Dir verzeih ich alles - 9. Kapitel
9. KAPITEL
"Probleme?"
Belle legte die Stirn gegen das Lenkrad. Sie war sehr früh aufgestanden und hatte gehofft, dass Cage noch schlafen würde, ebenso wie Lucy und ihre Freundinnen.
Wie töricht, das von einem Mann anzunehmen, der Tag und Nacht auf den Beinen zu sein schien!
Sie blickte ihn durch das Seitenfenster an und ließ den Zündschlüssel los, den sie unzählige Male vergeblich gedreht hatte. "Wie kommst du denn darauf?"
Ein unergründliches Lächeln umspielte seine Lippen, und ihr Magen flatterte ein wenig. Rasch senkte sie den Blick.
"Mach die Haube auf." Er deutete auf den Motorraum, wobei sein offenes Jeanshemd ein Stück aufklaffte und ein Stück braun gebrannte Haut enthüllte. "Ich sehe es mir mal an. Es sei denn, du hast einen Schraubenschlüssel zur Hand und willst den Motor damit attackieren", fügte er lachend hinzu.
"Sehr witzig." Sie zog am Entriegelungshebel, stieg aus und spähte unter die Kühlerhaube. Ihr Herz begann zu pochen, als Cage neben sie trat, aber er langte nur in den Motorraum. Fasziniert beobachtete sie, wie er an diesem und jenem Teil hantierte.
Schließlich richtete er sich auf. Seine Hände waren verschmiert. "Probier's doch noch mal."
Belle stieg ein und drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor sprang an, stotterte ein wenig, surrte dann aber gleichmäßig.
"Wie schafft er das bloß?", murmelte sie leise vor sich hin. Laut sagte sie: "Danke."
Er schloss die Haube und blickte Belle durch die Windschutzscheibe an. "Du solltest ihn bald in die Werkstatt bringen." Er winkte ihr flüchtig zu und kehrte zum Haus zurück.
Seufzend lehnte sie sich zurück und zuckte zusammen, als plötzlich ein Summen aus ihrer Handtasche auf dem Beifahrersitz ertönte. Mit bebenden Finger kramte sie das Handy hervor und war zum Glück so geistesgegenwärtig, auf das Display zu gucken, bevor sie eine Verbindung herstellte.
Gloria. Ihre Mutter.
Belle schluckte und vergrub das Gerät hastig wieder in den Tiefen der Tasche, wo es immer nachdrücklicher summte. Schuldbewusst beförderte sie die Tasche hinter den Sitz und drehte das Radio so laut auf, dass es alle anderen Geräusche übertönte.
Mit einem letzten Blick in Richtung Ranch gab Belle Gas. Je eher sie in Cheyenne bei Nikki eintraf, umso besser.
Zwei Stunden später saß sie neben dem Telefon in ihrem kleinen Haus in Weaver und zerbrach sich den Kopf darüber, woher sie sich einen fahrbaren Untersatz besorgen sollte, denn ihr Jeep hatte auf dem Highway den Geist aufgegeben.
Nützlicherweise war einer ihrer Stiefbrüder Sheriff. Sawyer hatte sie aufgegabelt, nach Hause gefahren und ihr versprochen, den Jeep in eine Werkstatt schleppen zu lassen. Dann hatte er einen dienstlichen Anruf erhalten und sich verabschieden müssen – zum Glück, denn sie war nicht in der Stimmung, mit ihm zu plaudern. In der näheren Umgebung wohnten zahlreiche Clays, die ihr ein Auto geliehen hätten, aber sie musste ihr Vorhaben für sich behalten. Sonst hätte Gloria umgehend davon erfahren, Verdacht geschöpft und wissen wollen, warum Belle plötzlich so dringend nach Cheyenne wollte.
Und leider gab es keine Autovermietung im Ort.
Belle versuchte vergeblich, Nikki anzurufen, um sie zu überreden, nach Weaver zu kommen. Doch ihre Schwester ging nicht ans Telefon. Typisch! Wenn es wichtig war, konnte man nie jemanden erreichen.
