Irische Hochzeit - 4. Kapitel

4. KAPITEL

Patrick umklammerte seinen Speer, während er neben den Holztoren wartete. Seine Brüder standen ihm treu zur Seite. Alle waren sie schwer bewaffnet und zu Pferde. Patrick überlief es eiskalt. Ihm war, als stünde er neben sich. Jeden Moment konnten die Normannen ihr Wort brechen und angreifen. Er packte seinen Speer so fest, dass seine Handknöchel weiß hervortraten. Leise betete er, man möge sie nicht auf der Stelle erschlagen.

     Der Himmel verdunkelte sich rasch, tiefblaue Sturmwolken türmten sich im Osten auf. Patrick konnte die Erde riechen, den Rauch des Torffeuers und die Angst seiner Leute. Und nun war es an der Zeit, ihren Feinden die Tore zu öffnen.

     Hinter ihm stand der Rest seines Stammes. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe aus Bauern, Schmieden und Arbeitern, die nur wenig Erfahrung im Kampf besaßen. Seine besten Männer hatten ihr Leben in der Schlacht gelassen, und nur diese hier waren übrig geblieben.

     Jeder, vom ältesten Großvater bis zum jüngsten Knaben, umklammerte eine Waffe seiner Wahl. Etwas weiter hinten standen die Frauen, aber auch sie hielten ihre eigenen Waffen bereit. Bleich und ruhig warteten sie auf das Kommando ihres Anführers.

     „Du machst einen Fehler“, flüsterte eine leise Stimme. Sein Cousin Ruarc hatte sein Schwert bereits gezogen und sah aus, als wäre er bereit, jeden Mann, der die Tore durchschritt, aufzuschlitzen. „Sie werden uns alle töten.“

     Ruarc trug die blauen Farben des MacEgan-Stammes und einen von zahllosen Schlachten gezeichneten Holzschild. Wie die anderen, war auch er während des schweren Winters abgemagert. An seinen Schläfen hingen Kriegszöpfe und umrahmten sein bärtiges Gesicht. „Wir sollten mit ihnen kämpfen. Sie hinauswerfen.“

     „Wir schlossen einen Handel ab.“

     „Wir können immer noch kämpfen. Es sind noch genug von uns da.“

     „Nein.“ Es war genug Blut vergossen worden. Ihr Stamm war besiegt worden, und der Preis ihres Lebens war die Kapitulation gewesen. „Ich habe mein Wort gehalten, und ich glaube, auch Thornwyck wird seines halten.“

     „Wenn wir sterben, wird es keine große Rolle mehr spielen, was du glaubst“, erwiderte Ruarc. Patrick wandte ihm den Rücken zu. Der blanke Hass im Gesicht seines Cousins würde durch nichts zu beeinflussen sein. Außerdem wollte er sich nicht länger rechtfertigen. Er hatte seine Entscheidung getroffen, und wegen dieser Entscheidung würde sein Volk leben.

     In diesem Moment erblickte er einen kleinen Jungen, der sich hinter den Röcken seiner Mutter versteckte. Das Gesicht des unschuldigen Kindes brannte sich ihm ein. Er betrachtete jeden Einzelnen seines Stammes. Früher hatten sie über hundert gezählt – jetzt waren sie alles in allem kaum noch vierzig. Die Schwere des Verlustes überwog alles andere.

     Die hölzernen Palisaden um sie herum waren der einzige ihnen noch verbliebene Schutz. Strahlen des Sonnenuntergangs drangen durch die Ritzen der Tore, während langsam der Abend hereinbrach. Es war an der Zeit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen.

     „Öffnet die Tore“, befahl Patrick.

     Zwei Männer öffneten das schwere Eingangstor. Vor dem Tor standen zwei Befehlshaber zu Pferde und die normannische Armee. Alle waren bewaffnet.

     Auch wenn Patrick sich bemühte, ruhig zu erscheinen, konnte er die steigende Erregung in seinem Innern kaum meistern. Was, wenn sie das Abkommen brachen und angriffen? Er betete darum, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

     Die Normannen hielten ihre Waffen bereit. Mit erhobenen Schwertern, die Pfeile an den Bögen, erwarteten sie den Befehl zu töten. Mit kalten Augen würden sie bis zum Tod kämpfen.

     Doch als er sich ihnen näherte, sah er die Gesichter der Männer. Sie waren erschöpft und hungrig wie er selbst. Als sie das Leben seiner Leute nahmen, hatten sie nur ihren Anführern gehorcht. Und dennoch war sein Verlangen nach Rache schwer zu unterdrücken: Diese Männer hier hatten seinen ältesten Bruder getötet.

