Der Rhythmus der Sehnsucht

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Detective Luke Starwind ist ein Rätsel für Maggie. Gerade noch berühren sich ihre Körper beim Tanz verführerisch, schlagen ihre Herzen im selben Rhythmus. Kurz darauf weist er sie eiskalt ab. Kann sie jemals die Dämonen vertreiben, die ihren heißen Traummann quälen?


  • Erscheinungstag 22.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769017
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Maggie Connelly wartete vor der Eingangstür zu Luke Starwinds Haus. Es wehte ein bitterkalter Wind in Chicago. Wie eisige Finger strich die Dezemberluft ihren Rücken entlang. Eine Warnung dachte sie. Die Ankündigung einer unmittelbaren Gefahr.

Sie umfasste die Einkaufstüten in ihrem Arm ein wenig fester. War sie der Sache überhaupt gewachsen? Ging sie ein zu großes Risiko ein?

Nein, beruhigte sich Maggie. Sie hatte das Recht, in die Ermittlungen der Familie einbezogen zu werden. Ihr geliebter Großvater war tot, und auch ihr attraktiver Onkel. Sie waren ermordet worden, und sie musste erfahren, warum.

Der größte Hemmschuh würde Luke sein. Sie wusste, dass der frühere Green Beret – so wurden die Soldaten der ältesten Spezialeinheit der US Army wegen ihrer grünen Baretts genannt – alles versuchen würde, ihre Einmischung zu verhindern.

Maggie warf entschlossen den Kopf zurück. Sie hatte ein wertvolles Beweisstück entdeckt und damit ein Ass im Ärmel. Luke konnte das, was er wusste, unmöglich für sich behalten, wenn sie die Karte ausspielte, die das Schicksal ihr in die Hand gegeben hatte.

Er öffnete die Tür. Wortlos sahen sie einander an.

Maggie zwang sich, tief Luft zu holen.

Der Mann, der vor ihr stand, war groß und kräftig gebaut. Die pechschwarzen, aus der Stirn gekämmten Haare betonten sein kantiges Gesicht. Er war eine eindrucksvolle Erscheinung mit markanten Gesichtszügen – hohe Wangenknochen, eine Nase, die aussah, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen, ein energisches Kinn.

Luke war wie ein Puzzle, das sie noch nicht vollständig zusammengesetzt hatte, jedes Teilchen ein Stück seiner komplizierten Persönlichkeit. Er brachte sie durcheinander und weckte in ihr den Wunsch, ihn zu verstehen und ihm nahe zu sein.

Maggie hatte ihn bei der Hochzeit ihres Bruders zum Tanzen aufgefordert, und sie spürte jetzt noch die fließenden Bewegungen, mit denen er sie geführt hatte. Er hatte seine Wange an ihrer Schläfe gerieben, einen Satz in der Sprache der Cherokee geflüstert und sie dabei an seine starke Brust gedrückt.

„Was machst du hier?“

Sie schüttelte den Gedanken an den sinnlichen Moment in seinen Armen ab. Danach hatte er sie gemieden wie die Pest und sich wieder von seiner knallharten Seite gezeigt.

Warum? fragte sie sich. Weil sie Gefühle in ihm geweckt hatte?

Entschlossen, sich von ihm nicht einschüchtern zu lassen, drängte sie ihm ihre Einkäufe auf. „Ich bin gekommen, um uns beiden ein Abendessen zu kochen, Luke. Also sei ein Gentleman, ja?“

Überrumpelt nahm er ihr die Taschen ab, wobei ihm eine fast aus der Hand geglitten wäre.

Maggie verkniff sich ein zufriedenes Lächeln. Sie hatte es geschafft, diesen hart gesottenen Mann aus der Fassung zu bringen. Das allein war ein kleiner Sieg.

Er machte einen Schritt zur Seite, und sie trat durch die Tür.

Das geräumige zweigeschossige Haus war mit Möbeln aus dem neunzehnten Jahrhundert eingerichtet, jedes einzelne Teil massiv und funktionell. Ein bisschen abgenutzt vielleicht, aber die rustikalen Antiquitäten passten zu Luke. Außerdem gab es einen offenen Kamin.

