Die Jahrtausend-Party - 10. Kapitel

10. KAPITEL

Luke stand in seinem Büro in der Presseagentur und räumte seine persönlichen Sachen in einen leeren Pappkarton. Als er die gerahmte Fotografie vom Schreibtisch nahm, die ihn und Maggie zeigte, lächelte er. Sie sahen aus, als ob sie zusammengehörten, als wären sie seit Jahren schon ein Paar. Er dachte an den Nachmittag, an dem das Foto aufgenommen wurde und wie er den Arm um sie gelegt hatte, ohne richtig zu merken, wie es war, sie anzufassen, und wie sie sich an ihn geschmiegt hatte, ohne dass er ihren Körper, ihre Nähe wirklich wahrgenommen hätte.

     Jetzt brauchte er nur daran zu denken, sie zu berühren, und eine Flut von Erinnerungen überkam ihn, die angenehm und zugleich qualvoll waren. Wie lange liebte er Maggie schon? Seine Gefühle waren so stark, dass er Maggie bereits sehr lange geliebt haben musste, ohne sich dessen bewusst zu sein.

     Trotzdem hatte er es geschafft, wieder einmal alles zu verderben. Er hätte mit seinem Antrag warten sollen, bis Maggie die wahre Natur ihrer Gefühle für ihn erkannte. Ihre Weigerung tat weh, aber …

     „Was, zum Teufel, machst du schon wieder hier?“

     Luke schaute zu seinem Chef, der stirnrunzelnd an seinem Schreibtisch erschien.

     „Du solltest längst in Albanien sein!“

     „Ich war dort und beschloss dann, heimzufliegen. Das Wetter hat mir nicht gefallen.“ Luke griff rasch nach seinem Kündigungsschreiben und reichte es Tom Wilcox. „Hier. Damit ist es dann offiziell.“

     Wilcox überflog die wenigen Zeilen. „Was ist mit Janaz?“

     „Ich habe Jack Fischer angerufen und mich im Flughafen in Athen mit ihm getroffen. Ich habe ihm alle Informationen übergeben und Janaz eine Nachricht zukommen lassen, dass Jack das Interview an meiner Stelle führen wird.“ Luke griff nach einem weiteren Stapel Bücher und legte sie in den Karton. „Fischer ist gut. Er wird dir eine solide Story liefern.“

     Wilcox seufzte und strich sich über sein schütteres Haar. „Hast du den Verstand verloren?“

     Luke zuckte mit den Schultern. „Schon möglich. Ich habe seit etwa sechsunddreißig Stunden kein Auge mehr zugetan. Es ist also durchaus möglich, dass ich nicht klar denke.“

     „Dann nehme ich deine Kündigung nicht an.“

     „Oh nein, ich war vollkommen klar im Kopf, als ich sie schrieb. Ich bin fertig mit dem Job, Tom. Ich bin so weit gekommen, wie ich wollte, und jetzt ist Schluss damit.“

     „Wer hat dich abgeworben? UPI oder AP? Was haben sie dir geboten? Mehr Geld? Ein großzügigeres Spesenkonto?“

     „Niemand hat mich abgeworben. Ich bin es nur leid, elf Monate im Jahr aus dem Koffer zu leben. Ich habe eine Wohnung, in der ich nicht schlafe. Ich kenne die Typen von der Zollbehörde besser als meine eigenen Nachbarn, und ich musste dreimal in den letzten beiden Jahren neue Seiten für meinen Pass beantragen.“

     „Sag mir, was du willst, Luke. Mehr Geld? Mehr Urlaub? Leichtere Aufträge?“

     „Ich will ein Leben. Ein Leben, das du mir nicht geben kannst. Ein richtiges Haus, zu dem ich abends heimkehre. Und eine Arbeit, bei der mir nicht die Kugeln um die Ohren fliegen.“ Luke schaute auf Maggies Bild. „Ich will eine Frau, die mich liebt. Und Kinder.“

     „Ich biete dir eine Stelle in der Redaktion an“, sagte Wilcox. „Dann brauchst du nicht zu reisen.“

     Luke lachte. „Nein, danke. Ich brauche einen neuen Anfang.“ Er legte die letzten seiner persönlichen Sachen in den Karton und schloss ihn. „Ich habe meine Akten auf Carters Tisch gelegt. Alles andere ist im Laptop. Falls du noch Fragen hast, kannst du mich daheim erreichen.“

