Mit fünf Dates zum Happy End

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Mediziner sind nur mit ihrem Beruf verheiratet – das hat Josie in der Kindheit bei ihrem Vater gelernt! Umso erstaunlicher, dass sie auf das Angebot von Dr. Noah Anson eingeht: Fünf Mal soll sie ihn treffen, dann will er sie erobert haben. Wenn nicht, wird er für immer gehen …


  • Erscheinungstag 17.05.2021
  • Bandnummer 14
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505864
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich kenn Sie ja nicht mal!“ Josie Campbell schaute irritiert an dem großen, breitschultrigen Mann hoch. „Weshalb sollte ich mit Ihnen ausgehen?“

„Weil Sie mich sonst gar nicht kennenlernen werden?“ Noah Anson schenkte ihr ein charmantes Lächeln, das seine makellosen Zähne aufblitzen ließ. Mit seinem pechschwarzen Haar, der leicht bronzefarbenen Haut und den strahlend blauen Augen ergab das eine umwerfende Kombination, auch noch schick verpackt in einen dunklen maßgeschneiderten Anzug mit roter Hermès-Krawatte und einen Kaschmirmantel.

Wer so selbstsicher auftritt, ist es wohl gewohnt, bei den Frauen gleich zu landen, dachte Josie.

Bei den meisten Frauen, korrigierte sie sich. Nicht bei ihr, und zwar aus mehreren Gründen, vor allem aber: „Sie sind für mich ein Fremder.“

„Ich habe mich vorgestellt.“ Noah klang leicht ungeduldig. Er nickte zum Tresen hinüber: „Wenn Sie eine persönliche Empfehlung brauchen, wird Cole für mich bürgen.“

Cole Lassiter, Besitzer des „Hill of Beans“-Kaffee-Imperiums, stand hinter dem Tresen und unterwies gerade einen Mitarbeiter.

Josie brauchte keine Empfehlung. Noahs Namen hatte sie sofort einordnen können; er war der Neurochirurg, der im letzten Jahr der Praxis ihres Vaters beigetreten war.

Obwohl Josie schon seit über einem Monat wieder in Jackson Hole war, war dies ihre erste Begegnung mit Noah.

Als sie daran dachte, wie er sich vorgestellt hatte, musste sie lächeln: Doktor Noah Anson. Offenbar wollte er sie beeindrucken. Nach ihrer Erfahrung taugten Ärzte eher weniger als gute Freunde oder Partner, was seine Chancen nicht gerade verbesserte; aber das konnte er ja nicht wissen.

„Vielen Dank für die Einladung“, sie deutete ein Lächeln an und versuchte, seine maskuline Ausstrahlung zu ignorieren, „aber ich bin nicht interessiert.“

Weitere Erklärungen sparte Josie sich. Schon vor Jahren hatte sie die Erfahrung gemacht, dass ein Mann, der von seinem Vorhaben überzeugt war, für vernünftige Gründe ohnehin nicht zugänglich war.

Noah kniff seine Augen leicht zusammen, die so blau waren wie der Himmel von Wyoming. Josie stellte sich vor, wie die Zahnräder in seinem analytischen Gehirn surrten.

Schließlich nickte er. „Alles klar.“

Dass er so schnell aufgab, überraschte sie, hatte sie doch den Eindruck gewonnen, dass er aus demselben Holz geschnitzt war wie ihr arroganter Vater und ihre Brüder. Sie hatte erwartet, dass er sich doppelt anstrengen und seinen Charme anknipsen würde, zumindest aber auf einer Erklärung bestehen.

Mit einem seltsamen Anflug von Enttäuschung wandte sie sich zum Gehen. „Einen schönen Tag noch, Dr. Anson.“

Noch vor ihrem ersten Schritt wurde ihr das Getränk aus der Hand genommen. „Nicht so schnell!“

Josie fuhr herum und fixierte seine lebhaft blauen Augen, in denen ein amüsiertes Glitzern lag.

Sie unterdrückte ein Schnauben und sagte streng: „Geben Sie mir mein Glas zurück!“

Dabei war das nicht mal ihr Glas. Ihren Caramel Macchiato hielt sie noch unberührt in der anderen Hand. Noah hatte sich den Caffè Latte Light geschnappt, den Josie ihrer Chefin Pauline bringen wollte.

