Wie zähmt man einen Herzensbrecher?

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Schon lange ist Merlina heimlich in den erfolgreichen Unternehmer Jake Devila verliebt. Doch sie weiß auch, dass sie mit einem Playboy-Boss wie ihm nie die ersehnte Familie haben wird. Selbst als er ihr nach einer sinnlichen Liebesnacht einen Antrag macht, scheint er bloß ein Spiel mit ihr zu treiben ...


  • Erscheinungstag 14.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714970
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jake Devila legte den Rasierer beiseite und gab sich auf Kinn und Wangen etwas von dem exklusiven Aftershave, auf das alle Frauen so verrückt waren. Alle, außer seiner immer korrekten persönlichen Assistentin, der unbezwingbaren Merlina Rossi. Sie rümpfte jedes Mal die Nase, als wäre ihr der Duft unangenehm.

Er lächelte sich im Spiegel zu. Vergangene Nacht war ihm ein genialer Gedanke gekommen, wie er ihre normalerweise unerschütterliche Beherrschung sprengen könnte. Es bereitete ihm jedes Mal ein ungeheures Vergnügen, sie aufzuziehen und sich dann genüsslich zurückzulehnen und zu beobachten, wie in ihren goldbraunen Augen die Funken sprühten. Die Augen einer Tigerin, dachte er oft, wobei er sich fragte, ob sie ihm je die Krallen zeigen und sich auf ihn stürzen würde. Was möglicherweise ein aufregendes Erlebnis sein könnte, wenn all die unterdrückte Leidenschaft explodieren und über ihn hereinbrechen würde.

Leider würde ein solcher Verlust der Beherrschung das reizvolle Spiel vermutlich beenden, was er nicht wollte. Mel – sie hasste im Übrigen diese Abkürzung ihres Namens, weshalb er sie erst recht so nannte und sich darüber amüsierte, wie sie es von ihm ertrug – Mel jedenfalls war das Salz in seiner Suppe und als solches ein herzerfrischender Kontrast zu all den anderen, ihn umschwärmenden Frauen, die ihm das Leben versüßten. Er würde sie sehr vermissen, wenn sie ihn verließe. Dennoch konnte er das Spiel mit dem Feuer nicht sein lassen. Es war unwiderstehlich.

Es musste jetzt fast achtzehn Monate her sein, seit er sie eingestellt hatte. Sie war die perfekte Arbeitssklavin, die all seine Anweisungen buchstabengetreu umsetzte, sich unfehlbar um seine geschäftlichen wie privaten Termine kümmerte und ihn vertrat, wenn er anderweitig beschäftigt war.

Lächelnd erinnerte sich Jake daran, während er das Bad verließ und ins Ankleidezimmer ging. Er hatte damals Merlina Rossis Bewerbungen aus einer Vielzahl von Zuschriften ausgewählt, weil sie als persönliche Assistentin für die Herausgeberin eines Teenager-Magazins gearbeitet hatte, was nahelegte, dass sie wusste, was bei den Jugendlichen gefragt war, die für Jakes Geschäft – Klingeltöne – den wichtigsten Markt stellten.

Zu dem Vorstellungsgespräch war sie bekleidet mit einem konservativen schwarzen Business-Kostüm erschienen und hatte das lange braune Haar eher streng aus dem Gesicht gekämmt und mit Hornkämmen festgesteckt getragen. Vermutlich dank ihrer italienischen Gene besaß sie eine durchaus sinnliche Ausstrahlung: sanft gebräunter Teint, volle sinnliche Lippen, große ausdrucksvolle Augen und eine wohlgerundete Figur – aber sie gab sich anscheinend alle Mühe, diesen Eindruck durch ihr Outfit abzuschwächen.

Nicht mein Typ, war Jakes erster Gedanke gewesen. Er bevorzugte im Gegenteil große, superschlanke und langbeinige Blondinen, die darin geübt waren, ihre Wirkung zu maximieren – raffinierte Frauen, die alles daransetzten, den ersten Preis für Begehrlichkeit zu gewinnen. Jake war gern bereit, ihrem weiblichen Ego in dieser Hinsicht zu schmeicheln, obwohl ihm klar war, dass sie stets Ausschau nach jemandem hielten, der ihnen noch mehr bieten könnte. In dieser Welt war er aufgewachsen und hatte aus Beobachtung und persönlicher Erfahrung gelernt, sich nicht gefühlsmäßig mit den Frauen einzulassen, die dort seinen Weg kreuzten.

