Der Millionär, der mich verführte

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"Du heiratest mich!", bestimmt Tony Caroselli, "das ist das Beste für das Baby." Lucy ist schockiert. Zwar hat sie insgeheim auf einen Antrag gehofft, wenn sie dem vermögenden Geschäftsmann gesteht, dass sie als Folge ihrer leidenschaftlichen Nächte schwanger ist. Aber sie hat nicht damit gerechnet, dass er gar nichts für sie empfindet und nur des Babys wegen heiraten will. Zutiefst verletzt sagt sie Nein, als Tony sie plötzlich doch noch mit einem ungeahnt romantischen Liebesgeständnis überrascht. Oder ist er einfach nur ein besonders berechnender Verführer?


  • Erscheinungstag 24.03.2015
  • Bandnummer 1865
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721053
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Lucy Bates war genau dreiundzwanzig Jahre, neun Monate und sechzehn Tage alt – und hatte in dieser Zeit eine ganze Reihe fragwürdiger Entscheidungen getroffen. Wegen ihres überschäumenden Temperaments, ihrer arglosen Neugier und ihres gelegentlichen Mangels an gesundem Menschenverstand hatte sie sich mehr als einmal in etwas … nun ja, komplizierten Situationen wiedergefunden. Doch die Zwickmühle, in der sie augenblicklich steckte, übertraf alles.

Wenn du das nächste Mal die großartige Idee haben solltest, einen Mann zu verlassen und dann quer durchs Land zu reisen, weil du insgeheim hoffst, dass er dir folgt, dann vergiss es gleich wieder.

Lucy seufzte. Natürlich war Tony ihr nicht gefolgt. Schlimmer noch, nachdem Tony und sie fast ein Jahr lang ein Paar gewesen waren, ohne dass er Anstalten gemacht hätte, in ihrer Beziehung den nächsten Schritt zu tun, würde er demnächst eine Frau heiraten, die er kaum kannte. Soweit Lucy wusste, waren die beiden erst zwei Monate zusammen. Und die andere Frau war noch nicht einmal schwanger von Tony.

Ganz im Gegensatz zu ihr.

Es war doch immer dieselbe Geschichte, überlegte Lucy genervt. Armes Mädchen verliebt sich unsterblich in einen reichen Typen und fängt sich ein Kind von ihm ein. Obwohl in Wahrheit noch viel mehr dahintersteckte, würden die Leute genau das denken – und Tony sicher auch.

„So, hier wären wir“, sagte der Taxifahrer, als er vor dem Haus hielt. Neugierig sah Lucy aus dem Fenster. Das Domizil der Carosellis befand sich in einem der angesehensten Stadtviertel Chicagos. Trotzdem wirkten die benachbarten Anwesen beinahe ein wenig unscheinbar im Vergleich zu der altehrwürdigen Villa, vor der sie jetzt standen. Lucy kam das Haus schon fast zu pompös vor.

Am Straßenrand parkten ausschließlich Luxuslimousinen und teure Geländewagen, im Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite spielten Kinder. Tony hatte ihr einmal erzählt, dass sein Großvater Giuseppe, der Begründer von Caroselli Chocolate, es liebte, in seinem Arbeitszimmer am Fenster zu sitzen und den Kindern zuzusehen. Es erinnerte ihn an seine Heimat Italien.

Nachdem Lucy dem Fahrer ihr letztes Bargeld gegeben hatte, stieg sie aus dem Taxi. Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, kam ihr die Luft kühl vor.

Sie hatte all ihre Ersparnisse geplündert, um den teuren Sonntagsflug von Florida nach Chicago zu bezahlen. Von jetzt an würde sie auf ihre Kreditkarte angewiesen sein. Wenn sie das Limit erreichte … Tja, dann würde sie sich eben etwas einfallen lassen. Das tat sie schließlich immer.

Doch es ging jetzt nicht mehr nur um sie allein. Sie musste endlich anfangen, wie eine Mutter zu denken – immer als Erstes an das Wohl ihres Kindes.

Als sie eine Hand auf ihren Babybauch legte, spürte sie die Tritte winziger Füßchen. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so verwirrt und gleichzeitig so zufrieden gefühlt.

