Dieses unvergessliche Verlangen

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Halt an!" Bei Skyes Ruf tritt Jake hart auf die Bremse. Ist bei ihrer Autofahrt etwa Skyes Gedächtnis zurückgekehrt, das sie während des Hurrikans verloren hatte? Selbst Jake - ihr eigener Ehemann - war für sie danach ein Fremder! Aber jetzt scheint sie sich plötzlich zu erinnern … an diesen Platz, an dem sie sich früher so heiß küssten und liebten, obwohl ihre Familien verfeindet waren. An die Nacht, als sie die Stadt verließen, um zu heiraten. Aber wenn die Erinnerungen wieder da sind - weiß Skye dann auch, warum sie Jake die Scheidungspapiere geschickt hat?


  • Erscheinungstag 26.01.2016
  • Bandnummer 1908
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721008
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jake Holt traute seinen Augen nicht. Was, um alles in der Welt, war mit seiner Heimatstadt geschehen? Zwar hatte er vermutet, dass sich einiges verändert hatte. Schließlich war er vier Jahre nicht in Royal gewesen und hatte auch keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Aber mit so etwas hatte er nicht gerechnet.

Langsam fuhr er in die Innenstadt, früher ein lebhaftes Zentrum. Jetzt schien es, als sei jemand mit einer Riesendampfwalze darübergefahren. Als er am städtischen Krankenhaus vorbeikam, sah er, dass ein kompletter Flügel fehlte.

Himmel, das sah aus, als sei eine Bombe eingeschlagen.

Oder ein Tornado hatte die Stadt erwischt.

Was für ein grässlicher Gedanke! Nervös blickte Jake auf den Umschlag, der auf dem Beifahrersitz lag. So harmlos er auch aussah, er enthielt die Scheidungsunterlagen, die Skye ihm geschickt hatte. Er war zehn Monate außer Landes gewesen und hatte für eine Ölgesellschaft in Bahrain gearbeitet. Deshalb hatte er keine Zeit gehabt, sich um Skye zu kümmern, und das hatte sie ihm übel genommen.

Eigentlich wusste er schon länger, dass sie große Probleme in ihrer Ehe hatten. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Er wollte endlich frei sein, nichts mehr von ihren Familien wissen, die sich seit Generationen bekämpften, und Royal den Rücken kehren. Stattdessen wollte er seine Firma Texas Sky Technologies weiter ausbauen, was seine ganze Kraft erforderte. Sowie er sein Ziel erreicht hätte und finanziell unabhängig wäre, könnte er Skye endlich das geben, was sie sich wünschte.

Doch er musste einsehen, dass das nicht möglich war. Denn ihre Wünsche waren unerfüllbar. Immer noch hatte sie die Illusion, die Familien zu versöhnen und dann mit den Taylors und den Holts friedlich in Royal zu leben. Wie kam sie nur auf diese absurde Idee?

Wie auch immer, das würde sowieso nicht geschehen. Die Taylors und die Holts waren sich seit über hundert Jahren spinnefeind. Und daran würde auch er nichts ändern können. Er hatte ja nicht einmal die eigene Familie dazu bringen können, Skye Taylor als seine Ehefrau zu akzeptieren. Würden die Taylors ihn als Schwiegersohn in die Arme schließen? Niemals!

Deshalb waren Skye und er damals durchgebrannt, um sich irgendwo anders ein neues Leben aufzubauen. Aber das hatte leider auch nicht geklappt. Dennoch, Jake konnte es immer noch nicht glauben, dass Skye sich wirklich von ihm scheiden lassen wollte. Sie war doch seine große Liebe, und sie hatten beide unglaubliche Opfer gebracht, um zusammen sein zu können.

Die Scheidungspapiere waren acht Monate zuvor ausgestellt worden. Bisher hatte Jake sie nicht unterschrieben. Und er würde es auch nicht tun, bevor er sich nicht persönlich versichert hatte, dass es Skye wirklich ernst damit war. Nur aus diesem Grund war er an diesen ungeliebten Ort zurückgekehrt. Wenn Skye ihm direkt ins Gesicht sagte, dass es aus war, dann würde er es akzeptieren.