„Genieße sie, mein Junge“, riet ihm sein Großvater einmal. „Die Kunst besteht darin, sie nicht zu ernst zu nehmen, sonst haben sie dich am Haken.“

Da sein Großvater zu dem Zeitpunkt gerade mitten in seiner vierten Scheidung steckte, hatte Jake ihn gefragt: „Und warum heiratest du sie immer wieder?“

„Weil ich Hochzeiten liebe“, lautete die heitere Antwort.

Nun, sein reicher Großvater konnte sich all diese Hochzeiten erlauben, ungeachtet der Kosten, die sie nach sich zogen.

Doch Jake hatte keine Lust, sein Vermögen auf diese galante Weise zu vergeuden. Zu schwer hatte er dafür gearbeitet, weshalb er nicht vorhatte, es irgendeiner Frau nachzuwerfen, nur weil sie sexuell attraktiv war. Denn seine Arbeit nahm er wirklich ernst. Er genoss seinen geschäftlichen Erfolg und suchte sich sorgfältig die Mitarbeiter aus, die ihm helfen sollten, diesen Erfolg zu wahren und auszubauen.

Merlina Rossi gehörte in diese Kategorie. Sie war in vieler Hinsicht eine unbezahlbare Entdeckung.

Gleich beim Vorstellungsgespräch war Jake klar geworden, dass sie mit ihrer schnellen Auffassungsgabe fraglos allen Anforderungen gerecht werden würde, die er an sie stellte. Lediglich ihr äußeres Erscheinungsbild galt es zu bemängeln. Es war ihm zu konservativ, zu altmodisch, passte nicht zu seiner Weltanschauung. Würde sie flexibel genug sein, etwas daran zu ändern?

„Wenn Sie den Job wollen, müssen Sie sich entsprechend kleiden“, erklärte er unverblümt. „Sie vermitteln ein falsches Image.“

Fasziniert beobachtete er, wie sie errötete und dennoch die Fassung bewahrte. „Es wäre hilfreich, zu erfahren, was für ein Image Ihnen vorschwebt“, erwiderte sie steif.

„Nun, ganz bestimmt nicht das einer Vierzigjährigen“, entgegnete er bewusst provozierend, weil er herausfinden wollte, ob Merlina Rossi Mumm besaß. „Laut Ihrem Lebenslauf sind Sie neunundzwanzig, richtig?“

„Ja.“

Er kam langsam um seinen Schreibtisch herum, um sie ausgiebig von Kopf bis Fuß zu begutachten. „Sie sollten sich betont jugendlich kleiden. Wir verkaufen Klingeltöne für Handys, was bedeutet, dass die anvisierte Käufergruppe überwiegend jung ist. Wenn Sie mich und mein Unternehmen repräsentieren wollen, müssen Sie glaubwürdig und authentisch wirken.“

Sie hielt seinem Blick unbewegt stand. „Meinen Sie Jeans und T-Shirt?“

Das hätte natürlich genügt, aber die absolut gleichgültige Art, wie sie ihn betrachtete, weckte den Teufel in ihm. „Nein, das ist okay für die männlichen Mitarbeiter.“ Ihn selber eingeschlossen, wie ihr natürlich nicht entgangen war. „Ich möchte, dass Sie mit Ihrer Kleidung jeweils die neuesten Trends der jungen Mode widerspiegeln. Gehen Sie aus sich heraus … tragen Sie Ihr Haar offen und zeigen Sie Instinkt, Miss Rossi.“

„Ich trage mein Haar offen“, erklärte sie schroff.

Was Jake sofort veranlasste, noch einen Schritt weiterzugehen. „Ach ja, was Ihr Haar betrifft … Wie wär’s mit einer moderneren Frisur? Ich denke, ein frecher Kurzhaarschnitt würde zum Beispiel eher zu dem Image passen, das wir propagieren.“

Sehr zu Jakes Vergnügen färbten sich ihre Wangen tiefrot. Die spannende Frage war: Würde sie mitspielen oder passen?

