Dir verzeih ich alles - 5. Kapitel

5. KAPITEL

"Hast du deinen Dad wegen der Geburtstagsparty gefragt?"

     Lucy schüttelte nur den Kopf. Offensichtlich war sie zu sehr damit beschäftigt, sich die Zehennägel zu lackieren – natürlich in Pink –, um zu sprechen. Sie saß auf dem Fußboden in ihrem Zimmer und beugte sich mit dem Pinsel über ihre Füße. Sie war außergewöhnlich gelenkig, was auf eine sportliche Natur schließen ließ. Aber leider ermöglichte ihr diese Fähigkeit auch, das verletzte Bein mehr zu schonen, als gut für sie war.

     "Warum nicht?", hakte Belle nach. "Du hast gestern doch gesagt, dass du ihn fragen willst – und vorgestern und vorvorgestern."

     "Ich darf ja doch keine Jungs einladen, und wenn keine Jungs da sind, wollen die Mädchen auch nicht kommen."

     "Willst du denn Jungs dabeihaben?" Belle nahm ein Fläschchen aus der hübsch verzierten Holzschachtel, die Lucys Nagellacksortiment enthielt, und schüttelte es, bevor sie es aufschraubte.

     "Anya will bestimmt, dass Ryan kommt."

     Belle legte eine Hand flach auf eine Teenagerzeitschrift und strich den Klarlack auf die Fingernägel. Ryan Clay war ihr Neffe, seit ihre Mutter in die Familie eingeheiratet hatte. "Jetzt weiß ich also, was Anya will. Aber was ist mit dir?"

     Lucy richtete sich auf, schraubte das Nagellackfläschchen zu und warf es in das Kästchen. "Weiß nicht."

     Konzentriert lackierte Belle die Nägel der anderen Hand. "Hey, so rasch gebe ich nicht auf, da hatte ich bei meinem letzten Job einen Ruf weg. Also sag mir lieber einfach, warum du keine Party geben willst. Sonst löchere ich dich einfach weiter."

     "Wieso arbeitest du denn nicht mehr da?"

     "Ach, ich bin sozusagen auf Urlaub. Ich werde wieder zurückgehen", versicherte Belle mit vorgetäuschter Überzeugung.

     "Also unterrichtest du nächstes Jahr nicht mehr an meiner Schule?"

     Belle schüttelte den Kopf.

     "Wieso hast du dann gesagt, dass wir für den nächsten Talentwettbewerb was anderes als Tanzen üben?"

     "Wir haben doch noch den ganzen Sommer Zeit dazu."

     "Aber dann gehst du weg?"

     Ein Anflug von Traurigkeit schwang in der Frage mit, und das war nicht verwunderlich. Schließlich lebte Lucy auf einer abgeschiedenen Ranch und hatte zur Unterhaltung außer Hund, Fernseher und Videorekorder nur ein Pferd, dem sie sich nicht nähern durfte, und einen Vater, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schuftete. Cage ließ sich höchst selten im Haus blicken. Er hatte sogar aufgehört, sich darüber zu beklagen, dass Belle für seine Tochter kochte.

     "Ja, ich werde gehen, weil du bis dahin wieder laufen kannst und mich nicht mehr brauchst. Aber wir bleiben Freunde, Sweetie. Du kannst mich jederzeit anrufen."

     "Wohnst du in Cheyenne mit Nikki zusammen?"

     "Himmel, nein! Ich habe sie sehr lieb, aber wir würden uns nach zwei Tagen furchtbar auf die Nerven gehen. Bevor ich nach Weaver gezogen bin, habe ich ganz in ihrer Nähe gewohnt. Jetzt muss ich mir eine neue Unterkunft suchen." Sie lächelte aufmunternd. "Vielleicht kannst du mich da ja sogar besuchen."

     "Wirklich?"

     "Na klar."

     Lucys Hoffnung war kurzlebig. "Dad lässt mich bestimmt nicht."

     "Sei nicht so pessimistisch. Ich glaube, dass dein Dad bereit ist, dir so ziemlich jeden Wunsch zu erfüllen."

