Ein Weihnachtsengel namens Mickie

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Drei Liebesbeziehungen gingen schief - deshalb glaubt Derek nicht mehr an Romantik. Bis er die bezaubernde Rachel trifft. Die junge Witwe und Pflegemutter der süßen Mickie hat so viel ertragen und zweifelt trotzdem kein bisschen an der Liebe. Soll Derek es ein viertes Mal wagen?


  • Erscheinungstag 01.03.2021
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505758
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eine der frühesten Kindheitserinnerungen von Derek Rossi war, wie er seinem Dad einen Baseball zuwarf. In seinen zweiunddreißig Lebensjahren hatte er seither an mehr Baseballspielen teilgenommen, als er zählen konnte. Erstaunlicherweise war er von einem Ball nie dramatisch getroffen worden – bis heute.

Derek hatte den Ball nicht einmal kommen sehen. Eben noch sprach er mit Ron, dem Organisator des Workshops für Wurf- und Fangtechnik, und sah zu, wie die Mädchen und Jungen die Sporthalle von Jackson Hole verließen. Und im nächsten Moment lag Derek auf den Knien, und sein Kopf hämmerte wie verrückt. Er blinzelte und versuchte, die verschwommene Umgebung wieder klarzukriegen.

Wie durch ein Wunder erschien ein blonder, blauäugiger Engel und kniete sich vor ihn hin, mit besorgt gerunzelter Stirn. Das Wesen roch nach Vanille, und die hellen Lichter der Sporthalle verliehen ihm einen übernatürlichen Glanz. Es kam ihm unpassend vor, ihr auf dem Fußboden zu begegnen, sodass er versucht war aufzustehen, doch sie fasste ihn am Arm und hielt ihn zurück.

„Hinsetzen.“ Ihre warme Berührung holte ihn ruckartig in die Wirklichkeit zurück und zeigte ihm, dass die Frau keine Halluzination darstellte. „Bevor Sie aufstehen, muss ich sicher sein, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist.“

Die dröhnende Basstrommel in seinem Kopf übertönte ihre Worte fast. Mit Mühe konzentrierte er sich. „Sind Sie Ärztin?“

„Krankenschwester im Bereitschaftsdienst.“ Sie hielt die linke Hand hoch. „Wie viele Finger zeige ich?“

Derek blinzelte, und seine Sicht klärte sich. „Zwei.“

Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment schien er zu schweben und zugleich in diesen azurblauen Tiefen zu versinken … bis ihm die Geräusche bewusst wurden und die Menschen, die näher kamen, ihn einkreisten und ihm die Luft nahmen.

Die Frau musste seine plötzliche Bedrängnis gespürt haben, denn ihre Stimme drang über das beständige Summen der Unterhaltungen. „Bitte, treten Sie ein wenig zurück!“

„Na los, Leute, fort mit euch“, bekräftigte eine Männerstimme. „Ihm geht’s gut.“

Die Menge zerstreute sich, und Dereks Panik verebbte. Das Geplapper entfernte sich und wurde immer leiser. Ron Evans, der Workshoporganisator, trat in Dereks Sichtfeld. Doch der ältere Herr wandte sich gleich der Krankenschwester zu: „Sollten wir besser einen Krankenwagen rufen?“

„Keinen Krankenwagen!“, antwortete Derek an ihrer Stelle. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Außerdem fühlte er sich okay. Zumindest fast – wenn nur sein Schädel endlich aufhören könnte zu pochen.

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist, Ron, aber ein Eisbeutel und eine Ibuprofen wären jetzt sehr gut.“ Die Krankenschwester lächelte kleinlaut. „Ich hab den Erste-Hilfe-Koffer wohl etwas zu früh weggeschlossen.“

„Kommt sofort!“, erwiderte Ron und hastete los.

Als die Frau in ihre Handtasche griff und eine Stiftleuchte hervorzog, blieb sie dennoch ganz auf Derek konzentriert. Ein Lichtstrahl traf sein linkes Auge. Er zuckte zurück.

