Baccara Exklusiv Band 111

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IM RAUSCH DER LUST von JAMESON, BRONWYN
An Liebe auf den ersten Blick hat Kree nie geglaubt. Bis Sebastian vor ihr steht! Hals über Kopf verliebt sie sich in den Bankier und schwebt auf Wolke sieben, als er sie küsst. Doch Sebastian will nur den Rausch der Lust - vor einem Leben zu zweit schreckt er zurück …

ZUM FEST - SEHR VIEL LIEBE von STEFFEN, SANDRA
Nie hat er sie vergessen: Krista, seine erste Freundin. Will verließ sie, weil ihm seine Sport-Karriere wichtiger erschien. Jetzt ist seine Laufbahn beendet - und seine Sehnsucht nach Krista größer denn je! Wird sie ihm noch einmal vertrauen und ihm ihr Herz schenken?

DAS GEFÜHL, DAS MAN LIEBE NENNT von HUGHES, CHARLOTTE
Als Detective darf sich Neil nicht emotional an eine Frau binden, denn das macht ihn verletzlich. Diese Überzeugung gerät jedoch ins Wanken, als Katie ihn in höchster Not um Hilfe bittet. Plötzlich kann er von nichts anderem mehr träumen als ihren samtweichen Lippen …


  • Erscheinungstag 06.12.2013
  • Bandnummer 0111
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721640
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Jameson, Sandra Steffen, Charlotte Hughes

BACCARA EXKLUSIV BAND 111

BRONWYN JAMESON

Im Rausch der Lust

Ihre blauen Augen versprechen pure Sinnlichkeit: Sebastian ist von Kree fasziniert. Bei jeder Berührung wächst sein Verlangen, sie in seine Arme zu ziehen. Als sie sich ihm schließlich voller Begehren hingibt, ahnt Sebastian nicht, dass Kree sich viel mehr wünscht. Sie will nicht nur eine heiße Affäre. Sie will Sebastian ganz und gar – ein Leben lang.

SANDRA STEFFEN

Zum Fest – sehr viel Liebe

„Bitte glaube mir. Nur ein Mal noch!” Acht Jahre ist es her, dass Will ging. Jetzt steht er vor Krista – und will sie zurück! Trotz ihrer Zweifel gibt sie seinen Küssen nach. Sie liebt ihn immer noch, doch es fällt ihr so schwer, ihm zu vertrauen! Weihnachten wird es sich entscheiden: Feiert sie ein Fest der Leidenschaft? Oder muss sie Will endgültig Adieu sagen?

CHARLOTTE HUGHES

Das Gefühl, das man Liebe nennt

Schwanger sitzen gelassen! Katie ist am Boden zerstört, als ihr Freund aus Kindertagen sie rettet. Sie darf bei Neil unterschlüpfen, und er will sie sogar heiraten, damit das Baby einen Vater hat. Katie ist ihm dankbar – und plötzlich ist da das Gefühl, das man Liebe nennt. Wie soll sie Neil klarmachen, dass aus Freundschaft mehr geworden ist? So viel mehr?

1. KAPITEL

Hätte jemand Kree O’Sullivan aufgefordert zu beschreiben, wie nach ihren Vorstellungen der „perfekte Mann“ aussehen müsste, sie hätte ihn so beschrieben wie diesen Fremden, den sie gerade in ihrem Hinterhof erblickte. Sie schloss für einen Moment die Augen und spähte dann noch einmal vorsichtig durch die Vorhänge des Fensters im Lagerraum. Er war noch immer da. Weder Traum noch Trugbild – da stand er tatsächlich in beeindruckender Lebens­größe.

Die Frage war: Was hatte dieser Mann in dem kleinen Hof hinter ihrem Frisiersalon zu suchen? Er passte ganz und gar nicht hierher zwischen die verwilderten Rhododendren und auf den nicht besonders gepflegten Rasen, der dringend mal wieder gemäht werden müsste. Obwohl es an diesem Abend ungewöhnlich warm war, trug der Fremde einen dunklen Anzug und eine korrekt gebundene Krawatte.

Was konnte er wollen? Kam er von der Bank?

Für einen Moment erschrak Kree. Aber sie schob den Gedanken schnell wieder beiseite. Bankleute machten ihre Kundenbesuche nicht freitagabends nach sechs Uhr, wenigstens nicht bei Kunden, die ihren Überziehungskredit überstrapaziert hatten. In solchen Fällen pflegte die Bank anzurufen und einen freundlich zu einem Termin zu bestellen. Und solch einen Termin hatte Kree schon – am Montagvormittag.

Und selbst wenn die Bank jemanden schickte, würde er nicht so aussehen wie dieser Unbekannte in ihrem Garten. Kree beobachtete ihn. Aufmerksam studierte er die Rückseite des Hauses. Sein Blick ging hinauf zum Wohngeschoss, das über Krees Frisiersalon lag. Als würde er das Haus taxieren. Er hatte die Hände in die schmalen Hüften gestemmt und drehte Kree jetzt langsam seine blütenweiße Hemdbrust zu – eine sehr breite Brust.

„Nein, du bist kein Banker“, sagte Kree leise. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen und betrachtete den Fremdling eingehender. Sie merkte, dass ihr Puls sich dabei beschleunigte. Dunkler Anzug, dunkles Haar, dunkler Blick. Er erinnerte sie an die smarten Rechtsanwälte, die in manchen Fernsehfilmen vorkamen. Er könnte auch einer von diesen stinkreichen Managertypen sein. Aber solche Typen verirrten sich selten in die kleine australische Stadt Plenty. Selten tauchte mal einer in seinem deutschen oder englischen Sportwagen auf, wenn er sich auf dem Weg in die Weinberge verfahren hatte. Dieser Besucher wirkte nicht wie jemand, der eine falsche Abzweigung genommen hatte. Er sah aus wie jemand, der zu jeder Stunde und Gelegenheit wusste, was er tat.

„Dann wollen wir doch mal sehen, was unseren schönen Unbekannten hierher geführt hat“, murmelte Kree vor sich hin. Bevor ihre Fantasien von bedrohlichen Besuchen diensteifriger Bank­beamter oder abendlichen Zwangsräumungen überhandnehmen konnten, entschloss sie sich lieber, hinauszugehen und den Besucher zu fragen.

Die Hintertür quietschte in den Angeln, und der ihr zugekehrte Rücken der fremden Gestalt straffte sich. Langsam drehte er sich zu ihr um, und als ihre Blicke sich trafen, nahm es Kree fast den Atem. Sie schaute in ein markantes Gesicht – hohe Wangenknochen, ein energisches Kinn, dunkle Augen. Wie vom Blitz getroffen stand sie da und war sich sicher, dass er ihren hämmernden Herzschlag nicht überhören konnte. Sie zuckte zusammen, als sie in der Stille hinter sich die Tür zuklappen hörte.

Der Fremde sah sie forschend an. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

Die Frage hätte sie stellen sollen.

War das ein britischer Akzent, den sie da herausgehört hatte? Kree fasste sich. „Ja, möglicherweise. Zum Beispiel, indem Sie mir sagen, was Sie hier in meinem Hinterhof verloren haben.“

„In Ihrem Hinterhof?“

Diese Frage beunruhigte Kree. „Sie sind doch nicht etwa der neue Besitzer?“

„Nein, das bin ich nicht.“

„Puh – für einen Augenblick hatte ich gedacht …“ Sie unterbrach sich. „Ich bin übrigens Kree O’Sullivan.“ Sie wollte ihm die Hand zur Begrüßung hinstrecken, überlegte es sich aber anders und beließ es bei einem unverbindlichen Lächeln. „Mir gehört das Haarstudio Hair Today, der Frisiersalon im Erdgeschoss.“

Sein Mund deutete ein Lächeln an, während er Krees Haare musterte. „Ja, natürlich.“

Sie bemerkte seinen kritischen Blick und ärgerte sich ein wenig, dass sie überhaupt darauf reagierte. Was kümmerte es sie, ob ihm der eigenwillige hellrote Ton in ihrem Haar gefiel oder nicht? Sie nahm sich zusammen und fragte fast übertrieben höflich: „Entschuldigung, wie war gleich der Name?“

„Sinclair. Sebastian Sinclair. Ich hatte nicht damit gerechnet, hier nach Geschäftsschluss noch jemanden anzutreffen. Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen.“

„Und weshalb sonst schleichen Sie um diese Zeit ums Haus?“ Kree war von Natur aus nicht ängstlich und gehörte auch nicht zu den Menschen, die Angst vor Einbrechern hatten. Ihre leichte Unruhe, die ihm nicht verborgen geblieben war, hatte eher etwas damit zu tun, dass ihr der Blick seiner dunklen Augen und seine angenehm dunkle Stimme durch und durch gingen. Sie versuchte sich davon frei zu machen. „Also, was machen Sie hier?“

„Ich sehe mir das Haus im Auftrag seiner neuen Besitzerin an.“

Aha, dachte Kree. Es ging also um den Nachlass. Dem alten Allan Heaslip hatte die halbe Stadt gehört, auch dieses Grundstück. „Mit der neuen Besitzerin meinen Sie nicht zufällig Claire Heaslip?“

„Nein.“

Kree seufzte hörbar. Die Erleichterung löste ein wenig ihre Zunge. „Konnte ich mir auch nicht vorstellen. Aber man erlebt ja mit Testamenten mitunter die tollsten Überraschungen. Wer ist denn nun die geheimnisvolle Erbin? Die ganze Stadt brennt darauf zu erfahren, wer Allan Heaslip beerbt hat.“

„Sind alle Menschen in dieser Stadt so neugierig wie Sie?“

„Schon möglich. Aber Sie haben meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet.“

„Schon möglich.“

Kree musste lachen. Der Punkt ging an ihn. Ihre Blicke trafen sich. Kree bemerkte, dass seine Augen nicht schwarz waren, sondern tiefblau. Sie spürte ein leichtes Flattern in ihrem Bauch, während sie sich in die Augen sahen.

„Sie sind also Kree?“, fragte er nach. „Ist das eine Kurzform? Ich hab den Namen noch nie gehört.“

„Ich weiß auch nicht, woher er kommt. Vielleicht hat sich der Standesbeamte verhört.“ Oder meine Eltern waren wieder einmal nicht ganz nüchtern, als sie den Namen ins Geburtsregister eintragen ließen, ergänzte sie für sich. „Aber nennen Sie mich einfach so. Kann ich Sebastian zu Ihnen sagen?“ Sie musste einfach drauflosplappern, weil dieser Mann sie sonst vollkommen konfus machen würde.

Er nickte.

„Und wieso inspizieren Sie das Haus? Soll es verkauft werden?“

„Nein.“ Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Rückfront des Hauses zu. „Daran ist nicht gedacht.“

„Wozu dann die Inspektion?“

„Ich bin gewissermaßen der Nachlassverwalter“, sagte er, ohne seinen Blick von dem an manchen Stellen bröckelnden Putz und der abblätternden Farbe zu nehmen.

