Dir verzeih ich alles - 8. Kapitel
8. KAPITEL
Kaum lag Belle im Bett, das seit fast einem Monat wieder quietschte, als ihr Handy leise summte. Sie nahm es vom Nachttisch und schaute auf das Display. "Nik?"
"Ich versuche seit Stunden, dich zu erreichen."
"Was ist denn passiert?"
"Wer sagt denn, dass was passiert ist?", konterte Nikki schroff. "Ich habe dir ein halbes Dutzend Nachrichten hinterlassen."
Belle ließ sich in die Kissenzurücksinken. "Tut mir leid. Ach, Nik, ich weiß nicht, was ich hier tue, wieso ich geglaubt habe, dass ich die Vergangenheit irgendwie wieder gutmachen könnte."
"Scotts Behandlung ist beendet", verkündete Nikki.
"Was? Oh. Gut. Dann kann seine Frau das Personal nicht mehr schikanieren."
"Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich dachte, es geht dir darum zu beweisen, dass du eine gute Therapeutin bist. Nachdem Scott dich dafür verantwortlich gemacht hat, dass er nie wieder Football spielen kann …"
"An Scott habe ich überhaupt nicht gedacht", entgegnete Belle. "Ich wollte …, ich hätte fast … Ich wollte ihn küssen, Nikki, schon mehr als nur ein Mal."
"Wen? O nein! Bitte sag mir, dass du nicht von Cage Buchanan sprichst."
"Okay, ich sage es dir", murmelte Belle. "Aber es ist gelogen." Sie wartete darauf, dass Nikki aussprach, was ihr selbst durch den Kopf ging: Lass dich nicht mit Patienten oder deren Angehörigen ein; lass dich nicht mit einem Mann ein, der deine Eltern hasst; lass dich am besten mit niemandem ein.
Doch Nikki seufzte nur. "Und was willst du jetzt tun?"
Belle strich gedankenverloren über die Bettdecke. Hatte Cages Mutter sie gehäkelt? Zählte Handarbeit zu den Dingen, die ihr durch den Autounfall genommen worden waren? "Da gibt es nichts zu tun. Er hat mich schließlich nicht aus persönlichem Interesse engagiert. Ich bin wegen Lucy hier. Ich muss mich nur auf sie konzentrieren, und dann ist alles gut." Die Worte klangen ein bisschen hohl. "Aber jetzt sag mir, warum du mich eigentlich sprechen wolltest."
"Ich habe gekündigt."
"Was? Oh, verdammt. Warum? Hat Alex die Gehaltserhöhung abgelehnt?"
"Ich habe nie darum gebeten." Nikkis Stimme klang belegt.
Offensichtlich hatte sie geweint, und Belle kam sich sehr selbstsüchtig vor, weil sie es nicht sofort bemerkt hatte. "Warum dann? Du liebst deinen Job doch. Was ist los?"
"Ich …, ich bin schwanger."
Belle setzte sich abrupt auf. "Was? Seit wann? Geht es dir gut? Warst du beim Arzt?"
"Seit sechs Wochen. Ja. Und ja."
"Sechs Wochen … Großer Gott, ich wusste nicht mal, dass du eine Beziehung hast!"
Nikki schluchzte. "Das ist es ja gerade. Hab ich auch nicht."
"Was ist denn passiert?"
"Das Übliche."
"Ich komme sofort zu dir."
"Nein", protestierte Nikki heftig. "Du hast einen Job zu erfüllen."
"Dann aber spätestens am Wochenende. Versuch gar nicht erst, es mir auszureden. Hast du es Mom schon erzählt?"
"Nein. Und du tust es bitte auch nicht."
"Früher oder später muss sie es erfahren. Samstag in einer Woche findet Angels Party statt. Du fährst doch hin, oder? Dann wird Mom merken, dass was nicht stimmt."
"Um nächste Woche kümmere ich mich nächste Woche. Ich brauche einfach etwas Zeit, bevor ich es ihr sage."
Belle nagte an ihrer Unterlippe. "Was ist mit dem Vater? Und warum hast du gekündigt? Hast du schon einen neuen Job?"
"Nein."
"Ich kann es nicht fassen, dass Alex dich nach all der Zeit gehen lässt. Weiß er von der Schwangerschaft? Hat er dir womöglich deshalb nahe gelegt zu kündigen?"