„Erwarten Sie, dass ich mir eine Stachelfrisur zulege?“, fragte sie, wobei ihre goldbraunen Augen Funken sprühten.

Obwohl die Versuchung groß war, die Glut noch weiter anzufachen, erkannte Jake, dass die Grenze erreicht war und Merlina Rossi verschwinden würde, wenn er noch weiterging. Also nahm er sich zurück, denn auf lange Sicht würde er mehr Spaß mit ihr haben, wenn er sie für sein Unternehmen gewinnen konnte.

„Nein“, antwortete er deshalb und betrachtete sie nachdenklich. „Vielleicht einen Pony und Fransen. Am besten besprechen Sie das mit Ihrem Friseur. Sie brauchen einen modischen Schnitt, der Sie etwas aufpeppt. Verstanden?“

Ohne seinen Vorschlag zu kommentieren, kam sie direkt zum Punkt: „Bieten Sie mir den Job also an?“

„Ja, vorausgesetzt …“

„Ich entspreche dem Image.“ Sie stand auf und streckte ihm geschäftsmäßig die Hand entgegen. „Ich habe verstanden und bin einverstanden, Mr. Devila. Wann soll ich anfangen?“

In puncto Image hatte sie ihm dann eine Lehrstunde verpasst, wie Jake sich amüsiert erinnerte, während er sich wie üblich sportlich lässig für die Arbeit kleidete. An ihrem ersten Arbeitstag war Merlina Rossi hereinstolziert … absolut up to date und sehr sexy: Ihr jetzt stufig geschnittenes Haar wippte schwungvoll mit jeden Schritt ebenso wie die Fransen an den hochhackigen Stiefeln, ganz zu schweigen von dem sexy Minirock auf ihren wohlgerundeten Hüften. Und die große kunstvoll verzierte Gürtelschnalle an ihrem breiten Gürtel saß so tief, dass sie alle männlichen Mitarbeiter der Firma auf Gedanken brachte, die alles andere als geschäftlich waren.

Und dennoch verrichtete sie ihre Aufgaben kühl und unpersönlich, als trüge sie nicht mehr und nicht weniger als eine vorgeschriebene Uniform. Sie flirtete nicht, sondern war die Tüchtigkeit in Person. Jake blieb nichts anderes übrig, als mit dem zu leben, was er sich aufgehalst hatte.

Also hatte er ein Spiel entwickelt. Der Kampf der Geschlechter: aufregend, anregend und überaus befriedigend. Man hätte es auch so formulieren können, dass Mel Sex für ihn war, wenn er gerade keinen Sex hatte. Alles spielte sich im Kopf ab, und genau dort musste es auch bleiben. Egal, wie sehr er auch manchmal versucht war, es wäre ein großer Fehler, sich auf eine Affäre mit ihr einzulassen. Unzählige Frauen waren bereit, mit ihm ins Bett zu gehen, aber es gab nur eine Mel Rossi, und er wollte nicht auf diesen wundervoll belebenden Wettstreit mit ihr verzichten.

Und die Idee, die ihm vergangene Nacht gekommen war, übertraf alles Bisherige. Damit würde er Mel zur Weißglut bringen. Jake konnte es kaum erwarten, in das Gefecht des Tages einzusteigen.

Merlina überprüfte noch einmal ihr Aussehen in der Spiegeltür ihres Kleiderschranks. Fließende, fast knöchellange Röcke waren augenblicklich absolut in und als solche eine angenehme Abwechslung zu den Miniröcken, in denen sie sich unter Jake Devilas provokanten Blicken immer unbehaglich fühlte. Wobei kein Outfit ihn daran hindern würde, sie selbstzufrieden lächelnd von Kopf bis Fuß zu begutachten und sich dabei im übertragenen Sinn auf die Schultern zu klopfen, weil er das Verdienst in Anspruch nahm, für ihr flotteres Image verantwortlich zu sein.