Kree überlegte, dass der Besitzerwechsel auch sein Gutes haben könnte. „Wenn sie das Haus nicht verkaufen will, heißt das, dass die neue Besitzerin vielleicht endlich einmal etwas in seine Instandhaltung investiert?“, fragte sie neugierig. „Das Haus war immerhin früher mal das erste Bankgebäude der Stadt. Es gehört eigentlich unter Denkmalschutz gestellt und hätte wirklich ein bisschen mehr Fürsorge verdient.“

„Wie sieht es denn drinnen aus? Auch so marode?“

„Würde es, wenn ich nicht selbst den Pinsel geschwungen hätte. Allerdings blieb mir auch gar nichts anderes übrig. Sonst würde ich nämlich nie einen neuen Mieter finden.“

Sebastian Sinclair warf ihr einen kurzen Blick zu. „Soweit ich weiß, sind Sie doch die Mieterin?“

„Ja, stimmt. Ich habe die Geschäftsräume im Erdgeschoss und die Wohnung darüber gemietet. Aber ich habe von befreundeten Nachbarn das Angebot, in deren Haus zu wohnen, um dort einzuhüten, da sie längere Zeit weg sind. Ich meine, eine solche Gelegenheit kann man sich nicht entgehen lassen …“ Krees Stimme erstarb unter seinem Blick. Ihr dämmerte, dass es nicht klug war, davon anzufangen.

„Das heißt, die Wohnung oben ist im Augenblick nicht bewohnt?“

„Äh – ja, das heißt …“

„Ist sie möbliert?“

Krees innere Unruhe wuchs. In einer Stunde wollte James kommen, dem sie halbwegs versprochen hatte, ihm die Wohnung unterzuvermieten. Dabei hatte sie darauf verzichtet, von Paul Dedini, der das Haus in Heaslips Auftrag verwaltete, die Erlaubnis dafür einzuholen. Krees Unruhe steigerte sich noch, als Sebastian ein paar Schritte auf die Hintertür zuging. Schnell trat sie dazwischen. „Warum fragen Sie? Wollen Sie sich die Wohnung ansehen?“

„Gibt es da ein Problem?“

„Nein, ich …“

Was in aller Welt sollte sie sagen? Ich möchte nicht, dass Sie in meiner Wohnung herumlaufen? Sein entschlossener Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht davon abhalten lassen würde.

„Ich zeige Ihnen die Wohnung. Ich warte sowieso noch auf einen Bekannten.“

Sebastian schaute zu, wie sie aus der Gesäßtasche ihrer hautengen Jeans einen Schlüssel hervorholte. Die Frau hat wirklich ansprechende Formen, dachte er. Unwillig schüttelte er gleich darauf den Kopf. Was ging ihn Kree O’Sullivans sexy Po an? Obwohl es schon einige Dinge an ihr gab, die ihm gut gefielen. Ihre offene Art zu sprechen, ihr fast punkig wirkende Haarfarbe, ihr voller, schön geformter Mund. Auch der Name gefiel ihm. Kree – kurz, ungewöhnlich, ein wenig exotisch. Er passte gut zu ihr.

„Tausend Mal hab ich Paul gesagt, er soll dieses verdammte Schloss reparieren. Es klemmt. Ah, jetzt geht’s.“

Sie öffnete die schwere Tür. Sebastian, dem aufgefallen war, wie niedlich sie in ihrem Eifer, die Tür aufzuschließen, die Nase gekraust hatte, horchte bei dem Namen Paul auf. Er fragte sich, ob es sich um denselben Paul Dedini handeln mochte, mit dem er am Nachmittag ein ernstes Gespräch geführt hatte. Der Mann, der die letzten Jahre die Heaslip’s Stock and Property Agency gemanagt und, wie Sebastian beim Durchsehen der Bücher entdeckt hatte, fast in den Ruin getrieben hatte, war zu spät zu ihrer Verabredung erschienen. Offensichtlich hatte er bei seinem ausgedehnten Lunch auch einige Gläser getrunken. Für Sebastian stand schnell fest: Der Mann musste weg – je früher, desto besser.

Ordnung in das Chaos zu bringen, das seine Tochter geerbt hatte, war ein harter Brocken. Vor allem musste ein neuer Manager gefunden werden. Sebastian scheute solche Herausforderungen nicht. Im Gegenteil. Sie gehörten für ihn zum täglichen Geschäft und machten ihm sogar Spaß. Aber es bedeutete, dass er einige Wochen hier in Plenty festsaß, und eine annehmbare Unterbringung für diese Zeit käme ihm da sehr gelegen.

Er folgte Kree ins Haus. Seine Augen mussten sich an das Halbdunkel, das im Vorraum im Erdgeschoss herrschte, erst gewöhnen. Sein Blick glitt von dem blank gebohnerten Holzparkett die Wände hinauf zur hohen mit Stuck verzierten Decke. Eine Treppe mit einem schönen Geländer führte ins obere Geschoss, wo er Krees nicht weniger schöne Kehrseite um die Ecke verschwinden sah.

Zum ersten Mal seitdem Sebastian Sydney am Morgen verlassen hatte, musste er lächeln. Das könnte ein heißer Dezember hier werden, dachte er. Dann folgte er Kree und stieg die Stufen hinauf.

Zehn Minuten später, nachdem Sebastian unter ihrer Führung sämtliche Räume der Wohnung besichtigt hatte, war das Lächeln auf seinen Lippen erstorben. Sebastian war schockiert, obwohl er mit der Möglichkeit hätte rechnen können, dass Krees – vorsichtig ausgedrückt – extravaganter Geschmack sich auch in ihrer Wohnung niedergeschlagen hatte. Ihre auffällige Haarfarbe und das knallige T-Shirt hätten ihn warnen sollen. Möbel und Ausstattung waren kunterbunt zusammengewürfelt, die farbliche Gestaltung der Wände, Tür- und Fensterrahmen abenteuerlich.

„Seit wann leben Sie hier schon?“, fragte Sebastian.

„Fast mein ganzes Leben. Ich bin mit meinen Eltern hergezogen, als ich sieben war.“ Kree wollte gerade ins Zimmer nebenan gehen. In der Tür blieb sie stehen und blickte sich nach ihrem Besucher um. „Genau genommen war es kein geplanter Umzug. Unser Auto hatte seinen Geist aufgegeben, und meine Eltern hatten kein Geld mehr, es reparieren zu lassen. So sind wir hier hängen geblieben.

Sebastian schüttelte den Kopf. „Ich meinte: Wie lange wohnen Sie schon in diesen Räumen?“ Mit einer Armbewegung versuchte er deutlich zu machen, dass seine Frage auf die Wohnung anzielte.

„Ach so.“ Kree musste über das Missverständnis lachen. „Seit etwas mehr als einem Jahr. Zuerst habe ich die Wohnung mit meiner Freundin Julia geteilt, bis sie meinen Bruder Zane geheiratet hat und mit ihm zusammengezogen ist. Aber jetzt erzähle ich Ihnen schon wieder aus meinem Leben. Das interessiert Sie bestimmt gar nicht.“ Sie verdrehte die Augen.

Himmlisch blaue Augen, dachte Sebastian. „Macht nichts. Ich finde es überhaupt nicht uninteressant.“ Vor allem nicht diese Augen, deren Blauton so intensiv war, dass er fast unnatürlich wirkte. Dazu kamen ihr natürliches, spontanes Lachen, ihr hübscher Mund und die anziehende, geschmeidige Art, mit der sie sich bewegte. Das alles zog ihn in ihren Bann.

„Hier ist das Schlafzimmer“, erklärte Kree, indem sie ihn in das nächste Zimmer führte. Sie lobte die Geräumigkeit der Wandschränke und erzählte ihm von der Morgensonne, die ins Zimmer fiel. Aber Sebastian hörte nicht richtig zu. Er dachte an ihre blauen Augen und betrachte versunken das Bett. Ein altmodisches großes Bett mit einem schweren Messinggestell, das in der Mitte des Zimmers stand und den ganzen Raum beherrschte.

Er musste eine Weile so dagestanden haben, denn als er wieder aufblickte, bemerkte er, dass Kree ihn ansah, als warte sie auf eine Antwort von ihm. Sie hatte die Vorhänge aufgezogen und war vor dem hellen Fenster stehen geblieben. Die Stille, die sich für einen Augenblick ausgebreitet hatte, war so vollkommen, dass Sebastian dachte, er könnte den Staub fallen hören, den er in den Lichtstrahlen tanzen sah.

Kree räusperte sich und machte eine vage Handbewegung in Richtung des Bettes. „Ich hab es in einem Antiquitätengeschäft gesehen und musste es einfach haben.“

Sebastian versuchte seine Fantasien zu zügeln.

Kree deutete aus dem Fenster. „Ich wohne jetzt da drüben“, erklärte sie.

Er trat an ihre Seite. Sein Blick glitt über ihre Hand, und er bemerkte die winzigen Härchen auf ihrem Arm und die samtige honigfarbene Haut.

„Das Haus gehört einem Lehrerehepaar, das gerade an einem von diesen Austauschprogrammen in Übersee teilnimmt, die es für Lehrer gibt. Sie haben mir angeboten, bei ihnen einzuhüten. Es ist das Haus gleich dort hinter dem Dschungel.“

Sebastian sah zunächst nur das undurchdringliche Gestrüpp eines sichtlich vernachlässigten Gartens. „Gibt es auch wilde Tiere in diesem Dschungel?“

„Nur Gizmo.“

„Gizmo? Ist das nicht einer von den Gremlins?“ Er erinnerte sich noch gut an den Film über diese kuscheligen, aber gefährlichen Fantasiewesen.

„Das ist ihre Katze. Sie durfte unglücklicherweise nicht an dem Austauschprogramm teilnehmen.“

„Und warum wohnen die Austauschpartner nicht in dem Haus? Ist das normalerweise nicht so geregelt?“

„Die haben es nur einen Monat hier ausgehalten. Sie erzählten, dass sie nachts nicht schlafen konnten.“

„Ist es denn nachts so laut hier?“

„Im Gegenteil. Sie konnten nicht schlafen, weil sie die Stille nicht ertrugen.“ Kree lehnte sich gegen die Fensterbank. Sebastian fiel auf, wie nahe sie sich gekommen waren. Er wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen. Dafür nahm er ihr Parfüm wahr – ein frischer Duft wie von wilden Beeren. Sein Blick fiel auf ihre hübschen vollen Lippen mit ihrem perfekten Amorbogen. Streng genommen war ihr Mund etwas zu groß und zu sinnlich für ihr schmales Gesicht und ihre grazile Erscheinung, aber irgendwie passte er doch zu ihr und zu ihrem munteren Geplauder.

Unwiderstehlich zog ihn dieser Mund an. Seine erregte Fantasie gaukelte ihm schon eine Berührung dieser warmen, weichen Lippen vor. Mit knapper Not konnte er sich zurückhalten und streifte stattdessen mit der Hand scheinbar zufällig ihr Haar. „Halten Sie mal einen Moment still. Da hat sich etwas verfangen“, log er.

Kree zuckte zurück und stieß sich dabei den Ellenbogen am Fensterrahmen. „Au! Das war der Musikknochen“, rief sie aus und fluchte leise.

Sebastian legte ihr eine Hand auf den Oberarm.

