Ein Blick in deine Augen ...

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Hundert Schmetterlinge flattern plötzlich in ihrem Bauch, sie bekommt kaum noch Luft, und ihr wird kalt und warm zugleich - niemals hätte Portia damit gerechnet, dass ein Blick in Coopers Augen so eine Wirkung auf sie hat! Er ist der Bruder ihres Exmannes, und sie ist froh, mit der Scheidung der Familie Cain entkommen zu sein. Alle Cain-Männer sind eiskalt, berechnend und zu tiefen Gefühlen nicht fähig: Das ist die bittere Erkenntnis, die Portia aus ihrer gescheiterten Ehe gewonnen hat. Cooper scheint ganz anders zu sein - doch kann sie seinen heißen Küssen wirklich vertrauen?


  • Erscheinungstag 13.01.2015
  • Bandnummer 1855
  • ISBN / Artikelnummer 9783733720919
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Portia Callahan hielt sich in ihrem Leben an eine schlichte Regel: Wenn alles andere versagt, mach eine Liste.

Ihre aktuelle Liste las sich nicht weiter kompliziert, war aber vielleicht eine Spur wichtiger als sonst. Folgende Stichpunkte hatte sie notiert: Nägel, Haare, Make-up, Kleid, Schuhe, Hochzeit …

Normalerweise fand Portia es beruhigend, die Punkte auf ihrer Liste abzuhaken. Sogar noch beruhigender als eine große Margarita. Aber nicht an diesem Tag. Die ersten fünf Punkte waren schon mit ordentlichen Häkchen versehen, und trotzdem drehte es ihr vor Aufregung immer noch den Magen um. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt für die Margarita gewesen, doch erstens konnte sie sich wohl kaum einen Drink in die Kirche kommen lassen, und zweitens zitterten ihre Hände dermaßen, dass sie ohnehin alles verschüttet hätte. Dann würde ihre Mutter endgültig durchdrehen.

Warum war ihr Kleid auch so eng? Und die Spitze so kratzig? Warum piekten die Haarnadeln so? Hatte sich ihr Make-up schon immer so klebrig angefühlt?

Und warum geriet sie jetzt in Panik, wo ihr Kleid, die Haarnadeln und das Make-up doch gestern noch völlig in Ordnung gewesen waren? War das vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie in Wirklichkeit gar nicht heiraten wollte?

Bei dem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen vollends. Wenn sie sich nicht bald beruhigte, würde sie sich noch übergeben.

Aber was konnte sie tun? Ihre Mutter tigerte im Umkleideraum der Kirche um sie herum und beäugte kritisch ihre Erscheinung. Shelby, ihre Brautjungfer, stand hinter ihr und schloss die einhundertsiebenundzwanzig Knöpfe ihres Brautkleids. Portia hasste die Knöpfe. Jeder einzelne davon schien sie noch ein wenig fester einzuschnüren.

Ihre modellierende Folterunterwäsche quetschte ihre Rippen so fest zusammen, dass sie kaum Luft bekam. Vielleicht war das ja gerade der Zweck ihres Kleides. Vielleicht sollte es ihr das Herz herauspressen.

Gerade als sie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, klopfte es an die Tür.

„Herein“, bellte ihre Mutter.

Die Tür ging auf, und Portia hörte die Stimme ihrer zukünftigen Schwiegermutter, Caro Cain. „Celeste, ich will dich nicht beunruhigen, aber es gibt anscheinend ein Problem mit dem Fotografen.“

Ihre Mutter warf ihr einen finsteren Blick zu. Als ob sie ihr die Schuld geben wollte, fand Portia. Dabei hatte sie mit dem Fotografen überhaupt nichts zu tun.

„Rühr dich nicht von der Stelle.“ Ihre Mutter betrachtete sie von oben bis unten. „Du siehst wunderbar aus, mach es jetzt nicht kaputt.“

Damit rauschte Celeste aus dem Ankleidezimmer, um sich den armen Fotografen vorzuknöpfen. Portia hingegen sprach ein stilles Dankgebet.