     Das Telefon klingelte, und Luke grinste. „Gehst du dran oder ich?“

     Brummend nahm sein Chef den Hörer ab und meldete sich unfreundlich. Ein paar Sekunden später reichte er Luke den Hörer. „Jemand namens Spencer. Er sagt, es sei wichtig.“

     Luke hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Was willst du, Spencer?“

     „Ich weiß, dass du nicht mit mir reden willst, und kann es dir nicht übelnehmen. Aber ich glaube, wir beide haben einiges zu klären.“

     „Ich habe nichts mit dir zu klären.“

     „Ich weiß, wie viel dir an Maggie liegt, aber …“

     „Du weißt es? Nein, das glaube ich nicht. Ich liebe sie“, erklärte Luke. „Verstehst du? Ich will sie heiraten, und falls du glaubst, ich würde dich noch einmal in ihre Nähe lassen, kannst du …“

     „Halt den Mund, Fitzpatrick, und hör zu. Mit Maggie habe ich bereits gesprochen, und wir haben alles zwischen uns geklärt.“

     Spencers Worte versetzten Luke einen schmerzhaften Stich. „Was? Sie würde sich nie bereit erklären, dich zu heiraten. Ich kenne sie. Das würde sie nicht tun.“

     „Ich sage dir nur eins: Falls du Maggie wirklich so sehr liebst, wie du behauptest, solltest du zusehen, dass du etwas unternimmst. Aber vorher habe ich dir noch einiges dazu zu sagen.“

     Hätte Colin jetzt vor ihm gestanden, hätte Luke ihn am liebsten erwürgt. Oder ihm einen Fausthieb auf seine aristokratische Nase versetzt. Was glaubte der Kerl, wer er war? „Ich höre.“

     „Ich weiß nicht, ob Maggie es erwähnt hat, aber sie hat vor einigen Monaten den Mietvertrag für ihren Laden in der Clark Street gekündigt. Sie wollte mit ihrem Geschäft ins Spencer Center ziehen.“

     „Wie bequem für dich“, murmelte Luke. Aber während er Colins Schilderung von Maggies geschäftlichen Problemen lauschte, begann er dann zu begreifen, dass sein alter Freund nicht mehr sein Feind war. Was immer Colin früher für Maggie empfunden haben mochte, hatte sich in simple Besorgnis um ihr Glück verwandelt – Glück, das seiner Ansicht nach nur er, Luke, ihr schenken konnte.

     „So, das war’s“, schloss Colin. „Mehr wollte ich nicht dazu sagen. Alles andere liegt bei dir.“

     Luke konnte es fast nicht glauben, dass Spencer kampflos aufgegeben hatte. „Danke.“

     „Du brauchst mir nicht zu danken. Es war das Mindeste, was ich tun konnte. Und vielleicht können wir ja einmal zusammen essen gehen, wenn alles sich geregelt hat.“

     Das Freizeichen folgte, und Luke legte nachdenklich den Hörer auf.

     „Also gut, Fitzpatrick, was hältst du davon? Ich verspreche dir, dass du nur noch Aufträge in Nord- und Südamerika erhalten wirst.“

     „Ich bleibe nicht“, erwiderte Luke geistesabwesend.

     „Nur Nordamerika.“

     „Ich bleibe nicht.“ Luke nahm den Karton und reichte Wilcox die Hand. „Vielen Dank für alles. Für die Chancen, die du mir gegeben hast, Tom, und für deine Unterstützung. Ich werde diese Redaktion vermissen.“

Suchend schaute Maggie sich auf der Eisbahn um und hoffte, Lukes hohe Gestalt zwischen den anderen Läufern zu erkennen. Den kleinen gelben Zettel, den Kim ihr morgens gegeben hatte, hielt sie noch immer in der Hand. Maggie verstand nicht, warum Luke sie nicht zu Hause angerufen hatte oder warum er nicht vorbeigekommen war, um sie zu sehen. Aber das war jetzt nicht wichtig. Er war wieder in Chicago, und sie würde nicht mehr lange warten müssen, um ihm zu sagen, was sie für ihn fühlte.