Oh, wie er diese Stadt hasste!

Er war nach Royal gekommen, weil er Skye hier vermutete. Aber jetzt konnte er nur hoffen, dass sie nicht hier war. Denn durch den Tornado war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Trotz der langen Trennung und trotz des verdammten Briefumschlags neben ihm war der Gedanke unerträglich, sie könne hier in den Tornado geraten sein. Dabei wusste er nicht einmal, wann die Stadt so böse von dem Wirbelsturm getroffen worden war. Er brauchte genauere Informationen. Über Skye. Über den Tornado. Und über die Stadt. Aber wo konnte er die finden?

Genau dort, wo man schon immer bestens Bescheid wusste. Im Royal Diner. Aber ob der noch stand? Auf dem Weg dorthin kam er an vielen Schutthaufen vorbei. Da, war da nicht der Autohändler gewesen, bei dem er seinen ersten Pick-up gekauft hatte? Und die Eisdiele, in der er oft mit Skye gesessen hatte, war zwar noch vorhanden, vom Tornado aber um gut einen Meter versetzt worden. Viele Häuser hatten ihre Dächer verloren und waren jetzt notdürftig mit Teerpappe abgedeckt.

Zu sehen, was aus dem einst blühenden Ort geworden war, schnitt ihm nun doch ins Herz. Er bog in die Hauptstraße ein und war überrascht, dass dort fast eine ganze Straßenzeile stehen geblieben war. Darunter auch der Royal Diner. Erleichtert atmete Jake auf. Das Lokal war gut besucht und schien immer noch so etwas wie der Treffpunkt für die Bürger von Royal zu sein.

Nachdem er eingeparkt hatte, blieb er ein paar Minuten regungslos im Wagen sitzen. Er war so sicher gewesen, dass er mit dieser Stadt fertig war, dass es ihn gleichgültig ließ, wie es seinen Bewohnern ging, besonders auch der eigenen Familie. Aber jetzt spürte er, dass ihn all diese Schicksale alles andere als kaltließen. Und Skye … Wie mochte es ihr gehen? Auch wenn alles aus war, der Gedanke, ihr könne etwas passiert sein, war nur schwer zu ertragen.

Er musste Gewissheit haben.

Entschlossen biss er die Zähne zusammen, stieg aus und ging auf das Lokal zu. Als er die Tür öffnete und dann wieder hinter sich zudrückte, verstummte schlagartig das leise Gemurmel. Er ging auf die Theke zu und musterte die Frau dahinter genau. War das nicht Amanda? Und war sie tatsächlich schwanger?

„Jake? Jake Holt?“ Sie riss die Augen auf. „Bist du es wirklich?“

„Ja, ich bin es.“ Er zwang sich zu einem Lächeln und bemerkte erst jetzt, dass ihn alle feindselig ansahen. Selbst der Koch war aus der Küche gekommen. Verdammt, was sollte er tun? Er hatte schon so manche schwierige Situation gemeistert, auch im Geschäftsleben war nicht alles glattgegangen. Aber hier fühlte er sich beinahe wie in einer Falle.

„Was, zum Teufel …?“, hörte er schließlich eine Stimme aus dem Hintergrund. „Jake? Jake Holt?“ Und zu Jakes Überraschung kam sein Bruder Keaton nach vorn. „Jake?“ Keaton starrte ihn an, als sei er ein Zombie, der frisch einem Grab entstiegen war. „Was, zum Donnerwetter …“

Schnell sah Jake sich im Raum um, aber keiner kam ihm zu Hilfe. Auch Amanda nicht, mit der er in der Highschool sogar mal befreundet gewesen war. Na gut, dann eben nicht. Er wollte sowieso nichts mehr mit der Stadt und ihren Einwohnern zu tun haben, sondern nur wissen, wo Skye war. Was er mit ihr zu besprechen hatte, ging die anderen nichts an.