     Reue ergriff ihn, als er an Uilliams Tod dachte. Düsternis und Zorn erfüllten ihn, und er gab sich selbst die Schuld. Er hätte rechtzeitig zur Stelle sein und das Schwert des Feindes aufhalten müssen. Doch seine persönliche Rache hatte zu warten.

     Patrick winkte einem der Anführer der Normannen, und mit der Hand am Schwert ritt der Mann heran. Wachsam umfasste Patrick seinen eigenen Schwertknauf. „Ich bin Patrick MacEgan, König von Laochre.“

     „Ich bin Sir Anselm Fitzwater“, erwiderte der Normanne. „Lord Thornwyck gab mir das Kommando über diese Männer.“

     Sir Anselm nahm weder seinen Helm ab noch löste er die Hand vom Schwert. Die Wangen des Normannen waren glatt rasiert, seine Lippen von einer langen Narbe gezeichnet, die sich bis zu seinem Kinn zog. Er blickte gelassen drein, so, als wäre er daran gewöhnt, dass seine Feinde sich ergaben.

     „Die Abmachungen mit Baron Thornwyck wurden erfüllt“, sagte Patrick und übergab ihm die Befehle, die Thornwycks Siegel trugen. „Eure Männer mögen unseren rath betreten.“

     „Wo ist Lady Isabel?“, fragte Sir Anselm.

     „Sie wohnt auf Ennisleigh. Ihr könnt mich morgen dorthin begleiten und Euch selbst davon überzeugen.“ Etwas schuldbewusst sah Patrick zu der Insel hinüber. Isabel würde hungrig und müde sein. Dabei trug er die Verantwortung für ihr Wohlergehen.

     Sir Anselm schüttelte den Kopf. „Ich will sie noch heute Abend sehen, um mich von ihrem Befinden zu überzeugen. Lasst sie hierher bringen.“

     Patrick würde sich von dem Befehlston des Mannes nicht beeindrucken lassen. „Das würde sie nur in Gefahr bringen. Auf Ennisleigh ist sie sicherer.“ Er wollte sie auf keinen Fall in der Nähe der normannischen Armee haben.

     „Ihr entehrt sie, wenn Ihr sie hier nicht als Eure Königin und Gattin einsetzt.“

     Sein Pferd begann, unruhig zu tänzeln, offenbar spürte es Patricks Zorn. „Sie steht unter meinem Schutz. Hier gibt es etliche, die sie lieber tot sehen möchten.“ Immer noch blutete die schwere Wunde der Niederlage in den Herzen seines Volkes.

     „Es ist ihr rechtmäßiger Platz.“

     „Bis wir nicht Frieden zwischen unseren Völkern geschaffen haben, bleibt sie dort, wo ich es will.“ Patrick deutete Sir Anselm an, ihm zu folgen. „Eure Männer werden heute Abend gemeinsam mit den meinen das Nachtmahl einnehmen. Dann könnt Ihr wieder in Euer Lager außerhalb der Mauern zurückkehren.“

     „Unser Befehl lautet, in der Burg zu bleiben“, sagte Anselm.

     „Eure Männer töteten die unsrigen.“ Patrick umklammerte die Zügel fester. „Keiner heißt Euch hier willkommen.“

     „Wenn Eure Iren die Waffen gegen uns erheben sollten, werden sie es bereuen.“

     „Das Gleiche gilt für Eure Männer“, erwiderte Patrick, und seine Stimme verriet, wie zornig er war. Auch wenn der Anführer vielleicht erwartete, dass sie sich vor seinen Männern duckten, so fürchtete Patrick Sir Anselms Streitmacht nicht. Stattdessen erfüllte ihn eine größere Bedrohung mit Sorge. Auch wenn diese Armee hier stark war, so hatte sie doch nur zusammen mit der Streitmacht von Robert Fitzstephen, dem Earl of Pembroke, den Stamm von Laochre besiegt. Und wie würde Pembroke erst mit seinem Volk verfahren, wenn die Normannen ihn ein zweites Mal um Hilfe bitten müssten?

     Patrick deutete auf die große hölzerne Burg, die er errichtet hatte. „Eure Männer mögen in die Große Halle gehen.“ Er stieg ab und übergab sein Pferd einem jungen Burschen. Bevan und Trahern blieben auf ihren Pferden sitzen.

