Liebesnacht mit dem Falschen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

"Ich will dich." Zärtlich schmiegt sie sich an ihn, und John glaubt zu träumen: Summer ist zu ihm zurückgekehrt! Doch als er sie voller Leidenschaft liebt, beschleicht ihn plötzlich ein Verdacht: Ist diese Frau überhaupt Summer - oder Scarlet, ihre Zwillingsschwester?


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766900
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Anfang März

In einer Hand hielt John Harlan den Verlobungsring fest umschlossen, einen Diamantring mit einem Zweikaräter. Mit der anderen Hand umklammerte er ein Glas Glenfiddich auf Eis. Es war sein dritter Scotch innerhalb der letzten Stunde. Kälte hatte sich in seine Knochen, sein Herz und seine Seele geschlichen und dort festgesetzt. Daran hätte sich wohl auch nichts geändert, wenn er mit Anbruch der Nacht die Heizung angemacht oder wenigstens eine Lampe eingeschaltet hätte. Nur die Lichter von New York City, die er durch sein riesiges Wohnzimmerfenster glitzern sah, sorgten für ein wenig Helligkeit. Gerade genug, um die Flasche Scotch noch zu erkennen, die er auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte. Aber mehr brauchte er ja auch nicht.

Vor einigen Stunden hatte seine Verlobte … seine Exverlobte … ihm den Diamantring in die Hand gedrückt. Seitdem hatte er ihn nicht losgelassen.

John war der Meinung gewesen, Summer Elliott zu kennen und zu verstehen. Sie war zielstrebig und ordentlich, also ganz so wie er selbst, und zusammen gaben sie ein dynamisches, kraftvolles Paar ab. Sie kamen beide aus gutem Hause und hatten zweifellos eine grandiose Zukunft vor sich. Mit seinen neunundzwanzig Jahren war er im besten Alter, um zu heiraten. Ganz zu schweigen davon, dass seine Karriere als Teilhaber in einer Werbeagentur ganz nach seinen Vorstellungen verlief.

Und dann war Summer am Nachmittag plötzlich zu ihm gekommen, um alle Pläne für eine gemeinsame Zukunft zu zerschmettern.

Das hatte er nicht kommen sehen.

Sie waren seit Monaten ein Paar gewesen, lange genug um zu wissen, dass ihre Beziehung funktionierte. Verlobt hatten sie sich vor nicht einmal drei Wochen – passenderweise am Valentinstag, was sehr romantisch gewesen war. Und nun, während er sich in Chicago mit einem neuen Kunden getroffen hatte, war sie auf die Idee gekommen, sich einen anderen Mann zu angeln. Und auch noch einen Rockstar! Die ruhige, sanftmütige Summer Elliott, deren Persönlichkeit so gut mit seiner harmonierte, hatte sich stattdessen für einen Rockstar entschieden.

John trank das Glas aus und genoss das Brennen, das der Scotch in seiner Kehle auslöste. Gerade überlegte er, ob er sich noch einmal nachschenken sollte, da klingelte es an der Tür. Er rührte sich nicht. Abermals klingelte es. Er griff nach der Flasche und goss sich den nächsten Scotch ein. Die Eiswürfel vom Drink zuvor waren fast vollständig geschmolzen.

Da klopfte jemand an die Tür, eine Frauenstimme rief seinen Namen.

Summer? Nein, sie würde nicht zurückkommen.

Dennoch war seine Neugier geweckt. Er stellte das Glas weg, stand auf, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er brauchte einen Moment, um sein Gleichgewicht zu finden. Auch wenn er abends sonst kaum mehr trank als ein oder zwei Gläser Wein, war er nicht betrunken. Zumindest empfand er das nicht so. Er hatte allenfalls einen leichten Schwips.

Als er die Tür öffnete, musste er zweimal hinsehen, ehe er glauben konnte, dass es tatsächlich Summer war. Sie stand keine drei Meter von ihm entfernt vor dem Aufzug.

„Was machst du denn hier?“ Er blinzelte wegen der hellen Beleuchtung im Flur, nachdem er aus seiner dunklen Wohnung gekommen war. Im gleichen Moment kündigte ein Glockenschlag an, dass der Aufzug im Begriff war, im fünfzehnten Stockwerk – seinem Stockwerk – zu halten.

