Die Jahrtausend-Party - 1. Kapitel
1. KAPITEL
Einundfünfzig Stockwerke über der Michigan Avenue stand Maggie Kelley am Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Von hier oben wirkte die Stadt wie ein weicher schwarzer, mit kostbaren Juwelen besetzter Teppich, der sich bis zum Horizont erstreckte. Als sie eine Sternschnuppe sah, wünschte sie sich rasch etwas, merkte aber dann, dass der Lichtpunkt nur ein Flugzeug war, das zur Landung auf den O’Hara Airport ansetzte.
Egal, dachte sie. Ihre Wünsche würden sich trotzdem erfüllen. Versonnen schaute sie auf den großen, funkelnden Diamanten an ihrer linken Hand, in dem sich das Licht der Kronleuchter an der Zimmerdecke fing. In genau sechzig Minuten würde ihr Schicksal sich besiegeln. Und diese schicksalhafte Veränderung ihres Lebens würde exakt im selben Augenblick stattfinden wie die Jahrtausendwende.
„Mein erster Vorsatz für das neue Jahr“, murmelte sie und drehte dabei den Diamantring an ihrem Finger. „Ich werde Colin Spencer heiraten und sehr, sehr glücklich sein.“
Ein ziemlich ehrgeiziger Vorsatz, wenn man bedachte, dass es schließlich um ein ganzes Leben ging. Aber sie hatte diesen Augenblick herbeigesehnt, solange sie sich entsinnen konnte. Colin würde einen wundervollen Ehemann abgeben. Er war liebevoll und aufmerksam, intelligent und ehrgeizig. Seine Vermögenslage würde ihr die finanzielle Sicherheit und Stabilität vermitteln, die sie sich immer schon gewünscht hatte. Und seine reiche, angesehene Familie hatte sie mit genau dem richtigen Maß an Distanz und Enthusiasmus aufgenommen.
Maggie seufzte. Wahrscheinlich wäre es vermessen, noch mehr von seinem Schicksal zu verlangen. Schließlich war sie das einzige Kind von Marlene Pritchard-Kelley … oder Olmgren, Dumbrowski, Schmidt oder Mooney. Was noch längst nicht alle Namen in der langen Kette waren, aber Maggie hatte aufgehört, sie sich zu merken, als sie mit achtzehn zu Hause ausgezogen war. Ihre Mutter hatte genügend Trauscheine und Scheidungsurteile gesammelt, um damit das Rathaus von Potter’s Junction, ihrer kleinen Heimatstadt im Norden Wisconsins, zu tapezieren. Maggie wusste besser als jeder andere, was für ein riskantes Abenteuer eine Ehe war.
Sie legte die Hand an die kühle Fensterscheibe und schaute ein letztes Mal auf das Lichtermeer der Stadt hinunter. „Vielleicht ist es ja wirklich nicht die große Leidenschaft bei Colin“, gestand sie sich leise. „Aber es ist immer besser, seinen Verstand zu benutzen, um einen Ehemann zu suchen, als sein Herz.“
Maggie straffte die Schultern und räusperte sich, bevor sie sich umwandte und den Blick über den großen Ballsaal im obersten Stock des Spencer Centers gleiten ließ. Winzige Lichterketten glitzerten an der Decke und schlangen sich um prächtige weiße Säulen. Silberlamé war über Tische drapiert, die frische weiße Orchideen schmückten. Eine Band spielte am anderen Ende des Saals, und ein stilvolles Büfett war in der Nähe aufgebaut.
Die Elite Chicagos hatte sich zu diesem Fest versammelt – zur Party des Jahrhunderts, wie einige sie bezeichnen würden. Eine Einladung zu Eunice Spencers Ball zur Jahrtausendwende war für die „Crème de la Crème“ Chicagos mindestens ebenso begehrenswert wie Eintrittskarten zu einem Spiel der „Bulls“ für einen Sportfan.
Nachdem sie den Rock ihres langen Abendkleids glattgestrichen hatte, setzte Maggie ein Lächeln auf und bemühte sich, so zu tun, als ob sie sich gut unterhielt. Aber Partys wie diese machten sie nervös. Andere Frauen schwebten durch den Saal und wirkten beneidenswert gelassen in ihren Abendkleidern, den Pumps mit hohen Absätzen und den kostbaren Juwelen, während Maggie sich auf solchen Gesellschaften immer wie eine Giraffe auf Rollschuhen vorkam.
Es waren unendlich viele Anforderungen damit verbunden, in die Familie Spencer einzuheiraten, von denen noch die geringste war, mit gesellschaftlichen Anlässen aller Art vertraut zu sein, vom Polospiel bis hin zu Wohltätigkeitsveranstaltungen. Im Grunde genommen war Maggie nicht wirklich das, was Edward und Eunice Spencer von einer Schwiegertochter erwartet hätten. Sie hatten gehofft, ihr Sohn werde eine Frau aus ihren eigenen Kreisen heiraten, die über beste Beziehungen verfügte – und die angeborene Fähigkeit, sich auf hohen Absätzen zu bewegen.
