Halt mich, wenn ich falle

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Ein Sturz, ein Schrei - eine Traumfrau in seinen Armen! Was für ein Glück, dass Ian gerade zur Stelle ist, als die schöne Cassie Barrington in der Scheune von der Leiter fällt. Oder vielleicht ist es ja auch das Schicksal, das sie ihm in die Arme getrieben hat? Denn auf den ersten Blick ist Ian von ihrem natürlichen Sex-Appeal verzaubert. Dabei steht Cassie für alles, was für den Hollywood-Agenten niemals infrage kommt: Sie lebt auf dem Land, auf einem Gestüt. Sie ist alleinerziehende Mutter. Und sie glaubt tatsächlich an die Liebe für ein ganzes Leben …


  • Erscheinungstag 08.03.2016
  • Bandnummer 1914
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721183
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ups!

Wie aus heiterem Himmel landete plötzlich eine Frau in Ian Shaffers Armen. Eine zierliche Frau mit Rundungen an genau den richtigen Stellen. Ein Teil ihres Gesichts wurde von ihrem seidigen roten Haar verborgen. Als sie einige der widerspenstigen Strähnen beiseitestrich und den Kopf hob, blickte Ian in die wohl faszinierendsten blauen Augen, die er jemals gesehen hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Ian. Er besuchte die Ställe von Stony Ridge Acres heute zum ersten Mal – und schon fiel ihm diese Schönheit wortwörtlich in die Hände. Perfektes Timing.

Auffordernd drückte sie gegen seine Schulter. Ian dachte jedoch gar nicht daran, sie loszulassen. Ihre sinnlichen Kurven schmiegten sich geradezu perfekt an seinen Körper. Obendrein spürte er, dass sie zitterte.

Von Pferden mochte er wenig Ahnung haben, doch was Frauen anbelangte … Oh ja, mit Frauen kannte er sich hervorragend aus.

„Danke, dass Sie mich aufgefangen haben.“

Beim heiseren Klang ihrer Stimme war Ian froh über seinen Entschluss, hierherzukommen. Er wollte dem Filmset auf dem Gestüt einen Besuch abstatten, um sich höchstpersönlich um die Bedürfnisse seines Klienten Max Ford zu kümmern … und um seiner wachsenden Riege an Topstars eine weitere Schauspielerin hinzuzufügen – so hoffte er zumindest.

Im Gegensatz zu Ian machte sich kaum ein Agent so häufig die Mühe, Drehorte zu besuchen. Doch er wusste, dass sich ihm hier eine einmalige Chance bot: Er konnte Max bei Laune halten und seiner potenziellen neuen Klientin Lily Beaumont zugleich demonstrieren, dass er ein unglaublich guter und engagierter Agent war.

Ian schaute zur Leiter, die auf den Heuboden des weitläufigen Stalles hinaufführte. Eine Sprosse hatte sich offensichtlich gelöst und den Sturz dieser entzückenden Lady verschuldet.

„Sie sollten Ihre Leiter reparieren“, bemerkte er und blickte erneut in ihre großen, ausdrucksvollen blauen Augen.

„Das hatte ich vor“, erklärte sie ihm. Ian fiel auf, wie sie dabei sein Gesicht und seinen Mund musterte. „Sie können mich jetzt übrigens absetzen.“

Allmählich wurde sie merklich nervös. Kein Wunder, er hielt sie ja bereits eine ganze Weile in den Armen. Trotzdem ließ Ian sich nicht aus der Ruhe bringen und stellte sie betont bedächtig wieder auf die Beine.

Zwar war er eigentlich aus rein beruflichen Gründen hier. Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass er nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen und die Vorzüge dieser verlockenden Frau ein wenig genießen durfte.