„Stillhalten“, befahl sie mit sanfter Stimme, die keinen Widerstand duldete.

Er gehorchte, und das Licht flammte erneut auf.

„Ihre Pupillen reagieren gut aufs Licht“, meinte sie in sachlichem Ton, den er sehr beruhigend fand. „Sehen Sie normal?“

„Etwas verschwommen, aber es wird schon besser.“ Er rieb sich die Stelle gleich über der linken Schläfe. „Aber mein Kopf tut höllisch weh.“

„Ron sollte jeden Moment zurück sein.“ Die Krankenschwester blieb ruhig, doch sie musterte aufmerksam seinen Kopf und die Beule, die er deutlich anschwellen spürte. „Können Sie mir sagen, wer Sie sind?“

„Ich bin Derek Rossi“, antwortete er – überrascht, dass sie ihn nicht zu erkennen schien. Er war noch nicht lange in Jackson Hole, aber sein Baseballworkshop an diesem ersten Dezemberwochenende war in aller Munde gewesen.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Ich weiß, wer Sie sind. Ich wollte nur sichergehen, dass Sie es auch wissen.“

Er fragte sich, ob ihr bewusst war, wie süß sie lächelte. Sie war wunderschön. Dann schalt er sich im Stillen. Natürlich wusste sie das. Frauen wie ihr waren solche Dinge immer bewusst. Obwohl sie verheiratet war – er hatte den Ring mit einem Stein an ihrem Ringfinger bemerkt –, wollte er mehr über seinen Schutzengel erfahren. „Und wer sind Sie?“

„Ich heiße Rachel Milligan.“ Sie wischte sich mit schlanken Fingern eine widerspenstige blonde Strähne aus dem Gesicht. „Ich arbeite am Krankenhaus von Jackson Hole in der Notaufnahme und war heute als Sanitäterin im Einsatz. Und ich fürchte, ausgerechnet mein Mädchen hat Ihnen diesen Ball verpasst.“

„Das wollte ich nicht“, erklang eine leise Stimme links von Derek. Ohne weiter auf die Schmerzen zu achten, drehte er behutsam den Kopf. Rachels Tochter stand ein wenig abseits und trat ängstlich von einem Fuß auf den anderen.

Rachel lächelte die Kleine aufmunternd an. „Das ist Mickie.“

„Tut mir total leid, Mr. Rossi“, sagte sie und trat näher.

Derek schätzte ihr Alter auf neun, vielleicht zehn. Sie war dünn, aber nicht mager. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen, und ihre Augen waren nicht blau, wie die ihrer Mutter, sondern von einem lebendigen Grün, umrahmt von dichten braunen Wimpern. Doch am auffälligsten fand Derek ihr Haar: Es fiel ihr in langen Korkenzieherlocken fast bis zur Hüfte und war von sehr hellem Braun, nicht blond, aber auch nicht richtig braun. Man hätte sie eher niedlich als schön genannt. Sie kam wohl nach ihrem Vater.

„Ich hab den Ball auf dem Boden gefunden und wollte ihn Ihnen zuwerfen. Ich wollte Sie nicht treffen!“

Bevor Derek etwas erwidern konnte, kam der Workshopkoordinator zurück und balancierte in der einen Hand ein Glas Wasser und in der anderen einen Eisbeutel und eine Packung Schmerzmittel.

„Danke, Ron.“ Derek schluckte eine Pille und legte den Eisbeutel vorsichtig an die Schläfe. Dann dachte er darüber nach, was von dem Mädchen eben gesagt worden war. Hatte er wirklich richtig zugehört? Der Ball hatte ganz schön reingehauen. War er wirklich von einem Mädchen gekommen?

„Tut mir wirklich, wirklich leid.“ Inzwischen liefen der Kleinen Tränen übers Gesicht.