Das Zuhause eines Menschen spiegelt sein Seelenleben wider, dachte Maggie. Obwohl er in der Stadt lebte, war sie sich ganz sicher, dass er auf einer Ranch aufgewachsen war. Die Eichenböden waren auf Hochglanz poliert, darauf lagen kleine Flechtteppiche.

Sie ging in Richtung Küche, Luke folgte ihr. Er stellte die Tüten auf den gekachelten Küchentresen, und sie machte sich mit den Haushaltsgeräten und dem praktischen Kochgeschirr vertraut. Die Fensterbank über dem Edelstahlbecken war leer, keine Pflanzen, nichts was gewässert oder gepflegt werden müsste.

Sie verspürte einen Hauch von Traurigkeit und den Drang, Lukes dunkle Welt aufzuhellen und ihn zum Lachen zu bringen.

Er runzelte die Stirn, und einen Moment fürchtete sie, er habe ihre Gedanken gelesen.

An einen Küchenschrank gelehnt beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Maggie knöpfte ihren Mantel auf und versuchte, sich zu entspannen. Der Mann war ein erstklassiger Privatdetektiv. Es lag in seiner Natur, Menschen zu beobachten, sie zu analysieren und einzuschätzen. Außerdem, dachte sie und atmete einmal tief durch, fühlte er sich zu ihr hingezogen.

Ihre Körper hatten sich bei dem Tanz auf sehr sinnliche Weise berührt, ihre Herzen hatten in demselben erotischen Rhythmus geschlagen. A qua da nv do. Die Cherokee-Worte gingen ihr durch den Kopf. Was bedeuteten sie? Und warum hatte er sie mit solch stiller Sehnsucht ausgesprochen?

Direkt an die Küche schloss sich das Esszimmer an, und Maggie hängte dort ihren Mantel über einen der Stühle mit hoher Rückenlehne. Lukes Blick wanderte von ihrem Kaschmirpullover zu der Spitze ihrer italienischen Stiefel und wieder zurück.

„Was ist los?“, fragte er. „Was hast du vor?“

„Nichts“, erwiderte sie etwas zu unschuldig. Doch noch wollte sie die Bombe nicht platzen lassen. Zuerst würde sie ihn mit Pasta verwöhnen. Und mit einer Flasche ihres Lieblingsweins.

Luke verschränkte die Arme. Er trug Jeans und ein dunkelblaues Sweatshirt. In seinem linken Ohrläppchen schimmerte ein winziger Silberstecker. Der Ohrring muss ein Zeichen seiner indianischen Abstammung sein, überlegte sie.

Sie packte die Lebensmittel aus. Luke machte keine Anstalten, ihr zu helfen, sondern blieb dort, wo er war, und sah ihr bei den Vorbereitungen zu.

„Ich bin überrascht, dass du kochen kannst“, sagte er und ließ sie nicht aus den Augen.

„Sehr lustig.“

Maggie war klar, was Luke über sie dachte. Sie war das jüngste Kind einer der wohlhabendsten und mächtigsten Familien im Land. Ihre elegante Mutter entstammte einer Fürstenfamilie, und ihr Vater, ein Mann mit stahlblauen Augen, hatte eine kleine Firma zu einem weltweit agierenden Unternehmen ausgebaut.

Doch Maggie musste sich noch den Respekt verdienen, der dem Namen Connelly entgegengebracht wurde. Die Paparazzi sahen in ihr nur die verwöhnte Erbin und Jetset-Lady. Das Partygirl. Egal, wie sehr sie sich bemühte, sie schien dieses Image nicht abschütteln zu können.

Und während Maggies Privatleben in der Boulevardpresse ausgebreitet wurde, hielt Luke seins unter Verschluss.

Warum kapselt er sich so ab? fragte sie sich. Warum war er so vorsichtig? Warum verschloss ein attraktiver, erfolgreicher neununddreißigjähriger Mann sein Herz?

Sie wusste nicht viel über Luke, doch sie hatte ein paar Nachforschungen angestellt und bei jedem, der ihn kannte, Informationen über ihn eingeholt. Und auch wenn sie nicht hinter das Geheimnis gekommen war, das ihn umgab, hatte sie ein paar erstaunliche Dinge herausgefunden. Luke war nie verheiratet oder verlobt gewesen. Er hatte keine tiefer gehenden Beziehungen und die meisten Menschen, mit denen sie gesprochen hatte, beschrieben ihn als zurückhaltend. Auch die Frauen.

