Baccara Exklusiv Band 171

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NUR BEI DIR BIN ICH ZU HAUSE von CHILD, MAUREEN
Endlich wieder zu Hause! Zuerst will Hunter Cabot sich erfrischen, eilt ins Bad - und traut seinen Augen kaum. Denn unter seiner Dusche steht eine bildhübsche, tropfnasse Frau. Hunter kann es nicht fassen - und noch weniger, wie sie behaupten kann, seine Ehefrau zu sein!

EIN REIZVOLLES ANGEBOT von ROSE, EMILIE
Was hat sein Vater sich bloß bei dem Testament gedacht? Rand soll nur erben, wenn er ein Jahr lang mit seiner Ex zusammenarbeitet? Ausgerechnet mit Tara! Fünf Jahre haben sie sich nicht gesehen. Trotzdem ist Rand hin- und hergerissen, als sie ihm ein reizvolles Angebot macht …

VERLIEBT IN DEN CHEF? von GRADY, ROBYN
Tristan traut seinen Augen kaum: Aus seiner unscheinbaren Angestellten Ella ist offenbar über Nacht eine anziehende, äußerst sinnliche Schönheit geworden! Eine sexy Frau, in die er sich Hals über Kopf verlieben könnte. Doch Tristan spürt, dass Ella ein düsteres Geheimnis hütet …


  • Erscheinungstag 24.08.2018
  • Bandnummer 0171
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725112
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Emilie Rose, Robyn Grady

BACCARA EXKLUSIV BAND 171

1. KAPITEL

Hunter Cabot, Navy Seal, hatte eine frische Schussverletzung, dreißig Tage Urlaub und eine Ehefrau, die er nicht kannte. Auf dem Nachhauseweg in seine Heimatstadt Springville, Kalifornien, machte er Halt an Charlie Evans Tankstelle. Und dort begann der ganze Ärger.

„Hunter! Schön, dich zu sehen, Mann! Margie hat uns gar nicht erzählt, dass du nach Hause kommst.“

„Margie?“ Hunter lehnte sich an seinen schwarzen Pick-up und stöhnte kurz auf, weil seine Wunde bei der Bewegung schmerzte. Dann betrachtete er schweigend den Mann, den er seit der Highschool noch nie anders als in seiner Tankwartuniform gesehen hatte.

Kopfschüttelnd grinste Charlie und füllte den Tank auf. „Schätze, deine Frau wollte die kleine Auszeit allein mit dir genießen, was?“

„Meine …“ Hunter war sprachlos. „Frau?“ Er war nicht verheiratet. „Hör mal, Charlie …“

„Schon gut, mach ihr deswegen keinen Stress“, versuchte sein Freund ihn zu beruhigen, während er den Zapfhahn wieder zur Tanksäule zurückführte. „Ist ja auch nicht einfach, als Elitesoldat ein ordentliches Liebesleben zu führen.“

Bis jetzt habe ich eigentlich keinen Grund zur Klage gehabt, dachte Hunter, während er Charlie entgeistert anstarrte. „Wie kommst du darauf …“

„Ich wette, Margie ist schon ganz schön aufgeregt, dich wiederzusehen. Sie hat uns alles über eure Hochzeitsreise nach Bali erzählt.“ Charlie zwinkerte ihm anerkennend zu.

„Charlie …“

„Hey, schon in Ordnung, du musst nichts sagen, Mann.“

Was, zum Teufel, hätte er auch sagen sollen? Hunter schüttelte den Kopf, zahlte und kam zu dem Schluss, dass Charlie langsam den Verstand verlor. Musste wohl an den ständigen Benzinausdünstungen liegen.

Doch Charlie war offenbar nicht der einzige Verrückte. Als Hunter vor der roten Ampel an der Hauptstraße wartete, winkte ihm plötzlich Mrs. Harker, seine alte Lehrerin, lächelnd zu. Mittlerweile musste sie an die hundert Jahre alt sein. Die alte Dame blieb mitten auf der Kreuzung stehen und rief freudig: „Hunter Cabot, du hast eine wundervolle Frau. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.“

Missmutig nickte er ihr zu – schon damals war sie der einzige Mensch auf der Welt gewesen, der es geschafft hatte, ihm Angst einzujagen. Was war hier los? Waren denn alle außer ihm verrückt geworden?

Allmählich bekam er schlechte Laune. Bevor er endlich weiterfahren konnte, musste er noch ein paar Bemerkungen zu „seiner Frau“ über sich ergehen lassen. Dann erreichte er endlich die Auffahrt, die zum Anwesen der Cabots führte. Hunter hatte nicht die leiseste Ahnung, was hier vor sich ging, aber er würde es herausfinden. Und zwar so schnell wie möglich.

Nachdem er ausgestiegen war, schnappte er sich seinen Seesack und marschierte in das schlossartige alte Gebäude an der Haushälterin vorbei, die aufgeregt hinter ihm herrannte. „Mister Hunter!“

„Entschuldige, Sophie“, rief er ihr zu, während er zwei Stufen auf einmal nahm. „Erst brauch ich eine Dusche. Dann reden wir.“

Entschlossen ging er den langen Flur entlang, der mit dicken Teppichen ausgelegt war und zu seinen Wohnräumen führte. Nachdem er einige Türen hinter sich gelassen hatte, betrat er schließlich sein Schlafzimmer. Hunter schmiss den Seesack auf den Boden und hielt abrupt inne. Im Badezimmer lief die Dusche. Seine Frau?

Mit einer Mischung aus Ärger und Neugier ging er schnurstracks auf die Badezimmertür zu.

Als er sie aufstieß, wurde er sogleich von Wasserdampf eingehüllt, und eine Frau sang unmelodisch vor sich hin. Es handelte sich zweifellos um Margie.

Hunter ging durch den Raum, riss die Tür der Duschkabine auf und starrte auf den nassen Körper einer verführerisch schönen Frau.

Erschrocken drehte sie sich um und stieß einen verängstigten Schrei aus. Gleichzeitig versuchte sie, mit den Händen ihre Blöße zu bedecken.

Hunter grinste. „Tag, Schatz. Ich bin wieder da.“

„Wer … was … wie …“, stammelte sie.

„Aber Schatz“, antwortete er langsam und genoss dabei ihre Reaktion, „begrüßt man so seinen Ehemann?“

„Ich … ich …“

Er hatte sie aus der Fassung gebracht, so viel war klar. Nervös sah sie sich um, als suche sie nach einem Fluchtweg.

Aber da war keiner. Er würde sie so lange zappeln lassen, bis er eine Antwort von ihr bekäme. Egal, wie unangenehm das für sie war. Das war die Mindeststrafe für jemanden, der schamlos behauptete, seine Frau zu sein.

Während sie hilflos in der Duschkabine stand, sah Hunter sich um. Er erkannte sein Bad kaum wieder. Überall standen Cremedosen und Parfumflakons. Ohne die war eine Frau offenbar nicht lebensfähig. Außerdem vermisste er seine geliebten schwarzen Handtücher, die durch marineblaue ersetzt worden waren. Die Krönung aber war eine Blumenvase, die auf seinem Waschtisch aus Marmor stand.

Es sah ganz danach aus, als hätte sie sein Haus mit ihrem ganzen Kram in Beschlag genommen. Was wiederum hieß, dass sie seinen Großvater angelogen haben musste. Verdammt.

Diese nackte, wohlgeformte Frau, die so reizvoll vor ihm stand, hatte tatsächlich die Dreistigkeit besessen, einen alten Mann zu belügen. Wahrscheinlich hatte sie mit aller Raffinesse sein Vertrauen erschlichen. Wie auch immer. Ihr Spiel war aus. Ihr gutes Aussehen würde ihr nicht weiterhelfen, denn er war vollkommen immun dagegen. Na ja, vielleicht nicht vollkommen, aber immer noch genug, um nicht Gefahr zu laufen, sich den Kopf verdrehen zu lassen.

Als er einen Schritt näher trat, nahm er ihren provozierend verführerischen Duft wahr. Jasmin, tippte er. Es war schon eine Weile her, dass er eine Frau gehabt hatte. Er hatte sich auf seine militärischen Einsätze konzentrieren müssen. Doch hier war dieser warme, nackte Körper einer atemberaubenden Frau, nur eine Armlänge von ihm entfernt. Ihr Anblick erregte ihn.

Sie sah ihn an wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlage.

„Was denn, kein Kuss?“, fragte er und trat langsam noch einen Schritt näher an sie heran. Wenn sie jetzt einen Arm sinken ließ, würde sein Blick direkt auf ihre üppigen Brüste fallen. „Hast du mich denn gar nicht vermisst, Schatz?“

Verzweifelt schaute sie sich um, aber nachdem ihr klar wurde, wie aussichtslos das war, sah sie ihn direkt an. Durch ihre Bewegung spritzten winzige Tropfen aus ihrem roten, lockigen Haar in Hunters Gesicht.

„Sie bleiben, wo Sie sind, Sie … Wüstling.“

„Wüstling?“ Er unterdrückte ein Lachen und wischte sich mit einer Hand die Wassertropfen aus dem Gesicht. „Ich bin doch nur ein Ehemann, der seine Frau begrüßen will.“

„Vergessen Sie’s.“ Schnell langte sie an ihm vorbei und schnappte sich eines der Handtücher, das sie sich in Sekundenschnelle um den Körper wickelte.

Zu schade. Hunter hatte der Anblick durchaus gefallen. Zumindest hatte „seine Frau“ einen Körper, dessen wohlproportionierte Rundungen bestimmt jeder Mann gern erforscht hätte.

Sie versuchte tapfer, ihm direkt in die Augen zu sehen, was etwas schwierig war, da sie einen ganzen Kopf kleiner war als er. Die Kälte, die in ihren smaragdgrünen Augen lag, hätte einen schwachen Mann sofort zu Eis erstarren lassen. Doch Hunter war alles andere als beeindruckt. Ebenso eisig erwiderte er ihren Blick. „Wer, zum Teufel, sind Sie?“

„Wer ich bin?“ Empört drehte sie ihren Kopf zur Seite, und wieder landeten einige Tropfen auf Hunters Gesicht. Aufgebracht verknotete sie die Enden des Handtuchs über ihren Brüsten. Doch sie atmete so heftig, dass ihr Schutzschild aus Stoff nicht lange zu halten versprach. „Ich war in meinem Badezimmer, um eine Dusche zu nehmen und meinen Gedanken nachzugehen, bis … oh Gott.“ Mit großen Augen sah sie ihn an. „Sie … Sie haben mich zu Tode erschreckt und …“

Er warf einen weiteren Blick auf ihren spärlich bekleideten Körper. „Süße, wenn Sie sich erschrocken haben, dann ist das nicht meine Schuld. Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie es ist, wenn Ihnen, verdammt noch mal, an jeder Ecke in der Stadt gesagt wird, dass zu Hause Ihre Ehefrau wartet?“

„Du meine Güte …“

„Das trifft’s ganz gut“, erwiderte Hunter und ging einen Schritt auf sie zu. Seine Stimme war erstaunlich ruhig. „Hören Sie, ich habe einen Monat Urlaub. Ich wollte nach Hause fahren und mich ein bisschen erholen, etwas Zeit mit meinem Großvater verbringen.“ Er ging langsam um sie herum und genoss ihren forschenden Blick, mit dem sie seine Bewegungen verfolgte.