Sobald ihre Mutter den Raum verlassen hatte, drehte sie sich um und packte Shelby bei den Händen. „Könntest du …“ Aufhören, mich mit diesen Knöpfen zu erwürgen! Portia stieß den Atem aus und lächelte dann heiter. „Könntest du mich bitte einen Augenblick allein lassen?“

Shelby drückte ihr die Hand. „Ja, ich hab ein Auge auf deine Mutter. Ich sorge dafür, dass sie …“ Sie sah auf ihre Uhr. „Die Trauung beginnt in zwanzig Minuten. Ich kann dir vielleicht zehn Minuten Ruhe verschaffen. Mehr nicht.“

„Danke!“

Einen Augenblick später war Portia endlich allein – zum ersten Mal seit neun langen Tagen. Es war beinahe so gut wie eine Margarita. Doch sie hatte das Gefühl, als rieben ihre Nerven aneinander, als könnten jeden Augenblick Funken fliegen, woraufhin sie dann mit einem leisen Puff in Flammen aufgehen würde.

Ihre Mutter hatte sich schon furchtbar über die verpfuschte Maniküre aufgeregt, doch das wäre nichts gegen eine spontane Selbstentzündung.

Langsam schritt Portia im leeren Ankleideraum auf und ab, auf der Suche nach irgendeiner Ablenkung. Nicht dass es viel Platz zum Herumgehen gab, die kilometerlangen Seidenbahnen, aus denen der Rock ihres Brautkleides bestand, nahmen eine Menge Platz ein. Sie konnte sich kaum bewegen in dem verdammten Ding.

Hatte ihre Mutter deswegen auf diesem voluminösen Monstrum bestanden? Hatte sie schon geahnt, dass Portia in letzter Sekunde Panik bekommen und türmen könnte? Hatte sie dafür sorgen wollen, dass man sie umgehend wieder einfangen konnte?

Nicht dass Portia türmen wollte.

Nein, das wollte sie nicht.

Es war einfach nur Lampenfieber. Ganz normales Lampenfieber.

Dalton passte in jeder Hinsicht perfekt zu ihr. Finanziell und gesellschaftlich waren sie einander ebenbürtig. Was bedeutete, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben keine Sorgen machen musste, ob ein Mann wegen ihres Geldes mit ihr zusammen war. Portia respektierte Dalton. Sie verstanden sich. Und das Beste: Er war so beständig, so solide. Und sie brauchte diese Balance in ihrem Leben.

Sie waren einander ebenbürtig, aber trotzdem waren sie die reinsten Gegensätze. Und hieß es nicht immer, dass Gegensätze einander anzogen?

Und sie liebte ihn.

Also gut, sie war sich zu neunundachtzig Prozent sicher, dass sie ihn liebte. Und zu hundert Prozent, dass er sie liebte. Zumindest liebte er die Seiten an ihr, die sie ihm zeigte. Er liebte die gut gekleidete, selbstsichere Debütantin. Er liebte die beste Version ihrer selbst. Die Person, die sie sein wollte.

Ja, es gab auch eine rebellische, alberne Version ihrer Persönlichkeit, aber Portia gab sich größte Mühe, diese Seite von sich zu vergessen und zu begraben. Tief zu begraben. Sie ging nicht mehr zum Karaoke. Sie war seit Monaten nicht mehr mit dem Fallschirm abgesprungen. Sie hatte sich ihr Tattoo von Marvin dem Marsmenschen entfernen lassen, die Narbe war kaum zu sehen. Bald wäre sie zu hundert Prozent gesellschaftsfähig. Bald wäre sie die Person, die Dalton liebte.

Aber vor Dalton wollte sie ja auch nicht weglaufen. Eher vor sich selbst.

Und vor dem Kleid.

Aber das war nur Lampenfieber. Sie sollte sich ein wenig entspannen. Und wenn es nur für ein paar Minuten war. Glücklicherweise wusste sie genau, wie sie es anstellen musste.

Mit Überraschungen fertig zu werden, war eine von Cooper Larsons Spezialitäten. Wenn er auf seinem Snowboard die Hänge hinunter schoss, musste er auf alles gefasst sein. Jeder wusste, wie launisch der Schnee sein konnte. In einem Moment schienen die Bedingungen perfekt, im nächsten konnte alles hinüber sein. Coopers Geistesgegenwart und Flexibilität hatten ihm sogar einen Platz in der olympischen Mannschaft eingebracht.

Doch beide Eigenschaften verließen ihn vollkommen, als er das Ankleidezimmer betrat und dort seine zukünftige Schwägerin auf dem Kopf stehen sah, die Beine kerzengerade in die Luft gereckt.