Aber so leicht kam er nicht davon. Der Diner war voll, und die Nachricht von der Begegnung der Holt-Brüder würde sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreiten.

„Hallo, Keaton.“ Jake lächelte kurz. Im Diner war es so still, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Alle schienen den Atem anzuhalten.

Keaton presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste. „Wo bist du gewesen?“, stieß er halblaut hervor.

„In Bahrain“, gab Jake gelassen zurück, denn er wusste, es hörte quasi die ganze Stadt zu. „Ich hatte einen großen Auftrag zu erledigen. Bin damit gerade fertig geworden.“

Ein leises Gemurmel erhob sich, wobei Jake nicht sagen konnte, ob das positiv oder negativ war. „Ich habe auch von dem Tornado gehört“, fuhr er schnell fort. „Bin gekommen, sobald ich konnte. Vielleicht kann ich irgendwie helfen.“ Das war glatt gelogen, denn er hatte von dem Tornado erst hier erfahren. Das Gemurmel wurde stärker, einige nickten anerkennend.

Keaton warf ihm einen Blick zu, als glaube er ihm kein Wort. „Hast du Zeit für einen Kaffee?“ Er wies mit dem Kopf auf einen Tisch im Hintergrund. Schließlich brauchte nicht das ganze Lokal zu hören, was er seinem Bruder zu sagen hatte.

„Klar.“ Jake nickte lächelnd. Er war gespannt, wie der Bruder sich verhalten würde. Schließlich hatte auch Keaton ihn damals gezwungen, zwischen Skye und der Familie zu wählen. Langsam ging er nach hinten und setzte sich.

Im Diner herrschte wieder atemlose Stille. Amanda kam an den Tisch. „Kaffee?“

„Ja, gern.“ Jake warf ihr einen freundlichen Blick zu. „Du heißt wohl nicht mehr Amanda Altmann, oder?“

„Nein. Seit einem Jahr bin ich mit Nathan Battle verheiratet.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

„Schön, dass du wieder zurückgekommen bist“, sagte sie mit einem etwas ängstlichen Blick auf Keaton. „Auch wenn sich manches verändert hat, ist es doch immer gut, wieder nach Hause zu kommen.“

„Möglich. Aber ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe. Hängt auch davon ab, ob ihr meine Hilfe gebrauchen könnt.“

„Ganz bestimmt.“ Amanda nickte ihm zu und ging.

Die Brüder saßen sich gegenüber und sahen sich schweigend an. Keaton hat sich verändert, dachte Jake. Die ersten Fältchen zeigten sich um Augen und Mund. Ob er verheiratet war? Vielleicht sogar Kinder hatte? In den letzten vier Jahren konnte viel passiert sein. Hoffentlich war er mit seinem Leben zufrieden.

Amanda brachte den Kaffee, und nach dem ersten Schluck atmete Jake tief durch. Er hatte fast überall auf der Welt Kaffee getrunken, aber hier im Diner von Royal schmeckte er doch ganz besonders. Irgendwie nach Zuhause …

Dennoch war er alles andere als froh, wieder „zu Hause“ zu sein. Und er würde nicht lange bleiben. Keatons Gesichtsausdruck machte sehr deutlich, dass er nicht willkommen war. Manches änderte sich eben nie …

Allmählich hob sich der Geräuschpegel wieder. Das allgemeine Interesse an den Brüdern ließ nach. Keaton schwieg immer noch. Soll er, dachte Jake. Ich habe ihm nichts zu sagen. Zumindest nichts Freundliches.

„Bahrain?“, stieß Keaton schließlich hervor.

„Ja.“ Jake nickte. „Meine Firma baut den Internet-Service für die großen Ölfirmen auf. Wir arbeiten überall auf der Welt. Der Bahrain-Job war besonders lukrativ.“

„Deine Firma heißt Texas Sky?“

Überrascht hob Jake die Augenbrauen. „Ja. Hast du mich gegoogelt?“ Er hat an mich gedacht? Ob er mich vermisst hat?