Sie schwor sich, nie wieder etwas Unüberlegtes zu tun, sobald sie diese unangenehme Situation bereinigt hatte. Nie wieder.

„Jetzt hast du ihn da, wo du ihn immer haben wolltest“, hatte ihre Mutter heute Morgen auf dem Weg zum Flughafen gesagt. Sie hatten in dem altersschwachen Auto ihrer Mom gesessen, das mit einem Rad quasi schon auf dem Schrottplatz stand. „Was immer er dir für dein Schweigen anbietet, du verlangst das Doppelte.“

Das hatte Lucy nur einmal mehr deutlich gemacht, was ihrer Mutter im Leben wirklich wichtig war. Das Wohl ihrer Tochter stand nicht besonders weit oben auf der Liste.

„Ich will doch kein Schweigegeld“, hatte Lucy empört erwidert. „Ich will überhaupt nichts von ihm. Ich finde nur, dass er vor seiner Hochzeit erfahren sollte, dass er ein Kind hat.“

„Dann kannst du ihn auch einfach anrufen.“

„Nein, das muss ich ihm schon persönlich sagen.“ Das schuldete sie Tony, wenn sie daran dachte, wie sie sich benommen hatte. Zwar hatte er offensichtlich kein Interesse mehr an ihr, aber das Baby war nun einmal von ihm. „Er hat ein Recht darauf.“

„Indem du seine Verlobungsfeier platzen lässt?“

„Ich lasse gar nichts platzen. Ich spreche ja vor der Party mit ihm.“

Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Flug zwei Stunden Verspätung haben würde. Somit blieben ihr insgesamt nur noch zwei Stunden, um zu Tony zu fahren, mit ihm zu reden und für den Rückflug wieder an den Airport zurückzukehren. Natürlich hatte sie nicht vor, ihm eine Szene zu machen. Mit etwas Glück würden die Anwesenden sie einfach für einen Partygast halten.

Lediglich fünf Minuten seiner Zeit würde Tony erübrigen müssen, bevor sich ihre Wege wieder trennten. Falls er sich dazu entschließen sollte, eine Rolle im Leben seines Kindes spielen zu wollen, würde sie sich darüber freuen. Wenn er zudem den einen oder anderen Dollar springen ließe, wäre sie ihm sogar zu unendlichem Dank verpflichtet. Sollte er allerdings mit ihr und dem Baby nichts zu tun haben wollen, wäre sie zwar enttäuscht, aber sie würde es verstehen.

Lucy erinnerte sich daran, wie sie damals darauf bestanden hatte, ihre Beziehung unverbindlich zu halten – ganz ohne Verpflichtungen. Da konnte sie jetzt schlecht von Tony fordern, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, das er nie gewollt hatte.

„Selbst wenn er nicht verlobt wäre, Baby hin oder her, dieser Mann würde dich niemals heiraten“, hatte ihre Mutter behauptet. „Männer wie er halten sich Frauen wie uns nur aus einem einzigen Grund.“

Ihre Mom ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihre Tochter immer wieder darauf aufmerksam zu machen. Und sie hatte ja recht. Unzählige Male hatte Lucy sich einzureden versucht, dass Tony viel zu gut für sie war. Dass er nur mit einer Frau eine Familie gründen würde, die in seiner Liga spielte. Und genau das tat er jetzt auch.

Tony und sie stammten aus zwei verschiedenen Welten. Es war dämlich von ihr gewesen, ernsthaft zu hoffen, dass er ihr nach Florida folgen würde. Dass er sie anflehen würde, zu ihm zurückzukehren. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als den Scherbenhaufen zusammenzufegen, den sie angerichtet hatte. Dazu gehörte, dass sie ihren Stolz herunterschluckte und Tonys finanzielle Unterstützung annahm, falls er ihr welche anbot.

Tja, dachte sie und betrachtete beklommen das imposante Gebäude, das vor ihr aufragte. Jetzt oder nie.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieg sie schnell die Stufen zur Veranda hoch und klopfte an die Tür. Mit einem Mal fühlten sich ihre Knie an, als wären sie aus Pudding, und ihr Herz schien zu rasen. Als sich nach einer Minute nichts getan hatte, klopfte Lucy noch einmal.

Wieder keine Reaktion.