"Außer dir weiß es niemand."
"Ich habe noch tausend Fragen." Belle schüttelte fassungslos den Kopf.
"Können wir die auf ein andermal verschieben?"
"Wenn es sein muss … Fühlst du dich wirklich gut?"
"Ja. Ich bin nur müde."
"Und du willst jetzt nicht mehr darüber reden."
"Richtig."
"Ich hab dich lieb, was auch passiert. Und du wirst eine tolle Mutter", versicherte Belle herzlich.
Nikki lachte unter Tränen. "Und du wirst eine tolle Tante. Gute Nacht, Annabelle."
Es klickte in der Leitung. Belle legte das Handy auf den Nachtisch und stand auf, um nach unten zu gehen. Sie war zu aufgewühlt, um schlafen zu können.
Inzwischen war es dunkel im Haus; die Tür zu Cages Zimmer war geschlossen. Belle verließ das Haus durch die Hintertür. Auf halbem Weg zur Scheune wurde ihr bewusst, dass sie keine Schuhe angezogen hatte. Ihre Fußsohlen prickelten, aber sie kehrte nicht um.
In der Scheune legte sie eine CD ein, drosselte die Lautstärke und begann zu trainieren.
Eine Stunde später schmerzten ihre Muskeln, und die schweißnassen Haare klebten ihr an Stirn und Nacken. Erschöpft sank sie auf die Bodenmatte und schloss die Augen. Noch immer schwirrten ihr unzählige Gedanken und Fragen durch den Kopf, aber die körperliche Anstrengung hatte die Grübeleien ein wenig in den Hintergrund gedrängt.
"Haben Sie sie vertrieben?"
Belle erschrak nicht einmal, als sie Cages Stimme hörte. Müde hob sie den Kopf. "Wen?"
"Die Sorgen."
"Ich dachte, Sie liegen längst im Bett. Schlafen Sie eigentlich nie?"
Er durchquerte den Raum und holte ihr ein Handtuch von dem Stapel auf dem Regal. "Für mich ist das normal. Für Sie nicht."
Sie presste sich den Frotteestoff ans Gesicht und murmelte: "Meine Schwester hat gekündigt." Sie bereute sofort, dass sie nicht den Mund gehalten hatte, aber jetzt war es zu spät.
"Sie arbeitet im selben Krankenhaus wie Sie früher, oder?"
"Ja." Belle ließ das Handtuch sinken. "Sie war sogar die rechte Hand vom Boss."
"Befürchten Sie, nun nicht mehr mit offenen Armen in der Klinik empfangen zu werden, wenn Ihre … Beurlaubung zu Ende geht?"
Vor Empörung vergaß sie ihre schmerzenden Muskeln und sprang auf. "Daran habe ich überhaupt nicht gedacht!", fauchte sie. "Aber ich erwarte nicht, dass Sie glauben, dass ich – eine Day – an etwas anderes denke als mich selbst."
Cage hielt sie am Arm fest, als sie an ihm vorbei aus der Scheune stürmen wollte. "Es tut mir leid."
Sie zitterte und schob es auf die kalte Nachtluft, die über ihren verschwitzten Körper wehte. Das war einfacher, als sich einzugestehen, wie sehr seine Berührung sie erregte.
Sie entwand sich seinem Griff im selben Moment, als Cage sie losließ. Ohne ihn anzusehen, flüsterte sie: "Es tut mir auch leid", und damit meinte sie viele Dinge.
Sie ging, ließ Cage allein in der Scheune zurück, umgeben von Gewichten und Matten, Barren und Bällen, die alle einem einzigen Zweck dienten: Lucy wieder das Stehen und Laufen und Tanzen zu lehren.
Doch in diesem Moment erschien es Belle, als wären sie und Cage diejenigen mit dem Handicap – in emotionaler Hinsicht.
"Was treiben die denn da drin?"
Belle streckte den Arm aus und versperrte Cage den Zugang zur Scheune. "Sie tanzen nur!", rief sie über den Lärm der Musik hinweg. "Bleiben Sie draußen, damit sie sich nicht beobachtet fühlen."
"Ich will aber nicht, dass sie tanzen."
Unwillkürlich lachte sie auf. "Seien Sie doch kein Spielverderber." Sie legte ihm begütigend eine Hand auf den Arm und rief ihm in Erinnerung: "Sie haben dieser Party zugestimmt."