Notgedrungen tätigte Belle also einen Anruf auf der Lazy B, und wenig später war sie mit Cage und Lucy unterwegs nach Cheyenne.
Zunächst plapperte Lucy über eine Stunde lang unaufhaltsam, doch dann erlag sie den Nachwirkungen der Geburtstagsparty und schlief ein.
Eine Weile beschäftige Belle sich mit dem Anblick der Landschaft, die an ihnen vorbeiflog, doch auch das half nicht, ihre Gedanken zu fokussieren.
"Noch mal danke, dass du mich mitnimmst", wandte sie sich schließlich an Cage. Sein Angebot, einen Umweg über Weaver zu machen und sie abzuholen, hatte sie überrascht. Dadurch würde er erst am Abend bei seiner Mutter eintreffen. "Was für ein Glück, dass ich dich noch zu Hause erwischt habe, bevor ihr losgefahren seid."
Mit einem Seitenblick zu ihr entgegnete er: "Wir wollten dieses Wochenende eigentlich gar nicht mehr hinfahren. Als du angerufen hast, hatte ich die Mädchen gerade erst aus den Schlafsäcken geholt."
"Oh, dann … Warum bist du dann gekommen?"
"Offensichtlich ist dir dieser Besuch wichtig. Und wie du weißt, besucht Lucy meine Mutter immer sehr gern im Pflegeheim."
Sie wartete darauf, wie üblich mit einem düsteren Blick und einer vernichtenden Bemerkung an den Grund erinnert zu werden, weshalb seine Mutter überhaupt in einem Pflegeheim dahinvegetierte. Doch er hielt sich ausnahmsweise zurück.
"Ich verstehe", murmelte sie, obwohl sie in Wirklichkeit überhaupt nichts verstand. "Na ja, danke jedenfalls."
"Keine Ursache."
Sie warf einen Blick auf den Rücksitz zu Lucy. "Sie ist es nicht gewohnt, so wenig zu schlafen."
"Auch nach zwölf Stunden Schlaf ist sie als Beifahrerin eine totale Pleite. Sobald sie das Singen der Reifen auf dem Asphalt hört, ist sie weg. Das war schon immer so."
Belle wurde peinlich bewusst, dass sie verklärt das reizvolle Grübchen auf seiner Wange anstarrte. Rasch kramte sie in ihrer Handtasche. "Anscheinend wirkt das Geräusch beruhigend auf sie."
"Muss wohl so sein. Als sie noch ein Baby war und nicht schlafen wollte, habe ich sie manchmal in den Babysitz geschnallt und bin mit ihr durch die Gegend gefahren. Gräbst du da nach Gold?"
Sie schloss die Finger um den erstbesten Gegenstand, den sie ertastete. "Nur danach." Belle schüttelte eine Schachtel mit Pfefferminzbonbons. "Möchtest du eins?"
"Soll das ein Wink sein?"
"Natürlich nicht." Cage schmeckte sehr viel besser als Pfefferminz.
Schmunzelnd hielt er ihr die Hand hin.
Sie gab ihm ein Bonbon und steckte sich selbst eines in den Mund. "Musstest du sie oft herumfahren?"
"Oft genug."
"Hattest du denn überhaupt keine Hilfe?"
"Doch. Kurz nach ihrer Geburt wurde mir eine Versicherung ausbezahlt. Davon konnte ich meine Mutter in dem Heim unterbringen und Hilfskräfte für die Ranch einstellen – Schüler von der Highschool, die sich in den Ferien was dazuverdienen wollten."
"Du warst selbst noch ein Schulkind", meinte sie mitfühlend.
"Honey, ich bin alt auf die Welt gekommen."
Honey. Fast jeder Mann im Land benutzte diesen Ausdruck. Er bedeutete nichts. Womöglich fing Cage bald wieder an, sie auf seine störrische Weise Miss Day zu nennen.