„Da am Fenster ist ein freier Tisch. Ich hab mein Anliegen noch nicht vorgebracht.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, bahnte er sich entschlossenen Schrittes mit Paulines Getränk in der Hand seinen Weg durch das gut besuchte Café.

Sie hätte einfach einen neuen Caffè Latte bestellen und ohne Noah eines weiteren Blickes zu würdigen zur Tür hinausgehen können. In jedem Fall eine Möglichkeit – aber auch irgendwie feige. Und – auch wenn sie vor all den Jahren vor ihrer Familie davongelaufen war – feige war sie nicht.

Mit einem kleinen Seufzer folgte sie Dr. Anson.

Obwohl sie aufgrund des winterlichen Wetters einen Wollmantel, Jeans und dicke Winterschuhe trug, ließ sie sich mit der Grazie ihrer jahrelangen Yoga-Routine auf dem Stuhl nieder, den er ihr hinschob. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch und begann, ihren Mantel aufzuknöpfen.

„Sie werden mir diesen Kaffee ersetzen. Und zwar innerhalb der nächsten fünf Minuten, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.“

Noah grinste. „Selbstverständlich.“

Ihre Blicke trafen sich eine kleine Ewigkeit lang. Er hatte ein wirklich nettes Lächeln. Schade, dass es bei ihr verschwendet war. Dass er für ihren Vater arbeitete, ließ Josie auf der Hut sein.

„Bestimmt sind Sie ein sehr netter Mann, Dr. Anson. Aber im Moment habe ich keinerlei Interesse an irgendwelchen Verabredungen.“ Josie hob das Glas an ihre Lippen, doch ein rebellischer Zug, den sie von ihrem Vater geerbt hatte, ließ sie hinzufügen: „Wenn Sie jemand kennenlernen wollen, könnte ich Ihnen die Lebensmittelabteilung des Supermarktes an der Schnellstraße empfehlen. Ein einmaliger Treffpunkt für Singles in Jackson Hole.“

Obwohl er noch immer lächelte, schwang in seiner Stimme ein Anflug von Ärger mit: „Ich muss mich nicht in den Gängen eines Supermarktes herumtreiben, um jemanden kennenzulernen.“

„Stimmt!“, sagte sie mit einem kessen Lächeln, „Sie bevorzugen ja Coffeeshops.“

Zu ihrer Überraschung lachte er – ein tiefes, angenehmes Lachen. Doch als sie sich erhob, griff er nach ihrer Hand.

Der Moment, den Josie brauchte, um ihre Hand zurückzuziehen, reichte aus, um ihren Arm mit Wärme zu durchfluten.

„‚Fünf Minuten‘, sagte ich.“ In seiner dunklen, sehr männlichen Stimme schwang ein leichter Ostküstenakzent mit – und eine Herausforderung. „Lang genug, um Sie umzustimmen.“

Josie war trotz allem fasziniert. Sie kicherte: „Ziemlich arrogant, oder?“

„Selbstbewusst. Das ist ein Unterschied!“ Noah trank einen Schluck Kaffee und grinste. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag.“

Der unverblümte Blick seiner blauen Augen verursachte ihr ein leichtes Prickeln. Wenn er kein Arzt wäre und nicht bei meinem Vater angestellt, wenn …

Sie verbot sich diese Gedanken. Längst hatte sie gelernt, dass das ewige Was-wäre-wenn die Realität nicht beeinflussen konnte.

„Erst bitten Sie mich um eine Verabredung, und jetzt haben Sie einen Vorschlag.“ Sie ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. „Das wird ja immer besser.“

„Ganz im Gegensatz zu dem hier!“ Noah schob Paulines Kaffee beiseite und bedeutete Cole, dass er einen Kaffee wollte.

Josie amüsierte seine offensichtliche Abneigung gegenüber dem Caffè Latte Light.

„Es ist nicht die Art Vorschlag, die Sie erwarten“, sagte er leise und blickte sie fest an. „Ich erklär’s Ihnen.“

Hoffentlich bereue ich das nicht, dachte Josie, zog ihr Handy heraus und stellte den Timer ein. „Noch vier Minuten.“

Er hob erstaunt die Augenbrauen.