     "Aber ich darf meine Großeltern doch auch nicht besuchen."

     "Hat er nicht angekündigt, dich vielleicht nächstes Wochenende zu deiner Großmutter mitzunehmen?"

     "Ich meine doch meine anderen Großeltern. Die Oldhams." Lucy hob die Holzschachtel auf und strich über die glatte Oberfläche. "Die hier hat mir meine Großmutter vor ein paar Monaten geschickt. Dad hat fast einen Anfall gekriegt."

     "Vielleicht gefällt es ihm nicht, dass sein kleines Mädchen schon groß genug ist, um sich die Nägel zu lackieren. Väter sind manchmal so."

     "Das hat er auch gesagt."

     "Siehst du?" Belle forschte in ihrem Gedächtnis nach Informationen über Lucys Großeltern mütterlicherseits. Sie hatte lediglich gehört, dass sie sehr wohlhabend waren. "Haben Sie dich eingeladen?"

     "Eigentlich nicht. Wir haben nur ein paar Mal telefoniert. Aber das weiß Dad nicht. Sie wohnen in Chicago. Von ihnen habe ich Satin gekriegt."

     Das Pferd, das sie abgeworfen hat.

     "Ist in Chicago nicht die Schule für darstellende Künste, die du besuchen möchtest?"

     "Ja." Lucy seufzte. "Jetzt macht es wohl nichts mehr, dass ich damals nicht mit auf Klassenfahrt durfte. Auch wenn ich mich an der Schule beworben hätte, würden sie mich so nicht mehr annehmen."

     "Das heißt aber nicht, dass sie dich nicht nehmen werden, wenn du wieder gesund bist."

     Lucy zuckte die Schultern, stellte die Schachtel weg und zog sich aufs Bett. Sie griff zu den Gehstützen und stand auf. "Er würde mich nicht gehen lassen, selbst wenn ich ein Stipendium kriege", sagte sie traurig, und dann hinkte sie aus dem Zimmer.

     Nachdenklich blickte Belle ihr nach. Sie wollte nicht nur für die Gesundung des Körpers sorgen, sondern auch seelischen Beistand leisten. Und obwohl sie nicht sicher war, ob es Lucy gut tun würde, eine Privatschule so weit weg von zu Hause zu besuchen, wusste sie mit Sicherheit, dass das junge Mädchen außergewöhnlich talentiert war.

     Sie folgte Lucy in die Küche und sah sie missmutig aus dem Fenster starren. "Komm, zieh dir Schuhe an und lass uns nach draußen gehen. Es gibt da einen bestimmten Ort auf der Lazy B, den wir in der letzten Woche noch nicht besichtigt haben."

     "Du meinst die Stallungen?"

     "Richtig."

     "Dad will nicht, dass ich da hingehe."

     "Nicht unbeaufsichtigt", entgegnete Belle spontan. Sie wusste, dass sie sich damit Cages Anordnung widersetzte, andererseits war sie es leid, dass er jedem Gespräch über seine Tochter aus dem Weg ging. Und sie vermutete, dass Lucys niedergeschlagene Stimmung und ihre stockende Genesung irgendwie mit dem Pferd zusammenhing, das sie abgeworfen hatte. "Er möchte nur nicht, dass du schon wieder reitest, und ich muss ihm recht geben. Deine Muskeln sind noch nicht stark genug dafür. Aber das heißt nicht, dass du nicht in den Stall gehen darfst. Ihr habt doch außer Satin noch mehr Pferde, oder?"

     "Das schon, aber ich weiß nicht, ob wir das wirklich machen sollten."

     Da Belle ebenfalls unsicher war, hatte sie es plötzlich sehr eilig, aus dem Haus zu kommen, bevor sie der Mut verließ. Sie holte Turnschuhe aus dem Flur und zog sie Lucy an. "Diesmal darfst du fahren", sagte sie, denn die Stallungen waren wesentlich weiter vom Haus entfernt als die Scheune. "Aber nimm die Stützen mit."

