Die Jahrtausend-Party - 2. Kapitel
2. KAPITEL
Einen Becher Eiscreme in der Hand stand Maggie in der Küche in Colins Wohnung, die sich drei Stockwerke unter dem Ballsaal des Spencer Centers befand. Gedankenverloren betrachtete sie ihr Spiegelbild in der Kühlschranktür aus glänzendem Edelstahl. Eigentlich hätte sie strahlen müssen, so wie es sich für eine Frau gehörte, die bald heiraten würde. Musste man nicht so aussehen, wenn man den Mann seiner Träume gefunden hatte?
Vielleicht lag es ja auch bloß am Kühlschrank. Sie sah nie gut aus in Edelstahl. Es gab wirklich keinen Grund, nervös zu sein. Nach sorgfältiger Überlegung erfüllte Colin Spencer alle Kriterien auf ihrer Liste. Er passte geradezu perfekt in ihr Konzept. Was wollte sie noch mehr?
Maggie war nie ohne Plan. Punkt ihrer privaten Agenda bestand darin, die Highschool ausschließlich mit Einsern abzuschließen. Unmittelbar nach der Abschlussfeier hatte sie dann ihr „Fluchtkonzept“ verwirklicht – Potter’s Junction zu verlassen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dann war der „Collegeplan“ und schließlich der „Karriereplan“ gefolgt. Ihr „Heiratsplan“, der am besten durchdachteste von allen, hatte eine detaillierte Vorstellung all dessen enthalten, was sie von einem Ehemann erwartete – und Colin erfüllte all diese Anforderungen.
Sorgfältige Lebensplanung war für Maggie der einzige Weg gewesen, eine unruhige Kindheit zu ertragen. Während sie bei ihrer Mutter, der Königin des ehelichen Unglücks, lebte, hatte sie etwas gebraucht, worauf sie sich verlassen konnte. Wie oft hatte sie versucht, ihre Mutter vor ihren flüchtigen Leidenschaften zu beschützen! Bei jedem neuen Mann hatte Maggie ihrer Mutter ihren Rat angeboten und die Fehler des Betreffenden ihrer logischen Reihenfolge nach aufgezählt. Aber ihre Mutter hatte wenig Sinn für Logik. Liebe war das Einzige, was für sie zählte. Leider war die Liebe nie sehr dauerhaft gewesen bei Marlene.
Das würde Maggie nicht passieren, denn sie hatte ja ihre „Liste“. Die begann mit den erwünschten Eigenschaften ihres Zukünftigen und setzte sich mit akzeptablen beruflichen Tätigkeiten und idealen körperlichen Attributen fort. Maggie hatte sogar bereits entschieden, wie ihre Schwiegereltern sein sollten.
Bevor sie Colin begegnete, war sie fast versucht gewesen, ihren Plan zu ändern. Obwohl sie nicht viele Männer kannte, war bis dahin keiner ihren Anforderungen gerecht geworden. Doch als sie Colin dann näher kennenlernte, erkannte sie, dass er ein Mann war, mit dem sie eine Ehe führen konnte. Eine nach der anderen hatte sie die Eintragungen in ihrer Liste abgehakt, bis nur noch ganz wenige Punkte übriggeblieben waren.
„Leidenschaft“, murmelte sie.
Vielleicht war sie in diesem Punkt etwas zu optimistisch gewesen. Wilder, hemmungsloser Sex war schließlich nicht so wichtig. Man konnte in Büchern und Zeitschriften nachlesen, dass Leidenschaft in einer Ehe mit der Zeit nachließ und Zuneigung und Respekt entscheidender für ihr Gelingen waren als zügellose Lust.
Aber es wäre dennoch schön gewesen, mit Leidenschaft und unbändigem Verlangen statt lauwarmem Entgegenkommen zu beginnen. Maggie errötete bei dem Gedanken. Sie konnte sich bei Colin nicht vorstellen, dass sein sexuelles Verlangen je stärker als seine Selbstbeherrschung sein würde. Er war unendlich höflich und zurückhaltend in intimen Dingen. Aber das mochte an seiner Erziehung liegen. Eunice und Edward schliefen schon seit Jahren nicht mehr im selben Zimmer und ließen selten zärtliche Gefühle erkennen. Kein Wunder, dass ihr Sohn so reserviert war.
Doch eigentlich war Maggie froh, nicht von ihrer Begierde beherrscht zu werden, und noch froher, dass Colin ihr in diesem Punkt ähnelte. Begierde schuf nichts als Probleme, zerstörte Beziehungen und war die Wurzel sämtlicher Probleme ihrer Mutter. Nein, sie, Maggie, konnte sehr gut ohne wilde Leidenschaft leben.