"Du bist doch nicht alt", protestierte sie.
"Das sagst du nur, weil du bloß unwesentlich jünger bist als ich."
Tatsächlich, er neckte sie! Das war ja eine ganz ungewohnte Seite an Cage Buchanan. "Hey, ich halte mich ganz gewiss nicht für eine Frau an der Schwelle zum Seniorenalter. Abgesehen davon finde ich, dass es eine Frage der Einstellung ist, wie alt man sich fühlt."
"Du hast gut reden. Dich schaut wenigstens kein Sprössling an, als wärst du bereits scheintot."
Belle blickte lächelnd zu Lucy, die tief und fest schlief. "Sie ist wirklich großartig."
"Und das bei diesem Vater."
"Ich verstehe immer noch nicht, warum du ihr damals verboten hast, an der Klassenfahrt nach Chicago teilzunehmen. Wenn es um die Kosten ging …"
"Nein", entgegnete er ernst. "Es ging um Chicago."
"Wegen ihrer Großeltern oder wegen der Privatschule, die sie dort besuchen möchte?"
"Such's dir aus. Ich will meine Tochter weder an das eine noch an das andere verlieren."
"Du kannst Lucy nicht verlieren. Dazu hat sie dich viel zu lieb", versicherte Belle.
Er verzog lediglich skeptisch den Mund, sagte jedoch nichts.
Die Sonne war bereits untergegangen, als sie in die Straße zu Nikkis Haus einbogen. Cage hielt am Bordsteinrand und bemerkte: "Es sieht alles finster aus."
Lucy war inzwischen aufgewacht und beugte sich über die Lehne nach vorne. "Weiß sie denn, dass du kommst?"
"Ja. Wahrscheinlich holt sie sich nur was zu essen", meinte Belle zuversichtlich. "Keine Sorge. Ich habe einen Hausschlüssel." Sie griff nach ihrer Handtasche und stieg aus. "Noch mal danke fürs Mitnehmen."
"Warte." Cage nahm einen Zettel aus dem Handschuhfach, kritzelte etwas darauf und reichte ihn ihr. "Das ist meine Handynummer. Ruf mich an." Das klang eher wie ein Befehl als ein Angebot.
"Nicht nötig. Nikkis Auto ist in wesentlich besserem Zustand als meins. Ich bin am Montag wieder zurück auf der Lazy B."
"Bitte, Belle", flehte Lucy, "fahr doch morgen mit uns. Du könntest sogar heute Abend mit uns essen."
Belle brachte es nicht über sich, das Mädchen zu enttäuschen, und nahm den Zettel an sich. "Aber es ist bestimmt nicht nötig", sagte sie dennoch. Es wäre ohnehin nicht weise, erneut so dicht neben Cage zu sitzen.
"Wir warten noch einen Moment, bis du im Haus bist." Kurz entschlossen stellte Cage den Motor ab.
"Jetzt übertreibst du aber. Das hier ist ein sehr respektables Viertel."
"Tu mir einfach den Gefallen."
Resigniert versprach sie: "Na gut, ich werde anrufen."
"Gut. Wir warten trotzdem, bis du im Haus bist."
Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Also eilte sie durch den gepflegten Vorgarten, machte Licht auf der Veranda und schloss die Haustür auf. Sie winkte Cage noch einmal rasch zu, dann fuhr er los.
"Nikki?", rief Belle, als sie eintrat, doch wie erwartet erhielt sie keine Antwort.
Auf dem Küchentisch fand sie einen Zettel mit der Botschaft:
Wenn du diese Nachricht liest, dann hast du mir nicht zugehört. Es geht mir gut, aber ich will momentan nicht über die Sache reden. Wir sehen uns auf Angels Geburtstagsparty. Nik."
Unschlüssig wanderte Belle durchs Haus und überlegte, was sie nun mit sich anfangen sollte. Schließlich kehrte sie in die Küche zurück und wählte die Nummer, die Cage ihr aufgeschrieben hatte. Als er sich beim dritten Klingeln meldete, fragte sie leichthin: "Habt ihr schon gegessen?"