Maggie hielt seinem wachsamen Blick stand und suchte in seinen Augen nach einer Spur von Glück oder Lebensfreude. Aber sein Blick war irgendwie leer und freudlos.

Könnte sie ihn glücklich machen? Könnte sie seine innere Anspannung lösen?

Insgeheim hoffte sie, Gelegenheit zu bekommen, es zu versuchen. Doch sie bezweifelte, dass er ihre Bemühungen unterstützen würde. Vor allem, wenn sie ihm sagte, dass sie ihm bei den Ermittlungen helfen wollte.

Lucas Starwind, das wusste sie, würde keinen Wert darauf legen, die jüngste Tochter der Connellys als Verbündete an seiner Seite zu haben.

Eine Stunde später saßen sich Luke und Maggie an seinem Esstisch gegenüber. Die Lady hat irgendetwas vor, dachte Luke. Er wusste, dass sie sich in der ganzen Stadt nach ihm erkundigt hatte. Und jetzt war sie hier und köderte ihn mit einem selbst gekochten Essen. Die junge, hübsche, impulsive Maggie. Der jüngste Spross der Connellys. Die unbekümmerte Jetset-Lady. Der Freigeist. Irgendetwas stimmte nicht.

Doch Maggie war alles andere als leicht zu durchschauen. Sie war eine Muse, die Göttin des Tanzes und strahlte eine unbefangene Sinnlichkeit aus, die Luke nicht gewöhnt war. Ihr langes hellbraunes Haar trug sie offen, und ihre Augen hatten die Farbe des Tropenmeers. Sie war schlank, geschmeidig und von unglaublicher Schönheit.

Und sie hatte Temperament. Genug, um sein Blut zum Kochen zu bringen. Die starke Anziehungskraft, die er empfunden hatte, als er mit ihr tanzte, behagte ihm gar nicht. Sie war zu jung für ihn – viel zu jung. Siebzehn Jahre Altersunterschied trennten sie.

Er blickte auf das Essen, das sie zubereitet hatte – einen Antipasti-Salat, Lasagne, dazu frisches Brot. Ein Mahl, wie es in einem gemütlichen Straßencafé serviert wurde. Selbst das Ambiente war heimelig. Maggie hatte eine Duftkerze hervorgezaubert, die jetzt zwischen ihnen flackerte und warmes Licht verbreitete.

Aber dies war kein Date, und Luke hatte sich trotz des Weines, der in seinem Glas funkelte, vollständig im Griff.

Vielleicht nicht vollständig. Aber zumindest so weit, wie es ihm in Maggies Gegenwart möglich war. Solange sie sich nicht berührten, würde er sich zusammennehmen können. Kein weiterer Tanz, keine zärtlichen Verlockungen. Er würde sich nicht wieder von ihr bezirzen lassen. Nicht nach dem, was er gesagt hatte. Was er gefühlt hatte.

Er blickte auf und merkte, dass sie ihn beobachtete. Vermutlich hoffte sie darauf, dass ihn das gemütliche Essen verhandlungsbereiter machte. Er spürte, dass sie etwas plante. Der Glanz in ihren blaugrünen Augen übte einen besonderen Zauber auf ihn aus, der ihn nahezu um den Verstand brachte.

Luke runzelte die Stirn, von diesem Gedanken irritiert. Maggie Connelly war eine Frau, kein Wesen mit Zauberkräften. Und er war zu bodenständig, um sich von solch einem mystischen Unsinn verwirren zu lassen.

Aber wie war es ihr gelungen, in ihm das unwiderstehliche Bedürfnis zu wecken, sie in die Arme zu schließen? Sich mit ihr zu der Musik zu bewegen? Worte zu flüstern, die er nicht sagen wollte? Luke hatte den Kituwah-Dialekt nicht mehr gesprochen, seit er ein Junge gewesen war.

„Jetzt sag mir endlich, was los ist“, bat er.

Sie griff nach ihrem Weinglas. „Ich werde dir helfen, die Morde aufzuklären.“

Sprachlos starrte er sie an. Das war es also. Die Studentin wollte sich amüsieren und Detektiv spielen. Auf keinen Fall, dachte er. Tom Reynolds, sein erfahrener Partner, war im Laufe der Ermittlungen ermordet worden. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war ein Amateurdetektiv an seiner Seite – noch dazu in Form einer umwerfend schönen Frau. Das schrie geradezu nach Problemen.