Zwar drehte sie sich zu ihm um, doch sie sagte nichts. Ihm fiel auf, dass sie in ihrem kurzen roten Kleid irgendwie anders aussah als sonst, aber was genau es war, wusste er nicht. Das Licht ließ ihr kastanienfarbenes Haar leuchten, die Naturlocken fielen über ihre Schultern bis weit in ihren Rücken. Ihre hellgrünen Augen waren auf ihn gerichtet, wobei ihr Gesichtsausdruck geradezu besorgt wirkte. Aber warum sollte sie besorgt sein? Sie hatte ihn sitzen lassen. Ohne mit der Wimper zu zucken, völlig gefühllos.

Was ihre Beziehung eigentlich zutreffend umschrieb. Frei von großen Gefühlen, frei von Sex. Eine Partnerschaft auf der Grundlage einer stabilen Freundschaft, gepaart mit angemessenem Respekt für den anderen, wenn auch ohne jede Leidenschaft. Aber er hatte Summer geliebt, und er war davon überzeugt gewesen, dass sie ihn ebenfalls liebte. Er hatte immer gedacht, die Leidenschaft würde schon noch kommen, und er hatte ihren Wunsch respektiert, erst nach der Hochzeit mit ihm schlafen zu wollen.

Hatte sie eingesehen, dass es ein Fehler war, sich von ihm zu trennen? War sie deshalb hergekommen?

Warum sagte sie nichts? Immerhin hatte sie doch geklingelt und geklopft, dann gab es doch sicher etwas, das sie ihm sagen wollte.

„Bist du hergekommen, um dich zu entschuldigen?“, fragte er. Wollte er überhaupt, dass sie sich entschuldigte?

„Ich habe einen Fehler gemacht“, erwiderte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte. Sie kam auf ihn zu und streckte die Hände nach ihm aus. „Einen großen Fehler.“ Ihre Fingerspitzen strichen über seine Brust, dann zog sie die Hand weg, als hätte sie sich an ihm verbrannt, und ballte die Faust, die sie in Höhe ihres Herzens an ihre Brust drückte.

Sein Magen verkrampfte sich. Sie hatte ihn nur leicht berührt, aber das war schon mehr als genug gewesen. Hoffnung keimte in ihm auf, schaffte es fast, den Schmerz der letzten Stunden zu verdrängen. Doch der Schmerz widersetzte sich … Bis Summer sich vorbeugte, ihm erneut die Hand auf die Brust legte und ihn auf einmal so küsste, wie sie ihn noch nie geküsst hatte. Er wurde von ihrer ungewohnten und unwirklich erscheinenden Leidenschaft überrumpelt, sodass er ihren Kuss erwiderte, bis sie leise zu stöhnen begann. Trotzdem hörte er nicht auf. Auch wenn eine warnende Stimme in seinem Hinterkopf ihn anbrüllte, der Frau nicht zu vergeben, die nicht mit ihm – ihrem Verlobten – schlafen wollte, die dann aber mit einem Mann ins Bett gegangen war, den sie eben erst kennengelernt hatte.

Als sie ihre Hüften gegen seine drückte, war er dankbar, dass er nicht auch noch das vierte Glas Scotch getrunken hatte. So fühlte er sich immer noch nüchtern genug, um zu wissen, was er als Nächstes zu tun hatte. Sich ihr zu widersetzen, schied aus. Er hatte schon die letzten Monate damit zugebracht, der Versuchung zu widerstehen, die sie für ihn darstellte.

Aber dieses Mal würde er es nicht tun. Nein, nicht dieses Mal.

Er hob sie in seine Arme, dann trug er sie in seine Wohnung zum Bett und legte sie auf die Tagesdecke. Sie wirkte so anders, weil sie sich gekleidet hatte, wie um ihn zu verführen. Das war noch nie vorgekommen.

Der Gedanke, dass sie sich nur für ihn so hübsch gemacht hatte, erfüllte ihn mit einer wohligen Wärme. „Das kommt so unverhofft“, flüsterte er, doch sein Tonfall machte daraus eine Frage. Warum war sie hier? Meinte sie es ernst mit ihm? Und was bedeutete es, dass er bereit war, ihr so schnell zu vergeben?

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals mit dir schlafen würde“, murmelte sie.

Er stutzte. „Wie meinst du das?“

„Einfach so.“

Das war natürlich keine Antwort, aber anscheinend musste er sich damit begnügen. Hatte der verruchte Rockstar ihr etwa schon den Laufpass gegeben? War das überhaupt wichtig? Ja, das war es. Trotzdem wollte John ihr zeigen, was sie verpasst hatte, als er die ganze Zeit über ihr selbst auferlegtes Keuschheitsgelübde geachtet hatte. Sein Ego verlangte es von ihm!