Sie wünschten sich eine Schwiegertochter, die imstande war, ein großes, elegantes Haus zu führen, und ihre Freizeit lohnenden, „politisch korrekten“ Projekten widmen würde. Sie erwarteten ganz bestimmt kein Mädchen aus einem winzigen Ort in Wisconsin, eine kleine Floristin mit einem kleinen Blumengeschäft in der Clark Street, einem mageren Sparkonto, einem Einzimmer-Apartment in Wicker Park und einer vielfach geschiedenen Mutter.
Eine Partytröte, die an ihrem linkem Ohr ertönte, ließ Maggie zusammenfahren. „Isabelle!“
Ihre Freundin stand da und betrachtete sie amüsiert. „Schau nicht so düster drein. Um Mitternacht werden kleine grüne Außerirdische die Party stürmen und all diese Leute hier in leere Hülsen verwandeln.“ Isabelle Channing bot ihr einen Teller mit Appetithäppchen, frischen Garnelen, gefüllten Zuckererbsenschoten und Toast mit Kaviar an. „Das Essen ist hervorragend. Eunice weiß, wie man ein Büfett zusammenstellt.“
Froh über die Ablenkung, steckte Maggie sich eine Garnele in den Mund und biss genüsslich hinein. „Ist dir schon aufgefallen, dass keine dieser Frauen etwas isst? Das ist noch etwas, was ich wahrscheinlich lernen muss: auf elegante Weise zu hungern.“
Isabelle tippte sich mit ihrem rot lackierten Fingernagel an die Lippen, als sie über Maggies Worte nachdachte. „Vielleicht sind sie ja schon leere Hülsen. Und die essen nicht. Findest du nicht, sie sehen ein bisschen leblos aus?“
Maggie lachte leise. „Neben dir sieht jeder leblos aus.“
Ein mutwilliges Lächeln erschien um Isabelles leuchtend rot geschminkte Lippen. „Danke. Schön, dass wenigstens einer hier mein Kleid zu schätzen weiß.“ Sie nahm eine theatralische Pose ein. „Ich habe es schließlich selbst entworfen.“
Wie immer trug Isabelle auch zu diesem Anlass etwas, das ihr neugierige Blicke und widerstrebende Bewunderung eintrug. Extravaganz war eine der vielen Eigenschaften, die Maggie an ihrer Freundin liebte. Heute Abend trug Isabelle ein blutrotes paillettenbesetztes Kleid, dessen Ausschnitt ihr fast bis zur Taille reichte. Ihr schwarzes Haar hatte sie im Nacken zu einem eleganten Knoten zusammengenommen, und ihre Augen waren dick mit Kajal umrahmt. Dazu trug sie lang herunterhängende rote Ohrringe. Sie sah aus wie eine moderne Version Kleopatras, was eigentlich auch ganz passend war für eine Frau, die erst kürzlich die Kostüme für die Aufführung von „Antonius und Kleopatra“ der Shakespeare Theatre Company entworfen hatte.
Maggie schaute auf ihr eigenes Kleid herab – glatter eisblauer Satin mit dezentem Ausschnitt. Ein Kleid, das ihr blondes Haar, ihre helle Haut und ihre schlanke Figur betonte, das sie jedoch mehr aus Bequemlichkeit und praktischen Überlegungen als wegen seiner Schönheit trug. Es gab Momente, in denen sie gern so kühn wie Isabelle gewesen wäre und sich den Mut wünschte, solch auffallende Farben und Designs wie sie zu tragen. Vielleicht war das der Grund, warum sie so schnell so gute Freundinnen geworden waren – weil sie absolute Gegensätze waren.
„Du scheinst jedenfalls nicht den Entschluss gefasst zu haben, dich im neuen Jahrtausend ein wenig konservativer anzuziehen“, scherzte Maggie.
„Oh nein“, erwiderte Isabelle. „Aber ich habe andere gute Vorsätze. Ich werde nicht mehr oben ohne am North Beach sonnenbaden. Und ich werde im neuen Jahr auch keine Polizisten mehr anschnauzen.“
Maggie lachte. „Sonst noch etwas?“
„Ja, ich gebe die Schokolade auf.“
Maggie und Isabelle kannten sich fast vier Jahre, seit jenem Abend, an dem sie sich beim Aquarellkurs in der Kunsthochschule begegnet waren. Die Vorstellung, eine richtige Freundin zu besitzen, war Maggie bis dahin fremd gewesen. Als Kind und als Teenager hatte sie nie Zeit gehabt für Freundinnen. Ihrer Mutter als Vertraute zu dienen, und ihr über eine weitere Scheidung hinwegzuhelfen hatte zu viel von ihrer Zeit beansprucht.
Maggie war die Erwachsene in der Familie gewesen, die Praktische, Vernünftige, die sich um die Stromrechnungen kümmerte, Einkaufslisten aufstellte und das Durcheinander nach einer weiteren kurzlebigen Ehe ihrer Mutter beseitigte. Marlene Kelley war ziemlich berüchtigt in Potter’s Junction und Umgebung, und ihr schlechter Ruf hatte auch auf Maggie abgefärbt.