Der Anblick war so unerwartet, dass Cooper im ersten Augenblick gar nicht begriff, was er da vor sich hatte. Zuerst sah er nur die Beine. Er brauchte eine ganze Weile, um sich von den zarten Füßen über endlose Beine in hauchdünnen Seidenstrümpfen bis zu den pastellblauen Strumpfbändern und dem Stück nacktem Oberschenkel vorzuarbeiten. Dann kam ein knallrosa Höschen mit weißen Punkten. Gerade als er schon glaubte, dass ihm vor Verwirrung jeden Moment der Kopf platzen könnte, erkannte er, dass es sich bei dem bauschigen Tüllhaufen, aus dem die Beine ragten, um ein umgedrehtes Hochzeitskleid handelte.

Kopfschüttelnd sah er auf die Beine, vermutlich die tollsten Beine, die er je gesehen hatte. Und sie gehörten seiner zukünftigen Schwägerin.

Mist.

Das passte ihm gar nicht.

Wieso machte sie hier Kopfstand? Wenn sie doch in weniger als zwanzig Minuten heiraten sollte?

Und dann hörte er sie.

Er erkannte die Melodie. Sang sie da gerade „Jesse’s Girl?“

Wenn er Portia nicht an der Stimme erkannt hätte, hätte er gedacht, dies wäre die falsche Kirche. Was zum Teufel war hier los?

„Portia?“, fragte er.

Der weiße Tüllhügel kreischte leise auf. Und die Beine gerieten ins Schwanken. Gleich würde sie umkippen.

Er sprang zu ihr und packte sie. Vielleicht etwas zu heftig, denn die Beine stießen ihn in die Brust, und dann trat sie ihn ins Gesicht.

„Verdammt!“

„Puh!“

Er taumelte rückwärts, zog sie mit sich.

„Lassen Sie mich runter!“, schrie sie.

Doch es war gar nicht so einfach, sie sanft abzusetzen. Er tat noch einen Schritt rückwärts, worauf sie ihn erneut trat.

„Lassen Sie mich runter!“, schrie sie wieder.

„Versuch ich doch!“

„Cooper?“

„Ja, was dachtest du denn?“ Schließlich umfasste er kurzerhand ihre Taille und stellte sie auf die Füße. Zum Dank flogen ihm Mengen von weißem Spitzentüll um die Ohren, und ihr Ellbogen traf ihn am Kinn. Er ließ sie los und trat zurück, die Hände abwehrend ausgestreckt. „Alles in Ordnung?“

Als sie aufsah, bemerkte er, dass sie Ohrhörer trug, danach entdeckte er den iPod, den sie sich ins Mieder geschoben hatte.

Sie riss die Ohrhörer heraus und funkelte ihn an. „Natürlich ist mit mir alles in Ordnung. Warum auch nicht?“

„Du hast auf dem Kopf gestanden.“

„Ich habe einen Kopfstand gemacht.“

„In deinem Brautkleid?“

Sie öffnete den Mund, um eine spöttische Bemerkung zu machen, doch dann zögerte sie, schloss den Mund und runzelte die Stirn. „Da hast du natürlich recht.“ Sie schüttelte ihre Röcke aus.

Das Kleid sah gar nicht so schlimm aus, ihre Frisur hingegen war völlig durcheinandergeraten. Der Lockentuff am Hinterkopf war zur Seite gerutscht, und eine goldblonde Locke fiel ihr frech ins Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen schimmerten feucht und rosig.

Cooper kannte Portia seit etwa zwei Jahren, und in all der Zeit hatte sie nie so zerzaust ausgesehen. So menschlich. So sexy.

Der Umstand, dass ihm der Anblick ihres knallrosa Höschens und ihrer nackten Schenkel immer noch ins Hirn gebrannt war, hatte mit diesem Eindruck natürlich überhaupt nichts zu tun. Was war eigentlich auf ihr Höschen aufgedruckt gewesen? Zuerst hatte er gedacht, es wären weiße Punkte, doch aus der Nähe hatte es eher wie Kätzchen ausgesehen. War es wirklich möglich, dass die verklemmte, prüde, kühle Portia Callahan in einem Höschen mit Katzenköpfen darauf heiraten würde?

