Collection Baccara Band 335

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KALT ERWISCHT - HEIß VERFÜHRT von MAJOR, ANN
Ungekannte Lust, Schwangerschaft, Blitzhochzeit: Nie hätte Abby gedacht, dass die Nacht mit dem Fremden ihr Leben auf den Kopf stellt. Die schöne Geschäftsfrau ahnt nicht, dass Leo Storm seit Langem plante, sie anzusprechen - weil er weiß, wer sie wirklich ist …

DAS 1 X 1 DER LEIDENSCHAFT von LECLAIRE, DAY
Justice St. John beschließt, die perfekte Ehefrau zu finden: per Computerprogramm! Doch keine Kandidatin gefällt dem Forscher. Stattdessen lenkt die aufregende Daisy seine Wünsche in gänzlich unwissenschaftliche Bahnen die einzige Frau, die er nicht lieben sollte.

SAG MIR ENDLICH, DASS DU MICH LIEBST! von MYERS, HELEN R.
Hope will sich und ihr Baby vor ihrer habgierigen Familie schützen durch eine Ehe mit Lyon Teague. Sie fürchtet, dass der Polizeichef sie nur aus Pflichtgefühl heiratet, während sie vor Verlangen nach ihm brennt. Erst als Lyon in Gefahr gerät, bekennt er sich zu seinen Gefühlen.


  • Erscheinungstag 10.12.2013
  • Bandnummer 335
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722203
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ann Major, Day Leclaire, Helen R. Myers

COLLECTION BACCARA BAND 335

ANN MAJOR

Kalt erwischt – heiß verführt

Die Nacht mit Abby Collins war heiß und sinnlich. Umso kälter erwischt Leo die Abfuhr, die sie ihm danach erteilt. Als seine Traumfrau ihm Wochen später gesteht, dass sie schwanger ist, ist er bereit zu verzeihen – und sie zu heiraten. Nur eines darf die verletzliche Schöne niemals erfahren: den wahren Grund, aus dem er sie angesprochen hat …

DAY LECLAIRE

Das 1 x 1 der Leidenschaft

„Woher kennen wir uns?“ Daisy stockt der Atem, als Justice sie fragend anblickt. Sofort zieht der Sex-Appeal ihres Exgeliebten sie wieder in den Bann: In kürzester Zeit gelangen sie von der Konferenz zu seiner Luxussuite und verbringen eine heiße Nacht. Erst am nächsten Morgen weiß der Wissenschaftler wieder, wer sie ist – und was sie ihm damals angetan hat …

HELEN R. MYERS

Sag mir endlich, dass du mich liebst!

Lyon hat schon so manchem Gefühlssturm standgehalten, doch Hopes Heiratsantrag haut den Polizeichef um. Er kann nicht ablehnen, denn sonst wird ihr ungeborenes Kind zum Spielball von Intrigen … und außerdem begehrt er die warmherzige Hope insgeheim seit Jahren. Aber wird er in ihr jemals die gleiche brennende Sehnsucht wecken, die ihn Nacht für Nacht wach hält?

1. KAPITEL

Texas, in der Nähe von Austin

Abigail Collins’ Ranch bei Bastrop

1. Juni, früh am Morgen

Eigentlich hatte Leo Storm wie eine sichere Wahl gewirkt.

Wenn du in eine Bar gehst, um mit einem wilden Cowboy oder auch mit zweien zu tanzen, und es endet damit, dass du mit dem seriösesten, zugeknöpftesten Anzugträger, der sich dort aufhält, im Bett landest – einem Typen, der jedermanns Nachbar sein könnte –, erwartest du keine schlimmen Konsequenzen. Weder in seinem Schlafzimmer noch außerhalb.

Abigail Collins’ Augen brannten. Das lag nicht daran, dass sie die Box ihres Pferdes Coco ausmistete, sondern sie litt an einem Ausbruch von überwältigendem Selbstmitleid.

Von ehrgeizigen Bürohengsten wie Leo Storm durfte man annehmen, dass sie beim Thema Sex die Regeln einhielten und auf Sicherheit achteten. Sie war jedenfalls davon ausgegangen, dass seine Brieftasche voller Kondome war und dass er sofort einschlafen würde, nachdem sie zur Sache gekommen waren.

