Merry Ex-Mas

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Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres - auch wenn drei Freundinnen in Icicle Falls das ganz anders sehen. Dieses Jahr wird die Liebe wiedergefunden und Raum für neue Träume eröffnet. Cassandra freut sich auf die Hochzeit ihrer Tochter. Aber ihr Exmann will sich mit seiner neuen Vorzeigefrau bei ihr einquartieren. Ihre Freundin Charlene hat ein anderes Problem: Vor einem Jahr hatte Richard sie sitzen gelassen und ist mit einer Kellnerin durchgebrannt. Jetzt will er sie zurück und versucht, Charlene unter dem Mistelzweig zu überraschen. Und die arme Ella muss so lange mit ihrem frisch Geschiedenen unter einem Dach leben und streiten, bis das Haus verkauft ist ...
Der Zauber der Weihnacht weist den drei Freundinnen den Weg. Merry Ex-Mas!


  • Erscheinungstag 10.10.2013
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783862788972
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sheila Roberts

Merry Ex-Mas – Schöne Bescherung

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Ramm

Für meine Freundin Kathy

Danksagung

Dieses Buch zu schreiben hat mir so unglaublich viel Spaß gemacht! Kein Wunder: Wenn so viele großartige Menschen mitwirken, bereitet einem die Arbeit einfach Freude. Ein ganz herzliches Dankeschön geht an meine Agentin Paige Wheeler und an meine Redakteurin Paula Eykelhof. Ich bin Euch beiden sehr, sehr dankbar für Eure Ratschläge und Euren Input. Vielen Dank auch an Janet, der das Blinx auf Bainbridge Island gehört. Sie hat mir einen Einblick in das geschäftige Treiben einer Ladenbesitzerin gegeben. Dank geht außerdem an meine Freundin Susan Sandeno, Expertin für Hochzeitstorten, die mir ein paar ihrer Geheimnisse rund um das Verzieren von Torten verraten hat, und an Robert Rabe, den hervorragenden Küchenchef, der meine Fragen zu den Abläufen in einem Restaurant so geduldig beantwortet hat. Ein großes Juhu und Dankeschön an Ed Kerr und seine Kumpel, die mir geholfen haben, Jakes Lied „Merry Christmas, Mama“ zu produzieren. Und an alle meine Freundinnen, die Schwiegermütter sind … Keine von Euch hat als Inspiration für die Schwiegermutter in diesem Buch gedient! Zu guter Letzt: ein großes Dankeschön an den Braintrust: Susan Wiggs, Kate Breslin, Anjali Banerjee und Elsa Watson. Ihr seid großartig, und ich hoffe, der Weihnachtsmann bringt jedem von Euch eine Schlittenladung voller Schokolade.

1. KAPITEL

Wenn eine Frau sehr viel Glück hat, entpuppt sich hin und wieder ein Tag als genauso perfekt, wie sie ihn sich ausgemalt hat. Dies wird so ein Tag, dachte Cass Wilkes, als sie den Teller mit dem tranchierten Truthahn auf den Esstisch stellte.

Lächelnd betrachtete sie noch einmal ihr Werk. Wirklich alles wirkte vollkommen – angefangen beim guten Porzellan und den funkelnden Kristallgläsern über das Thanksgiving-Gesteck, das sie im Blumenladen Lupine Floral gekauft hatte, bis hin zu dem köstlichen Duft nach Kräutern und Gewürzen, der durch ihr altes viktorianisches Haus zog. Wenn man aus dem Fenster im Esszimmer blickte, hatte man ein winterliches Postkartenmotiv vor Augen – die Bäume und Büsche ihres Vorgartens waren von frostigem Weiß umhüllt, und in der Ferne ragten schneebedeckte Berge gen Himmel.

Sogar Frau Holle hatte ein Einsehen gehabt: Es hatte gerade rechtzeitig aufgehört zu schneien, damit die Straßen für die Reisenden wieder freigeräumt werden konnten. Anders als im letzten Jahr war Icicle Falls voller Touristen, die sich ein langes Wochenende gönnten. Das war natürlich gut fürs Geschäft, vor allem, wenn man eine Konditorei sein Eigen nannte. An diesem Wochenende würden Lebkuchenfiguren in allen erdenklichen Formen aus der Tür des Gingerbread-Hauses marschieren, und im Gegenzug würden die Dollars direkt auf Cass’ Bankkonto wandern – was eine gute Sache war. Denn sie vermutete, dass sie in absehbarer Zeit – vielleicht in einem Jahr oder so – eine Hochzeit würde ausrichten müssen.

Aus dem Wohnzimmer drangen Freudengeschrei und lautes Klatschen. Vermutlich näherte sich das Footballspiel, das im Fernsehen übertragen wurde, dem Ende, und offenbar hatte das favorisierte Team einen Touchdown geschafft.

„Okay, das war alles aus der Küche“, sagte Dot Morrison, Cass’ Mentorin und ehemalige Chefin, während sie eine Schüssel mit Truthahnfüllung sowie eine Schüssel mit Kartoffelbrei auf den Tisch stellte. Normalerweise hätte Dot mit ihrer Tochter Thanksgiving gefeiert, doch Tilda hatte Dienst, fuhr Streife und sorgte dafür, dass Icicle Falls geschützt wurde vor … ja, wovor eigentlich? Ihre Stadt war nicht gerade ein Hort der Kriminalität.

Dot hatte sich zur Feier des Tages extra herausgeputzt. Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit einem Truthahn darauf, der ein Schild hochhielt, auf dem stand: „Geht neue Wege: Serviert Schinken.“ Dot, der das Breakfast-Haus gehörte, wo es das leckerste Frühstück der Stadt gab, hatte Cass vor Jahren dazu ermuntert, neue Wege zu gehen. Sie hatte ihr sogar das Geld geliehen, damit sie die Bäckerei aufmachen konnte. Damit hatte sie in Cass’ Augen ein lebenslanges Anrecht auf Einladungen zu Thanksgiving.

„Sag den Clowns da drüben Bescheid“, sagte Dot jetzt. „Es gibt nichts Schlimmeres als kaltes Essen.“

Cass fiel da so einiges ein, was schlimmer war … Steuern, Pilzinfektionen, Exmänner.

O nein, sie würde sich ihren perfekten Feiertag nicht mit Gedanken an ihren Ex verderben. Dieser Mann, diese egoistische, unwürdige Ratte, die versucht hatte, die Kinder an diesem Wochenende zu einem Kurztrip nach Vail fortzulocken, der …

Nein, nein, nein. Sie würde jetzt keinen Gedanken mehr an Mason verschwenden Schließlich war Erntedank, die Zeit, in der man dankbar für das sein sollte, was man hatte.

Die drei Menschen, für die sie besonders dankbar war, saßen nebenan im Wohnzimmer – ihre Kinder Danielle, Willie und Amber. Danis Freund Mike war ebenfalls da. Zusammen mit ihrer Tochter kuschelte er in einem großen Sessel.

Die zwanzigjährige Dani war die Älteste von Cass und ihre rechte Hand in der Bäckerei. Sie hatte die Leidenschaft ihrer Mutter für alles, was mit dem Backen zu tun hatte, geerbt. Nachdem sie ein Jahr am örtlichen College studiert hatte, hatte sie sich dafür entschieden, lieber Vollzeit in der Bäckerei zu arbeiten. Cass hatte gehofft, dass sie wenigstens noch ein Jahr lang zur Schule gehen würde, doch Dani hatte das nicht interessiert. „Von dir kann ich viel mehr lernen als von irgendeinem College-Professor“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt. Was das Backen anging, was sollte Cass da schon groß erwidern? Dani hatte ja recht.