„Tut mir leid“, sagte Kree. „Normalerweise fluche ich nur, wenn ich allein bin.“

„Macht nichts. Es war ja meine Schuld.“

„Was ist in meinem Haar?“

„Nichts mehr. Es war wohl ein Insekt. Es ist weggeflogen.“ Noch immer lag Sebastians Hand auf ihrem Arm.

Das Klingeln seines Handys unterbrach ihn, bevor er irgendetwas Dummes tun konnte. Trotzdem fluchte er leise, und Kree musste lachen. Widerwillig holte Sebastian das Handy heraus und warf einen Blick auf die Nummer auf dem Display. Seine Tochter. Schlagartig waren alle Gedanken an die Süße der Versuchung, der er fast erlegen war, zerstoben. Telefonate mit seiner vierzehnjährigen Tochter bedeuteten in der Regel Stress.

Kree verließ diskret das Zimmer, und Sebastian zog die Vorhänge wieder zu. Die munteren Kringel, die die Sonnenstrahlen auf die Holzdielen geworfen hatten, verschwanden.

„Dad? Ich bin’s, Torie.“

„Das höre ich. Wo hast du gesteckt? Ich versuche schon eine ganze Weile, dich zu erreichen.“

„Ich war bei Jesse.“

Sebastian nahm sich zusammen, um nicht gleich laut zu werden. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst gleich nach der Schule nach Hause kommen. Du musst noch packen …“

„Ich brauch nicht zu packen.“

„Natürlich musst du …“

„Nein! Wenn du mir mal zuhören würdest.“

Nicht schon wieder Claire und ihre unseligen Einfälle! stöhnte er innerlich. „Was ist los? Hat deine Mutter angerufen?“

„Ja. Sie fliegt nach England. Jedenfalls müssen wir uns für meine Ferien etwas Neues ausdenken.“

Also doch! Wie er diese Art von Überraschungen hasste! Und wie er die Auseinandersetzungen hasste, die sich um nichts anderes drehten als darum, dass Claire wieder etwas in den Sinn gekommen war, wonach sich dann der Rest der Welt zu richten hatte. Doch er durfte nicht nur an sich denken. Er besann sich darauf, wie enttäuscht Torie sein musste, auch wenn er wusste, dass sie es nie zugeben würde. „Tut mir leid für dich, mein Engel“, sagte er jetzt mit sanfterer Stimme. „Ich werde sie noch heute Abend anrufen und mit ihr reden.“

„Ach, was soll’s! Es ist mir sowieso schnuppe.“

„Sie wird dich während der Ferien mitnehmen, verlass dich drauf. Ich sorge dafür.“

„Und in der Zwischenzeit?“, fragte Torie resigniert. Jetzt war ihr doch anzuhören, dass sie traurig war und Trost brauchte.

„Warum kommst du nicht hierher und wirfst mal einen Blick auf deine Erbschaft?“

„Das ist doch bestimmt total öde.“

Sebastian grinste. Öde war, wenn er an Kree dachte, nicht gerade der passende Ausdruck. „Hab ich dir erzählt, dass das alte Bankgebäude gar keine Bank mehr ist? Da ist jetzt ein Frisiersalon drin mit einer ziemlich netten Besitzerin.“

„Das hast du dir ausgedacht.“

„Keine Spur.“ Sebastian war froh, dass seine Tochter sich wenigstens auf eine Diskussion einließ.

„Na, toll! Bestimmt hat dieser Frisiersalon ein einziges hellblaues Waschbecken, und deine Friseuse ist eine alte Wachtel.“

„Die alte Wachtel sieht jedenfalls ziemlich scharf aus in ihren knackigen engen Jeans.“

„Also Dad!“

Er stellte sich Tories Gesicht vor, wie sie jetzt gerade die Augen verdrehte, und musste laut auflachen. Torie ließ sich anstecken und fiel in sein Lachen ein. Sebastian wurde etwas leichter ums Herz. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, dachte er, wenn sie herkommt. Tapetenwechsel und mal für eine Zeit lang weg von ihren Freunden, die alle so unheimlich cool sein wollen.

„Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Torie, jetzt wieder ganz ernst.

Sebastian vermutete eher, ihr war eingefallen, dass es ziemlich uncool war, mit ihrem Vater herumzualbern.

„Mrs Craig wartet mit dem Essen.“

Sebastian wollte noch etwas sagen, aber sie hatte die Verbindung schon unterbrochen. Er war sicher, dass Mrs Craig, seine Haushälterin, nichts mit dem abrupten Ende dieses Telefonats zu tun hatte. Seine Tochter hatte es zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gemacht, seine Geduld auf die Probe zu stellen. Früher war sie ein liebes, unkompliziertes Mädchen gewesen, auch wenn ihre für ihn unverhoffte Existenz sein Leben völlig durcheinandergebracht hatte. Sie war zwar immer schon ein ernstes Kind gewesen, aber sie war folgsam und angenehm im Umgang – und das, obgleich Claire ihren ganzen Ehrgeiz daranzusetzen schien, ihr im Grunde herzliches Verhältnis zueinander zu stören. Für Claire gab es ohnehin nur ich, ich und noch mal ich. Dann kam eventuell ihr derzeitiger Geliebter und etliche Plätze dahinter erst ihre Tochter.

Eine leichte Zornesröte stieg in sein Gesicht, als er nun an Claires jüngsten Streich dachte. Sie hatte Torie ursprünglich eingeladen, den Sommer bei ihr in ihrem Strandbungalow zu verbringen. Es war noch keine Woche her, dass sie die Einladung wiederholt hatte. Von einem Tag auf den anderen sollte das nun plötzlich nicht mehr gelten. Sebastian gab einen unwilligen Laut von sich. Er war fest entschlossen, Claire anzurufen und sie auf das Versprechen, das sie Torie gegeben hatte, festzunageln. Das war er seiner Tochter schuldig.

Aber als Nächstes musste er erst einmal seine eigene Situation in den Griff bekommen, bevor er Torie ein passables Angebot machen konnte, die nächsten Wochen bei ihm zu überrücken. Vor allem durfte er sich nicht mit Gedanken an heiße Küsse auf einem großen Messingbett aufhalten. Er sammelte sich kurz, steckte sein Handy in die Tasche und machte sich auf, das zweite Schlafzimmer in Augenschein zu nehmen.

Das andere Schlafzimmer wirkte annehmbar. Überhaupt – je länger er die Wohnung betrachtete, desto mehr sagte sie ihm zu, einen Neuanstrich allerdings vorausgesetzt. Vom Wohnzimmer, in dem er jetzt stand, konnte man auf einen Balkon hinaustreten, von dem aus man die gesamte Hauptstraße überblicken konnte. Gegenüber auf der anderen Straßenseite lag das Büro, in dem er die nächste Zeit arbeiten würde. Es lag nah genug, sodass er ein wachsames Auge auf Torie haben könnte, und für sie war es dicht genug, um gelegentlich hinüberzukommen, um ihm zu helfen, wenn sie gerade mal nichts mit sich anzufangen wusste.

Kree war auf den Balkon hinaus an das Geländer getreten und beugte sich darüber. Sebastian konnte nicht sehen, ob sie jemanden entdeckt hatte, dem sie zuwinken wollte. Was er allerdings sah, war der breite Hautstreifen, der zwischen dem Bund ihrer Jeans und ihrem T-Shirt sichtbar wurde. Auch wenn ihn dieser Anblick allein schon elektrisierte, war es etwas anderes, das seine Aufmerksamkeit erregte. Auf ihrem bloßen Rücken breitete ein tiefschwarzer Drache seine Schwingen aus. Kree hatte eine Tätowierung.

Schlagartig eröffnete sich Sebastian eine ganz neue Perspektive. Er vermochte der Versuchung, die von dieser Frau ausging, vermutlich zu widerstehen. Aber wenn Torie diese Tätowierung sah, würde sie Kree anbeten. Die Folgen waren absehbar. Endlose Diskussionen über Haarfarben, Kleidung, Piercings und dergleichen mehr.

Kree richtete sich wieder auf und lächelte ihn an. Es war ein freundliches, warmes Lächeln, das ihn daran erinnerte, dass ihre Anziehungskraft auf ihn nicht zu unterschätzen war.

„Haben Sie alles gesehen, was Sie sehen wollten?“, fragte Kree, während sie den Balkon wieder verließen. „Ich will nicht drängen, aber James ist gerade gekommen. Das ist der Bekannte, den ich erwarte. Also, ehrlich gesagt, er will sich die Wohnung auch ansehen.“

„Er will die Wohnung mieten? Die Interessenten stehen hier offenbar schon Schlange. Will er sie möbliert nehmen?“ Sebastian dachte an das Messingbett, und ihm war etwas unbehaglich dabei.

„Ja, möbliert. Es hat für mich den Vorteil, dass ich die Sachen nicht einlagern muss.“

Von unten hörte man ein lautes Klopfen an der Tür. Dann näherten sich schwere Schritte der Treppe. Vor den Stufen jedoch schien der Besucher zu verharren. „Kann ich raufkommen, Kree?“

„Eine Sekunde noch, James“, rief Kree die Treppe hinunter. Dann sah sie den finster dreinblickenden Sebastian ein wenig ratlos an. „Ich … ich müsste Sie jetzt schon bitten zu gehen, damit ich James die Wohnung zeigen kann.“

„Nicht nötig.“

„Wie bitte?“

„Sie brauchen ihm die Wohnung nicht zu zeigen. Ich nehme sie. Und ich habe nicht vor, sie mit Ihrem Freund zu teilen.“

2. KAPITEL

Nicht schon wieder! Nicht noch ein geplatzter Termin.

Verzagt ließ Kree den Blick durch ihr perfekt ausgestattetes, aber gähnend leeres Haarstudio schweifen, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Keine Spur von der Kundin, die sich für den Vormittag angemeldet hatte. „Hast du meinen Termin für die Dauerwelle gesehen?“, fragte sie ihre Angestellte in der vagen Hoffnung, die Kundin sei sich vielleicht nur die Hände waschen gegangen.

Mae-Lin schüttelte den Kopf.

„Hat sie angerufen?“ Kree kannte die Antwort bereits. Die Kundinnen riefen nie an. Sie waren zu feige, abzusagen und zuzugeben, dass sie sich von den niedrigeren Preisen zur Konkurrenz hatten locken lassen. Sie blieben einfach weg. Kree warf ihre Autoschlüssel und den dicken Briefumschlag von der Bank in die Schublade unter der Kasse. Dann nahm sie einen Bleistift, zog einen dicken Strich durch den letzten Namen auf der Seite mit dem aktuellen Datum und klappte den Terminkalender schnell wieder zu, bevor die anderen Striche und die leeren Spalten dazwischen ihr allzu sehr aufs Gemüt schlugen.

