Dir verzeih ich alles - 7. Kapitel

7. KAPITEL

Schon von weitem sah Cage sie kommen. Die langen braunen Haare, die im Wind wehten, während sie tief über den Pferdehals gebeugt über die Weide galoppierte, waren unverwechselbar.

     Drei Wochen waren seit jener Nacht in seinem Büro vergangen. Drei relativ friedliche Wochen. Abgesehen von den Nächten, die er hellwach und unruhig im Zimmer neben Belles verbrachte.

     Er stützte die Hände auf den Posthole Digger – ein Gerät zum effektiven Graben von Zaunlöchern – und beobachtete, wie Belle sich auf Dexter näherte. Vorfreude mischte sich mit Argwohn.

     Zumindest war sie nicht so leichtsinnig, den teuflischen Satin zu reiten. Andernfalls hätte er sie gefeuert – egal, wie viel sie auch inzwischen zu Lucys Genesung beigetragen hatte.

     Er lehnte den Posthole Digger gegen den Pick-up, setzte sich auf die geöffnete Heckklappe und trank eine halbe Flasche Wasser, während er dem nahenden Donnern der Hufe lauschte und Belle entgegenblickte.

     Sie wirkte zerbrechlich, als sie aus dem Sattel stieg, aber er wusste nur zu gut, dass sich unter ihrer eng anliegenden Kleidung durchtrainierte Muskeln und starke Nerven verbargen.

     Belle schlang die Zügel um den Außenspiegel des Wagens, beschattete die Augen mit einer Hand vor der Mittagssonne und blickte Cage an. "Sie sind wie gewöhnlich schwer aufzufinden. Bereits vor dem Frühstück aus dem Haus und erst nach dem Dinner wieder zurück."

     "Wo steckt Lucy?"

     "Emmy Johannson ist mit Anya zu Besuch. Sie essen gerade zu Mittag, und danach erteilt Emma Lucy Klavierunterricht."

     "Was ist dann passiert?" Er zog einen Zaunpfahl von der Ladefläche, stellte ihn in das Loch, das er gerade gegraben hatte, und stieß mit dem Fuß dagegen, um ihn auszurichten. "Und warum sind Sie nicht mit dem Auto gekommen?"

     Mit beiden Händen umfasste Belle den dicken Pfahl und stemmte sich mit der Schulter dagegen. "Steht er jetzt gerade?"

     "Ja." Cage füllte das Loch mit Erde und befestigte den Stacheldrahtzaun am Pfahl.

     Belle zog einen Umschlag aus dem Hosenbund. "Der sieht wichtig aus. Ein Bote hat ihn gebracht."

     Widerstrebend nahm Cage den Brief entgegen und überflog die Absenderadresse.

     Vorsichtig fragte Belle: "Wollen Sie darüber reden?"

     "Nein." Er schob den Umschlag in seine Gesäßtasche, denn er wollte ganz bestimmt nicht in Belles Gegenwart lesen, dass die Gefahr, das Sorgerecht für sein Kind zu verlieren, bedenklich groß war.

     "Kann ich irgendetwas tun?"

     "Nein." Er brauchte Geld, viel Geld, wahrscheinlich fünfzig Riesen. So viel würde es wohl in etwa kosten, Sandi zu einem Rückzieher zu bewegen. Cage schulterte einen weiteren Pfahl und trug ihn zum nächsten Loch.

     "Cage, wenn Sie juristischen Beistand brauchen, könnte meine Familie …"

     "Nein."

     "Nun gut. Meinen Sie, dass …"

     "Verdammt noch mal, ich habe Nein gesagt!"

     Sie zuckte zusammen. "Sie wissen ja gar nicht, was ich fragen wollte!"

     Er atmete tief durch und rammte den Posten in den Boden. "Ich will Ihre Hilfe nicht. Ich will die Hilfe Ihrer Familie nicht. Ich will gar nichts." Nur dich und deinen wunderschönen Körper. "Klar?"

     "Die Clays geben eine Party", erklärte sie steif. "Sie haben mich gebeten, Sie und Lucy einzuladen."