„Mr. Rossi glaubt dir, dass es ein Versehen war.“ Die Frau suchte seinen Blick. Sie erinnerte ihn an eine Tigermutter, die ihr Junges beschützte. „Er ist dir nicht böse.“

Derek schüttelte Rachels Hand ab und stand auf. Sie tat es ihm rasch nach, blieb dicht neben ihm, als hätte sie Angst, er könnte hinfallen. Kurz schien das möglich, doch dann hörte die Halle zum Glück auf, sich zu drehen.

„Ich bin nicht böse“, sagte er. „Ich bin beeindruckt.“

Mickie legte verdutzt den Kopf schief, und Rachel fiel die Kinnlade herunter. „Beeindruckt?“

„Ihre Kleine hat einen richtig fiesen Wurf drauf!“ Er wandte sich wieder dem Mädchen zu. „Wie lange spielst du schon Baseball?“

Mickie sah ihn verwundert an. „Gar nicht. Ich bin heute nur mitgekommen, um Rachel zu helfen.“

„Du nennst deine Mom Rachel?“ Derek lebte in Kalifornien und kannte daher viele Kinder, die ihre Eltern beim Vornamen nannten. Tatsächlich bestanden die meisten Mütter und Väter dort sogar darauf. Aber in Jackson Hole hätte er das nicht erwartet.

„Rachel ist meine Pflegemutter.“ Die Kleine senkte den Blick und starrte auf ihre Füße. „Ich bin nur vorübergehend bei ihr.“

Jemand ließ einen Arm voll Baseballschläger auf den harten Hallenboden knallen, und Derek fuhr zusammen. Es war, als würde man ihm mit einem Messer den Kopf spalten. Er sog scharf die Luft ein.

„Sie haben Schmerzen.“ Ron trat näher und musterte ihn besorgt.

„Mir geht’s gut.“ Derek drückte den Eisbeutel fester an den Kopf und wies auf Rachel. „Ich hab meine persönliche Notfallschwester hier.“

„Eine bessere hätten Sie auch nicht finden können. Rachel hatte letztes Jahr Dienst, als mein Sohn eingeliefert wurde.“ Kurz verdüsterte sich der Blick des älteren Herrn, dann legte er Derek eine Hand auf die Schulter. „Wenn Sie nächstes Wochenende immer noch Schmerzen haben, können wir Ihre Termine absagen.“

„Auf gar keinen Fall!“ Derek hatte zugesichert, den Kindern nächsten Samstag Privatstunden zu geben, und er hielt seine Versprechen. Außerdem waren die Einnahmen sehr wichtig für Jackson Holes Förder- und Patenprogramm für Kinder und Jugendliche.

„Aber passen Sie bitte gut auf sich auf“, mahnte Ron, und Derek nickte.

„Du kannst ruhig schon gehen, Ron“, bot Rachel an. „Ich schließe hier alles ab. Amy Sue hat doch heute ein Klaviervorspiel und wartet bestimmt schon auf dich. Sie wäre enttäuscht, wenn sich ihr Großvater verspätet. Außerdem kann ich so noch ein Auge auf Mr. Rossi haben, bevor ich ihn nach Hause fahren lasse.“

„Macht euch um mich mal keine Sorgen“, unterbrach Derek, der nicht wollte, dass man über ihn redete, als wäre er gar nicht anwesend.

„Siehst du, Ron?“, meinte Rachel. „Derek findet auch, dass du schon heimgehen solltest.“

So hatte er das zwar nicht gesagt, aber es war ihm recht. Seinetwegen musste Ron wirklich nicht noch länger verweilen.

Der ältere Herr dachte kurz nach und nickte dann. „Na gut, überredet.“

Rachel atmete erleichtert auf. Kurz hatte sie befürchtet, Ron würde darauf bestehen, sich weiter zu kümmern, aber seine Familie war ihm wichtig. Nachdem er im vergangenen Jahr seinen Sohn bei einem Motorradunfall verloren hatte, widmete er seinen Liebsten mehr Zeit denn je. Doch statt sofort zu verschwinden, wandte sich der Workshopkoordinator doch noch einmal an Derek.