„Wie ging’s bei der Bank?“, fragte Mae-Lin. „Alles klar?“

„Alles bestens“, log Kree. Mit einem Seufzer ließ sie sich in einen der Sessel fallen, die eigentlich für Kundinnen bestimmt waren, die darauf warteten, an die Reihe zu kommen. „Abgesehen davon, dass ich einen hundert Seiten langen Antrag ausfüllen muss.“

„Wie wär’s mit einem Kaffee?“

„Eine gute Idee. Und bring mir bitte etwas Gebäck mit, am besten etwas mit Schokolade. Ich bin überhaupt nicht dazu gekommen, zu Hause zu frühstücken.“

„Soll ich auf dem Weg bei der Post vorbeigehen und nachsehen, ob die Lieferung mit dem neuen Festiger angekommen ist?“

„Oh ja, bitte. Ich bin gespannt, ob sie es dieses Mal geschafft haben, das Richtige zu schicken.“

Mae-Lin verschwand durch die Tür, und Kree atmete tief durch, als sie allein war. Der Termin bei der Bank war die reinste Qual gewesen. Es waren nicht hundert Seiten, die sie ausfüllen musste, sondern achtzehn. Aber das reichte ihr schon. Lauter Zahlen, von denen sie kaum wusste, wie sie die in ihren Büchern und Abrechnungen finden sollte. Allein bei dem Gedanken daran, was ihr bevorstand, wurde ihr schlecht. Noch schlechter allerdings bei dem Gedanken, die Bank könnte ihr das Darlehen verweigern.

Das Schlimmste war aber, hier in dem menschenleeren Studio untätig herumsitzen zu müssen. Irgendwie musste sie diese Durststrecke überbrücken. Sie war fest davon überzeugt, dass es nur eine vorübergehende Flaute war. Der Grund, warum der andere Salon, der vor Kurzem eröffnet hatte, billiger war, lag auf der Hand. Die Arbeit dort taugte nichts, und die Leute waren schlecht ausgebildet. Es war nur eine Frage der Zeit, ein Monat schätzungsweise, vielleicht auch zwei, bis ihre früheren Kundinnen merkten, was los war, und zu Hair Today zurückkehrten.

Es klopfte ans Fenster und Kree schreckte aus ihren Gedanken hoch.

„Julia!“

Kree stürzte zur Tür und öffnete. Dann fiel sie ihrer besten Freundin und Schwägerin um den Hals. „Ich hatte dich heute noch gar nicht erwartet. Wann seid ihr zurückgekommen? Gestern?“ Sie trat einen Schritt zurück und schaute Julia an. „Meine Güte, du siehst ja fantastisch aus! Wie war’s auf der Trauminsel?“

Julia lachte und sank auf das Sofa neben dem Eingang. „Immer langsam, Kree, nicht so stürmisch.“ Sie warf Kree einen überraschten Blick zu, die die Tür hinter ihnen schloss. „Donnerwetter, was hast du denn mit deinem Haar gemacht? Die Farbe ist ja ganz schön – intensiv. Hat sich Mae-Lin wieder an dir versucht?“

„Lass sie doch ein bisschen experimentieren. Erzähl lieber. Wie geht es Zane? Und was macht meine kleine Nichte?“

„Rundherum erholt und froh, wieder zu Hause zu sein.“ Julias Blick streifte die leeren Plätze vor den Spiegeln. „Und wie läuft es bei dir? Immer noch so ruhig?“

„Immer noch dasselbe.“ Kree zuckte die Achseln.

„Du kannst mir ja sagen, ich soll mich raushalten, aber wenn du etwas brauchst …“

„Okay. Aber bitte halt dich da raus.“

Julia überging ihren Einwand. „Versprich, dass du uns sagst, wenn du Hilfe brauchst.“

„Julia, ich hab gesagt, halt dich da raus.“ Krees entschlossener Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie es ernst meinte. Sie konnte mit ihrer Freundin über alles reden, aber nicht über ihre finanziellen Sorgen. Zane war mit der Autowerkstatt, mit der er sich selbstständig gemacht hatte, gerade aus dem Gröbsten heraus. Dafür hatten sie jetzt ein Kind zu versorgen. Aber – was noch wichtiger für Kree war – mit ihren Schwierigkeiten musste sie selbst fertigwerden. Nie wieder, hatte sie sich vorgenommen, würde sie Almosen oder etwas Ähnliches akzeptieren, nicht einmal von der eigenen Familie.

Julia stieß einen resignierten Seufzer aus. „Na schön, ich halte schon den Mund. Aber nur, wenn du mir erzählst, was es sonst Neues bei dir gibt. War James da und hat sich die Wohnung angesehen? Nimmt er sie?“

Kree schüttelte den Kopf.

„Nicht? Was ist dazwischengekommen?“

„Sebastian Sinclair ist dazwischengekommen.“

Julia runzelte die Stirn. „Müsste ich mich an ihn erinnern?“

„Wenn du ihn einmal gesehen hättest, würdest du dich garantiert an ihn erinnern. Er kommt aus Sydney, Typ erfolgreicher Geschäftsmann.“

„Gut aussehend? Reich?“

„Sein Schlips allein kostet mehr, als wir beide in einem Monat verdienen. Und was das Aussehen angeht, müsste es verboten werden, dass Männer wie er frei herumlaufen.“

„Und wer ist nun dieser Schönling?“

Schönling? Der Ausdruck passte nicht auf Sebastian Sinclair. Kree schüttelte den Kopf. „Er ist kein Schönling. Ich meine, er sieht wirklich verteufelt gut aus. Aber das allein ist es nicht. Er hat so eine ganz besondere Art – sein Auftreten, wie er einen ansieht, wie er spricht …“ Ihre Gedanken schweiften zu dem Moment, als sie beide oben im Schlafzimmer neben ihrem Bett gestanden hatten, und er ihren Arm gestreift hatte, während sie aus dem Fenster hinaussahen.

„Könntest du mir vielleicht endlich sagen, wer er ist?“

Kree nahm sich zusammen. Ihre Schwärmerei war tatsächlich übertrieben. „Er ist am Freitag hier aufgetaucht. Als ich hinten aus dem Fenster sah, stand er plötzlich im Hof und begutachtete das Haus.“

„Begutachtete es?“

„Genau. Wie sich herausstellte, ist er der Nachlassverwalter vom alten Heaslip. Oh, das wird dich freuen“, unterbrach sie ihren Bericht, „das Heaslip-Erbe ist nicht an Claire gegangen.“

„Es gibt noch Gerechtigkeit auf Erden. Und wer hat es bekommen?“

„Das hat er mir nicht verraten. Ich hab natürlich versucht, es aus ihm herauszubekommen, aber Mr Sinclair hat eine äußerst elegante Art, Fragen auszuweichen.“

Julia nickte verständnisvoll.

„Und dann wollte er auch die Wohnung oben sehen.“

„Ach du liebe Zeit! Was hat er denn zu deinen Wandfarben gesagt?“

„Nicht viel. Nur dass er bei mir einziehen will.“

„Wow!“ Julia sah sie mit großen Augen an. „Du gehst ja ganz schön ran.“

Und er erst. Kree dachte daran, wie er James erst gar nicht die Treppe heraufkommen lassen hatte.

„Mr Sinclair lässt sich also in Plenty nieder. Und was macht er hier?“, wollte Julia wissen.

„Keine Ahnung. Ich hab die ganze Zeit versucht, ihm klarzumachen, dass die Wohnung schon so gut wie vergeben ist, und er hat mir klargemacht, dass ich gar kein Recht dazu habe, ohne sein Einverständnis unterzuvermieten. Weiter sind wir nicht gekommen. Jedenfalls hat James schon vor der Treppe kehrtgemacht, als er uns oben diskutieren hörte. Und wenig später ist dann auch Mr Sinclair verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht. Ich weiß allmählich überhaupt nicht mehr, was los ist.“

„Und warum rufst du ihn nicht einfach an und fragst ihn?“

„So romantisch, dass wir unsere Telefonnummern ausgetauscht hätten, war es nun auch wieder nicht.“

„Für solche Fälle ist doch das Telefonbuch erfunden worden.“ Mit diesen Worten erhob sich Julia. „Ich muss jetzt leider los, mein Schatz. Ich hab Bridie bei meiner Nachbarin abgegeben und will die beiden nicht so lange warten lassen.“

„Gib ihr einen dicken Kuss von mir – Bridie, nicht deiner Nachbarin.“

Lachend ging Julia zur Tür und winkte Kree zum Abschied. Bevor sie hinausging, drehte sie sich jedoch noch einmal um. „Dir ist doch klar, dass du nicht darum herumkommst, mich deinem Sebastian demnächst vorzustellen. Ich bin wirklich neugierig auf den Mann, der dich so sehr zu beeindrucken scheint.“

„Hör auf. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein Mann, der erst mit mir flirtet, um mich dann fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel.“

„Er hat also mit dir geflirtet?“

„Nicht direkt. Aber die Art, wie er mich angesehen hat …“

„Sei nicht so pessimistisch. Es sind nicht alle Männer so wie Tagg.“

Nein, alle waren sie bestimmt nicht so. Trotzdem verspürte Kree nicht die geringste Neigung, ihren letzten Verflossenen durch jemand anderen zu ersetzen.

Julia trat beiseite, um Mae-Lin vorbeizulassen, die mit einem vollen Kaffeebecher in der einen und einem großen Paket in der anderen Hand eintrat. Julia zeigte auf das Paket. „Da ist nicht zufällig ein Telefonbuch drin?“

Mae-Lin sah verständnislos von Julia zu Kree.

Kree schüttelte nur den Kopf. „Hör nicht auf sie, Mae-Lin. Julia hat gerade ihre witzigen fünf Minuten.“ Sie nahm Mae-Lin die Sachen ab und begann gleich darauf, das Paket zu öffnen. „Jetzt reicht es mir aber“, rief sie ärgerlich aus, als sie statt des bestellten Festigers sechs Tuben mit einer undefinierbaren purpurroten Masse entdeckte.

„Schon wieder das Verkehrte?“, fragte Mae-Lin. „Jetzt sollten Sie denen aber wirklich mal die Meinung sagen.“

„Genau das werde ich tun, und zwar dieses Mal persönlich.“

„Sie fahren nach Sydney?“

„Aber sicher. Die ganze Telefoniererei hat ja nichts gebracht.“ Kree suchte ihre Geldbörse, die Wagenschlüssel und ihr Handy zusammen.

Mae-Lin machte große Augen. „Jetzt gleich?“

„Ich bin gerade in der richtigen Stimmung. Das muss ich ausnutzen. Ruf bitte Tina an und frag sie, ob sie heute einspringen kann. Wenn das nicht geht, versuch es bei Heather.“ Kree hielt einen Moment inne und schien zu überlegen. Die Idee, die ihr als Nächstes gekommen war, erschien ihr nicht weniger verrückt als die, unversehens nach Sydney aufzubrechen. „Und noch was. Such bitte die Telefonnummer von Sebastian Sinclair in Sydney für mich heraus. Die Geschäftsnummer, meine ich, nicht die Privatnummer. Wenn du sie hast, schick mir eine SMS.“ Sie gestikulierte mit ihrem Handy.

„Und wenn ich sie nicht herausbekomme?“, fragte Mae-Lin unsicher.

„Dann nehme ich das als einen Wink des Schicksals, mich bei ihm lieber nicht zu melden.“ Kree winkte noch einmal zum Abschied und trat an den beiden verdutzten Frauen vorbei ins Freie.

„Ach ja, da wäre noch etwas …“ Die Sekretärin wartete respektvoll, bis Sebastian Sinclair von seinem Computerbildschirm aufschaute und sie erwartungsvoll ansah.