„Ich darf nicht zu spät kommen“, sagte sie.

„Sagen Sie Pauline, dass Sie bei mir waren“, winkte Noah ab. „Das versteht sie schon.“

Jetzt war es an Josie, sich zu wundern: „Sie kennen meine Chefin?“

„Pauline Bettinger ist meine Großmutter.“

Vor zwei Wochen hatte Josie nicht nur einen Teilzeitjob als persönliche Assistentin der wohlhabenden Witwe angenommen, sondern war auch in ihr beeindruckendes Haus gezogen. Zwar wusste Josie, dass Daffodil Prentiss, die Hairstylistin des Ortes, mit Pauline verwandt war. Aber Noah war nie erwähnt worden. „Heißt das, dass Sie und Daffy verwandt sind?“

„Daffodil ist meine Schwester.“

Mit ihrem langen hellblonden Haar und dem leicht entrückten Touch eines Hippiemädchens aus den Sechzigern hatte Daffodil so gar nichts gemein mit ihrem Bruder. Sie war nach Jackson Hole gekommen während der Jahre, die Josie auswärts verbracht hatte. „Ich hab Sie nie mit Daffy zusammen gesehen.“

„Wir haben uns auseinandergelebt“, sagte er knapp.

„Das tut mir leid.“ Josies Anteilnahme war echt. Mit einer schwierigen Familie und schmerzhafter Entfremdung kannte sie sich aus. Sie war zurückgekommen, um sich mit ihrem Vater und ihrem ältesten Bruder zu versöhnen.

„Und genau das will ich wieder in Ordnung bringen“, sagte er fest. „Dafür brauche ich Ihre Hilfe.“

Etwas in seinem Blick sagte ihr, dass er – was immer der Grund für den Bruch gewesen sein mochte – sehr unter der Trennung litt. Doch davon wollteste sich nicht rühren lassen. „Ich mische mich grundsätzlich nicht in Familienangelegenheiten ein.“

„Alles, worum ich Sie bitte, ist Ihre Fürsprache. Ich hoffe, dass Sie mein Anliegen besser vortragen können als ich selbst.“

„Ich kenne Sie doch nicht mal!“, sagte sie kopfschüttelnd.

„Eben!“

Bevor sie nachhaken konnte, brachte die junge Bedienung seinen Kaffee. Noah gab ihr einen Zwanziger: „Der Rest ist für Sie.“ Das Mädchen strahlte und bedankte sich überschwänglich. Pluspunkt für ihn, dachte Josie, Großzügigkeit lässt sich nicht antrainieren.

Aber nicht weich werden. Sie gab sich einen Ruck und wollte aufstehen. „Also, ich muss jetzt …“

Noah legte seine Hand auf ihren Arm. „Ich hab immer noch zwei Minuten.“

Ihr Blick auf das Handy-Display gab ihm recht. Mit einem Seufzer setzte sie sich wieder.

„Fünf Treffen.“ Noah trank einen Schluck Kaffee und fuhr fort: „Das sollte reichen, um mich kennenzulernen. Wenn Sie zwischen Daffy und mir vermitteln, werden Sie sehen, dass ich nur das Beste für sie will.“

Auch wenn die familiären Probleme dieses Mannes sie nicht interessierten, so mochte Josie doch Pauline und Daffodil. Außerdem hatte jeder, der seinen Familienfrieden wiederherstellen wollte, ihr Mitgefühl; schließlich war sie ja selbst aus diesem Grund nach Jackson Hole zurückgekehrt.

„Weshalb bitten Sie nicht Ihre Großmutter, ein gutes Wort für Sie einzulegen?“ Josie hatte selbst gesehen, wie nah sich die beiden Frauen waren, und sie wusste, dass Daffodil auf ihre Großmutter hörte.

„Gram hat das schon versucht, aber deswegen gab es schon leichte Spannungen zwischen ihr und Daffodil, und es ist gerade erst Gras darüber gewachsen. Ich will nicht, dass sie sich noch mal zwischen die Stühle setzen muss.“ Ein Muskel an seinem Kinn zuckte. „Daffy – also, sie braucht das Gefühl, dass Gram auf ihrer Seite ist.“

„Auch wenn das bedeutet, dass Pauline gegen Sie sein muss?“

„Ja.“

Da haben wir ja was gemeinsam. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Offenbar war er ebenso ein Außenseiter in seiner Familie wie sie in ihrer.