„Können Sie sich vorstellen, wie überrascht ich war, als mir jeder hier versicherte, wie aufgeregt meine Frau sei, mich wiederzusehen?“

„Ehrlich gesagt, nein. Also, ich meine, ich bin nicht aufgeregt“, fügte sie hinzu. „Eher verwirrt. Oder nein, wütend.“

„Das darf ja wohl nicht wahr sein.“ Hunter blieb direkt vor ihr stehen und versuchte sich vor ihr aufzubauen, was nicht besonders schwer war. Da er größer als „seine Frau“ war, musste sie ihren Kopf heben, um ihn anzusehen.

„Sie glauben also, Sie haben ein Recht darauf, wütend zu sein?“

„Würden Sie das etwa nicht, wenn ein Fremder wie in Psycho in Ihr Badezimmer geschlichen kommt?“

Dafür, dass sie angeblich so ängstlich war, scheint sie jetzt wieder erstaunlich gefasst, dachte Hunter. „Sie sind hier der Eindringling, Süße, nicht ich.“

„Tatsächlich?“ Sie rümpfte die Nase und stemmte beide Hände in die Hüfte.

„Tatsächlich. Sie wissen ganz genau, dass wir beide nicht verheiratet sind. Warum geben Sie nicht einfach zu, dass Sie eine Betrügerin sind? Und sagen mir, wie Sie es, verdammt noch mal, geschafft haben, dass mein Großvater sie ins Haus gelassen hat?“ Je mehr er darüber nachdachte, desto wütender wurde er. „Simon würde sich niemals um den Finger wickeln lassen. Bestimmt sind Sie eine gerissene Heiratsschwindlerin.“

„Heiratsschwindlerin?“ Energisch stieß sie ihm mit beiden Händen vor die Brust. Hunter ließ das kalt, er bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Dass bei ihrer Bewegung allerdings das Handtuch etwas herunterrutschte, ließ ihn hoffen, noch mehr zu sehen zu bekommen.

„Wenn Sie glauben, durch ihr albernes Verhalten mein Mitleid zu erregen“, antwortete Hunter und blickte auf das Handtuch, das langsam weiter nach unten rutschte, „haben Sie sich geirrt.“

Sie kochte vor Wut. Hunter konnte förmlich sehen, wie ihre kleinen grauen Zellen auf Hochtouren arbeiteten.

„Simon wusste nichts von Ihrem Besuch.“ Sie blitzte ihn an. „Und hören Sie auf, mich ‚Süße‘ zu nennen.“

„Ich nenne Sie, wie ich will. Und Sie können froh sein, dass ich nicht die Polizei rufe.“

Sie war sprachlos.

„Und so wie ich das sehe, war es gut, dass Simon nichts davon wusste“, fügte er mit eiskaltem Blick hinzu. „Denn eine Betrügerin auf frischer Tat zu ertappen ist wohl kaum möglich, wenn sie weiß, dass du schon unterwegs bist.“

„Ich bin keine … Sie verwirren mich, wissen Sie das?“ Während sie ihren Kopf nach hinten neigte, fielen ihre feuchten Haare wie ein dichter Vorhang über ihren Rücken. „Jemand hätte mich warnen sollen, dass Sie so unverschämt sind. Aber wahrscheinlich haben es alle hier schon wieder vergessen, so selten, wie Sie herkommen.“

„Ich bin doch hier“, rechtfertigte er sich und versuchte dabei, das schlechte Gewissen, das ihn überkam, zu ignorieren. Nein, wirklich oft kam er nicht nach Springville. Die meist Zeit war er auf dem Stützpunkt oder auf geheimen Einsätzen. Musste er die wenige Zeit, die ihm am Wochenende blieb, auch noch damit verbringen, sich ins Auto zu setzen, um hierherzukommen und gleich wieder zurückzufahren? Wohl kaum. Außerdem ging es diese Frau nichts an, wo er sein Leben verbrachte.

„Hier geht es nicht um mich, Süße.“ Er ließ sich das Wort buchstäblich auf der Zunge zergehen, als er sah, wie sie ihr Gesicht verzog, während er es aussprach. „Jetzt reden wir mal Klartext. Was fällt Ihnen eigentlich ein? Warum sind Sie hier? In meinem Bad? Warum erzählen Sie jedem, dass wir verheiratet sind?“

„Ihr Bad“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und wieder rutschte ihr Handtuch ein paar Zentimeter weiter nach unten und gab den Blick auf ihre Brüste frei.

Fasziniert betrachtete Hunter die zarten Spitzen, als das Handtuch zu Boden fiel. Augenblicklich spürte er die Erregung, die der Anblick in ihm weckte, während sie, leise vor sich hin fluchend, nach dem Handtuch griff und sich wieder darin einhüllte.

„Ihr Bad. Das ist wirklich gut. Bereits seit einem Jahr lebe ich hier, stellen Sie sich vor“, fügte sie sarkastisch hinzu, „und ich habe Sie hier noch nie gesehen.“

Ein Jahr? Seit einem Jahr machen Sie sich in meinem Haus breit und tun so, als seien Sie meine Frau?“

War es wirklich schon wieder so lange her? Aber er hatte doch alle paar Wochen mit Simon telefoniert. Mit keiner Silbe hatte der alte Mann diese Frau erwähnt.

Erpresste sie seinen Großvater? Schwer vorstellbar. Simon Cabot war unbestechlich und zäh wie Leder. Allerdings war er auch älter geworden. Vielleicht …

Außer sich vor Zorn ging er noch einen Schritt auf sie zu. Zumindest bewies sie Mut, das musste er ihr lassen. Obwohl sie kleiner war als er, außerdem nackt und verletzbar. Sie fixierte ihn mit einem Blick, der sagte, dass er besser die Finger von ihr lassen sollte. Es war fast so, als würde man einem Pudel dabei zusehen, wie er sich in einen Pitbull verwandelte.

Aber jetzt reichte es. „Der Spaß ist vorbei, Süße. Was immer Sie vorhatten, Sie sind geliefert. Und sollte ich herausfinden, dass Sie meinem Großvater auch nur zwanzig Cent gestohlen haben, dann wird Ihr kleiner netter Hintern im Gefängnis landen.“

Während der Wasserdampf sich langsam verzog, war deutlich zu sehen, dass sie eine Gänsehaut hatte. Trotzdem sah sie ihn erhobenen Hauptes an: „Ich werde dieses Gespräch nicht weiterführen, solange ich nackt bin.“

„Meinetwegen. Aber Sie werden diesen Raum auch nicht eher verlassen, bis ich eine Erklärung habe.“

„Sie sind also doch ein Unmensch.“

„Wie bitte?“ Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

„Ist das so ein Militär-Ding? Sie stoßen Ihr Befehlsgebrüll aus, und wir armen Zivilisten müssen bedingungslos gehorchen? Mir können Sie gar nichts befehlen. Sie sollten sich wirklich schämen.“

„Schämen? Und Sie sollten sich zurückhalten, Süße“, erwiderte er gereizt.

„Jetzt reicht’s! Ich muss mich nicht länger von Ihnen beleidigen lassen.“ Während sie sich an Hunter vorbeidrängte, gab sie ihm einen gezielten Schubs, der ihn zur Seite treten ließ.

Die Bewegung löste einen unerwarteten Schmerz in seiner Seite aus, und er legte automatisch seine Hand auf die verwundete Stelle. Bevor sie an ihm vorbei aus dem Badezimmer rauschte, schaffte sie es mit erstaunlicher Grazie, sich blitzschnell wieder in das Handtuch zu hüllen. Zielstrebig steuerte sie auf seine Kommode zu.

„Bestimmt bedienen Sie sich auch bei meinen alten T-Shirts und Boxershorts, oder?“, fragte er trocken.

Über die Schulter hinweg sah sie ihn an. „Ich habe Ihre schmuddeligen alten Sachen schon längst in die unterste Schublade verbannt.“

„Schmuddelig?“

„Wie würden Sie denn T-Shirts bezeichnen, die nur noch aus Löchern bestehen?“

„Als meine.“

Sie ignorierte ihn einfach und wühlte in einer offenen Schublade. Mit einem blassblauen BH und dem passenden Slip verschwand sie schließlich in das Umkleidezimmer, das sie hinter sich abschloss.

Also würde er ihr nicht dabei zusehen können, wie sie sich umzog. Schade. Gegen einen weiteren Blick auf ihren kurvigen Körper hätte er nichts gehabt. Schließlich war er auch nur ein Mensch, oder? Und ein Mann mit einer Vorliebe für perfekte weibliche Rundungen. Wer immer sie sein mochte, ihr Körper war verdammt noch mal perfekt.

Instinktiv rief er sich das letzte Bild von ihr vor Augen. Er dachte an die helle Haut, die zarten Brustknospen und ihren Po, der zum Anfassen geradezu einlud.

Er versuchte, die erregenden Gedanken, die sein Hirn umnebelten, zu verscheuchen. Disziplin war schließlich das oberste Gebot eines Navy Seals.

„Was machen Sie eigentlich hier?“, hörte er ihre Stimme aus den Tiefen des Ankleidezimmers.

„Das ist mein Zuhause, Süße.“

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. Dann hörte er, wie sie Kleidung vom Bügel nahm, dann einen dumpfen Aufschlag und einen unterdrückten Schmerzensschrei.

„Und was machen Sie da?“, fragte er.

„Mir meine Zehen brechen“, kam es genervt zurück.

Hunter blickte zur Tür des begehbaren Kleiderschranks. Während er mit halbem Ohr auf die Geräusche darin achtete, musterte er das Zimmer, in dem er aufgewachsen war. Er war so beschäftigt gewesen mit dem ganzen „Ehefrau“-Ärger, dass er noch gar nicht dazu gekommen war, sich dem Raum zu widmen, der ganz anders aussah als früher.

