Die Jahrtausend-Party - 6. Kapitel
6. KAPITEL
Maggie war nicht sicher, was sie geweckt hatte – Lukes tiefe, ruhige Atemzüge oder das Pfeifen des Windes, der den Schnee ans Fenster drückte. Langsam öffnete sie die Augen und sah, dass ihre Nase nur millimeterweit von Lukes entfernt war. Sie erschrak, flüchtete aber nicht zur anderen Seite des Betts, sondern fragte sich, wie sie zusammen in einem Bett gelandet waren.
Sie erinnerte sich noch vage, dass er gekommen war und sie ihn hereingelassen hatte, bevor sie ins Bett zurückgegangen war. Danach musste sie eingeschlafen sein. Irgendwann schien Luke sich zu ihr ins Bett gelegt zu haben, in Jacke, Jeans und Stiefeln.
Nicht, dass sie ihm deswegen etwa böse gewesen wäre. Es war mehr als angenehm, seinen warmen Körper zu spüren.
Sein Atem war wie eine Liebkosung ihrer Wange, und seine große Hand ruhte besitzergreifend auf ihrer Hüfte. Ihre Beine waren unter den zerwühlten Decken mit seinen verschränkt. Sie seufzte vor Zufriedenheit. So musste es sein, wenn Liebende morgens nach einer Nacht der Leidenschaft aufwachten. Nur dass Liebende gewöhnlich keine Stiefel – oder dicke Lederjacken – im Bett trugen.
Trotzdem fiel es ihr überhaupt nicht schwer, sich Luke als ihren Geliebten vorzustellen. Er war ein enthusiastischer Mann und zielstrebig und ambitioniert, und sie war sicher, dass diese Eigenschaften sich auch beim Liebesspiel bemerkbar machen würden. Allein der Gedanke daran ließ ihr Herz schneller schlagen und trieb ihr die Röte in die Wangen.
Nachdenklich betrachtete sie seine dunklen Brauen, seine langen, dichten Wimpern und die perfekte, gerade Nase. Er war der attraktivste Mann, den sie je gekannt hatte, und sie verstand nicht, wieso sie das erst jetzt begriff. Ihre Kindheitserinnerungen hatten ihren Blick getrübt. Wahrscheinlich hatte sie deshalb so lange gebraucht, um zu erkennen, was für ein toller Mann er war. Unendlich viel aufregender als die anderen …
Sie richtete den Blick auf seine Lippen. Wie viele Frauen mochte er wohl schon geküsst haben? Mehr wahrscheinlich, als sie zählen konnte.
Er küsste gut – erheblich besser als Colin. Dessen Küsse waren immer ziemlich fade gewesen, als ob er nur eine lästige Pflicht damit erfüllt hätte. Wenn hingegen Luke sie küsste, begann ihr Puls zu rasen und sie vergaß alles andere.
Luke küsste besser als jeder andere Mann, den sie gekannt hatte, obwohl das nicht viele waren. Sie hatte wenige Freunde und noch weniger Liebhaber gehabt und war nie fähig gewesen, sich einem Mann vollkommen hinzugeben. Bei jeder Beziehung, einschließlich der mit Colin, hatte sie einen Teil von sich zurückgehalten – ihr Herz. Vielleicht aus Selbstschutz, um es nicht zu verlieren. Oder vielleicht auch aus Misstrauen dem anderen gegenüber.
Bei Luke indes empfand sie eine Vertrautheit wie bisher noch bei niemandem. Ihm konnte sie alles sagen, sie brauchte nichts von sich zurückzuhalten.
Nein, da war etwas, was sie Luke nicht anvertrauen konnte – dass ihre Gefühle für ihn sich so grundlegend geändert hatten. Wie hätte sie ihm gestehen können, dass sie sich nach seiner Berührung sehnte und von seinen Küssen träumte? Oder, dass sie sich sexuell zu ihm hingezogen fühlte? Vor allem jedoch konnte sie ihm nicht sagen, dass sie Angst hatte, in ihm nie wieder nur den Freund zu sehen.