Sie hob ihr Glas an die Lippen und trank nachdenklich noch einen Schluck. „Ich könnte Daffodil gegenüber erwähnen, dass wir uns begegnet sind und dass Sie nett zu sein scheinen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich verspreche auch, nicht zu verraten, dass Sie Paulines Caffè Latte Light geklaut haben.“ Sie bemühte sich, die Stimmung mit einem Scherz aufzuheitern.

Noah blieb ernst. „Daff würde sagen, dass Sie mich gar nicht kennen. Und das stimmt ja. Noch sind wir uns fremd.“

Der Schmerz in seinem Blick berührte Josie. Sie widerstand dem Impuls, über den Tisch zu greifen und seine Hand zu drücken. „Ich hoffe wirklich, dass Sie und Daffy sich wieder vertragen!“

„Aber helfen wollen Sie mir nicht?!“ Seine Stimme klang düster.

Ich muss mich nicht rechtfertigen, dachte sie. Aber irgendwie fühlte es sich fast an, als schulde sie ihm irgendetwas.

„Ich hab lediglich genug eigene Probleme mit meiner Familie.“ Sie räusperte sich, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. „Da muss ich nicht noch in Ihre hineingeraten.“

In den folgenden Tagen dachte Josie immer wieder an Noah. Er hatte sie angesehen, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt.

Sie hatte Pauline auf das ungewöhnliche Ansinnen ihres Enkels angesprochen und die Trauer in den Augen der alten Dame gesehen, als diese das Zerwürfnis zwischen ihren Enkeln bestätigte.

„Daffodil ist auf ihre Weise genauso dickköpfig wie ihr Bruder“, hatte Pauline hinzugefügt.

Als Josie schloss, sie habe Noahs Vorschlag abgelehnt, nickte Pauline zwar und sagte: „Das müssen Sie selbst wissen.“ Doch war da nicht ein Bedauern in ihrer Stimme?

Seitdem hatten sie die Angelegenheit nicht mehr erwähnt. Josie war mit Besorgungen, Korrespondenz und Kostümanproben beschäftigt gewesen. Als bedeutendes Mitglied des Krankenhausvorstands war Pauline zum Neujahrs-Maskenball bei Dr. Travis Fisher und seiner Frau Mary Karen eingeladen und hatte sich mit Hingabe in die Auswahl ihres Kostüms gestürzt.

Die Fisher-Partys waren berühmt. Laut Pauline ging es dort sonst eher lässig zu, aber dieses Jahr sollte es etwas Besonderes werden. Pauline bestand darauf, dass Josie sie begleitete.

Als das Haus in den Bergen oberhalb von Jackson in Sichtweite kam, spürte Josie ein Kribbeln im Bauch. Das zweistöckige Gebäude war hell erleuchtet, silberne Laternen funkelten entlang des Gehwegs. Das Portal hatte man festlich mit schwarzem und weißem Tüll und zwei silbernen Masken dekoriert.

Da aufgrund der wenigen Parkplätze die meisten Gäste ihre Autos an der entfernteren Bergstraße abstellten, hatte Travis eigens Limousinen angemietet, die die elegant gekleideten Festbesucher zum Portal chauffierten.

Als ihr schnittiger schwarzer Wagen sich dem Haus näherte, sah Josie Herren in Smokings und Damen in kurzen Cocktailkleidern oder langen Abendroben durch die Eingangstür strömen. Alle trugen Masken.

Neben Josie saß Pauline und warf einen anerkennenden Blick auf das königsblaue Cocktailkleid, das unter Josies Pelzmantel hervorblitzte. „Ich glaube, ich sagte es schon, meine Liebe: Sie sehen heute Abend wirklich reizend aus! Ihre Maske ist … einfach toll!“

Josies Vater, Dr. John Campbell, hatte Josies Bitte während eines Familienurlaubs in Venedig nachgegeben und ihr die Maske gekauft. Das waren noch glückliche Zeiten gewesen, bevor die Erwartungen ihres Vaters und ihres Bruders für Josie untragbar wurden.