Die Wände waren jetzt grün, nicht mehr beige. Auch der Teppich war grün und nicht mehr braun. Eine Spitzendecke war über das Kingsize Bett ausgebreitet, das er sich mit siebzehn Jahren selbst ausgesucht hatte. Das Kopfteil wurde von einem ganzen Bataillon Kissen verdeckt. Weiße, hauchzarte Vorhänge flatterten vor den Fenstern, von denen aus man den Garten auf der Rückseite des Anwesens überblicken konnte.

Wie hatte er das nur übersehen können? Er, dessen Überleben oft von seiner genauen Beobachtungsgabe abhing? „Was, um Himmels willen, haben Sie diesem Zimmer angetan?“

Als sie aus dem Umkleidezimmer trat, drehte er sich um, um sie zu begutachten. Sie trug ein gelbes T-Shirt, ausgewaschene Jeans, die die Form ihrer Beine betonten, und ein Paar Sandaletten, durch die sie einige Zentimeter größer war. Ihre grünen Augen hatte sie zusammengekniffen, die vollen Lippen aufeinandergepresst, und irgendwie schien sie es geschafft zu haben, das feuchte Durcheinander ihrer Lockenmähne zu bändigen. Als sie ihre Arme vor der Brust verschränkte, fiel sein Blick auf ein breites goldenes Schmuckstück an ihrem Ringfinger.

Zum Teufel.

Margie ließ ihn ebenfalls nicht aus den Augen. Der beunruhigenden Hitze, die plötzlich in ihr aufstieg, während sie ihn ansah, versuchte sie keine Beachtung zu schenken. Misstrauisch sah er sie an, sein Blick starr auf sie gerichtet. Sie spürte, wie angespannt er war. Hunter Cabot war um einiges größer, als sie gedacht hatte. Nicht nur schlank und durchtrainiert. Seine Schultern waren breit, und seine Brust und Arme sahen aus, als würde er die meiste Zeit mit nichts anderem als mit Hanteltraining verbringen. Seine Jeans verrieten, dass selbst seine langen Beine muskulös waren.

Beeindruckend. Und auch ein wenig – nein, ganz schön – Respekt einflößend. Natürlich würde sie sich nicht anmerken lassen, wie nervös er sie machte. Schließlich hatte sie sich nichts zuschulden kommen lassen.

„Und?“ Er sah sie direkt an. Darin war er wirklich gut. „Wer hat Ihnen erlaubt, mein Zimmer mit dem ganzen Mädchenkram zu verunstalten?“

Für Margie war Angriff schon immer die beste Verteidigung. Gelernt hatte sie das von einem Anwalt, für den sie mal gearbeitet hatte, und bisher hatte es immer ganz gut geklappt.

„Das war Ihr Großvater“, antwortete sie hitzig. „Können Sie sich erinnern? Der einsame ältere Herr, den Sie nie besuchen?“

„Was erlauben Sie sich? Sie haben kein Recht, mir Vorwürfe zu machen.“

„Tatsächlich?“ Sie marschierte direkt auf ihn zu, und jeder ihrer Schritte verriet ihre Wut, die sie sich für Hunter aufgespart hatte, seit sie für seinen Großvater arbeitete. „Hören Sie gut zu, Captain Hunter Cabot. Ich habe sehr wohl das Recht, Ihren Großvater in Schutz zu nehmen, weil ich die Einzige war, die an seinem Bett saß, nachdem er einen Herzinfarkt erlitten hatte, an dem er fast gestorben wäre.“

Er errötete. Vor Zorn oder Scham?

„Und warum waren ausgerechnet Sie die Einzige?“

Margie seufzte ungeduldig. Eigentlich war es nicht ihre Aufgabe, ihm das zu erklären. Simon hatte ihr versprochen, mit seinem Enkel zu sprechen, bevor er zurückkehren würde. Doch Hunters überraschende Ankunft hatte alles auf den Kopf gestellt.

„Ich bin Simons persönliche Assistentin.“

„Seine Sekretärin?“

„Assistentin“, korrigierte sie ihn. „Ich war hier bei ihm, als er den Infarkt erlitten hat. Wir haben versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, aber – welch Überraschung – wir konnten Sie nirgends finden.“

„Moment mal …“

„Nein“, fiel sie ihm ins Wort, „Ihre Redezeit ist zu Ende, jetzt bin ich an der Reihe. Sie sind so gut wie nie hier. Sie rufen kaum an. Ihr Großvater vermisst Sie. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, warum …“

„Das geht Sie überhaupt nichts …“

„Ich bin noch nicht fertig“, unterbrach sie ihn. „Sie sind ja so sehr damit beschäftigt, die Welt zu retten, aber wenn Ihr Großvater Ihre Hilfe braucht, weil er fast stirbt, sind Sie nicht da. Sie sollten sich schämen.“

2. KAPITEL

Das hat gesessen! triumphierte Margie insgeheim, als sie sah, wie Hunter sprachlos vor ihr stand. Er mochte die Oberhand gehabt haben, als er sie nackt im Badezimmer überraschte. Aber nun war sie am Zug: Er schuldete ihr eine Erklärung.

Im Zimmer war es plötzlich so still, dass man eine Stecknadel hätten fallen hören können. Sonnenlicht drang durch die offenen Fenstertüren und warf helle Strahlen auf den frühlingsgrünen Teppich. Ein leichter Windhauch strich durch die Vorhänge und trug den Duft von Rosen und Akelei aus dem Garten durchs Fenster. Eigentlich liebte sie dieses Zimmer. Sonst war es hier ruhig und friedlich. Heute war es das allerdings nicht.

„Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste“, sagte er ruhig. „Ich erledige meinen Job und diene dem Land. Ich bin nicht derjenige, der einen alten Mann ausbeutet.“

„Sie wissen doch gar nicht, was Sie da reden.“ Ihre Stimme verriet deutlich ihre Anspannung

„Sicher“, entgegnete er. „Für mich ist die Sache ziemlich klar. Sie waren seine Sekretärin und haben ihm irgendwie weisgemacht, dass wir verheiratet wären. Wie, das weiß ich nicht. Aber ich werde es herausfinden.“

„Ach so, ich verstehe. Ich stecke mir also einen Ehering an den Finger und sage: ‚Übrigens, ich bin mit Ihrem Enkel verheiratet‘, was Simon mir natürlich aufs Wort glaubt. Halten Sie Ihren Großvater wirklich für so dumm? Scheinbar schon, denn logisches Denken scheint Ihnen nicht zu liegen.“

„Logik?“

„Machen Sie sich nichts draus. Das ist Ihnen wahrscheinlich einfach fremd.“

Eine kleine Ewigkeit verstrich, in der sich beide schweigend ansahen. Margie dachte gar nicht daran, diejenige zu sein, die als Erste wieder sprach. Ihre Hartnäckigkeit zahlte sich schließlich aus.

Er presste die Lippen aufeinander, bis er widerwillig das Schweigen brach. „Wegen Simons Herzinfarkt. … Ich schätze, ich sollte Ihnen … danken, dass Sie in dieser Nacht für ihn da waren.“

„So, schätzen Sie?“

„Ich war auf einem Einsatz, als es passierte“, sprach er weiter, als hätte er ihre Bemerkung überhört. „Vor meiner Rückkehr habe ich nicht gewusst, dass es so dramatisch war. Er hatte das Schlimmste doch schon überstanden. Übrigens habe ich ihn danach sofort angerufen.“

„Wie mitfühlend“, warf sie sarkastisch ein und dachte daran, wie glücklich Simon gewesen war, nachdem er endlich einen Anruf von seinem Enkel bekommen hatte. „So ein Anruf zeugt natürlich von großem Verantwortungsbewusstsein. Selbst danach haben Sie es nicht für nötig befunden herzukommen.“

„Es ging ihm doch wieder gut“, versuchte Hunter sich zu rechtfertigen. „Außerdem musste mein Team sofort ausrücken, und …“

„Oh, mir müssen Sie das nicht erklären. Sie sollten besser mit Simon reden. Übrigens bin ich nicht Ihretwegen bei Simon geblieben, während er krank war.“

„Gut.“

„Gut.“ Es fühlte sich irgendwie … merkwürdig an, endlich mit dem Mann zu reden, mit dem sie seit einem Jahr ganz legal verheiratet war. Hunter Cabot beschäftigte sie schon so lange, dass es ihr ganz unwirklich vorkam, ihm nun gegenüberzustehen.

In der ganzen Zeit, in der sie sich vorgestellt hatte, wie das erste Treffen mit Hunter Cabot wohl werden würde, hätte sie nie damit gerechnet, dass sie beide wie zwei streitende Kampfhähne aufeinander losgehen würden. Aber er hatte schließlich angefangen, als er sie eine Betrügerin nannte. Nein, sie bereute nichts von dem, was sie ihm vorgeworfen hatte. Seine Züge waren weiterhin angespannt, doch nun schien noch etwas zu seinem Ärger hinzuzukommen. Etwas, das sie nicht benennen konnte und das sie ein wenig verunsicherte.

„Wo ist mein Großvater jetzt?“

„Wahrscheinlich in seinem Arbeitszimmer“, murmelte sie. „Er verbringt dort meistens seine Nachmittage.“

Er nickte und verließ sie.

Margie atmete tief aus. Sie ging zum Bett und setzte sich. Dann betrachtete sie ihre Hände, blickte auf ihren Ehering, den sie selbst ausgesucht hatte. Erst jetzt spürte sie, dass sie zitterte. Es überraschte sie nicht wirklich. Denn es geschah nicht jeden Tag, dass ein großer, gut aussehender und aufgebrachter Mann sie unter der Dusche überraschte. „Nackt. Er hat mich splitterfasernackt gesehen.“ Nicht gerade passend für die erste Begegnung. Vor allem weil sie es immer noch nicht geschafft hatte, sich von den fünf Kilo zu trennen, die sie zu viel auf den Rippen hatte. Außerdem war ihr Haar ein undefinierbares Knäuel, sie war ungeschminkt gewesen, und, und, und … Sie stöhnte und schlug die Hand vor die Augen.

„Entspann dich, Margie. Selbst mit Make-up hättest du nicht wie ein Supermodel ausgesehen.“ Ihr war klar, wie sie aussah. Ihr Mund war zu groß, ihre Nase und Augen waren zu klein, und die Sommersprossen auf ihren Wangen trotzten jeder Abdeckcreme. Sie passte ganz sicher nicht in Hunter Cabots Beuteschema. „Es ist sowieso egal, wie du aussiehst. Schließlich bist du nicht wirklich mit ihm verheiratet. In juristischer Hinsicht: ja, in moralischer Hinsicht: nein.“

Sie ließ sich auf den Rücken fallen und starrte an die Decke. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, ihren Mann zu treffen, bevor sein Großvater die ganze Situation aufgeklärt hatte. Alles wäre gut gegangen, wenn Hunter nicht ausgerechnet zwei Wochen früher als erwartet hier aufgetaucht wäre.

