Lösung gesucht. Die Geburt seiner Zwillingssöhne hatte diese dann geboten, denn nach seinem Tod war das Reich zwischen seinen Söhnen aufgeteilt worden.

Dies war allerdings keine endgültige Lösung, denn Mathematiker und Propheten waren sich einig, dass mit der Zeit, wenn auch vielleicht erst in Hunderten von Jahren, die beiden Länder wieder ein Reich werden würden. Um eine Wiedervereinigung der beiden Länder zu ermöglichen, war deswegen in jedem Land je ein spezielles Gesetz erlassen worden, das nicht umgangen werden konnte.

Nur der Herrscher des einen Landes konnte das Gesetz des anderen Landes aufheben.

In Alzirz, dem Land, in dem Rakhal König werden würde, konnte der Herrscher nur einmal in seinem Leben heiraten, und das erstgeborene Kind, gleich ob Mädchen oder Junge, wurde zum Thronerben.

Rakhals Mutter Layla, die immer ihrem Beduinenleben nachgetrauert hatte, war bei der Geburt ihres Sohnes gestorben. Das ganze Land hatte den Atem angehalten, während der winzige, viel zu früh geborene Thronfolger ums Überleben kämpfte. Eine Zeit lang hatte es tatsächlich so ausgesehen, als würde sich die Prophezeiung bewahrheiten und das Königreich Alzirz unter die Regentschaft des Königs von Alzan gestellt werden. Doch Rakhal überlebte und wuchs zu einem starken jungen Mann heran.

Das spezielle Gesetz für Alzan wiederum sah vor, dass der König nach dem Tod seiner Gemahlin wieder heiraten konnte, dass aber nur ein männlicher Nachkomme den Thron besteigen durfte. Und mit dem heutigen Morgen war König Emir Vater von zwei kleinen Mädchen geworden. Oh, wie man heute in Alzirz feiern würde! Das Land war sicher!

Vorerst.

Nachdem Rakhal nunmehr sein drittes Lebensjahrzehnt begonnen hatte, konnte er es nicht länger aufschieben. Oft genug hatte er mit seinem Vater über dieses Thema gestritten, doch inzwischen sah er ein, dass es Zeit für ihn wurde, sich eine Braut zu suchen. Eine Frau, mit der er nur an ihren fruchtbaren Tagen schlafen würde. Eine Frau, mit der er nur für die Zeugung von Nachkommen, zu formellen Anlässen und besonderen Gelegenheiten zusammenkommen würde. Ansonsten würde sie ein Luxusleben in ihrem eigenen Flügel im Palast führen und sich um das Aufziehen der Kinder kümmern, die er ebenfalls nur selten sehen würde.

Emir dagegen würde seine Kinder ständig sehen …

Rakhal wusste um die Dunkelheit, die in ihm auflebte, sobald er an seinen Rivalen dachte. Aber ihm wäre nie in den Sinn gekommen, es als Eifersucht zu bezeichnen. Denn er war überzeugt, dass er alles hatte, was man sich wünschen konnte.

„Haben Sie eventuell schon eine Idee für das Geschenk?“, drang Abduls Frage in seine Gedanken.

„Zwei rosa Diamanten vielleicht?“, überlegte Rakhal, verwarf die Idee jedoch sofort wieder. „Nein. Das muss ich mir noch genauer überlegen. Es sollte etwas Subtiles sein, etwas, das die Wut Emirs aufschäumen lässt, wenn er das Geschenk erhält.“ Natürlich gingen er und Emir mit ausgewählter Höflichkeit miteinander um, wann immer sie sich trafen, dennoch herrschte eine tiefe Rivalität zwischen ihnen. Eine Rivalität, die schon lange vor ihrer Geburt existiert hatte und die auch an die kommenden Generationen weitergegeben werden würde. „Ich denke, dieses Mal werde ich es genießen, das Geschenk selbst auszusuchen.“

„Wie Sie wünschen.“ Abdul sammelte alle Papiere ein und schickte sich an, das Arbeitszimmer in Rakhals luxuriöser Hotelsuite zu verlassen. An der Tür konnte er sich jedoch nicht zurückhalten. „Und Sie reden noch mit dem König?“

Ohne Antwort schickte Rakhal seinen Berater mit einem Wink fort. Er hatte gesagt, dass er mit dem König sprechen würde, das sollte genug sein.

Und ja, der Kronprinz rief seinen Vater noch am gleichen Tag an. Rakhal war wohl der einzige Mensch in Alzirz, der sich vom König nicht einschüchtern ließ.

„Du wirst auf der Stelle zurückkommen“, verlangte der König. „Das Volk wird unruhig. Die Menschen müssen wissen, dass du dir eine Braut ausgesucht hast. Und bevor ich ins Grab gehe, will ich sicher sein, dass du für einen Erben sorgst. Du kommst zurück und heiratest.“

„Natürlich“, erwiderte Rakhal ruhig. Dem wollte er gar nicht widersprechen. Aber er weigerte sich, nach seines Vaters Pfeife zu tanzen. Beide Männer waren geborene Führungspersönlichkeiten, ließen sich nur höchst ungern sagen, was sie zu tun und zu lassen hatten, und gerieten daher häufiger aneinander. Zudem gab es einen weiteren Grund, weshalb Rakhal auf seinem Standpunkt beharrte und seinem Vater sagte, dass er erst am Montag zurückkommen würde. Sollte er ohne Protest in ein Flugzeug steigen, dann wäre seinem Vater sofort klar, dass es schlecht um ihn stand.

Dass er sterben würde.

Rakhal legte das Telefon beiseite und stützte den Kopf in die Hände. Gerade gestern hatte er ein ausführliches Gespräch mit dem Hofarzt geführt, jetzt wusste er mehr als der König. Sein Vater hatte nur noch wenige Monate zu leben.

Die Gespräche zwischen Vater und Sohn waren schon immer steif und schwierig gewesen. Rakhal war von Dienerinnen aufgezogen worden und hatte seinen Vater nur zu besonderen Gelegenheiten zu Gesicht bekommen. Jetzt allerdings, da die Thronübernahme immer näher rückte, schien sein Vater ihm jeden seiner Schritte vorschreiben zu wollen.

Deshalb zog Rakhal es ja auch vor, in London zu sein, er genoss die Freiheit hier. Frauen redeten hier frei und offen über Sex und erwarteten auch gewisse Dinge von ihrem Partner. Die Stadt gefiel ihm, und durch Zufall hatte er herausgefunden, dass seine Eltern ihn genau hier in diesem Hotel gezeugt hatten. Ein Bruch mit den Wüstenregeln, der nicht nur seine Mutter das Leben gekostet hatte, sondern auch eine Bedrohung für das Land gewesen war, dessen Regent er bald sein würde.

Rakhal stellte sich ans Fenster, sah in den grauen Himmel und auf die regennassen, geschäftigen Straßen.

Aber es war die Wüste, in die er gehörte. Zu der er zurückkehren musste.

Die Wüste rief ihn.

1. KAPITEL

Gelangweilt erklärte die Polizistin Natasha, wie sie das Formular ausfüllen musste.

Sicher war es kein aufsehenerregender Fall der Kriminalgeschichte, dass ihr Auto gestohlen worden war, eigentlich auch keine große Katastrophe. Aber nach den Ereignissen der letzten Zeit hätte Natasha gut die Hände vors Gesicht schlagen und laut losheulen können.

Was sie natürlich nicht tat. Sie erledigte, was erledigt werden musste. Das machte sie jetzt schon seit einem Jahr. Es tropfte aus ihrem langen roten Haar, als Natasha sich über den Schalter beugte, und sich eine regennasse Strähne aus den Augen strich. Ihre Finger waren steif vor Kälte. Wenn man ihren Wagen schon stehlen musste … hätten sie nicht noch zwei Tage damit warten können? Dann hätte sie wenigstens nichts davon gewusst.

Eigentlich hatte Natasha nämlich heute an diesem grässlichen Tag ihren Urlaub planen wollen. Es war der Todestag ihrer Eltern, und sie hatte sich vorgenommen, irgendetwas Besonderes zu diesem Anlass zu unternehmen. Entschlossen, mit ihrem Leben weiterzumachen, hatte sie auf den Rat ihrer Freunde gehört. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, es musste ja nicht teuer sein.

Als Vertretungslehrerin war es ein Leichtes für sie gewesen, sich zwei Wochen freizunehmen. Heute hatte Natasha zum Friedhof gehen und danach zu einer Freundin fahren wollen, um dann einen einigermaßen bezahlbaren Urlaub an irgendeinem heißen Flecken auf diesem Planeten zu buchen. Stattdessen stand sie nun in einer zugigen Polizeiwache und bemühte sich, nicht auf die Frau neben sich zu hören, die Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattete.

Die Stimme der Polizistin erstarb plötzlich mitten im Satz. Eigentlich schien jedes Geräusch im Raum zu verstummen. Natasha sah hoch, als die Tür zu einem Nebenzimmer aufging.

Sie verfolgte mit, wie die Wangen der Polizistin rot anliefen, und als sie dem Blick der Frau folgte, wusste sie auch, warum. Der vermutlich attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, trat durch die Tür in den Raum.

Nein, definitiv der attraktivste, ergänzte sie in Gedanken, als er sich an den Schalter stellte. Groß, exotisch dunkel, so elegant, dass er sogar mit einem blauen Auge und zerrissenem Hemd fantastisch aussah.