Na großartig, dachte sie. Ob das Datum in der E-Mail, die sie erhalten hatte, vielleicht falsch gewesen war? Oder die Uhrzeit? Oder vielleicht sogar der Ort? Möglicherweise war es etwas leichtsinnig gewesen, sich allein auf die Mail eines anonymen Freundes – wie sich der unbekannte Absender genannt hatte – zu verlassen.

Doch jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Als sie am Griff drehte, stellte sie fest, dass die Tür unverschlossen war. Warum also nicht auch noch Hausfriedensbruch auf die lange Liste ihrer Verfehlungen setzen?

Langsam stieß sie die Tür auf und spähte in das Haus hinein. Da niemand zu sehen war, trat sie ein und schloss die Tür leise wieder hinter sich. Sowohl das Foyer als auch der angrenzende Wohnbereich waren überaus stilvoll eingerichtet – und absolut menschenleer, wie Lucy voller Unbehagen feststellte. Wo zur Hölle steckten alle? Vielleicht hatte man ihr doch das falsche Datum zugeschickt, und die vielen Autos parkten nur am Straßenrand, weil einer der Nachbarn eine Party schmiss.

Sie wollte sich gerade umdrehen und wieder gehen, als sie aus dem hinteren Teil des Hauses leise Musik vernahm. Streichinstrumente – vielleicht ein Quartett? Doch die Melodie konnte sie nicht erkennen.

Möglicherweise bot sich ja doch eine Möglichkeit, unbemerkt auf die Party zu gelangen. Als sie den Klängen der Musik folgte, kam sie an einem geräumigen Esszimmer vorbei, in dem eine kleine Armee bequem Platz hätte. Sie wollte schon weitergehen, doch dann brach unvermittelt die Musik ab.

Lucy drehte sich um. Auf der gegenüberliegenden Seite des Esszimmers befand sich ein riesiges Wohnzimmer mit einem Steinkamin, der bis unter die schwindelerregend hohe Decke reichte. Rechts und links neben einem schmalen, edlen Teppich standen mehrere Stuhlreihen und …

Oh, mein Gott!

Das war keine Verlobungsparty, das war eine Hochzeit!

Sofort fiel ihr auf, wie entspannt das Ambiente wirkte – und wie traditionsreich. Eine Handvoll Hochzeitsgäste saß auf seidenbespannten Stühlen. Die Braut mit den aristokratischen Gesichtszügen trug ein schlichtes und dennoch elegantes Kleid. Sie hatte lange schlanke Beine – sie war beinahe so groß wie Tony, der fast einen Meter neunzig maß.

Apropos Tony …

Bei seinem Anblick hatte Lucy das Gefühl, dass ihr Herz zuerst ein paar Takte aussetzte, um dann in ihren Magen zu plumpsen. Mit dem maßgeschneiderten Anzug und dem glänzenden schwarzen Haar sah er aus, als wäre er gerade dem GQ-Magazin entsprungen – mit dem Unterschied, dass sein leicht zerzauster Look ihn wesentlich attraktiver wirken ließ als jedes Model. So hatte er auch damals ausgesehen, als sie ihm das erste Mal in der Bar begegnet war, in der sie gearbeitet hatte. Jetzt erst erkannte Lucy, wie sehr sie ihn die ganze Zeit über vermisst hatte. Bevor sie Tony letztes Jahr kennengelernt hatte, hatte sie nie jemanden so gebraucht – denn das war das Gefühl, das sie gerade nur zu deutlich verspürte.

Was jetzt? Sollte sie sich einfach auf einen der Stühle setzen und so tun, als ob sie dazugehörte, um nach der Trauung mit Tony zu reden? Oder sollte sie ihr Heil in der Flucht suchen und später anrufen, wie ihre Mutter vorgeschlagen hatte?

„Lucy?“, fragte Tony.

Verwirrt blinzelte sie und bemerkte erst jetzt, dass Tony sie ansah – genauso wie die Braut an seiner Seite. Um ehrlich zu sein, sahen sich mittlerweile alle Anwesenden zu ihr um.

Oh, Mann.