Sie seufzte. Ihre Vernunft riet ihr, sich nicht in Luke zu verlieben und damit eine lebenslange Freundschaft zu riskieren. Und woher sollte sie wissen, ob sie in ihr Idealbild von einem Helden oder in den wirklichen Mann verliebt war? Nach allem, was mit Colin vorgefallen war, war es möglicherweise nur ein Held, den sie sich jetzt wünschte, jemand, der ihr wieder zu Bewusstsein brachte, dass sie es verdiente, beachtet und geliebt zu werden. Vielleicht war Anerkennung alles, was sie von Luke wollte. Und Anerkennung mit Liebe zu verwechseln, war nicht schwierig.
Das ist es, dachte Maggie. Sie liebte Luke nicht wirklich; sie brauchte ihn nur, um diese schwierige Phase in ihrem Leben zu überwinden. Und sobald sie das geschafft hatte, würde sie merken, dass sie und Luke nur Freunde waren.
Langsam strich sie über sein Kinn und nur ganz leicht, um ihn nicht zu wecken. Seine Bartstoppeln kitzelten ihre Fingerspitzen, und plötzlich überkam sie eine überwältigende Sehnsucht. Sie wollte nie wieder aufhören, ihn zu berühren, wollte die Hand nach ihm ausstrecken können, wann immer sie den Wunsch danach verspürte. Um sich zu vergewissern, dass er da war – an ihrer Seite.
Aber was ist es was du willst, Luke? dachte sie. Wozu bist du hergekommen?
Zärtlich legte sie die Hand an seine Wange und beugte sich vor. Aber bevor sie ihn küssen konnte, zuckten seine Lider, und sie hielt inne, ohne ihre Hand jedoch zurückzuziehen.
Da schlug er die Augen auf, beugte sich lächelnd vor und streifte ihren Mund mit seinem. Mit der Zungenspitze strich er die Konturen ihrer Lippen nach. Kein Wort fiel zwischen ihnen, lange schauten sie sich nur schweigend in die Augen. Dann ließ Luke die Lider sinken, und Sekunden später war er wieder eingeschlafen.
Sie hielt den Atem an und hoffte, er möge aufwachen und weitermachen, wo er aufgehört hatte. Aber dann erkannte sie, dass sie noch nicht zu mehr als einem Kuss bereit war. Und zu mehr könnte es sehr leicht kommen. Schließlich waren sie allein in einer Blockhütte, und es könnte durchaus passieren, dass sie alle moralischen Bedenken in den Wind schlugen und sich von wildem Verlangen mitreißen ließen.
Zehn Minuten später löste sie sich aus seiner Umarmung und zog sich leise an. Sie musste zusehen, dass sie diesen Raum verließ, bevor sie der Versuchung nachgab.
Ich werde uns etwas zu essen holen, dachte sie, als sie in den frisch gefallenen Schnee hinaustrat. Sie wusste, dass es etwas weiter unten an der Straße ein kleines Restaurant gab.
Als sie dann durch die Stadt ging, begann sie Potters Junction mit ganz neuen Augen zu betrachten. Die Häuser erschienen ihr hübscher, die Menschen freundlicher. Kinder spielten auf den Bürgersteigen, und Hunde sprangen ausgelassen bellend durch den Schnee.
Alles war so hell und fröhlich. Konnte das dieselbe Stadt sein, die ihr vor vielen Jahren so verhasst gewesen war? Möglicherweise sah sie sie deshalb jetzt anders, weil sie selber fröhlich war.
Fröhlich? Nachdem ihr Verlobter sie hatte sitzen lassen und sie von ihrer besten Freundin verraten worden war?
Als Maggie zu dem klaren blauen Himmel über den schneebedeckten Bäumen hochschaute, erinnerte sie sich daran, wie sie sich in der Silvesternacht ihre Zukunft ausgemalt hatte. „Ich werde Colin Spencer heiraten und sehr, sehr glücklich sein“, hatte sie gesagt.
Nein, es bestand nicht keine Aussicht mehr, dass sie mit Colin zum Altar ging. Dennoch hatte sie das sichere Gefühl, dass es ihr im neuen Jahrtausend an Glück nicht mangeln würde. Und eine innere Stimme sagte ihr, dass dieses Glück etwas mit dem Mann zu tun hatte, der in ihrer Hütte im While-A-Way schlief.