Unrasiert, das schwarze Haar zerzaust, stand er da. Das zerrissene Hemd gab den Blick auf eine muskulöse braune Schulter frei. Er gab es schließlich auf, die zerbrochenen Knöpfe seines Hemdes schließen zu wollen, und stopfte es sich nur in den Hosenbund. Auch wenn Natasha den Blick wieder auf das Formular wandte, so tanzte dennoch das Bild eines flachen Bauchs mit seidigen schwarzen Härchen vor ihren Augen. Jetzt konnte sie sich nicht einmal mehr an das Nummernschild ihres Wagens erinnern, obwohl sie das Auto schon seit fünf Jahren besaß!

„Können wir Sie wirklich nicht nach Hause fahren?“, hörte Natasha den Sergeant fragen.

„Das ist nicht nötig.“

Seine Stimme war tief und weich, und er sprach mit Akzent. Trotz der Umstände schien er derjenige zu sein, der die Kontrolle über die Situation hatte. Eine Aura von Überlegenheit umgab den fremden Mann, als er sein Jackett von dem Sergeant entgegennahm und mit einer Hand abklopfte, bevor er es überzog. Die Geste wirkte wie ein beleidigter Vorwurf, vor allem, als tatsächlich etwas Staub in die Luft stieg. Damit sagte er jedem hier deutlich, dass er besser war als alle Anwesenden.

„Wir bedauern dieses Missverständnis zutiefst und müssen uns entschuldigen …“, sagte der Sergeant jetzt.

Hastig senkte Natasha den Blick wieder auf ihr Formular, als er sich auf die Bank direkt hinter ihr setzte, um seine Schnürsenkel zu binden. Ein köstlicher Duft wehte ihr in die Nase, Rasierwasser gemischt mit Mann, und trotz ihrer besten Vorsätze tat ihr Körper aus eigenem Willen das, was sie so unbedingt vermeiden wollte – sie sah zu ihm hin.

Sah in ein Gesicht, das überwältigend schön war, in Augen, die auf den ersten Blick schwarz schienen, doch wenn man genauer hinsah, mitternachtsblau waren. Und er ließ es zu, dass sie ihn anstarrte, ließ sie in die dunklen Tiefen eintauchen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder darauf richtete, sich die Schuhe zu binden. Natasha blieb wie benommen zurück, bis der Sergeant wieder sprach.

„Ich kann nur immer wieder betonen, Hoheit …“

Hoheit! Kein Wunder, dass der Sergeant zu Kreuze kroch! Hier handelte es sich wohl um einen diplomatischen Zwischenfall!

„… dass es uns sehr leidtut.“

„Sie haben nur Ihre Pflicht getan.“ Die Schnürsenkel geschlossen, richtete der Fremde sich zu seiner ganzen imposanten Größe auf. „Und ich hätte überhaupt nicht dort sein sollen, das ist mir inzwischen klar.“ Sein knappes Nicken schien seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. „Vergessen wir den Vorfall.“ Dem Sergeant war die Erleichterung anzusehen, obwohl Seine Hoheit jetzt mit den Fingern schnippte. „Mein Telefon …“

„Natürlich, sofort …“

Natasha kam schier um vor Neugier. Was mochte da passiert sein? Nur leider konnte sie das Ausfüllen des Formulars nicht noch länger hinausziehen. Seltsamerweise spürte sie seinen Blick auf ihrem Rücken, als sie mit der Beamtin sprach, und als sie sich wieder umdrehte, begegneten sich ihr und sein Blick zum zweiten Mal. Nur kurz, denn Natasha schaute schnell beiseite. Sie meinte, eine Einladung in seinen Augen gelesen zu haben, auch wenn sich das mit Logik nicht erklären ließ.

„Guten Morgen.“

Seine Worte klangen sehr betont und waren auch definitiv an sie gerichtet. Sie war also gezwungen, den Blick wieder auf ihn zu richten, denn den Gruß nicht zu erwidern wäre unhöflich gewesen.

„Morgen …“

Seine Lippen verzogen sich, wenn auch nur unmerklich, aber es war eindeutig da. So als würde er ihre Stimme angenehm finden, so als hätte er gewonnen. Bizarrerweise fühlte Natasha sich bedroht. Ihr Puls ging schneller, genau wie ihr Atem. Der Instinkt riet ihr, loszurennen, vor allem, als dieser hochmütige Mund sich noch ein wenig mehr zu einem Halblächeln verzog. Es war wie ein Locken, und jetzt verstand sie auch dieses Gefühl der Bedrohung. Denn ihr Körper wollte noch immer rennen – auf ihn zu.

Sie bedankte sich bei der Polizistin für die Hilfe, und – sie hatte keine andere Wahl – ging an dem Fremden vorbei Richtung Ausgang.

Eine kaum zu bewältigende Aufgabe, denn noch nie war ihr Bewusstsein so geschärft gewesen. Nicht nur für ihn, sondern auch für den eigenen Körper. Ihre Stiefelabsätze klapperten auf dem Fliesenboden, ihr Geruchssinn nahm erneut seinen Duft wahr, und sein Blick brannte auf ihrer Haut, als er sie unverhohlen auf ihrem Weg zum Ausgang beobachtete.

Es war eine Erleichterung, wieder im Regen zu stehen. Noch nie hatte sie mit der Aufmerksamkeit eines so überwältigenden Mannes umgehen müssen. Mit eiligen Schritten entfernte Natasha sich von der Polizeiwache und begann zu rennen, als sie ihren Bus kommen sah. Natürlich verpasste sie ihn, rannte ihm noch ein Stückchen nach und hätte am liebsten mit der Faust an die Tür gehämmert, als er an ihr vorbeifuhr.

Sie wollte sich nicht umdrehen, denn sie wusste, was sie dann sehen würde, und zog sich stattdessen in das leere Häuschen der Bushaltestelle zurück. Er verließ die Polizeiwache, stieg die Stufen in seinem leicht besudelten Smoking hinunter, doch statt den Kragen aufzustellen, wie es wohl jeder bei diesem Wetter gemacht hätte, hob er das Gesicht mit geschlossenen Augen in den kalten Regen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

Er machte einen verregneten Wintermorgen plötzlich wundervoll. Allein mit diesem Bild verwandelte der fremde Mann den ganzen elenden Tag in etwas Großartiges. Natasha beobachtete gebannt, wie er sein Handy hervorholte und jemanden anrief. Offensichtlich wusste er nicht, wo er war, denn er drehte sich suchend um, und ging ein Stück vor, bis er ein Straßenschild gefunden hatte.

Nein, dieser Mann passte nicht hierher.

Jetzt ließ er das Handy in seine Tasche zurückgleiten und lehnte sich an die Hauswand. In diesem Augenblick ertappte er Natasha dabei, wie sie ihn anstarrte. Sie tat, als hätte sie es nicht getan, wandte den Blick bewusst langsam auf die Straße, so als würde sie nach dem nächsten Bus Ausschau halten. Aber sie konnte ihn noch immer aus dem Augenwinkel sehen. Er hatte sich von der Hauswand abgestoßen und kam auf sie zu.

Ihr Herz begann zu rasen, als er sich zu ihr in ihr Refugium stellte. Nur wusste sie noch immer nicht, wovor sie eigentlich Schutz suchte.

Der schöne Fremde stand ihr etwas näher, als die Höflichkeit erlaubte. Natasha hätte nicht sagen können, warum sie diesen Eindruck hatte, vor allem, wenn sie in wenigen Minuten hier bald wie die Sardinen gedrängt stehen würden. Doch im Moment warteten hier nur sie beide, und deshalb war er ihr einfach zu nah. Außerdem glaubte sie nicht, dass er hier sein müsste. Seine Leute hatten Seiner Hoheit bestimmt nicht geraten, den Bus zu nehmen.

Was also machte er hier? Und für welches Missverständnis hatte der Sergeant sich entschuldigt?

„Der Ehemann kam nach Hause.“

Leise beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. Trotz aller Bemühungen lachte sie nervös auf und drehte den Kopf zu ihm hin. Und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Denn darauf hatte er gewartet; seine Augen, sein Gesicht, sein Duft, sein ganzer Körper hatte darauf gewartet. Fast war er zu schön, um sich mit ihm zu unterhalten. Vielleicht wäre es besser, wenn er einfach nur eine bildliche Erinnerung bleiben würde, als wenn er durch die schnöde Wahrheit beschmutzt wurde.

Eine Warnung stieg tief in ihr auf. Dass sie sich nicht auf ihn einlassen sollte. Dass es sicherer war, ihn einfach zu ignorieren. Nur konnte sie das nicht, und ihr Blick wanderte zu seinen Lippen, als er weitersprach.

„Er hielt mich für einen Dieb.“

Rakhal starrte in grüne Augen, sah das Rot in ihre Wangen ziehen, so wie beim letzten Mal, als ihre Blicke aufeinandergetroffen waren. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, doch nur kurz, denn schnell schien sie ihre Meinung geändert zu haben.

„Genau betrachtet waren Sie das wohl auch“, sagte sie streng.

Die fremde Frau sah wieder die Straße hinauf nach dem Bus, und Rakhal verspürte den seltenen Drang, eine Erklärung zu liefern. Das, was gestern Nacht passiert war, würde ein nur wenig schmeichelhaftes Licht auf ihn werfen, doch sie musste wissen, warum man ihn eingesperrt hatte, wenn sie einander näher kennenlernen wollten.

Und Rakhal wollte es auf jeden Fall.