     „Übergebt Eure Pferde hier Huon“, wies Patrick seinen Gast an und deutete auf den Jungen. „Er wird sich um sie kümmern.“

     Er führte die Normannen hinein und blieb am Eingang kurz stehen, als müsste er sie beschützen. Verbittert wandten ihm die meisten seiner Stammesleute den Rücken zu und gingen in ihre Hütten. Sie nahmen ihm sein Handeln übel. Ein paar starrten zu ihm herüber und flüsterten miteinander.

     Patrick drehte sich um und folgte Sir Anselm ins Innere der Burg. Die Art, wie der Normanne alles genau musterte, ließ Patrick sich fragen, ob er wohl den Wert seiner Besitztümer abschätzte.

     Die große Halle war schmucklos. Die Wände waren bis auf ein paar Waffen, die dort hingen, leer. Seitdem seine Mutter vor etlichen Jahren gestorben war, hatte keine weibliche Hand mehr diesen Versammlungssaal geprägt. Die wenigen Möbel waren praktischer Art. Auf einem kleinen Podest standen zwei hochlehnige Holzstühle und fünf kleinere. Sie waren für Patrick und seine Brüder bestimmt. Daneben gab es noch Hocker, die aus Walnussholz gefertigt waren und gepolsterte Sitzflächen besaßen.

     Es war seine Pflicht, seinen rechtmäßigen Platz am Kopf der Tafel einzunehmen, den Platz, auf dem zuerst sein Großvater, dann sein Vater und zuletzt Uilliam gesessen hatten. Bis jetzt hatte Patrick das vermieden, aber nun blieb ihm keine andere Wahl.

     Er durchquerte den Raum und blieb am Tisch stehen. Dort stützte er die Hände auf, als suchte er Hilfe und Lenkung bei den Männern, die schon früher hier gestanden hatten. Dann setzte er sich auf einen der hochlehnigen Stühle. Der Platz neben ihm blieb leer. Er war für seine Gattin bestimmt. Dass er jetzt verheiratet war, erschien ihm seltsam fremd. Patrick hatte gewusst, dass er eines Tages eine Frau nehmen würde, dabei hatte er jedoch an ein Mädchen irgendeines anderen Stammes gedacht. Es ärgerte ihn, dass er seine Braut nicht selbst hatte bestimmen können.

     Die meisten seiner Stammesleute blieben stehen, während Sir Anselm und seine Männer sich setzten und von dem Essen nahmen, das die Diener herbeibrachten. Sobald die Normannen nach Brot und Hammelfleisch griffen, verfinsterten sich die Gesichter der Umstehenden. Das hier waren ihre sorgfältig angelegten Vorräte. Jetzt mussten sie sie dem Feind überlassen. Ein unwilliges Murmeln wurde laut, als auch noch Schüsseln mit gekochtem Gemüse, süße, getrocknete Äpfel und ein frisch gefangener Fisch angeboten wurden.

     Patrick sprach kaum ein Wort mit seinen Brüdern, die weiter oben am Tisch saßen. Er zwang sich, den gebratenen Fisch und das Brot zu essen und dachte darüber nach, welche Komplotte wohl gerade an den anderen Tischen geschmiedet wurden. Er traute keiner Seite zu, Frieden zu halten.

     Schließlich erhob Patrick sich und ging zum Portal. Im Vorbeigehen grüßte er seine Männer. Aus einer beieinanderstehenden Gruppe drang eine Bemerkung seines Cousins Ruarc an sein Ohr. „Wenn ich König wäre, hätte wir den gaillabh nie den Zutritt erlaubt. Sie würden tot auf den Feldern liegen, wie sie es verdient haben.“

     Patrick blieb stehen und sah seinen Cousin an. „Du bist aber nicht der König.“

     „Noch nicht.“

     Diese Bemerkung durfte er nicht durchgehen lassen. Seine Männer mochten seine Entscheidungen anzweifeln, aber er durfte nicht erlauben, dass sie seine Führung in Frage stellten.

     Er packte seinen Cousin an dessen Tunika und stieß ihn gegen die Wand. „Willst du mit mir um dieses Recht kämpfen?“

     Mit purpurrotem Gesicht versuchte Ruarc sich zu befreien. Die Knie wurden ihm weich, weil Patrick ihm die Luft abschnürte. Als Patrick seinen Verwandten losließ, sank der zu Boden, das Gesicht in heißer Wut verzerrt. „Eines Tages, Cousin.“

     „Mach, dass du rauskommst.“

     Ruarc stolperte zur Tür, von den Normannen interessiert beobachtet. Patrick holte tief Luft und kämpfte gegen das Verlangen an, ihm zu folgen. Wieder hatte er sich und seinen Rang vergessen. Von Königen erwartete man, dass sie sich nicht mit ihren Leuten prügelten. Die anderen schienen sich wegen seines Benehmens recht unwohl zu fühlen.