„Das hier ist kein Spiel, Maggie.“ Er sah sie eindringlich an. „Da draußen sterben Menschen.“

„Meinst du, das wüsste ich nicht?“, antwortete sie gereizt. „Fürst Thomas war mein Großvater. Und Prinz Marc mein Onkel.“

Und beide Männer sind tot, dachte Luke. Bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, der kein gar kein Unfall gewesen war, wie sich herausgestellt hatte. „Ich gehe davon aus, du weißt, dass die kriminelle Kelly-Familie dahintersteckt. Sie hat auch Verbindungen nach Altaria.“ Er beugte sich vor. „Das ist eine ernste Angelegenheit. Es handelt sich um einen international tätigen Verbrecherring. Und es muss jemanden im Fürstenhaus geben, der in die Sache verwickelt ist.“

„Genau deshalb ist es so wichtig für mich. Ich habe das Recht zu wissen, warum die beiden ermordet wurden. Altaria ist meine zweite Heimat.“

Ja, dachte er, Maggie Connelly passte auf diese malerische Insel. Er stellte sie sich beim Sonnenbad an einem der weißen Sandstrände vor, beim Bummel durch die idyllischen Städtchen. Altaria war ein unabhängiges Fürstentum im Tyrrhenischen Meer, südlich von Italien.

„Diese Sache ist zu gefährlich.“ Niemals würde er zulassen, dass sie wegen Sentimentalitäten ihr Leben aufs Spiel setzte.

„Mein Großvater und mein Onkel sind tot“, entgegnete sie und schob ihren Teller zur Seite. „Und ich will, dass die Sache endlich abgeschlossen wird.“

Luke seufzte. Wenn es etwas gab, das er verstand, dann war es das Streben nach Gerechtigkeit. Doch Maggies Situation unterschied sich beträchtlich von seiner. Sie war nicht verantwortlich für den Kummer der Familie. „Ich muss dich da raushalten.“ Er ahnte, warum Fürst Thomas und Prinz Marc getötet worden waren, und die Gefahr lauerte immer noch da draußen. Eine Gefahr, die im schlimmsten Fall die gesamte Menschheit bedrohte. Biologische Kriegsführung war kein Spiel.

Sie straffte die Schultern. „Ich bin schon mittendrin. Ich habe ein Beweismittel, etwas, das ganz sicher im Zusammenhang mit den Morden steht.“

Schweigend betrachtete er sie einen Moment. Die hübsche Maggie – die unbefangene Studentin, das High-Society-Partygirl. Sie bluffte. Sie konnte keine wichtige Information haben. „Tatsächlich? Und was soll das sein?“

Verärgert über seinen spöttischen Ton, blickte sie ihn direkt an. Die Farbe ihrer Augen war plötzlich eher grün als blau.

„Vor ein paar Wochen habe ich in einer Lieferung Spitze aus Altaria eine CD gefunden.“

Plötzlich wirkte Luke gar nicht mehr amüsiert.

„Die Daten sind verschlüsselt, deshalb kann ich sie nicht lesen, aber man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass die CD außer Landes geschmuggelt wurde.“

Lukes ganzer Körper war angespannt.

Noch eine Kopie.

Verdammt, dachte er. Verdammt, verdammt. Damit schwebte Maggie in Lebensgefahr. „Wem hast du noch davon erzählt?“

„Niemandem.“

„Gut.“ Zumindest war sie klug genug gewesen, den Mund zu halten. Luke war der Appetit vergangen. Er legte seine Gabel auf den Teller. Dieser Fall bereitete ihm Magenschmerzen. „Warum hast du in dem Warenlager herumgeschnüffelt?“ Maggie hatte mit dem Importgeschäft der Connellys nichts zu tun.