Amber, ihre Jüngste, saß mit hochgezogenen Beinen in einer Sofaecke und schrieb eine SMS. Noch vor wenigen Monaten hatte sie Cass ein paar weitere graue Haare beschert, weil sie mit Leuten herumgehangen hatte, mit denen keine Mutter ihr Kind herumhängen sehen möchte, geschweige denn, dass sie wollte, dass ihr Kind genauso wurde. Gott sei Dank (und, vermutlich auch Dank Cass’ Freundin Samantha Sterling) hatte Amber sich eines Besseren besonnen und ein paar neue, passendere Freunde gefunden.

Willie, Cass’ Highschool-Sportskanone, lümmelte auf dem Fußboden herum, in der Hand das beliebteste Spielzeug aller Highschooljungs – einen Football. Das einzige Problem, das Cass mit Willie hatte, war die Schwierigkeit, ihn satt zu bekommen. Der Junge war eine Heuschrecke auf zwei Beinen.

Die Runde wurde von ihrem jüngerem Bruder Drew vervollständigt, der von Seattle herübergekommen war. Da er erst kürzlich geschieden worden war (ob die Neigung zur Scheidung wohl in ihren Genen verankert war?), hatte er ihre Einladung, das Wochenende bei ihnen zu verbringen, überaus erfreut angenommen. Er hatte keine eigenen Kinder, also teilte sie ihre gern mit ihm. Er war ein toller Onkel und eine sehr viel bessere Vaterfigur als ihr Ex.

Nein, nein, nein. Du verschwendest heute keinen Gedanken an ihn.

Cass stand in der Tür zum Wohnzimmer und verkündete wie ein Butler: „Das Essen ist fertig.“

Natürlich hörte ihr niemand zu. Ein weiterer Touchdown fesselte die versammelte Meute an den Fernseher. „Jaaa!“, grölte Mike.

„Mein Team ist echt so schlecht“, murmelte Willie und haute missmutig auf seinen Football.

„Wenn ihr nicht sofort aufsteht und rüberkommt, wird mein Essen gleich schlecht“, warnte Cass.

„Das Spiel ist sowieso fast vorbei“, sagte Mike, ganz der zukünftige gute Schwiegersohn. Er stand auf und zog auch Dani vom Sessel hoch. Er war ein großer junger Mann, ein ehemaliger Footballstar und der neue Held ihres Sohnes. Zurzeit arbeitete Mike im Eisenwarenladen hier in der Stadt, was in den Augen von Cass ideal war. Sobald er Dani einen Antrag gemacht hatte, würden die beiden heiraten und hier in Icicle Falls leben, in der Nähe der Familie und all ihrer Freunde, eine Win-win-Situation für alle.

„Du hast recht“, stimmte Drew zu. Er stellte den Fernseher aus und führte die Bande zum Esstisch.

Cass brauchte nur einen Keks anzuschauen und hatte schon fünf Pfund zugenommen. Ihr Bruder, der Glückliche, war groß und schlank und konnte essen, was er wollte, ohne zuzunehmen. Zu allem Überfluss kleidete er sich auch noch besser als seine Schwester, das war schon immer so gewesen. Und besser aussehen tat er natürlich auch. Aber er konnte nicht kochen, und wenn er in die Stadt kam, war er stets ihr bester Kunde. Außerdem war er ihr bester Freund, und sie freute sich wirklich, dass er übers Wochenende hergekommen war.

Die Einzigen, die fehlten, als sie sich um den Esstisch gruppierten, waren ihre Mutter und ihr Stiefvater Ralph, die es den Zugvögeln gleichgetan hatten und Ralphs Familie in Florida besuchten. Aber Mom und Ralph wollten über Weihnachten kommen. Und wenn Cass die Wahl hatte, war es ihr lieber, ihre Mutter zu den weihnachtlichen Festtagen bei sich zu haben.

Drew griff nach dem Truthahn, doch Cass versetzte ihm mit einem Servierlöffel einen kleinen Schlag auf die Hand. „Erst wird gebetet, du Heide.“

Willie kicherte. Was zur Folge hatte, dass er das Gebet vorsprechen durfte. Kaum hatte er das „Amen“ gesagt, als er sich auch schon den Teller vollschaufelte.

Normalerweise hätte Cass ihn daran erinnert, dass die anderen vielleicht auch noch etwas davon wollten, aber heute brauchte sie das nicht zu tun. Thanksgiving war keine Fastenzeit, und sie hatte von allem reichlich vorbereitet. Außerdem würde sie sich heute sicherlich auch eine extra große Portion auffüllen.

Eine Weile lang beschränkte sich die Unterhaltung auf Kommentare wie „Reich mir mal die Brötchen rüber“ und „Wo sind die Oliven?“. Als sich erst die Teller und dann die Bäuche füllten, kamen neue Themen auf: wessen Footballteam wohl gewinnen würde, wie gut sich die neuen Lebkuchenketten von Cass und Dani verkauften, die anstehende Fußoperation von Dot.

Schließlich war es Zeit für das Dessert. Obwohl es in der Bäckerei unglaublich hektisch gewesen war, hatte Cass es geschafft, Kürbis-, Pekannuss- und Heidelbeerkuchen, den Lieblingskuchen ihres Bruders, zu backen. „Das reicht genau für mich“, scherzte er und schnappte sich den ganzen Kuchen.

Zum Nachtisch bestand Cass, wie immer, auf einer Tradition, die sie eingeführt hatte, als die Kinder noch klein gewesen waren.

„Okay“, sagte sie, nachdem sich alle etwas von den Kuchen aufgefüllt hatten, „es ist wieder einmal an der Zeit, dass wir uns überlegen, wofür wir dankbar sind. Wer möchte anfangen?“

Dankbarkeit. Manchmal war die Herausforderung, dankbar zu sein, immens groß gewesen. Häufig genug war Cass eine schreckliche Heuchlerin gewesen, die ihre Kinder ermutigt hatte, das Positive zu sehen, während sie selbst verbittert und voller Groll gewesen war.

Genau genommen hatte dieser Gemütszustand sie fast durchgehend beherrscht, solange sie verheiratet gewesen war. Schon als sie verlobt gewesen waren, hatte sie sich darüber geärgert, dass Mason zur Navy gegangen war. Und kaum hatten sie ihren ersten eigenen Hausstand gegründet, war er auch schon das erste Mal davongesegelt. Er hatte sogar die Geburt seiner ersten Tochter verpasst; stattdessen hatte ihre Mutter ihr bei der Geburt ihrer Tochter beigestanden. Lieber meine als seine Mutter, hatte sie sich getröstet. Dafür hatte sie damals dankbar sein können. Und sie war dankbar gewesen, als Mason aus der Navy ausgeschieden war. Als er dann jedoch wieder zur Schule gegangen war und seine Familie vernachlässigt hatte, weil er so viel lernen musste, war sie alles andere als dankbar gewesen. Genauso wenig wie anschließend, als er sich für einen Beruf entschieden hatte, bei dem er ständig unterwegs war, sodass sie ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Mason war entschlossen gewesen, Karriere zu machen, doch für seine Familie war auf dem Weg dorthin wenig Raum geblieben. Cass hatte die Kinder getröstet und ihnen bei ihren Mathehausaufgaben geholfen, hatte sie bei jedem Ballspiel von der Seitenlinie aus angefeuert. Und was hatte er getan?