Während sich die beiden Männer besprachen, hörte Rachel still zu, verblüfft über Dereks Engagement für die Jugendarbeit. Das klang so ganz anders als alles, was sie in letzter Zeit über ihn in den Medien gehört und gelesen hatte. Die Schlagzeilen vermittelten eher den Eindruck, Derek Rossi interessiere sich ausschließlich für sich selbst.

„Rachel, ich hab Hunger“, maulte Mickie, als Ron schließlich gegangen war. „Wann essen wir?“

„Ich hab tatsächlich auch etwas Hunger“, meinte Derek.

Rachel drehte sich zu ihm um. Er hatte blaue Augen, so wie sie. Doch während ihre eigenen von gewöhnlichem Allerweltsblau waren, erinnerten sie Dereks an das Meeresblau eines Karibikstrands. Es waren die Augen eines Mannes, dessen Weg von gebrochenen Herzen gesäumt wurde. Der ehemalige Profibaseballer war schlank und muskulös – von klassischer Schönheit, die bei den meisten Frauen sicher gut ankam –, mit modischer Kurzhaarfrisur und glatt rasiert.

Sie dagegen bevorzugte größere Männer, die ein wenig schroffer und wuchtiger aussahen – so wie Tom.

Sie spürte einen leichten Stich im Herzen.

„Wie wäre es, wenn wir alle zusammen etwas essen gehen?!“, fragte Rachel schnell, ohne lange nachzudenken.

Derek sah sie zweifelnd an. „Und was ist mit Ihrem Mann? Kommt der auch mit?“

„Ich bin nicht verheiratet. Nicht mehr.“ Rachel sprach in dem ruhigen Tonfall, den sie im Lauf der letzten drei Jahre vervollkommnet hatte. „Mein Mann ist gestorben.“

Derek sah sie verwirrt an. „Aber Sie tragen noch Ihren Ehering.“

Rachel sah auf ihre Hand hinab. Sollte sie versuchen, es ihm zu erklären? Er würde es wahrscheinlich nicht verstehen, denn selbst ihre Freunde konnten es nicht recht nachvollziehen. Wie sollten sie auch? Ihr Partner war schließlich nicht ermordet worden. Sie hatten nie dem wichtigsten Menschen in ihrem Leben einen Abschiedskuss gegeben und keine Stunde später mit einem Polizeibeamten sprechen müssen, der die vernichtende Nachricht überbrachte. Bei ihnen hatte der Schock keine vorzeitigen Wehen ausgelöst, und sie litten nicht unter den schlimmsten Schuldgefühlen, weil das Baby – ihr lang ersehntes, erstes gemeinsames Kind – noch zu klein gewesen war, um zu überleben.

„Wenn ich den Ring trage, fühlt es sich so an, als wäre Tom noch immer bei mir, ganz nah“, sagte sie, ohne dabei entschuldigend zu klingen. „Für Sie hört sich das bestimmt verrückt an …“

„Überhaupt nicht“, erwiderte Derek so überzeugt, dass sie ihm fast glaubte. „Mein Vater ist an Krebs gestorben, als ich ein wenig jünger war als Mickie. Meine Mutter hat ihren Ehering weitergetragen, bis ich mit der Highschool fertig war.“

Rachel war vom Mitgefühl in seiner Stimme verblüfft. Und irgendwie fühlte sie sich ein wenig besser, da sie jetzt wusste, dass auch eine andere junge Witwe das Vertraute als tröstlich empfunden hatte …

„Ich glaube, Rachel isst gern Pizza“, hörte sie Mickie sagen.

Rachel holte ihre Gedanken schnell in die Gegenwart zurück und fragte sich, wann das Gespräch von Eheringen zu Pizza übergegangen war. „Stimmt.“

„Super, dann treffen wir uns doch bei Perfect Pizza.“ Schon wandte Derek sich zum Gehen.