„Ja?“

„Eine Miss oder Mrs Kree O’Sullivan hat angerufen, während Sie unterwegs waren. Sie sagte, sie würde Sie gerne sprechen.“

„Sie ist in Sydney?“

„Ich nehme es an.“ Die Sekretärin warf einen prüfenden Blick auf ihren Stenoblock. „Sie sagte, ab halb drei sei ihr jeder Termin recht.“

„Hat sie gesagt, was sie will?“

„Nun, sie hat eine ganze Menge gesagt, und das in einem höllischen Tempo. Aber worum es ihr geht, ist mir nicht klar geworden, obwohl ich das meiste aufgeschrieben habe. Jedenfalls klang sie nicht so, als ob sie sich abweisen ließe.“

Sebastian merkte, dass die Aussicht, Kree am Nachmittag zu sehen, ihn nicht kaltließ. „Hat sie eine Telefonnummer hinterlassen, unter der sie zu erreichen ist?“ Er ärgerte sich darüber, dass er seine Gefühle so wenig unter Kontrolle hatte. Er hatte sich vorgenommen, die Beziehung zu Kree auf einer rein geschäftlichen Basis zu beschränken, besonders wo er jetzt gewissermaßen bei ihr einzog.

„Eine Handynummer.“

Sie wollte das Blatt aus ihrem Block reißen, aber Sebastian hielt sie mit einer Handbewegung davon ab. „Rufen Sie sie an. Halb fünf. Ich gebe ihr eine Viertelstunde.“

„Gibt es sonst noch etwas?“

„Nein. Aber sagen Sie ihr, sie soll pünktlich sein.“

Kree war nicht pünktlich. Jetzt wartete Sebastian bereits zweiundvierzig Minuten, und noch immer war sie nicht aufgetaucht. Seitdem seine Sekretärin um fünf Uhr Feierabend gemacht hatte, hatte er ein Dutzend Mal auf die Uhr gesehen. Prüfend strich er sich über das frisch rasierte Kinn. Aus einem Impuls heraus entschloss er sich, das Hemd zu wechseln, und ging in das kleine Bad, das sich an sein Büro anschloss.

Ihre Verspätung überraschte ihn nicht im Geringsten. Erfahrungsgemäß war auf die Pünktlichkeit von Leuten, die „Forget tomorrow“ in leuchtenden Graffiti-Buchstaben auf ihrem T-Shirt stehen haben, kein Verlass. Na schön, dachte er resigniert, sie hat ihre Chance gehabt. Er musste sich beeilen. In einer Stunde begann die Aufführung, die Torie und ihre Klasse zum Abschluss des Schuljahrs gaben. Und anders als Tories Mutter legte er größten Wert darauf, keine Minute davon zu versäumen.

Er war noch dabei, sich das Hemd zuzuknöpfen, als er in sein Büro zurückging und feststellte, dass er nicht mehr allein war. Ärger stieg beim Anblick der ganz in Schwarz gekleideten Gestalt hinter seinem Schreibtisch auf. Sie hatte ihre Haarfarbe von Hellrot zu Kastanienbraun geändert. Der sehr kurze Rock betonte zwei braun gebrannte lange Beine, die jeden Mann schwachmachen konnten.

Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, während sie offensichtlich die Aussicht über den Hafen von Sydney genoss, die das riesige deckenhohe Panoramafenster bot – eine Aussicht, die allein eine Million Dollar wert war. Ihre schmalen Hände ruhten mit gespreizten Fingern auf der Fensterscheibe. Zu seinem Erstaunen entdeckte er an ihnen weder Schmuck noch Nagellack. Und trotzdem fand er ihre Hände ungeheuer sexy und verführerisch.

„Dringen Sie immer ungebeten in fremde Büros ein?“, fragte Sebastian in scharfem Ton.

Kree fuhr herum. Obwohl sie einen Schreck bekommen hatte, behielt sie die Fassung und brachte ein Lächeln zustande. „Ich habe mehrmals geklopft. Aber offenbar waren Sie …“, sie stockte für eine Sekunde, während ihr Blick ihn taxierte, „… beschäftigt.“ Sie ließ seine Hände, die nervös weiter das Hemd zuknöpften, nicht aus den Augen.

Endlich war er damit fertig und steckte das Hemd in die Hose. Da er den Blick in die Augen nicht von ihr wandte, sah er, wie sie sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe fuhr, und ihm wurde die knisternde Spannung bewusst, die in der Luft lag. Sebastian versuchte die Hitze zu ignorieren, die plötzlich durch seine Adern schoss, und griff nach der Krawatte und seinem Jackett.

„Sie wollen doch jetzt nicht gehen“, protestierte Kree.

„Wenn ich mich recht erinnere, waren wir für vier Uhr dreißig verabredet. Er blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Und jetzt“, fügte er hinzu, „habe ich einen Termin, und zwar auf der anderen Seite der Stadt.“

Noch während er sprach, schüttelte Kree den Kopf. „Nein, das können Sie nicht machen. Nicht nach all dem, was ich durchgemacht habe, um Sie zu treffen.“

„Sie sind extra meinetwegen nach Sydney gekommen?“

„Nicht ganz. Ich hatte auch noch etwas mit einem meiner Lieferanten zu klären. Dann habe ich mich auf dem Weg hierher in diesem mörderischen Verkehr vollkommen verfranzt.“ Sie seufzte. „Anscheinend gibt es in Sydney nur Einbahnstraßen, und die gehen alle in die falsche Richtung.“

„Aber Sie sind doch nicht gekommen, um mit mir die städtische Verkehrsplanung zu diskutieren, oder?“, fragte Sebastian kühl.

Kree kam hinter dem Schreibtisch hervor. Sie kniff die Augen zusammen. „Ganz sicher nicht. Es hat mehr damit zu tun, dass Sie mich seit Freitag hängen gelassen haben.“

„Ich habe doch gesagt, dass ich mich melde.“

„Fragt sich nur, wann, nicht? Ich bin nicht der Typ, der gerne wartet.“

„Trifft sich gut. Ich auch nicht.“

Sie lehnte sich gegen die Schreibtischkante. Wieder fiel sein Blick auf ihre langen Beine.

„Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass Sie hier einen Strip machen, wäre ich glatt über ein paar rote Ampeln gefahren.“

Krees Frechheit blieb nicht ohne Wirkung auf Sebastian. Er merkte das an einem leichten Ziehen in seiner Leistengegend. Es ärgerte ihn, denn er wollte sich in diesem Moment weder auf eine Diskussion noch auf weitere Provokationen einlassen. Er zog sein Jackett an und fing an, seine Krawatte zu binden. „Verlegen wir den Termin auf morgen“, sagte er in sachlichem Ton. „Rufen Sie mich an.“

„Damit mich ihre Vorzimmerdame wieder abwimmelt und mir erzählt, Sie hätten den ganzen Tag Besprechungen? Nein.“ Kree stieß sich vom Schreibtisch ab und trat so dicht an ihn heran, dass er ihr Parfüm riechen konnte. „Ich bin jetzt hier, und ich erwarte Antworten auf meine Fragen, und wenn ich Sie dafür auf ihrem Schreibtisch festnageln muss. Es wird nicht länger als ein paar Minuten dauern.“

Mit ihrem Aussehen und ihrer Bemerkung hatte sie ihn so weit, dass Sebastian unwillkürlich denken musste: Wer hier wohl gleich wen festnagelt? Und das würde in seinem Zustand in der Tat nicht länger als ein paar Minuten dauern. Sebastian hatte große Lust, es laut auszusprechen. Warum sollte sie allein das Recht haben zu provozieren?

Kree sah ihn bittend an und legte eine Hand auf seinen Arm. Im selben Augenblick schämte er sich im Stillen für seine Gedanken und kam sich vor wie ein Neandertaler. Unzufrieden mit sich und dem ganzen Auftritt hier in seinem Büro drehte er sich um und ging zur Tür.

„Alles, was ich Ihnen anbieten kann“, sagte er im Vorbeigehen, „ist, dass wir miteinander sprechen, während wir mit dem Fahrstuhl hinunterfahren und ich meinen Wagen aus der Tiefgarage hole. Deshalb denke ich, es wird das Beste sein, Sie fangen mit Ihren Fragen gleich jetzt an.“

„Meinetwegen.“ Kree folgte ihm zur Tür, die er ihr aufhielt, und schlüpfte unter seinem Arm hindurch nach draußen. „Für wen arbeiten Sie eigentlich?“

„Für mich selbst.“

„Klar. Aber das meinte ich nicht.“ Ihr Blick glitt über die gerahmten Zertifikate, die die Wände im Vorzimmer des Büros schmückten. „Was macht Ihre Firma genau? Sie befassen sich mit Finanzberatung – so viel habe ich verstanden.“

Mit seiner Hand auf ihrem Rücken dirigierte Sebastian Kree in Richtung des Fahrstuhls. „Wir beraten Firmen und entwickeln Strategien für Finanzierungen, hauptsächlich in der medizinischen Branche. Wir haben uns dabei auf etwas spezialisiert, das man Risikomanagement nennt. Außerdem machen wir Warentermingeschäfte.“

„Darunter kann ich mir wenig vorstellen.“ Sie lachte kurz auf. „Finanzen waren noch nie meine Stärke. Aber ich will die wenige Zeit, die uns bleibt, nicht damit vertrödeln, Ihnen das zu erzählen. Als ich fragte, für wen Sie arbeiten, wollte ich eigentlich nur wissen, was Sie mit Heaslip’s zu tun haben. Und welches Risiko Sie nach Plenty geführt hat.“

„Das Risiko, dass Heaslip’s pleitegeht.“ Er drückte auf die Taste, um den Fahrstuhl zu holen.

„Das heißt, Sie gehören direkt zu Heaslip’s.“

„Könnte man so sagen. Wollten Sie sonst noch etwas wissen?“

„Ja. Wie ist das nun mit Ihrem Einzug?“

„Torie und ich übernehmen nächstes Wochenende die Wohnung.“

„Torie?“ Sie sah ihn erstaunt an.

„Meine Tochter. Haben Sie damit ein Problem?“ Sebastian genoss es insgeheim, zu beobachten, wie Kree versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Endlich hatte er sie einmal verblüfft.

Aber Kree hatte sich schnell gefasst. „Oh, ich dachte nur, Sie hätten bei unserem ersten Zusammentreffen gesagt, Sie wären Single.“

Der Fahrstuhl war angekommen, die Türen glitten auseinander. Einige Leute standen schon darin. Sebastian ließ ihr den Vortritt. „Das bin ich auch“, erklärte er.

Und gedenke es auch zu bleiben, setzte er im Stillen hinzu. Die Erfahrungen in der Ehe, die er mit Claire gemacht hatte, reichten ihm. Es war ein kurzes, aber vollkommenes Desaster gewesen, das lediglich ein positives Ergebnis gehabt hatte – Torie. Ansonsten war er für den Rest seiner Tage von dem Wunsch nach einer festen Bindung kuriert.

3. KAPITEL

„Wo haben Sie Ihr Auto abgestellt?“ Sebastian geleitete Kree mit einer galanten Geste vom Fahrstuhl zum Stellplatz seines Wagens.