Er reckte den Hals und spähte durch die offene Tür. Als er entdeckte, dass seine Tochter mit einem Jungen tanzte, verdüsterte sich seine Miene. "Das ist Drew Taggarts Junge."
"Ja."
"Er hat die Arme um sie geschlungen."
Sie lächelte nachsichtig, während sie den Teenagern auf der "Tanzfläche" zuschaute. "Na ja, gewissermaßen." In Wirklichkeit lagen Evan Taggarts Hände sehr zögerlich um Lucys Taille. "Sie hatte Angst, als Einzige nicht tanzen zu können. Dafür, dass sie an Stützen geht, machen sie es ganz gut."
Cage baute sich hinter Belle auf, eine Hand über ihrem Kopf an die Wand gestützt und Lucy mit ihrem Verehrer fest im Blick.
Belle erschauerte wohlig. Cages Nähe brachte sie von Tag zu Tag mehr aus dem Gleichgewicht. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf die Kids. Schließlich hatte sie zugesagt, als Aufsichtsperson zu fungieren, und das war kaum möglich, wenn sie sich zu sehr mit dem Mann beschäftigte, dessen Körperwärme sie im Rücken spürte.
Ihr Mund war wie ausgedörrt, aber sie wagte nicht, in die Scheune zu gehen und sich etwas zu trinken zu holen, denn sie befürchtete, dass die Jungen und Mädchen sich dann sofort wieder in getrennte Ecken verziehen würden, wie sie es zu Anfang getan hatten.
"Dreizehn", murmelte Cage verwundert. "Wie im Handumdrehen."
"Ja, sie wachsen viel zu schnell heran. Jedes Mal, wenn ich meine Nichten und Neffen wiedersehe, sind sie einen Kopf größer geworden." Belle wandte sich zu ihm um und stellte fest, dass seine Aufmerksamkeit ihr und nicht seiner Tochter galt. Diese Erkenntnis machte all ihre guten Vorsätze zunichte, sich nicht zu intensiv mit ihrem attraktiven Arbeitgeber zu beschäftigen. "Baldwin", platzte sie unvermittelt heraus.
Er hielt den Blick auf ihre Lippen geheftet. "Wie bitte?"
"Ihr Name – Sie heißen Baldwin."
Eine Windbö wehte ihr die Haare ins Gesicht, und Cage strich sie ihr mit einer zärtlichen Geste zurück. "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass mein Name einzigartig ist – unique."
"Baldwin" war zwar derzeit nicht gerade der letzte Schrei, aber auch nicht besonders einzigartig. Belle dachte angestrengt nach, aber ihr fiel kein ungewöhnlicher Name ein, zumal Cage immer noch ihre Haare berührte. "Wie lang?"
Er hob fragend die Brauen. "Ich verstehe nicht."
"Buchstaben. Silben."
"Sechs Buchstaben. Zwei Silben."
Völlig zusammenhanglos ging ihr durch den Kopf, dass er sie um einige Zentimeter überragte und sie die Lippen direkt auf seinen kräftigen Hals pressen könnte. "Aha", murmelte sie.
"Sie zittern ja."
"Nein." Hastig drehte sie sich um und blickte wieder in die Scheune. Evan tanzte nicht mehr mit Lucy, sondern reichte ihr gerade mit verklärter Miene ein Glas Limonade.
"Doch", beharrte Cage und legte Belle die Hand auf die Schulter.
Einen Moment lang schloss sie die Augen. "Das liegt am Wind", behauptete sie.
Er antwortete nicht. Aber er zog die Hand zurück.
Das Knirschen von Kies und ein kühler Luftzug in ihrem Rücken bedeuteten ihr, dass Cage zum Haus zurückkehrte. Nun, ihre Fantasie war offensichtlich wieder einmal mit ihr durchgegangen.
Resigniert wandte sie sich ab und konzentrierte sich auf die Party in der Scheune. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, dass es bald wie so oft im Leben Abschiednehmen hieß, kaum dass der Spaß richtig begonnen hatte. In einer knappen Stunde sollten die Jungen abgeholt werden, während die Mädchen über Nacht blieben.
"Hier."