     Gegen Squire Clay und seine Söhne hatte Cage nie etwas einzuwenden gehabt. Doch das hieß noch lange nicht, dass er zusammen mit Squires Frau Gloria Day an einem Tisch sitzen und Tee trinken wollte. Er konnte die Frau einfach nicht ansehen, ohne daran denken zu müssen, was ihr erster Mann seinen Eltern angetan hatte. "Was für eine Party?"

     Es überraschte sie, dass er nachfragte. "Angels Geburtstag. Sie ist Daniels und Maggies Älteste. Die Party findet genau eine Woche nach Lucys statt."

     Er kannte das bildhübsche dunkelhäutige Mädchen nur vom Sehen, aber er wusste, dass Angel ein Adoptivkind war. "Nehmen Sie Lucy mit."

     "Wirklich?"

     "Wenn sie hin will."

     "Das ist wundervoll." Eifrig rieb sie sich die Hände. "Dann können wir schwimmen gehen. Die Double C hat einen großen Teich, wissen Sie, und …"

     "Und ich habe keine Zeit mit Quatschen zu verschwenden", unterbrach er sie. "Also kümmern Sie sich bitte wieder darum, wofür ich Sie bezahle."

     Belle reckte das Kinn vor. "Spielen Sie nur weiter das Ungeheuer! Eines Tages werden Sie die Rolle so perfekt beherrschen, dass sogar Sie selbst vergessen, wer Sie wirklich sind." Damit stürmte sie zu Dexter und schnappte sich die Zügel. Mit einer geschmeidigen Bewegung schwang sie sich in den Sattel, und schon galoppierte sie davon.

     Kaum war sie außer Sichtweite, ließ er den Blick über das Land schweifen. Als er die Lazy B geerbt hatte, war sie kaum mehr als ein Stück karges Land gewesen, dem sein Vater einen mageren Lebensunterhalt abgerungen hatte.

     Nun war das Weideland in erstklassigem Zustand, ebenso wie der Viehbestand, sodass die Ranch bei einem Verkauf einen guten Preis eingebracht hätte. An Angeboten hatte es in den letzten Jahren nicht gemangelt, vor allem nicht von Squire Clay, der den größten Betrieb in der Umgebung führte.

     Doch Cage wollte nicht verkaufen. Aber noch weniger wollte er seine Tochter verlieren.

     Er zog den Brief hervor und musterte den Umschlag. Zugestellt per Bote. War das eine beschönigende Bezeichnung für einen Gerichtszusteller?

     Cage setzte sich neben den Pick-up in den Schatten und riss den Umschlag mit zitternden Fingern auf.

     Die Nachricht war kurz, der Wortlaut unmissverständlich.

     Sandi hatte nicht geblufft. Sie bediente sich des beträchtlichen Reichtums ihrer Eltern, um durchzusetzen, was Cage ihr verweigert hatte. Die Oldhams wollten Lucy in den Schoß der Familie aufnehmen. Nun ging es nicht mehr nur um das Besuchsrecht. Sie wollten das Sorgerecht für ihr Enkelkind erwirken.

     Er lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Der Anwalt, den er sich leisten konnte, war dem halben Dutzend Rechtsverdreher, das die Oldhams gegen ihn antreten ließen, nicht gewachsen. Und selbst wenn Cage die Ranch verkaufte, um einen Rechtsbeistand von deren Kaliber bezahlen zu können, standen die Chancen zu gewinnen schlecht.

     Denn die Oldhams waren nicht nur reich, sondern zählten auch zur so genannten besseren Gesellschaft Chicagos. Altes Geld, untadelige Reputation. Mit zwanzig hatte Sandi dagegen rebelliert und ihn davon überzeugt, dass es besser war, ihren Eltern die Schwangerschaft zu verheimlichen. Und er hatte nachgegeben aus Angst, dass sie etwas Dummes tun und die Schwangerschaft abbrechen könnte.

     Nun passte es Sandi offensichtlich gut, ihre Eltern auf ihrer Seite zu wissen.