Ihre Lehrerinnen hatten über sie getuschelt, und ihre Schulkameradinnen hatten sie gemieden. Da sie zu scheu und gehemmt gewesen war, um zu versuchen, die Ansichten der anderen zu korrigieren, war Maggie stets eine Außenseiterin geblieben und hatte nie eine Freundin oder einen Freund gehabt. Außer Luke natürlich. Luke Fitzpatrick war ihr Held geworden, ihr Märchenprinz. Drei Jahre älter und selbst ein Außenseiter, war er der einzige Mensch in Potter’s Junction, der Maggie stets verteidigt hatte, ganz gleich, wie groß und stark der Angreifer war. Luke war immer da gewesen, um sie zu beschützen, wie der große Bruder, den sie nie besessen hatte.
„Bist du mit Luke gekommen?“, fragte Maggie.
„Nein. Er fliegt morgen in irgendein Krisengebiet und musste noch packen und seine Flugtickets abholen. Aber er wollte versuchen, noch zu kommen.“
Maggie und Luke waren selbst nach all diesen Jahren noch sehr gute Freunde. Es war kein Zufall gewesen, dass Maggie in der gleichen Stadt gelandet war wie Luke. Sie hatte ihre Flucht aus Potter’s Junction schon jahrelang geplant gehabt, und am Tag nach ihrem Highschoolabschluss war sie in einen Bus gestiegen und hatte Marlene Kelley in der Obhut ihres letzten Ehemanns zurückgelassen.
Ihr Zielort war Maggie schon immer klar gewesen. Nach ihrer Ankunft in Chicago hatte Luke ihr geholfen, einen Job zu finden und sie ermutigt, sich auf dem College anzumelden. Zu dem Zeitpunkt, als sie dann von seiner Couch in eine eigene Wohnung überwechselte, hatte sie sich schon ein völlig neues Leben aufgebaut – ein Leben, das sie zu diesen Ereignissen am Abend der Jahrtausendwende gebracht hatte.
Maggie drückte Isabelle die Hand und zog sie unter ihren Arm. „Dann läuft es wohl nicht so gut mit euch beiden?“
„Ich glaube, ich gehe ihm auf die Nerven“, erwiderte Isabelle nach einem Schluck Champagner. „Wir gehen hin und wieder miteinander aus, aber ich weiß, dass er sich auch mit anderen Frauen verabredet. Natürlich habe ich ihm nicht gesagt, dass ich mich auch mit anderen Männern treffe. Offenbar sucht keiner von uns eine feste Bindung.“
Als Maggie Luke und Isabelle miteinander bekannt gemacht hatte, hatte sie gehofft, dass sie zusammenfinden würden. Der Gedanke war ihr sehr vernünftig vorgekommen. Immerhin hatte Luke sie vor zwei Jahren Colin vorgestellt – seinem Studienfreund von der Northwestern University –, sodass sie sich verpflichtet gefühlt hatte, den Gefallen zu erwidern. Leider schätzte Isabelle die Situation jedoch ganz richtig ein. Luke war kein Mann für Ehe und Familie. Das war einzig und allein ihr, Maggies, Traum.
Sie war nicht sicher, warum sie Luke verheiratet und glücklich sehen wollte. Vielleicht aus Schuldbewusstsein. Denn immerhin war Colin nun der wichtigste Mensch in ihrem Leben und nicht mehr Luke. Sehr bald schon würde sie eine Spencer sein, eine verheiratete Frau mit wenig Zeit für einen alten Freund. Dennoch wollte sie auf die Freundschaft mit Luke nicht verzichten, denn sie wusste, dass sie seine einzige Vertraute war.
Andererseits hatte Luke sich in den letzten beiden Jahren immer mehr zurückgezogen und war sehr viel häufiger als früher wegen seiner Auslandsreportagen unterwegs. Wenn sie sich trafen, blieb ihnen kaum noch Zeit zum Reden, oder jedenfalls nicht so wie früher. Die Veränderung in ihrer Beziehung war ganz allmählich eingetreten, aber Maggie konnte sie bis zu dem Tag zurückverfolgen, an dem sie begonnen hatte, mit Colin auszugehen.
Vielleicht würde Luke sich nie irgendwo fest niederlassen. Seine Anstellung als Journalist bei einer internationalen Presseagentur ließ eigentlich gar keinen Raum für eine Beziehung oder auch nur ein Privatleben. Er liebte es, im Zentrum der Aktion zu sein. Zuerst im Golfkrieg, dann in Bosnien. Und nun brach er schon wieder auf in irgendein Krisengebiet auf der anderen Seite dieser Welt.
„Und welche guten Vorsätze hast du fürs Jahr 2000?“, fragte Isabelle, während sie quer durch den Saal zu einem gut aussehenden Mann hinüberschaute. Ihre Blicke trafen sich, und Isabelle hob die Hand und lächelte. „Du hast doch immer irgendwelche Pläne.“
Maggie staunte über die Fähigkeit ihrer Freundin, Männer für sich zu interessieren, ein Talent, das sie selbst nie entwickelt hatte. „Ich habe beschlossen, sehr, sehr glücklich zu sein.“
„Schau mal!“, rief Isabelle und zog an Maggies Arm. „Eunice hat eine Wahrsagerin engagiert. Was für ein extravaganter Einfall für eine Spencer! Komm, lass uns sehen, was uns die Zukunft bringt.“
Maggie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es schon“, murmelte sie.