Kree wunderte sich darüber, dass er seine guten Manieren auch dann nicht zu vergessen schien, wenn man zu Verabredungen zu spät kam oder vorlaute Bemerkungen machte. „In der Captain Bligh Lane? Kann das sein? Jedenfalls klingt der Name so ähnlich.“

„Meine Güte! Das ist zehn Straßen weiter.“

„Kam mir eher vor wie zwanzig.“

Er sah sie verwundert an. Kree hoffte im Stillen, dass er für ihre Verspätung jetzt ein wenig mehr Verständnis aufbringen würde. „Ich bringe Sie mit meinem Wagen hin“, erklärte er.

Kree wollte schon widersprechen, denn einen allzu glücklichen Eindruck machte Sebastian bei seinem Angebot nicht. Dann sah sie den Wagen, vor dem er stehen geblieben war. Ein schwarzer Jaguar. „Wow! Ist das Ihr Auto?“

Er hielt ihr die Beifahrertür auf und ließ sie einsteigen. Sie sank in den Ledersitz und sog den Geruch ein. Eine Mischung aus Leder und herbem Aftershave, teuer, aber für ihren Geschmack etwas zu intensiv. Sie wunderte sich. An ihm selbst hatte sie diese übertriebene Duftnote nicht feststellen können.

„Den Gurt, bitte“, erinnerte er sie, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hatte.

Während sie sich anschnallte, spürte Kree seinen Blick auf sich. Sie hatte ihre Zweifel, dass seine Aufmerksamkeit allein ihrer Sicherheit galt und zog ihren Rock glatt. Dann bemerkte sie schnodderig: „Einen ziemlich markanten Luftverbesserer haben Sie da.“

Einen Moment lang schwieg Sebastian, weil er sich darauf konzentrieren musste, um die Pfeiler der Garage herumzusteuern. Dann antwortete er mit einem leichten Grinsen: „Torie hat heute Morgen etwas von meinem Eau de Cologne verschüttet. Ich kann das Fenster ein wenig öffnen, wenn es Sie stört.“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Kree hatte das Bild von tollpatschigen Kinderhändchen vor sich, die mit einer Flasche spielten. „Der Geruch passt gut zum Wagen. Haben Sie ihn nach ihrem Eau de Cologne ausgesucht?“

Sebastian runzelte unwillig die Stirn. „Ich habe mich für einen Jaguar entschieden, weil er wertbeständig ist. Das Auto ist eine gute Geldanlage.“

Kree brach in schallendes Gelächter aus. „Das ist der größte Käse, den ich je gehört habe! Kein Mensch auf der Welt fährt einen Jaguar, weil er wertbeständig ist.“

„Außerdem verschafft er einem Respekt auf der Straße“, gab Sebastian leicht irritiert zu. Als müsste er es ihr demonstrieren, fädelte er sich spielend in den fließenden Verkehr ein.

Kree leuchtete dieses Argument schon eher ein. „Das ist natürlich praktisch, wenn man es eilig hat. Apropos: Ich hoffe Sie verspäten sich meinetwegen nicht bei Ihrer Besprechung.“

„Es ist keine Besprechung. Meine Tochter hat eine Schulaufführung. Die machen sie immer zum Ende des Schuljahrs.“

Kree korrigierte ihr Bild von Torie. Statt des kleinen Kindes mit rosigen Patschhändchen sah sie jetzt ein Schulmädchen mit staksigen Beinen vor sich. Ein Kleinkind hätte auch nicht zu Sebastian Sinclair gepasst. Vor allem nicht zu seinen makellosen Oberhemden.

„Trotzdem ist es wichtig, dass ich pünktlich bin“, setzte er hinzu, während sich seine Miene verfinsterte, weil er schon wieder vor einer roten Ampel halten musste.

Kree sah sich nach dem Türgriff um. „Ich kann auch hier aussteigen und das letzte Stück laufen.“

Sebastian griff nach ihrer Hand und hielt Kree zurück. „Sie werden nicht mitten auf der Kreuzung aussteigen“, erklärte er in bestimmtem Ton.

„Ich möchte nicht daran schuld sein, dass Sie zu spät zu Tories Schulfest kommen.“

„Ich werde das schon schaffen.“

Er ließ ihre Hand nicht los, bevor Kree sich wieder in ihren Sitz zurückgelehnt hatte, und Kree zog ihre auch nicht zurück. Die Berührung ging ihr durch und durch und ließ ihr Herz schneller schlagen.

Endlich sprang das Licht der Ampel um, und Sebastian bog in die Bligh’s Lane ein. Kree zeigte zum Straßenrand auf einen VW-Käfer in einer undefinierbaren Farbe, die früher einmal Orange gewesen sein musste. „Da steht Pumpkin!“

Sebastian stoppte neben dem Wagen. Er fand, dass das Auto perfekt zu Kree passte. Und der Name, den sie dem Gefährt gegeben hatte – Kürbis – passte ebenfalls. Er schaute ihr zu, wie sie in ihrer Handtasche kramte. Schließlich förderte sie die Wagenschlüssel zutage.

„Eigentlich habe ich noch immer nicht ganz begriffen, warum Sie sich diese Mühe gemacht haben, mich persönlich aufzusuchen.“

Kree sah ihn an. Ihr Lächeln wirkte ein wenig verlegen. „Ehrlich gesagt, gibt es da tatsächlich ein kleines Problem mit der Wohnung. Ich habe sie nämlich einem Freund versprochen …“

„Wie können Sie die Wohnung jemandem versprechen, ohne vorher Ihren Vermieter zu fragen?“

„Ich wusste nicht, dass etwas davon im Mietvertrag steht. Aber James hängt jetzt irgendwie in der Luft.“

„Ich dachte, ich hätte mich am Freitag klar genug ausgedrückt. Entweder Sie vermieten die Wohnung an mich weiter oder gar nicht.“

Kree war von seinem kalten, geschäftsmäßigen Ton überrascht. Sie druckste herum. „Natürlich haben Sie sich klar ausgedrückt. Aber – über ein paar wichtige Details haben Sie sich überhaupt noch nicht geäußert. Zum Beispiel, wie viel Miete Sie mir zahlen wollen. Und wie lange brauchen Sie die Wohnung?“

„Ich übernehme die Miete in voller Höhe, dazu natürlich auch alle Nebenkosten. Und ich gehe erst einmal von zwei Monaten aus. Natürlich zahle ich Ihnen einen Tausender extra für die Überlassung der Möbel. Wären Sie mit diesen Konditionen einverstanden?“

Kree sagte nichts dazu, aber so dicht, wie sie neben ihm saß, war ihr Ärger deutlich zu spüren. Einen Moment lang betrachtete sie stumm ihre Autoschlüssel. Dann sagte sie mit einem freudlosen Lachen: „Spielt es überhaupt eine Rolle, was ich darauf antworte?“

„Ich kann Sie nicht zwingen, mir die Wohnung zu überlassen.“

„Aber Sie können mir untersagen, sie weiterzuvermieten. Und ich brauche das Geld. Es bleibt mir folglich nichts anderes übrig, als Ihr Angebot zu akzeptieren – obwohl es viel zu großzügig ist.“ Sie langte nach dem Türgriff und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Danke fürs Mitnehmen“, sagte sie kühl. „Wir sehen uns dann am Wochenende.“

Den Rest der Woche ging es bergab, und zwar schon von dem Zeitpunkt an, da Kree und Sebastian sich verabschiedet hatten. Auf dem Rückweg von Sydney hatte sie nach einer Kaffeepause Probleme mit dem Wagen. Es dauerte ewig, bis Pumpkin endlich ansprang. Als sie schließlich gegen Mitternacht wieder zu Hause war, fand sie eine Nachricht vor. Tina, ihre beste Haar-Stylistin, teilte ihr mit, dass sie kündigte, weil sie mit ihrem Mann Paul die Stadt verlassen wollte.

Am folgenden Tag erfuhr Kree, was dahintersteckte. Sebastian Sinclair hatte Paul, der bis dahin Manager von Heaslip’s in Plenty gewesen war, vor die Tür gesetzt. Die Nachricht überraschte sie umso mehr, da Sebastian und sie noch über Paul gesprochen hatten und mit keinem Wort davon die Rede gewesen war, dass Pauls Schicksal bereits besiegelt war.

Am Mittwoch trafen die Handwerker in der Wohnung im ersten Stock ein. Von den Malern einmal abgesehen, konnte Kree sich nicht vorstellen, was sie dort taten. Sie wusste nur, dass es für den Rest der Woche eine Menge Lärm und Dreck geben würde. Als die Handwerker am Freitagabend verschwunden waren, entschloss sie sich, oben nachzusehen. Teils aus Neugier, teils um noch einige ihrer persönlichen Sachen aus der Wohnung zu holen. Zu ihrem Ärger musste sie feststellen, dass ihre Schlüssel nicht mehr passten.

Sebastian Sinclair, du Aas! dachte sie. Er hatte die Schlösser austauschen lassen. Wäre sie nicht auf das Geld für die Miete angewiesen gewesen, hätte sie ihm gern mitgeteilt, dass er bleiben konnte, wo der Pfeffer wuchs. Da er jedoch praktisch ihr Hauswirt war – nicht nur für die Wohnung, sondern auch für ihren Frisiersalon – musste sie sich ihre Rachegelüste wohl oder übel verkneifen. Im Gegenteil, sie musste sogar noch freundlich sein, und das für mindestens zwei lange Monate.

Glücklicherweise gehörte es zu Krees Stärken, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie hatte sich das schon in jungen Jahren als Überlebenstaktik angewöhnen müssen. Und ihre Arbeit machte es notwendig, dieses Verhalten weiter zu vervollkommnen. Mittlerweile war sie so perfekt darin, dass auch die aufgeregtesten Kundinnen sie nicht aus der Fassung bringen konnten.

Kree war gerade unterwegs, um einige Besorgungen zu machen, als sie einen anthrazitgrauen Geländewagen der Nobelklasse in die Main Street einbiegen sah. Auch wenn es nicht der schwarze Jaguar war, erkannte sie den Fahrer sofort, und ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.

„Lächerlich!“, sagte sie leise.

Langsam rollte das Gefährt die Straße hinunter. Kree wollte weitergehen, aber ihre Füße gehorchten ihr nicht. Wie angewurzelt blieb sie am Straßenrand stehen. Der Wagen glitt vorbei, und sie fing einen Blick der beiden Insassen auf.

Torie Sinclair war um etliche Jahre älter, als Kree sie sich vorgestellt hatte. Und sie hatte die gleichen Augen wie ihr Vater – dunkel, tief liegend und ernst. Das Alter des Mädchens schätzte sie auf etwa fünfzehn, und ihrem finsteren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war Torie nicht gerade begeistert, nach Plenty zu kommen.

„He, Kree.“ Kree fuhr herum. Es war die Stimme ihrer Freundin Julia, die sie aus ihren Betrachtungen riss. „Was ist los? Hast du gerade ein Gespenst gesehen?“ So ähnlich war es Kree tatsächlich vorgekommen. Julia stand in der Tür des Studios.