Diese Frau besaß eine rare Schönheit. Normalweiser reizten Rotschöpfe ihn nicht, aber an diesem heutigen Morgen faszinierte ihn die Farbe. Dunkel vom Regen lag ihr Haar in langen Strähnen über dem Trenchcoat. Er wollte es mit einem Handtuch trockenfrottieren, bis die Rot- und Goldtöne langsam zum Vorschein kamen. Ihm gefiel auch ihre helle Haut, die ihre Gefühle so leicht verrieten. Jetzt war das Rot an ihrem Hals zu sehen. Und ihre Augen … er wünschte, sie würde den Kopf drehen und ihn ansehen, damit er noch einmal einen Blick auf das leuchtende Grün werfen konnte.

„Ich hatte keine Ahnung …“, setzte er das Gespräch fort und beobachtete, wie das Rot bis in ihr Ohr stieg. „Natürlich ist das keine Entschuldigung.“

Aber es war der Grund, weshalb er dem Sergeant hatte versichern können, dass es keinen weiteren Zwischenfall geben würde. Denn im Grunde genommen hatte die Unbekannte recht. Ja, er hatte Diebstahl begangen. Und das nagte an ihm. Zu seiner Entschuldigung konnte man nur vorbringen, dass manche Frauen ihren Ehering abzogen und in der Handtasche verschwinden ließen, wenn er einen Raum betrat.

„Und wieso waren Sie auf der Wache?“

Natasha war versucht, ihn zu ignorieren, doch das würde ihm nur zeigen, welche Wirkung er auf sie hatte. Deshalb würde sie also Konversation mit ihm machen wie mit jedem anderen, den sie zufällig an der Bushaltestelle getroffen hätte. „Mein Auto wurde gestohlen.“

„Das muss unangenehm sein.“ Rakhal konnte sehen, wie sie die Schultern versteifte.

„Ein wenig schon, ja.“ Es war wesentlich mehr als nur „unangenehm“. Nun, für ihn als reichen Aristokraten mochte so etwas eine Bagatelle sein. Doch das war wohl ein wenig unfair. Er hatte ihr nichts getan. Es lag an ihrer Reaktion auf ihn, dass sie so gereizt war. „Eigentlich wollte ich in Urlaub fahren.“

„Mit dem Auto?“

Sie lachte. Gott bewahre! „Nein.“ Sie drehte sich halb zu ihm um, es schien ihr unhöflich, sich über die Schulter mit ihm zu unterhalten. „Auf den Kontinent.“

„Und Sie brauchen Ihren Wagen, um zum Flughafen zu kommen?“

Es war einfacher, wenn sie nur nickte. Sie betete, dass der Bus bald kam.

Schweigend standen sie da, während missmutige morgendliche Pendler sich in das schützende Häuschen drängten, sodass sie bald noch näher beieinander standen. Natasha erhaschte wieder seinen Duft, und sie hatte das Gefühl, als würde er jedes einzelne ihrer Haare zählen.

Völlig unerwartet nahm er das Gespräch wieder auf. „Könnten Sie sich nicht ein Taxi nehmen?“

Jetzt drehte sie sich endlich ganz zu ihm um. Rakhal freute sich über den kleinen Sieg, genau wie er die kleine Schlacht genossen hatte. Denn nur selten war eine Frau so unwillig, aber es gab keine, deren Meinung er nicht ändern konnte.

„Es ist etwas komplizierter als das.“

Es war sogar sehr viel komplizierter als das. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich einen Urlaub gar nicht leisten. Sie hatte ihrem Bruder ziemlich viel Geld geliehen, damit er seine Spielschulden begleichen konnte. Sie brauchte einfach nur Abstand, denn so schnell würden sich Marks Probleme nicht lösen lassen. Nur brauchte dieser faszinierende Fremde das nicht zu wissen.

„Wieso?“

Der Mann war hartnäckig. Andere hätten längst geschwiegen. „Es ist eben so“, antwortete sie.

Er runzelte die Stirn. Offensichtlich erwartete er tatsächlich, dass sie es ihm erklärte.

Einem Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte? Von dem sie nichts wusste, außer dass er wenig Achtung vor gesellschaftlichen Normen hatte?

Auch jetzt verhielt er sich nicht normgerecht: Während die Schlange der wartenden Pendler immer länger wurde und die Leute drängelten, um unter das schützende Dach der Haltestelle zu gelangen, fasste er ihren Ellbogen und stellte sich schützend hinter sie. Es mochte männlich wirken, aber ihrer Meinung nach war es einfach nur unverfroren.

Genauso unverfroren wie ihre Gedanken. Denn für einen Moment stellte sie sich doch tatsächlich vor, dass er sie in dem Gedränge küssen würde. Ein gefährlicher Gedanke, den sie lieber nicht weiter verfolgte. Natasha zog ihren Arm aus seinem Griff und hätte nicht sagen können, ob es Erleichterung oder Bedauern war, als sie den herankommenden Bus erblickte.

Sie hob den Arm, um den Bus heranzuwinken, und er tat genau das Gleiche. Allerdings wurde ihr sehr schnell klar, dass er nicht den Bus heranwinkte, sondern eine lange schwarze Limousine mit getönten Scheiben. Der Wagen setzte den Blinker und bremste vor der Haltestelle ab.

„Gestatten Sie mir, Sie nach Hause zu bringen.“

„Nein!“ Die Panik war deutlich in ihrer Stimme zu hören, aber nicht wegen seines Angebots. Wenn die Limousine hier stand, würde der Bus nicht halten. „Der Wagen darf hier nicht parken …“

Weder schien er ihre Aufregung zu verstehen, noch war er scheinbar in der Lage, selbst eine Autotür aufzuziehen. Denn in aller Seelenruhe wartete er ab, bis ein Mann in einer langen Robe ausstieg und die Tür für ihn aufhielt. „Ich bestehe darauf“, sagte er.

„So gehen Sie doch endlich!“, drängte sie, doch es war bereits zu spät. Der Bus fuhr an der von der Limousine blockierten Haltestelle vorbei, und Natasha hörte den empörten Protest in der Schlange hinter sich aufbranden – was den Fremden jedoch nicht im Geringsten berührte. „Jetzt habe ich Ihretwegen meinen Bus verpasst!“

„Dann muss ich Sie also jetzt nach Hause bringen.“

Natasha wusste, man stieg nicht zu Fremden in den Wagen. Wie sie auch wusste, dass dieser Fremde eine völlig unverständliche Wirkung auf sie ausübte. Aber es war kalt und sie war durchnässt und sie hatte keine Lust, sich mit verärgerten Pendlern auseinanderzusetzen. Es gab also genauso viele Gründe, um das Angebot anzunehmen wie um es auszuschlagen.

Der wahre Grund, weshalb sie letztendlich in die Limousine stieg, ließ sich allerdings nicht rechtfertigen – sie wollte die Zeit mit dem Fremden so weit wie möglich verlängern, bevor es zu Ende ging.

Im Wagen war es angenehm warm. Arabische Musik spielte leise, als sie sich in die weichen Polster sinken ließ. Natasha kam sich vor, als wäre sie in eine andere Welt versetzt worden. Der Mann in der Robe reichte ihr eine kleine Tasse ohne Henkel. In ihrem Kopf hörte sie die warnende Stimme ihrer Mutter, dass sie verrückt wäre, das Getränk zu akzeptieren …

„Tee“, klärte Seine Hoheit sie auf.

Ja, ihre Mutter hätte sie gewarnt. Aber inzwischen war sie vierundzwanzig, und so nahm sie die Tasse nach kurzem Zögern an. Der Tee war süß und stark, und es war viel angenehmer, in diesem luxuriösen warmen Wagenfond zu sitzen als an der Bushaltestelle zu frieren, dennoch entspannte sie sich nicht. Wie sollte sie auch, wenn er ihr gegenübersaß und darauf wartete, dass sie ihn ansah?

„Wo wohnen Sie?“

Sie nannte ihm die Adresse, es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig.

„Sie müssen mir verzeihen“, sagte er jetzt. „Ein paar Stunden in der Arrestzelle, und schon vergesse ich meine Manieren. Ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Ich bin Scheich Rakhal, Kronprinz von Alzirz.“

„Natasha Winters.“ Es gab keinen Titel, den sie hätte hinzufügen können, doch er lächelte leicht, als ihr doch noch etwas einfiel. „Von London.“

Die Unterhaltung blieb höflich und etwas steif. Er erkundigte sich nach ihrem Urlaubsziel und schien erstaunt über das Konzept, eine Pauschalreise über ein Reisebüro oder online zu buchen. Dann erzählte er, dass er geschäftlich in London sei und oft herkomme, in Kürze aber wieder nach Hause fliegen würde.

„Und Sie sind bereits zu Hause“, sagte er, als der Wagen am Straßenrand anhielt.

Natasha hatte das Gefühl, dass es damit trotzdem noch nicht zu Ende war.

„Darf ich Sie heute Abend zum Dinner ausführen?“, fragte Rakhal da auch schon. Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab. „Ich hole Sie um sieben Uhr ab.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, ich habe schon etwas vor.“

Eine Lüge, da war er sicher. Ebenso sicher war er, dass sie versucht war, seine Einladung anzunehmen. Aber sie hatten sich auf einer Polizeiwache getroffen, und sein blaues Auge war Beweis für die Wut eines verärgerten Ehemannes. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass er mehr als Dinner im Sinn hatte.

Auch sie würde das wissen.

Ihre Reaktion auf diesen Mann schockierte Natasha, das war ihr noch nie passiert. Ein Pulsieren hing in der Luft, stellte irgendeine Verbindung zwischen ihnen her. Von diesem Mann ging eine ursprüngliche sexuelle Energie aus, und Natasha ermahnte sich, auf der Hut zu sein. Sie fasste nach dem Türgriff.