„Wie könntest du das wissen?“
Maggie schluckte und streckte ihre Hand aus. Der große Diamant erschien ihr plötzlich protzig, und für einen Moment war sie verlegen. So wie ihre Freundin über Colin und seine Familie dachte, würde sie nicht begeistert sein über die Neuigkeiten. „Colin hat mich Heiligabend gebeten, ihn zu heiraten. Ich habe ja gesagt. Wir werden es heute kurz vor Mitternacht bekannt geben.“
Isabelle starrte betroffen auf Maggies Hand. „Du kannst Colin nicht heiraten! Er ist borniert und langweilig! Ein richtiger Spießer!“ Sie verzog das Gesicht, als röche sie faule Eier. „Außerdem liebst du ihn doch gar nicht!“
Maggie schaute sich um und hoffte, dass niemand Isabelles Ausbruch mitbekommen hatte. „Das ist nicht wahr! Ich habe Colin sehr gern und respektiere ihn. Außerdem kann er mir das Leben bieten, das ich mir immer schon gewünscht habe – ein eigenes Heim, eine richtige Familie.“
„Ich fasse es nicht!“, entgegnete Isabelle. „Für Colin und seine Eltern wärst du doch nichts weiter als ein dekoratives Accessoire. Willst du das wirklich?“
„Colin und ich werden eine gute Ehe führen und Kinder haben“, entgegnete Maggie leise. „Wir werden glücklich sein.“
„Obwohl du ihn nicht liebst?“
„Meine Mutter hat all ihre Ehemänner geliebt, und wohin hat es sie gebracht? Ich bin nicht sehr leidenschaftlich, Isabelle. Ich empfinde nicht so wie du. Aber das heißt nicht, dass ich mit Colin nicht glücklich werden kann.“
Isabelle seufzte. „Mit einem Mann, den du nicht liebst?“
„Ich liebe ihn!“, rief Maggie. „Bloß, weil ich keine extravaganten Kleider trage, nicht nackt auf dem Küchentisch tanze oder meinem Herzallerliebsten keine Dessous mit der Post schicke, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn nicht liebe.“
„Ich habe dem Mann die Sachen nicht per Post geschickt, sondern einen privaten Botendienst beauftragt“, versetzte Isabelle beleidigt.
„Und was ist, wenn ich nicht heirate? Wird dann jemand anders kommen?“ Maggie schüttelte den Kopf. „Colin ist der Richtige. Wenn ich mit ihm nicht glücklich sein kann, werde ich niemals glücklich sein.“
Isabelle bedachte sie mit einem langen, forschenden Blick. „Du verdienst etwas Besseres als eine Vernunftehe. Was ist mit Lust und Leidenschaft?“
„Das brauche ich nicht.“ Maggie zwang sich zu einem Lächeln und schaute sich im Saal nach ihrem zukünftigen Ehemann um. „Ich habe alles, was ich mir nur wünschen kann. Wirklich, Isabelle.“
Isabelle seufzte resigniert und nahm sie bei der Hand. „Komm. Du magst ja wissen, was dich im neuen Jahr erwartet, aber ich nicht. Lass uns die Wahrsagerin befragen.“
Zusammen gingen sie zu Madame Blavatka, die mit ihren Tarotkarten und ihrer Kristallkugel in einer Nische neben der riesigen Eistorte saß. Als sie ihren Tisch erreichten, waren die beiden Stühle davor leer, und Madame hielt gerade nach einem neuen Opfer Ausschau. Isabelle drückte Maggie auf den einen Stuhl und setzte sich dann neben sie.
„Sie sind gekommen, um ein Blick in die Zukunft zu werfen“, sagte Madame Blavatka mit ausgeprägtem russischem Akzent. Mit durchdringenden Blicken starrte sie Maggie an und griff nach ihrer Hand.