„Ja. Ich hatte keine andere Wahl.“ Keaton lachte kurz und trocken auf. „Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich war, als ich in deinem Büro anrief und man mir sagte, du hättest gar keinen Bruder. Ich war für dich also gar nicht vorhanden.“

Jake runzelte kurz die Stirn. Seltsam, dass man die Nachricht nicht an ihn weitergeleitet hatte. Zwar hatte er den Angestellten gegenüber nicht gerade von seiner Familie geschwärmt, aber dennoch … „Na und? Vielleicht hatte ich allen Grund dazu?“ Nein, der Bruder hatte ihn nicht vermisst, das war sonnenklar. Was sollte also das Gerede? Er hatte Wichtigeres zu tun. Musste Skye finden.

Jake machte Anstalten aufzustehen, doch Keaton hielt ihn am Arm fest. „Wie lange warst du in Bahrain, Jake?“

„Fast zehn Monate.“

„Dann weißt du also nichts davon?“

„Wovon?“

„Von Skye.“

Jakes Herz schlug schneller. „Was ist mit Skye? Ich habe sie seit zehn Monaten nicht gesehen. Sie wollte nicht mitkommen nach Bahrain. Dieser Wüstenstaat ist nichts für Frauen.“

„Kann ich mir vorstellen.“

Am liebsten hätte Jake seinen Bruder gepackt und geschüttelt. Was war mit Skye? Was wusste er von ihr? Doch er beherrschte sich. Diese Blöße würde er sich nicht geben. Also lehnte er sich zurück und lächelte. „Du willst mir doch etwas sagen, Keaton. Raus damit.“

„Warst du denn wenigstens so anständig, sie zu heiraten?“

Wie kam er jetzt darauf? „Ich weiß wirklich nicht, was dich das angeht“, erwiderte Jake kühl. „Was zwischen Skye und mir läuft, ist allein unsere Sache. Nicht deine.“

„Du hättest sie heiraten sollen.“ Keaton verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an.

Verdammt, warum hatte er hier auch auf seinen Bruder treffen müssen? Das hatte Jake sich ganz anders vorgestellt. Er wollte Skye finden, mit ihr über die Scheidung sprechen und dann, so schnell es ging, die Stadt wieder verlassen. Aber nicht Keaton Rede und Antwort stehen müssen. „Nicht dein Problem.“

„Bist du da so sicher?“ Lauernd sah Keaton ihn an.

Jetzt verstand Jake gar nichts mehr. Wieso bestand der Bruder auf der Ehe, wo er doch früher alles darangesetzt hatte, Jake und Skye auseinanderzubringen? „Vollkommen.“

„Tatsächlich? Aber du hast ja immer schon genau gewusst, was richtig und was falsch ist.“

Jetzt reicht’s! Jake hatte keine Lust, sich das weiter anzuhören. Er schob den Stuhl zurück. „Okay, Keaton, das war’s. Grüß Mom und Dad.“ Er wollte aufstehen, aber Keaton hielt ihn fest.

„Dann will ich dir noch etwas mit auf den Weg geben, Jake. Nämlich meinen herzlichen Glückwunsch. Du bist Vater geworden.“

Was? Jake starrte den Bruder an. Das konnte doch nicht sein. Skye und er waren immer vorsichtig gewesen. Keaton wollte ihm nur eins auswischen. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wo Skye war. „Sehr komisch, Keaton, wirklich.“ Entschlossen machte er sich frei, wandte sich um und stürzte aus dem Diner.

Auf dem Weg zu seinem Auto gingen ihm tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf. Keaton, dieser widerliche Kerl. Immer war er gegen ihn gewesen, aber das jetzt schlug dem Fass den Boden aus. Zu behaupten, er, Jake, habe ein Kind. Skye war nicht schwanger gewesen, als sie sich voneinander verabschiedet hatten.

Oder doch?