     Als sie ihn auf dem Eis nicht finden konnte, richtete sie den Blick auf die Tribünen. Am fernen Ende der Bahn lehnte er am Geländer und schaute in ihre Richtung. Sie winkte, aber er machte keine Anstalten, zu ihr zu kommen. Stattdessen fuhr er fort, sie mit rätselhafter Miene zu betrachten. Nach einem tiefen Atemzug lief sie langsam auf ihn zu und fragte sich dabei, wie sie beginnen sollte.

     Ihr Herz pochte wie verrückt, als sie Luke erreichte, und ihr Atem flog. Das Einzige, was sie herausbrachte, war ein ersticktes „Hallo“. Dann schluckte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Du bist schnell zurückgekommen“, sagte sie. „Wie war es in Albanien?“

     Luke hörte nicht auf, sie anzusehen, und ihr wurde fast ein bisschen unbehaglich zumute unter seinem Blick. „Als ich dort ankam, beschloss ich, heimzukehren.“

     „Und der Auftrag?“

     „Den habe ich an einen Kollegen abgegeben.“

     Er wirkte kühl und zurückhaltend, so gar nicht wie er selbst. „Und was hat dein Chef dazu gesagt?“

     „Das ist unwichtig. Ich habe bei der Presseagentur gekündigt.“

     „Gekündigt?“, rief sie verblüfft.

     „Ja. Es wurde höchste Zeit. Ich werde etwas anderes versuchen. Ich möchte einen neuen Anfang machen. Und meinem Leben eine andere Richtung geben.“

     Sie stützte sich auf das Geländer und starrte auf die Bahn hinaus. „Ich weiß, was du meinst. Ich … ich habe auch daran gedacht, mich zu verändern.“

     „Ich weiß“, sagte er leise.

     „Du weißt es schon?“

     „Colin rief mich gestern an. Er sagte, du dächtest daran, nach Potters Junction zurückzukehren und diesen Blumenladen in der Main Street zu übernehmen.“

     „Das ist bloß so ein Gedanke. Ich meine, es ist noch nichts entschieden.“

     „Ich finde, es ist eine großartige Idee. Aber du brauchst natürlich nicht auf mich zu hören. Ich weiß ja, dass du lieber deine eigenen Entschlüsse triffst. Aber falls du dich verändern willst, wäre Potters Junction eine ausgezeichnete Option.“

     Ihr Herz zog sich zusammen, und sie biss sich auf die Lippen, um ihre Gefühle zu verbergen. „Dann bist du also der Meinung, ich sollte umziehen?“

     „Ich habe das auch vor“, versetzte er. „Es wird Zeit, Chicago zu verlassen.“

     „Wo ziehst du hin?“ Die Worte klangen unnatürlich ruhig.

     „Ich habe mich noch nicht entschieden. Kommt drauf an. Ich denke, ich werde es schon merken, wenn ich dort bin.“

     Ein langes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Damit hätte sie nie gerechnet. Sie war hergekommen in dem Glauben, ihre Liebe retten zu können. Aber es war zu spät. Sie hatte Luke einmal zu oft abgewiesen, und jetzt war er bereit, ein neues Leben zu beginnen. Ohne sie.

     „Dann ist das wohl das Ende“, murmelte sie, bestürzt über die Vorstellung, ihn für immer zu verlieren.

     „Nein“, sagte er und fasste sie um die Schultern. „Es ist ein neuer Anfang. Für uns beide.“ Lächelnd schaute er sie an und nahm ihre Hände. „Wir werden immer Freunde bleiben, Maggie. Das ist es doch, was du dir wünschst, nicht wahr?“

     Ihr Herz schrie Nein! Sie wollte nicht mit ihm „befreundet“ sein. Sie wollte viel, viel mehr. Wie konnte er so unbeteiligt sein? Wie konnte er einfach fortgehen nach allem, was zwischen ihnen gewesen war? Er hatte ihr gesagt, er liebe sie. Wahre Liebe konnte doch nicht so schnell vergehen! Oder doch?

     Sie schaute auf ihre Hände, die verschränkt mit seinen waren. Sanft entzog sie sie Luke und drehte ihre rechte Hand nach oben. Langsam zeichnete sie den kleinen Stern unten an ihrem Daumen nach. Mit einem leisen, etwas wehmütigen Lachen streckte sie die Hand aus.