     Erleichtert sank Lucy in den Rollstuhl, der seit einiger Zeit unbenutzt in einer Ecke der Küche stand. Sie stellte die Krücken auf die Fußstütze, und dann verließen sie das Haus durch die Vordertür und benutzten die Rampe.

     Es war ein heißer Nachmittag, und schon bald geriet Belle ins Schwitzen. "Schade, dass ihr hier keine Badestelle habt. Wir könnten eine Abkühlung gebrauchen", sagte sie, als sie den dämmrigen Stall betraten. Sie bezweifelte, dass Cage ihr erlauben würde, Lucy mit zum großen Teich auf der Double C zu nehmen, obwohl Schwimmen die Genesung beschleunigt hätte.

     "Das ist Rory", erklärte Lucy, als sie zur ersten Box kamen. "Er ist älter als ich." Der große Wallach steckte den Kopf über das Gatter und rieb die Nüstern an ihrer ausgestreckten Handfläche. "Ich hätte Karotten mitbringen sollen." Sie stellte die Stützen auf den Boden und stand auf.

     Während sie zusammen durch die Stallgasse spazierten, blieb Lucy bei jeder Box stehen und begrüßte alle Pferde, als wären sie langjährige Freunde.

     Schließlich erreichten sie die letzte Box, in der Satin stand. Der Name passte zu ihm, denn sein pechschwarzes Fell glänzte seiden. Belle hatte ihr Leben lang Pferde um sich gehabt, aber ein derart wundervolles Tier hatte sie noch nie gesehen.

     Zunächst hielt Lucy sich ängstlich zurück. Als sie jedoch registrierte, dass Belle ihr Zögern bemerkte, warf sie den Kopf zurück und trat mutig vor. "Sein voller Name ist Satin Finish. Er hat ein Stockmaß von eins siebzig. Sein Vater ist Knotty Wood. Der hat den Triple Crown gewonnen."

     "Satin ist ein Rennpferd?", rief Belle erschrocken aus.

     "Eigentlich ja, aber er ist nie bei einem Rennen gestartet." Lucy streckte eine Hand aus, zögerte aber, das Tier zu berühren.

     Belle konnte nicht begreifen, was in aller Welt ein so wertvoller Hengst auf einer gewöhnlichen Viehfarm zu suchen hatte. "Ein beachtliches Geschenk. Wird er momentan überhaupt geritten?"

     "Nein, und so wird es auch bleiben."

     Der zornige Unterton in Cages tiefer Stimme ließ Belle heftig zusammenzucken. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass es Lucy ebenso erging. Erschrocken wirbelten beide zu ihm herum.

     Seine Missbilligung galt jedoch nicht seiner Tochter. Er überzeugte sich nur mit einem flüchtigen Blick, dass es ihr gut ging, bevor er Belle anfuhr: "Was zum Teufel fällt Ihnen ein?"

     Sie war bewusst das Risiko eingegangen, seinen Zorn auf sich zu ziehen. Aber Lucys Genesung war ihr wichtiger. Belle verschränkte die Hände hinter dem Rücken und spürte Satins Atem im Nacken. "Ich habe Lucy gebeten, mir ihre Freunde hier im Stall vorzustellen."

     "Lucy, warte bitte im Wagen auf mich."

     "Aber …"

     "Geh." Sein Ton duldete keinen Widerspruch.

     Lucy zwängte sich mit gesenktem Kopf an ihm vorbei und humpelte zu dem verstaubten braunen Pick-up hinaus, der vor dem Stalltor stand.

     Sobald die Wagentür ins Schloss fiel, trat Cage auf Belle zu. Sie wich einen Schritt zurück, bis sie die Gitterstäbe der Boxentür im Rücken spürte. Satin begann, an ihrem Pferdeschwanz zu knabbern. Hastig zog sie die Haare außer Reichweite.

     "Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, was den Stall betrifft", erklärte Cage in vernichtend ruhigem Ton.

     "Hey, ich bin doch kein Pferdedieb", konterte sie, doch ihr Versuch, die Spannung durch einen Scherz zu mildern, scheiterte kläglich.