Ian hielt weiterhin ihren Arm und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. So wollte er mögliche Anzeichen einer Verletzung entdecken – jedenfalls redete er sich das halbherzig ein. Tatsächlich wollte er diese Frau jedoch ganz genau in Augenschein nehmen. „Sind Sie verletzt?“

„Nur mein Stolz.“ Sie trat zurück, löste sich von ihm und zupfte ihr kariertes Hemd zurecht. „Ich bin Cassie Barrington. Und Sie?“

Er streckte ihr die Hand hin. „Ian Shaffer. Ich bin Max Fords Agent.“

Und wenn alles gut ging, hatte er sehr bald auch Max’ Ko-Star Lily unter Vertrag. Seiner Konkurrenz würde er sie nicht überlassen – wenigstens nicht kampflos. Vielleicht würde sein schwer zu beeindruckender Vater dann endlich anerkennen, dass Ian etwas von seinem Job verstand. Er galt inzwischen nicht umsonst als Topagent und wichtiger Mann in der Filmindustrie.

Ians Leben in der Glitzerwelt von L. A. – mit jeder Menge Partys und Frauen – war durchaus nicht zu verachten. Dennoch genoss er es, dem Glamour hin und wieder den Rücken zu kehren und sich an den verschiedenen Drehorten seiner Klienten aufzuhalten. Und die zusätzliche Mühe zahlte sich aus: Am Filmset konnte er nicht nur Beziehungen zu den Produzenten aufbauen und die Drehbuchautoren und Schauspieler besser kennenlernen; er konnte seinen Klienten zudem die Rollen sichern, die am besten zu ihnen passten.

Die Rolle, die Max diesmal spielen sollte, war perfekt für ihn. In diesem Film sollte er den dynamischen Damon Barrington verkörpern, einen berühmten Pferdezüchter und ehemaligen Jockey.

„Ach ja! Max erwähnte, dass Sie kommen würden“, erwiderte die Frau nun. „Tut mir leid, dass ich auf Sie gefallen bin.“ Sie musterte ihn schnell. „Ich habe Ihnen hoffentlich nicht wehgetan, oder?“

Ian schob die Hände in die Taschen und schenkte ihr ein Lächeln. Es störte ihn keineswegs, von ihr begutachtet zu werden. „Aber nein“, versicherte er. „Mir gefiel diese Art der Begrüßung sogar recht gut.“

Etwas trotzig streckte sie ihr Kinn vor. „Ich bin für gewöhnlich nicht so ungeschickt … Oder werfe mich Männern in die Arme.“

„So?“, fragte er und unterdrückte ein Lachen. „Wie schade!“

„Und Sie? Schnappen Sie sich für gewöhnlich jede Frau, der Sie begegnen?“

Einer solch provokanten Frage konnte Ian nicht widerstehen. Er ging einen Schritt auf Cassie zu – und stellte zufrieden fest, dass sich ihre Augen weiteten. „Eigentlich nicht“, antwortete er. „Aber in Ihrem Fall mache ich eine Ausnahme.“

„Na, da kann ich mich glücklich schätzen“, entgegnete sie ironisch. „Max müsste in seinem Wohnwagen sein. Sein Name steht außen an der Tür. Soweit ich weiß, wurde auch ein eigener Wohnwagen für Sie gebracht.“

Offenbar hatte sie es eilig, ihn loszuwerden. Ian dagegen gefiel ihre Gesellschaft immer besser. Er fand Cassie geradezu erfrischend. Zur Abwechslung traf er hier mal jemanden, der sich nicht um seinen Rang in Hollywood scherte und der sich von seiner Macht oder seinem Reichtum unbeeindruckt zeigte. Und dass es sich bei diesem Jemand um eine Frau mit ausdrucksstarken himmelblauen Augen und einer herrlichen Figur handelte, war das Tüpfelchen auf dem i.

Auf seinem Rücken spürte Ian das warme Sonnenlicht, das durch die geöffneten Tore in den Stall fiel. Der Frühling neigte sich dem Ende, der Sommer stand unmittelbar vor der Tür – und mit ihm der Start der Blockbuster-Saison. Sobald dieser Film abgedreht war und Ian Lily unter Vertrag genommen hatte, würde seine Agentur ihren Platz an der Spitze behaupten. Dann müsste er sich keine Gedanken mehr um seinen Expartner machen, der mittlerweile zu einem Rivalen geworden war.