Fieberhaft versuchte er den Abend zu rekonstruieren, als sie sich das letzte Mal geliebt hatten. Sie waren zum Essen ausgegangen. Sogar in ein elegantes Restaurant, weil sein Geschäft gut lief und er ihr zeigen wollte, wie sehr er sie in Zukunft verwöhnen konnte. Aber die Stimmung war gedrückt gewesen. Sie hatten nur wenig gesprochen. Zu Hause dann hatten sie sich schweigend geliebt, beinahe so kühl wie zwei Fremde.

Wenige Tage danach hatte es den großen Knall gegeben. Skye sehnte sich nach Royal und wollte eine Familie gründen. Und wenn Jake sie liebte, würde er mit ihr kommen. Er dagegen wollte auf keinen Fall in die ihm verhasste Stadt zurückkehren. Und wenn Skye ihn liebte, würde sie das nicht von ihm verlangen.

Daraufhin hatten sie sich fürchterlich gestritten und sich schreckliche Dinge an den Kopf geworfen. Am nächsten Morgen war Jake in ein Hotel gezogen und eine Woche später nach Bahrain geflogen.

Er hatte ein Kind? Das konnte einfach nicht sein. Und wenn doch, so unwahrscheinlich es auch war, dann hatte Skye noch sehr viel weniger Grund, sich von ihm scheiden zu lassen. Aber außer diesem ominösen Umschlag hatte er nichts in der Hand. In den letzten zehn Monaten hatte sie nie versucht, mit ihm in Kontakt zu treten.

Er ging schneller, denn er hörte, dass Keaton ihm folgte. Um Skye zu finden, war er nicht auf seinen Bruder angewiesen. Es gab andere Wege. Und er hatte keine Lust, sich von Keaton anmachen zu lassen. Jetzt hatte er seinen Porsche erreicht und riss die Tür auf. Doch mit wenigen Schritten war Keaton neben ihm und knallte sie wieder zu.

„Nun, warte doch, Jake. Ich muss dir was sagen …“

„Das interessiert mich nicht. Du willst dich doch nur über mich lustig machen. Aber das muss ich mir nicht anhören. Deinetwegen bin ich nämlich nicht nach Royal zurückgekommen. Auch nicht wegen Mom und Dad. Sondern nur wegen Skye. Ihr anderen und diese ganze verdammte Stadt könnt mich mal …“

Keaton lehnte sich gegen die Fahrertür. „Du verfluchter Idiot …“, fing er an.

Doch Jake unterbrach ihn sofort. „Das muss ich mir von dir nicht sagen lassen, du Verräter. Ich habe mich dir damals anvertraut, und zwar unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Und was hast du gemacht? Du bist sofort zu Mom und Dad gerannt und hast gepetzt. Immer hast du versucht, Skye und mich auseinanderzubringen, weil eine Taylor es angeblich nicht wert war, mit einem Holt zusammen zu sein. So ein Schwachsinn. Aber inzwischen ist mir das ganz egal. Du bist nicht mehr mein Bruder. Und die ganze Familie Holt kann mir gestohlen bleiben!“

Wie oft hatte Jake sich vorgestellt, dem Bruder mal so richtig die Meinung zu sagen. Aber jetzt, da es endlich so weit war, fühlte er sich nicht besser. Im Gegenteil. Er senkte den Kopf. „Geh mir aus dem Weg, Keaton. Sofort. Oder es knallt“, stieß er drohend hervor.

„Sie heißt Grace.“

Grace. Jake brachte kein Wort heraus, sondern starrte den Bruder nur an.

„Sie wurde elf Wochen zu früh geboren“, fuhr Keaton fort. „Und musste fast drei Monate auf der Intensivstation für Frühgeborene bleiben.“

Oh Gott … Sofort hatte Jake Bilder von winzigen Babys vor Augen, die an Schläuchen und Drähten angeschlossen waren. „Aber das Krankenhaus … Hat der Tornado das nicht auch erwischt?“

„Da war sie noch nicht im Krankenhaus.“

Die beiden standen sich mit geballten Fäusten gegenüber. „Willst du denn gar nichts wissen?“, fuhr Keaton den Bruder schließlich an.