Maggie versuchte, sie ihr zu entziehen, aber Madame Blavatka ließ sie nicht entkommen. „Nein, nicht ich! Ich … ich glaube nicht ans Wahrsagen.“
„Oh, aber das sollten Sie, denn ich sehe großes Glück hier.“ Madame Blavatkas Armbänder rasselten, als sie über Maggies Handfläche strich. Die Wahrsagerin atmete tief ein und schaute sich Maggies Hand dann noch genauer an. „Nicht zu fassen! Sie haben das Zeichen des Millenniums!“ Sie fuhr mit dem Finger über Maggies Daumen und hielt dann inne. „Sehen Sie? Hier unten ist es. Es ist sehr selten.“ Sie runzelte die Stirn. „Zweimal in einer Nacht ist wirklich merkwürdig.“
„Das Zeichen des Millenniums?“ Isabelles starrte auf Maggies Hand. „Hat es etwas zu bedeuten?“
Die Wahrsagerin nickte ernst. „Diese kleinen Linien verbinden sich zu einem Stern. Die Legende besagt, dass jeder Mensch mit diesem Zeichen um Mitternacht vor der Jahrtausendwende seinem Schicksal in die Augen blicken und die große Liebe seines Lebens finden wird.“
„Um Mitternacht werde ich bei Colin sein“, murmelte Maggie. Sie wandte sich an Isabelle. „Siehst du, es besteht kein Grund zur Sorge! Es wird alles gut. Er ist mein Schicksal.“
Die Wahrsagerin lächelte und fuhr fort, über Maggies Handfläche zu streichen. „Ich sehe, dass Sie diesen Mann schon lange kennen. Sie haben mehrere Leben zusammen verbracht. Er kennt Ihr Herz und Ihre Seele.“
„Er kennt nicht einmal ihre Lieblingsfarbe!“, rief Isabelle. „Erinnerst du dich an diesen purpurroten Pullover, den Colin dir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat? Du hasst doch Rot!“
Maggie bedeutete ihrer Freundin, zu schweigen, und wandte sich wieder an Madame Blavatka. „Das war ein Ausrutscher. Er ist sehr rücksichtsvoll.“
„Oh ja“, bestätigte Madame. „Sie sind verwandte Seelen.“
„Colin Spencer ein Seelenverwandter?“ Isabelle lachte. „Der hat gar keine Seele! Wie viel hat Eunice Ihnen bezahlt, damit Sie Maggie das sagen?“ Sie deutete auf Madame Blavatkas Kopfbedeckung, einen weiten Schal. „Tragen Sie darunter Kopfhörer? Wer souffliert Ihnen, was Sie uns erzählen sollen?“
Maggie rief sie empört zur Ordnung. „Isabelle!“
„Nein!“ Die Wahrsagerin hob die Hand, legte den Kopf zurück und schloss die Augen. „Dieser Mann, der Ihr Schicksal ist …“ Sie runzelte die Stirn. „Er heißt nicht Colin.“
„Ich wusste es!“ Isabelle sprang auf. „Ich habe es dir ja gleich gesagt, Maggie. Hör auf die Frau. Sie weiß, wovon sie spricht.“
Maggie entzog Madame Blavatka ihre Hand, öffnete ihr Abendtäschchen und legte etwas Geld auf den Tisch. „Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich nicht an Wahrsagerei glaube.“ Rasch stand sie auf und trat einen Schritt zurück. „Ich muss zu Colin. Es ist fast Mitternacht.“
Und damit hastete Maggie davon, weil sie einen Augenblick der Ruhe brauchte. Zeit, um nachzudenken, ob sie die richtige Wahl getroffen hatte. Obwohl es eigentlich schon ein bisschen spät für Zweifel war …
Luke Fitzpatrick schaute sich unter den Gästen um und suchte nach einem ganz bestimmten, sehr vertrauten Gesicht. Dann blickte er auf die Uhr und fluchte leise. Maggie würde ihm vorwerfen, dass er zu spät kam, ganz zu schweigen davon, dass er seine Lederjacke trug. Aber er hatte nicht einmal Zeit gehabt, heimzufahren, zu duschen und den Smoking anzuziehen, den die Gelegenheit erforderte. Jeans, Hemd und Krawatte würden für den Moment genügen müssen. Aber er hatte es immerhin geschafft, noch rechtzeitig zu diesem denkwürdigen Ereignis zu erscheinen.
Er nahm sich ein Glas Champagner und stürzte es in einem Zug hinunter. Er wäre gar nicht zu der Party gekommen, wenn Maggie ihn nicht persönlich eingeladen hätte. Sie hatte so auf seiner Teilnahme beharrt, dass er sie nicht enttäuschen wollte.
Komisch, dass Maggies Gefühle ihm wichtiger waren als Isabelles. Aber Maggie war für ihn wie eine Schwester. Wie die kleine Schwester, die er nie gehabt hatte. Sie könnte ihn bitten, vom Sear’s Tower zu springen, und er würde es vielleicht sogar tun. Und da sie darauf bestanden hatte, dass er zu dieser Party kam, würde er eben sein Bestes tun, um sie nicht zu enttäuschen, und vorgeben, sich zu amüsieren. Was Isabelle betraf, so war er zwar mit ihr verabredet, aber er machte sich nicht viel aus ihr.
Er war schon mit vielen schönen und mit intelligenten Frauen ausgegangen. Aber er hatte noch keine Frau wie Isabelle Channing gekannt. Sie war temperamentvoll und verführerisch, verwirrend und bezaubernd schön. Und sie pfiff auf ihn – und auf jeden anderen Mann, weil sie sich nicht binden wollte. Maggie hatte sie einander vorgestellt, weil sie wohl gehofft hatte, dass ein Paar aus ihnen wurde.
Luke vermutete, dass sie nur deshalb weiter miteinander ausgingen, um Maggie zu erfreuen. Isabelle konnte sich für seine Arbeit nicht erwärmen, sie hasste es, über Politik zu diskutieren, und las lieber Modezeitschriften als eine Tageszeitung. Was ihn anging, so brachte er kein Interesse fürs Theater auf, konnte nichts mit Isabelles extravaganter Kleidung anfangen und verstand vor allem nicht, warum sie jeden Monat ihre Haare anders färbte.