     Cage deutete mit dem Kopf zu Satin. "Würden Sie den da stehlen, könnten Sie meinen Applaus bis zur Staatsgrenze hören."

     Sie straffte den Rücken. "Haben Sie denn wirklich nicht gemerkt, was gerade passiert ist?"

     "O doch, Lucy stand nur wenige Zentimeter von dem Untier da entfernt", fauchte er. "Satin ist unberechenbar. Ich möchte nicht das geringste Risiko eingehen, dass meiner Tochter womöglich noch Schlimmeres passiert!"

     "Sie hat ihr verletztes Bein belastet!", rief Belle.

     "Satan …"

     "Satin", korrigierte sie automatisch.

     "Satan hat sie schon einmal abgeworfen. Sie ist eine gute Reiterin, aber sie hätte getötet werden können."

     "Aber das wurde sie nicht. Und wenn Sie dieses Tier für eine Gefahr halten, warum ist es dann überhaupt noch hier?"

     Er wandte sich ab und murmelte: "Lucy würde mich mehr hassen, als ich das Tier hasse, wenn ich es wegbringe."

     Sein Eingeständnis ging ihr nahe. Belle presste die Lippen zusammen und bemühte sich um Objektivität. "Lucy behauptet, dass sie gesund werden will, aber irgendetwas hält sie davon ab, die Therapie wirklich durchzuziehen."

     "Und deshalb wollen Sie sie dazu bringen, wieder auf das Pferd zu steigen!"

     Satin wieherte leise, warf den Kopf hoch und stupste Belles Schulter so kraftvoll an, dass sie vorwärts taumelte und beinahe mit Cage zusammenstieß. "Ich habe nichts dergleichen vor, und Lucy wird sich hüten, Satin zu reiten."

     "Mir liegt sie aber deswegen andauernd in den Ohren."

     "Dann ist es nur gespielt!"

     "Sagen Sie ihr das."

     "Das kann ich tun. Ebenso kann ich spüren, dass sie sich bei der Therapie vorsätzlich zurückhält. Und wenn Sie nicht so darauf bedacht wären, mir aus dem Weg zu gehen, hätte ich längst mit Ihnen darüber gesprochen."

     Seine Miene verriet deutlich, dass er ihr nicht glaubte.

     "Sie hätten es selbst gemerkt, wenn Sie ein bisschen mehr Zeit mit Lucy verbringen würden. Ich weiß, warum Sie mich meiden, aber sie auch zu meiden, ist lächerlich. Als ich Sie kennenlernte, dachte ich, Sie wären einfach nur ein starrsinniger Vater, der seine Tochter nicht so weit von zu Hause weglassen will."

     "Diese Klassenreise nach Chicago wurde ein Jahr im Voraus geplant, und Lucy wusste von Anfang an, dass sie nicht mitfahren durfte. Sie haben sich damals schon in Dinge eingemischt, die Sie nichts angehen, und Sie tun es immer noch."

     "Tja, offensichtlich ist es nötig, dass sich hier mal jemand einmischt. Halb Weaver hält Sie für ein Ungeheuer. Ich wollte es nicht glauben, aber die Leute hier kennen Sie wesentlich länger als ich und haben anscheinend recht. Lucy vom Stall fernzuhalten, weil Sie eifersüchtig auf ein Pferd sind, das sie von ihren Großeltern geschenkt bekommen hat, ist nicht nur überängstlich oder starrsinnig, es ist geradezu grausam!"

     Wütend stürmte Belle an ihm vorbei, hinaus in den nachmittäglichen Sonnenschein. Sie bereute ihre heftigen Worte bereits, aber nun war es zu spät. Bestimmt musste sie nun mit ihrer Entlassung rechnen, und vielleicht war es am besten so.

     Sie blieb stehen, als sie Lucy mit kummervoller Miene im Pick-up sitzen sah, und legte die Hände auf das offene Seitenfenster. "Mach dir keine Sorgen", tröstete sie das Mädchen sanft. "Dein Dad ist sauer auf mich, nicht auf dich."

     "Er soll dich bloß nicht feuern." Impulsiv schlang Lucy ihr die Arme um den Hals. "Wenn er das tut, hasse ich ihn auf ewig!"