Sie stellte das Eis ins Tiefkühlfach zurück und wandte sich zum Gehen. Als sie die Tür erreichte, hörte sie draußen den Aufzug.
Maggie war sicher, dass es Colin sein würde. Stattdessen entdeckte sie Luke Fitzpatrick vor der Tür, in seinen gewohnten Jeans und seiner abgeschabten Lederjacke. Ihr Herz schlug schneller, und ein Lächeln erschien um ihre Lippen. Sie streckte beide Hände aus und ergriff seine. Obwohl sie sich in letzter Zeit nur selten sahen, war es jedes Mal, als wären sie nie getrennt gewesen.
„Du bist gekommen“, sagte sie. „Ich war nicht sicher, ob ich mit dir rechnen konnte.“
„Ich wollte es nicht verpassen.“
Sie umarmte ihn rasch und trat zurück, um zu ihm aufzuschauen. Wie attraktiv er doch war! Schon als sie noch Kinder waren, hatten die Mädchen in der Schule Luke angehimmelt. Aber er hatte die anderen nie beachtet. Wenn er bei ihr, Maggie, war, hatte er sie behandelte, als wäre sie einzige Mädchen auf der Welt – ein Aschenbrödel in einer Welt hässlicher Stiefschwestern.
Selbst jetzt, als er sie ansah, wusste Maggie, dass Lukes Interesse ausschließlich ihr galt, wenn auch nur für einige Minuten. Komisch, aber bei Colin empfand sie das nie so. Sie konnten einen ganzen Abend zu zweit verbringen, und trotzdem war er in Gedanken stets seiner Arbeit.
„Du siehst bezaubernd aus“, sagte Luke und drückte ihre Hand.
Maggie liebte seine starken Hände. Sie erinnerte sich noch an das erste Mal, als er ihre Hand gehalten hatte. Sie war vor einem Raufbold aus der Nachbarschaft davongelaufen, gestolpert und so schlimm hingefallen, dass ihre Knie bluteten. Luke hatte sie auf die Beine gezogen, den Staub von ihren Sachen abgeklopft und dem Raufbold einen Fausthieb in den Magen verpasst. Von diesem Augenblick an war er ihr Held gewesen.
„Und du hast offenbar nicht deine Einladung gelesen“, murmelte sie und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Es war eine so unschuldige Geste, dass sie ihr fast nicht bewusst war. Aber als sein Haar durch ihre Finger glitt, so dicht und weich, schaute sie ihm unwillkürlich in die Augen. Ein leises Prickeln erfasste sie plötzlich, und verwirrt zog sie ihre Hand wieder zurück.
„Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen“, erklärte Luke. „Es tut mir leid. Ich hätte mir natürlich einen Smoking leihen können, aber …“
Sie zwang sich, den Blick von seinem attraktiven Gesicht zu lösen, weil ihr bewusst wurde, dass sie ihn regelrecht anstarrte. „Das kann ich regeln“, sagte sie, nahm seine Hand und zog ihn rasch hinein. „Colin hat einen ganzen Schrank mit formeller Abendgarderobe. Etwas davon passt dir bestimmt.“
Luke schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob Colin …“
„Colin ist mit allem einverstanden, was mich glücklich macht“, unterbrach sie ihn. „Und jetzt würde ich liebend gern meinen besten Freund in einem Smoking sehen. Komm schon, Luke, den Beginn eines neuen Jahrtausends kann man nur alle tausend Jahre einmal feiern. Amüsiere dich doch ein bisschen.“
Maggie zog den widerstrebenden Luke ins Schlafzimmer. Sie war an Colins reichhaltige Auswahl formeller Anzüge gewöhnt, aber als sie Lukes erstaunten Ausruf hörte, musste sie lächeln. „Ich weiß. Wie kann ein Mann all diese Sachen tragen? Aber er tut es“, versicherte sie. „Ich glaube, Colin ist schon in Anzug und Krawatte auf die Welt gekommen.“
Als sie seine Smokings fand, zog Maggie wahllos einen heraus und nahm ein gestärktes Hemd von einem anderen Bügel. Sie drückte Luke beides in die Hand, ging dann zu Colins Kommode und suchte passende Manschettenknöpfe und eine Fliege heraus. „Wäre es zu viel verlangt, dass du auch die gleiche Schuhgröße wie Colin hast?“, fragte sie mit einem Blick auf Lukes Füße.
„Dreiundvierzig“, sagte Luke.