Du sollst dankbar sein, vergiss das nicht. Okay, sie war dankbar, dass sie nicht länger mit ihm zusammen war.

„Ich bin für etwas dankbar“, sagte Dani. Sie griff in ihre Jeanstasche und zog einen Diamantring heraus, den sie sich dann auf den Finger steckte.

„Oh, Wahnsinn, du bist verlobt!“, kreischte Amber.

Cass legte ihre Kuchengabel beiseite und sah ihre Tochter fassungslos an. Natürlich hatte sie gewusst, dass das kommen würde. Aber sie war ein wenig beleidigt, dass ihre Tochter ihr nichts davon gesagt hatte, bevor sie es allen anderen erzählte. „Wann ist das denn passiert?“, fragte sie.

Danis braune Augen funkelten vor Aufregung. Sie schaute zu Mike, und die beiden lächelten sich an, wie es nur Verliebte tun können. „Gestern Abend. Wir wollten warten und euch alle überraschen.“

Na, das hatte geklappt.

„Na ja, ich weiß ja nicht recht, ob hier wirklich jemand überrascht ist“, meinte Dot, „aber ich bin sicher, dass du damit den Tag für deine Mutter zu einem wirklichen Festtag gemacht hast.“

Natürlich hatte sie das. Wieso saß Cass jetzt da wie ein begossener Pudel? Sie sprang auf und umarmte ihre Tochter und ihren zukünftigen Schwiegersohn. „Das ist ja großartig. Ihr beiden werdet bestimmt ganz glücklich zusammen.“

Wieso auch nicht? Anders als ihre Mutter in dem Alter hatte Danielle sich weise und vernünftig verhalten, als sie sich einen Partner gesucht hatte. Sie hatte sich nicht Hals über Kopf in eine Beziehung gestürzt, hatte sich nicht nur von ihren wild gewordenen Hormonen leiten lassen und war nicht vor lauter Liebe blind geworden. Sie hatte auf den richtigen Mann gewartet. Die beiden gaben das perfekte Paar ab: Mike mit seinen dunklen Haaren und Augen und der kräftigen Statur, Dani mit dem helleren Haar und der schlanken Figur. In ihrem Hochzeitsstaat würden sie so vollkommen aussehen, dass sie als Figuren jede Hochzeitstorte zieren könnten.

„Das schreit geradezu nach noch mehr Kuchen“, erklärte Drew grinsend und nahm sich noch ein Stück.

„Ich werde ja wohl Brautjungfer, oder?“, fragte Amber ihre Schwester.

„Natürlich“, versicherte Dani ihr.

„Du solltest schon mal deinen Armani in die Reinigung bringen“, meinte Cass zu Drew. „Dani braucht dich bestimmt, damit du sie zum Altar geleitest.“

Danis Miene verlor etwas von ihrem Glanz, und sie biss sich auf die Lippen.

„Hey, ich bin schon glücklich, wenn ich mit deiner Mom in der ersten Reihe sitzen darf“, sagte Drew hastig. „Ich muss nicht derjenige sein.“

O doch, das musste er. Wer sollte es sonst machen? O nein. Auf keinen Fall …

„Eigentlich hatte ich gehofft, dass Daddy mich zum Altar führt“, sagte Dani.

Dieser Nichtsnutz von einem Vater? Der Mann, der den Großteil von Danis Leben durch Abwesenheit geglänzt hatte? Cass ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen und starrte ihre Tochter über den Tisch hinweg an.

Auf Danis Wangen zeichnete sich eine tiefe Röte ab, und schuldbewusst wich sie dem Blick ihrer Mutter aus.

„Daddy?“, wiederholte Cass, und ihre Verbitterung war unüberhörbar. Sehr erwachsen, ermahnte sie sich selbst. So schaffst du es bestimmt, deiner Tochter den Tag zu verderben.

Dani besaß ein sonniges Gemüt und wollte es gern allen recht machen. Daher kam man in der Regel gut mit ihr aus, aber jetzt schob sie trotzig ihr Kinn vor. „Ich weiß, dass er das gern tun würde.“

Oh, er wäre auch gern immer da gewesen, nur leider hatte das nie geklappt.

Erst in letzter Zeit. Er und seine zweiunddreißigjährige Vorzeigegattin Babette glaubten anscheinend, sie könnten die Kinder dazu bringen, jedes Mal nach Seattle zu kommen, wenn er von seinen Geschäftsreisen zurück war. Dann versuchte er, ihre Zuneigung mit Einkaufstrips und Tickets für Spiele der Seahawks zu gewinnen.

Offenbar gelang ihm das. Am liebsten hätte Cass den Wishbone, den sie extra noch aufgehoben hatte, in tausend Stücke zerbrochen. Das war einfach nicht in Ordnung. Nur: Wie sollte sie Dani dazu bringen, das genauso zu sehen?

Sie räusperte sich. „Du weißt doch, dass er viel unterwegs ist.“

„Ja“, meinte Dani, „aber ich möchte eine Weihnachtshochzeit feiern, und Weihnachten ist er da.“

„Weihnachten?“ Willie verzog das Gesicht.

Dani sah ihn böse an. „Was ist? Hast du Angst, dass dann der Weihnachtsmann nicht kommt?“ An die anderen gewandt, fügte sie hinzu: „Wir dachten an das Wochenende vor den Weihnachtstagen.“

„Dann bleibt nicht mehr viel Zeit zum Planen“, stellte Dot fest. „Wieso habt ihr es so eilig?“

Jetzt strahlte Mike so, als hätte er etwas Großes zu verkünden.

Dani kam ihm zuvor: „Weil Mike einen Job als stellvertretender Geschäftsführer in einem Baumarkt in Spokane bekommen hat. Und wenn er wegen dem neuen Job umzieht, will ich mitgehen.“

Alle am Tisch gratulierten Mike herzlich.

Alle außer Cass, die unter Schock stand. Sie würden wegziehen. Ihre Tochter würde praktisch verschwinden, kaum dass sie geheiratet hatte. Der Traum, dass Dani hier in Icicle Falls eine Familie gründen, dass sie irgendwann die Bäckerei übernehmen würde, zerplatzte wie eine Seifenblase. Cass musste sich sehr beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie schob den Teller mit dem halb aufgegessenen Kürbiskuchen von sich und hoffte, dass jetzt niemand fragte, wofür sie dankbar war.

„Wie auch immer, wir wollen nur im kleinen Rahmen heiraten“, sagte Mike. „Nichts Großes.“

Nichts Großes? Dani hatte sich immer eine große Hochzeitsfeier samt Trauung in der Kirche gewünscht. Was war aus dem Traum geworden?

„Und ich weiß, dass Daddy an dem Wochenende kommen kann“, fügte Dani hinzu.

„Du hast schon mit deinem Vater darüber gesprochen?“ Bevor du mir davon erzählt hast? Das tat weh. Das tat sogar entsetzlich weh.

„Nur um zu hören, ob er Zeit hat“, antwortete Dani. „Ich dachte mir, dass alle herkommen und dann die Woche über hierbleiben können.“

„Hier?“, krächzte Cass.

„Oh, oh“, murmelte Drew.

„Hier ist nichts frei“, erklärte Cass fest. In den Hotels gab es bestimmt keine Zimmer mehr.

Dot zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich könntest du sie bei Olivia unterbringen.“

Vielen Dank, Dot. Erinnere mich rechtzeitig daran, dass ich dich nie wieder zum Thanksgiving-Essen einlade.