     Cage spielte mit dem Gedanken, einfach mit seiner Tochter zu verschwinden. Aber er war kein Drückeberger. Sonst hätte er sich damals aus der alleinigen Verantwortung für eine Ranch und ein Kind gestohlen, als er selbst kaum mehr als ein Teenager gewesen war.

     "Cage?"

     Er schob den Brief zurück in den Umschlag und stand auf. Erstaunt registrierte er, dass Belle zurück war. Er hatte sie gar nicht kommen hören. "Was ist denn?" Er ließ den Brief im Werkzeugkasten verschwinden und schloss den Deckel. "Haben Sie etwas vergessen?"

     Sie glitt aus dem Sattel und schlang Dexters Zügel wieder um den Außenspiegel des Pick-ups. "Lucy hat noch Klavierunterricht, und außerdem braucht sie etwas Zeit mit Anya. Gibt es noch ein Paar Handschuhe in dem Kasten?"

     "Warum?"

     Sie trat an die Ladefläche. "Weil ich mir keine Blasen holen will."

     Cage verstellte ihr den Weg, bevor sie den Werkzeugkasten öffnen konnte. "Verursacht durch was?"

     Bedeutungsvoll blickte sie zu den Zaunpfählen.

     "Ich will Ihre Hilfe nicht."

     "Das haben Sie mir schon mehrmals deutlich zu verstehen gegeben. Was ist jetzt mit den Handschuhen?"

     Er sah sie abweisend an, aber Belle ließ sich nicht einschüchtern. Sie erwiderte seinen Blick und blinzelte dabei gegen das Sonnenlicht, das ihre braunen Augen bernsteinfarben leuchten ließ. "Sie brauchen einen Hut", brummte er.

     "Tja, zufällig habe ich gerade keinen dabei." Sie zuckte die Schultern. "Nur damit Sie es wissen: Wenn ich doch Blasen kriege, wird es schwierig, Lucys Muskelkrämpfe wegzumassieren, aber …"

     Er schob sie zur Seite, nahm ein Paar Lederhandschuhe aus dem Kasten und drückte sie ihr in die Hand. Dann stülpte er ihr seinen Hut auf den Kopf. "Sie sind eine verdammte Nervensäge."

     "Ich glaube, das haben Sie bereits zum Ausdruck gebracht, wenn auch nicht mit diesen Worten." Sie schob den Hut zurück, der ihr viel zu groß war.

     Aber sie sah verdammt süß damit aus.

     Cage streifte die Handschuhe über und hielt ihr den Posthole Digger hin. "Wissen Sie, wie man damit umgeht?"

     Statt zu antworten verdrehte sie entnervt die Augen.

     Vermutlich kannte sie sich mit dem Digger in etwa so gut aus wie mit dem Motor ihres Rasenmähers. Ihm sollte es recht sein. Lässig schulterte er einen Pfosten und marschierte los, eine eifrige Belle im Schlepptau. Fünf Minuten, dachte er, und dann verschwindet sie wieder im Haus.

     Doch die fünf Minuten vergingen, und sie zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen, obwohl der Boden hart wie Stein war.

     Cage wischte sich mit dem Arm über die Stirn. "Lassen Sie mich mal."

     "Ich schaffe es schon", entgegnete sie tapfer.

     "Vielleicht. Aber warum wollen Sie sich unnötig anstrengen?"

     Sie warf den Kopf zurück und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: "Weiß der Himmel. Vielleicht muss ich mir selbst beweisen, dass ich es kann." Belle rammte den Digger in die Erde, drückte mit aller Kraft die Hebel herunter und hob eine kleine Menge Erde aus.

     Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen, und Cage beschloss, sie weitermachen zu lassen. Schweiß tropfte ihr von der Stirn, als das Loch endlich tief genug war.

     "Wollen Sie den Pfosten auch noch einsetzen?", fragte Cage ironisch.

     Belle schüttelte den Kopf. "Ich möchte ja nicht, dass Sie sich wie ein Schwächling vorkommen", keuchte sie. "Das ist echt harte Arbeit. Kein Wunder, dass Sie die Trainingsgeräte in der Scheune nicht brauchen." Sie hob den Saum ihres T-Shirts, um sich damit das Gesicht abzuwischen.