„Fünfundvierzig“, erwiderte sie fröhlich nach einem Blick in einen eleganten schwarzen Schuh. „Wenn du zwei Paar Socken anziehst, müssten sie dir passen. Socken liegen dort in der Schublade.“
„Maggie, ich glaube nicht, dass Colin …“
„Vergiss Colin. Zieh dich einfach um“, befahl sie, verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon im Wohnzimmer stand und auf Luke wartete, aber als sie ihn rufen hörte, drehte sie sich um. Er stand am Sofa und kämpfte mit den Manschettenknöpfen. Sein Hemd stand bis zur Taille offen. Maggie schluckte und nahm rasch den Blick von seinem muskulösen Oberkörper.
„Warum haben diese Hemden keine normalen Knöpfe? Wie soll man diese winzigen Dinger durch die Löcher kriegen?“
Maggie räusperte sich und blieb wie angewurzelt vor dem Fenster stehen. Sie hatte Luke schon unzählige Male ohne Hemd gesehen. Warum beunruhigte der Anblick seiner nackten Brust sie jetzt so sehr? „Du brauchst die Manschettenknöpfe nur durchzuschieben … und dann … Es ist ganz einfach.“
Mit einem frustrierten Seufzer kam Luke zu ihr hinüber, ergriff ihre Hand und ließ die winzigen Knöpfe hineinfallen. „Tu du es, sonst stehen wir noch die ganze Nacht hier.“
Merkwürdigerweise fand sie die Vorstellung verlockend, und plötzlich wollte sie nicht mehr hinaufgehen. Ihre Nerven waren angespannt, und ihr Magen kribbelte. Und als genügte das nicht schon, zitterten auch noch ihre Hände.
Sie nahm einen Manschettenknopf und schob ihn vorsichtig durch ein Knopfloch. Dabei berührten ihre Finger Lukes warme Haut, und sie zuckte zusammen, als hätte sie sich verbrannt, und die Knöpfe fielen klappernd aufs Parkett. Mit einem erschrockenen Ausruf bückte sie sich, um die Manschettenknöpfe rasch aufzuheben. Aber ihre Finger waren wie gelähmt.
Luke bückte sich und hob sie selbst auf. „Alles in Ordnung?“, fragte er und schaute ihr in die Augen.
„Es geht mir gut“, erwiderte sie mit unsicherer Stimme.
Was war nur los mit ihr? Sie fühlte sich ganz zittrig, ihr Herz klopfte wie verrückt, und ihr Puls raste wie nach einer Überdosis Koffein.
„Bist du nervös wegen der Bekanntmachung eurer Verlobung?“, fragte Luke und musterte sie prüfend, bevor er erneut versuchte, die Manschettenknöpfe zu befestigen.
Ihr Blick glitt seine Brust hinunter und folgte der Linie feinen dunklen Haars auf seinem flachen Bauch.
„Maggie?“
Schnell hob sie den Kopf und spürte, dass sie errötete. „Ich … entschuldige. Was hast du gesagt?“
„Dass ich Bescheid weiß über die Verlobung. Die ganze Sache scheint dich doch sehr nervös zu machen.“
„Woher weißt du es?“
„Isabelle hat mir erzählt, dass ihr verlobt seid.“
Nach einem tiefen Atemzug hob sie die linke Hand mit dem Diamantring. „Ja“, murmelte sie, „wir sind verlobt.“
Als sie dann einen weiteren Blick auf Luke riskierte, sah sie, dass er die beiden obersten Knöpfe des Hemdes schon zugemacht hatte und seine nackte Brust somit nicht mehr zu sehen war. Aber seine Brust war ihre letzte Sorge. Viel beunruhigender war der forschende Ausdruck in seinen hellen blauen Augen. Augen, die ihr schon immer bis auf den Grund der Seele hatten schauen können.
„Liebst du ihn?“, fragte Luke ohne Umschweife.
„Wen?“ Sie schluckte und begriff dann, wen er meinte. „Oh, Colin. Natürlich. Würde ich ihn sonst heiraten?“
Verflixt, warum konnte sie plötzlich nicht mehr denken? Ihr schwirrte der Kopf von bizarren Bildern und unmöglichen Vorstellungen. Sie atmete tief ein und versuchte, sich zu konzentrieren. Aber alles, was ihr in den Sinn kam, war der Gedanke daran, wie warm Lukes Haut gewesen war. Wie viel Champagner hatte sie eigentlich getrunken? Doch nur zwei Gläser, aber sie fühlte sich, als hätte sie eine ganze Flasche geleert.