Offenbar hatte Leo diesen Abschnitt in seinem Regelbuch für Manager nicht gelesen. Sein Geschick und seine enthusiastische Begeisterung als Liebhaber in jener Nacht hauten sie um, sodass ihre Haut glühte und ihr Körper dahinschmolz. Sie öffnete sich ihm auf eine Weise, für die sie sich am nächsten Morgen verachtete, und sie gab ihm die Schuld daran. Unnötig zu sagen, dass sie seitdem jeden Kontakt mit ihm vermied.

Daher war die Entdeckung, dass sie schwanger war, und zwar von Leo, der reinste Horror.

Man kann alles haben, was man möchte, solange man bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, pflegte ihre Mutter immer zu sagen. In diesem Fall war der Preis Ärger, und Abby war keineswegs bereit zu zahlen.

Seit ihr in der vergangenen Woche klar geworden war, dass sie sich sozusagen in anderen Umständen befand, hatte sie sich geradezu in Selbstmitleid gesuhlt. Zu ihrer Verteidigung konnte sie nur anführen, dass sie auf dieses kindische Benehmen alles andere als stolz war.

Nachdem sie es am Morgen geschafft hatte, aus dem Bett zu steigen, war sie auf der Toilette schluchzend zusammengebrochen. Kurz darauf überkam sie ein weiterer Weinkrampf, während sie unter der Dusche stand und ihre Stirn an die nassen Fliesen drückte.

Als ob all diese Tränen etwas nützen würden. Sie musste sich endlich dazu überwinden, den Tatsachen kühl und sachlich ins Gesicht zu blicken.

Sie war schwanger von Leo Storm.

Das traf sie umso schlimmer, weil sie es nicht ertrug, die Kontrolle über sich und ihre Umwelt zu verlieren. Außerdem war sie eine überzeugte Singlefrau, die überhaupt kein Interesse an langfristigen Beziehungen hatte. Jedenfalls, seit ihr letzter Freund Shanghai Knight sie auf so hässliche Weise sitzen gelassen hatte.

Seit ihrer Pubertät hatte sie sich immer für Männer interessiert, die dem Ideal des wilden, unabhängigen Cowboys möglichst nahe kamen. Auf keinen Fall für seelenlose, berechnende und lang­weilige Managertypend wie Leo einer war. Der Mann brachte die Muskelkraft, sie das Hirn.

Abigail befeuchtete sich die Lippen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie würde nicht schon wieder in Tränen ausbrechen. Es war sinnlos, in Selbstmitleid zu zerfließen, schließlich war sie ein großes Mädchen, auch wenn sie sich nicht immer so benahm. Sie konnte diese Situation bewältigen. Sie konnte es schaffen. Sie musste es einfach schaffen.

Deshalb würde sie Leo endlich über ihre Schwangerschaft informieren. Wahrscheinlich würde sie sich wesentlich besser fühlen, sobald sie das erst hinter sich hatte. Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte, Leos Miene und seinen lodernden Blick bei ihrer letzten Begegnung aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen. Er war wütend auf sie gewesen. Mehr als wütend. Er hatte gesagt, er sei endgültig fertig mit ihr.

Normalerweise beruhigte es sie, bei ihrem geliebten Pferd Coco im Stall zu sein. Nicht so heute, da ihr die Fahrt nach San Antonio bevorstand und die Notwendigkeit, einem sturen, kalten Geschäftsmann zu erklären, dass sie ein kleines Problem hatten, einem Mann, der ihre Anrufe nicht mehr entgegennahm.

Jedes Mal, wenn sie sich vorbeugte, um die nächste Forke Mist und schmutziges Stroh auf die Schubkarre zu laden, rutschte der Reißverschluss ihrer Jeans ein kleines Stück weiter nach unten. Diese Tatsache erinnerte sie an die Nacht mit Leo und die Konsequenzen daraus, die sie so verzweifelt zu vergessen suchte.