Beim Klang von Cages Stimme zuckte Belle leicht zusammen. Er hatte eine karierte Wolljacke geholt, die er ihr jetzt fürsorglich um die Schultern legte. Dem Stoff haftete sein unverwechselbarer Geruch an: eine Mischung aus frisch gemähtem Gras, frischer Luft und Kaffee.
"Danke." Mit beiden Händen hielt Belle den Kragen zusammen, doch das Zittern hörte nicht auf.
Cage zog sanft ihre Haare unter der Jacke hervor. "Sie tragen sie nur selten offen."
"Stimmt." Ihre Stimme klang belegt. "Weil es mich stört."
"Warum schneiden Sie sie nicht ab?"
Sie zuckte die Achseln. "Wahrscheinlich aus Faulheit." Das glatte Jackenfutter rutschte über ihre nackten Schultern. Sie schlüpfte in die Ärmel, die so lang waren, dass nicht einmal ihre Fingerspitzen herauslugten. Wahrscheinlich sah sie jetzt wie ein Clown und ganz und gar nicht verführerisch aus. Aber darauf zielte sie ja auch nicht ab. Oder etwa doch?
"Sie und faul? Deswegen joggen Sie auch morgens in aller Herrgottsfrühe."
Dass er so etwas überhaupt registrierte, wo er doch kaum zu Hause war, erstaunte sie. "Na ja, es ist eben einfacher, einen Pferdeschwanz zu binden, als einen Kurzhaarschnitt in Form zu bringen."
"Wem gehört das Hemd?", wollte er auf einmal wissen.
Verwirrt drehte sie sich zu ihm um. "Wie bitte?"
"Das Hemd, das Sie trugen, als ich bei Ihnen zu Hause war." Zärtlich strich er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange und kam ihren Lippen sehr nahe.
Sie konnte sich kaum mehr an seine Frage erinnern, so sehr verwirrte die intime Geste sie. "Ich …, ich weiß nicht …"
"Ach, verdammt", murmelte er und umfasste dann ihren Nacken.
Belle schnappte ungläubig nach Luft, als sie seine Lippen heiß und fordernd auf ihren spürte. Ihre Hände lagen auf seiner Brust. Sie wusste genau, dass es gute Gründe gab, ihn wegzustoßen, aber in diesem Moment fiel ihr kein einziger ein.
Und dann hörte sie einfach auf zu denken, als seine Nähe sie überwältigte.
Er hatte die Hände unter die Jacke geschoben und die Arme um sie gelegt. Durch den dünnen Stoff ihres Tops spürte sie, wie er sanft ihren Rücken streichelte. Erneut erschauerte sie.
"Dir ist doch nicht kalt", murmelte er an ihren Lippen.
"Nein." Sie öffnete leicht die Lippen, und Cage erkundete mit der Zunge das zarte Innere ihres Mundes. Belle wurden die Knie weich. Hatte sie je einen Kuss derart bis in die Zehenspitzen gespürt? Sehnsüchtig presste sie sich an Cage und legte ihm die Arme um die Schultern.
Als er mit den Lippen sanft ihren Hals entlangstrich, warf Belle aufstöhnend den Kopf zurück. Über ihnen funkelten die Sterne. Dröhnende Musik lag in der Luft, vibrierte durch ihre Körper.
Ich muss doch auf die Kids aufpassen, dachte Belle benommen. "Cage …"
Er küsste sie erneut und unterdrückte damit ihren halbherzigen Versuch, vernünftig zu sein. Und als er sich schließlich doch widerstrebend von ihr löste, entrang sich ihr ein leiser Protestschrei.
"Das war keine gute Idee", murmelte er.
Sie nickte, unfähig zu sprechen.
Er fluchte leise und presste einen letzten harten Kuss auf ihre Lippen, bevor er einen Schritt zurücktrat. "Ich habe keine Zeit für so was", sagte er rau.
Obwohl seine Miene so gequält wirkte wie seine Stimme, verletzte seine Bemerkung Belle sehr. "Du hast mich geküsst", erklärte sie kühl. "Ich hab mich dir doch nicht an den Hals geworfen."
"Habe ich das behauptet?"
"Du … Nein." Aber sie hatte nicht vergessen, weshalb er ihre Vorgängerin entlassen hatte.