     Der Anblick ihrer perfekt gerundeten Brüste ließ ihn schlucken, obwohl sie in einem Sport-BH aus einem blickdichten grauen Material steckten, das in etwa so erotisch wirkte wie Wollsocken. Ungewollt drängte sich ihm ein Bild auf: Belle in Wollsocken und sonst nichts …

     Energisch rammte Cage den Pfosten ins Loch und schaufelte Erde drum herum. "Nachdem Sie nun die Schwerarbeiterin gespielt haben, sollten Sie wieder an Ihre eigentliche Aufgabe gehen." Und mir diesen aufreizenden Anblick ersparen.

     Sie nahm den Cowboyhut ab, hob die Haare im Nacken an und streckte sich. "Jeder muss ab und zu mal spielen. Sogar Sie."

     "Dann habe ich eben gerade in Loch neun eingelocht."

     "Sie spielen Golf?", hakte sie erstaunt nach.

     Wortlos blickte er sie an.

     "Na ja, ist wohl schwierig ohne Golfplatz in der Nähe", versetzte sie kleinlaut.

     "Es ist schwierig, wenn einem keine Zeit dazu bleibt", korrigierte Cage sie.

     "Können Sie denn überhaupt Golf spielen?"

     "Und Sie?"

     Belle schüttelte den Kopf.

     Er lächelte unwillkürlich und ging zum Pick-up. Dexter graste selbstvergessen und hob nicht einmal den Kopf.

     Belle ließ nicht locker. "Sie haben meine Frage nicht beantwortet."

     "Gut beobachtet."

     "Befürchten Sie, ich posaune Ihr kleines Geheimnis in der Gegend herum?"

     "Kehren Sie zum Haus zurück, Miss Day." Cage nahm ihr den Hut aus der Hand. "Die Spielstunde ist vorbei."

     "Würden Sie sich Zeit zum Spielen gönnen, könnten Sie vielleicht besser schlafen." Sie nahm Dexters Zügel und schwang sich graziös in den Sattel.

Bewegungsfähigkeit immer noch stark eingeschränkt, trotz deutlicher Steigerung der Muskelkraft und …

     Belle hielt im Schreiben inne, als sie einen Schrei hörte.

     Wieder ein Albtraum. Besorgt sprang sie vom Küchenstuhl auf und lief in den Flur, obwohl sie ahnte, dass Cage vor ihr bei Lucy sein würde.

     Und tatsächlich beugte er sich gerade über seine Tochter, als Belle die Tür öffnete.

     Einen Moment lang blieb Belle im Türrahmen stehen. Dann kehrte sie zurück in die Küche und an den Bericht, in dem sie wöchentlich Lucys Fortschritte notierte.

     Wenig später steckte Cage den Kopf zur Tür herein und verkündete mit harter Miene: "Sie verlangt nach Ihnen."

     Mit einem Nicken eilte sie an ihm vorbei in Lucys Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Sie nahm ein Papiertuch vom Nachttisch und tupfte damit Lucys schweißnasse Stirn ab. "Was ist los?"

     Stumm schaute Lucy an ihr vorbei zur Tür. Belle wandte den Kopf und entdeckte Cage. Er machte auf dem Absatz kehrt, ging in sein Büro und schloss die Tür – leise und beherrscht.

     "Bist du krank?", wollte Belle wissen.

     "Ich habe einen Krampf im Bein. An derselben Stelle wie immer."

     Belle schlug die Bettdecke zurück und begann, die Wade zu massieren. Sofort wurde ihr klar, dass der Krampf längst weg war, falls er überhaupt existiert hatte. Trotzdem massierte sie weiter. "Hattest du auch wieder einen Albtraum?"

     Lucy zuckte nur die Achseln und vergaß nicht, zu Ehren ihres Phantomkrampfes hin und wieder zu stöhnen.

     "Ich hatte nach dem Unfall auch immer Albträume", bekannte Belle.