„Was hast du da bloß gemacht?“

„Ich habe meditiert.“

„Und dazu Popmusik aus den Achtzigern gesungen?“

„Ich habe nicht … Ich kann nicht …“ Sie stieß die Luft aus, sodass die Locke vor ihrem Gesicht zitterte. „Es hilft mir beim Nachdenken.“ Dann hatte sie wohl bemerkt, dass ihr Haar zerzaust war, denn sie fasste nach einer losen Strähne und starrte sie an. „Oh nein!“

Sie sprang auf, lief zum Spiegel und betrachtete sich voller Entsetzen, murmelte dabei immer wieder: „Oh nein, oh nein!“

Cooper hatte nicht viel Erfahrung mit panischen Frauen. Eigentlich sogar gar keine. Um ehrlich zu sein, konnte er es immer noch nicht fassen, dass es Portia war, die hier gerade einen ausgewachsenen Panikanfall bekam. Vor Kurzem noch hätte er sie als völlig emotionslos beschrieben. Von ihr hätte er niemals erwartet, dass sie in Panik geriet. Oder dass sie rosa Höschen mit Katzenköpfen trug. Verdammt, er musste aufhören, an ihre Unterwäsche zu denken. Und an ihre Schenkel.

Und wenn er nicht derjenige sein wollte, der Caro Cain erklärte, warum die Hochzeit ausfiel, würde er sich jetzt wohl oder übel in Schadensbegrenzung üben müssen.

Er vergewisserte sich, dass die Tür geschlossen war, trat hinter Portia und sah sie im Spiegel an. In ihrer Panik bemerkte sie ihn gar nicht, bis er ihr die Hände auf die Schultern legte. Da schaute sie auf. In ihren dunkelblauen Augen schwammen Tränen. Wieso war ihm nie aufgefallen, wie dunkel ihre Augen waren? Beinahe lila.

Er kramte in seinen Hosentaschen, zog schließlich das seidene Einstecktuch aus seiner Brusttasche und reichte es ihr.

„Hier.“

Portia starrte ihn nur an und runzelte die Stirn.

Mist, für Aktionen wie diese taugte er einfach nicht. „Das wird schon wieder.“

„Meinst du?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Klar.“

Sie lächelte zittrig, und er hoffte, dass es nicht gelogen war. „Sind doch bloß Haare, oder?“ Anscheinend waren das nicht die richtigen Worte, denn ihre Oberlippe begann zu beben. „Ich meine, das kriegt man doch im Handumdrehen wieder hin!“ Er zog an dem Lockentuff. „Steck einfach noch ein paar Nadeln rein, dann sieht es prima aus.“

Sie warf die Hände in die Luft. „Ich hab aber keine Nadeln!“

„Wie konntest du die Haare dann überhaupt hochstecken?“

„Das haben sie beim Friseur gemacht.“

„Oh.“ Er wies sie nicht darauf hin, dass sie in diesem Fall lieber keinen Kopfstand hätte machen sollen. „Also, von den Nadeln, die rausgefallen sind, finden sich bestimmt noch eine ganze Menge auf dem Fußboden. Ich schau mal nach.“ Nach kurzem Suchen erhob er sich triumphierend. „Fünf Stück!“

Sie wirkte inzwischen ruhiger. Und sie hatte etwas mit ihrem Haar gemacht, sodass es wieder etwas … in Form war. „Okay. Gib her.“

Er reichte sie ihr und sah zu, wie sie sich die Nadeln ins Haar schob. Schließlich begegnete sie seinem Blick im Spiegel.

„Und wird wirklich alles gut?“, fragte sie leise.

„Klar.“

„Ich rede nicht vom Haar.“

„Ja, das hab ich schon kapiert.“ Er schluckte. Wie kam er dazu, irgendwem Ratschläge in Beziehungsdingen zu geben? Vor allem, nachdem er nicht aufhören konnte, an Portias Beine zu denken, und wie bezaubernd sie im Kopfstand ausgesehen hatte. Und dass er sie schon immer schön gefunden, aber bisher nicht gewusst hatte, wie hübsch sie war. „Klar. Es wird alles gut. Dalton ist ein feiner Kerl. Und ihr passt prima zusammen.“

Was total gelogen war. Bisher hatte Cooper immer geglaubt, dass Portia für seinen Bruder genau die Richtige war. Aber diese Frau, die im Brautkleid Kopfstand machte und knallrosa Kätzchenslips trug? Diese Portia war lebendig und faszinierend und überraschend anziehend in ihrer Verletzlichkeit.