Übermütiges Gekicher ließ Belle herumfahren. Eine Horde Mädchen stürmte aus der Scheune und rannte Belle und Cage beinahe über den Haufen. "Oh, da sind Sie ja!", rief Anya Johannson. "Lucy will jetzt die Torte anschneiden. Ist das okay?"
"Sicher." Belle setzte ein fröhliches Lächeln auf. "Eine sehr gute Idee. Die Jungs müssen nämlich bald los." Und gleich am nächsten Morgen wollte auch sie übers Wochenende abtauchen.
Sie musste dringend mit ihrer Schwester reden. Seit sie von der Schwangerschaft wusste, hatten sie zwei Mal miteinander telefoniert, aber Nikki war frustrierend verschlossen geblieben und hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie keinen Besuch wollte. Diese für Nikki untypische Reaktion ließ in Belle sämtliche Alarmglocken schrillen.
Cage folgte Belle in die Scheune und zündete die Kerzen an. Alle Gäste stimmten gemeinsam "Happy Birthday" an. Lucy pustete die Kerzen aus, Belle schnitt die Torte auf, und die Kids stürzten sich begeistert auf die süße Köstlichkeit. Munteres Geplapper und ausgelassenes Gelächter erfüllten die Scheune.
Die Zeit verging wie im Flug – für alle außer Belle. Für sie krochen die Minuten dahin, denn sie war sich Cages Gegenwart überdeutlich bewusst.
Er hatte keine Zeit "für so was". Glaubte er ernsthaft, dass es ihr anders ging?
Belle atmete erleichtert auf, als auch der letzte Junge von seinen Eltern abgeholt wurde und Cage aus der Scheune verschwand. Er überließ es ihr, die Mädchen für die Nacht unterzubringen. Das war jedoch keine leichte Aufgabe. Aber schließlich lagen sie dicht an dicht auf Luftmatratzen in Lucys Zimmer und flüsterten kichernd miteinander.
Belle ging in die Küche und machte sich ans Aufräumen. Sie wollte gerade einen randvollen Müllbeutel nach draußen bringen, als Cage hereinkam. Wortlos nahm er ihr den Sack ab und trug ihn hinaus.
Eine Minute später war er zurück und registrierte missbilligend, dass sie mit dem Abwasch angefangen hatte. "Als ich dich bat, zur Party zu bleiben, meinte ich nicht, du sollst das Dienstmädchen spielen."
"Du hast sehr deutlich klargestellt, dass ich hier nicht mit anpacken soll." Sie spülte eine hübsche Glassschüssel aus, die vermutlich älter war als sie selbst.
"Und trotzdem machst du einfach, was du willst."
"Tja, vielleicht denke ich, dass du schon genug um die Ohren hast, auch ohne abwaschen zu müssen."
"Ich brauche kein Mitleid."
"Zum Glück kriegst du es auch nicht." Ihre Stimme klang kühl. "Niemand wäre so dumm, es dir anzubieten, glaub mir. Also setz dich doch einfach wieder auf die Veranda. Tu, was auch immer du tust, während normale Leute schlafen."
Cage schob sie beiseite, schnappte sich die restlichen Schüsseln und tauchte sie so heftig in das Spülwasser, dass ihm Seifenschaum auf Arme und Brust spritzte.
Belle konnte nicht anders, sie musste einfach laut lachen, was ihr einen weiteren missbilligenden Blick einbrachte.
Sie presste die Lippen zusammen und beherrschte sich mühsam, nahm ein sauberes Geschirrhandtuch vom Haken und fing an abzutrocknen.
Nach einer Weile brach Cage das Schweigen und sagte nachdenklich: "Lucy scheint sich prächtig amüsiert zu haben."
"Ja." Belle öffnete einen Hängeschrank, um das Geschirr wegzuräumen. Als sie sich einen Stuhl heranzog, um das oberste Bord zu erreichen, nahm Cage ihr die Sachen ab und stellte sie selbst hinein.
Die Szene wirkte sehr häuslich und äußerst unwirklich.
"Wie lange warst du mit ihrer Mutter verheiratet?", erkundigte Belle sich spontan.
Er zog den Stöpsel aus der Spüle und sah zu, wie das Wasser in den Ausguss gurgelte. "Warum?"
"Reine Neugier."
Widerstrebend erwiderte er: "Sieben Monate. Sie hat nie hier auf der Ranch gelebt."