Wie vom Donner gerührt stand sie da und fragte sich verzweifelt, was sie tun sollte. Sie war hergekommen, um mit Tony zu reden und nicht, um seine Hochzeit zu ruinieren. Doch jetzt war sie einmal da, die Feier ohnehin unterbrochen und Weglaufen keine Option mehr. Warum also nicht tun, weswegen sie gekommen war?

„Es tut mir leid“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass eine einfache Entschuldigung wohl nicht genügte. Wenn Tony nach dem, was sie ihm nun zu sagen hatte, jemals wieder mit ihr reden würde, wäre es ein Wunder. „Ich wollte nicht stören.“

„Trotzdem bist du hier“, erwiderte Tony ausdruckslos. „Was willst du?“

„Ich muss mit dir reden“, erwiderte sie. „Unter vier Augen.“

„Jetzt? Falls du es nicht mitbekommen haben solltest: Ich heirate gerade.“

Verblüfft sah die Braut zwischen ihnen beiden hin und her. Sie war so blass geworden, als wollte sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Vielleicht sah sie aber auch immer so aus.

„Tony? Wer ist das?“, fragte die bleiche Braut schließlich empört, als sie die Stimme wiedergefunden hatte.

„Niemand Wichtiges“, entgegnete er.

Autsch, das tat weh.

„Was ich zu sagen habe, ist wichtig“, sagte Lucy. „Vielleicht können wir kurz unter vier Augen reden …“

„Alles, was du mir zu sagen hast, kannst du mir hier sagen“, unterbrach Tony sie bestimmt. „Und zwar vor meiner Familie.“

Wenn es das war, was er wollte …

Entschlossen streckte sie das Kinn vor und öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke, um ihren basketballförmigen Babybauch zu präsentieren, der sich deutlich unter dem körperbetonten T-Shirt abzeichnete.

„Ist das etwa von dir?“, rief die Braut entsetzt.

Tony sah sie nur fragend an. Lucy warf ihm einen Blick zu, der keinen Zweifel an der Antwort ließ – woraufhin Tony sich wieder zu der blassen Frau an seiner Seite umdrehte. „Alice, es tut mir leid, aber ich brauche eine Minute Zeit mit meiner … mit Lucy.“

„Ich schätze, du brauchst wohl mehr als eine Minute“, entgegnete Alice mit eisiger Stimme, bevor sie den Diamantring vom Finger streifte und ihn Tony hinhielt. „Und ich habe das Gefühl, dass ich den hier nicht länger benötige.“

„Alice …“, begann Tony, doch sie unterbrach ihn.

„Bei unserem Deal war von einer schwangeren Ex nicht die Rede. Lass uns den Schaden begrenzen und die Sache hiermit beenden, okay?“

War das alles, was Alice in ihrer Heirat gesehen hatte? fragte sich Lucy verblüfft. Einen Deal? Die andere Frau wirkte gedemütigt und wütend, aber ganz bestimmt nicht so, als hätte Tony ihr soeben das Herz gebrochen.

Tony versuchte gar nicht erst, Alice umzustimmen. Aus unerfindlichen Gründen wurde Lucy das Gefühl nicht los, ihm soeben einen Gefallen getan zu haben – allerdings bezweifelte sie, dass Tony das genauso sah.

„Behalt ihn ruhig“, sagte er zu Alice, die ihm unverwandt den Ring entgegenstreckte. „Sozusagen als Entschädigung.“

Eine mindestens fünfstellige Entschädigung, wenn man die Größe des Steins berücksichtigte, nahm Lucy an.

Würdevoll nahm Alice den Ring wieder an sich. „Ich hole dann mal meine Sachen“, erwiderte sie.

Zweifellos nahm sie ihre Niederlage mit beeindruckender Haltung hin, stellte Lucy voller Bewunderung fest.

Eine Frau, die in der ersten Reihe gesessen hatte, sprang auf und legte einen Arm um Alices Schulter. „Warte, ich helfe dir“, sagte sie und warf Lucy beim Weggehen einen zornigen Blick zu, der nichts Gutes ahnen ließ. Von Fotos wusste Lucy, dass es sich um Tonys Mutter, Sarah Caroselli, handelte.