     Belle strich ihr über die goldblonden Haare. "Du wirst ihn nicht hassen. Und er hat mich nicht gefeuert." Noch nicht.

     Zögernd blickte sie über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, ob Cage nicht gerade aus dem Stall stürmte, um sie von seinem Grund und Boden zu jagen.

     Doch er stand immer noch vor Satins Box, hatte die Hände auf den obersten Gitterstab gelegt und hielt den Kopf gesenkt. Er schien nicht einmal zu merken, dass Strudel vor seinen Füßen aufgeregt herumhüpfte.

     Belle schloss die Augen, aber im Geist sah sie immer noch Cages Bild vor sich. "Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs" wäre ein passender Titel gewesen, und diese Erkenntnis machte ihr das Herz schwer.

     "Es wird alles gut", versicherte sie Lucy. Hätte sie mehr Mut besessen, wäre sie zu Cage zurückgegangen, um sich zu entschuldigen und es darauf ankommen zu lassen, dass er sie entließ.

     Er rührte sich immer noch nicht.

     Und Belle war nicht tapfer genug, um sich erneut seinem Zorn auszusetzen. "Ich fahre jetzt in die Stadt", verkündete sie. Damit trat sie ihr freies Wochenende ein paar Stunden früher an als geplant, aber diese Entscheidung erschien ihr äußerst ratsam.

     Bekümmert fragte Lucy: "Kommst du denn wieder?"

     Belle zwang sich zu lächeln. "Montag früh. So ist es abgemacht." Erneut blickte sie zu Cage. Sie musste einfach daran glauben, dass es dabei blieb.

Cage parkte am Rand des Weaver Parks und blickte unverwandt über die Straße zu Belle, die sich in ihrem kleinen Vorgarten über einen Rasenmäher beugte.

     Er hatte gewusst, dass sie sich ständig in alles einmischte, eine Nervensäge und viel zu sexy war. Auf all das war er vorbereitet gewesen. Obwohl sie die Tochter des Mannes war, den er seit vielen Jahren hasste, hatte er sie unter seinem Dach wohnen lassen, um einer Schar Anwälte zu beweisen, dass niemand, nicht einmal steinreiche Großeltern, seiner Tochter ein besseres Zuhause bieten konnte als er selbst.

     Doch er war nicht darauf gefasst gewesen, dass ausgerechnet diese seine Tochter sich auf Belles Seite schlagen würde. Unter Tränen hatte Lucy ihm vorgeworfen, dass er Belle vertrieben hatte. Und jetzt lief er dieser Frau doch tatsächlich nach.

     Belle ging in die Hocke und hieb mit einem Schraubenschlüssel auf den Mäher ein. Das metallische Klirren hallte über die Straße und störte die Ruhe des friedvollen Morgens.

     Cage stieg aus und überquerte die Straße. Zur Linken, ein paar Häuser weiter, spielten drei Kinder im Vorgarten. In der anderen Richtung wusch ein Teenager ein Auto.

     Cage konnte sich nicht erinnern, dass er sich jemals so jung gefühlt hatte, wie diese Kinder aussahen. Oder so jung, wie Belle wirkte, obwohl er nur wenige Jahre älter war als sie.

     Vermutlich lag es daran, dass er mit sechzehn die Verantwortung eines Erwachsenen hatte übernehmen müssen.

     Er krempelte die Ärmel hoch, während er ihren Garten betrat. Belustigt registrierte er, wie sie leise fluchte. "Wo liegt das Problem?"

     Belle zuckte zusammen und wandte sich zu ihm um. Widersprüchliche Gefühle spiegelten sich auf ihrem Gesicht. "Das verdammte Ding springt nicht an." Sie drehte ihm wieder den Rücken zu, um den Rasenmäher weiter mit dem Schraubenschlüssel zu bearbeiten.

     Cage trat um sie herum. "Hilft das?"