„Ich möchte, dass du glücklich bist, Maggie. Das ist alles, was mich interessiert. Bist du glücklich?“
Sie nickte. „Ich bin glücklich. Sehr sogar.“
„Dann ist er also gut zu dir?“
Wieder atmete sie tief ein. „Und wenn er es nicht ist, wirst du kommen und ihn in den Magen boxen, nicht wahr?“
Ihr Scherz kam nicht an. Luke lächelte nicht einmal. Stattdessen stopfte er das Hemd in die Hose und zog mit grimmiger Miene die Smokingschleife aus der Hosentasche.
„Also wirklich, Luke“, sagte Maggie leise, nahm ihm die Schleife ab und legte sie um den Kragen seines Hemdes. „Colin ist der Mann, den ich mir immer schon gewünscht habe. Er wird einen guten Ehemann abgeben.“
Luke betrachtete sie einen Moment lang, legte den Kopf zurück und schaute zur Zimmerdecke. „Und wenn nicht, ja, dann werde ich kommen und ihm in den Magen boxen.“ Nachdem sie die Schleife befestigt hatte, richtete er den Blick wieder auf ihr Gesicht. „Ich hätte nie gedacht, dass es so enden würde, als ich dir Colin vorstellte.“ Seine Worte klangen fast bedauernd.
„Und was dachtest, wie es enden würde? Dass er mir das Herz bricht?“
„Nein. Ich dachte, du würdest ihm das Herz brechen. Tatsächlich rechnete ich sogar ganz fest damit.“
Sie blinzelte verwirrt. „Wieso?“ Luke schien sich unbehaglich zu fühlen und einer Antwort ausweichen zu wollen, aber sie hörte nicht auf, ihn fragend anzustarren. Was hatte er damit sagen wollen?
„Vom ersten Augenblick an, als ich Colin kennenlernte, bewunderte ich ihn“, gab Luke schließlich zu. „Er schaffte es, ein netter Kerl zu sein, obwohl er alles hatte, was ich mir früher stets gewünscht hatte: Geld, Prestige und Macht. Aber er hatte dich nicht. Dieses Vergnügen gehörte damals mir allein.“
„Und jetzt hat er mich?“
„Ja, der Kerl hat alles.“ Mit einem verlegenen Lächeln streckte Luke die Hände aus und drehte sich. „Wie sehe ich aus?“
Sie reichte ihm die Smokingjacke. „Du siehst fantastisch aus.“ Er zog die Smokingjacke an, und sie bemerkte, dass seine Schultern breiter waren als Colins und seine Arme muskulöser. „Der Smoking passt dir gut“, sagte sie und strich über die seidenen Aufschläge.
Luke presste ihre Hände an seine Brust. Sie fühlte seinen Herzschlag unter ihren Fingern. „Ich freue mich für dich, Maggie. Und ich wünsche dir das Beste.“
Im Moment pfiff sie darauf, was er ihr wünschte. Viel lieber hätte sie jetzt mit der Hand über die Hemdbrust gestrichen und ihm das Hemd langsam wieder aufgeknöpft, um seine nackte Haut zu spüren.
„Danke“, murmelte sie erstickt. „Warum gehst du jetzt nicht wieder hinauf? Ich habe noch einiges hier unten zu tun.“
„Ich warte auf dich“, bot er ihr an.
Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte jetzt allein sein, um diese albernen Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. „Nein, geh schon und sag Colin, dass ich in ein paar Minuten nachkomme. Er wird sich bereits fragen, wo ich bin. Er hasst es, wenn ich mich verspäte.“
Mit einem resignierten Grinsen wandte Luke sich zur Tür. Dort schaute er sich noch einmal um. „Bist du sicher? Dass du ihn heiraten willst, meine ich?“
Sie schenkte ihm ein unbeschwertes Lächeln. „Ganz sicher.“
Als Luke die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Maggie sich überhaupt nicht mehr sicher. „Ich bin bloß ein bisschen nervös“, versuchte sie, sich zu beruhigen.
Aber ließen sich die Gefühle, die sie wenige Minuten zuvor durchzuckt hatten, mit simpler Nervosität erklären? Oder war es womöglich etwas völlig anderes?
Luke lehnte sich im Aufzug an die Wand und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Was, zum Teufel, war bloß los mit ihm? Unwillkürlich strich er mit den Fingern über seine Brust, die noch prickelte von Maggies flüchtiger Berührung.
Von dem Augenblick an, als er Colins Apartment betreten hatte, war irgendetwas anders gewesen. Sonst fühlte er sich so wohl in Maggies Nähe, doch heute Abend hatte er sich bei ihr einfach nicht entspannen können. Bei jeder ihrer harmlosen Berührungen hatte sein Herz zu rasen begonnen, und hinter allem, was sie sagte, hatte er nach verborgenen Bedeutungen gesucht.