Dieser Blick und dieses Lächeln gingen ihr jedes Mal unter die Haut, auch wenn sie es sich nie anmerken ließ. Entschlossen hielt sie sich vor Augen, dass sie sich nicht für ihn, sondern für ihren Job so kleidete. Dabei war sie längst süchtig danach, ihre weiblichen Reize vor ihm zur Schau zu stellen, süchtig nach der knisternden erotischen Spannung zwischen ihnen.

Was nicht gut für sie war. Es beherrschte ihr Leben so sehr, dass sie das Interesse an anderen Männern verlor. Sie war eine Frau, die in nicht allzu ferner Zukunft die magische Schwelle von dreißig überschreiten würde, und ihr gegenwärtiges Leben drehte sich ganz um einen Mann, der zwar teuflisch sexy war, aber nicht das geringste Interesse daran hatte, zu heiraten oder eine Familie zu gründen. Jake Devila war das Paradebeispiel des unverbesserlichen Junggesellen. Er war überdies umwerfend attraktiv: faszinierende samtbraune Augen mit dichten seidigen Wimpern, für die eine Frau alles gegeben hätte; ausdrucksstarke dunkle Brauen, die sein lebhaftes Mienenspiel unterstrichen; gewelltes schwarzes Haar, das jede Frau einlud, es zu berühren; eine starke gerade Nase, ein energisches Kinn, dazu ein geradezu sündhaft sinnlicher Mund und Grübchen in den Wangen.

Grübchen! Es war einfach nicht fair. Und auch alles andere an ihm war eine Augenweide. Es besaß die Statur eines durchtrainierten Athleten: groß, breitschultrig und ohne ein Gramm Fett, dabei perfekt proportioniert. Der Mann war nicht nur mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden, sondern mit einem ganzen Besteckkasten voll Silber, und dann schien ihm auch noch alles zuzufallen. Er entstammte einer sehr reichen Familie und hatte selber mit seiner Firma „Signature Sounds“ bereits Millionen verdient. Mit fünfunddreißig lag ihm die Welt zu Füßen einschließlich einer ganzen Schar schöner Frauen – Topmodels, Society-Schönheiten, Fernsehstars rissen sich um Verabredungen mit ihm und waren sicher auch nicht abgeneigt, das Bett mit ihm zu teilen.

Der Mann war ein Playboy durch und durch, was Merlina natürlich wusste. Dennoch war sie wider alle Vernunft stolz darauf, wenn sie erfolgreich alle Hürden nahm, die er vor ihr aufbaute, und seinen Anforderungen wieder einmal genügte.

Er konnte sie nicht kleinkriegen. Auf keinen Fall. Das würde sie nicht zulassen.

Allerdings wurde ihr zunehmend bewusst, dass sie allmählich in einer gewissermaßen zwanghaften Beziehung zu ihrem Boss gefangen war, abhängig von dem Hochgefühl, der Lebendigkeit, der Aufregung, die er in ihr Leben brachte.

Es war einfach nie langweilig mit ihm. Er hatte so viele liebenswerte Seiten. Und dann gab es wiederum Dinge an ihm, die Merlina hasste. Das hing vor allem damit zusammen, dass er sie nie als Partnerin sehen würde, die er sich für immer an seiner Seite wünschte. Jedenfalls nicht in jeder Hinsicht. Das war nur allzu deutlich. Jake Devila teilte sich sein Leben in Spiele ein, die er kontrollierte, und das einzige Spiel, in dem sie eine Rolle spielte, beschränkte sich auf ihren Arbeitsplatz.

Obwohl sie das wusste und sehr auf der Hut war, schaffte er es aber immer wieder, ihre Gefühle in Aufruhr zu bringen. Wenn sie sich nicht bald davon frei machte, würde sie alle Selbstachtung verlieren. Ihre Vernunft riet ihr, dass achtzehn Monate mit Jake Devila genug waren. Spätestens wenn sie dreißig war, musste sie sich ernsthaft damit beschäftigen, sich einen festen Partner zu suchen, um eine eigene Familie zu gründen. Die Zeit, in der eine Frau Kinder bekommen konnte, war begrenzt, und ihr italienischer Papa ließ keine Gelegenheit ungenutzt, sie daran zu erinnern, dass sie mit ihren Karriereträumen schon viel zu viel davon vergeudet habe.