     „Das Zeichen des Millenniums“, sagte sie und deutete auf die feinen Linien.

     Luke nahm ihre Hand und betrachtete die Stelle. Sie erschauerte, als er sie berührte, und schloss die Augen, als er mit der Fingerspitze über ihren Daumen strich. Sie hatte Luke so sehr vermisst, dabei waren sie nur kurze Zeit getrennt gewesen. Wie sollte sie es da ertragen, ihn für immer zu verlieren?

     „Was hat es zu bedeuten?“, fragte Luke.

     „Auf dem Silvesterball zur Jahrtausendwende sagte mir eine Wahrsagerin, ich würde den Mann heiraten, der um Mitternacht an meiner Seite sei. Er sei mein Schicksal, weil ich dieses kleine Zeichen habe. Es ist aber nichts daraus geworden, nicht?“

     „Wieso nicht?“

     „Weil Colin mit Isabelle davongelaufen ist und …“

     „Du bei mir warst.“

     „Ich war bei …“ Betroffen brach sie ab. „Du!“ Das Wort klang wie ein Seufzer, als ihr schlagartig die Erkenntnis kam. Sie war bei Luke gewesen zur Jahrtausendwende! Konnte er der Mann sein, von dem Madame Blavatka behauptet hatte, er sei ihr Schicksal? Hatte sie alles vollkommen falsch verstanden?

     Doch nun ergab alles einen Sinn. Alles, was sich seit Punkt zwölf in jener Nacht ereignet hatte, war aus einem ganz bestimmten Grund geschehen! Luke Fitzpatrick war ihr Schicksal – sie war nur zu dumm gewesen, es zu erkennen!

     „Es sind nur ein paar kleine Falten“, sagte er und ließ ihre Hand los. „Du entscheidest selbst dein Schicksal, Maggie. Nicht irgendeine Wahrsagerin. Und ich glaube, du hast eine gute Entscheidung getroffen.“

     „Und wenn nicht?“, gab sie leise zurück.

     Er zog die Schultern hoch. „Ich denke, das wirst du schon bald merken.“ Luke schaute auf die Uhr. „Ich sollte jetzt lieber gehen. Ich muss noch packen.“

     „Nein!“, rief sie. „Lass uns noch ein bisschen bleiben. Ich habe Zeit.“

     Luke beugte sich über das Geländer und nahm eine Schachtel von der Bank hinter ihnen. „Hier“, sagte er. „Das habe ich beim Ausräumen meiner Schränke gefunden.“

     Maggie setzte sich und stellte die Schachtel auf den Schoß. „Was ist es?“ Der Karton kam ihr bekannt vor, aber sie hatte keine Ahnung, was darin war. Luke hatte ihr nie etwas geschenkt, bis auf … Ein leiser Seufzer entrang sich ihren Lippen, als sie den Karton öffnete und auf abgetragene Schlittschuhe herabstarrte. „Wo hast du die gefunden?“

     „Sie waren in einer dunklen Ecke in meinem Kleiderschrank. Ich weiß auch nicht, wie sie dahingekommen sind. Nun, ich habe dir so oft beim Umziehen geholfen, dass sie vermutlich durch ein Versehen bei mir gelandet sind. Ich konnte es fast nicht glauben, dass du sie nie weggeworfen hast.“

     „Sie waren ein Geschenk“, flüsterte sie. „Dein erstes Geschenk an mich.“

     „Und das einzige“, berichtigte er sie kopfschüttelnd. „Ich war kein besonders guter Freund, nicht wahr?“

     „Ich brauche keine Geschenke als Beweis für deine Freundschaft“, sagte sie und strich über das abgeschabte Leder. „Ich liebte diese Schlittschuhe. Ich trug sie sogar noch, als sie mir längst zu eng geworden waren. Ich wollte sie nicht aufgeben. Früher dachte ich, die Kufen wären verzaubert und machten mich zu einer besseren Läuferin.“

     Luke nahm einen der Schlittschuhe aus der Schachtel und betrachtete ihn. Er sah so zierlich aus in seinen großen Händen, dass sie sich fragte, wann ihre Füße je so klein gewesen waren – und ihr Leben so einfach.