Dabei war ihm nichts aufgefallen, was ihn an ihrem Entschluss, Spencer zu heiraten, hätte zweifeln lassen. Sie schien zufrieden, beinahe entrückt, als befände sie sich mitten in einem wunderbaren Traum, den er gestört hatte.
Sofort hatte er ihr Bild vor Augen, und er seufzte. Sie war so schön. Er hatte es vorher nie bemerkt, weil ihr gutes Aussehen etwas Selbstverständliches für ihn gewesen war. Aber Maggie Kelley besaß eine Schönheit, wie er sie noch bei keiner anderen Frau gesehen hatte; eine strahlende Schönheit, die von innen kam und ihre sanften Gesichtszüge geradezu perfekt erscheinen ließ.
Selbst jetzt noch glaubte er, das intensive Grün ihrer Augen und ihren hübschen Mund zu sehen. Ihre Haut war makellos, ihr Haar so hell wie Gold. Früher hatte er ihr Aussehen nie besonders aufregend gefunden. Seit wann war sie derart verlockend? Und verführerisch?
Seit sie beschlossen hat, Colin zu heiraten, dachte Luke. Denn darum ging es doch. Erschien Maggie ihm plötzlich attraktiver, weil ein anderer sie begehrte? Er kam nicht an gegen das Gefühl, sie an einen Rivalen verloren zu haben. War seine Reaktion nichts weiter als verletzter Stolz? Oder empfand er mehr für Maggie, was sich erst jetzt bemerkbar machte?
Na großartig. Und was könntest du ihr bieten, was Spencer ihr nicht geben kann? fragte er sich.
Sie brauchte einen Mann wie Spencer, der ihr alles bot, wonach sie sich sehnte. Spencers Arbeit zwang ihn nicht, zu reisen, er verdiente eine Menge Geld und brauchte sich um seine Zukunft nicht zu sorgen – sein Familienname garantierte das. Und so gern er sich auch eingeredet hätte, Spencer sei ein selbstsüchtiger Schuft, wusste er doch, dass er gut zu Maggie sein würde. Denn hinter all seinem arroganten Gehabe war Spencer eben doch ein netter Kerl.
Warum, so fragte Luke sich ärgerlich, will ich diese Verlobung dann verhindern? Warum wollte er Maggies erste und vielleicht einzige Chance, eine gute Ehe einzugehen, zerstören? Vielleicht war er ja selbst der selbstsüchtige Schuft, nicht Colin. Wahrscheinlich trieb ihn seine eigene Arroganz dazu, sich einzubilden, er könnte alles erreichen, was er wollte, und wenn auch nur durch pure Willenskraft. Denn das war schließlich das Geheimnis seines Erfolgs – Risiken und Gefahren zu ignorieren, wenn er sich ein Ziel gesetzt hatte, und nicht eher innezuhalten, bis er es erreicht hatte, ganz gleich, welche Steine ihm in den Weg gelegt wurden.
Aber was sollte er mit Maggie tun, wenn er sie hatte? Eine feste Beziehung hatte er nie gewollt. Es gab genug Frauen, die ihm eine angeboten hatten. Aber seine Arbeit war das Wichtigste in seinem Leben, wichtiger noch als Liebe und Beziehungen. Er hatte seine Wahl getroffen, und es wäre sinnlos, sich etwas zu wünschen, das er nicht zu Ende führen konnte – selbst wenn das Ziel seiner Wünsche Maggie Kelley war.
Die Aufzugtüren glitten auf, und Luke schaute sich im Ballsaal suchend nach Colin um.
Sein Freund warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als er dann zu ihm hinüberging. „Ist das mein Armani-Smoking?“
Luke zog die Schultern hoch. „Tut mir leid, Colin. Aber Maggie bestand darauf, und du weißt ja, wie schwierig es ist, ihr etwas abzuschlagen.“ Luke räusperte sich verlegen. „Und da wir gerade dabei sind, wollte ich mich für meine harten Worte von vorhin entschuldigen. Ich …“
Colin hob die Hand. „Vergiss es. Ich weiß doch, dass Maggies Wohl dir sehr am Herzen liegt.“
„Trotzdem geht eure Beziehung mich nichts an. Wenn sie dich heiraten will, soll es mir recht sein.“ Aber noch während er das sagte, erkannte Luke, dass es eine Lüge war.