„Warten Sie.“ Rakhal legte die Finger um ihr Handgelenk.

Panik flatterte in ihrem Magen auf. Was sollte sie machen, wenn er sie nicht aussteigen ließ? Oder war die Berührung, waren seine warmen Finger auf ihrer Haut der Grund für das Flattern?

„Öffnen Sie die Tür nicht selbst.“

Es sah auch nicht so aus, als wollte er die Tür für sie öffnen. Stattdessen stieg der Mann in der Robe, der ihr auch den Tee gereicht hatte, aus und kam um den Wagen herum. Rakhals Hand lag noch immer um ihren Arm, und sie wartete. Worauf eigentlich? Eine Wiederholung der Dinnereinladung? Oder vielleicht wartete er darauf, dass sie ihn einlud, mit in ihre Wohnung zu kommen?

Natasha sah in sein schönes Gesicht, auf seine sündhaft sinnlichen Lippen, in seine Schlafzimmeraugen. Sie konnte sich genau vorstellen, wie es wäre, wenn sie zusammen auf ihr Bett fallen würden. Eine extrem gefährliche Vision. Sie zog ihre Hand zurück. „Vielen Dank, dass Sie mich nach Hause gefahren haben.“

Er sah ihr nach, wie sie zu ihrem Haus rannte, wartete, bis sie hineingegangen war, dann wies er den Fahrer an, weiterzufahren.

Stille herrschte im Wagen. Abdul würde es nicht wagen zu fragen, wie Rakhal in Polizeigewahrsam geraten war oder woher das blaue Auge stammte. Er hatte kein Recht, dem Kronprinzen Fragen zu stellen. Nein, Abdul würde ihm gleich einen Eisbeutel besorgen und still darauf hoffen, dass der Bluterguss verschwunden wäre, bevor sie nach Alzirz zurückreisten.

Aber im Moment beschäftigte Rakhal anderes als Blutergüsse und Arrestzellen. Noch niemand hatte Nein zu ihm gesagt. Er hatte es auch nie nötig gehabt, einer Frau hinterherzulaufen. Ihm war klar, dass Natasha nicht wie die anderen Frauen war, mit denen er sich normalerweise umgab, aber … es müsste ein Vergnügen sein, sie umzustimmen. Zu schade, dass er London am Montag verließ, ansonsten könnte es die Sache wert ein, sie zu umwerben. Vielleicht bei seinem nächsten Aufenthalt in London …

Aber bei seinem nächsten Londonaufenthalt wäre er bereits ein verheirateter Mann, und etwas sagte ihm, dass Natasha dann erst recht ablehnen würde.

Er wünschte, sie hätte Ja gesagt.

Natasha dachte ähnlich, sobald sie im Haus war. Jetzt, da sie nicht mehr in seiner Nähe war, konnte sie wieder logisch denken. Sie hatte soeben die Dinnereinladung des faszinierendsten Mannes auf der Welt ausgeschlagen. Im Vergleich dazu schienen der verpatzte Urlaub und der gestohlene Wagen Lappalien zu sein. Sie stellte sich ans Fenster und sah der davonfahrenden Limousine nach. Automatisch griff sie an ihr Handgelenk, an dem seine Finger gelegen hatten, und spielte in Gedanken noch einmal die Bilder ab.

Er war nichts als höflich gewesen, es war ihre Fantasie, die verrückt gespielt hatte. Sie hätte sich treten mögen!

Frustriert setzte sie sich mit ihrer Autoversicherung in Verbindung und versuchte, begeistert zu klingen, als ihre Freundin anrief, um ihr zu sagen, dass sie einen großartigen Deal für zehn Tage Teneriffa gefunden hätten. Sie würden noch heute Abend abfliegen, und ob Natasha nicht Lust hätte, sich ihnen anzuschließen?

Es war das zweite Mal an diesem Tag, dass sie ein großartiges Angebot ablehnte. Die Schulden des Bruders seien nicht ihr Problem, sagten alle ihre Freunde, doch de facto waren sie es. Natasha hatte nämlich niemanden wissen lassen, dass sie seinetwegen einen Kredit aufgenommen hatte. Deshalb verstand auch niemand, warum es ihr nach einem so schrecklichen Jahr derartig schwerfiel, sich einen kurzen Urlaub zu gönnen.

Immerhin musste man Mark zugutehalten, dass er ihr die Raten bisher pünktlich zurückgezahlt hatte, sodass Natasha langsam wieder freier atmen konnte. Die nächste Rate war morgen fällig. Als sie jedoch ihren Kontostand online aufrief, begann das wachsende Vertrauen in ihren Bruder zu wanken. Die Zahlung war nicht eingegangen, und so rief sie ihn sofort an.

„Du bekommst es nächste Woche.“

Mit geschlossenen Augen hörte sie sich seine Entschuldigungen an. „So geht das nicht, Mark. Die Rate ist morgen fällig, und ich kann es mir nicht leisten, das vorzustrecken.“ Nur gut, dass sie dem Urlaub nicht zugesagt hatte! „Mein Wagen ist in der Nacht gestohlen worden.“ Nein, sie würde jetzt nicht anfangen zu heulen, sie war tough! „Als ich den Kredit für dich aufgenommen habe, hast du versprochen, pünktlich zu zahlen.“

„Ich sagte doch, du bekommst es nächste Woche. Mehr kann ich nicht tun. Hör zu … sagtest du nicht gerade, dass dein Auto gestohlen wurde?“

„Und?“

„Dann überweisen sie dir bald den Schadenersatz. Das deckt es doch.“

„Vielleicht finden sie den Wagen. Und falls nicht, ist die Summe für ein neues Auto bestimmt.“ Für heute reichte es ihr, ständig von gestohlenen Autos und Geld zu reden. „Gehst du auf den Friedhof?“

„Friedhof?“

Wut begann in ihr zu brodeln, weil ihr Bruder keine Ahnung hatte, wovon sie redete. „Heute ist ihr erster Todestag, Mark.“

„Ich weiß.“

Sie war ziemlich sicher, dass er es völlig vergessen hatte. „Also? Gehst du hin?“

Als er mit mehr Ausreden aufwartete, hängte Natasha einfach ein und ging ins Schlafzimmer. Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und grübelte darüber nach, wieso alles so falsch lief. Letztes Jahr um diese Zeit hatte das Leben so rosig ausgesehen. Sie hatte das Examen bestanden und sofort eine Anstellung als Lehrerin gefunden, sie war mit einem Mann ausgegangen, den sie wirklich mochte, und sie hatte gespart, um aus dem Elternhaus ausziehen zu können. Und sie hatte sich darauf gefreut, bald die Brautjungfer bei der Hochzeit ihres Bruders zu sein.

Innerhalb eines Jahres war alles zusammengefallen.

Als Grundschullehrerin hatte man ihr nach Ablauf des Jahresvertrags gerade eine Festanstellung angeboten, als ihre Eltern bei dem Autounfall ums Leben kamen. Sie hatte gewusst, dass sie in ihrer Trauer niemals die Verantwortung für eine eigene Schulklasse übernehmen könnte, und so hatte sie die Stelle abgelehnt. Seither schlug sie sich als Aushilfslehrerin durch. Das Testament der Eltern hatte bestimmt, dass das Elternhaus verkauft werden und der Erlös zu gleichen Teilen an die beiden Kinder gehen sollte. Mark hatte seinen Anteil haben wollen und darauf gedrängt, dass alles schnellstmöglich abgewickelt werden sollte. Es war die pure Hölle gewesen. Jason, ihr Freund, war ihr keine große Hilfe gewesen. Er hatte ihr weder Trost noch Unterstützung geboten, sondern sich einfach nur unwohl gefühlt. Letztendlich war Natasha froh gewesen, die Beziehung zu beenden.

Und so saß sie also nun ein Jahr später hier, in einem kleinen Haus, das sie für sich gekauft hatte, in dem sie sich aber noch immer nicht eingelebt hatte, und führte ein Leben, das ihr wie das einer anderen vorkam.

Trübsal blasen änderte aber nichts, und so ging sie in die Küche und genehmigte sich eine Tasse Kaffee, bevor sie ein Taxi bestellte, um zum Friedhof zu fahren. Sie konnte es einfach nicht über sich bringen, jetzt auch noch in der Kälte auf den Bus zu warten.

Auf dem Friedhof starrte Natasha auf den Grabstein. Sie hasste es, hierher zu kommen. Sollte es den Angehörigen nicht Frieden bringen? Tat es nicht. Sie fühlte nur Wut über die Ungerechtigkeit, dass ihre Eltern viel zu früh hatten sterben müssen.

Nach Hause nahm sie dann doch den Bus und wärmte sich mit einem langen Bad auf. Gestern, als sie noch für einen Urlaub geplant hatte, hatte sie ihre gesamte Garderobe auf dem Kleiderschrank gezogen, um zu überlegen, was sie mitnehmen sollte. Jetzt machte sie sich daran, das Chaos wieder aufzuräumen. Dabei wanderten ihre Gedanken automatisch zu der Begegnung mit Rakhal zurück, und sie erlaubte es sich, ein wenig zu träumen.

Was, wenn sie seine Einladung angenommen hätte?