"In der Viertelstunde, seit wir dich abgesetzt haben?", konterte er amüsiert.
"Also nicht. Wenn du willst, kann ich uns hier was kochen."
"Nein", lehnte er rasch ab.
Sie musste schmunzeln, und ihre Nervosität verflog ein wenig. Sie wusste, dass er die Reste des Essens, das sie regelmäßig für Lucy zubereitete, so gut wie nie anrührte. Er hatte ihre Gerichte von Anfang an als ungenießbar abgestempelt, und daran hatte sich nichts geändert.
"Lucy will unbedingt Pizza haben", erklärte er. "Wenn du den Koch mit deinen Rehaugen becircst, kredenzt er dir bestimmt eine vegetarische Sonderanfertigung aus Vollkornmehl."
Rehaugen? Unwillkürlich musterte sie ihr Spiegelbild in der Glastür des Küchenschranks. "Na gut, aber ich bezahle. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem du mich chauffiert hast."
"Dann bist du beim Frühstück morgen aber mein Gast."
Bei diesen Worten ging die Fantasie mit ihr durch. Unwillkürlich malte sie sich eine gemeinsame Nacht aus.
"Belle?"
"Was?"
"Ich habe gesagt, dass wir in zwanzig Minuten da sind."
"Okay", murmelte sie und blieb eine Weile gedankenverloren in der Küche sitzen.
Dann lief sie spontan in Nikkis Schlafzimmer, durchforstete den Kleiderschrank und probierte mehrere Outfits an.
Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit musterte sie sich unsicher im Spiegel. Sie trug selten Kleider und füllte das Oberteil nicht so aus wie Nikki. Doch bevor sie sich wieder umziehen konnte, klingelte es an der Tür.
"Ich komme!", rief sie und schritt auf den ungewohnt hohen Absätzen die Treppe hinunter. Der weite Rock des Sommerkleids umspielte ihre Beine.
Sie holte tief Luft, bevor sie die Tür öffnete. Als Cage sie verblüfft von Kopf bis Fuß musterte, dankte sie im Stillen Nikkis Stilgefühl und ihrem gut ausgestatteten Kleiderschrank.
"Ich bin bereit", sagte sie, doch wozu sie tatsächlich bereit war, wollte sie nicht einmal sich selbst eingestehen.
"Du isst also doch Junkfood", stellte Cage verwundert fest, während er Belle über die flackernde Kerze hinweg musterte.
Sie sah aus wie eine Märchenfee mit den langen, lockigen Haaren und dem umwerfend femininen Kleid. Darüber hinaus wirkte sie unschuldig und verführerisch zugleich, als sie mit Appetit in ein Stück Pizza biss – echte Pizza, nicht die verfälschte gesunde Version. Sie aß es falsch herum, vom Rand nach innen.
"Melde es doch der Gesundheitspolizei", konterte sie schelmisch.
"Belle kocht auch total lecker, Dad", warf Lucy ein.
"Lass nur", wehrte Belle ab. "Deinem Dad muss meine Küche nicht schmecken. Manche Leute scheuen sich …"
"Vogelfutter zu essen?"
"… etwas Neues auszuprobieren", schloss sie mit funkelnden Augen.
Er beobachtete, wie sie sich den letzten Bissen in den Mund schob, der fast nur aus zähflüssigem Käse bestand. "Warum fängst du eigentlich mit der Kruste an?", wollte er wissen.
"Ich hebe mir das Beste bis zum Schluss auf", erklärte sie vielsagend und leckte sie sich genüsslich die Finger ab.
Belles lustvolle Art zu essen faszinierte ihn. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, dieser Faszination nachzugeben. Cage griff nach seinem Eistee und trank ihn in einem Zug aus.
Belle registrierte überrascht, dass er ein großes Stück Pizza auf seinem Teller liegen lassen hatte. "Du hast offensichtlich keinen großen Hunger."