„Äh … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Jake zuckte hilflos mit den Schultern.

„Na, irgendwas, Mann! In den letzten vier Monaten hattest du wohl überhaupt keinen Kontakt zu Skye, ja, vielleicht sogar die ganze Zeit nicht, in der du Supermann in Bahrain gespielt hast. Offenbar hast du keine Ahnung, was hier gelaufen ist.“

„Wie kommst du darauf?“ Jake platzte fast vor Wut, weil der Bruder ihn so abkanzelte. „Vielleicht haben wir uns per SMS verständigt, Skye und ich. Das kannst du doch gar nicht wissen.“

„Oh doch.“ Keaton grinste böse. „Skye ist nämlich erst vor ein paar Wochen aus dem künstlichen Koma aufgewacht, in das die Ärzte sie versetzt hatten.“

Jake stockte der Atem. „Was … ist passiert?“

„Sie hat vier Monate im Koma gelegen, wenn du es genau wissen willst. Und Grace ist deine Tochter. Sie ist ganz eindeutig eine Holt. Das hat der Test mit fast absoluter Sicherheit ergeben.“

Jake zitterten die Knie, und er musste sich gegen die Kühlerhaube lehnen. Sein Baby. Skye und er hatten eine Tochter. Und Skye hatte monatelang im Koma gelegen, während er in Bahrain war. Oh Gott, was hatte er nur getan? „Wo?“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Skye ist noch im Krankenhaus. Sie ist bei Bewusstsein, aber sie hat große Erinnerungslücken. Daher konnte sie uns auch nicht sagen, wo du bist oder warum ihr getrennt seid.“

„Und das Baby? Grace?“

„Ja, das ist eine komische Sache.“ Keaton machte eine Kunstpause und ließ den Bruder zappeln. Jake hätte ihn erwürgen können! „Also … Grace wurde ihren nächsten Verwandten übergeben. Also mir und Lark. Du erinnerst dich doch noch an Skyes ältere Schwester?“

„Dir und Lark?“ Die Tatsache an sich leuchtete Jake ein. Aber dass Keaton Larks Namen so freundlich, ja, ganz ohne Häme aussprach, das verblüffte ihn nun doch. Denn nur zu genau erinnerte er sich an den abfälligen Tonfall, wenn der Bruder früher jemanden von den Taylors erwähnt hatte.

„Ja. Lark und ich kümmern uns um das Kind, bis Skye selbst dazu in der Lage ist. Oder du irgendwann aus der Versenkung auftauchst.“

„Du, ausgerechnet du kümmerst dich um Grace? Zusammen mit Lark? Und ich habe immer gedacht, du hasst die Taylors bis aufs Blut.“ Deshalb war er doch vier Jahre zuvor mit Skye Taylor abgehauen. Weil er sie liebte, mehr als seine eigene Familie, die Holts.

Keaton nickte bedächtig und sah ihn ernst an. „Es hat sich einiges verändert, Jake. Willkommen zu Hause.“

„Wie geht es Ihnen heute?“ Der hochgewachsene Mann in dem weißen Kittel lächelte Skye an.

„Besser. Nicht mehr so … durcheinander.“ Skye saß im Bett, die Augen geöffnet. Ihr Gehirn schien wieder zu funktionieren. Sie fühlte sich fast wieder so normal wie damals, als … als … ja, was war damals gewesen?

„Erinnern Sie sich an meinen Namen?“

Skye runzelte die Stirn. „Sie sind doch mein Arzt? Dr. Wake…“ Sie rieb sich die Stirn. „Dr. Wakefield? Stimmt das?“

„Ja. Ausgezeichnet.“ Dr. Wakefield machte sich eine kurze Notiz. „Das war sehr gut, Skye. Wissen Sie auch noch, wie sie heißt?“ Er wies mit dem Kopf auf die Schwester, die neben ihm stand. „Meine Assistentin?“

Ja, verflixt, der Name lag Skye auf der Zunge. Aber immer wenn sie ihn aussprechen wollte, entglitt er ihr wieder. „Julie? Juliet? Jules? Oder so ähnlich?“ Skye lehnte sich erschöpft zurück. Sich zu erinnern strengte sie enorm an. Aber sie wollte die Augen nicht zumachen. Geschlafen hatte sie lange genug.