Belle runzelte die Stirn über die kurze Zeitspanne. Sie hätte gern mehr Details erfahren, aber sie hatte schon zu viele neugierige Fragen gestellt. "Du warst noch sehr jung."
"Alt genug, um eine Heiratserlaubnis zu kriegen. Sandi war fast einundzwanzig."
Also älter als er. Belle versuchte, sich ihn als jugendlichen Bräutigam vorzustellen. Hatte er widerstrebend oder bereitwillig geheiratet? War er blind vor Liebe zu der Frau gewesen, die sein Kind erwartete?
Übertrieben ordentlich faltete sie das Geschirrtuch zusammen. "Du klingst nicht so, als würdest du immer noch an gebrochenem Herzen leiden. Das behaupten nämlich einige Leute, weißt du. Um zu erklären, warum du nie ein Date hast."
"Glaubst du alles, was du hörst?"
Sie schüttelte den Kopf. "Wie hast du sie kennengelernt?"
Er drehte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust, was seine Schultern noch breiter wirken ließ. Er war für Lucy nicht nur Vater, sondern auch Mutterersatz, aber Belle kannte niemanden, der männlicher wirkte.
Hastig faltete sie das Geschirrtuch wieder auseinander und hängte es zum Trocknen über den Backofengriff.
Cage musterte sie eindringlich. "Willst du dich vergewissern, dass es diesmal nicht noch irgendwo eine Ehefrau gibt, bevor wir zusammen im Bett landen?"
Sie erstarrte. Wie dumm von ihr, zu glauben, ihre Privatangelegenheiten würden privat bleiben. Schließlich wusste Brenda Wyatt von der Geschichte mit Scott Langtree, und sie hatte zweifellos ganz Weaver darüber aufgeklärt. Einschließlich dieses Einsiedlers, der selbst Zielscheibe für ungeheure Mutmaßungen war.
"Anscheinend hast du dir eine Menge Klatsch angehört. Und, nebenbei bemerkt, du und ich werden bestimmt nie zusammen im Bett landen."
Statt einer Antwort bedachte er sie nun mit einem spöttischen Blick.
"Ich schlafe nicht mit Männern, die ich nicht liebe." Es mochte prüde klingen, aber das war ihr egal. Sex ohne Gefühle lag ihr nun mal nicht.
Aber es wäre ja gar kein Sex ohne Gefühle …
"Dann hast du ihn also geliebt? Diesen Kerl, dem das weiße Hemd gehört. Hast du es als Andenken aufgehoben?"
"Dieses Hemd scheint dich ja sehr zu beschäftigen. Wenn du es unbedingt wissen willst – mein Stiefbruder Tristan hat es vor langer Zeit liegen lassen. Das Haus gehört nämlich Hope, seiner Frau."
"Eine Frau in fast nichts als einem Männerhemd wirkt sehr verführerisch. Aber kein Mann will eine Frau, die er begehrt, in dem Hemd eines anderen Mannes sehen."
Deutliche Worte, dachte Belle verblüfft. Tagelang, ja sogar wochenlang hüllte er sich in beharrliches Schweigen, und dann, an einem einzigen Abend, küsste er sie und gestand ihr dazu, dass er sie begehrte! "Es muss unangenehm sein, etwas zu wollen, das man verachtet", flüsterte sie, und dabei hoffte sie inständig, er möge ihr widersprechen.
Doch Cage erwiderte nichts darauf, und sie fühlte sich innerlich plötzlich ganz leer. Das war die Strafe dafür, sich mit einem Patienten einzulassen.
Aber er ist nicht dein Patient.
Schrilles Gelächter aus dem Kinderzimmer riss sie aus ihren Grübeleien. "Nun, dann Gute Nacht. Versuch zur Abwechslung mal etwas zu schlafen."
Er blieb stumm, was Belle nicht überraschte, doch sie spürte seinen Blick im Rücken, als sie die Küche verließ.
Erst als sie in ihrem Zimmer angekommen war, wurde ihr bewusst, dass sie immer noch seine Jacke trug.
Sie drückte nun den abgetragenen Wollstoff ans Gesicht, schloss die Augen und atmete tief seinen betörenden Duft ein, während ihre Fantasie ihr Hirn mit erregenden Bildern überschwemmte.
Es wäre ein Wunder, wenn einer von uns beiden heute Nacht Schlaf findet …