„Kannst du für uns noch etwas Schokolade mitbringen?“

„Ich dachte, du wärst auf Diät?“

Julia grinste. „Wenn wir morgen im Pool ein paar Bahnen mehr schwimmen, haben wir das wieder abgearbeitet.“

„Wir?“

„Natürlich. Wenn ich dir heute schon im Salon aushelfe, kannst du mir morgen ruhig Gesellschaft leisten und mit ins Schwimmbad kommen.“

Die ersten vier Bahnen bewältigte Kree einigermaßen locker. Nach der fünften allerdings fühlte sie sich völlig ausgepumpt und japste nach Luft, entsetzt darüber, dass sie so außer Form war.

„Du musst ein bisschen mehr trainieren, dann geht es wieder“, ermunterte Julia sie.

„Ich bezweifle, dass der Mensch zum Schwimmen geschaffen ist“, keuchte Kree. „Da sind mir Spaziergänge mit eurem Hund lieber.“

„Die hat Zane übernommen. Du wirst dich schon ans Schwimmen gewöhnen.“

„Wenn Gott gewollt hätte, dass wir schwimmen, hätten wir eine Schwanzflosse und keine Füße.“

Julia lachte, verstummte aber sofort wieder. Wie hypnotisiert blickte sie zum entgegengesetzten Ende des Pools. Kree folgte ihrem erstarrten Blick. Dort stand am Beckenrand ein breitschultriger, gut einen Meter achtzig großer Mann, athletisch und durchtrainiert wie ein Zehnkämpfer, der im nächsten Augenblick mit einem Hechtsprung ins Wasser tauchte und in kräftigen, langen Zügen durchs Wasser glitt.

Es war niemand anderes als Sebastian Sinclair, der jetzt schon auf ihrer Seite angekommen war und nach einer perfekten Saltowende seinen Weg in entgegengesetzter Richtung fortsetzte. Kree eröffnete Julia, wen sie beide da bewunderten.

„Für ein Aas macht er aber einen recht lebendigen Eindruck. Vor allem kann das Aas schwimmen wie ein Fisch“, neckte ihre Freundin sie. Kree hatte ihr im Lauf der Woche die Geschichte mit der Kündigung und den ausgetauschten Schlössern berichtet.

„Deshalb bleibt er trotzdem ein Aas“, entschied Kree trotzig. „Ich habe mich für heute genug abgerackert. Jetzt lege ich mich in die Sonne.“ Damit kletterte sie aus dem Wasser. Nicht zuletzt, um weiteren Kommentaren Julias aus dem Weg zu gehen – und dem Flattern in ihrem Bauch, das sie spürte, seitdem sie Sebastians Luxuskörper erblickt hatte.

Auf dem Weg zu dem Platz auf dem Rasen, wo Julia und sie ihre Taschen abgestellt und ihre Handtücher ausgebreitet hatten, entdeckte sie Torie. Das Mädchen saß ganz allein da, auf dem Gesicht ein Ausdruck gelangweilter Gelassenheit. Aber ihre Körpersprache strafte die zur Schau gestellte Überlegenheit Lügen. Sie hatte die Beine dicht angezogen und die Arme um die Knie geschlungen. Wer diese Zeichen lesen konnte, verstand, dass sich der Teenager einsam und verloren vorkam.

Kree konnte die Zeichen lesen. Ihr wurde beklommen ums Herz. Nur zu gut konnte sie sich daran erinnern, wie einem Mädchen in Tories Alter zumute war, das allein und ohne Freunde in einer fremden Stadt festsaß. Unschlüssig verlangsamte Kree ihre Schritte. Eine innere Stimme warnte sie davor, sich einzumischen. Es ist bloß für ein paar Wochen, versuchte sie sich zu beschwichtigen. Sie wird es überleben. Aber in diesem Moment hob Torie den Kopf und warf Kree einen scheuen Blick zu. Noch während sie sich sagte, dass sie es bereuen würde, ging Kree auf Torie zu und hockte sich neben sie.

„Hi! Ich bin Kree O’Sullivan. Und du musst Torie sein, meine neue Nachbarin. Ich habe euch gestern ankommen sehen.“

4. KAPITEL

Torie war offensichtlich überrascht. Sie ließ ihre Knie los und sah Kree mit großen Augen an.

„Dann sind Sie die Friseuse?“, fragte sie vorsichtig.

„Stimmt.“

„Mein Vater hat mir von Ihnen erzählt.“

Kree horchte auf. „So? Was denn?“

„Ach, nichts weiter …“ Unwillkürlich suchte ihr Blick das Schwimmbecken ab.

Kree bereute ihre unbedachte Nachfrage. „Wahrscheinlich ist es besser, ich weiß das gar nicht“, sagte sie schnell.

Das Lächeln, das nun über Tories Gesicht huschte, veränderte ihre Erscheinung. Sie hatte tatsächlich die gleichen tiefblauen, fast schwarzen Augen wie ihr Vater, dazu dessen ungewöhnlich lange Wimpern und die hohen Wangenknochen. Ihr Haar war schwarz und kräftig mit einer leichten Naturkrause. Vielleicht hat sie ja das Glück, nicht auch noch die Arroganz ihres Vaters geerbt zu haben, dachte Kree, während sie das Wasser aus ihrem Haar wrang. Dann kämmte sie die feuchten Strähnen notdürftig mit den Fingern.

„Schönes Haar haben Sie. Es hat eine hübsche Farbe“, sagte Torie nach einer Weile, während sie Kree aufmerksam und ernst betrachtete.

„Ist nicht gerade in Bestform. Aber danke, trotzdem.“ Kree lächelte. „Ich werde es Mae-Lin weitersagen.“

„Wer ist Mae-Lin?“

„Meine Mitarbeiterin. Sie darf an mir immer mal etwas Neues ausprobieren.“

„Ist bestimmt ein toller Job.“

„Na ja, manchmal. Meistens ist es einfach harte Arbeit, von der einem abends die Füße wehtun.“ Kree fiel auf, dass in letzter Zeit, sie hätte nicht mal sagen können, seit wann, für sie die harte Arbeit überwog und die Freude daran in den Hintergrund getreten war. Vermutlich war die Veränderung eingetreten, seitdem sie sich Sorgen darüber machen musste, ob ihre Arbeit genug einbrachte, damit sie wenigstens das Nötigste bezahlen konnte – die Gehälter, die Miete, die Lieferanten und vielleicht gelegentlich auch mal einen doppelten Espresso.

„Hallo. Ich dachte, ich bring dir deine Sachen.“ Julia war neben ihnen aufgetaucht und ließ Krees Tasche, das Handtuch und die Sandaletten fallen. Dann warf sie einen fragenden Blick auf Torie.

„Julia, das ist meine neue Nachbarin, Torie Sinclair.“ Zu Torie gewandt fügte sie hinzu: „Das ist Julia, meine Fitnesstrainerin.“

„Sie haben ihre persönliche Trainerin?“, fragte Torie sichtlich beeindruckt.

„Sie hat das nicht so ernst gemeint“, sagte Julia. „Ich bin nur diejenige, die Kree öfter mal mitschleift, damit sie etwas für ihren Körper tut.“

„Julia ist eine sehr gute Freundin von mir – und obendrein meine Schwägerin“, erklärte Kree jetzt ernsthafter.

„Da du gerade meine Familie ansprichst, es wird höchste Zeit, mich zu Hause blicken zu lassen.“ Julia schlang sich ein Handtuch um die Hüften. Zu Torie gewandt fuhr sie fort: „Hat mich gefreut, dass wir uns kennengelernt haben. Wenn dir nervige kleine Kinder nichts ausmachen, komm uns doch mal besuchen.“

Torie sah ihr lange nach. „Sie hat ein Piercing im Bauchnabel“, sagte sie dann. Es klang fast vorwurfsvoll.

„Ja. Findest du das schlimm?“

„Nein, aber – sie hat doch Kinder, hat sie gesagt.“

„Richtig. Aber man kann doch Kinder haben und einen gepiercten Bauchnabel, findest du nicht?“

Wieder suchten Tories Augen das Schwimmbecken ab. „Ich darf mich nicht piercen lassen“, sagte sie leise.

Kree wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, legte sie sich umständlich neben Torie ins Gras und stützte die Ellbogen auf.

„Sie sind gar nicht gepierct, oder?“, wollte Torie wissen.

„Nein. Ich bin der Meinung, man muss im Leben genug Schmerzen ertragen. Da braucht man sich nicht noch freiwillig welche zuzufügen. Ich habe nicht einmal Ohrlöcher.“

„Aber wenn Sie es noch nie probiert haben, wie können Sie dann sagen, dass es wehtut?“

„Mir genügt, was Julia mir erzählt hat.“

„Mein Freund Jesse hat sich eine Augenbraue piercen lassen und gesagt, dass es überhaupt nicht wehgetan hat.“

Kree betastete die kleine Narbe, die, wenn man genau hinsah, ihre linke Braue in zwei Teile spaltete, entschloss sich aber, nichts davon zu sagen. Es wäre jetzt sowieso besser zu gehen, dachte sie, nachdem sie sich nun einander vorgestellt hatten.

Gerade wollte sie nach ihren Sachen greifen, da sah sie eine Gruppe Teenager ins Schwimmbad kommen und sah auch, wie Torie heimlich die Jugendlichen beobachtete und versuchte, ihr Interesse hinter einer gelangweilten Maske zu verbergen. Es schnürte Kree das Herz zusammen. Wieder dachte sie an früher, wie sie vor vielen Jahren hier angekommen war als Kind fast mittelloser Eltern in Secondhand-Kleidern, die seit Jahren aus der Mode waren. Die ersten Wochen waren die Hölle gewesen. Dann war Julia gekommen und hatte sich ihrer angenommen.

Sicher, die Sinclairs waren weder arm, noch waren sie dazu verurteilt, ewig in Plenty zu bleiben. Aber selbst dann konnten ein paar Wochen für ein junges Mädchen eine verdammt lange Zeit sein.

„Ist bestimmt blöd, neu in der Stadt zu sein“, bemerkte Kree nachdenklich, während sie die jungen Leute am Pool beobachtete. „Besonders in den Ferien. Sonst hat man wenigstens die Leute, mit denen man zur Schule geht.“

Einer der Jungen war ins Wasser gesprungen, sodass es nach allen Seiten spritzte. Die anderen folgten ihm mit großem Gejohle. Torie und Kree sahen ihnen eine Weile zu. Dann warf Torie verächtlich den Kopf in den Nacken und meinte: „Ich muss hier gar nicht unbedingt Freunde finden. Wir bleiben sowieso nicht lange.“ Es hätte überzeugender geklungen, wenn sie dabei nicht so sehnsüchtig zu den anderen gesehen hätte, die ihren Spaß hatten.

Kree folgte derweil mit den Blicken dem Schwimmer, der noch immer wie ein Uhrwerk seine Bahnen zog. „Dein Vater sagte etwas von ein paar Wochen?“

Torie zuckte die Achseln. „Das hängt von meiner Mutter ab. Eigentlich sollte ich den Urlaub mit ihr verbringen, aber sie musste plötzlich nach London.“

„Beruflich?“

„Meine Mutter arbeitet nicht. Sie besucht ihren augenblicklichen Freund. Der ist irgend so ein hohes Tier im diplomatischen Dienst und reist die ganze Zeit umher.“

Kree ließ sich durch den beiläufigen Tonfall des Mädchens nicht täuschen. Wie sehr hatte sie sich in Tories Alter selbst gewünscht, dass ihre Eltern ihre Bedürfnisse ernst nähmen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie es abgelaufen war. Torie hatte sich auf die Ferien mit ihrer Mutter gefreut, und die hatte sie im letzten Augenblick im Stich gelassen. Und nun saß Torie hier in einer wildfremden Stadt, mehr oder weniger auf sich allein gestellt.