Er schaltete die Nachttischlampe an, zog die Krawatte aus und knöpfte mit leicht ungelenken Bewegungen sein Hemd auf. Sie forderte ihn nicht auf, damit aufzuhören. Wollte sie es jetzt tatsächlich durchziehen?

Sein Hemd landete auf dem Boden, während er die Gürtelschnalle öffnete und den Gürtel aus den Schlaufen zog, um ihn dann ebenfalls fallen zu lassen. Dabei bemerkte er die hohen, spitzen Absätze ihrer roten Schuhe. Wie eigenartig dieser Abend doch verlief. Er hatte sie nie mit solchen Absätzen gesehen, durch die sie plötzlich genauso groß war wie er.

War das womöglich der Sinn der Sache? Wollte sie mit ihm auf Augenhöhe sein? War aus ihr auf einmal eine aggressive Frau geworden?

Angestrengt musterte er ihre Miene und suchte nach Antworten auf Fragen, die er nicht laut stellte, weil er sich nicht sicher war, ob er ihre Antworten hören wollte. Doch sie unternahm nichts, um ihn zurückzuhalten. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern verfolgte stattdessen nur aufmerksam jede seiner Bewegungen ohne einen Hauch von jungfräulicher Schüchternheit. Er streifte seine Schuhe ab, dann zog er die Hose und die Strümpfe aus.

Sein schwarzer Slip lag eng an, und dank Summers Berührungen war er nun sogar noch etwas enger. Summer betrachtete ihn genüsslich, was noch viel erregender war als jeder Kuss und jeder körperliche Kontakt. Sie schluckte und hob den Kopf, damit sie ihm direkt in die Augen blicken konnte. Ihre Brustwarzen zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ihres Kleides ab.

Sein Herz raste, er hielt die Fäuste geballt.

Wenn er sich nun auch noch seiner Unterwäsche entledigte, würde sie dann zur Besinnung kommen und die Flucht ergreifen? Monatelang hatte sie ihn auf Abstand gehalten. Aber jetzt, nachdem sie mit einem anderen Mann geschlafen hatte, wollte sie ihn auf einmal doch? Welchen Sinn ergab das? Wollte sie zwei Männer miteinander vergleichen? Das war so untypisch für sie. Aber er konnte ja selbst nicht sagen, ob er mit ihr schlafen wollte, weil er ihr verziehen hatte … Oder weil er sich an ihr rächen wollte? Es war eine irrationale Macht, die ihn antrieb, obwohl er damit rechnen musste, von ihr doch noch in letzter Minute aufgehalten oder sogar gedemütigt zu werden.

Allerdings hatte sie davon gesprochen, sie habe einen Fehler gemacht …

Er schob seinen Slip nach unten, woraufhin Summer sich auf dem Bett hinkniete. Sie beugte sich vor, nahm ihn in die Hände, ließ ihre Finger über ihn gleiten … Ihre Berührungen fühlten sich wie warmes, weiches Wasser an. Er schnappte angestrengt nach Luft, kniete sich vor sie auf das Bett und zog ihr das hautenge Kleid über den Kopf. Darunter kamen ein roter Spitzen-BH und ein farblich passender Stringtanga zum Vorschein.

Er schob die Satinträger von ihren Schultern. Öffnete ihren roten BH. Ihre vollen Brüste reckten sich ihm verführerisch entgegen. Ein angenehmes, an Zitronen erinnerndes Aroma hing in der Luft. Ihr Duft …

Bei Summers Anblick verschlug es ihm die Sprache. Er hatte immer geglaubt, sie sei eher der Typ für unschuldig weiße Wäsche …

Er sah ihr fragend in die Augen, während er seine Hände auf ihre Brüste legte und mit den Handballen sanft über ihre aufgerichteten Brustwarzen rieb. Sie verhielt sich so anders, als er es von ihr gewohnt war. Sie gab sich so sexy, so willig, so …

So gar nicht wie Summer.