Manchmal fragte er sich, warum er sich überhaupt mit Frauen abgab. An einer festen Beziehung lag ihm nichts. Sobald eine Frau das Thema anschnitt, beendete er die Affäre. Der zweite Grund, aus dem er sich noch immer mit Isabelle Channing traf, war der, dass sie noch weniger an einer Ehe interessiert war als er.
Wenn er sich irgendwann einmal binden sollte, dann sicher nicht an jemanden wie Isabelle oder irgendeine dieser anderen Frauen, mit denen er bisher ausgegangen war. Nein, eine Lebensgefährtin müsste so sein wie Maggie. Sie war sanft und ausgeglichen und kannte ihn wie kein anderer. Er fühlte sich immer wie ein besserer Mensch, wenn er bei ihr war, und sie akzeptierte ihn, so wie er war, mit all seinen Fehlern.
„Ein apartes Kleid, nicht wahr?“
„Was?“ Luke drehte sich zu Colin Spencer um, der hinter ihn getreten war.
Colin klopfte ihm auf die Schulter, drückte ihm ein Glas Champagner in die Hand und deutete zur anderen Seite des Saals. Isabelle stand dort, umringt von Männern, die sie alle mit ihrer Schönheit und ihrem Lachen unterhielt.
Luke schüttelte den Kopf und lachte leise. „Ja, das ist es wirklich. Und ich wette, dass sie darunter keine Unterwäsche trägt.“
Colin Augen weiteten sich schockiert. Er war schon immer ein bisschen langweilig und steif gewesen. Selbst jetzt, auf dieser bereits fortgeschrittenen Silvesterparty, sah er wie aus dem Ei gepellt aus, dagegen wirkte er, Luke, wahrscheinlich, als hätte er in seiner Lederjacke und in den Jeans geschlafen. Was er gestern Nacht sogar tatsächlich getan hatte.
„Seid ihr beide noch …“ Colin sprach den Satz nicht aus.
Luke zuckte die Schultern. „Wir sehen uns ab und zu. Aber es ist nichts Ernstes.“
Colin starrte weiter zu Isabelle hinüber. „Ich verstehe nicht, was sie und Maggie gemeinsam haben. Isabelle Channing ist …“
„Faszinierend?“
Colin nickte langsam. „Das auch. Ich wollte ‚gefährlich‘ sagen.“
„Hör auf meinen Rat – sie bringt mehr Komplikationen mit sich, als sie wert ist.“
„Komplikationen“, murmelte Colin. „Ich möchte wenigstens einmal in meinem Leben einer Frau begegnen, die kompliziert ist.“
Luke runzelte die Stirn und stieß seinen Freund mit dem Ellbogen in die Rippen. „Du hast etwas Besseres, Colin. Du hast Maggie.“
Colin löste widerstrebend seinen Blick von Isabelle. „Ja. Maggie.“ Ein Lächeln erschien um seine Mundwinkel, und versonnen schaute er sich um. „Ich sollte mich wieder unter die Gäste mischen. Wenn du Maggie siehst, würdest du ihr dann bitte sagen, dass ich sie suche?“
Luke nickte, verblüfft über die Geistesabwesenheit seines Freundes. In Gedanken schien Colin meilenweit entfernt zu sein.
„Und sei hier um Mitternacht“, fügte Colin noch rasch hinzu. „Wir haben etwas Wichtiges bekannt zu geben.“
„So?“
„Ja. Es wird dich freuen.“ Colin ergriff Lukes Hand und drückte sie kurz. „Und jetzt besorg dir was zu essen. Amüsier dich.“
Luke schaute Colin nach, wie er in seinem Designersmoking durch den Saal ging. Der Junge hatte alles, und es war ihm nicht einmal bewusst – Geld, gutes Aussehen, Intelligenz, Beziehungen … und Maggie. Luke atmete tief ein und unterdrückte den Neid, der ihn erfasste.
Doch wie könnte er nicht neidisch sein? Spencer war alles in den Schoß gefallen im Leben, während er, Luke, sich alles hatte hart erkämpfen müssen. Was Colins „Bekanntmachung“ betraf, so ahnte Luke bereits, worum es ging. Die Wirtschaftspresse hatte in diesem Jahr genug Spekulationen angestellt. Seit dem College hatte Colin Spencer sich darauf vorbereitet, die Leitung von Spencer Enterprises zu übernehmen, und in letzter Zeit wurde viel gemunkelt, dass Edward Spencer beabsichtigte, als Firmenpräsident zurückzutreten. Welcher Moment, die Zügel an seinen Sohn zu übergeben, könnte besser sein als der Beginn eines neuen Jahrtausends?
Ein kehliges Lachen erregte Lukes Interesse. Isabelle war auf der Tanzfläche und wirbelte dort mit einem attraktiven jungen Mann herum. Ihre Bewegungen waren verspielt und so verführerisch, dass andere Tänzer innehielten, um sie zu beobachten. Sie hatte offenbar zu viel Champagner getrunken und würde sich über kurz oder lang zum Gespött der Leute machen. Rasch ging Luke zur Tanzfläche und zog Isabelle sanft beiseite.