     „Das war ein Fehler.“ Bevan stand hinter ihm. Mit einem Blick auf den flüchtenden Ruarc fügte sein Bruder hinzu: „Du hast ihn vor all unseren Stammesmitgliedern das Gesicht verlieren lassen.“

     „Er hätte mich nicht herausfordern sollen.“

     „Natürlich nicht. Aber jetzt wird er sich an dir rächen wollen. In Zukunft solltest du auf deinen Rücken aufpassen, Bruder. Denn der da wird schnell mit einem Messer bei der Hand sein. Er gibt dir immer noch die Schuld an dem, was mit Sosanna geschah.“

     „Ich weiß. Deswegen habe ich ihn auch nicht verbannt.“

     Ruarcs Schwester Sosanna MacEgan hatte, wie viele andere Frauen während der Invasion, unter den Grausamkeiten der Normannen zu leiden gehabt. Danach hatte sich Ruarcs Wut auf die Feinde um das Zehnfache gesteigert.

     Patrick deutete auf seine Männer. „Unsere Männer sollten nicht stehen, während die Normannen sitzen und essen. Wir werden mehr Tische für die große Halle bauen.“

     „Nur wenige haben Appetit.“

     „Außer Ewan dort.“

     Patrick lehnte sich an die Wand neben dem Eingang und deutete auf ihren jüngsten Bruder. Fast dreizehn Jahre alt, hatte Ewan keine Bedenken, zusammen mit den Feinden zu essen. Kaum zu sehen zwischen den schwer bewaffneten Kämpfern, saß er am letzten Tisch.

     „Ewan ist ein guter Spion.“ Bewundernd schüttelte Bevan den Kopf. „Morgen werden wir sehen, was er alles erfahren hat. Sie wissen nicht, dass er ihre Sprache spricht.“ Patrick und seine Brüder verstanden die Sprache der Normannen, ihre Stammesmitglieder nicht.

     „Man muss den Normannen unsere Sprache beibringen“, meinte Patrick. „Sonst können Missverständnisse entstehen.“

     Bevan brummte unwillig. „Ich würde sie lieber mit einem ordentlichen Tritt in ihre Heimat zurückschicken.“

     „Dafür ist es zu spät.“ Patrick drehte sich zu seinem Bruder um. „Du wirst hier gebraucht, Bevan. Willst du bleiben?“

     Bevans Gesicht wirkte angespannt. „Ich werde vierzehn Tage bleiben. Deinetwegen. Aber versprich mir, dass du sie rauswirfst.“

     „Ich werde tun, was ich kann.“ Patrick verspürte quälende Kopfschmerzen. Wieder musste er an Isabel denken. Er hatte vergessen, ihr die Vorräte zu schicken. Weil seine Gedanken so sehr mit den Normannen beschäftigt gewesen waren, hatte er nicht daran gedacht. Und doch konnte er seine Männer jetzt nicht allein lassen.

     Er sollte jemanden zu ihr schicken. Die Dunkelheit war angebrochen, und es war eine mondhelle Nacht. Patrick gab den Befehl, einen Sack mit Essensvorräten und etlichen Krügen Met zu füllen.

     „Für wen ist das?“, unterbrach ihn sein Bruder Bevan.

     „Für meine reizende Braut“, antwortete Patrick trocken. „Ich denke, sie wird in den nächsten paar Tagen etwas essen und trinken wollen.“

     „Du denkst doch wohl nicht daran, nach Ennisleigh zu fahren?“ Bevan deutete auf den Proviant.

     „Später vielleicht.“ Der Gedanke, dass Isabel allein war, gefiel ihm nicht. Besonders, wenn er an die Inselbewohner dachte, die ja nicht wussten, weshalb sie da war.

     „Du solltest heute Nacht nicht fortgehen, Bruder“, gab Bevan zu bedenken. „Nicht in solch einem kritischen Augenblick. Die Männer brauchen deine Gelassenheit.“

     Patrick wusste, dass sein Bruder recht hatte. Heute Nacht musste er beide Seiten davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen. „Ich wünschte, ich könnte es. Sir Anselm möchte sich davon überzeugen, dass es Lady Isabel gut geht. Später, wenn die abendliche Flut kommt, wird er mich zur Insel begleiten.“

     Er sah zu dem Ritter hinüber. Sir Anselm aß langsam und betrachtete jedes einzelne Gesicht, als versuchte er, sich die Männer einzuprägen. Es sah aus, würde der Normanne bei dieser Geschwindigkeit sein Mahl noch lange nicht beenden.