Also war es seine Schuld.

Allerdings fühlte sie sich durch diese Erkenntnis auch nicht unbedingt besser.

Festen Schrittes ging Hunter über die Flure des Familienanwesens. Doch egal, wie schnell er ging, er konnte das Bild dieser Frau, die er gerade zurückgelassen hatte, nicht abschütteln. Er hatte ihre Stimme im Ohr, während die dumpfen Tritte seiner Boots auf dem Boden widerhallten.

Einsamer alter Mann. Fast gestorben. Sich schämen.

Er stieß leise Flüche aus, um die Stimme in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Nachdem er die letzte Stufe des schneckenförmigen Treppenhauses erreicht hatte, bog er rechts in einen langen Flur ein, bis er vor dem letzten Zimmer stehen blieb.

Hunter öffnete die Tür und trat ein. Wenigstens hier hatte sich nichts verändert. Dunkel glänzende Holzwände reflektierten das Sonnenlicht, das durch die Fenster schien. Überall im Raum standen braune Ledersessel und Sofas. Hinter einem schweren Mahagonischreibtisch, an dem sein Großvater saß, türmten sich bis zur Decke Bücherregale, in denen ein breites Spektrum an Literatur – von Klassikern bis zur modernen Literatur – seinen Platz gefunden hatte.

Doch Hunter hatte nur Augen für den lächelnden älteren Herr, der sich mühsam aus dem Stuhl erhob. „Großvater!“

„Hunter, Junge. Wie schön, dich zu sehen! Du bist früh hier“, fügte er hinzu, während er langsam um den Schreibtisch herum ging. „Ich habe dich erst in ein paar Wochen erwartet.“

Hunter ging dem Mann entgegen, der die einzige Konstante in seinem Leben war. Er war zwölf Jahre alt gewesen, als seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen und er in die Obhut seines Großvaters väterlicherseits gegeben wurde. Simon schloss die Lücke im Leben seines Enkels und war für Hunter schon immer das größte Vorbild gewesen. Stark, zuverlässig und vertrauensvoll.

Jetzt musste er zum ersten Mal erkennen, dass die Zeit auch vor seinem Großvater keinen Halt gemacht hatte. Hunters Herz zog sich zusammen, als er den alten Mann umarmte. Er spürte plötzlich, wie zerbrechlich Simon war.

„Setz dich, mein Junge. Es kann nicht gesund sein, mit so einer Wunde herumzulaufen.“

„Mir geht’s gut, Großvater“, beruhigte Hunter ihn, während er es sich in einem großen Sessel bequem machte. Die Antworten auf seine Fragen, was diese Frau da unten betraf, konnten warten. Zumindest ein paar Minuten lang. „Ist nur ein Kratzer.“

„Sie lassen dich nicht vier Tage lang im Krankenhaus wegen eines Kratzers, Junge.“

Das stimmte, aber er wollte Simon nicht noch mehr beunruhigen. Hunter hatte die Kugel während seines letzten Einsatzes abbekommen. Alles, was ihn noch daran erinnerte, waren ein Schmerz, wenn er sich zu schnell bewegte, und eine unschöne Narbe. Geblieben war ihm die aufgrund der Notoperation, die er selbst hatte vornehmen müssen, weil er von seinem Team getrennt gewesen war.

„Sie entlassen dich aber auch nicht nach vier Tagen, wenn es wirklich ernst wäre“, entgegnete Hunter grinsend.

„Ich bin jedenfalls froh, dass es dir gut geht. Ich habe mir Sorgen gemacht, Junge.“

„Ich weiß. Entschuldige bitte.“

Simon winkte ab. „Da gibt’s nichts zu entschuldigen, Hunter. Du hast deinen Job gemacht, das weiß ich doch.“

Er hatte sich nie richtig mit Hunters Entscheidung, zum Militär zu gehen, anfreunden können. Am liebsten hätte er ihn an der Spitze des Cabot-Imperiums gesehen, das Simons Vater Jahrzehnte zuvor aufgebaut hatte. Aber Hunter hatte sich nie für Bankgeschäfte oder Jobs interessiert, die ihn an ein geregeltes Arbeitsleben gebunden hätten.

Er hatte sich immer nach Abenteuern gesehnt. Er wollte immer etwas Wichtiges tun. Seinem Land dienen zu können stillte dieses Bedürfnis.

„Dennoch“, fragte Simon mit einer Spur zu viel Arglosigkeit in seiner Stimme, „du wirst deinen Job nicht bis in alle Ewigkeit ausüben können, oder?“

Hunter ahnte, worauf die großväterliche Bemerkung abzielte. Sie behagte ihm nicht. Nur ungern gestand er sich ein, seit einiger Zeit schon selbst über diese Frage nachgedacht zu haben. Eigentlich schon, seit er angeschossen worden war. Fünf Jahre zuvor wäre so etwas niemals passiert, und das wusste er. Er wäre schneller gewesen. Wäre in der Lage gewesen, schnell genug in Deckung zu gehen, um der verdammten Kugel auszuweichen.

Aber er wollte jetzt nicht über seine Karriere reden. Weil er nicht wusste, wie er elegant das Thema wechseln sollte, platzte es aus ihm heraus: „Vergiss den Job für einen Moment. Großvater, die Frau dort oben ist nicht meine Frau.“

Simon schlug die Beine übereinander, faltete seine Hände und lächelte seinen Enkelsohn an. „Doch. Das ist sie.“

„Okay, das scheint doch komplizierter zu sein, als ich dachte“, murmelte Hunter und stand auf. Während er sich mit einer Hand den Nacken rieb, erinnerte er sich, dass diese Frau ein ganzes Jahr gehabt hatte, um Simons Gunst zu gewinnen. Es würde länger als eine Minute dauern, bis er das verstand. „Ich habe diese Frau noch nie gesehen, Großvater. Was immer sie dir erzählt hat, sie lügt.“

Simon verfolgte lächelnd, wie Hunter auf und ab ging. „Sie hat mir gar nichts erzählt, Hunter.“

Er blieb abrupt stehen und blickte seinen Großvater intensiv an. „Du überlässt also jeder, die hier hereinspaziert und behauptet, meine Frau zu sein, einfach mein Zimmer?“

Simon kicherte, was kein gutes Zeichen war.

„Du verstehst nicht“, sagte der alte Mann. „Sie hat mich nicht angelogen, was euch betriff. Das musste sie auch gar nicht. Ich bin der, der eure Ehe arrangiert hat.“

„Du hast was getan?“ Fassungslos starrte Hunter seinen Großvater an. „Du hast diese Ehe arrangiert? Das kannst du doch nicht tun.“

„Das kann ich, und das habe ich“, versicherte Simon ihm und sah ihn, mit sich selbst sehr zufrieden, direkt an. „Die Idee kam mir nach meinem Herzinfarkt im letzten Jahr.“

„Welche Idee?“ Hunter ging zurück zu seinem Sessel und setzte sich wieder, ohne den alten Mann aus den Augen zu lassen, der vor ihm saß und ihn angrinste.

Simon zog seine weißgrauen Augenbrauen hoch. „Na ja, ich lag im Krankenhaus, und du warst sonst wo, und dann war da Margie.“

„Margie.“

„Meine Assistentin.“

„Deine … ach ja, richtig. Das hat sie mir erzählt.“

„Sie ist eine ganz besondere Frau“, schwärmte Simon. „Immer bestens organisiert. Sie weiß, wie man die Dinge anpackt.“

„Darauf wette ich.“

Eindringlich blickte Simon ihn an. „Margie trifft keinerlei Schuld. Das war alles ganz allein meine Idee. Merk dir das.“

Hunter musste sich zusammenzureißen, um langsam und ruhig zu sprechen. „Was genau war denn deine Idee?“

„Ich brauchte dringend einen Familienangehörigen!“ Unruhig rutschte Simon im Sessel hin und her und trommelte mit den Fingern auf das weiche Leder der Lehne. „Jemand musste Entscheidungen treffen. Obwohl ich Margie sagte, was ich wollte, waren ihr die Hände gebunden. Das hätte böse für mich ausgehen können, aber ich hatte Glück.“

Sofort hatte Hunter ein Bild von Simon vor Augen, wie er angeschlossen an Schläuchen und Apparaten in einem Krankenhausbett lag. Er machte sich schwere Vorwürfe, dass er nicht für den alten Mann da gewesen war, als er ihn am meisten gebraucht hätte. Aber trotz seines Schuldgefühls verstand er immer noch nicht, warum er plötzlich verheiratet war!

„Du hättest ihr doch einfach nur eine Vollmacht geben müssen“, sagte Hunter.

„Natürlich hätte ich das machen können“, sagte Simon. „Habe ich aber nicht. Stattdessen habe ich Margie gefragt, ob sie dich heiraten würde.“

„Du …“

„Es war die einfachste Lösung. Ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie, du warst aber nicht da, Junge.“

Hunter war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite fühlte er sich schuldig, nicht für seinen Großvater da gewesen zu sein, auf der anderen Seite war er aber auch wütend auf ihn. „Du kannst mich doch nicht einfach ohne meine Erlaubnis verheiraten.“

„Dazu fällt mir nur ein Wort ein, Hunter. Ferntrauung.“

„Ferntrauung? Du hattest ja nicht mal meine Unterschrift.“

„Doch, die hatte ich“, erklärte ihm Simon lächelnd. „Und wenn du nur einen aufmerksamen Blick auf die Finanzerklärungen geworfen hättest, die ich dir zur Unterschrift geschickt habe, dann hättest du vielleicht bemerkt, dass es sich dabei um die Urkunde der Fernheirat gehandelt hat.“

Verdammt. Simon hatte seinem Großvater stets blind vertraut. Immer wenn er ihm Dokumente schickte, unterschrieb Hunter sie blind und sendete sie ungelesen zurück. Die Familiengeschäfte waren einfach nicht seine Welt. Die Navy schon. Und zwischen diesen beiden Welten hatte er eine strikte Trennlinie gezogen. Zweifellos hatte sein gerissener Großvater sich diese Nachlässigkeit seines Enkels zunutze gemacht.