Ihre Schwestern und Brüder waren längst verheiratet und hatten Kinder. Auch Merlina wünschte sich im Grunde nichts anderes. Aber zu ihren Bedingungen, nicht zu denen ihrer Familie. Deshalb hatte sie sich von ihrem Vater auch nicht unter Druck setzen lassen, der sie wie alle seine Töchter am liebsten als Ehefrau und Mutter gesehen hätte, sondern hatte sich geschworen, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen. Erst wollte sie frei von allen elterlichen Erwartungen herausfinden, wer sie wirklich war.

„Merlina, wo bleibst du?“, hörte sie ihre Schwester rufen. „Die Pfannkuchen, die ich für dich gebacken habe, werden kalt.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine will, Sylvana.“ Merlina seufzte gereizt, nahm ihre Handtasche vom Bett und ging in den Wohnbereich ihres kleinen Apartments.

„Du bist viel zu dünn und könntest etwas mehr auf den Rippen vertragen.“

Merlina presste die Lippen zusammen. Jeder aus ihrer Familie sagte das, und sie war es leid. Nur weil ihre Eltern und Geschwister alle für ihr Leben gern aßen und entsprechend gut gepolstert waren, war sie noch lange nicht zu dünn, sondern lediglich dünn im Vergleich zu den anderen. Ihre Figur besaß im Gegenteil schon von Natur aus weibliche Rundungen, sodass es manchmal recht gewagt für sie war, sich nach der neuesten Mode zu kleiden, wie es ihr Job verlangte.

„Ich habe schon Joghurt und Obst gefrühstückt und möchte nichts mehr“, erklärte sie und konnte es kaum erwarten, sich von ihrer Schwester zu verabschieden, die von Griffith nach Sydney gekommen war, um sich einer Laser-Operation gegen ihre Kurzsichtigkeit zu unterziehen. Sie hatte bei Merlina übernachtet, weil sie dann am Morgen nicht so hetzen musste.

Sylvana saß an der Frühstücksbar und sprach mit Appetit den mit süßem Ahornsirup durchtränkten Pfannkuchen zu, obwohl sie genau genommen bereits einige Pfunde zu viel mit sich herumschleppte.

„Ich muss jetzt los“, meinte Merlina. „Viel Glück. Hoffentlich ist die Operation erfolgreich, sodass du keine Brille mehr tragen musst.“

Die Hand mit der gehäuften Gabel verharrte mitten in der Luft, während Sylvana ihre Schwester fassungslos anblickte. „Du gehst doch nicht etwa so zur Arbeit!“

So bezog sich offensichtlich auf das Outfit, das Merlina an diesem Morgen sehr sorgfältig zusammengestellt hatte: ein ihre Figur umschmeichelnder langer Rock mit einem hübschen Blumenmuster in Grün und Pink, ein Flechtgürtel auf ihren wohlgerundeten Hüften in Pink und Messing, kombiniert mit einem kurzen dunkelgrünen, ärmellosen Baumwolltop. Dazu trug sie mehrere lange Goldketten, große Goldkreolen und hochhackige dunkelgrüne Sandaletten. Sylvana allerdings war wie meist in respektables Schwarz gekleidet: Eine konservativ geschnittene Hose und ein langes weites T-Shirt darüber verdeckten ihre Speckröllchen.

Merlina errötete unwillkürlich. „In meiner Firma wird von mir erwartet, dass ich mich so kleide, Sylvana“, erklärte sie schroff.

„Dass man deine nackte Taille sieht?“

„Diese Hüftröcke sind die neueste Mode.“

„Wenn der Gürtel nur ein bisschen verrutscht, kann man deinen Nabel sehen! Papa wäre entsetzt, wenn er wüsste, dass du dich so in der Öffentlichkeit zeigst.“

„Dies ist die Großstadt, Sylvana. Ich muss mich hier nicht vor der italienischen Gemeinde von Griffith rechtfertigen. Hier wird keiner über mich klatschen, und du solltest auch besser den Mund halten, wenn du nach Hause kommst. Verstanden?“