     „Ich werde danach zurückkehren“, versicherte Patrick.

     „Ewan“, rief er seinen jüngsten Bruder herbei. Ewan war im linkischen Alter. Er war kein Kind mehr und noch kein Erwachsener. Trotz seiner dünnen, schlaksigen Gestalt aß er genauso viel wie ein ausgewachsener Mann.

     Bei Patricks Ruf betrachtete Ewan das gebratene Hammelfleisch vor ihm, als überlegte er, was es wohl Wichtigeres geben könnte. „Was ist?“

     „Ich brauche dich. Du musst nach Ennisleigh fahren. Meine Braut Isabel hat für heute Nacht kein Essen und keinerlei Vorräte. Willst du sie ihr bringen?“

     Ewan bekam rote Ohren. „Wenn du es wünschst.“ Er stopfte sich ein kleines Stück Brot in eine Falte seiner Tunika und schnitt sich noch ein Stück Fleisch ab. „Hat sie ein hübsches Gesicht?“

     „Was meinst du damit?“

     „Ich hörte Sir Anselm sagen, dass viele Edle sie heiraten wollten, gerade so wie bei einer Prinzessin aus Traherns Geschichten.“

     „Sie ist eine Frau wie andere auch.“ Selbst als er ihre Schönheit leugnete, sah er im Geist ihr verlockendes Antlitz vor sich. Mehr als einmal hatte der störrische Zug um ihren Mund seine Aufmerksamkeit geweckt. Und ihre dunkelbraunen Augen verrieten ihre große Klugheit.

     Zusammen mit Ewan ging Patrick hinaus und starrte auf Laochre. Wie der Ringwall, so war auch die hölzerne Burg von den Narben aus der Schlacht gezeichnet. Einst hatte Uilliam davon geträumt, einen der größten raths in Eíreann zu bauen, eine Wohnstatt, die seines Stammes würdig war. Jetzt machte Patrick als sein Nachfolger sich Sorgen, ob sie den nächsten Winter überleben würden. Auch wenn Weizen und Gerste üppig auf den Feldern wuchsen, so hatte er nun mit den Normannen zusammen mehr Leute zu ernähren.

     Er führte Ewan zu der Stelle, wo sein Pferd mit den Vorräten wartete. „Geh jetzt. Sollte es wieder regnen, so braucht sie einen besseren Unterschlupf. Ich fürchte, sie wird hier in der Burg wohnen wollen.“

     Ewan machte große Augen. „Warum?“

     „Um uns auszuspionieren.“

     „Oh.“ Sein Bruder zuckte die Schultern. „Dann wird sie eben nass werden. Aber ich fahre hin und sage ihr, dass du ihr das Essen schickst.“

     „Iss ja nichts davon“, warnte Patrick.

     „Würde ich nie.“ Die Stimme des Burschen überschlug sich beim letzten Wort.

     Patrick unterdrückte ein Lächeln. „Natürlich würdest du. Ich meine es ernst, Ewan. Keinen Bissen.“

     Er steckte noch ein Stück Brot in den Sack und band ihn zu. Sein Bruder rollte die Augen und machte sich auf den Weg zur Insel. Patrick blickte nach Ennisleigh hinüber. Er würde später zu Isabel fahren. Auch wenn sie dagegen protestieren würde, er musste ihr klarmachen, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als die Insel zu ihrem neuen Heim zu machen.

„Verzeiht mir mein Eindringen, aber kann ich mir bitte an eurem Feuer eine Fackel anzünden?“

     Isabel sprach zu einer der Türen, einer mit einem Fell verhängten Öffnung, über der ein Bündel Wolle hing. Keiner antwortete auf ihr Rufen, aber sie wusste, dass man sie gehört hatte.

     Wieder klopfte sie an den hölzernen Türrahmen. Stille. Sie biss sich die Lippen und überlegte, was die da drinnen wohl mit ihr machen würden, wenn sie es wagte, das Fell beiseitezuschieben. Sie hielt einen toten Ast in der Hand, den sie unter den Apfelbäumen im Garten aufgehoben hatte. Isabel hatte ihn mit trockenem Gras umwickelt, aber was sie wirklich brauchte, war Öl oder Pech, damit er lange genug brannte, um damit ein Feuer zu entfachen.