Sie warf ihm einen strengen Blick zu. „Ich habe nicht herumgeschnüffelt. Ich hatte für mich etwas Spitze für ein Kleid bestellt. Als sie geliefert wurde, habe ich direkt vom Warenlager das Paket bekommen.“

Ein Paket, in dem sich zufällig eine CD mit den gestohlenen Daten befand. Luke schüttelte den Kopf. Wegen eines Kleides war Maggie in biologische Kriegsführung verwickelt worden. Nicht zu glauben. „Du gibst mir die CD und vergisst, dass du sie jemals gesehen hast.“

„O nein, das werde ich nicht. Ich behalte sie, bis du einwilligst, dass ich bei den Ermittlungen helfe.“

Sie neigte den Kopf zur Seite, und Luke fluchte leise. Frauen waren auf Altaria von der Thronfolge ausgeschlossen, dennoch war Maggie Connelly eine Prinzessin.

Ihr ältester Bruder war der Thronerbe. Obwohl die öffentliche, sehr aufwendig gestaltete Krönungsfeier erst für Ende des Monats vorgesehen war, hatte Daniel vor dem Parlament bereits den Eid geleistet, Fürst dieser kleinen, unabhängigen Nation zu werden.

Und jetzt musste Fürst Daniel sich Gedanken um gestohlene Daten machen, Informationen, die aus seinem Land geschmuggelt worden waren. Ganz sicher hätte er kein Verständnis dafür, wenn seine Schwester Beweise zurückhielt.

Luke hätte Maggie am liebsten den schönen königlichen Hals umgedreht. „Damit kommst du nicht durch“, sagte er.

„Du auch nicht“, entgegnete sie.

Ihre Blicke trafen sich in einem lautlosen Wettstreit. Luke fluchte erneut, laut, denn er erkannte in diesem Moment, dass er verloren hatte. Vor ihm stand seine neue Partnerin.

Die Connellys bewohnten ein feudales Herrenhaus im georgianischen Stil. Die Villa lag mitten in einem wunderschön angelegten Park im vornehmsten Stadtteil Chicagos.

Luke war in eines der Wohnzimmer geführt worden und wartete dort auf Maggies Bruder Rafe. Insgesamt hatte sie acht Brüder, zwei Schwestern, eine elegante Mutter und einen mächtigen Vater. Rafe war derjenige, mit dem Luke in dieser Sache bereits zusammengearbeitet hatte.

Er blickte sich in dem Raum um und schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es gewesen sein mochte, an einem Ort wie diesem aufzuwachsen. Luke selbst war durchaus wohlhabend, und er liebte Antiquitäten, aber in der Villa der Connellys war alles eine Nummer zu groß für seinen Geschmack.

Rafe betrat den Raum. Er war alles andere als der typische Computerfreak. Seine Erscheinung war auffallend athletisch, er arbeitete hart, konnte sehr charmant sein und liebte legere Kleidung und schnelle Autos. Luke hatte großen Respekt vor ihm. Und wenn es irgendjemanden gab, der Maggie zur Vernunft bringen konnte, dann war es Rafe.

„Erfolg gehabt?“, fragte Luke.

Rafe schüttelte den Kopf. „Sie ist oben in ihrem Zimmer und faucht wie eine Katze. Sie will die CD nicht rausrücken. Nicht ohne einen Kompromiss.“

Und ich bin der Kompromiss, dachte Luke. Ich und die Ermittlungen. „Hast du ihr gesagt, was die CD enthält?“, fragte er. Rafe hatte kürzlich die Existenz der CDs aufgedeckt und auch herausgefunden, welch gefährliches Datenmaterial sich auf ihnen befand.

Rafe sah ihn ungläubig an. „Doch nicht, ohne vorher mit dir darüber zu sprechen.“

„Was sollen wir jetzt machen?“

„Ich glaube, wir haben keine große Wahl. Wenn wir die Sache weiter vor Maggie geheim halten, wird sie auf eigene Faust herumschnüffeln.“ Rafe fuhr sich durch sein hellbraunes Haar.

Luke wusste sofort, worauf Rafe hinauswollte. Wenn Maggie auf eigene Faust ermittelte, wäre ihr Leben gefährdeter, als wenn sie an Lukes Seite arbeitete. Und da sie im Besitz einer der CDs war, gestaltete sich die Situation noch kritischer. „Ich kann sie nicht gebrauchen.“

„Ich weiß. Und es tut mir leid.“

Die beiden verfielen in Schweigen. Luke dachte an Tom Reynolds, der während der Ermittlungsarbeiten ermordet worden war. Ihm wurde flau im Magen. Wenn er damals in der Stadt gewesen wäre, dann hätte er Tom die nötige Deckung geben können.