„Ich bin froh, dass du das eingesehen hast.“ Colin wand sich etwas. „Und vielleicht hattest du in gewisser Weise sogar recht. Mein Vater hat wirklich etwas damit zu tun, dass ich mich zu dieser Heirat entschlossen habe. Aber das ändert nichts an meinen Empfindungen für Maggie.“
„Was willst du damit sagen?“
Colin zuckte mit den Schultern. „Nur, dass ich ohne den Druck meiner Eltern vielleicht noch etwas abgewartet hätte. Ich meine, natürlich hätte ich Maggie irgendwann geheiratet. Aber ich glaube, ein Teil von mir wird sich immer fragen, was geschehen wäre, wenn ich nicht Spencer hieße.“
„Es ist zu spät für Zweifel“, erklärte Luke warnend.
Colin lachte. „He, welcher Mann hat keine? Wenn jeder Mann, der Zweifel hegt, im letzten Augenblick noch kneifen würde, wäre die Welt womöglich voller zufriedener Junggesellen und frustrierter alter Jungfern.“
Luke konnte ihm nicht widersprechen. Eine Ehe war ein großer Schritt. Aber es war seine Maggie, von der sie hier sprachen. Und sie hatte einen Mann gewählt, der sich seiner Sache offenbar nicht völlig sicher war. Das verdiente Maggie doch wohl zu wissen, oder?
Sein Freund blickte suchend um sich. „Ich sehe Maggie gar nicht. Ist sie nicht mit dir gekommen?“
„Nein, sie ist noch in deiner Wohnung.“ Und ich sollte sofort zurückgehen und sie holen, dachte Luke.
Colin schaute auf die Uhr. „Ich muss wieder zu meinen Geschäftsfreunden. Könntest du nicht Maggie holen? Wir sollen meine Eltern zehn Minuten vor Mitternacht vor dem Podium der Band treffen.“
Dass Colin nicht einmal ein paar Minuten erübrigen konnte, um seine Verlobte abzuholen, bestätigte Luke in seinen Zweifeln. Ich werde ihr sagen, wie ich darüber denke, beschloss er, als er zum Lift zurückging.
Nachdem er dort eine Zeit lang gewartet hatte, nahm er schließlich die Treppe. Drei Etagen tiefer, auf der achtundvierzigsten Etage, bemerkte er eine einsame Gestalt auf der Treppe. Es war Maggie, die auf der letzten Stufe saß.
„Maggie?“
Überrascht fuhr sie herum. „Hallo“, sagte sie leise.
„Sie warten oben schon auf dich. Colin bat mich, dich zu holen. Was tust du hier?“
„Hm … Mit den Aufzügen stimmt etwas nicht.“
„Du hättest die Treppe nehmen können.“
„Oh, vielen Dank. Ich warte lieber noch ein paar Minuten.“
Er schaute sie prüfend an und setzte sich dann neben sie. Kamen ihr jetzt doch noch Zweifel? Sie schien es nicht eilig zu haben, ihren Verlobten zu sehen. „Was ist los? Warum versteckst du dich hier unten?“
„Ich habe nur ein bisschen nachgedacht.“
„Worüber?“
„Darüber, dass alles ganz anders und sehr viel schlimmer hätte kommen können. Wenn man bedenkt, woher ich stamme und wie meine Mutter war … Da hätte wirklich alles anders kommen können.“ Sie schaute ihn mit ihren großen grünen Augen an. „Wenn du nicht gewesen wärst.“
„Ich hatte nicht sehr viel damit zu tun. Du wärst auch ohne mich ein wunderbarer Mensch geworden.“
„Das glaube ich nicht“, murmelte sie und richtete den Blick auf ihre Schuhe. „Glaubst du, dass ich eine gute Ehefrau sein werde?“
Er legte den Arm um sie, und sie lehnte sich an seine Schulter. Als er den zarten Duft ihres Haars wahrnahm, musste er all seine Willenskraft mobilisieren, um sie nicht noch fester an sich zu ziehen und dafür zu sorgen, dass sie Colin vergaß. „Ich denke schon.“
„Ich will nicht die gleichen Fehler wie meine Mutter machen. Aber vielleicht ist es ja erblich?“
Er lachte. „Ich habe noch nie von einem ‚Scheidungsgen‘ gehört, Maggie. Wenn du einen Mann heiratest, der dich liebt, ist alles in Ordnung.“
Sie atmete tief ein. „Na gut. Ich bin so weit. Lass uns gehen.“
Er half ihr aufzustehen und nahm ihren Arm. Langsam begannen sie die Treppe hinaufzusteigen. Aber bei jeder Stufe wuchs seine Frustration. Warum sagte er Maggie nicht, was er dachte? Warum warnte er sie nicht davor, mit Colin eine Ehe einzugehen?