„Dani, du weißt doch, wie hektisch es zu dieser Jahreszeit immer ist“, meinte Cass. „Ich bin sicher, dass die Pensionen und Hotels alle ausgebucht sind.“

„Olivia hat noch ein paar Zimmer frei“, verkündete Dani.

„Mit ihr hast du auch schon gesprochen?“ Hatte sie Olivia auch schon von ihren Plänen erzählt?

„Heute Morgen. Ich hab sie nur angerufen, um zu hören, ob noch was frei ist.“

„Na ja, damit ist dann ja wohl alles geregelt“, bemerkte Cass steif.

„Du hilfst mir doch bei der Planung, oder?“, fragte Dani kleinlaut.

Cass war verletzt, und sie war wütend, aber sie war nicht verrückt. „Natürlich. Und ich mache die Hochzeitstorte.“

„Ach, herrje.“ Amber verdrehte die Augen.

Dani ignorierte ihre Schwester und lächelte glücklich. „Danke, Mom.“

Cass seufzte. Sie würde sich sogar zusammenreißen und auf der Hochzeit nett zu allen sein. Wegen kleinlicher Eifersucht durfte sie ihrer Tochter den großen Tag nicht verderben. Das wäre nicht in Ordnung.

Es ist nicht kleinlich, flüsterte eine innere Stimme. Cass nannte sie ihren bösen Zwilling. Jetzt befahl sie der Stimme, Ruhe zu geben.

„Ich weiß, dass um diese Zeit immer so viel los ist“, sagte Dani.

„Vorweihnachtszeit ist Hauptsaison“, warf Dot ein.

Eigentlich sollte die Vorweihnachtszeit auch eine fröhliche Zeit sein. Das würde schwierig werden, wenn ihr Exmann durch die Stadt stolzierte und so tat, als wäre er der weltbeste Vater überhaupt. Noch schwieriger würde es werden, seine Vorzeigegattin mit offenen Armen, zumindest aber höflich zu begrüßen. Und darüber, dass sie sich mit ihrer Exschwiegermutter und Exschwägerin abplagen musste, wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken. Wenn der Weihnachtsmann glaubte, dass Cass sich das zu Weihnachten wünschte, dann sollte er wohl lieber langsam in Rente gehen.

„Da kommt ja eine Menge Stress und womöglich auch Ärger auf dich zu“, meinte Dot etwas später zu ihr, als der Abwasch erledigt war und die Kinder sich mit der Wii vergnügten.

Cass lehnte sich gegen die Küchenarbeitsplatte und starrte auf ihren Kaffeebecher – sie trank ihren Kaffee schwarz. Wie passend, denn auch für die nächsten Wochen sah sie schwarz.

„Aber du wirst es schon überstehen.“

Natürlich würde sie das. Exmänner waren nun einmal Teil des Lebens. Sie würde sich zusammenreißen, gute Miene zum bösen Spiel machen und die Sache irgendwie hinter sich bringen. Schließlich waren es nur ein paar Tage. Wie auch immer, sie würden ja alle bei Olivia übernachten, da würde sie die Bagage kaum zu Gesicht bekommen.

Cass zwang sich widerstrebend zu einem Lächeln und hob die Tasse. „Na ja, dann trinken wir darauf, dass wir es überstehen.“

Dot stieß mit ihrer Tasse an. „Merry Ex-mas, Kindchen.“

2. KAPITEL

Es war Schwarzer Freitag, so genannt wegen des Börsencrashs, doch heutzutage war der Freitag nach Thanksgiving für die Geschäftsleute in Icicle Falls einer der umsatzstärksten. Für Ella O’Brien allerdings war es der zweite schwarze Tag in Folge. Wie anders doch das Erntedankfest in diesem Jahr verlaufen war – im Vergleich zum Vorjahr.

Nicht dass ihre Mutter nicht versucht hätte, den Tag zu etwas Besonderem zu machen. Mims hatte Ella über die Berge mit nach Seattle geschleppt. Dort hatten sie die Nacht verbracht und in einem erstklassigen Restaurant ihr Festtagsmahl eingenommen. Umgeben von Fremden. Wenn man mal von Gregory absah, dem langjährigen Freund ihrer Mutter, der, genau wie sie, ein Modefreak war und eine Wohnung am Wasser besaß.

Ella hatte den Gedanken, der ihr beim Essen gekommen war, nicht willentlich heraufbeschworen, und doch hatte sie sich nicht gegen die Erinnerungen wehren können: Dies hier ist so anders als das Thanksgiving im letzten Jahr mit deinen Schwiegereltern. Ach nein, Korrektur: mit den ehemaligen Schwiegereltern.

Es war ein typisches Familienfest der O’Briens gewesen, laut und aufregend, vor allem für eine Frau, die sich immer Geschwister gewünscht hatte. Mims, die ebenfalls eingeladen gewesen war, war ziemlich distanziert und ein wenig hochnäsig gewesen, während die anderen Erwachsenen zusammen mit den Kindern nach Geländespielen im Wald ganz schön hungrig waren. Nach dem Essen hatte ihre Schwiegermutter (Exschwiegermutter, verflixt) ihr geholfen, ein ziemlich schwieriges Strickmuster zu verstehen.

Und später, als es Zeit für den Nachtisch gewesen war, hatte Mims, die sich extrem bewusst ernährte, erfahren, dass die Pastete, die sie gerade genoss, nach einem alten Jägerrezept zubereitet worden war und Elchfleisch enthielt. Daraufhin hatte sie umgehend das Bad aufsuchen müssen.

In diesem Jahr gab es keine Flucht ins Bad. Und es gab keinen Jake. Das war auch okay für Ella. Ehrlich. Mims hatte recht: Ohne diesen Kerl, der nicht nur verantwortungslos und immer noch ein großes Kind war, sondern auch noch jedem Rock hinterherlief, war sie viel besser dran. Und ihr Leben würde vollkommen sein, sobald sie ihn nicht mehr jeden Tag sehen musste.

Aber sie vermisste seine Mutter und seine Geschwister. Es war irgendwie nett gewesen, jemanden Mom nennen zu können.

Zu ihrer eigenen Mutter hatte sie nie Mom gesagt. Stattdessen hatte sie irgendwann angefangen, die Freunde ihrer Mutter aus der Modebranche zu imitieren, und von da an hatte sie sie Mims gerufen. Woher dieser Spitzname kam, hatte Ella nie herausgefunden. Sie wusste nur, dass er etwas mit der Vorliebe ihrer Mutter für Mimosen zu tun hatte. Oh, und angeblich auch mit einem Tycoon und einer Jacht. Ihre Mutter hatte sowieso nie eine Mom sein wollen. Das war in ihren Augen schlicht nicht glamourös genug. Und Lily Swan verlieh allem einen gewissen Glamour, einschließlich der Mutterschaft. So war Ella also ohne Mom, dafür aber mit einer Mims aufgewachsen, und im Laufe der Zeit war es ihr völlig normal erschienen. Wenn sie gefragt wurde, warum sie ihre Mutter nicht Mom nannte, hatte Ella ihren Freunden diese Geschichte erzählt.

Und wenn sie gefragt wurde, warum sie keinen Daddy hatte, gab sie das zum Besten, was ihre Mutter auf Partys auch immer sagte – ein Mädchen brauchte nicht wirklich einen Daddy.

Dabei hatte sie sich immer einen gewünscht. Sehnsuchtsvoll hatte sie zugesehen, wenn andere kleine Mädchen von ihren Vätern auf den Schultern getragen oder von ihnen zum Eisessen eingeladen wurden.