Sie schlang ihm die Arme um den Nacken und presste sich an ihn. „Du hier! Tanz mit mir, Fitzpatrick!“
Zum ersten Mal reagierte er nicht auf ihren Körper und verspürte keine sofortige Erregung, als sie ihn berührte. Vielleicht weil die anderen Tänzer sie beobachteten? Oder, weil Isabelle zu viel getrunken hatte? „Warum setzen wir uns nicht?“, schlug er leise vor.
„Nein. Wie gefällt dir mein Kleid?“, fragte sie lächelnd und drehte sich kokett vor ihm.
„Ich finde es recht … offenherzig. Und ich glaube, du hast zu viel getrunken.“ Er nahm ihren Arm und zog sie von der Tanzfläche.
„Ich feiere“, entgegnete sie schmollend. „Wir haben etwas Großes zu feiern heute Abend.“
„Und was wäre das?“
Spöttisch zog sie die dunklen Augenbrauen hoch. „Weißt du es denn noch nicht? Meine beste Freundin hat sich entschlossen, deinen besten Freund zu heiraten.“
Betroffen starrte er sie an. „Was sagst du da?“
„Tu nicht so überrascht. Sie werden ihre Verlobung um Mitternacht bekannt geben. Du musst doch schon damit gerechnet haben. Schließlich hast du die beiden zusammengebracht.“
„Maggie ist mit Colin verlobt?“
Isabelle nickte. „Seit Heiligabend. Aber es wird erst heute Nacht offiziell bekannt gegeben.“ Isabelle warf einen Blick auf ihre Uhr. „Wir haben noch Zeit, es zu verhindern.“ Prüfend musterte sie Luke, als versuche sie, seine Gefühle zu ergründen. Und er wandte sich unter ihrem wissenden Blick ab.
„Du möchtest es verhindern, nicht wahr, Luke?“
Isabelles Worte waren eine Feststellung, keine Frage, und sein erster Impuls war, mit „Ja“ darauf zu antworten. Er fühlte sich schrecklich. Ihm war, als sei er im Begriff, etwas zu verlieren, das so eng mit ihm verbunden war, dass er sterben würde, wenn er es verlor. Maggie war schon so lange seine beste Freundin, dass ihn allein bei dem Gedanken, ein anderer Mann könnte an seine Stelle treten, ein Gefühl der Leere überkam.
Colins Aufstieg an die Spitze des Konzerns war jahrelang durch Edward Spencers stures Beharren auf einem Punkt verhindert worden: Der Präsident von Spencer Enterprises brauche eine Frau, verlangte Edward. Und einen Erben. Am besten wären natürlich zwei Söhne. Man konnte schließlich nie wissen …
„Verdammt“, murmelte Luke. „Warum hat sie mir nichts davon gesagt?“ Sein Beschützerinstinkt regte sich, und er wollte unbedingt mit Colin reden, um sich zu überzeugen, dass sein Freund es ehrlich meinte und Maggie wirklich liebte. Und dann musste er Maggie finden und feststellen, ob sie auch wirklich wusste, was sie tat.
„Du bist dagegen, nicht wahr?“
Luke wandte sich wieder Isabelle zu, deren Gegenwart er total vergessen hatte. „Wenn Maggie glücklich ist, dann bin ich froh für sie.“
Isabelles sinnliche Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Froh? Tatsächlich?“
Er hatte jetzt keine Zeit für alberne Spielchen. Im Augenblick interessierte ihn nur Maggie. „Hast du sie gesehen?“
Isabelle trat zurück und ließ die Hände sinken. „Ich glaube, sie ist unten in Colins Wohnung.“ Ihre Stimme klang jetzt nachdenklich. „Warum gehst du nicht zu ihr? Ich bin sicher, dass ihr beide sehr viel zu bereden habt.“
Luke nickte und ließ Isabelle allein neben der Tanzfläche zurück. Als er sich noch einmal nach ihr umschaute, flirtete sie jedoch bereits mit einem ihrer zahlreichen Bewunderer, und Luke eilte weiter zu den Aufzügen.
Warum hatte Maggie ihm nichts von ihren Heiratsplänen erzählt? Er hatte seit Weihnachten zweimal mit ihr gesprochen, sie hätte Gelegenheit genug gehabt, das Thema anzuschneiden. Schließlich waren sie wie Geschwister! Sie hatte bisher immer wichtige Entscheidungen mit ihm besprochen …
Was versuchte er sich vorzumachen? Die Wahrheit war, dass sich in den letzten beiden Jahren eine Kluft geöffnet hatte zwischen ihnen – und das war seine Schuld. Sie sahen sich kaum noch und hatten selten Zeit, sich länger als ein paar Minuten zu unterhalten. Eigentlich hatte er sie Colin überhaupt nur deshalb vorgestellt, weil er gehofft hatte, damit sein schlechtes Gewissen wegen seiner langen Auslandsaufenthalte zu beruhigen.