     Das war jetzt schon die dritte Tür, an die sie klopfte. Ihre Suche nach Feuer verlief nicht gerade erfolgreich, und es begann, dunkel zu werden.

     Von den gemütlich aussehenden Hütten stiegen dünne Rauchfahnen auf. Sie kamen von den Torffeuern im Innern. Auch hier draußen war eine Feuerstelle, doch keiner hatte sie heute Abend benutzt. Geschwärzte Torfstücke lagen noch da.

     Nun gut. Wenn sie ihr nicht helfen wollten, dann musste sie einfach auf Patrick warten. Isabel ging zur Burg zurück und stieß die verkohlte Eichenholztür auf. Ihr barbarischer Ehemann würde schließlich schon zurückkehren. Sicher würde er sie nicht erfrieren lassen. Er hatte genug Unbill ausgestanden, um sie nach Erin zu bringen, und ihr Tod würde ihm nur Schwierigkeiten bereiten.

     Ihr Magen knurrte leise. Außer dem kleinen Stück Pastete bei ihrer Ankunft hatte sie nichts gegessen, und in dem zerfallenen Turm war nichts zu finden. In diesem Fall würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als Seetang zu kauen.

     Isabel setzte sich auf einen niedrigen Baumstumpf, den man als Stuhl zurückgelassen hatte, und überblickte ihre Bleibe. Sie hatte jeden Zoll der Burg inspiziert und dabei genau gewusst, dass die Inselbewohner sie aus dem Innern ihrer Hütten heraus beobachteten.

     Gut. Sollten sie doch ruhig gaffen. Vielleicht würden sie dann sehen, dass sie nicht die Feindin war, für die sie sie zu halten schienen.

     Waffenlos und allein, überlief sie ein unangenehmer Schauer. Manchmal trug der Wind das Echo von Stimmen an ihr Ohr. Sie sprachen Irisch, eine Sprache, wie sie sie noch nie gehört hatte. Sie hatte versucht, einige Worte zu lernen, aber mit wenig Erfolg. Die fremden Laute hatten etwas Singendes und ähnelten in nichts der normannischen Sprache.

     Sie musste sie lernen. Wenn der König erwartete, dass sie weinte und mit den Zähnen knirschte wegen ihrer Verbannung, dann hatte er sich getäuscht. Sie würde einen Weg finden, hier zu überleben.

     Die Nacht warf ihren dunklen Mantel über die Insel, und Isabel zitterte in der abendlichen Kühle. Vielleicht hätte sie einfach eine der Steinhütten stürmen und eine Fackel fordern sollen. Doch wenn sie an den kalten Empfang dachte, den die Inselbewohner ihr bereitet hatten, vermutete sie, dass sie sie eher in Brand gesteckt hätten. Sie hätte die eigene Hütte, die ihr Gatte ihr angeboten hatte, annehmen sollen.

     Das Geräusch von Schritten ließ ihr Herz schneller schlagen. Isabel bückte sich und hob einen kleinen Felsbrocken auf.

     Wenn ihr Besucher allerdings ein Schwert oder Pfeil und Bogen hatte, würde der Stein nur ein wenig Kopfschmerzen bei ihm hervorrufen. Trotzdem fühlte sie sich damit besser. War es ihr Ehemann? Oder jemand, der ihr Böses antun wollte? Isabel umklammerte den Steinbrocken fester.

     Der Schatten eines Mannes fiel auf die geschwärzten Ruinen der Burg. Nein, nicht der Schatten eines Mannes. Der eines Jungen.

     Ein junger Bursche mit zottigem Haar trat über die Schwelle. Er sah aus, als hätte er noch nie einen Kamm benutzt. Er hielt Isabel einen Sack hin.

     „Was ist das?“, fragte sie, aber er gab keine Antwort. Stattdessen trat er zu ihr und übergab ihr das Bündel.

     Brot. Der köstliche Duft ließ Isabel das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie zögerte und fragte sich, ob Patrick den Jungen schickte. „Ist das für mich?“

     Er deutete auf die Vorräte und ließ die Augen nicht von dem Brot. Isabel verstand den Wink, brach ein Stück ab und gab es ihm.

     „Vermutlich sprichst du nicht meine Sprache.“

     Der Junge verschlang das Brot und tat, als hätte er sie nicht gehört. Sie fand einen Krug mit Met in dem Sack und nahm einen tiefen Schluck. Das Essen und der Trank weckten ihre Lebensgeister, und sie begann mit dem Jungen eine Unterhaltung.