„Scarlet?“, brachte er heraus und nahm die Hände weg. Noch während der Name über seine Lippen kam, war er sich bereits sicher. Kein Wunder, dass sie so anders war. Er hatte gar nicht Summer vor sich, sondern ihre Zwillingsschwester. Scarlet eilte der Ruf voraus, exzentrisch zu sein, aber ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass sie sich für ihre Schwester ausgeben könnte. Warum auch? Sie hatte sich ihm gegenüber stets so verhalten, als könnte sie ihn nicht leiden.

Scarlet lehnte sich zurück und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Hat Summer schon jemals so ein Kleid getragen?“

Er hätte antworten können, dass er ziemlich viel getrunken hatte, doch das wäre möglicherweise wie eine Beleidigung bei ihr angekommen. „Ich dachte, sie ist hergekommen, um mich zu verführen.“

Dass Scarlet darauf nichts erwiderte, konnte alles bedeuten. Aber er würde nicht nachhaken. Denn obwohl ihm längst klar war, dass es sich um eine Verwechslung handelte, änderte das nichts an seiner Erregung. Ganz im Gegenteil: Die Tatsache, dass er Summers Zwillingsschwester vor sich hatte, erregte ihn umso mehr. Allerdings wollte er den Grund dafür lieber nicht wissen. Seine lange Enthaltsamkeit war ihm Grund genug.

„Was machst du hier?“, fragte er. Sie legte die Hände auf seine Brust. Sekundenlang sahen sie sich schweigend an.

„Ist das wichtig?“

Nicht in diesem Augenblick. Ihm ging ihre Bemerkung durch den Kopf, dass sie nicht erwartet habe, jemals mit ihm zu schlafen. „Du bist gar nicht mit der Absicht hergekommen, mit mir zu schlafen? Aber wieso …?“

„Vielleicht solltest du dir nicht so viele Gedanken machen“, unterbrach sie ihn und zog ihn an sich.

Ihre Berührungen löschten alles andere aus, ließen ihn jeden Zweifel vergessen. Stattdessen küsste er sie – und für ihn gab es nur noch Scarlet …

Scarlet, der wunderbar verführerische, verlangende Laute über die Lippen kamen, während sie ihre Hände über seinen Körper wandern ließ. Er presste seine Lippen auf ihre Brust, saugte an einer harten Brustspitze, zuerst sanft, dann fester. Scarlet warf den Kopf in den Nacken und drückte ihren Rücken durch, dabei bohrte sie ihre Fingernägel in sein Fleisch. Aufkeuchend widmete er sich ihrer anderen Brust. Sein Verlangen wurde immer stärker, es flammte förmlich auf, als sie seine Härte mit einer Hand umfasste. Ihn streichelte und massierte.

Unwillkürlich zuckte er zurück. Er sollte es langsamer angehen lassen. Das hier war vermutlich die größte Dummheit seines Lebens, aber er konnte einfach nicht aufhören. Oder besser gesagt: Er hätte es durchaus gekonnt, doch er wollte nicht.

Er legte die Hände an ihre Taille und schob ihren String nach unten. Dabei vergrub sie die Finger in seinen Haaren und küsste ihn so wild und sexy, wie er noch von keiner Frau geküsst worden war.

Er hielte es keine Sekunde länger aus. Er packte Scarlet um die Taille, ließ sie auf den Rücken sinken und beugte sich über sie. Ihre Schenkel luden ihn ein, bis sie Haut an Haut dalagen, sich heftig küssten – und dann drang er in sie ein. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht sofort zu kommen, als er spürte, wie ihre heiße Enge ihn umschloss. Scarlet stöhnte genießerisch auf. Es erregte ihn nur noch mehr, als sich ihr Stöhnen in Lautstärke und Tempo mit jeder seiner Bewegungen steigerte.

Er schloss die Augen, während er sich zurückhielt und auf sie wartete, bis er sie spürte … Sie war so weit … und er wurde wie von einer Welle mitgerissen. Intensive Lust nahm von seinem Körper Besitz, sie erfüllte seinen Verstand und löschte alles andere aus. Es war gut. Sie war gut. Sie war unglaublich …

Als er langsam wieder zu Atem kam, wollte er das herrliche Gefühl noch weiter auskosten. Mit aller Macht versuchte er, nicht darüber nachzudenken, warum sie bei ihm war. Was sie überhaupt gerade taten. Doch es war vergeblich. Schließlich löste er sich von Scarlet, rollte sich auf den Rücken und starrte zur Decke, während sie so reglos neben ihm lag, dass er nicht einmal ihren Atem hörte. Ihr Parfüm vermischte sich mit dem intimen Geruch von Sex.