Als sie Jake geheiratet und einen Schwiegervater bekommen hatte, war das der beste Bonus überhaupt gewesen.

Jakes Dad hatte sie immer mit einer Umarmung und der Frage: „Na, wie geht’s meiner Lieblingsschwiegertochter?“ begrüßt. Er hatte die Luft in ihren Autoreifen geprüft und hatte ihr kleine Waschbären geschnitzt, die sie auf ihren Kaminsims gestellt hatte. Mims fand sie kitschig, doch Ella liebte sie, weil sie jedes Mal, wenn sie sie ansah, an das freundliche, strahlende Gesicht ihres Schwiegervaters dachte.

„Wir sind so traurig, dass wir dich verlieren“, hatte Mom O’Brien ihr in einer ganz lieben Karte geschrieben, nachdem Ella und Jake ihre Trennung offiziell gemacht hatten. Auch Ella fand es traurig, nicht mehr zur Familie zu gehören. Zu schade, dass eine Frau nicht einfach den Ehemann loswerden, aber die Familie behalten kann, dachte sie, als sie das Schild, das an der Tür zur Boutique Gilded Lily’s hing, auf „Geschlossen“ drehte.

Sie war müde – den ganzen Tag lang mit Menschen zu arbeiten konnte anstrengend sein. Aber es ist eine gute Art von Müdigkeit, entschied sie, als sie begann, die Kasse abzurechnen. Von jetzt bis Silvester würde es im Geschäft ziemlich hektisch werden. Gilded Lily’s war der Laden, der in Icicle Falls am ehesten an einen Neiman Marcus oder Nordstrom herankam. Die Boutique gehörte ihrer Mutter, aber inzwischen betrieb ihn Ella. Sie liebte schöne Sachen, und sie liebte es, den Kundinnen zu helfen, das perfekte Kleid für besondere Gelegenheiten zu finden, sei es eine Party oder ein Abschlussball. Und dazu gehörten natürlich auch die passenden Accessoires, die dem Kleid den letzten Pfiff gaben. Heute, an diesem Schwarzen Freitag, waren eine Menge Kundinnen da gewesen, die den letzten Pfiff gebraucht hatten.

Jetzt war ein langer Arbeitstag zu Ende, und es war Zeit heimzugehen. Das Heim ist dort, wo das Herz ist. Trautes Heim, Glück allein.

So ein Quatsch.

Sie trat hinaus in die kühle Bergluft und schloss die Tür hinter sich ab. Winterliche Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt, doch in der Innenstadt funkelte und glitzerte es. Weihnachtsbeleuchtung zierte die Bäume im Park sowie die kleinen Tannenbäume, die vor den Geschäften standen, und rote Schleifen verschönerten die nostalgischen Laternen an der Center Street.

An allen kommenden Wochenenden würde es eine kleine Zeremonie geben, bei der die Lichter der wolkenkratzergroßen Tanne auf dem Marktplatz eingeschaltet wurden. Mit ihren Hunderten von bunten Lichtern würde sie das winterliche Bild der Stadt vervollkommnen. Mit den Bergen ringsherum und der bayerisch anmutenden Architektur wirkte Icicle Falls wie eine animierte Postkarte, malerisch und bezaubernd – die vollkommene Kulisse für ein vollkommenes Leben. Nur war Ellas Leben im Moment alles andere als vollkommen; eher glich es einem Kleid, das nicht mehr passte.

Sie brauchte nicht lange vom Laden zu ihrem kleinen Cottage an der Mountain View Road. Ihr Traumhaus. Im Sommer hatte sie zwei Schaukelstühle mit dicken Kissen auf die Veranda gestellt, und sie und Jake hatten an warmen Abenden dort draußen gesessen. Während sie gestrickt hatte, hatte Tiny, ihr Bernhardiner, faul zu ihren Füßen gelegen und mit ihr zusammen Jakes Gitarrenspiel gelauscht. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte es ihr großes Vergnügen bereitet, bunte Lichterketten an der Veranda anzubringen, während Jake die Lichterketten auf dem Dach befestigt hatte – es war richtig gute Teamarbeit gewesen.

Bei diesen Erinnerungen seufzte Ella. Sie war davon ausgegangen, dass sie dieses Haus für immer behalten würden, hatte sich vorgestellt, wie sie darin eine Familie gründen oder es, wenn Jake ein berühmter Countrystar geworden war, als Ferienhaus behalten würden.

Ihre Mutter hatte diese Visionen nicht mit ihr geteilt. „Ihr solltet euch nicht so schnell ein Haus kaufen“, hatte Mims sie gewarnt, als sie es sich das erste Mal angeschaut hatten. „Ihr seid beide noch jung, und du weißt doch nicht mal, ob diese Ehe überhaupt hält.“

„Natürlich hält sie“, hatte Ella empört geantwortet. „Warum sollte sie nicht halten?“

Ihre Mutter hatte sich nicht weiter dazu geäußert, sondern nur die Lippen geschürzt wie eine Frau, die ein dunkles Geheimnis hütete. Woher hatte Mims gewusst, dass die Beziehung mit Jake in die Brüche gehen würde? Was waren das für frühe Warnsignale gewesen, die Mims gesehen, Ella aber offenbar übersehen hatte?

Was auch immer es gewesen war, Mims hatte es für sich behalten, und um zu zeigen, dass sie ihre Tochter unterstützte (nachdem die Entscheidung gefallen und der Kaufvertrag unterschrieben war), hatte sie ihnen einen Gutschein von Hearth and Home geschenkt, damit sie sich dort eine neue Couch aussuchen konnten. Dazu hatte sie angemerkt: „Ehrlich, Ella, ihr könnt euch doch nicht mit Sachen vom Flohmarkt einrichten. Was sollen denn die Leute denken?“

„Vielleicht, dass wir glücklich sind?“, hatte Ella vorgeschlagen.

Mims hatte die Bemerkung ignoriert. „Geh los und schau dir die Sofas bei Hearth and Home an, Baby. Du findest bestimmt eins, das dir gefällt, da bin ich mir sicher.“

Tatsächlich hatte Ella eine Couch gefunden, die ihr auf Anhieb zugesagt hatte, und Mims hatte das braune Ledersofa mit den geschnitzten Mahagoniakzenten ausdrücklich gelobt. „Du hast einen wunderbaren Geschmack“, hatte sie gesagt, um dann hinzuzufügen: „Zumindest in den meisten Dingen.“ Was übersetzt heißen sollte: Dein Männergeschmack ist äußerst zweifelhaft.

„Also wirklich, Darling, du hättest doch nun wirklich was Besseres verdient“, hatte Mims ihr geraten, als es zwischen Ella und Jake ernster wurde. „Wenn es sein muss, dann schlaf mit ihm, aber du meine Güte, du musst dich doch nicht dein Leben lang mit diesem Mann belasten.“

Was für eine Mutter redete so mit ihrer Tochter? Tja, Lily Swan tat es. Mims hatte nie das Bedürfnis nach einem Ehemann verspürt. Also vermutete Ella, dass sie von ihrer Tochter erwartete, genauso weise zu sein und es ihr gleichzutun. „Männer können Spaß machen, aber wirklich nötig sind sie nicht“, hatte Ella ihre Mutter einmal sagen hören.

Wie viel Spaß hatte Mims wohl mit Ellas Vater gehabt? Und was hatte sie davon abgehalten, eine Familie zu gründen? Das war, genau wie das Alter ihrer Mutter, streng geheim, und Ella hatte irgendwann aufgehört zu fragen.