Somit war die Beziehung zur Großmutter ihres Kindes also schon zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt begonnen hatte. In Lucys Welt geschah so etwas zwar ständig, aber sie glaubte nicht, dass Tony solche Zerwürfnisse kannte. Seine Familie wirkte so kultiviert. Wie hatte sie jemals glauben können, dass Tony und sie eine gemeinsame Zukunft haben könnten? Ihre Mom hatte recht, wenn sie behauptete, dass Männer wie Tony niemals Frauen wie sie heirateten, dachte Lucy frustriert.

Sobald die Braut außer Sicht war, begannen die Gäste zu murmeln und miteinander zu tuscheln. Tonys Vater ging zu seinem Sohn und umfasste seinen Arm. Verschiedener konnten zwei Menschen kaum sein. Tony war groß und schlank, während sein Vater klein und stämmig wirkte. Mit Ausnahme ihrer Nasen – die alle Carosellis geerbt zu haben schienen – hatten sie äußerlich nichts gemeinsam.

Nachdem Antonio Caroselli senior seinem Sohn ein paar scharfe Worte zugeraunt hatte, verließ er den Saal, um seiner Frau und Alice zu folgen. Doch auch er ließ es sich nicht nehmen, Lucy vorher noch einen unheilvollen Blick zuzuwerfen.

Dabei fühlte sie sich ohnehin schon grauenhaft.

Jetzt kam Tony zu ihr herüber. Seine Augen verrieten nicht, was in ihm vorging, doch er sah so umwerfend sexy aus, dass Lucy der Atem stockte. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und ihn nie wieder losgelassen.

Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, war sie sicher gewesen, sich niemals in einen Mann zu verlieben – in niemanden. Sie hatte gedacht, sie wäre immun gegen Tonys geheimnisvolle Ausstrahlung. Doch sie hatte sich geirrt, und als sie schließlich herausgefunden hatte, was mit ihr geschah, war es bereits zu spät gewesen.

Falls er ähnliche Gefühle für sie empfand, wäre ihrer Meinung nach jetzt ein guter Zeitpunkt, sie in seine Arme zu schließen und ihr seine unsterbliche Liebe zu gestehen. Stattdessen umfasste er jedoch nur ihren Oberarm. „Lass uns gehen“, sagte er mit eisiger Stimme.

„Wohin denn?“, fragte sie zögernd.

„Egal, nur weg von hier“, erwiderte er leise und warf einen verstohlenen Blick auf die Hochzeitsgäste, die sich mittlerweile in kleinen Grüppchen zusammengefunden hatten und sie neugierig beobachteten. Plötzlich fiel Lucy wieder ein, wie oft Tony ihr erzählt hatte, dass seine Familie unglaublich neugierig war, und wie sehr ihm das auf die Nerven ging. Wenn sie näher darüber nachdachte, hätte sie wirklich keinen unpassenderen Ort für ihr Gespräch wählen können.

Tony hielt ihren Arm so fest im Griff, dass Lucy nichts anderes übrig blieb, als ihm hinaus zu seinem Wagen zu folgen. Nachdem er ihr die Tür aufgehalten und sich selbst hinter das Steuer gesetzt hatte, blieb er einfach sitzen, ohne den Motor zu starten. Lucy wartete ergeben auf seine Strafpredigt, weil sie soeben sein Leben zerstört hatte. Doch wie aus heiterem Himmel begann er plötzlich zu lachen.

Lucy starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren, schoss es Tony durch den Kopf, während er nicht aufhören konnte zu lachen. Vielleicht hatte sie gar nicht mal so unrecht. Wie durch göttliche Fügung war sie gerade noch rechtzeitig aufgetaucht, um ihn vor dem schlimmsten Fehler seines Lebens zu bewahren. Als sie eben seine Hochzeit hatte platzen lassen, war er unglaublich erleichtert gewesen.

„Geht es dir gut?“, fragte Lucy besorgt und sah so aus, als machte sie sich ernsthaft Sorgen um seine seelische Gesundheit.

Er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Nachdem sie ihn verlassen hatte, hatte er lauter katastrophale Entscheidungen getroffen. Eine davon war der Antrag gewesen, den er Alice gemacht hatte, nur einen Monat, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Es gab keine Liebe zwischen ihnen, aber Alice hatte unbedingt ein Kind gewollt und Tony einen männlichen Erben. Immerhin winkten dafür dreißig Millionen Dollar, das war doch einen Kompromiss wert. Jetzt war ihm allerdings klar, dass es trotzdem falsch gewesen wäre.