„Moment!“ Rachel eilte ihm nach, mit Mickie im Schlepptau. „Sie sollten noch nicht selbst fahren.“

Er blieb stehen, drehte sich zu ihr um und ließ die Hand mit dem Eisbeutel sinken. „Ich hab doch gesagt, mir geht’s gut. Wenn das Ibuprofen erst wirkt, könnte ich ein ganzes Baseballspiel bestreiten, ohne dass der Gegner je die erste Base erreicht.“

Rachel konnte den Blick nicht von dem riesigen Bluterguss an seiner Schläfe abwenden. Es war ihre Schuld, denn sie hätte besser auf Mickie aufpassen müssen.

„Es war nicht Ihre Schuld“, sagte Derek sanft, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Niemand hat Schuld. Deshalb nennt man so was einen Unfall.“

Er schien es ernst zu meinen. Liebenswürdig und auch noch gut aussehend – eine fatale Mischung. Rachel konnte verstehen, warum Frauen auf ihn abfuhren.

„Wirklich!“, beharrte er. „Ich kann sehr gut selbst fahren.“

Es wäre am einfachsten gewesen, klein beizugeben. Immerhin würde höchstwahrscheinlich nichts passieren. Aber er hatte wirklich einen ganz schönen Schlag abgekriegt. Sie konnte ihn nicht guten Gewissens ans Steuer lassen. Jedenfalls nicht so schnell.

„Erfüllen Sie mir meinen Wunsch und fahren Sie bei uns mit“, bat sie. „Je nachdem, wie es Ihnen nach dem Essen geht, können Sie entweder selber nach Hause fahren, oder ich setze Sie ab.“

Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Sie scheinen ja fest entschlossen zu sein, mich in Ihr Auto zu locken.“

Obwohl sich ihr Herzschlag kurz beschleunigte, ignorierte Rachel den Charme, den dieser Kerl offenbar im Überfluss besaß.

„In diesem Fall gebe ich nicht nach.“ Ganz unerwartet musste sie sich ihrerseits eine Neckerei verkneifen. „Ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert, wenn ich die Verantwortung trage.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Sie tragen die Verantwortung für mich?“

„Sagen Sie Ja“, bettelte nun auch Mickie. „Ich will was essen.“

Derek überlegte noch einmal kurz, dann nickte er und sah wieder Rachel an. „Ms. Milligan, das Date ist gebongt.“

Das Date? Sie hatte ihm doch nur angeboten, ihn zum Restaurant zu fahren. Weil sie Hunger hatten, nicht, weil sie ihn näher kennenlernen wollte, wie man es bei einem … Date … tat.

Rachel öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Diese Wortklauberei führte doch zu nichts. Sie wussten beide, dass sie kein Date hatten. Und falls der Typ – der einmal zum „Heißesten Spieler der Major League“ gekürt worden war – nach seiner skandalumwitterten Verlobung erneut auf Frauenfang gehen wollte, dann stellte sie sicher nicht sein bevorzugtes Objekt dar.

2. KAPITEL

Obwohl es erst fünf war, befanden sich bei Perfect Pizza erstaunlich viele Gäste. Doch Derek entdeckte rasch einen leeren Tisch in der Mitte des kleinen Raums.

Er rückte für Mickie und Rachel Stühle zurecht und setzte sich ihnen gegenüber. „Was für Pizza mögt ihr denn?“

Mickie warf nicht mal einen Blick in die Karte. „Sie können einfach bestellen, ich esse alles.“

Auf dem Weg zum Restaurant war ihm schon aufgefallen, dass das Mädchen sich oft so verhielt: Es äußerte keine Meinung, wartete erst einmal ab, als wollte sie sichergehen, dass sie richtig antwortete. Sie zeigte eine seltsame Mischung aus Energie und Unsicherheit.