„Du musst Maggie sehr genau im Auge behalten.“

Luke blickte auf und sah direkt in Rafes dunkelblaue Augen. Machte Rafe ihn für den Mord an Tom verantwortlich? Oder waren es seine eigenen Schuldgefühle, die ihn auf diesen Gedanken kommen ließen?

Sie standen mitten in dem prachtvollen Raum. Luke wusste, was als Nächstes kommen würde. Er wusste genau, was Rafe sagen würde.

„Ich bitte dich, meine Schwester zu beschützen, Luke. Sie so zu behandeln, als wäre sie dein eigen Fleisch und Blut.“

Sein eigen Fleisch und Blut. Tiefer Kummer legte sich wie eine eiskalte Hand um sein Herz. Dieser ständig präsente Schmerz, der ihn daran erinnerte, was er getan hatte. Er war nicht nur für den Tod von Tom Reynolds verantwortlich. Vor siebenundzwanzig Jahren war seinetwegen ein entzückendes kleines Mädchen gestorben. Nie würde er den Tag vergessen, an dem die Leiche gefunden wurde. Den schwülen Sommertag, an dem ein Farmer sie entdeckt hatte, vergewaltigt und übel zugerichtet.

„Versprich mir, dass du auf sie aufpasst.“

„Ich verspreche es.“ Er würde Rafes Schwester beschützen. Mit seinem Leben.

Rafe lächelte. „Es wird nicht einfach sein. Maggie ist eine sehr eigenwillige Frau.“

Luke erwiderte das Lächeln nicht. Überhaupt lächelte er nur selten. Sein Frohsinn war vor siebenundzwanzig Jahren gestorben. „Ja. Ich habe mich auch schon mit ihr angelegt. Ich weiß, was mir bevorsteht.“

„Du wirst ihr sagen müssen, was wir bisher herausgefunden haben“, sagte Rafe. „Ich will ihr keinen Grund liefern, sich allein umzusehen.“

„Meinetwegen. Aber zuerst musst du einige Grundregeln festlegen. Sag Maggie, dass ich der Boss bin. Mein Wort gilt.“

Rafe stimmte zu. „Ich werde sie einweisen und dann zu dir schicken.“

Luke deutete auf die Terrassentür. „Schick sie nach draußen. Ich kann etwas frische Luft gebrauchen.“

„Okay. Und … Luke?“

„Ja?“

„Danke.“

Luke nickte nur. Maggie Connelly beschützen zu müssen, machte ihm Angst. Doch ihr Bruder hatte ihn mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Und das war etwas, das ein Cherokee nicht ablehnen konnte.

2. KAPITEL

Maggie verließ das Haus und steckte die Hände in die Manteltaschen. Luke stand regungslos inmitten des winterlichen Gartens, das Gesicht gen Himmel gerichtet.

Etwas entfernt befand sich ein Irrgarten aus Buchsbaum – eine mystische Festung in Grün. Der Irrgarten war Maggies Lieblingsplatz in Lake Shore Manor. Er war dunkel und gefährlich. Geheimnisvoll, aber schön.

Lucas trug schwarze Jeans und eine Lederjacke. Den Kragen hatte er gegen die Kälte hochgestellt. Als sie sich ihm näherte, drehte er sich zu ihr um.

Sie blieb erst stehen, als sie direkt vor ihm stand, und wartete darauf, dass er etwas sagte.

Er tat es nicht. Nur der Wind heulte.

Maggie hatte jemanden wie Luke kennengelernt. Er hatte etwas Dunkles und Geheimnisvolles an sich, wie der Irrgarten. Als Kind hatte sie dort Verstecken gespielt, und so sehr die Verzweigungen und Wegeschleifen sie ängstigten, so sehr begeisterten sie sie auch.

Luke, so erkannte sie, hatte dieselbe Wirkung auf sie. In dem diffusen Licht wirkte er kraftvoll. Seine hohen Wangenknochen warfen kantige Schatten auf sein Gesicht, an den Augenwinkeln hatte er Falten. Sorgenfalten dachte sie, oder vom Blinzeln in die Sonne. In seinem Haar zeigten sich die ersten grauen Strähnen, so fein jedoch, dass sie auch eine Täuschung sein konnten.