„Sehr gut“, lobte Dr. Wakefield. „Sie haben den Namen auf Anhieb gewusst. Julie Kingston. Welches Jahr haben wir?“

„2013?“

Julie und Dr. Wakefield warfen sich einen Blick zu, der Skye ganz und gar nicht gefiel. Ach, wenn Jake doch hier wäre. Und wenn sie endlich aus diesem Krankenhaus herauskäme.

„Wann kommt Jake denn endlich?“, fragte sie. Schließlich war sie schon seit fast zwei Wochen wieder bei Bewusstsein, und Jake hatte sich immer noch nicht blicken lassen. Seltsam, aber sicher gab es dafür einen guten Grund.

Julie trat an ihr Bett. „Können Sie mir sagen, wo Jake ist, Skye?“

„Er war …“ Er war irgendwo anders gewesen als sie. Aber warum eigentlich? „Ich weiß es nicht. Seine Firma war gerade aus dem Gröbsten raus. Vielleicht hat er den Auftrag aus New York bekommen? Aber dann müsste er längst zurück sein. Ich verstehe nicht …“ Sie warf dem Arzt einen hilflosen Blick zu.

„Nicht so wichtig. Machen Sie sich keine Sorgen“, versuchte der Arzt sie zu trösten. „Erinnern Sie sich an Grace?“

Wieder zog Skye die Brauen zusammen. Warum fragten sie sie immer nach Grace? Sie wusste, wer das war, sie hatten es ihr ja oft genug gesagt. „Grace ist meine Tochter.“ Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen. Ihr Baby, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte. Und an das sie sich überhaupt nicht erinnern konnte. Ihr eigenes Kind, und sie wusste nicht, ob es Haare hatte und wie schwer es war, ob es aussah wie Jake oder eher wie sie. Nur dass Grace ihre Tochter war. „Geht es der Kleinen gut? Wann darf ich sie endlich in die Arme nehmen?“

Dr. Wakefield tastete ihren Kopf ab. An einer Stelle war er noch empfindlich. „Nach dem langen Koma müssen Sie erst Ihre Muskeln wieder aufbauen. Wenn Sie sitzen, können Sie Grace in den Arm nehmen. Aber es wird noch etwas dauern, bis Sie sie herumtragen können.“

„Das ist nicht so schlimm. Wenn ich sie wenigstens schon mal halten kann.“ Die Augenlider wurden ihr schwer. „Wann kann ich nach Hause?“

„Bald.“ Dr. Wakefield klang zuversichtlich. „Sie werden erst mal zu Ihrem nächsten Verwandten entlassen.“

„Das ist Jake.“ Skye gähnte. „Können Sie ihn nicht anrufen? Er fehlt mir so.“

„Ja, natürlich“, sagte Julie freundlich. „Es dauert bestimmt nicht mehr lange – oh!“

Skye riss die Augen auf, denn da war er! Jake … Er sah so gut aus, wenn auch irgendwie anders. Älter, schmaler, ernster.

„Skye?“ Er starrte sie an, als stünde er unter Schock. „Oh Skye, alles in Ordnung mit dir?“

„Jake, Liebster!“, rief sie, und Freudentränen liefen ihr über die Wangen. „Endlich bist du da. Ich hatte schon Angst, du hättest mich vergessen. Wo bist du gewesen? Ich habe mich so nach dir gesehnt.“ Sie streckte ihm die Arme entgegen, was ihre ganze Kraft erforderte. Aber sie merkte es kaum. Sie war so selig, ihn endlich wiederzusehen.