Direkt nach dem Collegeabschluss hatte Ian auf Empfehlung eines seiner Professoren hin die Gelegenheit erhalten, in eine Firma einzusteigen. Einige glückliche Zufälle und kluge geschäftliche Entscheidungen hatten es ihm bald darauf ermöglicht, seine eigene Agentur zu gründen. Leider hatte er sich dabei jedoch auf einen Geschäftspartner eingelassen, der ihm bei erster Gelegenheit in den Rücken gefallen war: Heimlich hatte er ihre gemeinsamen Klienten abwerben wollen, um sie exklusiv für sich zu gewinnen.

Ian musste Lily unbedingt von sich überzeugen und unter Vertrag nehmen. Das verlangte sein gekränkter Stolz. Aber wie um alles in der Welt sollte er sich auf seine Arbeit konzentrieren, wenn diese sinnliche Frau hier ihn mit ihren prachtvollen Kurven ablenkte?

„Also sind Sie die Trainerin, und Ihre Schwester ist die berühmte Reiterin?“, erkundigte er sich.

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, gab sie zurück. „Beeindruckend, dass Sie über mich und meine Schwester Bescheid wissen.“

„Ich recherchiere stets gründlich. Man könnte durchaus behaupten, dass ich als Agent meine Augen und Ohren überall habe.“

„Und Ihre Hände offenbar auch.“

Oh, was für eine vielsagende Anspielung … die er nur allzu gern in die Tat umsetzen würde. Ohne die Augen von ihr abzuwenden, trat er noch näher an sie heran. Sie hielt seinem Blick stand, blinzelte nicht einmal. An ihrem Hals bemerkte er jedoch, dass ihr Puls sich sofort beschleunigte.

Im Stillen verfluchte Ian seine beruflichen Verpflichtungen. Andererseits würde ein netter Flirt – oder eine kleine Affäre – diesen Abstecher bestimmt noch spannender für ihn machen.

„So ist es“, flüsterte er. „Falls Sie es testen möchten, lassen Sie es mich wissen.“

Sie betrachtete seine Lippen. Ian musste sich zusammenreißen, um sie nicht an sich zu ziehen und zu küssen. Nein, es blieb noch genügend Zeit für … alles, zu dem sie bereit war. Außerdem gehörte die Jagd für ihn zum Vergnügen.

„Sie wissen ja, wo mein Wohnwagen steht“, fügte er hinzu. Mit diesem moralisch nicht ganz einwandfreien Angebot wandte er sich ab und verließ den Stall. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, wie sie ihm mit offenem Mund nachstarrte.

Dieser Trip erwies sich schon jetzt als sein bisher aufregendster Besuch bei einem Filmdreh. Dabei hatte er noch gar nicht mit seinem Klienten gesprochen.

Cassie packte Macduffs Führleine fester. Das Pferd hatte sich noch nicht auf dem Gestüt eingelebt und gebärdete sich scheu und launenhaft. Sie arbeitete jedoch Tag für Tag mit ihm, und langsam machte Macduff Fortschritte. Hin und wieder ließ er sich sogar von Cassies Vater reiten. Allerdings verfügte Damon Barrington auch über ein wirklich außergewöhnlich gutes Gespür für Pferde.

Mittlerweile versuchte Macduff immerhin nicht mehr, vor Cassie zu flüchten. Nun musste sie es nur noch schaffen, dass er ihren wortlosen Kommandos gehorchte. Damit zeigte Cassie den Tieren zum Beispiel, dass sie sich ihrer Führung und ihrer Geschwindigkeit anzupassen hatten.