Luke stand unter der heißen Dusche und fragte sich, wo Maggie sein mochte. Aber da ihr Wagen noch draußen stand, konnte sie nicht weit gekommen sein. Außerdem war er froh, einen Moment allein zu sein, weil er viel zu überdenken hatte. Er hatte ihr noch immer nicht gesagt, dass er Nachrichten von Colin hatte; dass der Mann, der sie im Stich gelassen hatte, beabsichtigte, nach Chicago und zu ihr zurückzukehren.
Warum hatte er es ihr noch nicht erzählt? Weil er tatsächlich nicht glaubte, dass Colin der Richtige für Maggie war, und Angst hatte, dass sie zu ihm zurückkehren könnte? Oder weil er inzwischen eigene Pläne mit Maggie hatte?
Er begehrte sie, obwohl er ihr nicht das bieten konnte, was sie brauchte. Er würde nie der Ehemann sein, den sie sich wünschte, mit einem Bürojob von neun bis fünf und einem fetten Scheck am Monatsende. Er würde nicht da sein, um sie bei der Erziehung der Kinder zu unterstützen, und er würde auch keine Zeit haben, den Rasen zu mähen, wie jeder andere normale Mann es tat.
Seufzend schlang Luke sich ein Handtuch um die Hüften und verließ das Bad. Als er sich anziehen wollte, fiel ihm jedoch ein, dass seine Tasche noch im Wagen war. Rasch streifte er die Stiefel über seine bloßen Füße und griff nach seiner Jacke, um zu seinem Jeep hinauszugehen, aber da öffnete sich die Tür, und Maggie betrat die Hütte.
„Du bist schon wach!“ Sie blieb wie angewurzelt stehen, und ihr Blick glitt von seinem Gesicht zu seiner nackten Brust und dem feuchten Handtuch um seine Hüften. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen. Dann senkte sie den Blick und trug die Tüten, die sie mitgebracht hatte, zum Bett hinüber.
„Ich habe etwas zum Lunch gekauft“, sagte sie. „Wolltest du so hinausgehen?“
„Ich wollte nur schnell meine Tasche aus dem Wagen holen.“
„Lass nur, ich geh schon“, bot sie ihm an.
„Nein, nein. Das kann warten.“
Achselzuckend ging sie zum Bett zurück und begann die Tüten auszupacken. Es roch nach Cheeseburgern, und sein Magen erinnerte Luke daran, dass er seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte. Er legte die Jacke weg, streifte die Stiefel ab und ging zum Bett hinüber.
Maggie reichte ihm einen Hamburger, den er hastig auspackte. „Ist dir nicht kalt?“, fragte sie nervös.
Er schüttelte nur den Kopf und biss in seinen Cheeseburger.
Mit fliegenden Fingern riss sie eine Coladose auf und trank durstig. Da begriff er, dass es sein halb nackter Zustand war, der sie nervös machte, und das erfüllte ihn mit geheimer Freude. Sie hatte jegliche sexuelle Anziehung zwischen ihnen so entschieden abgestritten, dass er es ihr fast geglaubt hatte. Aber jetzt, wo ihr Blick immer wieder unruhig über seinen nackten Oberkörper glitt und er sah, dass sie schluckte und ihre Hände zitterten, dämmerte ihm die Wahrheit.
Maggie fühlte sich ebenso stark zu ihm hingezogen wie er sich zu ihr. Sie hatte ihr Verlangen nur besser zu verbergen gewusst. Aber hier, allein mit ihm, vermochte sie es nicht mehr zu verleugnen. Er brauchte ihr nur einen kleinen Anstoß zu geben, um ihre Willenskraft zu testen. Wie würde sie wohl reagieren, wenn er Cheeseburger und Handtuch fortwarf und sie hier auf dem wackeligen Bett in die Arme nahm?
„Wann fährst du zurück?“, unterbrach sie seine erotischen Überlegungen.
Er zuckte die Schultern. „Wann du willst. Wir sollten bei diesem Schnee nur nicht zu spät aufbrechen.“
„Ich bleibe noch“, sagte sie und zog eine Broschüre aus der Jackentasche. „Heute findet eine Ausstellung für Kunsthandwerk und ein Eisskulpturen-Wettbewerb statt, was ich mir beides gerne ansehen würde.“
„Dann bleib ich auch“, erklärte er.