Jake sah den Arzt an. „Kann ich? Darf ich? Ich möchte ihr nicht wehtun.“

Lächelnd nickte Julie ihm zu. „Keine Angst. Sie tun ihr nicht weh, wenn Sie vorsichtig sind.“

Jake trat an das Bett, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Er beugte sich vor, nahm Skyes Hände und sah sie an, als habe er sie noch nie zuvor gesehen. „Ich freue mich so, endlich bei dir zu sein“, sagte er zärtlich.

„Dann wollen wir Sie zwei mal allein lassen.“ Dr. Wakefield wandte sich zur Tür. „Mr Holt, bevor Sie die Klinik verlassen, kommen Sie doch noch mal im Schwesternzimmer vorbei. Julie oder eine der Schwestern gibt Ihnen dann eine Liste mit dem, was vorbereitet werden muss, bevor Skye nach Hause kommt. In ein oder zwei Tagen kann sie entlassen werden.“

„Ja … äh … okay, Doktor.“

Skye runzelte die Stirn. Was war nur los mit Jake? Er wirkte irgendwie so abwesend.

„Ich bin so froh, hier zu sein“, sagte er, als sie allein waren.

„Und ich erst. Ich habe die ganze Zeit von dir geträumt.“

„Das ist … das ist gut.“ Jake sah Skye nicht an, sondern blickte auf ihre Hände. „Was genau hast du denn geträumt?“

„Also …“, fing sie an, aber dann schüttelte sie traurig den Kopf. „Entschuldige, aber ich habe immer noch Probleme, die richtigen Worte zu finden.“

„Das macht doch nichts.“ Lächelnd sah er sie an, aber eher wie eine Fremde und nicht wie die große Liebe seines Lebens.

Kein Wunder, sie sah auch nicht wie die Skye Taylor aus, die er kannte. „Ich muss schrecklich aussehen“, sagte sie schnell und wurde rot. „Wenn ich gewusst hätte, dass du heute kommst, dann hätte ich mich wenigstens gekämmt.“

„Nicht nötig. Du siehst gut aus.“ Er schwieg nervös. Dann fuhr er fort: „Inzwischen ist viel Zeit vergangen …“

„Ja, ich weiß. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Aber ich war so lange ohne Bewusstsein.“

„Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Du hattest einen schlimmen Unfall.“ Er richtete sich auf und ließ dabei ihre Hände los. „Das Wichtigste ist doch, dass du endlich wieder aus dem Koma aufgewacht bist. Wie fühlst du dich? Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Ich habe Grace noch nicht gesehen. Wie geht es ihr?“

„Gut. In ein bis zwei Tagen kannst du dich davon überzeugen. Aber du? Wie geht es dir? Was hast du geträumt?“

„Es war kein durchgehender Traum. Mehr so verschiedene Szenen. Über uns.“ Sie grinste. „Was wir gemacht haben und wo.“

„Ach so.“ Unwillkürlich wurde auch er rot. „Wir hatten tolle Zeiten.“

Skye stutzte. Irgendwie sah Jake anders aus als in ihren Träumen. War er immer so dünn gewesen? Aber egal, Hauptsache, er war endlich hier bei ihr. Bald würden sie auch Grace zu sich nehmen können. „Wenn du noch mal mit dem Arzt sprichst, Jake, dann frag ihn doch bitte, wann ich wieder … wann wir wieder … na, du weißt schon.“ Sie zwinkerte ihm zu.

„Äh … ja, mach ich.“

Da war es wieder, dieses verkrampfte Lächeln. Allerdings beugte er sich jetzt vor und küsste sie. Doch das war nicht der leidenschaftliche Kuss, von dem sie geträumt hatte, sondern nur eine kurze, flüchtige Berührung.

Was war nur los mit ihm?

„Ich werde jetzt mal nach Grace sehen“, sagte er. „Sie ist bei deiner Schwester.“

„Ja, ich weiß, Lark kümmert sich um sie. Aber warum eigentlich? Warst du nicht hier? Ach so, du hattest ja diesen Auftrag in New York, oder?“

Autor

Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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