Die Arbeit mit Macduff und den anderen Pferden war einer der Gründe, die zum Scheitern ihrer Ehe geführt hatten. Ihrem Exmann Derek zufolge hatte sie zu viel Zeit mit ihren „Findelkindern“ verbracht. Es hatte ihn gestört, dass sie jedem in Not geratenen Tier helfen wollte.

Doch Tiere zu retten, würde Cassie niemals aufgeben. Insbesondere, nachdem es ihr nicht gelungen war, ihre Ehe zu retten. Ihrem Mann hatte mehr an anderen Frauen und an Alkohol gelegen als an ihr und ihrem Baby. Sein Pech. Trotzdem saß der Schmerz über die Trennung noch immer tief.

Sie rief sich zur Ordnung und konzentrierte sich wieder auf die Trainingsroutine. Heute war sie mit ihrer Arbeit ein wenig im Rückstand.

Seit dem frühen Morgen und dem Sturz vom Heuboden in die Arme dieses gut aussehenden Fremden war Cassie völlig durcheinander. Für den Bruchteil einer Sekunde hätte sie sich beinahe sogar seiner kraftvollen Umarmung hingegeben. Aber dann hatte sie die Erkenntnis wie eine Ohrfeige getroffen: Schon einmal war sie auf einen Schwätzer hereingefallen. Sie war ihm nicht nur auf den Leim gegangen, sondern hatte ihn auch noch geheiratet und ein Kind von ihm bekommen – und seitdem nichts mehr von ihm gehört oder gesehen.

Nie wieder wollte sie sich von einem Mann zum Narren halten lassen. Das hatte sie sich geschworen. Ganz bestimmt würde sie sich nicht durch ein hübsches Lächeln einwickeln oder sich von erregenden Berührungen die Sinne verwirren lassen.

Dummerweise waren all diese guten Vorsätze schlagartig vergessen gewesen, als sie unvermittelt in Ians Armen gelandet war. Dafür konnte man ihr allerdings kaum einen Vorwurf machen, oder? Bei diesem Prachtkerl wäre es wahrscheinlich jeder Frau so ergangen.

Schluss damit! Sie musste auch an ihre Tochter denken. Die kleine Emily war vor Kurzem ein Jahr alt geworden und definitiv das Wundervollste, was aus Cassies Ehe mit Derek hervorgegangen war. Wenn Emilys Vater sein eigenes Kind nicht sehen wollte, war das seine Entscheidung.

Also: keine sexy Männer mehr, die sich für Gottes Geschenk an die Menschheit hielten. Dennoch musste Cassie sich eingestehen, dass es zwischen Ian und ihr geknistert hatte. Er war so stark, sein Duft war so männlich. Und er hatte sie angesehen, als hielte er sie tatsächlich für eine schöne, begehrenswerte Frau.

Sie selbst fühlte sich seit Emilys Geburt eher reizlos und pummelig. Die Schwangerschaftspfunde wollten einfach nicht verschwinden. Dass ihr Mann sie für eine andere Frau verlassen hatte, setzte ihrem Selbstbewusstsein zusätzlich zu.

Sich auf einen attraktiven Kerl mit wundervollen Augen und einer beeindruckenden Ausstrahlung einzulassen, war vor allem zurzeit keine gute Idee: Sie musste ihrer Schwester Tessa helfen. Schon fast ihr ganzes Leben arbeiteten die beiden eng zusammen. Gemeinsam träumten sie davon, eines Tages die drei wichtigsten Rennen des Landes und damit die Triple Crown zu gewinnen. Wem das gelang, der schrieb nämlich Geschichte – so wie ihr Vater.

Einen der drei Wettbewerbe hatten sie bereits gewonnen, zwei weitere standen noch aus.

Und gerade jetzt sollte das Gestüt der Barringtons als Schauplatz für einen Film dienen. Das Drehbuch erzählte die Lebensgeschichte von Cassies Vater, von seiner Karriere als Reiter und seiner legendären Siegesserie. Das Filmprojekt hatte die Topstars von Hollywood auf den Plan gerufen. Plötzlich standen überall auf dem Grundstück Scheinwerfer herum. Es wimmelte von Beleuchtern, Tontechnikern, Komparsen und Sicherheitskräften.