Sylvana verzog beleidigt das Gesicht. Sie war zwei Jahre jünger als Merlina, aber allein die Tatsache, dass sie, wie es sich gehörte, bereits verheiratet war und ein Baby hatte, gab ihr offensichtlich das Recht, ihre widerspenstige Schwester zur Ordnung zu rufen. „Es war schon schlimm genug, dass du dir dein schönes langes Haar so zottig hast schneiden lassen“, gab sie keine Ruhe. „Ich glaube, dieser Job tut dir nicht gut.“

„Das ist allein meine Sache“, entgegnete Merlina energisch, obwohl sie aus ganz anderen Gründen ja bereits selber zu diesem Schluss gelangt war. „Jetzt muss ich los. Zieh die Tür gut hinter dir ins Schloss, wenn du gehst. Und grüß alle zu Hause von mir.“

„Warte!“, rief Sylvana ihr nach, rutschte von dem Hocker an der Frühstücksbar und kam hinter Merlina her, um sie ungestüm zu umarmen. „He, ich wollte dich nicht verärgern. Ich möchte doch nur, dass es dir gut geht.“

„Dann steck mich nicht ständig in irgendwelche Schubladen, in die ich nicht gehöre. Wir sind eben unterschiedlich. Mir gefällt meine Frisur … und meine Kleidung und mein Job. Also lass mich einfach in Frieden, ja?“ Sie küsste ihre Schwester auf die Wange und entzog sich ihrer Umarmung. „Mach’s gut, und viel Glück in der Augenklinik.“

Doch so leicht gab Sylvana dann doch nicht auf. „Weißt du eigentlich, dass der Rock durchsichtig ist, Merlina?“, rief sie ihrer Schwester nach. „Du musst unbedingt einen Unterrock darunter tragen.“

Merlina winkte nur lässig mit einer Hand und beeilte sich, aus ihrer Wohnung zu kommen. Das alles hatte sie Jake Devila zu verdanken, wobei er nicht ahnte, welchen Gefallen er ihr im Grunde mit seinen Anforderungen getan hatte. Es war für sie ein befreiender Akt gewesen, seine Image-Vorstellungen erfüllen zu müssen, denn sie hatte dazu einige einengende Hemmungen abschütteln müssen. Früher hatte sie die Mädchen insgeheim beneidet, die ein so selbstbewusstes selbstverständliches Verhältnis zu ihrem Körper hatten. Ihr Job bei Jake hatte ihr nun den Vorwand, die Erlaubnis und den Anreiz geliefert, das zu tun, was sie immer schon hatte tun wollen. Innerhalb der Grenzen des Anstandes, die sie niemals überschritt.

Sylvana war einfach hoffnungslos konservativ-italienisch. Nein, Merlina sah keinen Grund, sich wegen der Veränderungen in ihrem Erscheinungsbild ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Gut, wenn sie ehrlich war, dann hatte sie es zuerst große Überwindung gekostet, sich das Haar schneiden zu lassen, weil sie es immer lang getragen hatte. Allerdings war es jetzt auch nicht wirklich kurz, sondern reichte gestuft immer noch bis auf die Schultern, aber es umschmeichelte jetzt fedrig leicht ihr Gesicht und passte so zugegebenermaßen besser zu ihren modernen Outfits.

Mochte Jake Devila auch den Anstoß dazu gegeben haben, Merlina gefiel ihr verändertes Äußeres inzwischen, und sie stand dazu. Mehr noch, auch wenn sie sich für die Zukunft ein neues Betätigungsfeld suchen würde, hieß das nicht, dass sie sich wieder hinter faden Kostümen verstecken würde. Selbst wenn sie vielleicht bei einem anderen Arbeitgeber auf taillenfreie Outfits verzichten musste.

Auf jeden Fall war es nicht nur schlecht gewesen, für Jake zu arbeiten, sondern in vieler Hinsicht eine anregende Erfahrung. Während Merlina mit dem Zug von Chatswood nach Milson’s Point fuhr, wo sich in bester Lage mit Blick auf Sydney Harbour der Firmensitz von Signature Sounds befand, machte sie sich dennoch energisch klar, dass sie ihr Arbeitsverhältnis mit Jake Devila beenden musste. Bald. Sehr bald.

2. KAPITEL

Entspannt lehnte sich Jake in seinem luxuriösen blaugrauen Ledersessel zurück, legte die Füße auf die polierte Platte seines Chefschreibtisches und verschränkte die Hände vor der Brust. Er war restlos zufrieden mit sich und der Welt.