     "Der Unfall, bei dem Grandma verletzt wurde?"

     "Ja."

     "Das muss ziemlich schlimm gewesen sein."

     "Allerdings. Ich lag danach wochenlang im Krankenhaus."

     "Wie alt warst du?"

     "Dreizehn. Danach litt ich lange Zeit unter Albträumen. Aber nicht von dem Unfall direkt. Ich habe immer wieder geträumt, dass alle Leute, die ich kenne und lieb habe, weglaufen und ich nicht mithalten kann. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte keinen einzigen Schritt gehen. Im Wachzustand war mir natürlich klar, dass meine Familie und Freunde mich nicht zurücklassen würden, doch im Schlaf …"

     "Aber die Albträume haben wieder aufgehört, oder?"

     "Ja."

     "Wann?"

     "Als ich anfing, darüber zu reden." Belle wartete vergeblich, dass Lucy den Wink verstand. "Ist der Krampf jetzt weg?"

     "Ja."

     "Gut." Fürsorglich breitete Belle die Decke über das Mädchen und ging zur Tür. "Gute Nacht, Süße."

     Lucy warf ihr einen flehenden Blick zu. "Kannst du …"

     "Was denn?"

     "Bleiben, bis ich eingeschlafen bin?"

     "Na klar." Belle zog den pinkfarbenen Stuhl aus der Ecke ans Bett und setzte sich.

     Lucy drehte sich auf die Seite und fragte leise: "Kommst du zu meiner Geburtstagsparty, obwohl sie Freitagabend stattfindet und du da eigentlich schon frei hast?"

     "Wenn du willst, gern."

     Mit einem zufriedenen Nicken schloss Lucy die Augen. Kurz darauf war sie eingeschlafen.

     Belle blieb noch eine Weile sitzen, bevor sie sich aus dem Zimmer schlich und die Tür anlehnte.

     Sie spähte ins Büro und fand es leer vor. Aber sie musste nicht lange nach Cage suchen. Wie auch sonst häufig zu später Stunde saß er auf der Veranda und starrte in die Finsternis.

     "Sie ist wieder eingeschlafen", sagte Belle leise und trat in die milde Nacht hinaus. Mitgefühl erfüllte sie. Es tat ihm bestimmt weh, dass seine Tochter ihn wieder einmal ausgeschlossen hatte. "Ich bilde mir doch nicht nur ein, dass ihre Albträume häufiger geworden sind, oder?"

     Er schüttelte den Kopf.

     "Haben Sie Lucys Arzt informiert?"

     Cage nickte, schwieg aber beharrlich.

     Belle unterdrückte den Drang zu fragen, ob er mit dem Arzt auch über seine chronische Schlaflosigkeit gesprochen hatte. "Sie hat mich gebeten, zu ihrer Geburtstagsparty zu kommen."

     "Das will ich doch hoffen. Schließlich war es Ihre Idee. Dann können Sie zumindest den Anstandswauwau spielen – oder sie trösten, falls es ein Reinfall wird."

     "Es wird bestimmt kein Reinfall."

     "In diesem Haus ist kein Platz für eine Horde Kinder."

     "Wir feiern in der Scheune."

     Er warf ihr einen erstaunten Blick zu.

     "Es war Lucys Idee. Wir haben schon Papiergirlanden und Luftballons zur Dekoration gekauft."

     Cage strich sich durchs Haar. Seine sonst so verschlossene Miene spiegelte endlich einen Anflug von Gefühl wider. Dummerweise Verdruss. "Eine gute Idee. Dieses Haus ist ein Chaos."

     Eine bissige Bemerkung lag ihr auf der Zunge. Wenn er ihr, Belle, nicht untersagt hätte, sich um den Haushalt zu kümmern, bräuchte er sich nicht über das Chaos zu beklagen. "Es ist schwer für eine Person, alles allein zu erledigen", erwiderte sie diplomatisch.

     Als er nicht reagierte, sondern erneut in düsteres Schweigen verfiel, wandte sie sich resigniert zum Gehen.