Vorsichtig berührte Josie die regenbogenfarbene, mit Blattgold betupfte Maske aus Pappmaché, an der sie extra Bänder in der Farbe ihres Kleides befestigt hatte.

Die Mosaiksteinchen, Swarowski-Kristalle und Perlen auf Paulines Maske funkelten ebenfalls atemberaubend. In ihrem anthrazitfarbenen Abendkleid, das einen reizvollen Kontrast zu ihrem weißen, zu einem modischen Knoten gesteckten Haar bildete, wirkte sie regelrecht majestätisch.

„Wir werden hier die schönsten Mädels sein!“, behauptete Josie, und Pauline lachte.

Arm in Arm betraten die beiden das Haus. Nachdem sie von ihrer Gastgeberein in Empfang genommen worden waren, überraschte Pauline Josie mit der Ankündigung, sie würden sich um halb eins wieder im Foyer treffen. „Wenn wir beide auf eigene Faust unterwegs sind, haben wir uns auf dem Heimweg sicher viel zu erzählen“, fügte sie hinzu.

Seltsam, dass Pauline mich erst bittet, sie zu begleiten und mich dann gleich hier stehen lässt, wunderte sich Josie. Glücklicherweise kam sie auch allein gut zurecht. Das hatte sie in den vergangenen sieben Jahren ausreichend üben können.

Hocherhobenen Hauptes schritt sie durch das weitläufige Haus, schnappte sich ein Glas Champagner vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und von einem weiteren ein Kanapee. Sie bewunderte die schwarzen, weißen und silbernen Ballons, die in einem schimmernden Netz unter der Decke darauf warteten, um Mitternacht befreit zu werden.

Im großen Saal an der Rückseite des Hauses tummelten sich elegante Menschen, jung und alt, jeder hinter seiner obligatorischen Maske. Die bewundernden Blicke, die Josie auf sich zog, als sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte, taten ihr gut.

Ohne eitel sein zu wollen, wusste sie, dass sie an diesem Abend in Bestform war. Zwar hatten sich ihre blonden Locken nicht vollständig bändigen lassen, doch so fiel ihr Haar in weichen Wellen bis auf ihren Rücken. Ihr schulterfreies blaues Kleid umschmeichelte ihre Figur und betonte ihren makellosen Teint. Acht Zentimeter hohe Absätze ließen ihre Beine endlos erscheinen und verhalfen ihr zu einer Größe von fast einem Meter siebzig.

Obwohl ihr klar war, dass ihre Augen die meiste Zeit hinter der Maske verborgen bleiben würden, hatte Josie viel Zeit in ihr Make-up investiert. Ihre grünen Augen – eines ihrer schönsten Merkmale – hatte sie mit dunkel-silbernem Lidschatten betont, mit reichlich Mascara umrahmt, dazu hatte sie roten Lippenstift aufgetragen.

Irgendwo erklang lautes Lachen. Josie entdeckte in einer Gruppe von Pärchen, die sich angeregt unterhielten, einen blonden Mann: Travis Fisher, ihren Gastgeber. Sie musste lächeln. Als sie und Pauline angekommen waren, hatte er emsig irgendetwas an einem kunstvoll aus schwarzen und weißen Federn gefertigten Kronleuchter befestigt, der offenbar nur zu diesem Zweck aufgehängt war.

Anstatt mich hier an meinem Champagnerglas festzuhalten, sollte ich lieber hinübergehen und mich vorstellen.

Diese Silvestergala war so anders als die Partys, die sie in Portland erlebt hatte. Dort hatte Josie lieber in kleinerer Runde gefeiert, mit ihren Freunden bei Fondue und Kirschwasser-Cocktails; das war schon Tradition.

Natürlich könnte sie irgendwann dorthin zurückkehren. Aber beim vertrauten Anblick der majestätischen Teton-Berge war ihr bei ihrer Rückkehr nach Jackson Hole klar geworden, dass sie hier zu Hause war und dass sie bleiben würde.