Mel würde eine derart unprofessionelle Pose natürlich missbilligen. Jeden Moment konnte sie jetzt sein Büro betreten. Sie würde schweigend auf die Sohlen seiner Schuhe blicken und ihn erst begrüßen, wenn er die Füße vom Schreibtisch genommen und sich wieder aufrecht hingesetzt hätte.

Mel hatte Prinzipien. Sie hätte eine gute Lehrerin abgegeben. Oder ein Kindermädchen. Was vor seinem geistigen Auge vergnügliche Bilder beschwor.

Jake ließ den Blick zu dem Panoramafenster schweifen, das einen herrlichen Blick auf die Sydney Harbour Bridge bot, und bemerkte eine Gruppe von Kletterern auf dem Weg hinauf auf den großen Bogen, von wo aus man eine unvergleichliche Aussicht hatte. Sie hatten sich einen tollen Morgen dafür ausgesucht – der Himmel war strahlend blau, die Sonne schien, und die Luft war klar. Ja, das sollte ich auch eines Tages machen, dachte Jake. Jeden Gipfel stürmen. Climb every mountain …

Der alte Song aus dem Rodgers und Hammerstein Musical The Sound of Music fiel ihm wieder ein. Daraus ließe sich doch sicher ein für die ältere Generation geeigneter Klingelton machen. Er würde die Jungs nachher darauf ansetzen.

Ja, er wollte jeden Gipfel stürmen. „Climb every mountain …“

Julie Andrews, die in der Verfilmung von 1965 die Nonne spielte, die in der Familie von Trapp Kindermädchen wird und den Hausherrn erobert, tanzte ihm noch im Kopf herum, als es an seiner Bürotür klopfte und Mel hereinstolzierte. Sie hielt inne und richtete den Blick auf die Füße auf seinem Schreibtisch, die Nase verächtlich gerümpft angesichts eines derartigen Verstoßes gegen die guten Sitten.

Respekt, Respekt, Respekt, tadelte Jake sich insgeheim und schwang betont langsam die Füße vom Tisch, wobei er Merlina unverfroren angrinste. Sie mochte sich ja wie ein strenges Kindermädchen benehmen, aber sie sah ganz sicher nicht wie eine Nonne aus! „Sehr … hübsch“, bemerkte er, während er anerkennend die aufregend sinnliche Betonung weiblicher Reize durch den langen, die Figur umschmeichelnden, fast durchsichtigen Rock zur Kenntnis nahm. Echt scharf, dachte er, hütete sich aber, es Merlina gegenüber zu äußern, weil sie ihn dann vermutlich wegen sexueller Belästigung vor den Kadi gezerrt hätte.

„Guten Morgen, Jake“, begrüßte sie ihn förmlich, seine Bemerkung zu ihrem neuen Outfit ignorierend.

Wahrscheinlich hakte sie im Geiste ab, dass sie den Image-Anforderungen wieder einmal genügt hatte. Miss Tüchtig versagte nie. Aber heute wollte Jake sie mit einer besonderen Herausforderung konfrontieren. „Ja, es ist in der Tat ein sehr guter Morgen, Mel“, entgegnete er vergnügt. „Mir sind da ein paar tolle Ideen gekommen. Haben Sie Ihren Notizblock dabei?“ Tatsächlich hielt sie ihn wie einen Schild vor sich, aber Jake konnte genauso gut wie sie ignorieren, was er nicht wahrnehmen wollte.

„Ja.“ Sie ließ sich wie üblich nicht aus der Ruhe bringen.

Ihre Korrektheit war auch ein Schutzschild. Jake wünschte sich sehr, ihn einmal durchbrechen zu können, um zur eigentlichen Mel Rossi, der Frau dahinter, durchzudringen. „Setzen Sie sich doch“, bat er genüsslich.

Sie setzte sich auf die Kante eines der blaugrauen Ledersessel und schlug die Beine übereinander, sodass sie sich den Notizblock aufs Knie legen konnte. Der hauchdünne geblümte Stoff ihres Rockes ließ Jake die Silhouette ihrer wohlgeformten Beine erahnen.