Cassie freute sich, dass der attraktive Schauspieler Max Ford ihren Vater verkörpern würde. Cassies verstorbene Mutter sollte von Lily Beaumont dargestellt werden, einer echten Südstaatenschönheit. Bisher lieferten die beiden wirklich hervorragende Arbeit ab. Cassie konnte es kaum erwarten, den fertigen Film zu sehen.

Um ihr Glück komplett zu machen, stand Cassie zudem kurz vor der Eröffnung ihrer eigenen Reitschule für behinderte Kinder. Seit sie selbst ein Kind hatte, verspürte sie den Wunsch nach einem etwas ruhigeren Leben. Die Reitschule ins Leben zu rufen wäre nach dem traurigen Ende ihrer Ehe ein großer Schritt nach vorne. Nun musste sie nur noch das nötige Geld zusammensparen. Ihren Vater oder sonst jemanden um die Summe zu bitten, kam für sie nicht infrage.

„Träumst du?“

Ohne den Griff um die Führleine zu lockern, blickte Cassie über die Schulter hinweg zu Tessa. Ihre Schwester näherte sich mit langsamen Schritten. Macduff wurde von allen noch immer wie ein rohes Ei behandelt. Doch eines Tages würde er begreifen, dass die Menschen hier seine Freunde waren.

„Ein bisschen vielleicht“, gestand Cassie und brachte das Pferd behutsam dazu, in leichten Trab zu verfallen. „Gib mir noch ein paar Minuten. Dann können wir anfangen.“

Tessa schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. „Ich würde lieber wissen, wo meine große Schwester heute Morgen mit ihren Gedanken ist“, meinte sie schmunzelnd.

Cassie verdrehte die Augen. Sie führte Macduff ein paar Meter, blieb stehen und ging wieder zurück. Zufrieden stellte sie fest, dass sich der Hengst nicht gegen sie auflehnte. Das Tier folgte ihr anstandslos.

Er lernte. Endlich.

„Es verwundert mich jedes Mal aufs Neue, wie sie dir irgendwann gehorchen“, sagte Tessa sanft. „Du bist so geduldig und behutsam mit ihnen. Sie scheinen fast zu wissen, dass du ihnen nur helfen willst.“

„So ist es ja auch.“ Cassie tätschelte Macduff lobend den Hals. „Er wurde einfach verkannt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, richtig mit ihm zu arbeiten.“

„Er wurde misshandelt.“

Cassie schluckte und führte den Hengst zurück zu den Ställen. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass jemand ihn geschlagen hatte – bloß, weil er nicht richtig trainiert worden war. Bereits bei seiner Ankunft auf dem Hof hatte sie geahnt, dass er von seinem Vorbesitzer schlecht behandelt worden sein musste. Sie hatte es an seinen weit aufgerissenen Augen und seinem nervösen Verhalten erkannt. Als Tessa auf seinen Rücken geklettert war, hatte er sie sofort abgeworfen.

Neue Pferde wurden auf Stony Ridge Acres behandelt, als seien sie von edelstem Geblüt; ihre Abstammung spielte dabei keine Rolle. Viele der Tiere errangen daraufhin zahllose Siege. Eigentlich ging es bei der Pferdehaltung jedoch nicht um Siege. Wirklich von Bedeutung waren die Liebe und die Fürsorge für die Pferde. Und zum Glück war Stony Ridge Acres sehr weitläufig. So konnte Cassie problemlos all die Findelkinder aufnehmen, an die sie ihr Herz verlor.

Schon von klein auf hatte sie den Trainern gern zugesehen, die ihr Vater für seine Pferde engagiert hatte. Noch vor einigen Jahren waren weibliche Trainer misstrauisch beäugt worden. Ihr Vater hatte allerdings stets darauf beharrt, dass Frauen von Natur aus sanfter waren als Männer und ihr Konkurrenzdenken weniger stark ausgeprägt war. Eben aus diesem Grund hatte er Frauen immer bevorzugt: Ihre Arbeit brachte Tiere mit ausgeglichenerem Temperament hervor – und Sieger.