„Ah, ich sehe, du verstehst meine Entscheidung. Ich nahm an deiner Stelle an der Hochzeitszeremonie teil. Da du es nicht geschafft hast, nach meinem Herzinfarkt nach Hause zu kommen, war mir klar, dass du es zu deiner Hochzeit erst recht nicht schaffen würdest …“

„Aber ich habe keine Einladung bekommen …“

„… nachdem mein Freund Richter Harris die Urkunde aufgesetzt hatte, wollten wir kein großes Aufhebens darum machen. Als es mir wieder besser ging, habe ich Margie eine Woche freigegeben, in der sie in die Flitterwochen gefahren ist.“

„In die Flitterwochen.“

„Das klappte tadellos. Es gab keinen Grund, dich vorzeitig zu informieren.“

„Vor allem, weil ich dieser Ehe niemals zugestimmt hätte.“

Als Simon ihn streng ansah, hatte Hunter genau das gleiche Gefühl, das er als Dreizehnjähriger gehabt hatte, als er erklären musste, warum ein Baseball durchs Fenster des Arbeitszimmers geflogen war. Auch damals hatte er eine Mischung aus Scham und Unbehagen verspürt. Der einzige Unterschied war, dass er nun kein Kind mehr war.

„Wieso konnte sie dir das einreden, Simon?“

Simon erhob sich aus seinem Sessel, baute sich zu voller Größe vor Hunter auf und warf seinem Enkel einen Blick zu, der ihn bis ins Mark traf. „Du glaubst also, ich bin so ein Tattergreis, der sich von einer hübschen jungen Frau um den Finger wickeln lässt? Denkst du wirklich, ich hätte meinen Verstand verloren, Junge?“

„Was soll ich denn sonst glauben?“ Hunter stand ebenfalls auf und sah seinem Großvater direkt in die Augen.

„Ich komme nichts ahnend zu Besuch nach Hause …“

„Nach genau zwei Jahren“, warf Simon ein.

„… und du erzählst mir, dass du mich mit jemanden verheiratet hast, den ich gar nicht kenne, nur um etwas Familie um dich zu haben?“

„Nicht in diesem Ton, Junge. Noch bin ich bei klarem Verstand, hörst du?“

Simon drehte sich um, ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. Von diesem Stuhl aus verwaltete Simon seit über fünf Jahrzehnten das Vermögen der Cabot-Familie. „Ich sage dir noch etwas. Margie war nie auf Geld aus. Es war ganz allein meine Idee.“

„Dann hat sie das also alles nur getan, weil sie so ein überaus guter Mensch ist.“

„Natürlich nicht. Wir haben ein Geschäft gemacht, so einfach ist das. Ich zahle ihr fünf Millionen Dollar.“

„Fünf …“ Hunter stieß einen überraschten Laut aus. „Also doch. Und du sagst, sie sei nicht hinter dem Geld her?“

„Verdammt noch mal, nein, und genau das würdest du herausfinden, wenn du etwas Zeit mit ihr verbringen würdest.“ Simon nahm einen Stift, mit dem er gedankenverloren zwischen den Fingern spielte. „Es war ein ganzes Stück Arbeit, sie zu überzeugen, mir den Gefallen zu tun und das Geld anzunehmen. Sie ist ein prima Kerl, und sie arbeitet hart. Sie hat viel Gutes für diese Stadt getan, was deinem Namen übrigens bestimmt nicht schadet.“

„Wie schön für mich.“ Fassungslos schüttelte Hunter den Kopf. Sein Hals steckte in einer seidenen Schlinge.

„Du solltest dankbar sein. Ich habe eine Frau für dich gefunden, die hart arbeitet und ein Herz aus Gold hat.“

Hunter stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch seines Großvaters. „Dankbar wäre ich dir, Simon, wenn diese Ehe schnellstmöglich annulliert oder wenigstens geschieden werden würde.“

„Wenn du nur deine Augen aufmachen würdest, um zu erkennen, wie sie wirklich ist, dann würdest du deine Meinung ändern.“ Simon sah so selbstsicher und zufrieden aus, dass Hunter Mühe hatte, nicht durchzudrehen. Sein ganzes Leben lang war dieser Mann der einzige Mensch gewesen, dem er vertraut hatte. Durch den er gelernt hatte, was Pflicht und Ehre wirklich bedeuteten, was richtig und was falsch war. Und der ihm in diesem Moment fröhlich erklärte, dass er ihn unter die Haube gebracht hatte, damit er, Simon, sich wieder wohlfühlen konnte.

„Meine Meinung werde ich ganz bestimmt nicht ändern“, erklärte Hunter. „Was soll ich mit einer Frau anfangen, die ich nie wollte? Und die dafür bezahlt wird, meine Frau zu sein?“

„Ich habe es dir doch erklärt. Sie wollte das Geld nicht. Ich musste sie überreden, es anzunehmen.“

„Klar, das war bestimmt ein hartes Stück Arbeit. Fünf Millionen Dollar. Verdammt, Simon, was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich kann mich nur wiederholen, Hunter“, sagte Simon sanft. Du warst nicht hier. Margie war es.“

Hunter bekämpfte das Schuldgefühl, das erneut in ihm hochstieg. „Sie ist deine Sekretärin.“

„Sie ist mehr als das.“

„Sicher, jetzt schon.“

„Du kennst sie nicht“, sagte Simon leise. „Sie kam her, um sich etwas aufzubauen, und das hat sie geschafft. Und sie war dir eine gute Ehefrau …“

„Ich war doch gar nicht hier!“

„… und mir eine gute Enkelin.“

Na gut, zumindest das gestand er Simon zu. Betrügerin oder nicht, die kurvige Rothaarige schien sich tatsächlich um seinen Großvater gekümmert zu haben. Die Nachricht von Simons Kampf gegen den Tod hatte ihm starke Gewissensbisse gemacht, weil er nicht für ihn da sein konnte. Aber dafür gab es gute Gründe. In seinem Job war er komplett von Befehlen abhängig.

Zu wissen, dass Simon in dieser schrecklichen Zeit nicht allein gewesen war, war beruhigend. Und dafür konnte er tatsächlich dankbar sein.

„Margie verdient es, von dir respektiert zu werden“, sagte Simon streng.

„Dafür, dass sie einen fremden Mann geheiratet hat, um ihren Boss glücklich zu machen.“ Hunter nickte und erwiderte ironisch: „Ja, dafür verdient sie Respekt.“

Verärgert blickte Simon ihn an. „Du hast mir noch nie richtig zugehört.“

„Ich höre dir zu. Ich will nur keine Ehefrau.“ Schön, ja, er hatte mal über seine Zukunft nachgedacht. Schätzungsweise dreißig Sekunden lang hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, verheiratet zu sein. Aber sich bloß vorzustellen, etwas zu tun, und es dann tatsächlich zu tun waren zwei Paar Schuhe. Und wenn er tatsächlich irgendwann einmal eine Frau heiraten sollte, dann würde er verdammt noch mal seine eigene Entscheidung treffen.

„Ich werde diese Ehe nicht anerkennen.“

Simon seufzte. „Das habe ich befürchtet. Margie sieht das übrigens genauso wie du.“

Da war Hunter sich nicht so sicher. Den alten Mann mag sie hinters Licht geführt haben, bei mir wird ihr das nicht gelingen, dachte er. Für fünf Millionen Dollar würde eine Frau vermutlich alles tun.

„Sie war die ganze Zeit über für mich da, und ich möchte nicht, dass du sie kränkst.“ Sein Großvater seufzte. „Sie plant eine große Party anlässlich meines achtzigsten Geburtstags. Verdirb es ihr bitte nicht.“

„Du forderst eine ganze Menge von mir“, antwortete Hunter wütend.

„Bis die Party vorbei ist, verlange ich von dir, dass du dich aufführst wie der Ehemann, für den dich alle halten.“

„Wie bitte?“ Das hatte er nicht erwartet.

„Du hast gehört, was ich gesagt habe. Die Leute in Springville mögen Margie. Sie respektieren sie. Und ich werde nicht dulden, dass du aus ihr eine Witzfigur machst. Ich weiß, dass du wieder gehen musst …“

Hunter nickte. „In etwa einem Monat.“

Missbilligend blickte sein Großvater ihn an. „Gut. Ich wünsche mir, dass Margie hier bei mir bleibt. Also reiß dich zusammen, anstatt ihr das Leben schwer zu machen.“

Hunter biss die Zähne aufeinander. „Selbstverständlich.“

„Und wenn du nach der Party immer noch darauf bestehst, dass die Ehe annuliert wird …“, fuhr Simon fort.

„Das werde ich“, fiel Hunter ihm ins Wort.

„… dann werde ich dich nicht davon abhalten. Ich denke, Margie wird das sicherlich auch nicht. Aber bis dahin tust du das, was ich dir sage.“

Hunter blickte seinen Großvater an, dessen Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran ließ, dass Widerspruch zwecklos war. Wenn Simon Cabot eine Entscheidung getroffen hatte, dann gab es rein gar nichts, was ihn umstimmen konnte. Hunter spürte, wie Ärger in ihm hochstieg. Er saß in der Falle.

Aber Simon war ein alter Mann, dem Hunter viel zu verdanken hatte. Also würde er ihm den Gefallen tun. Er würde bis zur Party bleiben und die Ehe annullieren, bevor er sich wieder auf den Weg zum Stützpunkt machte.

„Ausgezeichnet.“ Hunter hatte Mühe, seine Wut herunterzuschlucken. „Immer wenn ich in die Stadt gehe, werde ich mich wie ein verheirateter Mann aufführen.“

„Das wirst du hier auch.“

„Was?“

„Bist du plötzlich schwerhörig geworden? Du solltest das untersuchen lassen.“ Ein schelmisches Lächeln erschien auf Simons Gesicht, bevor er wieder ernst wurde. „Solange du unter diesem Dach bist, bist du ein verheirateter Mann. Ich will nicht, dass die Hausangestellten Margie schlecht behandeln. Jeder in diesem Haus weiß, dass ihr verheiratet seid.“

Hunter war immer noch ganz benommen von den Neuigkeiten, als ein leises Klopfen an der Tür des Arbeitszimmers zu hören war. Als die Tür aufging und er sich umdrehte, stand dort „seine Ehefrau“.

3. KAPITEL

„Simon?“, fragte Margie leise, während sie Hunter geflissentlich übersah. „Ist alles in Ordnung?“

„Aber ja. Ich habe Hunter gerade über alles aufgeklärt.“

„Gut.“ Dem Gesichtsausdruck des jungen Mannes nach zu schließen, schien dieser nicht besonders glücklich über die Erklärungen seines Großvaters zu sein. Aber das war sie auch nicht unbedingt.

Auf die Fernhochzeit mit Hunter hatte sie sich nur Simon zuliebe eingelassen. Die fünf Millionen waren ihr gleichgültig, ob Hunter das glaubte oder nicht. Ein Blick in die Augen des einsamen Mannes hatte ihr genügt, um von diesem ganz und gar verrückten Plan überzeugt zu sein.