Fast hätte Maggie sich verschluckt. „Hier?“
„Warum nicht? Wir könnten ein paar Tage ausspannen und hätten Gelegenheit, uns unsere alte Heimatstadt noch mal anzusehen. Ich fliege erst am Wochenende nach Albanien.“
„Ich meinte, in dieser Hütte.“
Er grinste. „Was hast du denn?“, neckte er sie. „Wir beide haben hier doch gut geschlafen, oder? Mir scheint, wir passen auch im Bett sehr gut zusammen.“
Sie biss in ihren Hamburger und errötete noch heftiger. „Darüber scherzt man nicht. Wir waren immer Freunde, und jetzt … jetzt weiß ich einfach nicht mehr, was wir sind.“
Sie wirkte so verwirrt, dass er sich fast ein wenig schuldbewusst fühlte. „Was möchtest du denn, das wir sind?“, fragte er und griff nach ihrer Hand.
„Ich … ich möchte, dass es wieder so wie früher wird“, antwortete sie leise. „Ich möchte, dass du nicht halb nackt herumläufst, wenn wir zusammen sind, und es wäre mir lieber, wenn du mich nicht mehr küssen würdest. Wir können nicht in einem Bett schlafen. Ich möchte, dass wir wieder Freunde sind.“
„Wir sind Freunde“, erklärte er ruhig. „Aber aus einer Freundschaft kann sich doch mehr entwickeln, oder?“
„Ich will das nicht!“, rief sie. „Weil es alles verderben würde. Wir könnten uns verlieben, und dann würden wir anfangen, uns zu streiten, und dann würdest du fortgehen, und wir würden uns nie wiedersehen. Genau wie …“
„Wie deine Mutter und ihre Männer?“
„Nein!“ Sie runzelte die Stirn. „Na ja, vielleicht. Ich habe oft genug erlebt, wie schnell so etwas passiert.“ Sie schnippte mit den Fingern. „Und man kann nichts dagegen tun.“
„Und Colin?“
„Ihn habe ich nie geliebt.“ Kaum war es heraus, presste Maggie die Finger an die Lippen, als könnte sie die Worte damit ungeschehen machen.
„Du wolltest ihn heiraten!“, versetzte er entgeistert. „Obwohl du ihn nie geliebt hast?“
„Das habe ich nicht gemeint.“ Sie nahm eine leere Tüte und faltete sie ordentlich. „Natürlich habe ich ihn geliebt.“
Maggie log. Er konnte es in ihren Augen sehen. „Das ist es aber nicht, was du gerade gesagt hast.“
Sie starrte auf ihre Hände. „Deshalb wollte ich ihn ja heiraten“, erwiderte sie tonlos. „Weil ich ihn tief im Innersten nie geliebt habe. Ich dachte, wenn ich ihn nicht liebe und er mich verlässt, dann kann es mir nicht wehtun. Es war alles Teil des Plans.“
Verflixt, er hätte wissen müssen, dass sie diesen Mann nicht liebte! „Aber es hat trotzdem geschmerzt?“
„Es war mir … peinlich“, flüsterte sie. „Das ist alles.“
Er legte die Hand an ihre glühende Wange, beugte sich dann vor und küsste sie auf die Lippen. „Es tut mir leid“, sagte er leise.
Zitternd zog sie sich zurück. „Du solltest mich doch nicht küssen“, wisperte sie. „Freunde küssen sich nicht auf diese Art.“
„Und wenn ich nicht mehr dein Freund sein will?“
Ihre Augen weiteten sich, und er sah Schmerz in ihren grünen Tiefen. „Du willst nicht …“
Er verfluchte sich im Stillen. „Natürlich möchte ich, dass wir Freunde sind. Aber was ist, wenn ich mehr will?“
„Mehr?“
Erneut beugte er sich vor und küsste sie, und diesmal ein wenig länger. Langsam hob sie die Hände und legte sie auf seine nackte Brust. Die Wärme ihrer Finger sandte ihm ein heißes Prickeln über die Haut, und ein fast schmerzhaftes Ziehen durchzuckte seine Lenden. Aufstöhnend vertiefte er den Kuss.