Diese Party war eine Gelegenheit, alte Bekanntschaften zu erneuern und neue Menschen kennenzulernen. Aber zuerst musste sie ihre Neugier stillen: Als sie Mary Karen gefragt hatte, was ihr Mann da an den Kronleuchter hängte, hatte die hübsche Blondine geschmunzelt. „Das müssen Sie selbst herausfinden!“

Josie trat näher heran und kniff die Augen zusammen. Ein Zweig mit dunkelgrünen Blättern und Beeren hing von einer der dunklen Federn direkt über ihr herab. War das etwa ein Mistelzweig?

„Gram sagte, ich würde Sie hier finden“, hörte sie eine vertraute männliche Stimme. „Ich freue mich, dass Sie es sich anders überlegt haben.“

Josie fuhr herum.

Alles, was sie sah, waren strahlend blaue Augen hinter einer dunklen Maske. Dann spürte sie Noahs Lippen auf ihren.

2. KAPITEL

Josie war nicht ungeküsst neunundzwanzig Jahre alt geworden. Ihren ersten Kuss hatte sie im zarten Alter von vierzehn von dem fünfzehnjährigen Nachbarsjungen bekommen. Doch noch nie war sie auf diese Weise geküsst worden!

Ganz sachte berührten sich ihre Lippen. Noahs Mund fühlte sich warm und verlockend an. Instinktiv schmiegte Josie sich an ihn und schlang ihre Arme um seinen Nacken.

Dann spürte sie seine drängende Zunge und öffnete ihre Lippen. Ein wahres Feuerwerk schien in ihr zu explodieren. Auf einmal war nah nicht mehr nah genug. Sie wollte – nein, sie brauchte mehr davon, am liebsten wäre sie unter seine Haut geschlüpft.

Als ihre bereits sensibilisierte Mitte auf harten Widerstand traf, hörte sie ihn leise fluchen. Sie fuhr mit den Fingern durch sein Haar, doch er trat einen Schritt zurück.

„Zu viele Zuschauer!“ Seine raue Stimme kam von irgendwoher. „Wir sollten nichts überstürzen.“

Reiß dich zusammen! Er sprach es nicht aus, aber sie hörte es trotzdem – sie hatte es ihr ganzes Leben lang zu hören bekommen!

Josies Herz schlug heftig. Trotzdem gelang ihr ein lässiges Schulterzucken. Nur gut, dass die Maske ihre geröteten Wangen verbarg!

„Ich hatte schon immer eine Schwäche für Mistelzweige.“ Ihr Lachen klang unbekümmert.

Er kaufte ihr ab, dass sie jeden x-beliebigen Kuss unter einem Mistelzweig erwidert hätte, das konnte sie in seinem Blick sehen. Wie zur Bekräftigung ergriff sie die Hand eines Mannes mit dickem kastanienbraunem Haar, der gerade vorbeiging. Seinen fragenden Blick beantwortete sie mit einem Fingerzeig nach oben.

Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht, das ihr irgendwie vertraut vorkam. Der Fremde zögerte nicht: Er neigte sich zu ihr und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Doch im Gegensatz zu Noahs Kuss ließ dieser Kuss Josie völlig kalt. War ihr Vorrat an Feuerwerk einfach schon abgebrannt?

Josie trat einen Schritt zurück und lächelte den Fremden an. „Einen schönen Abend noch, und ein gutes neues Jahr!“

„Bis bald!“ Obwohl auch seine Stimme ihr bekannt vorkam, versuchte Josie nicht weiter, ihn einzuordnen. Sie hatte erreicht, was sie wollte.

„Sie wissen überhaupt nicht, wer das ist!“, hörte sie Noahs Stimme an ihrem Ohr. Während des Kusses war er auf Distanz geblieben, war aber zur Stelle, sowie der andere fort war.

Sie hob die Schultern „Was soll’s!“

„Er könnte Ihr Bruder sein!“ Noah zog sie von dem Mistelzweig fort.

Josie hielt kurz erschrocken inne, dann lachte sie. „Benedict ist mindestens acht Zentimeter größer!“

„Darauf haben Sie aber nicht geachtet, als Sie sich an ihn rangemacht haben!“

„Ich habe mich nicht an ihn rangemacht …“, begann sie, dann sah sie sein Zwinkern. „Ha!“

„Ich hätte gelacht, wenn es doch Benedict gewesen wäre!“ Geschickt angelte Noah zwei Gläser Champagner von dem Tablett eines vorbeieilenden Kellners. „Oder noch besser: Ihr Vater!“

Josies entrüstetes „Pfff!“ quittierte Noah mit einem leisen Lachen.