Außerdem hatte sie die letzten zwölf Monate über das Gefühl gehabt, endlich angekommen zu sein. Sie hatte einen Großvater und ein Zuhause. Einen Platz, nur für sich. Menschen, um die sie sich kümmern konnte und die sich um sie kümmerten.

Für Margie war das unbezahlbar.

Allerdings musste sie feststellen, dass es einfacher gewesen war, mit einem Hunter verheiratet zu sein, der weit weg war und ihr nicht aus Fleisch und Blut gegenüberstand. Er war einfach … überwältigend. Seine breiten Schultern, seine muskulöse Brust, seine stahlblauen Augen faszinierten sie.

Und sein unfreundlicher Gesichtsausdruck schreckte sie ab. Sie warf ihm einen kühlen Blick zu, bevor sie sich wieder Simon zuwandte. „Der Arzt ist da.“

„Verdammt.“ Der alte Cabot schnappte sich schnell einen Stapel Papiere vom Schreibtisch, die er wahllos durchblätterte. „Margie, sagen Sie ihm, dass ich zu beschäftigt bin, um ihn zu sehen.“

Sie lächelte. Mittlerweile war sie es gewohnt, dass Simon jedes Mal in Panik geriet, wenn er seinen Arzt treffen sollte. „Sie kommen aus der Nummer nicht raus, Simon.“

„Gibt es ein Problem?“, fragte Hunter.

Als Margie ihn ansah und er ihren Blick erwiderte, wurde ihr heiß und schwindelig. Was natürlich nichts zu bedeuten hatte. Vor allem weil seine schönen Augen nicht über seine unfreundliche und arrogante Art hinwegtäuschen konnten. Allerdings berührte sie Hunters Sorge für seinen Großvater so tief, dass sie ihm besser schnell antwortete, um nicht schwach zu werden. „Nein, es ist nur sein üblicher Gesundheitscheck. Der Arzt kommt alle paar Wochen hier vorbei, weil Simon seinen Termin in der Stadt manchmal verschwitzt.“

„Ich bin eben ein beschäftigter Mann. Viel zu beschäftigt, um mich mit diesem Quacksalber zu treffen“, ergänzte Simon unwirsch.

Hunter verschränkte die Arme vor seiner beeindruckenden Brust. „Simon geht es gut, oder? Er ist doch gesund?“

Margie nickte und zwang sich, nicht auf die Brustmuskeln zu starren, die sich durch den weichen Stoff seines schwarzen T-Shirts abzeichneten. „Ja, er, hm …“ Sie schluckte und räusperte sich, bevor sie fortfuhr. „Die Checks sind reine Routine.“

„Routine“, knurrte Simon.

„Gut“, sagte Hunter. „Dann ist ja alles in Ordnung. Allerdings würde ich gern persönlich mir dem Arzt sprechen.“

„Warum solltest ausgerechnet du mit ihm reden?“, fragte Simon empört. „Er ist mein Arzt, und ich brauche nicht noch einen Babysitter“, sagte er und warf Margie einen finsteren Blick zu.

„Selbstverständlich können Sie das“, sagte Margie zu Hunter, ohne auf den schimpfenden älteren Herrn zu achten. Wie höflich sie plötzlich miteinander umgingen. Trotzdem war da immer noch etwas Unfreundliches in Hunters Blick.

„Wer hat hier eigentlich das Sagen?“, wollte Simon ungehalten wissen.

„Ich natürlich“, erklang plötzlich eine neue Stimme.

Margie löste den Blick von Hunter und sah Dr. Harris, der breit grinsend den Raum betrat. Sein dichtes graues Haar stand in alle Richtungen ab. Er trug eine Brille, hinter der die dunklen Augen sanft schimmerten. Er ging direkt auf Hunter zu und schüttelte ihm die Hand. „Schön, Sie wieder bei uns zu haben, Hunter. Sie waren viel zu lange weg.“

„Ja“, antwortete Hunter und warf Margie einen kurzen Blick zu. „Das war ich.“

„Reine Zeitverschwendung herzukommen“, sagte Simon und blätterte weiter in seinen Papieren. „Ich habe zu tun und brauche auch keine neuen Medikamente.“

„Hören Sie nicht auf ihn, Doktor“, sagte Margie und lächelte.

„Das tue ich nie.“ Harris löste den Händedruck und begrüßte Margie mit einer herzlichen Umarmung. „Ich weiß gar nicht, was wir ohne Ihre Frau die ganze Zeit gemacht hätten, Hunter.“

Sie richtete sich kerzengerade auf, als Hunter ihr einen unergründlichen Blick zuwarf.

„Tatsächlich?“, fragte er ruhig.

„Tatsächlich“, meldete Simon sich zu Wort.

„Diese Frau hat wahre Wunder bewirkt“, schwärmte Dr. Harris. „Sie hat Ihren sturen Großvater nicht nur dazu gebracht, das zu tun, was man ihm gesagt hat. Sie hat uns tatkräftig dabei unterstützt, genug Gelder für einen Klinikanbau zusammenzukriegen. Natürlich hat sie uns immer wieder versichert, dass das ohne Sie nicht möglich gewesen wäre.“

„Hat sie das?“ Er musterte sie und zog eine Augenbraue hoch. Margie musste sich zusammenreißen, um unter diesem Blick nicht unruhig zu werden.

„Das hat sie.“ Harris strahlte jetzt übers ganze Gesicht. „Sie sagte uns, dass Sie nach Simons Herzinfarkt erkannt haben, wie wichtig die ärztliche Versorgung vor Ort für die Menschen in dieser Gegend ist. Den Leuten aus Springville bedeutet es eine Menge, was Sie für Ihre Heimatstadt tun.“

„Freut mich, wenn ich helfen konnte“, sagte Hunter und löste seinen Blick von Margie, um dem Doktor zuzunicken.

„Simon hat immer gesagt, dass Sie eines Tages Ihre Liebe zu Ihrer Stadt wiederentdecken werden“, sagte Harris und schlug Hunter auf die Schulter. „Sieht so aus, als habe er recht behalten. Ich würde Ihnen gerne persönlich danken – nicht nur für die Klinik, sondern auch für alles andere, was Sie getan haben …“

„Alles andere?“, fragte Harris.

„Dr. Harris …“, schaltete Margie sich ins Gespräch ein. „Haben Sie heute nicht noch andere Termine?“

„Ja, natürlich“, sagte Harris und lächelte. „Ich wollte Ihnen nur sagen, Hunter, dass die ganze Stadt Ihnen sehr dankbar ist. Alles hier hat sich verändert.“

Alles hat sich verändert?“ Der Blick, den Hunter Margie zuwarf, war so scharf, dass er sie damit hätte durchbohren können.

„Sind Sie hier, um mich zu untersuchen?“, warf Simon ein, „oder wollen Sie den ganzen Tag mit Hunter plaudern?“

Der Doktor schmunzelte. „Er hat recht. Warum genießen Sie beide nicht ein wenig den Tag, während ich den alten Haudegen verarzte?“ Er zwinkerte Hunter zu.

„Genau das habe ich auch gerade gedacht“, antwortete Hunter, woraufhin Margie tief einatmete.

Ihre Lust, noch mehr Zeit mit Hunter zu verbringen, hielt sich in Grenzen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie auch noch monatelang auf ihn verzichten können.

„Na komm, Schatz“, sagte er und nahm ihren Ellbogen, „gehen wir und gewöhnen uns wieder aneinander.“

Sie hatte gerade noch Zeit, Simon einen letzten Blick über ihre Schulter zuzuwerfen, bevor Hunter sie im Schlepptau quer durch den Raum schleifte. Simon grinste sie aufmunternd an und streckte den Daumen nach oben.

Hunter ging so schnell, dass sie praktisch rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten, aber irgendwie schaffte sie es. Bevor sie aus dem Arbeitszimmer verschwanden, griff Hunter hinter ihren Rücken, zog die Tür zu und nahm sie dann wieder in den Klammergriff.

„Sie schulden mir eine Erklärung, Süße.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mich nicht so nennen.“ Wenn er glaubte, dass sie klein beigeben würde, hatte er sich geirrt. Es gab keinen Grund, sich vor ihm rechtfertigen zu müssen. Schließlich hatte sie nichts Falsches getan. Was Hunter Cabot nicht gerade von sich behaupten konnte.

Sie blickte sich in der Halle um, ohne auf die wertvollen antiken Möbelstücke zu achten, die sie das erste Mal, als sie das schlossähnliche Anwesen der Cabots beteten hatte, so eingeschüchtert hatten. Mittlerweile fühlte sich das alles hier schon vertraut an. Die orientalischen Intarsien auf dem glänzenden Holzboden, die bunten Glasfenster im Foyer, die das Licht, das durch sie hindurchfiel, in blassen Farben schimmern ließen. Die Kristallvasen, in denen Blumensträuße standen, die fast größer als sie selbst waren.

Dieser Ort war ihr Zuhause geworden, und sie würde nicht zulassen, dass Hunter ihr dieses Gefühl nahm.

„Ich schulde Ihnen gar nichts“, sagte sie und bemühte sich, dabei ruhig und kontrolliert zu klingen, was nicht ganz einfach war.

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das alles andere als freundlich war. „So kommen Sie nicht weiter.“

„Sie tun mir weh“, sagte sie mit einem Seitenblick auf ihren Ellbogen, den er immer noch fest umklammert hielt. Er lockerte daraufhin zwar seinen Griff, ließ sie aber nicht los.

„Entschuldigung“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich dachte, nach allem, was Simon mir über Sie erzählt hatte, sollten wir beide uns unterhalten.“

„Dann sind Sie ja im Bilde.“ Was gab es noch zu diskutieren, wenn er schon alles wusste?

„Was aber noch lange nicht heißt, dass ich das alles schlucken werde. Also, fangen Sie an.“

Da er sie nicht mehr so fest umklammerte, war es einfach, sich aus seinem Griff zu befreien. Nachdem sie das getan hatte, trat sie einen großen Schritt zurück. „Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch erklären soll.“

„Mir würde mindestens ein Grund einfallen“, fügte Hunter hinzu. „Nein, mir würden mindestens fünf Millionen Gründe einfallen.“

Margie schluckte. „Sie selbstgerechter, arroganter …“

Er sah sie kurz an, dann packte er sie plötzlich, zog sie an sich und küsste sie so heftig, dass sie fast ohnmächtig wurde.

Es war überwältigend. Augenblicklich begann ihr gesamter Körper zu prickeln. Ihr wurde flau im Magen, das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Hirn schien auszusetzen.

Die Welt um sie herum schien sich zu drehen. Er drängte seine Zunge zwischen ihre Lippen, um ihren Mund zu erforschen, und hielt sie ganz fest in seinen Armen.