Das hier würde er so schnell nicht vergessen.

Nein, er würde es niemals vergessen.

Er drehte sich zu ihr um und …

Die Matratze wippte leicht, als Scarlet sich zur Seite drehte und vom Bett aufstand. Sie sammelte ihre Kleidung auf, dann eilte sie ohne einen Blick zurück in sein Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.

Scarlet versuchte, an nichts zu denken, als sie sich in Johns elegantem Badezimmer anzog. Den Blick in den Spiegel vermied sie, solange sie nur konnte. Aber letzten Endes musste sie doch hinsehen.

Verschmierter Mascara ließ ihre Haut blasser und ihre Augen dunkler erscheinen als üblich. Sie feuchtete ein Kosmetiktuch an, wischte die Wimperntusche weg und brachte ihr Haar mit den Fingern halbwegs in Ordnung. Genau genommen versuchte sie nur Zeit zu schinden, da sie John nicht gegenübertreten wollte.

Was hatte sie bloß getan?

Sie war eigentlich nur hergekommen, um ihm zu sagen, dass Summer mit der Auflösung der Verlobung ihrer Meinung nach einen schweren Fehler begangen hatte. Und dann hatten sie sich auf einmal geküsst. Dabei hatte sie ihm die Wahrheit gesagt. Sie war tatsächlich nicht davon ausgegangen, ihn jemals zu küssen oder gar mit ihm zu schlafen.

Das Problem war nur, dass sie John schon immer geliebt hatte. Doch sie war gezwungen gewesen, es für sich zu behalten, als sie feststellte, dass John und Summer sich zueinander hingezogen fühlten. Und dann hatten die beiden sich ineinander verliebt, gerade als Scarlet ihrer Schwester endlich von ihren eigenen Gefühlen für John erzählen wollte.

Scarlet beneidete ihre Schwester darum, wie sie von John behandelt wurde. Die Art, wie er Summer in die Augen sah, wenn er sie ansprach. Wie er sie berührte, wann immer er sich in ihrer Nähe aufhielt. Aber vor allem war es seine Rücksichtnahme gegenüber Summer, die Scarlet neidisch machte – die viele Zeit, die er mit ihr verbrachte, die Tatsache, dass ihnen nie der Gesprächsstoff auszugehen schien, ihre langen, tiefschürfenden Diskussionen. Dazu seine Anrufe, um ihr eine gute Nacht oder einen guten Morgen zu wünschen.

Scarlet war noch von keinem Mann jemals so verwöhnt worden.

Dann frag dich doch mal nach dem Grund dafür!

Einen Moment lang kniff sie die Augen zu. Sie wollte jetzt nicht über ihre Schwächen nachdenken.

Sie hatte ihre Gefühle für John lange Zeit ignoriert und jedes private Gespräch mit ihm gemieden, da sie fürchtete, er könnte ihr ansehen, was sie für ihn empfand. Als es zwischen ihm und ihrer Schwester immer ernster geworden war, hatte sie sich schlichtweg geweigert, von ihren Empfindungen für ihn weiterhin Notiz zu nehmen. Doch als sie ihn heute Abend wiedergesehen und seinen Schmerz gesehen hatte, war ihr klar geworden, dass ihre Gefühle für ihn immer noch da waren.

Aber nun musste Scarlet diesen Gefühlen ein für alle Mal ein Ende setzen. Zwischen ihr und John konnte es keine Beziehung geben. Das verlangte schon der Anstand, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er nach diesem Zwischenfall ohnehin nie wieder etwas von ihr wollen würde. Mit ihr zusammen wäre er immer in Summers Nähe. Warum sollte er das wollen? Das hier war eine einmalige Gelegenheit gewesen, und sie hatte sie genutzt, um sich von ihren Gefühlen zu befreien. Das hoffte sie zumindest.

Scarlet strich ihr Kleid glatt, dann öffnete sie die Tür. John lag noch auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Decke bis zur Taille hochgezogen. Sie machte ihre Schuhe ausfindig und zog sie an, fühlte sich aber ein wenig wacklig auf den Beinen, was damit zusammenhing, dass sie am ganzen Leib zitterte.

John beobachtete sie aufmerksam, dann schlug er die Decke zur Seite, stieg aus dem Bett und stellte sich vor sie hin. Sanft legte er die Hände auf ihre Schultern. „Langsam, Scarlet. Es gibt keinen Grund …“

„Du könntest dir wenigstens etwas anziehen“, unterbrach sie ihn, erschrak aber selbst über ihren schnippischen Tonfall.