„Falls du noch Zweifel haben solltest, können wir wieder hinuntergehen“, sagte er. Doch kaum waren die Worte heraus, bereute er sie auch schon. Nicht Maggie quälten Zweifel, sondern ihn.
„Nicht nötig“, erwiderte sie. „Ich habe es mir gründlich überlegt.“
Auf der einundfünfzigsten Etage blieb er stehen und kämpfte gegen die Versuchung an, Maggie in die Arme zu nehmen und sie nicht mehr loszulassen bis nach Mitternacht.
Vielleicht könnte er sie sogar dazu bringen, Colin nicht zu heiraten – aber was dann? War er bereit, ihr etwas Besseres zu bieten? Es wäre höllisch schwierig, zu überbieten, was Spencer ihr zu geben hatte. Und er, Luke, war alles andere als heiratswillig. Spencer hingegen war bereit, diesen entscheidenden Schritt zu tun und Maggie zu heiraten und für sie zu sorgen, während er selbst ihr nichts weiter anzubieten hatte als eine Schulter, um sich auszuweinen.
Er öffnete die Tür zum Ballsaal und unterdrückte dabei einen Fluch. Wie sollte er Maggie überzeugen? Wenn es Mitternacht schlug und das nächste Jahrtausend begann, würden sich ihre Wege trennen, und ihre Freundschaft würde eine Veränderung erfahren. Aber es musste doch Möglichkeiten geben, das Schicksal aufzuhalten … Er musste sich in den nächsten Minuten nur schnell etwas einfallen lassen.
Maggie betrat den Ballsaal nur zögernd. Colin erwartete sie bestimmt schon, gemeinsam mit seinen Eltern und vierhundert ausgesuchten Freunden und Geschäftspartnern.
Luke drückte ihre Hand. „Du kannst es dir noch immer anders überlegen.“
Einen flüchtigen Moment lang erwog sie, seine Hand zu nehmen und mit ihm zur Treppe zurückzulaufen, um ihren Zweifeln zu entkommen. Was war, wenn sie sich tatsächlich mit weniger zufrieden gab, als sie verdiente, wie Isabelle gesagt hatte? Was, wenn es irgendwo dort draußen nun doch einen Mann gab, den sie leidenschaftlich und vollkommen lieben konnte? Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Und wenn dieser Mann nun Luke war?
„Sei nicht albern, Luke“, entgegnete sie steif.
„Bist du dir sicher?“
Sie nickte. „Lass uns gehen.“
Während sie weitergingen, umklammerte sie Lukes Hand noch fester, atmete tief ein und zwang sich zu einem Lächeln, als sie Eunice und Edward Spencer vor dem Podium der Band stehen sah. Aber Colin war nirgendwo zu sehen. Wo war er? Er war doch sonst immer so pünktlich …
Eunice eilte nun zu Maggie, nahm ihre Hände und zog sie fort von Luke. „Wo ist Colin?“, wisperte sie nervös.
Maggie blinzelte verwirrt. „Ich weiß es nicht. Ich habe ihn noch nicht gesehen.“
„Wir müssen die Verlobung aber vor Mitternacht bekannt geben“, meinte Eunice besorgt. „Denn sonst ist es nichts Besonderes. Und etwas Besonderes muss es sein, um in den Klatschspalten der Zeitungen gebührend erwähnt zu werden. Aber ohne Colin können wir nichts tun.“
„Er wird gleich da sein“, sagte Maggie betont ruhig. „Wir haben noch fünf Minuten Zeit.“
Sie nahm ihren Platz zwischen Eunice und Edward ein, und alle drei starrten schweigend auf die Uhr und warteten auf den Moment, in dem der Countdown beginnen würde.
„Vielleicht ist er krank geworden“, flüsterte Eunice. „Er sah nicht gut aus vorhin. Und es geht ein Grippevirus um.“
Edward stand steif neben ihnen. Er sieht immer aus, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, dachte Maggie.
„Wahrscheinlich hat er kalte Füße bekommen“, murmelte er. „Der Junge wird dieser Familie noch Schande machen, denk an meine Worte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er eine Verlobung löst.“
Maggie schaute Edward aus großen Augen an. „Was?“
Eunice drückte ihre Hand. „Hören Sie nicht auf ihn. Das ist Schnee von gestern, Liebes.“
„Sie meinen, Colin hat es schon einmal getan?“
„Es ist lange her, er war damals noch sehr jung und nicht reif für eine Ehe. Und das Mädchen war … Nun ja, gierig.“
Maggie runzelte die Stirn. Was wollte Eunice Spencer damit andeuten? „Ich verstehe nicht ganz.“
„Sie wissen schon – sie war eine Mitgiftjägerin.“
„Und was ist mit dem Mädchen, das er nach ihr kennenlernte?“, schnaubte Edward. „Auch sie hat er sitzen lassen, und ihre Eltern waren Millionäre. Und dann diese Carla oder Darla oder …“
„Sharla“, berichtigte Eunice. „Auch eine Mitgiftjägerin. Und sie alle waren nicht mit ihm verlobt.“
Edward zog eine seiner buschigen weißen Brauen hoch. „Sie sagte, er habe ihr die Ehe versprochen. Und wir haben teuer bezahlt für das Versprechen.“
„Wie viele andere waren es noch?“, fragte Maggie, die bestürzt war über diese unerwarteten Enthüllungen.