Dieser intime Kontakt mit ihr war machtvoll und überwältigend stark. Und er fasste sie um die Schultern und drückte sie sanft auf die Matratze. Maggie versteifte sich unter ihm und versuchte, ihn fortzuschieben. Noch immer ganz benommen vor Verlangen, richtete er sich widerstrebend auf.
Maggie sprang auf und trat vor ihn, verschränkte die Arme vor der Brust und richtete ärgerlich ihren Blick auf ihn. „Wozu bist du hergekommen? Warum bist du nicht in Albanien? Ich dachte, du müsstest über eine Revolte dort berichten.“
Luke fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er wusste es ja selbst nicht so genau, wieso er zu ihr gefahren war. Das mit dem „Ich liebe dich“ hätte er ihr auch Telefon erklären können. Und zwölf Stunden durch einen Schneesturm zu fahren war auch nicht gerade angenehm gewesen.
„Ich bin gekommen, weil ich es so wollte“, antwortete er schließlich. Weil ich dich will, fügte er in Gedanken hinzu.
„Wenn du bleiben willst, solltest du dir eine eigene Hütte nehmen. Ich werde mit dem Manager reden, während du dich anziehst.“
Versonnen betrachtete er sie. Sie sah aus, als hielte sie es keine zwei Sekunden länger hier mit ihm allein in dieser Hütte aus. Hatte sie Angst, dass er sie wieder küssen würde? Oder wollte sie bloß ihre Freundschaft nicht gefährden?
Plötzlich musste er wieder an den Kuss in jener Nacht vor ihrer Haustür denken. Da hatte er Leidenschaft in ihr gespürt, eine Leidenschaft, die er gern ausgiebiger erkundet hätte. Seine Hartnäckigkeit, bei einer Story am Ball zu bleiben, bis er alle Fakten hatte, kam ihm jetzt sehr zugute. Nein, er würde Maggie nicht allein lassen, bis er wusste, was sie für ihn empfand – und wie es um seine eigenen Gefühle für sie beschaffen war.
„Ich weiß wirklich nicht, wozu du hergekommen bist“, wiederholte Maggie. „Um mir zu sagen, dass du mich liebst? Um in meinem Bett zu schlafen. Um halb nackt vor mir herumzustolzieren?“
Er lachte. „Ich liebe dich. Und ich war müde. Aber ich stolziere nicht herum.“ Seufzend stand er auf, nahm seine Hose und ging zum Bad. „Ich ziehe mich besser an.“ Sein Handtuch hatte sich gelockert, aber er machte sich nicht die Mühe, es neu zu befestigen. Prompt glitt es von seinen Hüften, als er die Badezimmertür öffnete. Er fing es auf und warf es sich unbekümmert über die Schulter, was Maggie einen erstklassigen Blick auf seinen blanken Po erlaubte.
Grinsend verschwand er ins Bad und konnte sich gut vorstellen, dass sie jetzt errötete. Aber das kümmerte ihn nicht. Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Er war es leid, für Maggie nur ein Freund zu sein, der Mann mit den ehrenwerten Absichten, der Ritter in glänzender Rüstung.
Er hatte gerade seine Hose angezogen, als es auch schon klopfte. Vergnügt öffnete er die Tür. Maggie stand da, umklammerte ihre Hände und schaute unsicher zu ihm hoch.
„Ich liebe dich auch“, sagte sie. „Ich wollte nur, dass du das weißt.“
„Und was bedeutet das?“, fragte er, den Blick auf ihren weichen Mund gerichtet und in Gedanken schon beim nächsten Kuss.
„Es bedeutet, dass du mir sehr wichtig bist. Genauso wichtig wie ich dir. Wir sind Freunde und haben uns gern. Und ich möchte nicht, dass sich das ändert.“
Damit wandte sie sich auf dem Absatz um und ging zur Hüttentür.
„Wir lieben uns also“, murmelte er und rieb sich mit der Hand über die nackte Brust. „Was, zum Teufel, erwartet sie denn jetzt von mir?“
„Wo willst du hin?“, fragte Maggie und bemühte sich, mit Luke Schritt zu halten.