„Du hast heute Morgen nicht zufällig diesen Traumtypen gesehen, der neu am Set eingetroffen ist?“, erkundigte sich Tessa, während sie den Putzkasten holte. Sie wollte helfen, Macduff zu striegeln.

Cassie musterte ihre Schwester über den Rücken des Pferdes hinweg. „Bist du nicht verlobt?“

„Verlobt schon, aber nicht tot, Cass.“ Tessa bürstete das Tier mit weiten, kreisförmigen Bewegungen. „Anscheinend willst du mir keine Antwort geben. Ich werte das mal als Bestätigung dafür, dass du ihn gesehen hast.“

Ja, sie hatte ihn gesehen. Sie war in seinen Armen gelandet – und hatte sich in seinen wundervollen Augen verloren, die eine Frau ihre schlechten Erfahrungen glatt vergessen lassen konnten. Möglicherweise hatte sie sich ein wenig zu lange von ihm im Arm halten lassen …

„Du musst zugeben, dass er ein äußerst attraktiver Mann ist“, fuhr Tessa fort.

„Ja, das stimmt.“ Cassie legte den Striegel weg und nahm eine steife Bürste. „Es könnte sogar sein, dass es heute Morgen zu einem kleinen Zwischenfall gekommen ist. Neben mir waren die lockere Sprosse der Heubodenleiter und Mr Shaffer daran beteiligt.“

Tessa ging um das Pferd herum und ließ die Bürste in den Putzkasten fallen. „Okay, nun spuck aus, was passiert ist“, forderte sie Cassie auf. „Du kennst seinen Namen, und du hast ‚Zwischenfall‘ gesagt. Ich will Details hören.“

Cassie lachte. „Das war keine große Sache, Tess. Ich bin von der Leiter gefallen. Ian war zufällig zur Stelle und fing mich auf.“

„Oh, jetzt heißt er nicht mehr Mr Shaffer, sondern Ian.“

„Er ist Max’ Agent und hat offenbar die Angewohnheit, seine Klienten am Drehort zu besuchen. Wir haben uns einander vorgestellt“, verteidigte sich Cassie. „Da er mich in den Armen hielt, schien mir das durchaus angemessen.“

„Diese Wendung der Geschichte gefällt mir sehr gut.“ Tessa strahlte.

Erneut musste Cassie lachen. Sie legte ebenfalls die Bürste weg. „Es gibt keine Wendung. Das war im Grunde schon die ganze Geschichte.“

„Liebes, seit Du-weißt-schon-wer weg ist, hast du keinen Mann auch nur namentlich erwähnt und …“ Tessa hob abwehrend die Hand, als Cassie sie unterbrechen wollte. Ungerührt fügte sie hinzu: „Als du seinen Namen ausgesprochen hast, sahst du fast ein bisschen glücklich aus.“

„Das stimmt nicht“, protestierte Cassie.

Ihre Schwester schenkte ihr ein wissendes Lächeln. „Von mir aus, streite es ruhig ab. Aber er ist ein heißer Kerl, und du zeigst endlich mal wieder zumindest ein Fünkchen Interesse für einen Mann. Darum werde ich mich weiterhin an die Hoffnung klammern, dass du die Liebe noch nicht ganz aufgegeben hast. Oder dass du dir wenigstens eine kleine Affäre gönnst.“

„Bei dir klappt es mit der Romantik ja wunderbar, das weiß ich. Doch das bedeutet nicht, dass es bei mir so sein muss“, erwiderte Cassie genervt. „Ich habe es versucht – und es hat nicht funktioniert. Außerdem habe ich neben Emily und dem Training mit dir überhaupt keine Zeit für die Liebe oder auch nur für eine Verabredung.“