Als sie die Haustür aufschloss, kam gerade ihr eigener Mr-nicht-nötig, ihr Exmann, den Flur entlanggeschlendert. Er trug Boxershorts und einen Wäschekorb – sonst nichts. Tiny trottete hinter ihm her. Ella hasste es, wenn Jake das machte – nicht die Wäsche, sondern halb nackt herumlaufen.

Jake O’Brien besaß einen Körper, mit dem er durchaus zum Beispiel für Unterwäsche hätte Reklame machen können, und sein Anblick war irgendwie … na ja, er lenkte halt ab. Er hatte doch den ganzen Tag Zeit gehabt, um die Wäsche zu erledigen. Warum hatte er bis jetzt damit gewartet?

Stirnrunzelnd sah sie ihn an.

Er musterte sie genauso finster. „Was ist?“

Tiny kam zu ihr gerannt und wedelte freudig mit dem Schwanz. Ella beugte sich zu ihm und begrüßte den Hund, indem sie ihn hinter den Ohren kraulte. „Hättest du die Wäsche nicht schon mal früher machen können?“ Das klang ziemlich schnippisch, dabei war sie eigentlich gar kein schnippischer Mensch. Jedenfalls war sie das vor der Scheidung nicht gewesen.

„Ich war beschäftigt“, antwortete Jake.

Wahrscheinlich mit irgendeiner Frau. Nicht dass es sie interessierte. Es ging sie nichts mehr an, was er tat oder mit wem er es tat.

„Wieso interessiert es dich überhaupt, wann ich meine Wäsche mache? Schließlich sind wir nicht mehr verheiratet.“

„Das ist genau der Punkt“, erwiderte sie und richtete sich wieder auf. „Wir sind nicht mehr verheiratet. Und ich finde, du solltest hier im Haus nicht in deiner Unterwäsche herumlaufen.“ Jetzt klang sie nicht nur schnippisch, sondern auch noch so, als wollte sie ihn herumkommandieren. Das war doch gar nicht ihre Art.

Jake blieb neben ihr stehen. Und diese Nähe richtete noch immer merkwürdige Dinge bei ihr an.

Nein, das war Vergangenheit, davon ließ sie sich nicht mehr beeindrucken! Sie versuchte, den wohligen Schauder, der ihr über den Rücken lief, zu ignorieren.

Jake grinste sie an, und es war absolut kein harmloses Grinsen. „Hast du … Probleme damit?“

Sie spürte, dass ihr die Röte in die Wangen stieg. Ertappt. „Es gehört sich einfach nicht.“ Schnippisch, herrisch und übertrieben tugendhaft – wer war diese neue und nicht gerade bessere Ella? „Ich laufe ja schließlich auch nicht in meiner Unterwäsche durchs Haus.“

„Ich hätte absolut nichts dagegen.“

Aus dem Stirnrunzeln wurde ein böser Blick. „Wir mögen uns zwar noch dieses Haus teilen, aber aus rein wirtschaftlichen Gründen.“

„Ich verhalte mich rein geschäftlich, und wenn meine Boxershorts dir was ausmachen, dann zieh doch aus.“

Als ob sie es sich leisten könnte auszuziehen. Sie hatte nicht mehr Geld auf dem Konto als er.

„Du kannst ja wieder zu deiner Mutter zurückgehen.“

Fehlte nur noch, dass er „Mamakind“ hinterherschob.

Sie war kein Mamakind, und sie hatte, genau wie er, das Recht, hier wohnen zu bleiben, bis das Haus verkauft war. Sie war erwachsen. Sie brauchte nicht zurück zu ihrer Mutter zu laufen.

Außerdem hatte Mims sich inzwischen räumlich verkleinert und war in eine der schicken neuen Eigentumswohnungen am Mountain Ridge gezogen, die etwas außerhalb des Stadtzentrums lagen. Dort waren Hunde von Tinys Größe gar nicht erlaubt. Und wenn Jake glaubte, dass sie ihm Tiny überlassen würde, dann hatte er sich aber gründlich getäuscht. Tiny brauchte sowohl Herrchen als auch Frauchen. Auch wenn sie bald getrennte Wege gehen würden, mussten sie sich das Sorgerecht eben teilen. Ganz davon abgesehen, dass Ella hierbleiben musste, um sicherzustellen, dass das Haus vorzeigefähig aussah. Wenn sie nicht da war, würden potenzielle Kunden vermutlich nichts als schmutzige Toiletten, dreckiges Geschirr in der Spüle und Bierdosen auf dem Couchtisch zu sehen bekommen, und dann würden sie das Haus nie verkaufen.

Das Haus verkaufen – der Gedanke daran versetzte ihr immer noch einen Stich. Aber es war nur einer von vielen Stichen, die sie im vergangenen Jahr hatte erdulden müssen. Einen Moment lang hatte sie die verrückte Idee, eine Hand auf Jakes Gesicht zu legen und zu fragen: „Was ist mit uns passiert? Warum machen wir das?“ Aber sie wusste, was passiert war, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Der Zug war bereits abgefahren. Hatte nicht nur die Stadt, den Bundesstaat, sondern auch das Land verlassen. Jetzt mussten sie einfach, jeder für sich, allein weiterziehen.

Sie seufzte. „Pass auf: Wir stecken hier nun mal beide fest, bis das Haus verkauft ist. Können wir nicht einfach versuchen, miteinander auszukommen?“

Er schaute sie aus diesen schönen dunklen Augen an. Von wegen schöne Augen … die machte er gern auch anderen Frauen.

„Ich bin nicht derjenige, der mit all dem hier angefangen hat, El“, sagte er leise.

„Ach ja?“ Wer hatte denn das hier „angefangen“, indem er mit der Telefonnummer einer anderen Frau in der Hosentasche angekommen war?

Doch es war sinnlos, das alles noch einmal aufzuwärmen. Jake würde ihr nur wieder diese alberne Story von der Keyboarderin auftischen, die unbedingt in seiner Band mitspielen wollte. So ein Quatsch! Das war bestimmt nicht alles gewesen, was diese Frau von ihm gewollt hatte. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, die Ella gehört hatte, als sie die Nummer angerufen hatte, war ziemlich vielsagend gewesen. Ich bin zurzeit nicht zu Hause, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Falls du es bist, Jake, ich kann mich jederzeit und überall mit dir treffen.

Wozu? Für ein privates Vorspielen? Von da an war es nur noch bergab gegangen. Übrigens hatte er schon vorher die Maske des perfekten Ehemannes fallen lassen, indem er mit jedem kleinen Groupie geflirtet hatte, das zur Bühne gekommen war, wenn seine Band Ricochet gespielt hatte. Eines Abends hatte Ella ihn sogar dabei erwischt, wie ihm ein Mädchen einen schwarzen Stringtanga zugesteckt hatte, als die Band gerade eine Pause machte. Angeblich hatte er eine Cola holen wollen. Als er sah, dass Ella kam, hatte er das Teil wie eine heiße Kartoffel schnell zurückgegeben. Eine heiße Kartoffel mit Spitzenbesatz.

„Sie hat mich überrumpelt. Ich war so schockiert, dass ich gar nicht wusste, was ich tun soll“, hatte er sich gerechtfertigt.