Derek wollte sie eigentlich nicht foppen, aber er konnte nicht anders. Er war mit einer jüngeren Schwester aufgewachsen, und Mickie erinnerte ihn an Sarah. „Wie wär’s mit Sardellen, Frischkäse und Ananas?“ Bei dem entsetzten Ausdruck, der über Mickies Gesicht huschte, konnte Derek sich sein Lachen kaum verkneifen.

„Ich glaube, auf die Kombination verzichten wir.“ Rachels Lippen verrieten ein winziges Lächeln, und Mickie wirkte sehr erleichtert. Nach freundlichem Gescherze und Verhandeln einigten sie sich schließlich auf eine Hamburgerpizza mit Extrakäse. Rachel wollte, dass Derek sitzen blieb und sich schonte, aber er bestand darauf, an die Theke zu gehen und zu bestellen. Während er in der Schlange stand, warf er einen Blick zurück zu ihrem Tisch. Mickie plapperte wie ein Wasserfall, und Rachel schenkte dem Kind ihre ganze Aufmerksamkeit. Diese Frau war eindeutig sehr kinderlieb, obwohl der Traum von eigenen Kindern durch den Tod ihres Mannes wohl vorübergehend auf Eis lag. Derek zweifelte nicht daran, dass sie irgendwann selbst welche bekommen würde, denn sie war schön, klug und sympathisch. Es wunderte ihn, dass sie nicht längst wieder geheiratet und auch eine Familie gegründet hatte. Vermutlich blieben die anständigen Typen auf Abstand, weil sie noch ihren Ehering trug.

Derek fragte sich, ob sie ihn wohl für anständig hielt. Gegenseitiger Respekt war in der heutigen Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit mehr, und eine Menge Männer kannten keinerlei Skrupel – wie einige Frauen auch nicht. Ihm kam seine ehemalige Verlobte in den Sinn. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf die Menütafel über seinem Kopf.

Nachdem er bestellt hatte, kehrte Derek mit einer Wasserkaraffe und drei Gläsern voller Eiswürfel an ihren Tisch zurück, und keine fünfzehn Minuten später wurde eine große, goldbraune Pizza serviert, von deren Rändern schon der Käse heruntertropfte. Mickie schlang drei große Stücke hinunter, dann entdeckte sie in einer Nische des Gastraums einen alten Flipper. Ihre Augen begannen zu leuchten.

„Willst du mal probieren?“, fragte Derek.

Das Leuchten erlosch. Das Mädchen zuckte leicht die Schultern. „Ich weiß gar nicht, wie das geht.“

Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich zeig’s dir.“

Nach ein paar Tipps, wie sie die silberne Kugel am besten im Spiel halten konnte, gab er ihr eine Handvoll Münzen und kehrte an ihren Tisch zurück. „Ein echtes Naturtalent.“

Er und Rachel unterhielten sich eine Weile über Mickie und Flipperautomaten, dann versiegte das Gespräch. Rachel legte ihr Pizzastück hin und überlegte angestrengt, was sie sagen sollte, um das sich ausbreitende Schweigen zu brechen. Mit Mickie am Tisch war es kein Problem gewesen, sich zu unterhalten, aber jetzt …

„Haben Sie schon gehört, dass wir morgen siebzig Prozent Schneewahrscheinlichkeit haben sollen?“, fragte Rachel.

Derek stöhnte auf. „Bitte, kein Wort mehr über das Wetter oder die Beule an meinem Kopf. Das haben wir schon ein Dutzend Mal durchgekaut.“

Wahrscheinlich hatte er recht. Sie war wohl etwas zu sehr darum bemüht gewesen, die Unterhaltung unverfänglich zu halten. Wenn er sie mit diesen strahlend blauen Augen ansah, als wären sie beide die einzigen Menschen auf der Welt, dann fühlte sie sich eben so unsicher wie eine Fünfzehnjährige beim ersten Date.

Rachel stellte mit zittrigen Fingern ihr Wasserglas ab. Der Mann ihr gegenüber war auf Filmpremieren gewesen, hatte mit den Reichen und Schönen gefeiert. Und den Medien zufolge hatte er bereits drei Verlobungen wieder gelöst.