Was trug man überhaupt zu einem Dinner mit dem Kronprinzen von Alzirz? Nun, sicherlich nichts von dem, was in ihrem Kleiderschrank hing. Obwohl … da hing es noch immer, eingepackt in eine schützende Plastikhülle – das Brautjungfernkleid für Marks und Louises Hochzeit. Louise hatte die Hochzeit eine Woche vor dem festgesetzten Termin abgesagt. Mark war am Boden zerstört gewesen. Damals hatte er mit dem Glücksspiel angefangen – zumindest hatte er das Natasha gegenüber so dargestellt, als er sie um ihre Hilfe gebeten hatte. Inzwischen fragte sie sich, ob seine Spielsucht nicht der Grund gewesen war, weshalb Louise im letzten Moment die Reißleine gezogen hatte. Marks Hang zum Glücksspiel war schließlich nicht erst kürzlich aufgetreten.

Seit der Trennung hatte sie keinen Kontakt mehr zu Louise gehabt, dabei war sie wirklich nett gewesen. Natasha unterdrückte aber den Impuls, ihre Fast-Schwägerin anzurufen. Es war unnötig, sie mit Marks Problemen zu belasten.

Stattdessen nahm Natasha die Plastikhülle heraus und zog den Reißverschluss auf. Während sie das Kleid begutachtete, wünschte sie sich, alles hätte anders laufen können.

Ein goldenes Kleid, eine lange, schlicht geschnittene Röhre mit leicht ausgestelltem Saum und dünnen Spaghettiträgern. Um den vollen Effekt zu erzielen, gehörte eine Hochsteckfrisur dazu, Make-up und der passende Schmuck.

Um ihre Stimmung aufzuhellen, steckte sie sich das Haar auf dem Kopf fest, schminkte sich, so gut sie konnte, und schlüpfte in das Kleid. Als sie dann jedoch die Perlenkette ihrer Mutter anlegte und die passenden Ohrringe einsteckte, hätte sie fast doch noch zu weinen angefangen. Nur die Angst, dass sie dann nie wieder aufhören würde, hielt sie davon ab, den Tränen freien Lauf zu lassen.

Kritisch begutachtete sie sich im Spiegel. Schon damals hatte Louise gemeint, sie sähe nicht wie die traditionelle Brautjungfer aus, sondern eher wie … Bei der Erinnerung musste Natasha lächeln. Hätte sie Rakhals Einladung angenommen, dann hätte sie wohl dieses Kleid angezogen, denn in diesem Aufzug hätte auch ein Prinz sich mit ihr sehen lassen können.

Noch immer drehten sich ihre Gedanken um ihn. Und warum auch nicht? Er war der einzige Lichtblick an diesem Tag gewesen.

Es klingelte an der Haustür. Ob das Mark war, um das Geld vorbeizubringen? Oder vielleicht ihre Tante, um zusammen mit ihr den Todestag der Eltern zu begehen?

Normalerweise wäre sie nach unten und zur Tür gerannt, doch in diesem Aufzug warf sie lieber erst einen vorsichtigen Blick zum Fenster hinaus. Aber eigentlich ahnte sie, dass er es war, noch bevor sie die Limousine vor dem Haus stehen sah.

Natasha wusste, dass sie sich irgendwie unbewusst für ihn umgezogen hatte. Wusste, dass die Begegnung heute Morgen nicht nur bei ihr Eindruck hinterlassen hatte.

Und jetzt stand er vor ihrer Tür: Rakhal.

2. KAPITEL

Den ganzen Tag hatte Rakhal sich bemüht, Natasha zu vergessen. Er hatte seine Termine wahrgenommen und dann die beeindruckend lange Liste der weiblichen Namen in seinem Telefonverzeichnis überflogen.

Heute reizte ihn keiner davon.

Er war in die Hotelbar hinuntergegangen, hatte sich in einen der wuchtigen Ledersessel gesetzt und ein Glas Wasser getrunken. Keine zwei Minuten später hatte sich ihm eine weitere Option geboten – jung, blond, schön, ein einladendes Lächeln auf den Lippen.

Ein Blick oder ein Lächeln seinerseits hätten genügt, und sie hätte sich zu ihm gesetzt. Es war immer so leicht für ihn, sowohl hier als auch zu Hause. Rakhal hatte an seinen Harem gedacht, in dem er jeden seiner Wünsche befriedigen konnte, auch nach der Hochzeit. Doch plötzlich langweilte es ihn, dass es ihm so leicht gemacht wurde. Ihm fehlte die Aufregung bei der Jagd.

Er winkte den Ober heran, und statt der Blondine ein Glas Champagner bringen zu lassen, ließ er seine Limousine vorfahren.

Und so parkte der Wagen jetzt vor Natashas Haustür, und er klopfte ein zweites Mal, energischer und ungeduldiger als noch beim ersten Mal. Rakhal hatte keine Zeit für Spielchen, und er hatte auch keine Zeit, um sich Zeit zu lassen. Den ganzen Tag schon beschäftigte sie ihn, den ganzen Tag nagte es schon an ihm – er war das erste Mal in seinem Leben zurückgewiesen worden.

Hatte Natasha etwa schon eine feste Beziehung? Aber nein, etwas an ihrem Verhalten sagte ihm, dass sie keinen Partner hatte. Da war eine Schüchternheit an ihr, eine gewisse Unerfahrenheit, die er bezaubernd fand.

Bei Frauen hatte Rakhal sich bislang nie anstrengen müssen, und er ging davon aus, dass es der Reiz des Neuen war, der ihn hergeführt hatte. Er dachte gerade, dass dieser Reiz wahrscheinlich schnell verblassen würde, doch der Gedanke löste sich in Luft auf, sobald Natasha die Tür aufzog.

Es war, als hätte sie ihn erwartet, als hätte sie geahnt, dass er kommen würde.

Hatte sie vorher bereits reizvoll ausgesehen, so war ihr Aussehen jetzt geradezu überwältigend. Ihr Haar, jetzt trocken, zeigte seine wahre Farbe. Es waren die Farben des Winterhimmels von Alzirz, wenn die Sonne am Horizont jenseits der Wüste versank, ein Feuersturm aus Rot und Orange und Gold. Rakhal wollte es offen sehen, nicht aufgesteckt … Doch das würde er, noch bevor die Nacht zu Ende war, dessen war er sicher.

„Was tun Sie hier?“ Natasha hatte ihre Panik oben im Schlafzimmer bezwungen, jetzt war sie so ruhig und gelassen, wie es ihr möglich war.

„Ich hatte doch gesagt, dass ich Sie um sieben abholen komme.“

„Und ich hatte gesagt, dass ich schon etwas vorhabe.“ Dabei wollte sie ja eigentlich Zeit mit diesem berauschenden Mann verbringen. Den ganzen Tag schalt Natasha sich schon dafür, dass sie seine Einladung abgelehnt hatte, jetzt erhielt sie eine zweite Chance. „Allerdings hat sich das zerschlagen. Meine Freundin fühlt sich nicht wohl.“ Sie konnte nur hoffen, dass das Make-up ihre roten Wangen kaschierte. Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.

„Nun, da sich Ihre Pläne geändert haben …“ Rakhal wusste, dass sie log, und er würde sie kein zweites Mal fragen. Er hatte sie eingeladen und war zu ihr gekommen, aber er bettelte nie. Stumm stand er da und wartete ihre Antwort ab.

Die Entscheidung fiel Natasha leicht. Er war noch attraktiver, als sie ihn von heute Morgen in Erinnerung hatte. Er trug einen anthrazitfarbenen Maßanzug, sein Haar, heute Morgen noch wirr, war perfekt gekämmt. Der Bluterguss um sein Auge war inzwischen dunkelviolett geworden, Natasha musste sich zurückhalten, um nicht vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Schwellung zu fahren. Dieser Mann übte eine bizarre Wirkung auf sie aus, noch nie war sie sich ihrer Weiblichkeit so bewusst gewesen.

Natasha schluckte, denn auch ihre Sexualität wurde ihr plötzlich nur allzusehr bewusst. So hatte sie noch nie gefühlt, auch nicht bei Jason. Plötzlich wünschte sie verzweifelt, die Nacht würde nie zu Ende gehen. Allerdings wusste sie auch, dass das Ende abrupt kommen würde, wenn sie jetzt nicht Ja sagte.

„Ich hole meinen Mantel.“ Sie zögerte, unsicher, ob sie ihn hereinbitten sollte. „Wollen Sie vielleicht …“

„Ich warte hier.“ Rakhal hatte ihre Gedanken erraten. Er wollte, dass diese Nacht endlich begann, und da war es besser, nicht zu wissen, ob sie allein lebte. Falls ja, durfte er die Dinge nicht zu schnell vorantreiben, doch es würde schwer werden, sie nicht zu küssen. Schon jetzt war er erregt.

Der Kronprinz drehte sich zur Straße um und besah sich die Häuser mit den gepflegten kleinen Vorgärten. Er überraschte sich selbst damit, dass er versuchte sich vorzustellen, wie sie lebte. Seltsam, aber dieses eine Mal hatte er tatsächlich das Bedürfnis, mehr über die Frau zu erfahren, mit der er die Nacht verbringen würde.

Drinnen im Haus fand Natasha ihre Handtasche und zog ihren Mantel über, beides wurde dem Kleid keinesfalls gerecht, aber es war kalt, auch wenn der Regen ausgesetzt hatte, und sie hatte nicht vor, mit bloßen Schultern und Armen auszugehen. Sie sah ihn draußen vor der Tür stehen und warten, bis sie zu ihm kam. Nervös verschloss Natasha die Haustür, dann gingen sie gemeinsam zu seinem Wagen. Dieses Mal war es der Chauffeur, der die Wagentür aufhielt, und dieses Mal gab es auch keinen Mann in langer Robe, der ihr Tee anbot. Nervosität machte sich in ihr breit, weil sie allein mit ihm war.