„Dafür ist immer Zeit. Es muss ja nicht gleich eine Romanze daraus werden. Trotzdem kannst du ein bisschen Spaß haben. Eine kleine Affäre mit einem gut aussehenden Fremden ist vielleicht gerade genau das Richtige für dich“, erklärte Tessa forsch. „Immerhin hast du mich im letzten Monat dazu genötigt, ein paar Tage freizunehmen. Du musst dir auch Zeit für dich selbst gönnen.“

Damals hatte Cassie sich mit dem Filmproduzenten und Tessas jetzigem Verlobten Grant Carter abgesprochen. Er hatte Tessa dazu bringen wollen, sich eine Auszeit vom Training und ihrem vollen Terminkalender zu nehmen. Und Cassie hatte ihm allzu gern bei diesem Unterfangen geholfen: Ihr war klar gewesen, dass ihre Schwester ein wenig Urlaub bitter nötig gehabt hatte.

Tess hatte den perfekten Mann für sich gefunden. Cassie dagegen hegte ernsthafte Zweifel daran, dass es auch für sie den Richtigen gab. Sie brauchte jemanden, der sie und ihre Tochter liebte und den ihre Liebe zu Pferden nicht störte. Jemanden, der ihrem Leben Stabilität verlieh und bei dem sie sich begehrenswert fühlte. War das etwa zu viel verlangt?

„Ich bin nicht an einem Liebhaber interessiert“, beharrte Cassie. Insgeheim hatte sie es sich jedoch bereits ausgemalt, wie es wohl wäre, sich mit Ian auf eine heiße Affäre einzulassen.

„Aber vielleicht interessiert sich dein potenzieller Liebhaber für dich“, entgegnete Tessa augenzwinkernd.

„Ich habe diesen Mann eben erst kennengelernt. Außerdem bezweifle ich, dass wir uns sehr häufig begegnen werden, was die Chance auf einen Flirt stark vermindert. Tut mir leid, dass ich deinen Hoffnungen einen Dämpfer verpassen muss.“

„Vielleicht solltest du Ian einmal das Anwesen zeigen“, schlug Tessa vor und nahm die Satteldecke und den Sattel ihres Rennpferdes Don Pedro zur Hand.

Seufzend schloss Cassie die Tür von Macduffs Box. „Ich will ihn nicht herumführen. Max ist sein Klient. Er kann das übernehmen.“

„Max wird dazu keine Zeit haben, denn er muss mit Lily die Szene unten beim Weiher drehen. Da müssen wir übrigens unbedingt dabei sein.“

Cassie nickte lächelnd. Sie sah den Schauspielern gern dabei zu, wie sie in ihre Rollen schlüpften. Und sie beobachtete ebenso gern die Reaktionen ihres Vaters, wenn er seine Vergangenheit durch die Augen des Regisseurs noch einmal durchlebte. Keinesfalls würde sie sich die monumentale Szene entgehen lassen, in der Max Lily einen Heiratsantrag machte.

„Ich bemühe mich, damit wir rechtzeitig zu Beginn des Drehs fertig sind“, versicherte Cassie. „Noch ein Grund mehr, weshalb ich keine Zeit für eine Führung mit Ian habe.“

„Also, das ist echt ein Jammer.“

Cassie und Tessa drehten sich gleichzeitig nach der männlichen Stimme um. Und genau wie bei ihrem vorherigen Zusammentreffen verspürte Cassie bereits bei Ians Anblick Schmetterlinge im Bauch. Diesmal konnte sie das Gefühl jedoch nicht auf den vom Sturz ausgelösten Schrecken schieben.

„Wenn Sie Zeit hätten, würde ich mich sehr über eine Tour über das Anwesen freuen“, meinte er und schaute ihr direkt in die Augen. Tessa schien er gar nicht zu bemerken.