Zur Hölle, eigentlich hatte er das schon dreißig Sekunden nach seinem Antrag gewusst.

Er hatte sich damit getröstet, dass die Ehe ja nicht ewig halten musste, sondern nur so lange, bis ein Sohn aus ihrer Beziehung hervorgegangen wäre. Anschließend wären Alice und er getrennte Wege gegangen. Doch als der Hochzeitsmarsch eingesetzt hatte und Alice langsam auf ihn zugeschritten war, war ihm bewusst geworden, dass er diese Frau nicht liebte, sie noch nicht einmal besonders mochte. Und hätten sie wirklich ein Kind miteinander gehabt, dann wäre er auch nach der Scheidung ein Leben lang mit ihr verbunden geblieben.

Glücklicherweise war das Unheil dank Lucy noch einmal abgewendet worden. Wie kam es nur, dass sie immer dann auftauchte, wenn er sie brauchte? Es war beinahe so, als ahnte sie, wenn er ihre Hilfe benötigte. Und verdammt, heute hatte er sie wirklich gebraucht. Schon damals war sie für ihn die Stimme der Vernunft gewesen, wenn er sich wie ein Trottel verhalten hatte. Seitdem sie ihn verlassen hatte, hatte er es in dieser Disziplin wirklich zur Meisterschaft gebracht.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, eine völlig Fremde zu heiraten? Er deutete auf Lucys Bauch. „Bist du deswegen einfach verschwunden?“

Sie biss sich auf die Lippen und nickte.

„Das verstehe ich nicht. Wieso hast du nicht mit mir geredet?“

Verlegen wich sie seinem Blick aus. „Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe“, sagte sie schließlich. „Und ich bin nicht hier, weil ich irgendetwas von dir will. Ganz bestimmt wollte ich nicht deine Hochzeit verhindern. Das Timing war einfach schlecht.“

Das konnte er nun nicht behaupten. „Warum bist du dann ausgerechnet jetzt gekommen?“

„Ich habe gehört, dass du heiratest, und dachte, du solltest vorher von dem Kind erfahren. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du heute heiratest. Mir wurde gesagt, heute wäre die Verlobungsparty.“

Deswegen hatte sie also so entsetzt ausgesehen. „Und wer hat dir das verraten?“

„Das spielt doch keine Rolle, oder? Ich wollte einfach mit dir reden.“

Obwohl Lucy niemals von sich aus auf Ärger aus war, zog sie Schwierigkeiten förmlich an wie ein Magnet. Zwar hätte er jetzt aus gutem Grund sauer auf sie sein können, aber sie wirkte, als täte es ihr ehrlich leid. Tonys Ärger war längst verraucht. Um ehrlich zu sein, hätte er sie vorhin am liebsten fest in die Arme geschlossen. Er verdrängte den Gedanken. „Aber warum hast du dich nicht früher gemeldet?“, fragte er stattdessen.

„Ja, das hätte ich tun müssen.“ Nervös nestelte sie am Reißverschluss ihrer Jacke und brachte es immer noch nicht fertig, ihm in die Augen zu sehen. „Ich wollte nur nicht … eins von diesen Mädchen sein.“

„Was meinst du?“

„Ich wollte nicht, dass du mich für so eine hältst, die sich ein Kind anlacht, damit du für mich sorgen musst. Ich weiß noch nicht einmal, wie das passieren konnte. Wir haben doch immer aufgepasst. Dachte ich zumindest.“

Schon früh hatte Tony gelernt, dass es im Leben keine Garantien gab. Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Beste aus der verzwickten Lage zu machen. Dass er Alice los war, war seinem Empfinden nach ein guter Start.