Doch Rakhal blieb der perfekte Gentleman, setzte sich ihr gegenüber und machte höflich Konversation, während der Wagen durch die dunklen Straßen glitt. Weder tat noch sagte er etwas Ungehöriges, machte auch keine Bemerkung darüber, wie sie angezogen war. Er musste mit makellos eleganten Frauen ausgehen. Wusste er, wie untypisch dieser Aufzug für sie war? Wie hätte er wohl reagiert, wenn sie ihm in Jeans und Pantoffeln die Tür geöffnet hätte? Hätte der Abend dann einen anderen Verlauf genommen?

Nun, heute Morgen hatte er sie vom Regen durchweicht gesehen. Sie musste absolut grässlich ausgesehen haben, und trotzdem war da Verlangen zwischen ihnen aufgeblüht. Natasha starrte auf seine Hand mit den manikürten Nägeln, die auf seinem Schenkel lag, dann wandte sie den Kopf ab, als sie merkte, dass er sie nachdenklich beobachtete.

Es war viel zu warm im Wagen, ihr Mantel wog schwer wie eine Decke. Damit begründete sie die Hitze, die sich in ihrem Körper ausbreitete, bis sie sich eingestand, dass es Verlangen war, das in ihr brannte. Zu gern hätte sie das Fenster heruntergelassen und ihr Gesicht in den kühlenden Fahrtwind gehalten. Oder sich auf seinen Schoß gesetzt, damit er sie küsste …

Der Wagen fuhr vor einem luxuriösen Hotel vor. Der Chauffeur zog den Wagenschlag auf, und Natasha spürte die neugierigen Blicke, als sie ausstieg. Sie war froh, als Rakhal an ihre Seite trat und eine Hand an ihren Ellbogen legte. Jetzt konnte sie sich einreden, dass die Leute ihn anstarrten und nicht sie.

Man begrüßte sie und führte sie in das Hotelrestaurant, und wieder drehten sich alle Köpfe. Natasha wusste, es hatte nichts mit ihr zu tun, denn an den Tischen saßen ausgewählt elegante und mit Juwelen geschmückte Frauen. Nein, es war Rakhal, der die Blicke auf sich zog, Rakhal mit seinem Aussehen, seiner Eleganz, seiner Haltung … Er war damit geboren worden. So etwas konnte man nicht erlernen.

Und heute Abend war sie es, die mit ihm dinierte.

Der Tisch war wunderschön gedeckt mit weißem Leinen, funkelndem Kristall und Silber. Doch es war nicht die luxuriöse Umgebung, die Natasha nervös machte, auch nicht sein Titel – nun, vielleicht ein wenig –, sondern der Mann selbst. Plötzlich fragte sie sich, ob sie die Einladung nicht doch hätte besser ablehnen sollen. Denn trotz seiner makellosen Manieren gab es etwas Wildes und Ungezähmtes an ihm, und sie hatte die dunkle Ahnung, dass sie sich hier vielleicht auf mehr einließ, als sie voraussehen konnte.

Die Kellner überschütteten sie mit Aufmerksamkeit, und Rakhal orderte Champagner.

„Für mich nicht, danke“, lehnte Natasha ab. „Ich ziehe Mineralwasser vor.“ Natürlich wusste sie, dass die Kosten für eine Flasche Champagner ihm nichts ausmachen würden, doch sie wollte sich nicht aushalten lassen. Außerdem schien ihr Verstand schon benebelt genug, wenn sie in seiner Nähe war. Champagner würde diesen Effekt nur noch verstärken.

Rakhal entschied sich ebenfalls für Wasser und bestellte den Champagner wieder ab. Dann wandte er sich mit der Frage an sie: „Sind Sie allergisch gegen bestimmte Nahrungsmittel? Oder gibt es etwas, das Sie partout nicht mögen?“

Was für eine ungewöhnliche Frage! „Ich werde die Speisekarte in Ruhe studieren, danke.“

„Ich treffe die Auswahl“, erwiderte Rakhal.

Natasha presste die Lippen zusammen. Sie hatte nicht vor, ihn ihr Essen auswählen zu lassen, und das sagte sie ihm auch. „Ich werde mir die Karte ansehen und dann bestellen. Dazu bin ich durchaus in der Lage.“

„Dessen bin ich mir sicher. Es ist nur so, dass ich meinen Koch gebeten habe, ein Festbankett für uns vorzubereiten, daher sollte er wissen, was Sie nicht essen.“

„Ihr Koch?“

„Ich bin regelmäßig längere Zeit in diesem Hotel, deshalb ist es mir wichtig, dass ein Koch aus Alzirz hier ist. Während meiner Abwesenheit können auch die anderen Gäste das köstliche Essen unseres Landes probieren, doch heute Abend kocht er ausschließlich für uns.“ Er sah sie schlucken. „Wenn Sie wünschen, kommt er auch gerne an unseren Tisch, um Ihre Vorlieben mit Ihnen zu besprechen.“

„Nein, das wird nicht nötig sein.“ Mit hochroten Wangen schüttelte Natasha den Kopf.

Ihre Verlegenheit konnte ihm nicht entgehen, nicht einmal bei dem schwachen Kerzenschein. „Oder hätten Sie gern eine Liste mit den Zutaten, damit Sie entscheiden können, was Ihnen zusagt und was nicht …?“ Er genoss dieses Spiel jetzt.

„Natürlich nicht. Ich bin sicher, es wird köstlich schmecken. Ich dachte nur, dass Sie wählen wollen, was ich esse …“

„Das tue ich doch.“ Er sah, wie sie blinzelte. „Heute Abend sind Sie mein Gast, und Sie sollen sich nicht mit Entscheidungen herumschlagen müssen. Nehmen wir an, ich würde morgen zu Ihnen zum Dinner kommen.“ Bei der Vorstellung wurde das Rot auf ihren Wangen noch dunkler. „Sie würden mich fragen, was ich gerne esse und was nicht, aber Sie würden mir sicher keine Speisekarte vorlegen.“ Er lehnte sich ein wenig vor. „Nun, heute Abend sind Sie mein Gast, und da ich nicht koche, habe ich meinen Koch gebeten, die Aufgabe zu übernehmen, ein Menü aus frisch eingeflogenen Zutaten aus meinem Land zuzubereiten.“

„Sie lassen Essen einfliegen?“ Wie verwöhnt war dieser Mann eigentlich? Sie nippte an ihrem Wasser.

„Ja, genau wie das Wasser“, antwortete er sachlich. „Ich trinke nur Wasser, das aus meinem Land kommt.“

Sie starrte auf das Glas in ihrer Hand. Da kostete französischer Champagner wahrscheinlich weniger. Und dann überraschte er sie ein weiteres Mal. Das tat er praktisch, seit sie sich begegnet waren.

„Wenn ich meinem Land weisen Rat geben soll, sollte mein Land mich auch ernähren.“

Der Kellner schenkte die Gläser nach, dann wurde der erste Gang serviert – verschiedene Dips, frisches Brot und Obst.

„Das Wasser stammt aus einer Quelle tief in der Wüste“, erklärte Rakhal und nahm eine Dattel und ein kleines silbernes Messer auf. „Normalerweise werden die Datteln geviertelt serviert, aber ich ziehe es vor, sie selbst zu entsteinen.“

Während sie ihm dabei zuschaute, flatterte es wild in ihrem Magen. Wie, fragte sie sich, konnte das Entsteinen einer Dattel sinnlich und verführerisch sein?

Datteln waren etwas, das ihre Großmutter zu Weihnachten auf den Tisch gestellt hatte. Datteln waren schrumpeliges Trockenobst. Datteln waren nicht sexy.

Rakhal tauchte die Frucht in eines der Schälchen, nahm damit etwas Dip auf. Dann hielt er ihr die Frucht an die Lippen, und sie akzeptierte den Bissen, öffnete den Mund, achtete darauf, dass sie nur die Frucht, nicht seine Finger berührte. Doch natürlich kam es anders, und sie musste sich zwingen, nicht seine Finger in ihren Mund zu ziehen. Die Wirkung, die dieser Mann auf sie hatte, ängstigte sie. Er lenkte ihre Gedanken in eine bedrohliche Richtung, regte ihre Fantasie an … Und als er seine Hand wieder zurückzog, da wusste sie, dass er es wusste.

Während sie auf der süßen Frucht kaute, machte sie still eine Anmerkung in ihrem Kopf: Datteln sind sexy.

„Man nennt es haysa al-tumreya.“

Seine Stimme war leise, allein für ihre Ohren bestimmt, und genüsslich kaute sie auf der süßen Dattel mit dem pikanten Dip.

„Bei uns ist die Dattelpalme der wichtigste Baum. Er beschattet die Quelle …“ Und während sie aßen, erzählte er ihr von den Oasen in der Wüste, beschrieb Früchte und Gemüse und Gerichte. Bei dem baba ganoush, das sie als Nächstes probierte, schloss sie hingerissen die Augen, um den leicht rauchigen Geschmack der Auberginen auszukosten. Und der Kronprinz erzählte weiter und sie hörte zu und aß und genoss. Und mit jedem Mal, wenn sie ihn ansah, meinte sie, dass er noch faszinierender wurde.

Ja, er hatte recht. Es war schön, keine Entscheidungen treffen zu müssen und einfach nur verwöhnt zu werden. Er erzählte von seinem Land und seinem Leben in Alzirz, und sie erzählte auch ein wenig von sich. Oder besser gesagt, er war es, der sie nach ihrer Familie fragte.