„Nicht viele“, meinte Eunice. „Und er hat sie nie geliebt, so wie er Sie liebt, Kind. Es muss also einen triftigen Grund haben, dass er sich verspätet hat. Vielleicht ist er entführt worden. Oder er hat sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen! Diese Garnelen rochen gar nicht gut.“
„Sei nicht albern, Eunice. Der Junge kneift bloß wieder. In Bezug auf Frauen ist er ein Idiot. Und das ist deine Schuld. Du hast ihn zu sehr verwöhnt.“
„Ich?“, erwiderte Eunice empört, aber immerhin so leise, dass ihre Gäste es nicht hören konnten. „Ich kann den Jungen doch nicht anbinden. Er ist dein Sohn. Wer weiß, vielleicht ist er ja auf der Toilette. Geh nachsehen, Edward.“
Maggies Magen krampfte sich zusammen, während sie versuchte, Haltung zu bewahren. War dies alles wirklich so schrecklich, wie es schien? Oder konnte sie in ihrer Nervosität bloß nicht klar denken? Eunice und Edward glaubten allen Ernstes, ihr Sohn habe sie sitzen lassen? Wie könnte Colin das? Er liebte sie doch und wollte sie heiraten. Und was war mit den anderen Frauen? Warum hatte er sie nie erwähnt? Suchend schaute sie sich wieder um, aber diesmal nicht nach Colin. Sie brauchte Luke. Luke würde alles wieder in Ordnung bringen.
Der Bandleader trat zu Edward und deutete mit besorgter Miene auf die Uhr.
Colins Vater zuckte die Schultern. „Er kommt nicht“, murmelte er.
„Er wird gleich hier sein“, sagte Eunice.
„Meine Damen und Herren, es wird Zeit, den Countdown ins neue Jahrtausend zu beginnen!“ Die Stimme des Bandleaders schallte durch den Saal, und Maggie fuhr zusammen. Als er zu zählen anfing, dröhnte es ihr in den Ohren, und ihr zitterten die Knie. Ihr war, als würden sie von allen angestarrt, wie sie dort vorm Podium standen und nichts zu verkünden hatten. Und sie fragte sich, ob ihr Lächeln so gezwungen wirkte, wie es war, und ob ihre Augen ihre Demütigung verrieten. Sie senkte den Blick.
„Zehn, neun, acht …“
Er kam nicht. Für Maggie war jetzt offensichtlich, dass Colin kalte Füße bekommen hatte. Es gab nichts mehr bekannt zu geben. Vielleicht gab es ja nicht einmal mehr eine Verlobung. Während sie den Ring an ihrem Finger drehte, war sie versucht, ihn abzustreifen und in den Saal zu werfen.
„Sieben, sechs, fünf …“
Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie hatte Colin bedingungslos vertraut, hatte mit ihm Pläne für die Zukunft geschmiedet. Was sollte sie jetzt tun? Die Zeit schien stillzustehen, doch der Countdown lief.
„Vier … drei …“
Maggie schaute auf, und ihr Blick traf Lukes. Er stand zwischen den Gästen und sah sie so intensiv an, als könnte er damit ihre Qual ein wenig lindern. Wie in Zeitlupe tat er nun einen Schritt in ihre Richtung, dann noch einen und noch einen, und streckte seine Hand aus.
„Zwei …“
Er lächelte mitfühlend, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Eins!“
Mit einem unterdrückten Seufzer ließ sie sich in Lukes starke Arme sinken. Er zog ihr Gesicht an seine breite Brust, streichelte ihr Haar und murmelte ihr aufmunternde Worte zu. Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und es war, als wären all die Jahre nie verstrichen. Sie war wieder auf dem Bürgersteig, mit aufgeschrammten Knien und verletztem Stolz. Und ihr Held und Ritter war wieder aus den Schatten aufgetaucht, um sie zu retten.
„Ein frohes neues Jahr! Alles Gute zur Jahrtausendwende!“