Genau wie er nicht gewusst hatte, was er mit der Telefonnummer einer gewissen Keyboardspielerin machen sollte? Für wie dumm hielt er sie eigentlich? Und nachdem sie den Beweis in den Händen gehabt hatte … o ja, da hatte er sich aufs hohe Ross geschwungen und sich total beleidigt gegeben, weil ihre Mutter den Nerv besessen hatte, einen Privatdetektiv anzuheuern, der ihm gefolgt war. Wer konnte ihr das schon verübeln, nachdem sie gehört hatte, wie Jake hinter dem Rücken ihrer Tochter herummachte und die Unterhöschen von anderen Frauen sammelte?

Aber das, was auf den Bildern zu sehen war, war eindeutig: Ihr Ehemann stand vor einer fremden Haustür und umarmte eine andere Frau. Nachdem er über eine Stunde lang bei ihr gewesen war. Eine Stunde! Er hatte behauptet, dass er einfach nur bei ihr vorbeigeschaut hatte, um ihr ein paar Noten zu bringen. Von wegen! Wenn die beiden sich in der Stunde mit Musik beschäftigt hatten, wollte Ella einen Besen fressen. Wie viele Quickies konnte ein untreuer Ehemann in einer Stunde schaffen? Das wollte sie lieber gar nicht näher ergründen. Oh, verflixt, wer einmal behauptet hatte, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagte, der musste wohl einen untreuen Ehemann gehabt haben.

Na ja, Jake hatte seine Keyboarderin, und Ella hatte ihre Scheidung bekommen. Damit hatten sie beide, was sie wollten. „Ohne ihn bist du besser dran“, hatte Mims gesagt. „Er wird es nie zu etwas bringen, folglich bleibst du dein Leben lang arm. Hungernde Musiker sind definitiv ein Verlustgeschäft.“

„Ich habe Jake doch nicht geheiratet, um reich zu werden“, hatte Ella protestiert.

„Glückwunsch, das ist dir gelungen“, hatte Mims gekontert. Männer waren vielleicht nicht unbedingt nötig. Aber wenn es nach ihrer Mutter ging, sollte ein Mann, sobald eine Frau sich einen geangelt hatte, gefälligst wenigstens sein eigenes Geld verdienen.

Ihre Mutter hatte recht. Jake war unreif und verantwortungslos, und, was das Schlimmste war: Er war ein Ehebrecher. Sie konnte froh sein, dass sie ihn los war. Selbst wenn er in seinen Boxershorts unglaublich heiß aussah.

Grimmig schaute er sie an. „Vergiss es. Es macht überhaupt keinen Sinn mehr, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Ich könnte reden und reden, bis ich blau anlaufe, und trotzdem würdest du nicht ein Wort von dem, was ich sage, hören.“ Nach dieser spitzen Bemerkung marschierte er die Treppe hinauf.

Ella wandte ihm den Rücken zu. Sie würde nicht – auf gar keinen Fall! – auf sein knackiges Hinterteil starren.

Am besten, sie verschwand ganz. Jake würde gegen acht Uhr das Haus verlassen, weil er einen Auftritt im Red Barn hatte, einer kleinen Kneipe etwas außerhalb der Stadt. Dort würde er den Abend über Countrysongs für Leute singen, die mehr daran interessiert waren, sich zu betrinken und jemanden für einen One-Night-Stand aufzugabeln, als seiner Band zu lauschen.

Ella dagegen hatte die Band immer unheimlich gern spielen gehört.

Ach, vergiss es, schalt sie sich.

Einen Augenblick später kam Jake wieder die Treppe hinunter und ging in Richtung Küche. Seine Boxershorts hatte er unter einer Jeans verborgen, doch sein Oberkörper war immer noch nackt und bescherte Ella einen weiteren wohligen Schauder. „Ich brauche die Küche noch für zwanzig Minuten“, rief er ihr über die Schulter zu.

„Bleib meinetwegen, so lange du willst.“ Und bring alles in Unordnung. „Ich gehe wieder“, rief sie.

„Hast wohl ein heißes Date, was?“

Das ging ihn gar nichts an. Sie weigerte sich, darauf zu antworten. Stattdessen schnappte sie sich ihre Handtasche und ging zur Haustür. Tiny folgte ihr hoffnungsvoll.

Ella kniete sich vor ihn und streichelte ihn. „Ich bin wieder da, sobald er weg ist, versprochen“, flüsterte sie. „Dann bürste ich dich ganz gründlich.“

Tiny stieß ein leises Bellen aus und sabberte ein wenig. (Auch Tiny sorgte für ein reichliches Maß an Unordnung, aber im Gegensatz zu dem anderen männlichen Bewohner dieses Hauses konnte er nichts dafür.)

Sie küsste ihn auf den Kopf. Dann schlüpfte sie mit schlechtem Gewissen zur Tür hinaus. Der arme Tiny. Er spürte die schlechte Stimmung im Haus. Ob er sich in seinem Hundeherzen fragte, was er verbrochen hatte, dass er in so einem unglücklichen Heim gelandet war? Wenn sie geahnt hätte, dass so etwas passieren könnte, hätte sie niemals das Tierheim aufgesucht.

Doch das war jetzt nicht mehr zu ändern. Irgendwie würde sie es wiedergutmachen. Wie, wusste sie allerdings auch nicht. Ella hoffte, sie fand eine Wohnung, in der es erlaubt war, dass ein Hund in dieser Größe sabberte und haarte. Oje.

Ihr Schwarzer Freitag wurde von Minute zu Minute schwärzer. Sie verließ das Haus. Während sie die Straße entlangging, tippte sie Cecily Sterlings Telefonnummer ins Handy.

Ella und Cecily waren seit der Highschool befreundet. Cecily war sogar diejenige gewesen, die Ella und Jake zusammengebracht hatte. Als Cecily nach Los Angeles gezogen war, hatten sie sich aus den Augen verloren, aber seit sie Anfang des Jahres nach Icicle Falls zurückgekehrt war, trafen sie sich wieder regelmäßig. Cecily war schockiert gewesen, als sie von der Scheidung gehört hatte. Aber sie war sehr mitfühlend gewesen und hatte ihre Unterstützung angeboten. Es gab Männer, die an ihr interessiert waren; genau genommen, zwei, aber sie hatte die Nase voll von Männern (hatte sie jedenfalls behauptet), was sie zu einer idealen Essensbegleitung machte.

„Hast du schon gegessen?“, fragte Ella, als Cecily ans Telefon ging.

„Nö“, erwiderte Cecily. „Ich bin gerade erst zur Tür reingekommen.“

„Dann hast du wohl keine große Lust, gleich wieder loszugehen, oder?“

„Kommt drauf an. Was schwebt dir vor?“

„Ich muss mich noch für ein, zwei Stunden rumtreiben. Wollen wir bei Zelda’s essen gehen?“ Obwohl es Freitagabend und die Stadt voller Touristen war, die sich auf eine Shoppingtour am Samstag freuten, würde Charlene Albach bestimmt noch einen freien Tisch für ihre Freundinnen finden.

„Jake ist wohl noch zu Hause, was?“, vermutete Cecily.

„Ja“, gab Ella zu. Es war wirklich albern. Sie konnte doch nicht jedes Mal, wenn Jake zu Hause war, in Charleys Restaurant laufen.

„Für einen Huckleberry Martini könnte ich mich vielleicht aufraffen“, sagte Cecily.

O ja, ein Huckleberry Martini klang gut. Oder auch zwei. So viele, wie sie brauchte, um das Bild von Jake in seinen Boxershorts aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Jake knallte einen Topf auf den Herd und zog eine Dose Chili aus dem Regal. Chili aus der Dose. Das war ja wie in den schlimmsten Junggesellenzeiten.