     Belle warf ihm einen finsteren Blick zu, während sie den Träger ihres roten Bikinioberteils hochzog und dabei einen Schmutzfleck auf ihrem Schlüsselbein hinterließ. "Offensichtlich nicht. Was wollen Sie eigentlich hier?" Sie reckte das Kinn vor und fügte dann leise hinzu: "Als ob ich das nicht wüsste."

     Er hockte sich neben den Mäher und nahm ihr den Schraubenschlüssel aus der Hand. "Ich habe Lucy in die Stadt gefahren, zu Emmy Johannson."

     "Vor mir in Sicherheit gebracht, damit ich sie nicht gefährde?", versetzte sie spitz. Sie entwand ihm den Schraubenschlüssel. "Sie machen Ihre piekfeine Kleidung noch schmutzig."

     Wenn sie schwarze Jeans und ein graues Hemd an ihm als piekfein ansah, musste sie ihn wirklich für einen Hinterwäldler halten. "Lucy hat mir erzählt, dass Sie sie nicht hätten reiten lassen."

     "Das habe ich Ihnen doch schon gesagt." Sie beugte sich über den Mäher und versuchte, die Verkleidung zu entfernen.

     Der Anblick ihres geschmeidigen Oberkörpers verschlug Cage fast den Atem. Ihre Brustspitzen unter dem dünnen Bikinistoff waren aufgerichtet und … Hastig schaute er über die Straße zum Park.

     Seufzend ließ sie sich auf den Po fallen und streckte die Beine aus. "Es ist hoffnungslos."

     Ja, hoffnungslos für ihn, sich vom Anblick ihrer Brüste zu lösen. "Lucy hat außerdem angedeutet, dass Sie nicht wiederkommen würden." Er nahm ihr den Schraubenschlüssel aus der Hand und entfernte geschickt das Gehäuse.

     "Angeber", spottete sie.

     Cage grinste nur.

     Sie entriss ihm den Schraubenschlüssel. "Wenn Sie hier sind, um mich zu feuern, dann bringen Sie es hinter sich. Wie Sie sehen, habe ich zu arbeiten." Erneut zog sie sich den Träger hoch und beugte sich über den Mäher. Sie griff hierhin und dorthin, zupfte und drückte wahllos herum und bewies damit, dass sie keine Ahnung von dem Gerät hatte.

     "Ich bin nicht gekommen, um Sie zu feuern, sondern um Sie zum Bleiben zu bewegen. Fassen Sie das nicht an." Er wollte ihre Hand wegschieben, doch Belle hatte keine Lust auf männliche Bevormundung.

     "Das ist mein Mäher!"

     Er schloss seine Finger um ihre. "Ich soll also tatenlos zusehen, wie Sie ihn endgültig ruinieren?"

     Belles Herz klopfte heftig, und sie schaffte es nicht, ihre Hand aus seiner zu lösen.

     Heißes Verlangen durchschoss seine Lenden, und er ließ sie abrupt los. "Sie brauchen eine neue Zündkerze."

     Belle setzte sich auf die Fersen und stützte die Hände auf die Knie. "Sie sind also gekommen, weil Sie befürchten, ich könnte kneifen."

     "Tun Sie es?"

     "Ich lasse niemanden im Stich, an dem mir etwas liegt."

     "Bewundernswert. Und was ist mit Lucy?"

     "Lucy mag ich."

     "Aber mich nicht."

     "Das wäre ja wohl auch der Gipfel der Dummheit. Es muss wirklich eine Katastrophe für Sie sein, dass die Days in diese Gegend eingefallen sind, anstatt schön weit weg in Cheyenne zu bleiben. Hassen Sie die Clays auch, nachdem Squire meine Mutter geheiratet hat?"

     "Wollen Sie damit sagen, dass Sie in Weaver bleiben wollen?"

     "Nein. Ich kann es kaum erwarten, meinen Job an der Klinik in Cheyenne wieder aufzunehmen. Würden Sie nicht wie ein Einsiedler auf der Lazy B leben, dann wüssten Sie das. Über mich wird hier genauso viel getratscht wie über alle anderen." Sie stand auf und verzog entnervt das Gesicht. "Die hat mir gerade noch gefehlt."