     „Ich bedauere, dass ich kein Feuer habe, um es mit dir zu teilen. In einer Nacht wie dieser würde es meinen Turm gemütlicher machen.“

     Sie aß ihr Brot auf und reichte dem Jungen den Met, damit er einen Schluck nahm. Er trank durstig und gab den Krug zurück. „Eure Inselbewohner wollten mir natürlich nicht helfen. Ich würde selbst eines anzünden, wenn ich Feuerstein und Stahl besäße.“

     Obwohl er kein Wort sprach, beobachteten seine scharfen Augen Isabel genau. Trotz seiner Haare und seiner nicht ganz sauberen Kleidung erinnerte sie sein Gesicht an Patrick.

     „Du bist sein Bruder, nicht wahr?“ Sie stand auf und ging um ihn herum. Der Junge schien sich nicht wohlzufühlen. „Nun, wenn er dich geschickt hat, um mich auszuspionieren, dann kannst du ihm sagen, dass er kein großartiger König ist. Seine Gastlichkeit lässt ziemlich zu wünschen übrig.“ Mit einem Blick nach oben deutete sie auf die verbrannte Treppe. „Ich würde mich gerne in mein Zimmer zurückziehen, doch wie es scheint, muss ich wohl mit einem Stein als Matratze vorlieb nehmen und mich mit Schmutz warm halten.“

     Er rieb die Hände aneinander und deutete auf die kalte Feuerstelle. Isabel strahlte, als er einen kleinen Berg aus Torf und Zunder aufstapelte. Er griff in eine Falte seiner Tunika und zog einen Flintstein und ein stählernes Messer hervor. Es dauerte nicht lange, und er hatte eine Flamme entfacht.

     „Dafür könnte ich dich küssen, weißt du das?“, sagte Isabel. „Kluger Bursche.“

     Seine Ohren verfärbten sich blutrot, und er mied ihren Blick. Isabel betrachtete ihn gespannt. „Du hast verstanden, was ich gesagt habe, nicht wahr?“

     Er gab keine Antwort, doch das Rot vertiefte sich.

     „Ich hätte es wissen müssen.“ Sie warf noch ein Stück Torf ins Feuer. „Also, wie heißt du?“

     „Ewan MacEgan“, gestand er. Er nahm einen langen Zug aus dem Krug und traute sich immer noch nicht, sie anzuschauen.

     „Ewan. Und warum schickte König Patrick dich statt seiner? Hat er heute Abend etwas anderes zu tun, als seine Ehe zu vollziehen?“

     Met sprühte aus seinem Mund, und der Junge musste husten. „Er – er versucht, einen Krieg zu beenden. Er hatte viel zu tun. Er schickte mich, um Euch das Essen zu bringen und um nachzusehen, was Ihr braucht.“

     „Einen Krieg?“ Isabel schüttelte den Kopf. „Sei nicht närrisch. Der einzige Krieg ist der, der ausbrechen wird, wenn dein Bruder hierher zurückkommt.“

     Ewan sah zu dem Sack mit dem Essen. „Ist kein Brot mehr da?“

     „Doch.“ Sie gab ihm noch ein Stück, das er mit Begeisterung aß. Isabel rückte näher ans Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. „Du bist zu jung, um allein hier zu sein“, bemerkte sie. „Wer kümmert sich um dich?“

     „Meine Brüder.“ Ewan starrte in die Flammen. „Letzten Sommer wurden meine Zieheltern in der Schlacht getötet. Patrick erlaubte mir hierzubleiben, aber er hat keine Abmachungen getroffen, mich woanders hinzuschicken. Er ist zu sehr mit den Normannen beschäftigt.“

     „Soll ich deinetwegen mit ihm reden?“

     „Nein!“ Ewan brach sich noch ein Stück Brot ab. Leicht errötend meinte er: „Es gefällt mir hier.“

     Isabel vermutete, dass die Männer den Jungen machen ließen, was er wollte. Natürlich war er da glücklich. Doch sie wusste auch, was es bedeutete, von seiner Familie getrennt zu werden. Wenn es dem Jungen nicht schadete, konnte er genau so gut hier seine Knappenzeit verbringen.

     „Warum nimmst du mich nicht mit in die Burg deines Bruders?“, fragte sie und wechselte das Thema. „Ich nehme an, da gibt es mehr zu essen.“

     „Kann nicht.“ Ewan wich vor ihr zurück. „Wenn das alles ist, was Ihr braucht, dann komme ich morgen früh wieder.“

     „Warum lässt mich dein Bruder nicht auf dem Festland leben?“, fragte sie. „Was könnte ich schon Schlimmes anrichten?“ Außer vielleicht, wenn man etwas vor ihr verbergen wollte.