Getrieben von der gleichen Leidenschaft und dem gleichen Hunger, gab sie sich ihren Gefühlen hin. In diesem Moment schien es keine Rolle mehr zu spielen, dass er eigentlich ein arroganter Egoist war. Das Einzige, was zählte, war das Gefühl, das er in ihr hervorrief. Noch nie hatte sie so heftig auf etwas derartig Simples wie einen Kuss reagiert. Auch wenn dieser hier gar nicht so simpel war …

Sie erschauerte heftig und gab sich ganz den leidenschaftlichen Empfindungen hin, die sie mit sich zu reißen drohten.

Und dann war plötzlich alles genauso schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Ihr war etwas schwindelig, als Hunter sie wieder losließ. „Was? Wie?“

„Sophie!“, begrüßte er die Haushälterin freundlich.

Oh nein, dachte Margie und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Doch Hunter legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie dicht an sich, während er die alte Dame begrüßte. „Ich war so beschäftigt damit, meine Frau willkommen zu heißen, dass ich Sie gar nicht bemerkt habe.“

Wie machte er das? Er scherzte und plauderte, als wäre nichts geschehen. War er denn nicht genauso durcheinander wie sie? Wie konnte es sein, dass so ein gewaltiges Erlebnis ihn einfach kaltließ?

„Ach was“, sagte Sophie. „Es ist doch wunderbar, wenn Verliebte miteinander turteln.“

Turteln?

„Ich bin so froh, dass Sie wieder bei uns sind. Am besten, Sie gehen jetzt nach oben, und wir sehen uns dann zum Abendessen.“ Sophie umarmte ihn. „Wir sind alle so glücklich, nicht wahr, Margie?“

Herausfordernd sah Hunter sie an. „Ist das wahr, Schatz? Bist du glücklich, dass ich wieder hier bin?“

Margie fühlte sich immer noch etwas wackelig auf den Beinen, wollte ihm aber nicht zeigen, wie sehr er sie aus der Fassung gebracht hatte. „Oh, glücklich beschreibt nicht annähernd das, was ich gerade fühle.“

Das Abendessen verlief schleppend.

Simon saß vergnügt am Kopfende des langen Tisches. Margie ignorierte seine gute Laune und funkelte ihn an, als wollte sie mit ihrem Blick seine Frisur in Brand setzen.

Das Einzige, woran Hunter dachte, war, dass er sie nicht hätte küssen dürfen.

Verdammt. Seit er probieren durfte, wie sie schmeckte, hatte er große Lust auf eine weitere Kostprobe. Aber auf gar keinen Fall würde er sich noch tiefer in das Fiasko hineinreiten, das sein Großvater angezettelt hatte. „Seine kleine Frau“ wartete wahrscheinlich nur darauf, endlich einen Grund zu haben, ihre Beziehung weiter zu festigen. Vielleicht gehörte das zu ihrem Plan.

Aber wie konnte sie den Kuss geplant haben, wenn doch er derjenige gewesen war, der sie geküsst hatte? Vergeblich versuchte er, nicht mehr an den Moment zu denken, in dem er seine Lippen auf den Mund der Frau gepresst hatte, die jetzt nur ein paar Zentimeter entfernt von ihm saß. Es war zwecklos. Seit Stunden versuchte er das Gefühl zu vergessen, das ihn gepackt hatte, als er sie geküsst hatte. Versuchte zu verdrängen, dass er von einem unbeschreiblichen Verlangen übermannt worden war, das ihn fast um den Verstand gebracht hatte.

Wenn Sophie nicht plötzlich aufgetaucht wäre, hätte er Margie womöglich … Hör auf, daran zu denken! ermahnte er sich.

Jeder Muskel seines Körpers schien angespannt zu sein, und er fühlte sich immer noch berauscht von dem, was sie in ihm ausgelöst hatte. Er konnte sie immer noch schmecken, und die Erinnerung an das Gefühl, ihren geschmeidigen Körper an sich zu spüren, als sie sich an ihn geschmiegt hatte, machte ihn seit Stunden fix und fertig.

Eigentlich war sie nicht der Typ Frau, dem er sonst nachsah. Daher konnte sich Hunter auch nicht erklären, warum er immer noch so verrückt danach war, sie zu berühren. Sie wieder zu küssen. Stattdessen sollte er sie lieber dafür erwürgen, dass sie sich in dieses Haus geschlichen hatte. Aber …

Verflucht noch mal. Selbst jetzt, da sie ihm beim Essen gegenübersaß, stellte er sich vor, wie es wäre, sie Stück für Stück auszuziehen. Sie nackt auf diese alberne Tagesdecke zu legen, die sein Bett verunstaltete. Er malte sich aus, wie es wäre, jeden Millimeter ihres perfekten Körpers zu küssen, sich in ihr zu verlieren und …

Ich muss so schnell wie möglich an etwas anderes denken, ermahnte er sich im Stillen. Denn sonst würde er nicht aufstehen können, ohne der ganzen Welt zu demonstrieren, wie sehr er sie begehrte.

Hunter versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Er sah sie forschend an, um hinter ihre schöne Fassade zu blicken, grübelte darüber, wie viel von ihrem „Ich bin ja so unschuldig“-Getue echt sein könnte. Oberflächlich betrachtet war sie genau das, was sie vorgab zu sein. Eine junge Frau, die einem alten Mann einen Gefallen tat. Doch bei allem, was Hunter bereits über sie erfahren hatte, war sie offenbar keine schlechte Schauspielerin. Wenn es ihr gelang, ihm etwas vorzuspielen, wie viel einfacher musste es für sie bei Simon gewesen sein?

Nach dem unerwarteten Abbruch ihrer „Unterhaltung“ hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Hunter hatte es für klüger gehalten, sich nach ihrem leidenschaftlichen Kuss zurückzuziehen und sich mit einen langen Ausritt abzulenken.

„Noch etwas Wein, Hunter?“

Hunter sah seinen Großvater an und nickte. „Ja, gerne.“

Warum machte ausgerechnet diese viel zu kleine, streitsüchtige Heiratsschwindlerin ihn so nervös? Himmel, er hatte gerade eine Beziehung mit Gretchen, einem fast ein Meter achtzig großen, gertenschlanken Model mit Engelsgesicht beendet. Selbst die hatte ihn nicht so beschäftigt wie diese kleine Rothaarige. Er hatte sich gefreut, nach Hause zu kommen, um ein paar Tage entspannen zu können und an nichts denken zu müssen. Pech gehabt, überlegte er. Überall in diesem Haus stand anscheinend jemand, der ihm zuwinkte oder verschwörerisch anlächelte. Es war grauenhaft. „Seine Frau“ direkt in greifbarer Nähe zu haben verwirrte ihn. Willkommen zu Hause, dachte er ironisch.

Während seines letzten Einsatzes war Hunter verwundet und von seinem Team getrennt worden. Er hatte sich allein durch feindliches Gebiet schlagen müssen. Acht Tage hatte er auf sich gestellt um sein Leben gekämpft – aber alles, was er in dieser Zeit durchgemacht hatte, erschien ihm angesichts dessen, was ihm nun passierte, wie ein Besuch in Disneyland.

„Ende der Woche gibt es einen Tanzabend“, sagte Simon und lenkte Hunters Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart. „Anlässlich des fertigen Klinikanbaus.“

„Nett.“ Was scherte ihn eine verdammte Tanzveranstaltung.

„Da du ja schon mal hier bist, wirst du natürlich mit Margie hingehen und dich zeigen.“

„Ich werde was?“ Hunter blickte seinen Großvater entgeistert an und sah aus den Augenwinkeln, dass Margie ebenfalls sehr überrascht war.

„Deine Ehefrau zum Tanz ausführen. Die Leute erwarten das. Schließlich habt ihr das alles erst möglich gemacht.“

„Ich habe nichts damit zu tun“, erinnerte Hunter den alten Herren.

Simon schnaubte verächtlich und sah ihm fest in die Augen. „Die Leute in der Stadt sehen das anders.“

„Er muss mich nicht begleiten“, warf Margie schnell ein. Sie war offenbar ebenso wenig versessen darauf, ihn mitzunehmen. Wieso ärgerte Hunter das?

„Ich sage einfach, dass er sich noch nicht von seiner Verletzung erholt hat“, fügte sie hinzu.

Plötzlich war Hunter empört. Nicht dass er zu dieser albernen Tanzparty gehen wollte, aber er wollte auch nicht, dass ihn irgendjemand, schon gar nicht sie, entschuldigte. Wenn er Hilfe bräuchte – was allerdings niemals der Fall sein würde –, dann wäre er derjenige, der darum bitten würde.

„Ja, zu lügen dürfte Ihnen nicht schwerfallen, was?“

Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn zornig an. Doch dann lächelte sie spöttisch. „Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ich musste mir tatsächlich ein paar gute Ausreden einfallen lassen, um den Menschen zu erklären, warum Sie sich hier nie blicken lassen. Ja, das hat meiner Fähigkeit zu lügen sehr gutgetan. Schön, dass Sie wenigstens das bemerkt haben.“

„Es gab keinen einzigen Grund zu lügen“, entgegnete er und ließ wütend die Gabel auf den Teller fallen. „Jeder in dieser Stadt weiß, was mein Job ist.“

Sie legte ihre Gabel ebenfalls beiseite. Sehr leise und sehr ruhig. Was ihn nur noch mehr auf die Palme brachte.

„Dann weiß hier sicherlich auch jeder, dass Sie im Krankheitsfall eines Angehörigen Sonderurlaub bekommen – so nennt man das doch beim Militär, oder? Wie zum Beispiel als Simon krank wurde.“

Er verspürte wieder die alten Schuldgefühle. Und das passte ihm überhaupt nicht.

„Ich war nicht einmal im Land“, rechtfertigte er sich.

Sie sah ihn einfach nur an, doch er wusste genau, was sie gerade dachte. Denn genau dasselbe dachte er auch von sich. Ja, er war zwar außer Landes gewesen, als Simon den Infarkt erlitten hatte. Aber nach seiner Rückkehr hätte er sehr wohl eine Woche Sonderurlaub vor dem nächsten Einsatz nehmen können, um Simon zu besuchen – stattdessen hatte er es einfach bei einem Telefonanruf belassen.

Hätte Hunter sich anders entschieden, hätte er seinem Großvater diese alberne Idee mit der Scheinhochzeit ausreden können und wäre jetzt nicht in dieser Situation.

Während er darüber nachdachte, bemerkte er den triumphierenden Ausdruck in Margies grünen Augen.