     „Nun, jetzt sind sie wieder da, wo sie hingehören. Vielleicht kannst du sie eines Tages deiner Tochter schenken und ihr von deinem alten Freund Luke erzählen.“

     Ihr kamen die Tränen. Wenn sie sich ihre Kinder vorstellte, sah sie sie mit schwarzem Haar und blauen Augen, so wie Lukes. „Das werde ich. Und ich hoffe, dass auch sie so einen wahren, guten Freund findet, wie du es für mich warst.“

     Luke atmete tief ein und lächelte. „Bist“, verbesserte er sie. „Ich werde immer dein Freund sein, Maggie. Egal, wohin du gehst, du weißt, dass du dich immer auf mich verlassen kannst.“

     Stumm nickte sie. Sie wollte nicht, dass er fortging, konnte ihn aber auch nicht darum bitten, dass er blieb. Vielleicht musste es ja so sein, dass ihre Wege sich im neuen Jahrtausend trennten. Vielleicht war dieser bohrende Schmerz in ihrem Herz ihr wahres Schicksal.

     Luke beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn. „Pass auf dich auf, Maggie. Und wenn du dich eingelebt hast, ruf mich an. Die Post wird mir ein Jahr lang meine Briefe nachschicken.“

     Damit stand er auf. Ihr blieb fast das Herz stehen. Sie wollte schreien, weinen und ihn anflehen, zu bleiben. Doch obwohl ihr Herz gebrochen war, verbot ihr ihr Verstand, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Luke verschwand aus ihrem Leben. Für immer. Wenn er sie wirklich lieben würde, würde er in ihrer Nähe bleiben.

     Wortlos wandte sie sich ab, weil sie es nicht mit ansehen konnte, wie er ging. Endlich hatte sie den Mann gefunden, den sie liebte; den Mann, der Leidenschaft und Verlangen in ihr Leben gebracht hatte, und Glück und Zufriedenheit. Das konnte jetzt doch nicht alles vorbei sein!

     Sie verschränkte die Hände und unterdrückte das Schluchzen, das in ihrer Kehle aufstieg. „Vielleicht ist es ja wirklich vererblich“, murmelte sie. „Vielleicht bin ich ja tatsächlich so wie meine Mutter.“

Maggie strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn und richtete sich auf. Seit heute Morgen schrubbte sie den Fliesenboden ihres neuen Ladens, doch die Anstrengung begann sich langsam auszuzahlen. „Northwoods Florist“ würde in einer Woche eröffnet werden. Sie hatte bereits ihre erste Bestellung bei einem Großhändler aufgegeben, und zwei Bräute waren schon vorbeigekommen, um über Blumenarrangements mit ihr zu sprechen.

     Seit über einem Monat war sie nun in Potters Junction, und anfangs war sie überzeugt gewesen, den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Sie hatte sich geschworen, hart zu arbeiten und Luke zu vergessen. Sie würden zwar in Verbindung bleiben, aber es würde anders sein. Zu viel war zwischen ihnen vorgefallen, zu viel gesagt worden, was sie nicht wieder zurücknehmen konnten. Nichts würde je wieder so sein wie früher.

     Obwohl ihre Wege sich getrennt hatten, wusste sie, dass Luke immer einen Platz in ihrem Herzen einnehmen würde. Vielleicht würde er ja einmal zu Besuch kommen oder sie würden miteinander telefonieren. Sie konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, nie wieder etwas von ihm zu hören.

     Nach einem Blick auf die Uhr warf sie den Lappen in den Eimer und streifte ihre Gummihandschuhe ab. Sie wollte eine Anzeige im „Lake Country Register“ aufgeben, um die Eröffnung ihres Ladens anzukündigen. Aber die Redaktion war in den letzten Tagen geschlossen gewesen, es ging auch niemand ans Telefon, sodass sie auf dem Heimweg noch einmal dort vorbeigehen wollte.

     Sie machte sich darauf gefasst, auch heute wieder niemanden anzutreffen, doch zu ihrer Überraschung war die Tür der Redaktion unverschlossen.

     Aber niemand war da, als sie eintrat. Etwas ungeduldig räusperte sie sich und drückte mehrmals auf die kleine Klingel am Empfangstresen. Sie wollte gerade wieder gehen, als sie eine Stimme aus dem Hinterzimmer hörte.