„Lass mich eins klarstellen“, sagte er. „So etwas würde ich dir nie unterstellen, dafür kenne ich dich zu gut. Manchmal triffst du einfach nur die falschen Entscheidungen – so wie die, als du weggelaufen bist, statt mir zu sagen, was los ist.“

„Ich weiß. Ich habe nicht nachgedacht und kann verstehen, wenn du sauer auf mich bist.“

„Ich bin nicht sauer, nur … enttäuscht.“

Einen Moment sah es so aus, als wäre sie den Tränen nah, doch sie schluckte sie tapfer herunter. „Ich weiß. Ich habe es vermasselt. Es tut mir so leid – vor allem für deine Verlobte.“

„Alice wird es überleben.“ Ganz bestimmt würde sie den Verlust verschmerzen, das wusste Tony, denn eigentlich interessierte sie sich nur für zwei Dinge in ihrem Leben: für Geld und sich selbst. Stundenlang hatte sie ihm von der Glamourwelt und ihrer Karriere als Laufstegmodel in den Ohren gelegen, während er angestrengt versucht hatte, Interesse zu heucheln.

Klar, sie hatte auch gute Seiten gehabt. Hübsch war sie, und auch der Sex war in Ordnung gewesen. Allerdings hatte es nie so zwischen ihnen gefunkt wie zwischen ihm und Lucy. Vom ersten Kuss an hatte er gewusst, dass Lucy etwas Besonderes war. Und dass sie wild entschlossen war, nicht sesshaft zu werden.

Sicher gab es auch für Alice irgendwo da draußen den richtigen Mann, der sich fürs Theater interessierte und nicht für Actionfilme, so wie Tony. Ein Mann, der Katzen mochte und nicht unter einer Tierhaarallergie litt. Eigentlich konnten zwei Menschen kaum unterschiedlicher sein als Alice und er, fiel Tony bei näherem Nachdenken auf.

„Liebst du sie denn?“, fragte Lucy.

Er kannte sie ja kaum. „Unsere Beziehung ist etwas … kompliziert gewesen“, erwiderte er vorsichtig. „Du hättest mir damals wirklich die Wahrheit sagen müssen, dann hätten wir eine Lösung gefunden.“

„Ich hab doch schon gesagt, dass es mir leidtut, und dass ich es wiedergutmachen will.“

Wollte sie das wirklich? Oder würde er in einem Monat, in einem Jahr oder in zwei Jahren nach Hause kommen und feststellen, dass sie ihn wieder verlassen hatte?

2. KAPITEL

Tony hatte so viele Fragen. Er hätte Lucy gerne so vieles gesagt, aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er war geschockt gewesen, als er vor einigen Monaten zu Lucy gefahren war und von ihrer Mitbewohnerin erfahren hatte, dass sie Hals über Kopf wieder nach Florida zu ihrer Mom gezogen war.

Lucy war immer sehr verschlossen gewesen. Die meiste Zeit über hatte er nicht gewusst, was in ihrem Kopf vorging. Jetzt, da sie neben ihm saß, spürte er, wie sehr er sie und ihre Freundschaft vermisst hatte. Nachdem sie ihn verlassen hatte, hatte er niemanden gehabt, mit dem er offen reden konnte. In seiner Familie galt er seit jeher als starker, ernster und eher schweigsamer Typ – doch er konnte auch anders sein. Er zeigte es nur nicht jedem. Bei Lucy hatte er nie gezögert, einfach er selbst zu sein. Sie war die Einzige, die ihn wirklich verstand.

Vielleicht hatte es ihn deswegen so schwer getroffen, dass sie ihn verlassen hatte. Es war eine beunruhigende Erfahrung gewesen, denn sein ganzes Leben lang – und er war immerhin fünfunddreißig Jahre alt – hatte er sorgfältig darauf geachtet, sich nicht in übermäßig komplizierte Gefühle zu verstricken.

Jemand klopfte gegen das Fenster der Fahrerseite und riss Tony aus seinen Überlegungen. Himmel! Er schrak zusammen. Sein Cousin Nick stand neben dem Wagen. Konnte man denn nicht zehn Minuten ungestört bleiben, ohne von der Familie genervt zu werden?

„Was?“, fragte Tony ungehalten, nachdem er das Fenster heruntergelassen hatte.

Nick beugte sich ein Stück zu ihm herunter, sodass er einen Blick auf Lucy werfen konnte. „Ist alles in Ordnung bei euch?“

„Lucy, du erinnerst dich bestimmt an meinen Cousin Nick“, sagte Tony.