„Meine Eltern kamen letztes Jahr bei einem Autounfall ums Leben.“ Sie erwartete jetzt eine übertriebene Beileidsbekundung, doch er sah sie einfach nur an und wartete darauf, dass sie weitererzählte. „Ich habe einen Bruder – Mark.“

„Kümmert er sich um Sie?“

„Ich kümmere mich um mich selbst.“ Ihr war bewusst, dass sie ein wenig zu harsch klang, und deshalb fügte sie entschuldigend an: „Das letzte Jahr war schwierig, aber ich komme zurecht.“

Sie war dankbar für die Unterbrechung, als der nächste Gang serviert wurde. Rakhal erzählte ihr von dem Palast, der direkt am Meer stand, und der Wüste, in die er sich öfter zurückzog, um nachzudenken.

„Das klingt wunderschön.“

„Es würde Ihnen gefallen“, versicherte er überzeugt, und für einen Moment sah er sie vor sich – als schimmerndes Juwel in seinem Harem.

Irgendwann während des nächsten Gangs rückte er seinen Stuhl neben ihren und fütterte sie erneut. Natasha vergaß völlig, dass sie in einem gut besetzten Restaurant saßen, und sie vergaß auch die eigene Unerfahrenheit in Gesellschaft dieses erfahrenen Mannes. Denn sie sehnte sich danach, mehr von den Geschichten zu hören, die er mit leiser tiefer Stimme erzählte, und automatisch rückte sie noch ein wenig näher an ihn.

Auch für Rakhal hatte dieser Abend etwas Außergewöhnliches, vor allem wegen der Offenheit. Er erzählte nie einer Frau von seiner Heimat, redete nicht über seine Gedanken und sein Leben, doch in die Unterhaltung mit Natasha passte es, es war angenehm. Jetzt sprachen sie über Traditionen, und er war ehrlich, sagte ihr, dass er eines Tages nach Alzirz zurückkehren und eine Braut für sich aussuchen würde. Nun, völlig ehrlich war er nicht – er verschwieg, dass das schon sehr bald stattfinden würde.

„Wie suchen Sie sie aus?“ Natasha war ehrlich neugierig. „Muss sie reich sein? Aus einer aristokratischen Familie stammen?“

„Wir brauchen keinen zusätzlichen Reichtum. In dieser Hinsicht ist Alzirz eine Ausnahme – die königliche Familie wählt den Partner aus dem einfachen Volk. Meine Großmutter war Scheicha Königin, mein Großvater ein weiser Mann aus der Wüste. Sie wählte ihn wegen seines Wissens aus, in einer Zeit der Veränderung in unserem Land, damit die alten Traditionen und Weisheiten dennoch bewahrt blieben. Wenn ich König bin …“

„Sie werden also eines Tages König sein?“ Sie konnte die Überraschung nicht verbergen. „Haben Sie Angst davor?“

Verständnislos sah er sie an. „Ich habe niemals Angst vor etwas.“

Nein, das konnte sie sich auch nicht vorstellen. Noch nie hatte sie einen so selbstsicheren Mann getroffen. „Sie sind also der Älteste?“

„Ich habe keine Geschwister.“ Mit Zufriedenheit sah er die kleine Falte auf ihrer Stirn, denn auch in seiner Heimat waren viele Erben erwünscht. Es war wichtig für den Weiterbestand seines Landes. „Meine Mutter starb im Kindsbett.“

„Das tut mir leid.“

Rakhal hielt nicht viel von Sentimentalität. Er war nicht damit aufgewachsen, und wie sein Vater ihm erklärt hatte, konnte er niemanden vermissen, den er nie gekannt hatte. Dennoch rührte sich bei Natashas Beileidsbekundung etwas tief in ihm.

„Wie war sie?“

„Sie starb bei meiner Geburt, woher also sollte ich das wissen?“

Darüber wurde auch nie gesprochen. Er konnte sich nur an eine Gelegenheit erinnern, und zwar, als er einen uralten weisen Mann in der Wüste aufgesucht hatte, um von diesem mehr über seine Mutter zu erfahren. Heute Abend war es das erste Mal, dass jemand ihn direkt nach seiner Mutter fragte.

„Aber irgendetwas müssen Sie doch wissen, oder?“

„Sie kam aus der Wüste.“ Er erinnerte sich daran, was der Alte ihm erzählt hatte. „Aus einem noblen Stamm. Angeblich soll sie eine weise und schöne Seele gewesen sein.“

Er hatte schon zu viel preisgegeben – auf jeden Fall mehr als sonst. Rakhal senkte den Blick und bemerkte erst jetzt, dass ihre Hand in der seinen lag. Dabei war er eigentlich nicht der Mann, der Händchen hielt. Es wurde Zeit, diesen Abend wieder auf einen Kurs zu lenken, bei dem er sich sicherer fühlte. Sacht beschrieb Rakhal feine Kreise mit seinem Daumen in Natashas Handfläche, was ihr sofort das Blut in die Wangen steigen ließ. Er war des Redens müde, er wollte sie in seinem Bett haben. Doch als sie betont ihre Hand zurückzog, versuchte er auch nicht, sie festzuhalten.

„Ich sollte Sie nach Hause bringen.“

Das sollte er wohl tatsächlich, denn das Restaurant war inzwischen fast leer. Und doch war Natasha seltsam enttäuscht, als er sie durch das Foyer führte. Jeden einzelnen Moment war er der perfekte Gentleman gewesen – nur war sie nicht sicher, ob sie wirklich einen perfekten Gentleman wollte. Aber der Abend neigte sich seinem Ende zu, und sie würde ihn später nicht zu sich hineinbitten.

Vielleicht spürte Rakhal das, vielleicht wusste er, dass dies seine letzte Chance war. Er blieb stehen und drehte sie zu sich. „Hat Ihnen unser gemeinsamer Abend gefallen?“

„Ja, sehr.“

„Ich habe mich gerne mit Ihnen unterhalten, Natasha.“

Sie konnte nicht ahnen, welch seltenes Kompliment das aus seinem Mund war. Sie wusste ja nicht, dass Rakhal normalerweise keine tiefschürfenden Gespräche mit seinen Begleiterinnen führte. Aber er hatte es wirklich genossen, sich mit Natasha zu unterhalten.

Rakhal lächelte und berührte die Perle, die an ihrem Ohrläppchen hing. „Diese Ohrringe sind wunderschön.“

„Sie gehörten meiner Mutter. Normalerweise trage ich keinen Schmuck.“ Sie rückte ihren Kopf ein wenig ab, nur ein wenig, aber es reichte als Warnsignal. Ein Warnsignal, das Rakhal ignorierte. Mit der anderen Hand berührte er die Perle, die an einer Kette in ihrem Ausschnitt hing, und bewunderte ihre Schönheit. Er war umgeben von Schönheit.

„Warum nicht?“

„Ich mag es nicht …“ Sie bekam die Worte kaum über die Lippen. Sie konnte sich nicht unterhalten, wenn seine Hände so nah waren, wenn seine Finger flüchtig ihre Haut berührten. „Nur manchmal mache ich eine Ausnahme. Der Schmuck gehörte meiner Großmutter …“ Warum nur klang sie so atemlos? Und sie glaubte auch nicht, dass er an ihrer Familiengeschichte interessiert war. „Und davor ihrer Mutter …“

Rakhal hob eine rote Strähne an, die sich aus der Haarklammer gelöst hatte, ließ sie sich durch die Finger gleiten, bevor er sie ihr hinters Ohr steckte. Seine Fingerspitzen streiften dabei ihren Hals, fühlten die Wärme ihrer Haut, ihren hektisch schlagenden Puls. Er wollte ihr Haar offen sehen, wollte vom Geschmack ihres Mundes kosten, und er wollte es jetzt sofort.

Vielleicht wusste er, was sein Kuss bei ihr auslösen würde, und so drängte er sie sacht in einen Alkoven, fort von den neugierigen Blicken der anderen Gäste und des Nachtpersonals.

Natasha war plötzlich ganz allein mit dem Prinz, und in seinen Augen lag so viel Verlangen und Leidenschaft. Es ängstigte sie mehr, als er ahnen konnte.

„Vielleicht sollte ich besser …“ Sie wollte ihm sagen, dass sie besser nach Hause gehen sollte. Denn der Moment war gekommen, in dem sie gleichzeitig voller Angst und voller Verlangen war. Nur konnte sie kein Wort herausbringen, denn schon lag sein Mund auf ihrem.

Er hatte den Moment genau abgepasst, mitten in ihrem Satz, als sie mit ihren Gedanken nicht ausschließlich bei ihm war. Zuerst schmeckte er Lippenstift, sah, wie sie die Augen aufriss, und dann sah er nichts mehr, denn er schloss die Augen und fühlte nur noch. Fühlte ihr kurzes Sträuben, dann ihre Kapitulation.

Ja, sie kapitulierte, denn es war wunderbar, von Rakhal geküsst zu werden. Und der Kuss war stärker als alles andere, schaltete die Angst aus, die Logik, das Denken. Den ganzen Abend hatte sie sich gefragt, wie es wohl sein mochte, jetzt, da der Moment gekommen war, war sie völlig überrascht. Dieser Kuss übertraf alles, was sie kannte, alles, was sie sich ausgemalt hatte, alles, wovon sie geträumt hatte. Seine Lippen waren weich und doch fest – und sehr fordernd. Mit den Händen hielt er sie bei den Schultern, während er sie so vehement küsste, dass ihr erstes instinktives Sträuben sogleich erlosch.