„Ich bin bereit“, verkündete Merlina, was gleichzeitig eine Warnung an ihn war, endlich den Blick von ihren Beinen zu heben und zur Sache zu kommen.

Jake blickte auf und lächelte. „Aber natürlich sind Sie das“, säuselte er gut gelaunt. „Bereit, gewillt und in Erwartung der Herausforderungen, die ich Ihnen heute präsentiere.“ Und sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.

Ich hasse ihn, schoss es Merlina durch den Kopf.

Jake Devila würde sie nie ernst nehmen … weder als Person noch als Frau noch als ein anderes menschliches Wesen mit Gefühlen. Im Grunde war sie ihm gleichgültig. Es amüsierte ihn lediglich, mit ihr zu spielen.

Deshalb war es einfach verrückt, dass sie jetzt mit Herzklopfen und Schmetterlingen im Bauch dasaß, nur weil er sie bewundernd von Kopf bis Fuß begutachtet hatte und sie mit seinen charmanten Grübchen lockte. Denn gerade sein Lächeln war ein untrügliches Zeichen, dass er irgendeine Teufelei im Schilde führte.

Er rollte sich mit dem Stuhl nach vorn, stützte die Arme auf den Schreibtisch und beugte sich mit blitzenden Augen zu Merlina vor. Und sie saß da und wartete wie eine schwärmerische Närrin, dass er ihr seine brillanten Ideen mitteilen würde … Damit sie sich dann abstrampeln konnte, seine Erwartungen zu erfüllen.

Ich bin wie eine Marionette, die nach seiner Pfeife tanzt, dachte sie. Was vielleicht nicht einmal so schlimm gewesen wäre, wenn es nicht die einzige Pfeife gewesen wäre, nach der sie ihr Leben ausrichtete. So jedoch musste sie sich davon frei machen und zu neuen Ufern aufbrechen. Das war sie sich schuldig. Augenblicklich jedoch war sie völlig in diesem Moment gefangen und wartete mit angehaltenem Atem, was Jake Devila ihr als Nächstes präsentieren würde.

„Wir brauchen am späteren Vormittag ein Brainstorming unserer Experten“, erklärte er. „Alle Abteilungen sollen daran teilnehmen. Ich möchte ein paar Ideen als Anregung auf den Tisch bringen, die ältere Generation als Markt zu erschließen.“

„Welche Uhrzeit soll ich in dem Memo für das Treffen eintragen?“, fragte Merlina sachlich, froh, über dieses rein berufliche Thema.

„Elf Uhr fünfzehn. Nach dem Morgenkaffee, der sie weckt, und vor dem Mittagessen, sodass sie das Besprochene verdauen können“, lautete die prompte Antwort.

„In Ordnung.“ Merlina machte sich eine entsprechende Notiz.

„Und schicken Sie dieses Memo als Allererstes raus, Mel.“

„Wird erledigt. Sonst noch etwas, bevor ich mich darum kümmere?“

„Ja … ja, allerdings.“ Jake lehnte sich lässig wieder in seinen Sessel zurück. „Der Geburtstag meines Großvaters steht bevor“, meinte er in beiläufigem Ton.

Genauso wie meiner, dachte sie unwillkürlich.

„Er wird achtzig.“

Ich werde dreißig.

„Und ich möchte etwas Besonderes für ihn.“ Er verstummte und beobachtete sie wie ein Adler, der abwartete, in welche Richtung sein Opfer springen würde.

Merlina hielt seinem Blick ruhig und ausdruckslos stand. Sie würde sich heute Morgen nicht von ihm ins Bockhorn jagen lassen! Als er jedoch beharrlich schwieg, sah sie sich schließlich gezwungen zu fragen: „Bitten Sie mich um Vorschläge?“

Er lachte. „Oh, ich bezweifle stark, dass Sie eine Ahnung hätten, was meinem Großvater gefällt, Mel. Er trinkt immer noch Champagner zum Frühstück. Als ich ein kleiner Junge war, hat er mich sogar gebeten, ihn ‚Pop‘ anstatt Grandpa zu nennen, weil das Geräusch knallender Korken für ihn so typisch war.“

Autor

Emma Darcy
Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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