Als sie in die Hütte zurückgekehrt war, war er bereits fertig angezogen und bereit gewesen, mit ihr in die Stadt zu gehen. Da sie Luke inzwischen eine eigene Unterkunft im While-A-Way beschafft hatte, fühlte sie sich besser, weil sie nun Zeit hatte, über alles nachzudenken – und keine Gefahr mehr lief, einen weiteren Blick auf seine reizvolle Kehrseite zu tun. Das Bild ging ihr nicht mehr aus dem Sinn und drängte sich ihr immer wieder auf, bis sie schließlich völlig sicher war, dass Luke den schönsten Körper auf der ganzen Welt besaß.
Hand in Hand schlenderten sie durch die Stadt und genossen die festliche Atmosphäre. Eisskulpturen säumten die Straße, und einheimische Künstler hatten Zelte und Tische aufgestellt und boten alles Mögliche an, von geschnitzten Holzfiguren bis hin zu Ledermokassins.
Luke kaufte ihr einen Becher heißen Apfelwein, den sie beim Weitergehen trank, und irgendwann stellte sich wieder die sorglose Vertrautheit ein, die ihre Freundschaft von Anfang an geprägt hatte. Zu ihrem eigenen Erstaunen begann ihr die friedliche Atmosphäre ihrer einst so verhassten Heimatstadt zu gefallen. Die Verbindung mit ihrer Vergangenheit hier in Potters Junction – eine Verbindung, die sich bisher nur auf Luke bezogen hatte – verstärkte sich jetzt.
„Sieh mal.“ Luke deutete auf ein Schild. „Lass uns hingehen.“
„Was?“, fragte sie, doch Luke zog sie schon weiter.
„Am See. In Fireman’s Park. Ich weiß bloß nicht, ob man eine Lizenz dafür benötigt.“
Sie blieb stehen. „Du willst etwas tun, wofür man eine Lizenz benötigt?“, fragte sie stirnrunzelnd.
„Es wird dir gefallen“, versprach er. „Es ist genau das Richtige für alte Freunde.“
Am See hatte sich schon eine kleine Gruppe Teilnehmer versammelt. Ein alter Mann erklärte die Bedingungen des Wettbewerbs, doch erst als er von Ködern und von Angelleinen sprach, begriff Maggie, dass Luke im Eis fischen wollte.
Nachdem Luke eine Angelerlaubnis für sie beide besorgt hatte, zeigte der alte Mann auf eine kleine Hütte mitten auf dem zugefrorenen See und erklärte, sie sei mit allem ausgerüstet, was sie zum Angeln brauchten.
Luke dankte ihm, und sie betraten vorsichtig das Eis. „Ich weiß nicht, ob mir das gefällt“, murmelte Maggie.
„Du hast es bisher ja nicht einmal versucht.“
„Aber wie sollen wir an die Fische herankommen? Das Eis ist mindestens zwanzig Zentimeter dick.“
Luke deutete auf die Hütte. „Da drinnen haben sie bereits ein Loch für uns geschlagen. Wir müssen nur unsere Leinen auswerfen und warten.“
Bis sie sich in der Hütte eingerichtet hatten, war Maggie halb erfroren und fühlte sich erbärmlich. Luke gab ihr eine Angelrute und wies auf eine umgedrehte Obstkiste. „Setz dich. Ich befestige deinen Köder an der Leine.“
Fröstelnd beobachtete sie, wie er einen kleinen Fisch am Haken ihrer Leine festmachte und sie in das Loch hinabließ. Ein Korken hüpfte auf der Wasseroberfläche. „Was sollen wir hier?“, fragte sie ungeduldig. „Wir verstehen doch gar nichts vom Angeln.“
„So schwierig kann das nicht sein“, erwiderte Luke grinsend. „Außerdem hast du gesagt, ich dürfte dich nicht mehr küssen, und dies hier ist der einzige Ort, an dem du vor mir sicher bist. Wir sind beide dick angezogen, und es ist nirgendwo ein Bett in Sicht. Und ich habe gehört, beim Angeln kann man sich sehr gut unterhalten.“
Lange saßen sie nur schweigend da. Für Maggie war diese kalte Hütte auf dem Eis der letzte Ort, an dem sie eine Unterhaltung führen wollte. Ihre Zähne klapperten, und sie stampfte mit den Füßen, um ihre Durchblutung anzuregen.