Er grinste nur, woraufhin sich diese hinreißenden Grübchen in seinen Wangen zeigten. Es gelang ihr gerade noch, einen Seufzer zu unterdrücken. Er war ein verdammt gut aussehender Mann mit seinen eindringlichen dunkelbraunen Augen und dem sandbraunen Haar. Wer hätte ahnen können, dass sich unter seinen langweiligen Anzügen ein so muskulöser, gebräunter Körper verbarg?

Ein verführerischer Körper …

„Ich nehme an, du gehst“, sagte er.

„Natürlich gehe ich. Für wie dämlich hältst du mich?“ Sie kniff kurz die Augen zusammen. „Vergiss meine letzte Frage.“ Ihr Verhalten war ein eindeutiger Beleg dafür, wie dämlich sie war.

Er musterte sie aufmerksam, dann griff er nach seiner Hose und zog sie an. „Warum ist das passiert, Scarlet?“

Angestrengt suchte sie nach einer glaubwürdigen Antwort. Ihr kam nur das in den Sinn, was Summer ihr zuvor an diesem Tag anvertraut hatte, als sie sagte, sie würde die Verlobung mit John auflösen. Eine einzige Stunde mit Rockstar Zeke Woodlow hätte ihr Weltbild auf den Kopf gestellt, hatte Summer erklärt. Auch wenn sie John liebte, wäre nie ein Funke zwischen ihnen übergesprungen. Sie hatte gedacht, sie würde ihre Leidenschaft lediglich verdrängen, damit sie nicht in Versuchung geriet, vor ihrer Hochzeitsnacht mit ihm zu schlafen.

Dennoch konnte Scarlet nicht glauben, dass Summer von dem Mann gesprochen hatte, mit dem sie eben im Bett gewesen war. Da sollte kein Funke übergesprungen sein? Von wegen. Der Mann, mit dem Scarlet geschlafen hatte, war vielmehr in der Lage gewesen, dem Begriff Leidenschaft eine völlig neue Dimension zu verleihen.

„Scarlet, was ist? Warum ist das geschehen?“, wollte John abermals wissen.

„Na ja, ich schätze, wir haben einfach die Beherrschung verloren.“

„Ich weiß, warum das für mich stimmen könnte. Aber warum sollte dir das passieren?“

Dass sie ihn liebte, konnte sie ihm nicht sagen. Nur … was sollte sie ihm stattdessen sagen? Sie spürte, wie er seine Finger an ihre Wange legte. Die Berührung war so zärtlich, dass sie sich am liebsten auf der Stelle in seine Arme geworfen hätte.

„Du weißt, dass ich nie mit deiner Schwester geschlafen habe.“

Sie nickte. „Allerdings hat sie sich geirrt. Du bist sehr wohl ein leidenschaftlicher Mann.“

John lächelte schief. „Vielleicht liegt es ja an dir. Möglicherweise hast du diese Seite in mir erweckt.“ Er strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, dann fuhr er mit den Fingern sanft die Form ihrer Ohrmuschel nach. „Wie wäre es, wenn du mir hilfst, an meinen Fähigkeiten zu arbeiten? Ich möchte auf keinen Fall eine andere Frau enttäuschen.“

„Das ist jetzt nicht der richtige Moment für Witze. Du brauchst keinen Nachhilfeunterricht, und für uns beide gibt es keine gemeinsame Zukunft. Das hier hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir leid.“

„Es tut dir leid?“, fragte er zweifelnd. „Was genau tut dir denn leid?“

„Ich weiß, du bist verletzt und wütend, und vielleicht möchtest du dich sogar rächen. Aber sag bitte, bitte niemandem etwas davon, was hier geschehen ist.“ Mit diesen Worten wandte Scarlet sich von ihm ab, bevor er noch irgendetwas tun oder sagen würde, um sie zurückzuhalten. Würde er das? Sie musste weg von ihm, um in Ruhe nachzudenken. Hastig griff sie nach ihrer Handtasche, verließ die Wohnung und nahm die Treppe, nur um nicht auf den Aufzug warten zu müssen.