     „Ich komme!“

     Ihr stockte der Atem, ihr Herz machte einen Satz. Diese Stimme! Eine Flut unverhoffter Emotionen erfasste sie. Sie Stimme klang wie Lukes. Sie kniff die Augen zusammen und rief sich zur Ordnung. Alle Männerstimmen erschienen ihr in letzter Zeit wie Lukes. Sie hörte ihn im Supermarkt, im Haushaltswarenladen und im Postamt. Vor ein paar Tagen glaubte sie ihn sogar auf der Straße gesehen zu haben. Ganz zu schweigen von ihren Träumen, in denen er jede Nacht erschien.

     „Was kann ich für dich tun?“

     Sie öffnete die Augen. Der Mann, der vor ihr stand, konnte wieder nur ein Traum sein. Sie blinzelte und rieb sich dann die Augen, aber die Vision von Luke war einfach nicht mehr auszulöschen. Erst als sie ihn lächeln sah, erfasste sie, dass er es wirklich war.

     „Bist du nur vorbeigekommen, um mich anzustarren“, fragte er, „oder brauchst du etwas?“

     Sie versuchte, etwas zu sagen, brachte aber nur ein Krächzen über die Lippen.

     „Maggie.“

     „Luke?“

     „Ja, Maggie?“

     Am liebsten hätte sie ihn umarmt und geküsst, um sich zu beweisen, dass er doch nicht nur ein Trugbild war. Aber der Klang seiner Stimme, das wundervolle Blau seiner Augen und der vertraute Duft seines Aftershaves waren Beweis genug. „Was tust du hier? Bist du zu Besuch gekommen?“

     Luke schüttelte den Kopf. „Ich habe die Zeitung übernommen.“

     Das klang so beiläufig, als hätte er ihr gesagt, er habe sich einen Cheeseburger zum Lunch gekauft. „Du hast was?“

     „Ich habe den ‚Lake Country Register‘ gekauft. Cal Winslow wollte sich eigentlich zur Ruhe setzen, aber jetzt arbeitet er doch bei mir. Ich brauche ihn, wenn ich drei Ausgaben pro Woche herausbringen will, und er ist …“

     „Ich verstehe nicht“, unterbrach sie ihn. „Warum bist du zurückgekommen?“

     „Es war eine gute Gelegenheit“, sagte Luke. „Es bieten sich viele Möglichkeiten hier. Aber was kann ich für dich tun, Maggie? Möchtest du eine Anzeige aufgeben? Ich hörte, dass du nächste Woche dein Geschäft eröffnen willst. Im ‚Lake Country Register‘ kannst du den Termin bekannt geben. Und zu einem sehr vernünftigen Preis, darf ich hinzufügen.“

     Sie war so verblüfft, dass ihr die Worte fehlten. War er ihr hierher gefolgt? War sie der Grund für seine Rückkehr in sein Potters Junction? Konnte es sein, dass er sie noch immer liebte?

     „Maggie?“

     „Oh, ja! Die Annonce.“ Sie reichte ihm den Text und betrachtete Luke verstohlen, als er sich ihren Entwurf ansah. Er hatte sich nicht verändert. Wenn überhaupt möglich, war er in diesem einen Monat noch attraktiver geworden. Am liebsten hätte sie ihn jetzt geküsst. Wenn er den Kuss erwiderte, würde sie wissen, aus welchem Grund er hergekommen war. Sie beugte sich vor. Aber da schaute er auf, und sie verlor den Mut.

     „Bist du sicher, dass die Annonce groß genug ist?“

     „Ich … ich weiß es nicht.“ Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. „Wie teuer wäre sie?“

     Luke zog eine Liste hervor. „Hm. In dieser Größe müsstest du mit etwa … siebenhundertfünfundneunzig Dollar rechnen. Für ein Erscheinungsdatum.“

     Betroffen starrte sie ihn an. „Was?“

     Er grinste nur. „Aber da wir alte Freunde sind, kann ich dir Rabatt geben. Wie wäre es mit siebenhundertfünfzig Dollar?“

     „Wie bitte? Das ist mehr als die monatliche Hypothek auf meinem Laden! Bei diesen Preisen kann ich es mir nicht leisten, eine Anzeige aufzugeben.“

     „Wenn du meine Frau wärst, könnte ich dir ein besseres Angebot machen.“

     Ihre Knie begann dermaßen zu zittern, dass sie sich am Empfangstresen festhalten musste. Hatte sie richtig gehört? Sie schluckte. „Deine Frau?“