Vielleicht war sie für Dalton doch nicht die Richtige.

1. KAPITEL

Zwölf Jahre später

Portia Callahan wäre vor Scham am liebsten gestorben.

Nur ein Gedanke hielt sie am Leben: Wenn sie während der jährlichen Gala der Children’s Hope Foundation verstarb, wäre es um die Auktion der Wohltätigkeitsveranstaltung für Kinder geschehen. Statt ihre Täfelchen zu heben und Gebote abzugeben, würden sich alle den Mund darüber zerreißen, wie Celeste Callahan ihre Tochter endgültig zu Tode geschimpft hatte.

Statt also zu sterben, stand Portia in der Lobby vor dem Ballsaal des Kimball Hotels in Houston und ließ sich von ihrer Mutter zusammenstauchen.

„Also ehrlich, Portia, was hast du dir nur dabei gedacht?“

Portia seufzte und verabschiedete sich von all den vernünftigen Antworten, die sie darauf hätte geben können.

Ich habe an die Kinder gedacht. Ich habe versucht, das Richtige zu tun.

Stattdessen sagte sie das, was ihre Mutter hören wollte: „Ich habe mir wohl gar nichts dabei gedacht.“

Was ebenfalls stimmte. Als sie vor drei Monaten die innerstädtische Highschool in Houston im Namen der Children’s Hope Foundation besucht hatte, hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wie ihr Besuch auf Houstons Elite wirken könnte. Sie hatte sich Gedanken darüber gemacht, wie sie einen Draht zu den Schülern finden könnte, wie sie sie ermutigen könnte, von einem Leben zu träumen, das mehr beinhaltete als einen schlecht bezahlten Job. Sie hatte an die Schüler gedacht und an das, was sie brauchten.

An jenem Tag war kein Stiftungsmitglied anwesend gewesen. Portia wäre nie auf die Idee gekommen, dass ein Lehrer die Fotos von ihrem Besuch an die Stiftung schicken könnte oder dass ein paar dieser Fotos auf der Fotomontage auftauchen würden, die jetzt gerade, am Abend der Gala, per Videoprojektor im Hintergrund gezeigt wurde. Und noch weniger wäre sie auf die Idee gekommen, dass sich Mitglieder der Houstoner High Society über Fotos aufregen könnten, auf denen sie mit ehemaligen Gangmitgliedern Basketball spielte.

„Nein, Portia, du hast ganz offensichtlich nicht nachgedacht. Diese Bilder …“ Celeste seufzte.

Gott, wie Portia dieses Geräusch hasste. Mit diesem einen Atemzug der Enttäuschung fragte ihre Mutter sie, wie sie ihr das antun konnte, und gleichzeitig wollte sie wissen, womit sie eine solche Tochter eigentlich verdient hatte.

„So schlimm ist es doch nicht“, versuchte Portia zu erklären. Sie sprach mit gedämpfter Stimme. Ringsum flitzte Servicepersonal mit Tabletts vorbei, ein paar waren allerdings langsamer geworden, um von ihrem Streit möglichst viel mitzuhören.

„Es wäre schon schlimm genug, wenn es nur um das Foto ginge“, sagte Celeste. „Aber jetzt, wo Laney auch noch schwanger ist, schaut doch jeder auf dich, um zu sehen, wie du …“

„Laney ist schwanger?“, unterbrach Portia ihre Mutter. Ihr wurde flau im Magen. „Laney bekommt ein Kind?“

Laney war die aktuelle Ehefrau von Portias Exmann.

Nicht dass Portia irgendetwas gegen Laney gehabt hätte. Oder gegen Dalton.

Sie freute sich für die beiden, freute sich wirklich, dass sie die Liebe gefunden hatten und miteinander glücklich waren. Ehrlich. Sie versuchte es zumindest. Aber es würde ihr leichter fallen, wenn ihr eigenes Leben nicht so stagnieren würde.

Und jetzt war Laney schwanger? Portia und Dalton hatten jahrelang mit ihrer Unfruchtbarkeit gekämpft. Anscheinend hatte Dalton nicht mehr als eine lebhafte neue Frau gebraucht.

„Laney ist schwanger“, wiederholte sie benommen.