     "Was ist, wenn keiner kommt?", fragte er plötzlich.

     Belle hielt inne und hockte sich auf die Brüstung der Veranda. "Das wird nicht passieren. Es sind schließlich Lucys Freunde."

     "Doch deren Eltern sind nicht meine."

     Belle presste die Lippen zusammen und beobachtete die Motten, die um die Lampe schwirrten. "Weil Sie es nicht zulassen. Die Leute tratschen nur über Sie, weil Sie sich so abkapseln."

     "Ich mag es nicht, wenn alle Welt über meine Angelegenheiten Bescheid weiß."

     "Es ist eine kleine Gemeinde. Da interessiert sich nun mal jeder für jeden, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Und wenn Sie sich nicht so unnahbar geben würden, könnten Sie womöglich eine Überraschung erleben. Wenn Sie die Leute endlich akzeptieren, würden diese im Gegenzug Ihr Bedürfnis nach Privatsphäre akzeptieren." Diese These klang selbst in ihren Ohren verworren, aber sie fuhr unbeirrt fort: "Jedenfalls, auch wenn Sie andere auf Distanz halten, bringt das Lucy keinen Schaden. Die Leute in Weaver nehmen Anteil und wollen mit ihr feiern. Alle Einladungen sind schon längst bestätigt, und so kurz vor der Party wird es sich keiner anders überlegen."

     Cage wirkte alles andere als überzeugt. "Es ist spät. Sie sollten längst im Bett liegen."

     "Sie stehen ja noch früher auf als ich. Ich weiß nicht, wie Sie das schaffen. Ich bin nur ausnahmsweise so lange aufgeblieben, weil ich den Bericht für Lucys Orthopäden noch fertig schreiben wollte. Sonst läge ich schon längst in Morpheus' Armen."

     "Sie Glückspilz." Er lehnte den Kopf zurück und musterte sie unter halb gesenkten Lidern. "Hat sie Ihnen den Inhalt des Albtraums erzählt?"

     Sein intensiver Blick wirkte beunruhigend, und Belle schaffte es nicht, ihm standzuhalten. "Nein. Aber sie wird es tun, wenn sie dazu bereit ist. Genauso, wie sie sich bei der Therapie nur dann anstrengt, wenn sie die innere Bereitschaft dazu hat."

     "Am Wochenende hat sie fleißig ihr Programm durchgezogen."

     "Ich weiß. Ich merke es, wenn ich montags mit ihr arbeite. Aber sie hat immer noch nicht die Fortschritte gemacht, die ich ihr zutraue."

     "Was trauen sie ihr denn zu? Dass sie bis Thanksgiving wieder Ballett tanzt?" Abrupt beugte er sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf sinken.

     Belle bräuchte nur die Hand zu heben, um ihm durch die Haare zu streichen. Sie umfasste die Brüstung fester. "Nicht unbedingt bis Thanksgiving, aber vielleicht bis Weihnachten", entgegnete sie, obwohl sie beide wussten, dass sie bis dahin längst nicht mehr auf der Ranch sein würde.

     Er sah zu ihr auf, nicht mehr ganz so düster dreinblickend. "Immerhin kann sie schon an Stützen gehen. Das ist an sich schon erstaunlich. Die Prognose des behandelnden Arztes direkt nach dem Unfall fiel weit weniger optimistisch aus."

     Erfreut über sein ungewohntes Lächeln, lockerte Belle den Griff um das Verandageländer und verlor das Gleichgewicht.

     Blitzschnell streckte Cage die Hand aus und packte sie am Arm, um sie zu stützen. Ein heißes Prickeln überlief ihren Körper.

     "Danke", brachte sie mit rauer Stimme hervor.

     "Es hätte mir gerade noch gefehlt, dass Sie sich das Genick brechen", spottete er.

     Sie löste sich aus seinem Griff und stand auf. Rasch ging sie an ihm vorbei zur Fliegengittertür. "Gute Nacht, Cage", wünschte sie und eilte ins Haus.

     Erst als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, hörte sie ihn antworten: "Gute Nacht, Belle."

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