Es gibt verschiedene Arten von Hunger, dachte er, und in gewisser Weise bin ich am Verhungern. "Offensichtlich nicht." Abrupt schob er seinen Stuhl zurück. "Bin gleich wieder da."
Er ignorierte die verwunderten Blicke seiner beiden Begleiterinnen und verließ eilig das Restaurant.
Cage atmete tief die frische Abendluft ein und bemühte sich, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Hätte er einen Hang zum Alkohol, wäre er nun sehr versucht gewesen, seine Gelüste mit Whiskey zu ertränken.
Doch er rührte grundsätzlich keinen Tropfen an. In der Beziehung war er ein gebranntes Kind. Die Trunksucht seines Vaters hatte dazu geführt, dass Cage schon zu dessen Lebzeiten immer wieder die Leitung der Ranch hatte übernehmen müssen.
Versonnen blickte er durchs Fenster in das behaglich beleuchtete Lokal. Er konnte Belle angeregt mit Lucy plaudern und lachen sehen. Schnell ging er weiter, weg von dem heimeligen Anblick.
Kaum war er um die Straßenecke gebogen, als er abrupt stehen blieb. Alles in ihm schien sich zusammenzuziehen beim Anblick der Frau, die plötzlich vor ihm stand und keineswegs überrascht schien.
Dreizehn Jahre – minus sechs Tage – waren vergangen, seit er Sandi Oldham zum letzten Mal gesehen hatte. Damals waren ihr die Haare in einer wilden Mähne auf die Schultern gefallen, und ihre Wangen waren von Mascara verschmiert gewesen, weil sie bittere Tränen vergossen hatte. Nicht, weil sie ihm gerade für immer ihr Baby überlassen hatte, sondern weil ihre Kreditkarte gesperrt worden war und sie den heiß ersehnten Flug nach Brasilien nicht bezahlen konnte. Denn dort hatte die Tanzgruppe gastiert, der sie sich unbedingt anschließen wollte.
Nun war ihr goldblondes Haar zu einem kunstvollen Knoten im Nacken geschlungen, und ihr Gesicht war makellos geschminkt.
"Hast du mich verfolgen lassen?", wollte er wissen, nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte.
Ihr Blick verriet ihm, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Er machte auf dem Absatz kehrt, aber sie trippelte auf ihren Highheels um ihn herum und versperrte ihm den Weg.
"Warte."
"Geh zur Seite, Sandi. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann lass es mich über die Anwälte deiner Eltern wissen."
"Cage, bitte …"
"Nein." Er zwängte sich an ihr vorbei. Sie roch so teuer wie früher. Nur war er kein siebzehnjähriger hormongesteuerter Bengel mehr, und der schwere Duft, der ihn einmal betört hatte, verursachte ihm jetzt nur noch Kopfschmerzen.
"Es tut mir leid!", rief sie ihm nach. "Ich wollte nicht, dass es so kommt."
Fassungslos drehte er sich um. "Was zum Teufel hast du denn gedacht, wie es sonst hätte kommen können?"
Ihre bleistiftdünnen Absätze klapperten laut auf dem Bürgersteig, als sie zu ihm lief. "Ich will sie doch nur sehen! Sie ist auch meine Tochter."
"Auf die du gleich nach der Geburt schriftlich verzichtet hast, der du nie eine Mutter warst, die gar nicht existieren würde, wenn ich dich nicht mit Gewalt aus der Praxis geschleift hätte, bevor der Arzt den Abbruch vornehmen konnte."
"Ich war damals sehr jung und verängstigt", verteidigte sich Sandi und schaffte es, entsprechend niedergeschlagen dreinzublicken.
Doch er ließ sich nicht täuschen. Sie war nie besonders zartfühlend gewesen, und in der Hinsicht hatte sie sich bestimmt nicht geändert. "Du hast vor langer Zeit auf deine mütterlichen Rechte verzichtet", rief er ihr erneut in Erinnerung.