Sie trank einen Schluck Champagner und betrachtete Noah durch ihre gesenkten Wimpern. Mit seinen breiten Schultern, den langen Beinen und seinem hochgewachsenen, athletischen Körper war er der ideale Smokingträger. Sein dunkles Haar – vielleicht ein bisschen zu kurz für Josies Geschmack – schimmerte im Kerzenlicht wie poliertes Walnussholz.

Künstlerhände, dachte sie, als sie seine langen feinen Finger musterte. Aber sein Atelier ist ein hell erleuchteter OP, sein Pinsel ein Skalpell.

Als ihr wieder einfiel, dass sie diesen Mann so ungezügelt leidenschaftlich geküsst hatte, zog sie ihre Nasenspitze kraus.

„Schmeckt der Champagner nicht?“ Er schaute sich um, als suche er den Kellner.

„Es geht nicht um den Drink, sondern um Sie!“, platzte sie heraus und erwartete einen missbilligenden Blick von ihm. Stattdessen betrachtete Noah sie so nachdenklich, als versuche er ein kompliziertes Puzzle zusammenzusetzen.

„Immerhin sind Sie Arzt!“, setzte sie hinzu und wurde rot.

„Heute Abend nicht!“, erwiderte Noah sanft. „Lass mich heute Abend einfach der Mann mit der schwarzen Maske sein, dessen Kuss du genießt.“

„Ich hab nicht … tu ich nicht …“

Ein Blick aus seinen strahlend blauen Augen ließ sie verstummen. Dieses aufregende Knistern zwischen ihnen konnte sie ebenso wenig leugnen wie das Kribbeln, das seine Berührung in ihr auslöste.

„Sollen wir etwa heute Abend allen etwas vorspielen, was wir nicht sind?“ Auch wenn der Gedanke verlockend war – das musste sie missverstanden haben! So etwas würde sich dieser seriöse, korrekte Doktor doch niemals trauen!

Ein undefinierbares Glitzern funkelte in den blauen Untiefen seiner Augen. „Interessiert?“

Josie nippte an ihrem Champagnerglas. Worum geht es hier denn wirklich?

„Bist du etwa in Begleitung hier?“, fragte er plötzlich. „Zögerst du deshalb?“

„Wohl kaum.“ Josie legte ihren Finger an ihre Lippen, die noch immer von seinem Kuss brannten. „Ich frage mich gerade, wen oder was ich hier heute Abend darstellen möchte.“

Sein Griff um ihren Arm entspannte sich etwas. Mit der freien Hand hob er sein Champagnerglas und trank noch einen Schluck.

„Irgendwelche Vorschläge?“

„Piraten!“

Er verschluckte sich fast an seinem Champagner.

„Meinst du das etwa ernst?“

„Voll und ganz!“

Nachdenklich rieb er sein Kinn und sah aus, als stelle er eine Pro- und Kontra-Liste auf. Josie schaute sich um in dem Raum.

Vermutlich wussten die meisten Gäste, wer hinter all den Masken steckte. Für Josie war das nicht so leicht zu erkennen; sie war zu lange fort gewesen.

Bevor sie heute Abend Noah getroffen hatte, hatte sie sich hier fremd gefühlt. Komisch, dass Pauline hier unbedingt allein losziehen wollte. Es sei denn …

Sollte das Zusammentreffen etwa arrangiert gewesen sein? Pauline hatte durchblicken lassen, dass sie es gern sähe, wenn Josie Noah half. „Wusste deine Großmutter, dass du heute hier sein würdest?“

Er schien überrascht. „Ich glaube nicht. Vielleicht. Warum?“

„Nur so.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Zurück zur Ausgangsfrage: Sind wir jetzt Piraten?“

„Kommt drauf an: Reden wir übers Brandschatzen und Plündern oder erwartest du von mir, wie ein Pirat zu reden, so mit ‚Ahoi‘ und ‚Kamerad‘?“

Autor

Cindy Kirk
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