Cassie stemmte die Hände in die Hüften – und verfluchte sich im nächsten Moment für diese Geste, denn Ian verfolgte jede ihrer Bewegungen aufmerksam. Wunderbar, jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit auf ihre Hüften gelenkt. Diesen Bereich ihres Körpers sollte er nicht unbedingt so genau begutachten.

„Ich dachte, Sie wollten Max einen Besuch abstatten“, erwiderte sie und überging schlichtweg seine Bitte.

„Ich habe ihn kurz gesprochen und ihm mitgeteilt, dass ich hier bin. Er war gerade mit Grant und Lily in eine Unterhaltung vertieft.“

Cassie sah flüchtig zu ihrer Schwester und bemerkte das breite Grinsen auf ihrem Gesicht. Verflixt.

Mit einer Anmut, die ihrer verstorbenen Mutter sicher gefallen hätte, wandte Tessa sich an Ian und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. „Ich bin Tessa Barrington, Cassies Schwester. Wir freuen uns sehr, Sie hier auf dem Gestüt begrüßen zu dürfen.“

Ian schüttelte Tessa die Hand, und sie tauschten einige Höflichkeiten aus. Gleich darauf betrachtete er allerdings wieder Cassie. Verfügten seine Augen etwa über eine Art Zauberkraft? Warum um alles in der Welt verspürte sie dieses seltsame Ziehen in der Magengegend, wann immer dieser Mann sie ansah?

„Na los, führ Ian ein bisschen herum“, forderte Tessa sie auf. „Ich komme schon allein zurecht.“

Am liebsten hätte Cassie ihre Schwester auf der Stelle mit der Führleine erwürgt. Stattdessen erklärte sie Ian: „Wenn ich Ihnen das Anwesen zeigen soll, müssen wir das leider auf heute Abend oder morgen verschieben.“ Oh, sie hätte auch sofort Zeit gehabt. Aber keinesfalls würde sie sich von diesem Schönling aus Hollywood herumkommandieren lassen. „Sobald ich ein paar Minuten übrig habe, komme ich auf Sie zurück.“

„Also, ich gehe mit Don Pedro nach draußen“, verkündete Tessa. „Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Ian. Wir sehen uns später, Cass.“

Na toll, nun waren sie beide allein. Für diesen hinterhältigen Trick würde Cassie ihrer Schwester auf jeden Fall später den Hals umdrehen.

Ian kam näher, doch Cassie wich nicht zurück. Das hier war schließlich ihr Revier. Ganz egal, wie charmant und sexy und …

Verflixt, er duftete so gut! So männlich … Ian brachte sie vollkommen durcheinander. Wie lange war Cassie schon nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen?

Zu lange. Aber warum fand sie ausgerechnet diesen Typen mit dem übergroßen Ego so aufregend? Konnte sie sich nicht wenigstens ein einziges Mal einen anständigen Kerl aussuchen?

„Ich kann bis morgen warten“, gab er zurück. Er musterte sie, und ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Ich bin ein recht geduldiger Mensch.“

Cassie wollte ihn bremsen, indem sie eine Hand auf seine Brust legte. Keine gute Idee. Sofort durchfuhr sie ein Prickeln. Seine Kraft, seine Muskeln unter ihren Fingern … Oh Himmel, dieser Ian Shaffer hatte eine verdammt sinnliche Ausstrahlung. „Reizend von Ihnen“, antwortete sie spitz, nachdem sie sich zur Ordnung gerufen hatte. „Aber machen Sie sich nicht die Mühe, Ihren Charme bei mir spielen zu lassen. Ich habe keine Zeit für Spielchen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich deutlich älter bin als Sie.“

Ian zuckte mit den Schultern. „Über Ihr Alter habe ich noch gar nicht nachgedacht.“

Cassie lachte. „Nun, ich glaube, ich weiß genau, an was Sie stattdessen gedacht haben.“

Wieder trat er einen Schritt vor, und diesmal musste Cassie zurückweichen. Sie kam jedoch nicht weit: Eine Boxentür versperrte ihr den Weg.

Autor

Jules Bennett
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