Mist, er war ja auch wieder Junggeselle.

Missmutig runzelte er die Stirn, während er die Dose unter den elektrischen Dosenöffner hielt. Das war doch echt alles Mist. Sein ganzes Leben war Mist. Von vollkommen zu vollkommenem Mist … und das innerhalb eines Jahres.

Konnte man daraus vielleicht ein Lied machen? Wahrscheinlich nicht. Er leerte den Inhalt der Dose in den Topf und gab noch jeweils eine Dose mit geschälten Tomaten und mit Mais dazu, sein persönliches Geheimrezept.

Tiny war ebenfalls in die Küche gekommen und sah ihn erwartungsvoll an. „Ja, ich weiß, du isst auch gern Chili“, sagte er zu dem Hund. Er öffnete eine weitere Dose und goss sie in den Topf. „Du weißt aber schon, dass du danach schrecklich furzen wirst, oder?“

Tiny wedelte mit dem Schwanz.

„Ja, du hast recht. Wen stört’s. Wir sind echte Kerle, und die machen das nun mal.“ Und echte Kerle liefen auch in ihren Boxershorts durchs Haus.

Er nicht mehr, jetzt, wo er und Ella nicht länger zusammen waren. In Boxershorts durchs Haus zu laufen war nicht mehr erlaubt. Vielleicht sollte er sie dann auch mal darauf ansprechen, dass sie ihre BHs nicht immer so sichtbar aufhängen sollte, wenn sie gewaschen hatte? War ihr eigentlich klar, wie sehr ihn das verrückt machte? Er brauchte nur einen Blick auf diese kleinen spitzenbesetzten Körbchen zu werfen, und schon hatte er sich und Ella vor Augen, wie sie in diesem Schlittenbett, das sie auf einem Flohmarkt gefunden hatten, übereinander herfielen.

Er seufzte. Wie konnte es angehen, dass er eben noch glücklich verheiratet und im nächsten Moment schon unglücklich geschieden war?

Er und Ella waren füreinander bestimmt. Sie hätten zur Eheberatung gehen, hätten die Probleme aufarbeiten sollen.

Ach, verdammt, sie hätten gar keinen Eheberater gebraucht, wenn er die Sache erklärt hätte, sobald sie angefangen hatte, ihre Version von „Your Cheatin’ Heart“ zu singen und ihm vorgeworfen hatte, er hätte sie betrogen. Natürlich hatte er es versucht, aber Ella hatte ihm das Wort abgeschnitten. Und als sie dann noch diese Bilder vor ihn auf den Tisch geworfen hatte, war er so schockiert darüber gewesen, dass seine Schwiegermutter etwas so Unglaubliches tun konnte, so betroffen und sauer … dass er ausgerastet war. Verletzter Stolz und Zorn hatten ihn erst an den ehelichen Abgrund geführt und schließlich hinabgestoßen.

Es war ein rasanter Fall gewesen, und er hatte aus erster Hand erfahren, dass es, sobald das Wort Scheidung einmal gefallen war, nichts mehr zu sagen gab.

Jetzt stand er also hier, verletzt und unglücklich. Die Frau, die einmal geglaubt hatte, er könnte ihr die Sterne vom Himmel holen, wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Und sein Chili brannte an. Fluchend zog er den Topf von der Herdplatte. „Du kriegst den angebrannten Teil“, informierte er Tiny. „Dir ist es ja egal.“

Dir ist es ja egal. Diese Worte hatte ihm Ella an den Kopf geschleudert. Und sie hatte darauf bestanden, dass er die Scheidungspapiere unterzeichnete.

„Ich bin nicht derjenige, der die Scheidung eingereicht hat“, hatte er zurückgegiftet.

„Unterschreib einfach, Jake. Bitte.“

Als er die Tränen in ihren Augen gesehen hatte, hätte er Ella an sich ziehen und sie küssen sollen, bis sie keine Luft mehr bekam. Dann hätte er die Scheidungspapiere zerreißen, sich ein bisschen Geld von Pops leihen und mit ihr nach Nashville ziehen sollen. Das war eine Stadt, in die ihre Mutter ihnen nie und nimmer gefolgt wäre. Und das war vermutlich genau das, was sie brauchten. Dann wären sie endlich zu zweit und nicht länger zu dritt gewesen.

Er goss seine kulinarische Kreation in eine Schüssel, gab Tiny den Rest und marschierte zurück in sein Zimmer. Sein Zimmer. Noch so eine Sache, die zum Himmel stank. Dies hier war das Gästezimmer. Irgendwann hätte es das Kinderzimmer werden sollen. Jetzt war es sein Zimmer.

Frustriert ließ er sich auf dem schmalen Bett nieder, das zu allem Unheil auch noch um etliche Zentimeter zu kurz für ihn war (auch ein Flohmarktschnäppchen), und seufzte. Hier saß er nun, ein Hausbesetzer in seinem eigenen Heim. Vielleicht hatte Lily Swan ja doch recht. Vielleicht war er ein Loser. Vielleicht hatte er kein Talent. Wenn er es einfach nur zugegeben, die Band verlassen und einen Job in der Schokoladenfabrik von Sweet Dreams Chocolate angenommen hätte, dann wären er und Ella vielleicht noch zusammen. Dann hätte es keine Groupies gegeben, keine Jen, keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Stattdessen träumte er weiter von einer Karriere als Songwriter und davon, ein Star zu werden. Er hatte versucht, seinen Traum (und sich und Ella) zu finanzieren, indem er in einem Musikladen gearbeitet hatte, doch leider war der Laden pleitegegangen. Ein paar Gitarrenschüler hatte er noch, aber damit wurde er nicht gerade reich. Kurz gesagt, im Moment war er wirklich ein Loser, unfähig, die Frau zu halten, die er liebte, und außerdem kaum noch in der Lage, an seinen Träumen festzuhalten.

Als er den Kopf hob und zur Kommode blickte, glitzerte Ellas Verlobungsring, als wollte er sich über Jake lustig machen. Ein ganzes Jahr lang hatte er Anzahlungen für den Ring geleistet, hatte sich den Rest des Geldes, das er noch brauchte, von Pops geliehen, den Ring bezahlt und Ella noch am selben Abend gefragt, ob sie ihn heiraten würde. Als sie ihm die Scheidungspapiere zugeschoben hatte, hatte sie ihm sowohl den Verlobungs- als auch den Ehering wiedergegeben. „Die kann ich nicht behalten“, hatte sie gesagt. Genauso wenig, wie sie ihn behalten konnte.

„Nein, die habe ich dir doch geschenkt. Behalte sie“, hatte er beharrt.

Ella liebte Schmuck, und den Verlobungsring hatte sie besonders gern gemocht. Doch sie hatte nur den Kopf geschüttelt. Die Ringe wollte sie auf keinen Fall haben.

Aber Jake konnte sich nicht dazu durchringen, sie zu verkaufen. Auch wenn sie Ella nichts mehr bedeuteten: Ihm bedeuteten sie immer noch etwas.

Verdammt, er war ein Countrysong auf zwei Beinen.

Autor

Sheila Roberts
Sheila Roberts lebt mit ihrem Ehemann und drei Kindern an einem kleinen See im Staat Washington im äußersten Nordwesten der USA. Wenn sie sich nicht gerade mit Freundinnen trifft oder Tennis spielt, schreibt sie fleißig über die Themen, die Frauen am meisten lieben: Familie, Freunde - und Schokolade
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