„Hi, Lucy.“ Nick schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Ich möchte der Erste sein, der euch beiden gratuliert.“

Tony registrierte die Neugier in Nicks Blick. Natürlich wollte sein Cousin wissen, ob er weiterhin darüber nachdachte, das Angebot ihres Großvaters, den alle liebevoll Nonno nannten, anzunehmen. Sowohl Nick als auch Rob hatten auf ihren Anteil an den dreißig Millionen Dollar verzichtet, um ihre Ehen zu retten. Tony hingegen war nicht verheiratet – noch nicht, doch er müsste es sein, um das Geld zu bekommen. Nonnos Spiel, Nonnos Regeln. Allerdings bezweifelte Tony, dass Lucy so leicht von den Vorzügen einer Scheinehe zu überzeugen war.

„Meine Frau ist auch schwanger“, sagte Nick zu Lucy. „Unser Termin ist am einundzwanzigsten September.“

„Meiner ist Anfang Juni“, erwiderte Lucy, und Tony konnte förmlich sehen, wie Nick innerlich nachrechnete. Die leichte Falte zwischen seinen Augen verriet Tony, dass sein Cousin zum selben Schluss gekommen war wie er: Lucy musste schon eine ganze Weile von der Schwangerschaft gewusst haben, als sie nach Florida abgehauen war.

„Und ich hatte schon Angst, dass es eine langweilige Hochzeit wird“, meinte Nick grinsend. „Aber nun war es sogar noch besser als die Hochzeit meiner Schwester. Da hat sich mein Dad mit dem Lover meiner Mom geprügelt.“

„Wie geht’s Alice?“, fragte Tony schnell, denn Lucy schien, ihrem Gesichtsausdruck nach, immer noch ein schlechtes Gewissen zu haben.

„Sie ist noch oben mit deiner Mom. Carrie fährt sie nachher ins Apartment zurück. Sie hat mich rausgeschickt, um euch zu sagen, dass ihr besser weg seid, wenn sie aufbrechen.“

Carrie war Robs Frau und außerdem die beste Freundin von Alice. Sie hatte Tony mit ihr bekannt gemacht und bereute es bestimmt gerade bitterlich.

Alice war das absolute Gegenteil von Lucy. Das hatte Tony anfangs faszinierend gefunden. Doch schon bald hatte er sich dabei ertappt, wie er sich wünschte, sie wäre Lucy ein bisschen ähnlicher. Wäre es ihm möglich gewesen, in die Vergangenheit zu reisen und Dinge zu ändern, dann wäre er Lucy damals sofort nach Florida gefolgt und hätte sie überredet, wieder zu ihm zurückzukommen und eine Familie zu gründen.

„Carrie will auch wissen, ob noch Sachen von Alice in deiner Wohnung sind“, meinte Nick.

„Ich glaube zwar nicht, aber ich sehe nach“, versprach er. Alice war nur ein paar Mal bei ihm gewesen. Plötzlich war ihm völlig schleierhaft, warum er sie hatte heiraten wollen. Wenn er näher darüber nachdachte, wusste er nicht einmal, wie alt sie war. Zwar hatte er gefragt, aber lediglich eine ausweichende Antwort bekommen. Was hast du dir bloß gedacht? fragte er sich im Stillen.

„Beeil dich damit lieber“, riet Nick. „Alice sagt, dass sie in ein paar Tagen nach New York zurückkehrt.“

„Für immer?“

„Soviel ich weiß, ja.“

Tony hätte nie vorgehabt, Alice aus Illinois zu vertreiben, aber auf der anderen Seite würde er sie so nicht wiedersehen müssen. Mit dieser Aussicht konnte er gut leben.

Die Eingangstür von Nonnos Haus wurde geöffnet, und die Gäste traten auf die Veranda hinaus. Glücklicherweise war Alice nicht unter ihnen.

Autor

Michelle Celmer

Michelle Celmer wurde in Metro, Detroit geboren. Schon als junges Mädchen entdeckte sie ihre Liebe zum Lesen und Schreiben. Sie schrieb Gedichte, Geschichten und machte selbst dramatische Musik mit ihren Freunden. In der Junior High veröffentlichten sie eine Daily Soap Opera. Ungeachtet all dessen, war ihr Wunsch immer Kosmetikerin zu...

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