     "Probleme, Belle?", erklang eine fröhliche Frauenstimme.

     Cage blickte zur Straße und sah, wie Brenda Wyatt sich förmlich überschlug, ihrer Nachbarin zu Hilfe zu eilen. "Apropos Klatsch …", stieß er gepresst hervor.

     "Nichts Besonderes, Brenda", versicherte Belle.

     Brenda erfasste mit einem neugierigen Blick die Szene. "Kann ich irgendwie helfen?"

     "Nur, falls Ihr Mann eine Zündkerze für das Ding da herumliegen hat."

     "Ich gehe mal fragen." Nach einem letzten spekulativen Blick in Cages Richtung zog Brenda sich in ihren eigenen Garten zurück.

     Cage seufzte. "Jetzt hat sie auch noch einen Vorwand wiederzukommen."

     Belle lächelte spöttisch. "Na und? Sie müssen ja nicht bleiben. Betrachten Sie Ihre kurze Anwesenheit hier als Ihre gute Tat für heute. Sie haben Brenda damit für Stunden Unterhaltung verschafft."

     "Soll es so weitergehen, wenn Sie zurück auf die Lazy B kommen?" Was er immer noch bezweifelte, denn sie hatte ihm kein direktes Okay gegeben. "Offener Krieg?"

     "Sie sind es, der den Krieg erklärt hat. Ich wollte nur helfen. Aber Sie haben mich abwechselnd wie eine Aussätzige und eine Lügnerin behandelt. Was in der Vergangenheit passiert ist, tut mir leid. Mehr, als Sie ahnen. Vielleicht haben Sie das Gefühl, Ihren Vater oder Ihre Mutter zu verraten, indem Sie den Feind anheuern. Aber Ihr Vater ist tot. Ihre Tochter lebt, und ihr will ich helfen."

     "Glauben Sie, das wüsste ich nicht?"

     In diesem Moment kehrte Brenda im Laufschritt zurück, durchquerte den Vorgarten und drückte Belle eine kleine Schachtel in die Hand. "Bitte schön."

     "Danke. Ich werde sie ersetzen, sobald ich in die Eisenwarenhandlung komme."

     "Ja, ja. Es eilt nicht." Brendas Blick glitt zu Cage. "Wie geht es der kleinen Lucy? Es ist ja so eine furchtbare Tragödie!"

     "Herrje, Brenda, Lucy ist nicht gelähmt", versuchte Belle sie zu stoppen.

     "Natürlich nicht. Und es ist sehr nett von Cage, dass er Ihnen einen Job gegeben hat nach all dem … Schlamassel, den Sie in Cheyenne hatten."

     Gott bewahre mich vor gehässigen Frauen, dachte er, während er die Schachtel nahm und sich hinkniete, um die Zündkerze zu wechseln. "Ist das nicht Ihr Jüngster, Brenda, der da gerade auf die Straße läuft?" Cage wusste, dass dem so war, denn sie brachte ihre drei Sprösslinge zu jeder Schulversammlung mit.

     Sie wirbelte herum: "Timothy Wyatt! Sofort runter von der Straße!", kreischte sie und setzte sich in Bewegung, um den Jungen von der Straße zu zerren.

     "In Wyatts Nachbarschaft kommt keine Langeweile auf", murmelte Belle.

     "Das kann ich mir denken." Cage schloss das Gehäuse über dem Motor, öffnete den Benzinhahn und betätigte den Anlasser. Sofort sprang der Motor an und schnurrte.

     "Danke", seufzte Belle erleichtert. "Gehen Sie doch ins Haus und waschen Sie sich die Hände, damit Sie sich nicht auch überall so schmutzig machen wie ich."

     Unwillkürlich glitt sein Blick zu den Ölflecken auf ihrem Dekolleté. Das hätte er lieber bleiben lassen, signalisierte ihm sein heftig klopfender Puls. Mit einem flüchtigen Nicken stand Cage auf und eilte über den schmalen, von Blumenrabatten gesäumten Gartenweg Richtung Haus, während Belle die winzige Rasenfläche zu mähen begann.

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