Sie spähte sehnsüchtig zur Restauranttür und fragte sich, warum sie das Treffen hier jemals für eine gute Idee gehalten hatte. Sie könnte jetzt zu Hause sitzen und mit Mickie im Schlafanzug Scrabble spielen. Oh, Derek war nett, ja, durchaus, aber ihr gefiel nicht, wie sie sich in seiner Gegenwart fühlte – so kribbelig und unruhig. „Ich bin ein wenig nervös.“

Derek stellte sein Glas ab, ohne etwas getrunken zu haben, und Rachel biss sich auf die Zunge. Seine himmelblauen Augen wirkten enttäuscht. „Na, welche Klatschzeitungen haben Sie denn so gelesen?“

Rachel wurde sofort klar, dass er ihre Bemerkung missverstanden hatte. Sie wollte auf keinen Fall über seine Beziehungsprobleme oder über die Anziehung sprechen, die er auf sie ausübte. Deshalb konzentrierte sie sich lieber auf den Derek Rossi, den sie schon seit über einem Jahrzehnt aus den Sportnachrichten kannte. „Es wird Sie vielleicht überraschen, aber wir beide haben eine lange gemeinsame Geschichte. Ich weiß noch, wie ich eines Ihrer Spiele bei den College-World-Series gesehen habe. Sie waren unglaublich. Und wenn ich heute eine Sportsendung einschalte, scheinen Sie immer schon mit Mikro und Ihrer fundierten Expertenmeinung parat zu stehen.“

Er musste grinsen, und Rachel, die eigentlich noch weiterreden wollte, schloss rasch den Mund. Herrgott, was musste er bloß von ihr denken? Sie hatte losgesprudelt wie ein durchgedrehtes Groupie.

„Und was haben Sie in letzter Zeit sonst so über mich gehört?“, fragte er.

„Ich habe Ihre Heldentaten in der Boulevardpresse nicht verfolgt“, erwiderte Rachel, „falls Sie das meinen.“

„Trotzdem werden Sie doch bestimmt alles über Niki und mich mitbekommen haben.“

Sie hätte hinter dem Mond leben müssen, um seine aufgelöste Verlobung mit der jungen Schauspielerin zu verpassen. Sie war richtiggehend enttäuscht gewesen, dass er ein so wichtiges Versprechen gegeben und dann einen Rückzieher gemacht hatte, noch dazu nicht nur diesmal, sondern insgesamt schon dreimal. Dennoch glaubte sie, dass es ihr nicht zustand, über ihn zu urteilen. Und sie glaubte fest daran, dass ein Rückzieher immer noch besser war, als der falschen Person ein Eheversprechen zu geben. „Wen Sie heiraten wollen oder nicht, ist allein Ihre Sache.“

Die feinen Fältchen der Anspannung um Dereks Augen verschwanden angesichts ihres sachlichen Tonfalls. „Keine Fragen? Kein: Wie konnten Sie die Verlobung bloß zwei Wochen vor der Hochzeit lösen?“

Würde er ihr denn ehrlich antworten, wenn sie ihn fragte? Rachel zügelte ihre durchaus vorhandene Neugier. „Das geht mich nichts an, Sie hatten sicherlich Ihre guten Gründe.“

„Danke.“

„Aber eins würde mich noch interessieren.“

Er schaute resigniert drein. „Und das wäre?“

„Wie lange wollen Sie in Jackson Hole bleiben?“

Jetzt wirkte er überrascht. „Das ist Ihre Frage?“

Rachel lächelte nur.

„Knapp einen Monat.“ Derek lehnte sich zurück. „Ein Kumpel lässt mich bis Silvester in seinem Ferienhaus hier in der Nähe wohnen. Dann geht’s zurück nach L. A.“

„Da leben Sie?“

Autor

Cindy Kirk
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