Aber er hätte nie damit gerechnet, dass es sich so entwickeln würde! Zwei Jahre waren verflogen wie zwei Monate, und während er nicht aufgepasst hatte, hatte Maggie sich verliebt und verlobt. Sie hatte ihm nichts von ihrer Verlobung erzählt, weil es ihn nichts anging! Sie führten jetzt getrennte Leben, die Verbindung zwischen ihnen war nicht mehr so intensiv wie früher.
Es wäre besser, sich jetzt umzudrehen und zur Party zurückzukehren. Maggie zuliebe hätte er mit Freude und Begeisterung auf ihre guten Neuigkeiten reagieren sollen. Aber irgendetwas erlaubte ihm einfach nicht, die Verlobung einfach zu akzeptieren. Er wollte aus ihrem eigenen Mund hören, dass sie Colin liebte und ihn heiraten wollte.
Aber vorher musste er mit Colin reden. Luke kehrte um, um seinen alten Collegefreund zu suchen.
Als er ihn erreichte, berührte er ihn an der Schulter. „Ich muss mit dir reden, Spencer.“
Colin unterbrach seine Unterhaltung und lächelte. „Meine Herren, das ist Luke Fitzpatrick, mein alter Freund und Collegekamerad. Luke, das sind …“
„Auf der Stelle“, sagte Luke und deutete mit einer Kopfbewegung zur Terrasse.
Der Wind vom See war eisig, aber das half Luke, wieder klar zu denken, und als Colin zu ihm trat, kam er ohne Umschweife zur Sache. „Warum hast du mir nichts davon gesagt?“
Colin runzelte die Stirn. „Wovon?“
„Dass du Maggie heiraten willst. Isabelle erzählte mir, ihr hättet euch Heiligabend verlobt.“
„Ja. Ist das nicht wunderbar? Ich habe sie gefragt, und sie hat Ja gesagt.“ Colins Lächeln verblasste, als Luke es nicht erwiderte. „Was ist? Hätte ich dich um Erlaubnis fragen müssen?“
„Du hättest es mir sagen können!“
„Du bist ihr Freund, Fitzpatrick, nicht ihr Vater oder Bruder.“
Luke fluchte. „Was soll der Unsinn? Ich dachte, wir wären Freunde. Ich habe dich Maggie vorgestellt. Du weißt, wie nahe wir uns stehen.“
„Standen“, korrigierte Colin. „Ich hätte es dir ja gesagt, aber Maggie wollte dich überraschen.“
„Liebst du sie?“
„Was soll die Frage? Natürlich liebe ich sie.“
„Bist du dir sicher?“
Colin seufzte. „So sicher, wie ein Mann sich nur sein kann. Unsere Beziehung ist nicht perfekt, aber welche ist das schon? Wir mögen uns, wir streiten nicht und wünschen uns die gleichen Dinge – ein Heim und Kinder.“
„Ist das dein eigener Wunsch? Oder wirst du es nur deinem Vater zuliebe tun?“
Colin lachte trocken. „Das ist es also. Du stellst wohl meine Motive infrage. Dann fahr zur Hölle, Luke. Ich werde Maggie heiraten, und wir werden glücklich miteinander sein. Und natürlich werde ich auch Präsident von Spencer Enterprises. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest – ich muss mich um meine Gäste kümmern.“
Damit ging Colin, und Luke blieb noch lange auf der Terrasse stehen und beobachtete seinen Freund durchs Fenster. Spencers unbeirrbare Selbstsicherheit verstimmte ihn plötzlich sehr.
Aber ist es nicht das, was du die ganze Zeit gewollt hast? fragte Luke sich ärgerlich. Er hatte sich all die vielen Jahre, die er Maggie nun schon kannte, für sie verantwortlich gefühlt, sich um sie gekümmert und über sie gewacht. Jetzt würde eben ein anderer das übernehmen, und er konnte sein bisheriges Leben weiterführen und sich ohne Schuldgefühle ganz auf seine Arbeit konzentrieren.
Und er würde gleich damit beginnen. Er würde diese spießige Veranstaltung verlassen und zurückkehren zu dem, was er am besten konnte. Ein bewaffneter Konflikt erwartete ihn, und ihm blieben noch genau acht Stunden, bis er die Maschine nach Athen besteigen musste, von wo aus er dann nach Albanien weiterfliegen würde. Diese Stunden konnte er besser nutzen, als mit einer Chicagoer Snobs Champagner zu schlürfen und die Nationalhymne zu singen.
Was Maggie anging, so konnte sie ihre Verlobung auch ohne ihn bekannt geben. Wenn er für sie nicht länger ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens war, warum sollte es sie dann interessieren, ob er da war?
Als Luke den Saal durchquerte, um zum Ausgang zu gelangen, musste er sich jedoch eingestehen, dass es seine eigene Schuld war, dass Colin jetzt der wichtigste Mann in Maggies Leben war.
Aber es war nicht nur Reue, was ihn umtrieb und seinen Ärger weckte. Da war noch etwas anderes, womit er nicht gerechnet hatte. Eifersucht. Allerdings verstand er nicht, warum.