Wenigstens versuchte sie nicht, es zu leugnen. Sie blickte zu den Fenstern des Restaurants. "Ich weiß, dass sie da drin ist – mit Belle Day, der Physiotherapeutin. Ich muss mich schon sehr wundern, dass du ausgerechnet diese Frau eingestellt hast."
Er ballte die Hände zu Fäusten. "Fang nicht damit an", stieß er drohend hervor.
"Du hättest mich schon vor Monaten ernst nehmen sollen. Ich wollte nur eine Beziehung zu meiner Tochter aufbauen. Aber nein, du wolltest sie ja unbedingt für dich allein behalten! Dafür hast du es jetzt mit meinen Eltern zu tun."
Sie setzte eine reumütige Miene auf, hob die Hand und zupfte spielerisch an einem seiner Hemdknöpfe. "Aber es ist noch nicht zu spät. Wir können uns immer noch einigen. Ich habe meine Eltern nur aus Verzweiflung eingeschaltet. Ich sagte dir damals ja schon, wie sie sind. Sie wollen immer alle mit ihrem Geld beherrschen. Eigentlich möchte ich Lucy dem nicht aussetzen, aber wenn es der einzige Weg ist, um sie zu sehen …"
Er packte ihre Hand. "Worauf willst du hinaus?"
Sie bedachte ihn mit einem koketten Augenaufschlag. "Du bist der einzige Mann, mit dem ich je verheiratet gewesen bin."
"Wir waren praktisch noch Kinder."
"Wahrscheinlich warst du das Beste, was mir je passiert ist", flüsterte sie. "Du siehst noch immer gut aus, Cage." Mit der freien Hand strich sie ihm durchs Haar. "Das habe ich auch nicht anders erwartet. Und die Dinge standen nicht immer schlecht zwischen uns. Wir hatten auch schöne Zeiten."
Er fragte sich, wie weit sie ihr Spielchen treiben würde und ob er es zu seinem Vorteil nutzen und gegen sie verwenden konnte, um sie aus seinem und Lucys Leben zu vertreiben.
"Wir haben uns gewundert, wo du so lange bleibst."
Beim Klang von Belles kalter Stimme zuckte Cage unmerklich zusammen. Er wandte sich um und sah sie ein paar Schritte entfernt stehen. Ihre Miene wirkte ruhig, aber in ihrem Blick lag Verärgerung. "Ich komme gleich", versprach er und hoffte, dass sie zu Lucy zurückkehren würde, die er bei ihr in Sicherheit wusste.
Was für ein denkbar ungünstiger Moment, um zu erkennen, wie sehr er Belle vertraute!
Einen spannungsgeladenen Augenblick lang blickte sie von ihm zu Sandi. Schließlich drehte sie sich um und kehrte ins Restaurant zurück.
Cage ließ Sandis Hand los, als hätte er sich verbrannt. "Geh wieder nach Europa oder wo auch immer du dich in den letzten Jahren herumgetrieben hast zurück. Auf keinen Fall wirst du Lucy sehen."
"Das wirst du noch bereuen! Es wäre leichter, dich mit mir auseinanderzusetzen als mit meinen Eltern."
"Ich lasse es darauf ankommen."
Mit verkniffenen Lippen starrte sie ihn böse an. Sie stieß einen unterdrückten Fluch aus und lief zum Parkplatz.
Cage wartete, bis sie mit quietschenden Reifen in einem Porsche davongebraust war. Dann erst betrat er das Restaurant. Ganz bewusst unterdrückte er den Zorn, der in ihm schwelte, während er sehr gemächlich den Saal durchquerte. Er erwischte den Kellner und beglich die Rechnung, bevor er an den Tisch trat. "Können wir?"
Lucy nickte und griff nach ihren Stützen. Belle stand auf und sagte kühl, ohne ihn anzusehen: "Ich muss noch bezahlen."
"Das habe ich schon erledigt."