Dann fühlte sie seine Zunge, die drängend Einlass verlangte, und ihre Reaktion erfolgte sofort. Wie von allein schoben sich ihre Finger in sein Haar und spielten mit den seidigen schwarzen Locken. Ihre Sinne erwachten zu unbekanntem Leben, und ihr Mund fügte sich seinen Vorgaben. Sie war verloren, und als er es merkte, zog er sie enger an sich, tiefer in seine Umarmung hinein.

Rakhal folgte mehr dem Instinkt als einem genauen Plan, denn auch für ihn war dieser Kuss anders. Bei diesem Kuss ging es nicht nur um das, was folgen würde.

Selten ließ er sich so mitreißen. Wenn er nach Alzirz zurückkehrte, würde jedes seiner Bedürfnisse im Harem befriedigt werden. Dort bestand keine Notwendigkeit für Küsse, keine Notwendigkeit für Zärtlichkeit. Das Vergnügen für beide Seiten lag darin, ihm zu Gefallen zu sein. Und dann würde er heiraten, und ja, seine Frau würde er küssen und er würde zärtlich zu ihr sein, denn damit wurde ein anderes Ziel verfolgt, doch nach zwei Tagen würde sie sein Bett verlassen. Solange er auf die Nachricht wartete, dass die Vereinigung erfolgreich gewesen war, würde er sich im Harem verwöhnen lassen.

Doch hier in diesem fremden Land herrschten andere Regeln, hier waren die Ansprüche der Frauen anders. Hier küsste man um des Vergnügens willens.

Und welch ein Vergnügen es war!

Seine Zunge forderte, sein Kinn war rau, sein Lippen weich, und seine Hände … so geschickt, so wissend. Er zog sie noch näher, bis sie den Beweis seiner Erregung fühlen konnte. Natasha stöhnte und vergaß alles, schmiegte sich an ihn, während ein wildes Gefühl von Losgelöstheit sie mitriss. Hemmungslosigkeit, das war es, was sie fühlte. Dass ein Mann, den sie heute Morgen getroffen hatte, sie dazu bringen konnte, ihre gesamte Moral über Bord zu werfen …

Er würde nie erfahren, welche Anstrengung es sie kostete, ihren Körper wieder unter Kontrolle zu bringen.

Rakhal fühlte, wie sie die Lippen von seinem Mund löste, und konnte sie nur bewundern. Denn er fühlte ihre Hitze, spürte ihren schnellen Atem heiß an seiner Wange, sah ihre vor Erregung geweiteten Pupillen. Nur noch einen Moment, und sie wäre gekommen … und nicht nur mit zu ihm auf sein Zimmer.

„Ich bringe dich nach Hause.“

Er spürte, wie sie bebte, und wusste, er durfte sie nicht drängen. Sie war noch Jungfrau, da war Rakhal ziemlich sicher. Heutzutage war das etwas so Seltenes.

Morgen, versprach er sich still. In seiner letzten Nacht als lediger Mann in London würde er sie in sein Bett holen.

Soviel stand fest.

3. KAPITEL

Die Fahrt verlief nicht, wie sie erwartet hatte.

Natasha hatte damit gerechnet, dass sie Rakhal würde abwehren müssen, sobald sie im Wagen saßen, vor allem, da er sich dieses Mal neben sie setzte. Sie hatte doch seine Erregung gespürt, hatte die Leidenschaft in seinem Kuss geschmeckt. Noch immer fühlten sich ihre Lippen geschwollen und empfindlich an, und ihr Körper wollte sich nicht beruhigen.

Manchmal, wenn der Wagen um eine Kurve bog, berührten sich ihre Schenkel, doch es kam zu keinem weiteren Kuss. Im Gegensatz zu Natasha wirkte Rakhal völlig gelassen, sogar ein wenig gleichgültig. Sie fragte sich, ob er verärgert war. Vielleicht dachte er ja, sie hätte ihn bewusst aufgereizt … Und als sie vor ihrem Haus hielten, wusste sie auch nicht, ob sie sich wiedersehen würden. Doch sie wünschte es sich so sehr.

Er suchte nicht nach ihrem Mund, gab ihr nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange, als der Chauffeur die Tür aufzog und kalte Luft ins Innere strömte. Rakhal wusste genau, was er hier tat. Heute Nacht würde sie brennen, würde sich an den Kuss erinnern und sich fragen, ob er sie anrufen würde. Er würde sie warten lassen, und wenn sie schon überzeugt war, dass sie ihre Chance verspielt hatte, würde die Klingel an ihrer Haustür ertönen, und Blumen und Juwelen würden sie versöhnen.

Rakhal sah ihr nach, wie sie aus dem Wagen kletterte, begutachtete ihre weiblichen Kurven, die er schon morgen zärtlich streicheln würde. Und zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage dachte er, dass es ihm Spaß machen würde, ein Geschenk auszusuchen. Er hatte Natasha geküsst, als sie Gold trug, und er würde sie in Besitz nehmen, wenn sie Silber trug. Denn ein Kleid würde ebenfalls zu seinem Geschenk gehören.

Das wusste sie aber noch nicht.

Natasha sagte sich, dass sie erleichtert sein sollte. Sie hatte einen wunderbaren Abend mit Rakhal, dem perfekter Begleiter und Gentleman, erlebt. Trotzdem fühlte sie eher Enttäuschung. Ihr Körper summte von seinen Liebkosungen, ihr Herz pochte noch immer.

Sie drehte sich zu ihm um und winkte ihm zu. Nein, sie würde ihn nicht in ihr bescheidenes Haus bitten. Doch als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, runzelte sie die Stirn, denn die Tür schwang auf, kaum dass sie sie berührt hatte. Dann sah sie, dass das Schloss aufgebrochen worden war.

Rakhal wartete noch immer darauf, dass sie ins Haus ging. Verwundert sah er zu ihr hin, als sie sich zu ihm drehte und er die Angst in ihrer Miene erkannte. Sofort stieg er aus und ging zu ihr.

Sie brauchte es nicht auszusprechen. Ein Blick in die kleine Diele reichte aus, um zu wissen, dass bei ihr eingebrochen worden war. Er schob sich an ihr vorbei ins Haus. Es war ein einziges Chaos. Schubladen waren herausgerissen worden, das Sofa aufgeschlitzt. Als Natasha nach oben rennen wollte, fasste er sie beim Handgelenk und hielt sie zurück.

„Ich sehe oben nach. Du wartest im Wagen.“

Rakhal war froh, dass er nicht gleich abgefahren war. Und froh, dass er mit ihr ausgegangen war. Was, wenn sie heute Abend zu Hause geblieben wäre?

Angst hatte er keine, als er die Treppe hinaufstieg, um nachzusehen, ob der Eindringling noch im Haus war. Aber er war irritiert, dass Natasha seine Anweisung nicht befolgte, sondern ihm nachkam.

„Geh wieder nach unten, ich sagte doch, dass du im Auto warten sollst.“

Doch sie eilte an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer, und er hörte ihren entsetzten Aufschrei. Kalte Wut packte ihn, als er in das Zimmer blickte. Die Matratze war zerschnitten, Kleider aus dem Schrank gerissen, Schuhe und Taschen lagen überall verstreut. Inzwischen war der Chauffeur ihnen nachgekommen, Rakhal sprach in Arabisch mit ihm.

„Geh mit ihm“, sagte er dann zu Natasha. „Bei ihm bist du sicher. Ich verständige die Polizei …“

„Nein, bitte nicht.“ Es waren die ersten Worte, die sie sprach, seit sie aus dem Wagen gestiegen war, und er hörte den Schock und die Angst in ihrer Stimme. „Bitte Rakhal, keine Polizei.“

„Aber natürlich. Du musst den Einbruch melden …“

„Nein!“ Sie hatte die Tränen so lange zurückgehalten, sie würde sie auch weiter zurückhalten. Sie drückte die Fingerspitzen auf die geschlossenen Lider und presste die Lippen zusammen, damit sie nicht mit den Zähnen klapperte. „Das ist genau das, was mein Bruder erreichen will.“ Sie konnte nicht fassen, dass sie das sagte, aber tief in ihrem Herzen wussteNatasha, dass sie mit ihrem Verdacht recht hatte.

Sie war unendlich dankbar für Rakhals Anwesenheit. Er stellte keine Fragen, hakte nicht nach. Stattdessen hielt er sie nur für einen Moment in seinen Armen, dann führte er sie zum Wagen zurück. Er reichte ihr einen Drink zur Stärkung und machte einige Anrufe – nicht mit der Polizei, denn er sprach in seiner Sprache.

„Meine Leute werden sich darum kümmern, das Haus abzusichern.“ Er musterte sie fragend. „Bist du sicher, dass du die Polizei nicht einschalten willst?“

„Ja. Ich werde keine Anzeige erstatten.“

„Glaubst du wirklich, dein Bruder würde dir so etwas antun?“

„Im Moment weiß ich nicht, was ich glauben soll. Aber wenn das wirklich er war … ich werde meinen eigenen Bruder nicht ins Gefängnis bringen.“ Vielleicht irrte sie sich ja, vielleicht war es ja wirklich ein simpler Einbruch. „Was soll ich jetzt tun …?“

„Ich habe es vorhin schon gesagt“, meinte Rakhal. „Heute brauchst du keine Entscheidungen zu treffen.“ Er würde sie auf keinen Fall allein hier zurücklassen. „Du kommst mit mir in mein Hotel.“

„Es ist alles geregelt.“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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