     „Es liegt nicht an Euch. Es sind die anderen.“

     „Die anderen?“

     „Eures Vaters Recken. Patrick muss sie von unseren Männern fernhalten. Sonst töten sie einander.“ Er stand auf und ging zum Eingang. Von dort aus betrachtete er die graue See. Isabel folgte ihm und blickte zur gegenüberliegenden Küste hinüber. In der Ferne entdeckte sie einige Fackeln entlang des Strandes.

     „Ich sollte jetzt aufbrechen“, meine er.

     Isabel war nicht gewillt, den Jungen ohne eine Antwort gehen zu lassen. Patrick hatte zugegeben, dass die Heirat arrangiert wurde, um das Leben seines Volkes zu retten. Aber warum waren dann noch die Männer ihres Vaters auf Erin?

     „Sag mir, warum die Männer da sind.“ Edwin de Godred würde seine Kämpfer nicht ohne einen Hintergedanken hierhergebracht haben. Das wusste Isabel.

     „Befehl von Thornwyck.“ Ewan rieb sich die Arme und trat näher ans Feuer. „Wenn Patrick es nicht verhindern konnte, kämpfen sie jetzt vielleicht schon miteinander. Es ist die erste Nacht, die er sie zusammengebracht hat.“

     Isabel nahm noch einen Bissen Brot und versuchte nachzudenken. „Möchte er sie miteinander aussöhnen?“

     Ewan schüttelte den Kopf. „Nein, das will Patrick nicht. Das ist unmöglich. Die Normannen töteten unsere Leute in der Schlacht.“

     „Aber mein Vater will, dass sie zusammenleben.“ Isabel verstand jetzt den tieferen Sinn ihrer Heirat. Edwin hatte vor, die Burg zu erobern und ihr dann die Befehlsgewalt zu übergeben. Er zählte darauf, dass sie die Männer zusammenbrachte, um Herrin beider Seiten zu werden.

     Herrin zweier verschworener Feinde. Lieber Gott, sie wusste nicht, ob ihr das gelingen würde. Oder ob sie diesen Kampf überhaupt wagen wollte.

     Es war verlockend, sich hier auf Ennisleigh von all dem fernzuhalten. Ihr Gatte wollte, dass sie hier blieb. Sie holte tief Luft. Auch wenn allein der Gedanke, unter solchen Umständen eine Burg aufzusuchen, ihr schon Angst einjagte, musste sie die volle Wahrheit kennenlernen. Sie musste wissen, was geschehen war. Nur dann konnte sie entscheiden, wie sie weiter vorgehen sollte. Sagte Patrick die Wahrheit? Oder war sie nur seine Gefangene?

     „Lass mich dir helfen“, versuchte sie den Burschen zu überreden. „Vielleicht kenne ich einige der Männer. Ich kann sie bitten, euch nicht anzugreifen.“

     Ewan schüttelte den Kopf. „Ihr müsst hierbleiben.“

     Der Junge rasselte alle möglichen Gründe herunter, warum sein Bruder ihr verbot, die Insel zu verlassen, doch sie hörte einfach nicht hin. Sie konnte hier nicht länger bleiben.

     Isabel folgte Ewan den felsigen Abhang hinunter zum Sandstrand, auf den der Junge das Boot gezogen hatte. Seine mageren Arme spannten sich an, um es wieder ins Wasser zu stoßen. Isabel sprang hinein, bevor er noch weit gekommen war.

     „Ihr müsst aussteigen“, protestierte Ewan, die Hände am Boot.

     „Ich fahre mit dir, und du führst mich zur Burg deiner Brüder. Ich bleibe nicht hier.“

     Ewan ließ die Hände sinken. Er starrte auf irgendetwas draußen auf dem Wasser. Isabel drehte sich um und folgte seinem Blick. Sie sah den flackernden Schein mehrer Fackeln. Die Flammen spiegelten sich im Wasser.

     Inmitten des grellen Scheins sah sie einen schwarzhaarigen Mann. Er trug einen dunkelblauen Umhang, der von einer Brosche gehalten wurde. Seine Kleidung hob sich kaum vom Dunkel der Nacht ab. Elegant schoss sein Boot über das Wasser. Beim Anblick des vertrauten Gesichts umklammerte Isabel den Bootsrand noch fester.

     „Macht Ihr einen Ausflug, werte Gattin?“

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