     „Ja. Wenn du meine Frau wärst, würde ich dir für die Annonce nichts berechnen.“

     „Ich verstehe nicht.“

     „Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?“ Langsam kam er um den Tresen herum und blieb vor ihr stehen. „Deinetwegen bin ich hergekommen und habe diese Zeitung hier gekauft. Hier warst du, und ich wollte nirgendwo anders sein. Es ist der ideale Ort, um zusammen alt zu werden, Maggie. Und um Kinder aufzuziehen.“ Lächelnd nahm er ihre Hände. „Ich weiß, dass du so schnell nicht zu überzeugen bist, aber falls du eine große Anzeigenkampagne starten willst, solltest du dich schnell entscheiden.“

     „Entscheiden?“

     „Also, was ist? Wirst du mich heiraten, Maggie?“

     Sie brachte kein Wort heraus vor lauter Glück und Freude. Eine Freudenträne rollte aus ihrem Augenwinkel. Er liebte sie noch immer!

     Luke wischte ihr die Träne mit dem Daumen ab. „Maggie, ich hatte nie die Absicht, mich irgendwo fest niederzulassen und eine Familie zu gründen. Es passte einfach nicht zu meinem Lebensstil. Aber als ich mir vorstellte, den Rest meines Lebens ohne dich zu sein, konnte ich nicht mehr atmen. Ich glaube, ich habe dich immer schon geliebt. Ich bin mir nur nicht sicher, wann es anfing. Vielleicht …“

     „An dem Tag, als du mich vom Bürgersteig hobst, nachdem dieser Raufbold mich umgeschubst hatte. Das war auf jeden Fall der Tag, an dem ich mich in dich verliebte.“

     Lächelnd zog er sie in seine Arme. „Mein Leben war so lange Zeit so sehr mit dir verbunden, dass ich meine Erinnerungen nicht mehr von dir trennen kann. Früher konnte ich es, aber heute nicht mehr. Und ich will es auch gar nicht.“

     „Ich auch nicht“, sagte sie leise.

     Luke nahm ihr Gesicht zwischen seine großen Hände. „Ich habe dich gebeten, meine Frau zu werden, Maggie. Und selbst wenn es mein ganzes Leben erfordern sollte, so werde ich dich dazu bringen, Ja zu sagen. Aber das geht nicht von der anderen Seite dieser Welt aus.“

     Ihre Kehle war vor Emotionen wie zugeschnürt. „Ja“, flüsterte sie rau.

     „Ja?“

     „Die Antwort ist Ja“, wisperte sie.

     Er starrte sie verwundert an. „Einfach so? Ja?“ Dann lächelte er. „Du sagst Ja?“

     Maggie lachte trotz ihrer Tränen und schlang Luke die Arme um den Nacken. „Wie oft willst du es noch hören? Ja, ja, ja!“ Ihre Worte hallten in der Redaktion wider. „Ja, Luke Fitzpatrick, ich möchte deine Frau werden!“

     Luke zog sie lachend in die Arme. „Oh, Maggie, ich liebe dich so sehr!“

     Er hob sie hoch und wirbelte sie wie wild im Kreis herum, bevor er sie wieder herunterließ. Aber selbst als sie wieder auf dem Boden stand, war ihr, als würde sie fliegen. In unendlicher Liebe schauten Luke und sie sich an.

     Etwas Magisches war in jener Nacht geschehen, als das neue Millennium begann. Ein völlig neues Leben hatte sich Maggie eröffnet. Sie hatte nur Angst gehabt, den ersten Schritt zu tun und sich zu gestatten, Luke zu lieben. Doch jetzt, wo sie es gewagt hatte, erkannte Maggie, dass die Prophezeiung von Anfang gestimmt hatte.

     Sie hatte dem Schicksal in die Augen gesehen in jenem Augenblick um Mitternacht. Und die Augen ihres Schicksals waren blau. Sein Haar war dicht und schwarz. Und seine Worte besaßen die Macht, ihr Herz zu gewinnen und ihre Seele zu berühren.

     Luke Fitzpatrick war ihr Schicksal, und zusammen würden sie sich ein wundervolles Leben in diesem brandneuen Jahrtausend aufbauen.

– ENDE–

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