"Wir hatten doch besprochen, dass ich euch einlade."
Er fasste sie leicht am Ellbogen und spürte, wie sie erschauerte. "Nächstes Mal", sagte er, während sie Lucy zum Ausgang folgten.
Überrascht blickte Belle ihn an. "Gibt es denn ein nächstes Mal?" Ihre Stimme klang nicht mehr kühl, sondern sanft und sehnsüchtig.
Im Nu verflog die düstere Stimmung, in die seine Exfrau ihn versetzt hatte. Zärtlich fuhr er mit dem Daumen über Belles Haut. "Was glaubst du denn?"
"Ich dachte, du hättest keine Zeit für so was."
Inzwischen hatte Lucy den Ausgang erreicht, und Cage wollte verhindern, dass sie als Erste auf die Straße trat. Widerstrebend ließ er Belle los und trat an Lucy vorbei nach draußen. Von Sandi war weit und breit keine Spur zu sehen. Zum Glück hatte er in der Nähe des Eingangs geparkt, und rasch saßen sie alle im Wagen.
"Dad, kannst du mich zuerst ins Hotel bringen, bevor du Belle absetzt?", meldete sich Lucy zu Wort.
"Warum? Was ist denn?", wollte er besorgt wissen.
"Nichts. Ich bin nur müde, und mein Bein tut etwas weh."
Er zögerte, denn er wollte sie nicht unbeaufsichtigt lassen, nicht am heutigen Abend.
Belle legte ihm sanft eine Hand auf das Bein. "Es ist okay. Fahr nur zum Hotel. Ich nehme mir von dort ein Taxi zu Nikki."
Sie wollte ihre Hand zurückziehen, doch er schloss blitzschnell seine Finger um ihre und hielt sie fest. Die Wärme, die von ihr ausging, drang durch den festen Stoff, breitete sich aus, und zwar weiter, als ihm lieb war.
Doch zunächst waren andere Dinge wichtiger. Während der Fahrt zum Hotel schaute Cage immer wieder in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurden. Aber ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf. Bestimmt hatte Sandi ihn bereits von Weaver aus beschatten lassen und wusste längst, in welchem Hotel sie abgestiegen waren.
Als er das Auto auf dem Parkplatz abstellte, verriet ihm Lucys blasses Gesicht, dass ihr Bein mehr schmerzte, als sie zugeben wollte. Kurz entschlossen hob er sie hoch und trug sie ins Hotel.
Nachdenklich folgte Belle mit den Stützen. Sie hatte keine Ahnung, wer die Frau war, die sie vor dem Restaurant mit ihm zusammen gesehen hatte, aber sie spürte, dass etwas Bedrohliches in der Luft lag.
In ihrer Suite angekommen, legte Cage Lucy im Schlafbereich behutsam aufs Bett.
Belle deponierte die Stützen in Reichweite und wollte sich verabschieden, doch Lucy griff nach ihrer Hand und stöhnte: "Ich habe einen Krampf." Ihr angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass sie die Beschwerden diesmal nicht vortäuschte.
Cage setzte sich auf die Bettkante und sah zu, wie Belle aus den Schuhen schlüpfte, sich auf die Matratze kniete und Lucys steinharte Wade zu massieren begann.
Als die verkrampften Muskeln schließlich gelockert waren, taten ihr die Hände weh. Sie ließ sich auf die Fersen zurücksinken und erkannte, welch ungraziöse Position sie unbewusst eingenommen hatte – auf den Knien, das hübsche weiße Kleid achtlos zwischen den Schenkeln eingeklemmt. Verlegen glitt sie vom Bett und zog sich die Schuhe wieder an.
Cage reichte Lucy einen Pyjama aus der kleinen Reisetasche, die er mitgebracht hatte. "Hier. Kommst du allein klar?"
Sie nickte schläfrig und wünschte den beiden Erwachsenen kaum hörbar eine gute Nacht, als er sich über sie beugte und auf die Stirn küsste.