„Ist dir kalt?“, fragte er. „Willst du wieder hineingehen?“

Sie schüttelte den Kopf. Ihr war kalt, doch sie wollte den merkwürdigen Zauber nicht brechen.

„Es wird Schnee geben“, sagte er. „Freitag. Oder Samstag.“

Die Meteorologen sagten zwar etwas anderes, aber Maggie widersprach nicht. Luke schien eine besondere Verbindung zu den Elementen zu haben. Wahrscheinlich verbrachte er zahlreiche einsame Stunden mit dem Winterhimmel.

„Hat Rafe mit dir gesprochen?“ Er sah ihr direkt in die Augen.

„Ja. Er sagt, ich soll auf das hören, was du sagst.“

„Stimmt. Du folgst meinen Anweisungen, und ich behalte dich genau im Auge.“

„Wirklich?“ Irgendwie freute und ärgerte sie das gleichzeitig. Ihr gefiel der Gedanke, Zeit mit Luke zu verbringen, es missfiel ihr jedoch, ihn als ihren Bewacher zu akzeptieren.

„Hast du ein Problem damit?“

„Nein.“ Sie hatte beschlossen, die Zeit, in der er sie bewachen sollte, zu nutzen, um ihm ein Lächeln zu entlocken. Um ihn seinen Kummer vergessen zu machen.

„Gut. Ich brauche dann noch ein paar Angaben von dir.“ Der Wind wehte ihm die Haare aus dem Gesicht. Er hatte von Natur aus einen hohen Haaransatz, was ihm einen Hauch Verwegenheit verlieh. Dunkel und geheimnisvoll wie der Irrgarten, rief sie sich in Erinnerung. Der silberne Ohrring fing das graue Winterlicht ein.

„Wie viele Wohnungen hast du?“

„Ich oder meine Familie?“

„Du, Maggie. Wo schläfst du?“

Obwohl es eine sachlich gestellte Frage war, schwang eine gewisse Intimität in ihr mit. Ein Prickeln ging durch Maggies Körper, das sie nicht ignorieren konnte.

„Ich habe hier ein Zimmer“, sagte sie. „Doch meistens bewohne ich ein Loft in der Stadt. Das Haus gehört mir.“ Es war ihr Zufluchtsort, ihr Zuhause, ihr Atelier. Maggie war Künstlerin. Sie malte aus Leidenschaft, in den Bildern konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Luke trat von einem Fuß auf den anderen, und Maggie stellte sich vor, ihn dort zu malen, wo er stand. Die Haare vom Wind zerzaust, in den Augen tiefe Traurigkeit, der Ohrring, in dem sich das Licht brach.

Ein Muskel zuckte in seinem Kinnbereich. „Gibt es einen Mann in deinem Leben? Jemand, der Zugang zu deinem Loft hat?“

Ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken. „Nein.“ Sie wünschte sich Luke als Liebhaber. Sie wollte mit ihm schlafen, wollte ihn in sich spüren, wollte seine Leidenschaft erleben. Sie begegnete seinem Blick, ihr Herzschlag wurde unregelmäßig. „Und wie sieht es bei dir aus, Luke?“

Er blinzelte, und die Fältchen um seine Augen wurden noch tiefer. „Hier geht es nicht um mich.“

Sie hob den Kopf, doch das Bild, das sie vor Augen hatte, wollte nicht verschwinden. „Du steckst deine Nase in mein Leben, aber deins geht mich nichts an?“

„Genauso ist es. Und weißt du, warum das so ist, Maggie?“

Sie antwortete nicht. Es war nicht nötig. Er würde die Antwort selbst geben.

„Du bist zu jung und lässt dich zu sehr von deinen Gefühlen leiten. Du betrachtest die Welt nicht mit der nötigen Sachlichkeit. Du hättest keine Ahnung, ob die Person, die dich verfolgt, ein Fotograf ist oder ein Killer. Ich muss also wissen, wo du bist und mit wem du zusammen bist.“

Sie zählte insgeheim bis zehn und dann bis zwanzig, damit das Temperament nicht mit ihr durchging. „Was im Grunde genommen nichts anderes bedeutet, als dass ich ein Ärgernis für dich bin.“

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