„Also gut, diesmal haben Sie gewonnen“, sagte er. „Ich werde Sie zu diesem verdammten Tanz begleiten.“

„Aber ich will nicht …“

„Wunderbar“, sagte Simon und griff nach Hunters Weinglas, um sich einen Schluck zu genehmigen.

„Wein ist Gift für Sie, Simon“, seufzte Margie und griff wiederum nach Simons Hand.

„Was nützt es, unsterblich zu sein, wenn man nicht einmal ein gepflegtes Glas Wein zum Essen trinken darf?“

„Ein Glas Wasser ist ebenso gepflegt.“ Scheinbar hatte Margie ihr kleines Wortgefecht mit Hunter vergessen. Sie widmete sich wieder ganz dem alten Mann.

„Wasser ist was für Hunde“, schimpfte Simon.

„Simon“, sagte Margie geduldig, und am Ton ihrer Stimme erkannte Hunter, dass sie diese Diskussion schon Dutzende Male geführt haben musste. „Sie wissen doch, was Dr. Harris gesagt hat. Kein Wein und keine Zigarren.“

„Sie“, warf er Margie vor und sah sie dabei vorwurfsvoll an, „sollten auf meiner Seite stehen.“

„Ich stehe auf Ihrer Seite, Simon. Weil ich möchte, dass Sie so lange wie möglich leben.“

„Ohne dabei auch nur den geringsten Spaß zu haben“, nörgelte er.

Während Hunter sich das Wortgefecht ansah, spürte er plötzlich, wie er neidisch wurde. Sein Großvater und Margie waren scheinbar ein eingeschworenes Team.

Er war hier das fünfte Rad am Wagen. Er war derjenige, der nicht hierhergehörte. In dieses Haus, in dem er aufgewachsen war. Diese Frau, seine „Ehefrau“, hatte ihn gründlich durcheinandergebracht.

Oder war er selbst dafür verantwortlich?

Es war ein höllischer Tag gewesen. Alles, wonach sich Hunter in diesem Moment sehnte, war ein bisschen Ruhe. Er unterbrach die beiden, die offenbar keine Notiz von ihm nahmen. „Ich sage euch was. Ich brauche eine Pause. Ich muss ins Bett.“

„Gute Idee“, pflichtete Simon ihm bei und widmete sich wieder seinem Enkelsohn. „Wieso geht ihr nicht einfach nach oben in euer Zimmer und gönnt euch ein bisschen Ruhe?“

Es herrschte Schweigen.

Einige Sekunden verstrichen, bevor einer der beiden es schaffte, etwas zu sagen.

Unser Zimmer?“, flüsterte Margie.

Hunter sah seinen Großvater starr an.

Und Simon grinste übers ganze Gesicht.

4. KAPITEL

„Ich werde nicht auf dem Boden schlafen“, erklärte Hunter.

„Gut“, antwortete Margie aus dem Badezimmer, wo sie sich gerade umzog, „aber Sie werden auch nicht mit mir in einem Bett schlafen.“

Auf gar keinen Fall würde sie das Bett mit einem Mann teilen, der sie ein paar Stunden zuvor so leidenschaftlich geküsst hatte! Was, wenn er auf die Idee kommen und es noch mal versuchen würde? Womöglich würde sie sich ihm willenlos hingeben. Nein, das war viel zu gefährlich.

„Bilden Sie sich bloß nichts ein, Süße“, rief er laut genug, damit sie ihn auch jenseits der mit Holz vertäfelten Wand, die sie trennte, hören musste. „Ich bin nicht hinter Ihrem Körper, sondern nur hinter der Matratze her. Sie verstehen sicher, dass ich mich in meinem eigenen Zimmer nicht auf den harten Boden legen werde.“

Sie blickte auf die geschlossene Tür. Wenn er nicht an ihr interessiert war, hatte sie auch nichts zu befürchten. Der Kuss schien also nur ein Ausrutscher für ihn gewesen zu sein. Sollte sie jetzt beleidigt oder zufrieden sein? „Also gut, ich schlafe auf dem Boden.“

„Tun Sie das“, entgegnete er.

Margie hielt kurz inne, bevor sie sich ihr Nachthemd über den Kopf zog. „Das würden Sie tun, oder? Sie lassen mich lieber auf dem Boden schlafen, als sich wie ein Gentleman zu benehmen.“

„Ich habe nie behauptet, einer zu sein.“

„Wissen Sie was? Ich habe es mir doch anders überlegt. Ich werde nicht auf dem Boden schlafen.“ Schließlich war das jetzt ihr Zimmer. Und das schon seit mehr als einem Jahr. Warum sollte sie diejenige sein, die den Kürzeren zog? Und da er sowieso kein eindeutiges Interesse an ihr hatte, würde ihr auch nichts geschehen.

„Wie Sie wollen.“

„Behalten Sie bloß Ihre Finger bei sich“, warnte sie ihn, sagte es aber eigentlich mehr, um sich zu beruhigen.

Er lachte laut auf. „Keine Angst, ich hatte nicht vor, Sie anzurühren.“

Dieser Mistkerl. Warum war sie nur auf ihn hereingefallen? Sie war immer noch benommen von dem, was eben geschehen war. Für ihn hingegen schien dieser Kuss keinerlei Bedeutung zu haben. Warum auch?

Sie war zu klein, zu … rund. Seinem Beuteschema entsprachen wahrscheinlich große, schlanke Frauen, für die ein einziges Stück Schokolade schon ein Festschmaus war. Sein Typ Frau trug bestimmt auch keine T-Shirts, sondern Seidenblusen. Wahrscheinlich sah sein Typ Frau aus wie einem Modemagazin entstiegen. Seine Traumfrau würde auch niemals eine Fernehe eingehen, denn die Männer würden bei ihr Schlange stehen. Sie musste sich nur einen aussuchen. Und sein Typ Frau würde nach einem einzigen Kuss auch nicht gleich wie ein Teenager dahinschmelzen.

„Oh Gott, wie bin ich da nur hineingeraten?“

Hunters Ehefrau zu sein war ziemlich einfach gewesen, solange er fort gewesen war. Bis zu diesem Moment hatte Margie ihn zum idealen Ehemann stilisiert. Verantwortungsvoll, treu und fürsorglich. Wieso war sie nie davon ausgegangen, dass der echte Hunter Lichtjahre von diesem Ideal entfernt sein könnte?

Außerdem war sie in etwas hineingeraten, von dem sie wusste, dass es direkt in ihr Elend führen würde. Denn die einzige Möglichkeit, überhaupt mit einem Mann wie ihm verheiratet zu sein, war einzig und allein diese. Eine Lüge.

Während sie so vor sich hin grübelte, trat sie aus dem Umkleidezimmer und sah, dass „ihr Ehemann“ es sich bereits im Bett bequem gemacht hatte. Auf ihrer Seite.

„Rutschen Sie rüber“, sagte sie im knappen Befehlston.

„Das hier ist ein Kingsize Bett“, erklärte er. „Es gibt genug Platz für uns beide.“

Selbst wenn dieses Bett die Größe des gesamten Bezirks gehabt hätte, wäre dort nicht genug Platz, um neben ihm zu liegen und sich dabei gleichzeitig wohlzufühlen. Natürlich würde sie sich nicht anmerken lassen, wie unbehaglich sie sich in dieser Situation fühlte. Viel Schlaf würde sie in dieser Nacht ohnehin nicht finden, da er auf ihrer Hälfte des Bettes lag.

„Sie liegen auf meiner Seite.“

Er blickte sich suchend im Zimmer um und zuckte nur mit den Schultern. „Da ich bis jetzt der Einzige bin, der hier liegt, ist das wohl meine Seite.“

Hunter lächelte sie amüsiert an. Im Schein der Nachttischlampe schimmerte seine Brust wie Gold. Als er sich aufrichtete, um sich gegen die Kissen zu lehnen, glitt die Decke ein wenig an seinem Körper hinab und gab den Blick auf seine entblößten Hüfte frei.

Er war splitterfasernackt.

Oh Gott. Sie würde also gar keinen Schlaf finden. Sie bekam ein mulmiges Gefühl im Magen, ihr Mund wurde trocken. „Haben Sie keinen Pyjama?“

Er lachte leise auf, und dabei bemerkte sie das Grübchen in seiner linken Wange. Warum musste er auch noch ein Grübchen haben?

„Nein“, antwortete er. „Habe ich nicht.“ Dann musterte er sie von oben bis unten, wie sie dort in ihrem knielangen Blümchennachthemd stand. „Haben Sie nicht etwas, das weniger …“

Als Margie sah, wie er die Nase rümpfte, stemmte sie beide Hände in die Hüfte und hielt ihn davon ab, den Satz zu beenden. „Weniger was?“

„Das weniger nach ‚Unsere kleine Farm‘ aussieht?“

Sanft strich sie über ihr bequemes Nachthemd. Klarer hätte er ihr gar nicht zu verstehen geben können, dass sie keinerlei Anziehungskraft auf ihn ausübte. „An meinem Nachthemd ist nichts auszusetzen. Es ist sehr hübsch.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Wenn Sie das sagen.“

„Und sehr bequem.“

„Okay.“

Seufzend schloss Margie den letzten Knopf ihres Nachthemdes. Dann blickte sie ihn wieder an. Vermutlich trugen die Frauen, die sonst zu ihm ins Bett stiegen, entweder einen Hauch von Seide oder gar nichts. „Rutschen Sie jetzt auf die andere Seite oder nicht?“

„Nein.“

„Sie sind der unsensibelste, arroganteste …“

Er schloss demonstrativ die Augen und schmiegte seinen Kopf absichtlich in ihr Kissen. „Das Thema hatten wir schon. Lassen wir es für heute gut sein. Morgen können wir uns dann wieder neue Beleidigungen an den Kopf schmeißen.“

„Schön.“

„Schön. Jetzt legen Sie sich endlich hin und schlafen.“

Leise fluchend ging Margie um das große Bett herum auf die Seite, auf der sie sonst nie lag. Mit welcher Unverschämtheit er das Bett belegte und seine Augen vor ihr geschlossen hatte, war für sie Beweis genug, dass er sich nicht um sie scherte. Warum war sie dann so nervös, dass sie am ganzen Körper zitterte? Das war nicht fair.

Um sich hinlegen zu können, musste sie sich durch einen Berg dekorativer Kissen kämpfen, die er achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Als sie schließlich ins Bett stieg, zog Hunter für sie schwungvoll einen Teil der Decke zur Seite. Das tat er so geschickt, dass dabei sein athletischer und gebräunter Körper zum Vorschein kam. Rein zufällig natürlich, und die entscheidende Stelle war noch knapp, aber vollständig bedeckt.

Autor

Maureen Child

Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

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