Kree wusste, dass es verkehrt war, sich einzumischen. Aber das Mädchen tat ihr leid. Sie streckte die Hand nach Tories Haar aus und ließ prüfend eine Strähne durch ihre Finger gleiten. „Die Spitzen müssten mal wieder geschnitten werden“, bemerkte sie. „Dazu vielleicht ein paar Strähnchen … Es ließe sich schon etwas daraus machen.“

Torie war zuerst bei der Annäherung zusammengezuckt, aber als sie das hörte, hellte sich ihre Miene auf. „Meinen Sie?“

„Bestimmt. Wenn du dich oben eingerichtet hast, komm doch einfach zu mir in den Salon, und wir schauen nach, wann es am besten für uns beide passt. Ich mache dir natürlich einen Freundschaftspreis.“

Das freudige Strahlen auf dem Gesicht des Mädchens verflog schnell wieder. „Ich muss erst meinen Vater fragen.“

Kree fand es schade, dass das Lächeln wieder verschwunden war, das diesem jungen Gesicht so gut stand. Sie hätte es gern noch einmal gesehen. „Soll ich deinem Vater das auch einmal anbieten? Und wenn er sich darauf einlässt, macht Mae-Lin ihm eine Punk-Frisur. Glaubst du, das steht ihm?“

Torie kicherte verstohlen hinter der Hand. Auch Kree musste lachen. Sie lachten beide noch, als plötzlich ein Schatten auf sie fiel. Kree schrak zusammen. Das Lachen blieb ihr im Halse stecken. Aus ihrer Perspektive wirkte Sebastian noch größer und finsterer. Dazu kam, dass sie seine athletische Gestalt nun fast nackt vor sich hatte, die Haut mit Wassertropfen bedeckt, die in der Sonne glitzerten. Einen Augenblick lang starrte Kree ihn fassungslos an.

„Wie ich sehe, haben meine Tochter und Sie sich schon bekannt gemacht“, sagte er und bückte sich dabei nach seinem Handtuch.

Kree war bemüht, sich ihr Interesse nicht anmerken zu lassen, mit dem sie beobachtete, wie er sich abtrocknete. „Ja, Torie hat heute ein paar Leute aus Plenty kennengelernt. Außer mir noch meine Freundin Julia.“

In frostigem Ton forderte Sebastian seine Tochter auf, ihre Sachen zusammenzupacken. Kree war ernüchtert. Was bildete er sich ein? Gönnte er Torie das bisschen Vergnügen nicht, oder fürchtete er, sie, Kree, würde versuchen, sich bei ihr einzuschmeicheln? Sie hatte große Lust, ihm unverblümt zu sagen, was sie von seinem Benehmen hielt.

Torie zuliebe verzichtete sie darauf. „Wollen Sie sich nicht erst setzen und ein wenig verschnaufen nach den vielen Bahnen, die sie geschwommen sind?“, fragte sie stattdessen betont freundlich.

Sebastian kniff nur kurz die Augen zusammen. Ansonsten schien er ihre Aufforderung überhört zu haben. „Bist du bald fertig, Torie?“

„Heute kam ein Anruf von meiner Mutter. Da gibt es hinterher immer Stress“, riskierte Torie eine Erklärung, die für Kree bestimmt war. Auch darauf reagierte Sebastian nicht.

Kree wunderte sich über seine Schroffheit. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Torie ihm irgendetwas getan hatte. Außerdem, wo war der Mann mit den perfekten Manieren geblieben, der sich jederzeit zu hundert Prozent unter Kontrolle hatte? Ihr Ärger wuchs. „Ja, ja. Immer in Eile. Termine, Termine“, spottete sie. „Gibt es wieder jemanden, den Sie aus Plenty verjagen müssen?“

Sebastian hatte sich schon zum Gehen gewandt. Jetzt blieb er stehen und drehte sich langsam zu ihr um. „Wie bitte?“

„Ich sagte …“

„Ich habe gehört, was Sie gesagt haben. Ich frage mich, was Sie damit meinten.“

„Ich meinte die Dedinis. Ich dachte, das wäre klar.“

„Paul Dedini ist aus der Stadt verschwunden?“

„Und mit ihm die ganze Familie einschließlich seiner Frau, die meine beste Stylistin gewesen ist. Wenn Sie jemanden in den Hintern treten, dann richtig, nicht wahr?“

Er zog die Brauen zusammen. Seine dunkelblauen Augen funkelten gefährlich. Es gab Kree eine gewisse Genugtuung, zu sehen, dass Mr Cool doch einmal Emotionen zeigte.

„Meinen Sie nicht, wir sollten diese Unterhaltung an einem geeigneteren Ort fortsetzen?“, fragte er.

Sie musste ihm recht geben. Das Thema eignete sich nicht für Tories Ohren und ebenso wenig für andere Leute, die ihnen womöglich zuhörten. „Sehr gern“, antwortete sie. „Ich bin heute Nachmittag im Salon, und ab fünf hätte ich Zeit.“

Er nickte.

„Ach, noch eine Sache. Sie haben ein neues Schloss in die Wohnungstür einsetzen lassen?“

„Ja. Sagten Sie nicht bei unserer ersten Begegnung, es müsste repariert werden?“

„Es wäre nur nett gewesen, Sie hätten mich darüber informiert, dass Sie es auswechseln lassen.“ Zu Torie gewandt sagte sie: „Tut mir leid, dass wir so viel übers Geschäft geredet haben. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen. Wir sehen uns bald, ja?“

Das Mädchen machte eine schüchterne Handbewegung zum Abschied. Wie viel von der Anspannung, unter der ihr Vater stand und die er hinter seiner kühlen Korrektheit verbarg, muss Torie erdulden? fragte sich Kree. Sie konnte es sich nicht verkneifen, ihn ein klein wenig zu ärgern. „Und – Sebastian …“, rief sie ihm nach.

Noch einmal blieb er stehen, drehte sich um und sah sie fragend an.

„Seien Sie pünktlich“, fügte sie mit einem sarkastischen Lächeln hinzu.

Krees Spott beschäftigte Sebastian noch eine ganze Weile. Dennoch widerstand er der Versuchung, sie am Nachmittag warten zu lassen. Schon um nicht den Anschein zu erwecken, er würde auf ihr Spielchen eingehen. Sie hatte ihm zugesetzt im Schwimmbad – nicht nur, weil sie offenbar mühelos einen Draht zu Torie bekommen hatte, worum er sie insgeheim beneidete, sondern auch, weil er in seiner knappen Badehose Mühe hatte zu verbergen, dass ihn ihr Anblick in ihrem Bikini nicht kaltließ.

Unwillig schüttelte er den Kopf, als er die Treppe zum Frisiersalon hinunterging. Er musste sich besser in der Gewalt haben und bei Gelegenheiten wie diesen einfach wegsehen. Selbstbeherrschung war immer seine Maxime gewesen.

Noch etwas bereitete ihm Sorgen. Es war Paul Dedinis plötzliches Verschwinden. Bisher hatte er den Mann einfach für unzuverlässig und nachlässig gehalten. Der überstürzte Aufbruch ließ nun jedoch sämtliche Alarmglocken bei ihm klingeln. Gleich morgen früh, hatte er sich vorgenommen, würde er sämtliche Bücher der hiesigen Heaslip’s-Filiale in seine Kanzlei schaffen lassen. Dann sollte Michael, sein Chefbuchhalter, die Unterlagen auf Unregelmäßigkeiten durchforsten. In der Zwischenzeit konnte es nicht schaden, wenn er sich selbst ein Bild von den Hintergründen dessen machte, was hier in Plenty abgelaufen sein könnte. Gleich bei Kree damit anzufangen schien ihm nicht die schlechteste Idee. Sie kannte Paul, weil sie mit ihm ihre Miete und Betriebskosten abgerechnet hatte. Sie hatte Pauls Frau beschäftigt, und außerdem sprach sie ziemlich frei von der Leber weg.

Sebastian fand die Hintertür zum Salon offen. Er trat ein und stellte befremdet fest, dass Kree, die allein in ihrem Laden war, sein Kommen gar nicht bemerkt hatte. Aus den im Raum verteilten Lautsprechern drang laute Musik, und sie war dabei, die Wandspiegel zu putzen. Dabei wiegte sie die Hüften zum Rhythmus der Musik.

Sebastian ging zur Stereoanlage und drückte auf den Aus-Knopf. Kree hatte ihn im Spiegel kommen sehen, ließ sich aber nicht stören. Unbeeindruckt setzte sie ihre Arbeit fort. Ein Streifen Haut blitzte zwischen ihrem Top und den Shorts auf, als sie sich reckte, um die obere Kante des Spiegels zu erreichen.

Unwillig ließ sich Sebastian auf einem Sessel nieder. „Halten Sie es für klug, die Tür sperrangelweit offen zu lassen, sodass jeder x-Beliebige hier hereinspazieren kann, ohne dass Sie das bei diesem Krach merken?“

„Erstens geht die Tür nach hinten raus. Und zweitens habe ich Sie erwartet.“

„Ich hätte anklopfen können.“

„Ich hätte das vermutlich nicht gehört.“

„Das sag ich ja. Was, wenn ich plötzlich hinter Ihnen gestanden und Ihnen ein Messer an den Hals gehalten hätte?“

„Ich dachte, Sie sind auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert“, witzelte Kree.

„Ich bin auf Risiken spezialisiert. Und ich halte es für ein Risiko, wenn Sie hier mit der Tageskasse allein sind und nicht einmal hören, wenn jemand hereinkommt.“

„Bei dem, was in der Kasse ist, ist das Risiko nicht besonders groß.“ Dann fasste Kree ihn scharf ins Auge, wobei sie die Hände in die Seiten stemmte. Der freundliche Spott war aus ihrer Stimme verschwunden. „Was ist eigentlich los? Vorhin im Schwimmbad meckern Sie mit Torie herum, jetzt mit mir. Hat Ihre Frau Sie wieder angerufen? Wenn Sie so weitermachen, kommen Sie in dieser Stadt nicht weit.“

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Claire aus dem Spiel ließen.“

Kree starrte ihn für einen Moment ungläubig an, dann lachte Sie kurz auf. „Claire? Wollen Sie damit sagen, Sie sind mit Claire Heaslip verheiratet?“

„Ich war es.“

Autor

Sandra Steffen
Sandra Steffen ist in einer idyllischen Gegend aufgewachsen, die sie schon im jungen Alter zum Schreiben inspiriert hat. Später heiratete sie ihre Jugendliebe, und gemeinsam bekamen sie und ihr Mann vier Söhne, die Sandras erklärte Helden sind. Inzwischen haben diese ihrer Mutter auch schon bezaubernde Enkel geschenkt, um die sie...
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