„Ich erfriere, Luke. Wenn du also mit mir reden willst, solltest du bald damit anfangen, sofern du eine Antwort willst.“
Luke starrte weiter ins Wasser. „Hast du dich eigentlich noch nie gefragt …?“
„Was? Ob wirklich Fische unter dem Eis sind?“
„Nein. Wie es mit uns wäre.“
„Was wäre?“, entgegnete sie verständnislos.
Er schaute auf. „Mit uns. Im Bett. Hast du noch nie darüber nachgedacht?“
Sie atmete tief ein. „Nein“, behauptete sie.
„Und am Neujahrsabend, als du mich vor deiner Tür geküsst hast? Warst du da nicht neugierig?“
„Nein!“, rief sie. „Ich war … verwirrt.“
„Und neugierig“, fügte Luke hinzu. „Als du mich das zweite Mal geküsst hast, war es ganz entschieden Neugier.“
„Darüber möchte ich jetzt nicht reden.“ Sie drückte ihm die Angelrute in die Hand und stand auf, um zurückzugehen. Aber sie waren mitten auf dem See, und es war ein langer Weg zurück, und sie hatte Angst, einzubrechen und dann niemanden bei sich zu haben, der sie aus dem Wasser zog.
„Also gut“, gab sie schließlich nach. „Ich war neugierig. Aber das heißt nicht, dass ich meine Neugier stillen muss. Du bist ein Mann, ich eine Frau. Es ist ganz natürlich. Aber ich kann meine Wissbegierde gut beherrschen.“
Er nickte und richtete den Blick wieder auf die Angelleinen.
„War das alles?“, fragte sie ungeduldig.
„Ja. Oder gibt es vielleicht etwas, was du mich gern fragen würdest?“
Allerdings. Ob er das Handtuch absichtlich hatte fallen lassen. Ob er sich daran erinnerte, sie im Schlaf geküsst zu haben. Ob es ihn erregte, wenn er sie berührte.
„Wenn ich gewusst hätte, wie viele Probleme es nach sich ziehen würde, dich zu küssen, hätte ich es nie getan“, murmelte sie, während sie sich wieder setzte. „Es war ein Fehler.“
„Das wird sich zeigen“, erwiderte Luke und reichte ihr die Angelrute. „Ich glaube, ein Fisch hat angebissen.“
Sie zerrte an der Leine. „Ein Fisch? Ich habe einen Fisch gefangen!“ Langsam zog sie ihn heraus und auf das Eis. „Und jetzt?“
„Ich glaube, das ist ein Barsch. Ein ziemlich großer. Er könnte einen Preis gewinnen, aber dafür müssten wir ihn mitnehmen und messen lassen.“
„Aber wird er nicht sterben, wenn er so lange aus dem Wasser ist?“
„Ja. Aber wie willst du beweisen, dass du einen Fisch gefangen hast, wenn du ihn wieder ins Wasser wirfst?“
„Wirf ihn wieder ins Wasser!“, befahl Maggie. „Wie können sie nur einen Wettbewerb veranstalten, bei dem man Fische töten muss?“
Luke nahm den Fisch, entfernte vorsichtig den Haken aus seinem Maul und ließ ihn zurück ins Wasser gleiten. Lachend wischte er sich die Hände an den Jeans ab. „Du bist viel zu weichherzig, Maggie. Du musst härter werden.“
Sie schauten sich in die Augen, und lange Zeit vermochte Maggie nicht den Blick von ihm zu lösen. Etwas, was sie in seinen Augen sah, berührte Herz – eine Zärtlichkeit, die sie noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte. Plötzlich lächelte er und schüttelte den Kopf.
„Nein, ich rede Unsinn“, sagte er. „Du sollst dich nicht ändern. Du hattest immer schon ein gutes Herz. Ich kann mich nicht entsinnen, wie viele verletzte Vögel und Eichhörnchen ich in all den Jahren mit dir gerettet habe.“
Maggie beschäftigte sich mit dem Aufrollen ihrer Angelschnur. Wie gern hätte sie jetzt Lukes Hand genommen und ihn geküsst. „Du warst mein einziger Held“, entgegnete sie leise. „Ich hatte niemand anderen, den ich um Hilfe bitten konnte.“