„Ja, natürlich. Noch haben sie es nicht offiziell gemacht, aber das Bäuchlein hat jeder bemerkt. Ehrlich, Portia, wie kannst du diese Dinge nur immer übersehen? Ganz Houston ist es aufgefallen, nur dir nicht?“

„Ich habe nicht …“

„Nun, du musst dich einfach mehr darum kümmern, wenn sich in deiner Nähe Klatsch zusammenbraut. Und um Himmels willen, bemüh dich doch bitte, die fotografischen Beweise deiner Midlifecrisis nicht in ganz Houston zu verbreiten.“

„Ich habe keine Midlifecrisis!“

Celeste sah sie zornig an. „Auf dem Foto sieht man dich mit fünf Gangmitgliedern, von denen dir einer in den Ausschnitt starrt, und ein anderer hat die Hand viel zu nah an dir dran!“

„Er hat geblockt, er hat mich nicht mal berührt!“ Empfanden andere Leute das Foto wirklich so? „Mutter, es ist nur ein Foto, ein Foto von fünfzig, auf denen die Arbeit der Stiftung gezeigt wird. Auf einem bin eben zufällig ich zu sehen. Das ist nun wirklich keine große …“

„Natürlich ist es eine große Sache“, fuhr Celeste sie an. „Dass du nun meinst, dem wäre nicht so, beweist nur, wie naiv du bist. Eine Frau in deiner Position …“

„In meiner Position? Was soll das heißen?“

„Die Stellung einer Frau in der Gesellschaft ändert sich, wenn sie sich scheiden lässt. Das konntest du bei dir selbst beobachten und bei Caro auch. Gott sei Dank ist es dir besser ergangen als ihr. Bisher.“

„Klar“, sagte Portia grimmig. „Caro.“

Nach ihrer Scheidung von Dalton hatte Portia den Kontakt zu ihrer früheren Schwiegermutter aufrechterhalten. Caro Cain war nicht gerade die Warmherzigkeit in Person, doch Portia kam mit ihr immer noch besser zurecht als mit ihrer eigener Mutter. Und im Moment konnte Caro jeden Freund brauchen. Nach ihrer Scheidung von Hollister Cain wurde sie wie eine Aussätzige behandelt.

„Weißt du, wie viele Leute sich da draußen über dieses Foto lustig machen?“

„Außer dir interessiert sich kein Mensch dafür.“

„Wenn du Kindern helfen willst, dann mach, was du willst, aber halte dich um Himmels willen von den Gettos fern, und …“

Doch Celeste bekam keine Gelegenheit, ihren Satz zu beenden, denn in diesem Augenblick geriet eine Kellnerin neben ihnen ins Stolpern und verschüttete den Inhalt eines Glases Sekt über Celestes Kleid.

Portias Mutter zuckte zurück und keuchte schockiert auf.

Die Kellnerin blieb erschrocken stehen – und konnte sich im nächsten Moment gerade noch in Sicherheit bringen, ehe Celeste auf sie losging. „Was soll das denn, Sie ungeschickte kleine …“

„Mutter, bitte.“ Portia packte Celeste am Arm, aber ihre Mutter riss sich los und fletschte die Zähne.

„Das kostet Sie Ihren Job!“, fauchte Celeste.

„Überlass das mir, Mutter.“ Nervös sah Portia sich um. Bis auf die Kellnerin war zum Glück niemand in der Nähe. „Geh zur Toilette und säubere dein Kleid, so gut es geht. Sekt macht keine Flecken“, sagte sie zu ihrer Mutter, aber Celeste funkelte die Kellnerin weiter wütend an, woraufhin diese mit gerecktem Kinn zurückfunkelte.

Portia führte ihre Mutter auf den Durchgang zum Ballsaal zu. „Ich kümmere mich darum. Ich rede mit ihrem Vorgesetzten.“

„Dieser ungeschickte Trampel dürfte bei solch einer Veranstaltung gar nicht bedienen“, schimpfte Celeste noch, dann rauschte sie davon.

Portia drehte sich zu der Kellnerin um, überrascht, dass sie noch dort stand. Die junge Frau war um die zwanzig, hatte kastanienbraun gefärbtes Haar, zu stark geschminkte Augen und ein Nasenpiercing. Und nun starrte sie Portia kampflustig an.