Der Portier wünschte ihr eine gute Nacht, als sie das Gebäude verließ: Kalte, feuchte Nachtluft schlug ihr entgegen, und ihr fiel ein, dass sie ihren Mantel vergessen hatte. Aber sie konnte jetzt nicht wieder nach oben gehen, um ihn zu holen. Genauso wenig wollte sie sich auf den Heimweg zum Stadthaus ihrer Großeltern machen, in dem sie sich mit ihrer Schwester das oberste Stockwerk teilte. Sie beschloss, in einem Hotel zu übernachten, wo sie sich eine Flasche Wein aufs Zimmer bringen lassen und in aller Ruhe ein heißes Bad nehmen konnte. Dann hätte sie Zeit, um darüber nachzudenken, was sie an diesem Abend alles falsch gemacht hatte.

Allerdings war es ihr nicht falsch vorgekommen, in Johns Armen zu liegen. Ganz im Gegenteil: Es hatte sich genau richtig angefühlt. Er war nicht länger der Verlobte ihrer Schwester, also hatte sie auch keinen Ehrenkodex gebrochen. Sie und Summer hatten sich im Alter von acht Jahren geschworen, dass sich keine von ihnen jemals für die andere ausgeben würde. Zwar hatte sie als Scarlet Johns Apartment aufgesucht. Doch ihr war sofort klar gewesen, dass er sie für Summer hielt – ein Irrtum, den sie erst aufgeklärt hatte, als es für sie beide viel zu spät war, um noch einen Rückzieher zu machen. Aber wenn es ihm nicht selbst aufgefallen wäre, hätte sie es ihm gesagt … oder etwa nicht?

Sicher, natürlich hätte sie das getan. Ganz bestimmt. Höchstwahrscheinlich.

Also … ein Bad, ein Glas Wein und Zeit zum Nachdenken. Das würde genügen, um John Harlan ein für alle Mal zu vergessen.

Und am Morgen würde sie sich wieder gut fühlen.

Richtig gut.

2. KAPITEL

Anfang April

Scarlet sah auf ihre Armbanduhr. Viertel nach zwölf. Sie vergewisserte sich, dass ihr Handy eingeschaltet war. Es war an. Kein entgangener Anruf, keine Nachrichten auf der Mailbox. Sie runzelte die Stirn. Es war nicht Summers Art, sie einfach warten zu lassen. Erst recht nicht eine Viertelstunde lang. Allerdings hatte Summer ihre Berechenbarkeit verloren, sich wie zum Beweis mit Zeke Woodlow verlobt, und das nicht einmal einen Monat nach dem Ende ihrer Verlobungszeit mit …

Scarlet ließ den Gedankengang unvollendet. Da war neuerdings dieses Funkeln in Summers Augen und etwas Beschwingtes in ihrem Gang, das sie an ihrer Schwester nicht kannte. Summer war von einer völlig neuen Aura umgeben, und zumindest dafür war Scarlet Zeke dankbar.

Solange er ihr nicht wehtat …

Scarlet setzte ein etwas angestrengtes Lächeln auf und winkte einer Kollegin zu, dann spießte sie ein Stück Avocado von ihrem Salatteller auf. Es war gut, dass sie in der Firmenkantine einen Platz an einem Tisch ganz am Rand gefunden hatte. Für sie gab es kaum etwas Schlimmeres, als in der Öffentlichkeit allein zu essen. Und das wusste Summer ganz genau. In der Kantine wurde jedes Geräusch von den Wänden zurückgeworfen, sodass ein ständiger Hall in der Luft hing, was es unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen. Hinzu kam, dass das fünfundzwanzig Stockwerke hohe Gebäude an der Park Avenue sich im Eigentum von EPH befand, der Elliott Publication Holdings. Das Unternehmen ihrer Familie war mit einer großen Bandbreite an Zeitschriften und Illustrierten auf dem Markt vertreten – und Scarlet in der Kantine so bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Jeder wusste, wer sie war, zumal sie schon immer für mehr als genug Gesprächsstoff gesorgt hatte.

Sie hätte sich mit Summer in dem kleinen Lokal einen Block weiter verabreden sollen.

„Wartest du auf jemanden?“

Scarlet sah hoch. Vor ihr stand Finola Elliott, Chefredakteurin des Magazins Charisma und seit zwei Jahren ihre Vorgesetzte – außerdem war sie seit fünfundzwanzig Jahren Summers und Scarlets liebe Tante Finny.

„Summer. Sie ist spät dran.“

„Das ist gar nicht ihre Art.“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Die Elliotts