„Ich heiße übrigens Ginger. Falls Sie mich bei meinem Vorgesetzten anschwärzen wollen.“

Portia hob beschwichtigend die Hand. „Hören Sie, mir liegt nichts daran, dass Sie Ihren Job verlieren, aber vielleicht könnten Sie sich den restlichen Abend von meiner Mutter fernhalten.“

Ginger blinzelte überrascht. „Sie wollen sich nicht beschweren?“

„Nein. Es war ein Unfall.“

„Ein Unfall. Klar.“ Gingers Tonfall klang vollkommen unschuldig, doch um ihre Lippen spielte ein selbstgefälliges Grinsen, als sie Richtung Ballsaal davongehen wollte.

Das Grinsen kam Portia auf einmal sehr bekannt vor. „Warten Sie …“ Die Tür schwang auf, und zwei weitere Kellner kamen in die Lobby. Portia zog Ginger beiseite. „Haben Sie das etwa mit Absicht gemacht?“

„Den Sekt über Ihre Mutter geschüttet? Warum sollte ich?“

Ginger grinste erneut, und wieder überkam Portia dieses vertraute Gefühl, als müsste sie die junge Frau kennen. „Ich weiß es nicht“, räumte sie ein.

„Hören Sie mal, wollen Sie jetzt dafür sorgen, dass man mich rausschmeißt oder nicht?“

Portia seufzte. „Warum sollten Sie so etwas mit Absicht tun?“

„Was? Sekt über eine Frau kippen, die ihre Tochter in aller Öffentlichkeit beschimpft? Keine Ahnung.“ Ginger wandte sich ab, doch dann drehte sie sich noch einmal um. „Es geht mich zwar nichts an, aber Sie sollten sich das nicht gefallen lassen. In einer Familie sollte man nicht so miteinander umgehen.“

„Ja, das stimmt.“ Portia machte sich keine Illusionen über ihre Mutter. Und sie wusste nicht, warum sie ihre Mutter vor einer völlig Fremden verteidigte, aber sie tat es dennoch. „Ich weiß, dass meine Mutter gemein sein kann, und ich will auch nicht so tun, als meinte sie es gut. Aber wenn sie glaubt, dass die Leute Fotos von mir missverstehen könnten, möchte ich wetten, dass es auch so ist.“

„Das ist doch krank.“ Ginger schüttelte den Kopf. „Macht Ihnen das nichts aus?“

„Doch, aber so ist eben die Welt, in der ich lebe.“

„Mir egal, wenn das Ihre Welt ist. Aber Ihre Familie sollte auf Ihrer Seite sein, egal was geschieht.“ Gingers Miene verfinsterte sich. „Ihre Welt ist doch das Letzte.“

Die Wut in Gingers Blick verblüffte Portia. Sie sah die junge Frau scharf an. Wieder hatte sie das Gefühl, sie zu kennen.

„Sind wir uns schon mal begegnet?“, fragte sie spontan.

Ginger trat einen Schritt zurück. „Nein. Wo hätten wir uns denn begegnen sollen?“

Bevor Portia sie weiter bedrängen konnte, hatte Ginger sich schon abgewandt und verschwand durch den Durchgang in den Ballsaal.

Jetzt war Portia sich sicher, dass sie ihr schon einmal begegnet war. Etwas am Lächeln der jungen Frau kam ihr vertraut vor. Und ihre Augen …

Ihre Augen!

Portia hielt die Luft an, als ihr plötzlich die Erkenntnis kam.

Die Augen der jungen Frau hatten genau dieselbe Farbe wie Dalton Cains Augen. Jetzt konnte sie auch die anderen Gesichtszüge zuordnen. Der intensive Blick war typisch für Griffin Cain. Und das sarkastische Grinsen erinnerte sie stark an Cooper.

Ginger sah aus wie eine fast vollkommene Mischung der drei Cain-Brüder! Zarter und femininer natürlich, aber sie hätte dennoch ihre Schwester sein können.

Autor

Emily McKay
Durch Zufall stieß Emily McKay schon in jungen Jahren auf einen Liebesroman und war von Anfang an fasziniert. Sie studierte Englisch an einer Universität in Texas und unterrichtete vier Jahre lang an einer Grundschule. Während ihrer Tätigkeit als Englischlehrerin setzte sie sich mit dem Schreiben auseinander und näherte sich dem...
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