Er dagegen wollte nichts vergessen und hatte ihr immer wieder sehr deutlich gemacht, wie sehr er sie begehrte. Dabei war er überraschend bestimmt und entschlossen gewesen. Er hatte sie wiederholt angerufen, zu Hause und in der Firma, und war sogar persönlich bei ihr aufgetaucht. Als sie ihn ungefähr zum zehnten Mal zurückgewiesen hatte, war er wütend geworden und hatte ihr ein Ultimatum gestellt. Ein Ultimatum, das sie ignorierte.

Nachdem er die Geschichte mit ihr endlich zu den Akten gelegt hatte, würde er vermutlich nicht sehr glücklich über ihre Neuigkeiten sein. Selbst dann nicht, wenn sie ihm gestehen musste, dass diese eine Nacht wegen der Schwangerschaft nun für sie ebenso unvergesslich blieb wie für ihn.

Abigail holte tief Luft, lehnte die Forke gegen die Schubkarre und zog den Reißverschluss ihrer Hose wieder hoch. Das war so mühsam, dass sie nicht einmal versucht, den Knopf am Bund zu schließen. Die Jeans war schon ziemlich eng gewesen, als sie sie gekauft hatte, aber da sie beschlossen hatte, ein paar Kilo abzunehmen, war ihr das zu dem Zeitpunkt nur recht gewesen.

Wie es aussah, hatte sie nun jedoch keine Chance, in naher Zukunft Gewicht zu verlieren.

Als sie ausholte, um eine weitere Ladung Mist aufzuladen, vibrierte das Handy in ihrer Gesäßtasche. Sie warf die Forke in den nächsten Heuballen, um das Telefon aus der Tasche zu ziehen. Diese plötzliche Bewegung hatte unangenehme Folgen. Ihre Fuchsstute Coco, die in der Stallgasse stand, erschrak dadurch so sehr, dass sie scheute und panisch zurückwich. Dabei schlitterte sie mit den Hufen über den Betonboden.

Ebenfalls erschrocken hielt Abigail inne und näherte sich langsam dem aufgeregten Pferd. „Alles in Ordnung, altes Mädchen“, sagte sie leise und tätschelte dem Tier behutsam den Hals.

Erleichtert stieß sie den Atem aus. Das war noch mal gut gegangen. Nicht auszudenken, wenn einem ihrer Lieblinge wegen ihrer Unachtsamkeit etwas passiert wäre. Sie warf einen nervösen Blick auf ihr zweites Pferd. Der braune Wallach namens Mac zupfte jedoch ungerührt im hinteren Teil der Stallgasse Halme aus einem Heuballen.

Abigail atmete tief durch. Urplötzlich wurde ihr vom Geruch des Pferdemists übel. Sie trat an die Tür, um frische Luft zu schnappen, und unterzog dabei den Holzzaun, der die Koppel neben dem Stallgebäude und dem Wohnhaus einfriedete, einer kritischen Musterung. Soweit sie sehen konnte, war er intakt.

Entgegen ihrer Erfahrung hoffte sie, dass Leo seine sture Haltung aufgab und ihren Anruf wie ein vernünftiger Erwachsener erwiderte. Vielleicht erklärte er sich sogar bereit, am Abend für ein Gespräch bei ihr vorbeizukommen. Sie hatte zwar kein großes Verlangen danach, ihn so weit in ihre Privatsphäre vordringen zu lassen, aber es wäre doch eine Erleichterung, wenn sie sich den Weg nach San Antonio ersparen könnte. Ganz zu schweigen vom demütigenden Kampf mit seinen Angestellten, um Zutritt zu seinem Büro zu bekommen. Leo hatte ihr sehr deutlich gemacht, dass er sie nicht wiedersehen wollte.

Sie konnte ihm daraus nicht einmal einen Vorwurf machen. Ihr Herz begann zu hämmern, als sie daran dachte, wie ihre letzte Begegnung verlaufen war. Sie hatte ihn wütend gefragt, wieso er ihr Nein nicht endlich akzeptierte, und ihn beschuldigt, ihr in aufdringlicher Weise nachzustellen. Sogar der Begriff „Stalker“ war gefallen.

Zornig hatte er nach Luft geschnappt, und sie war nicht umhingekommen, den Schmerz in seinen dunklen Augen wahrzunehmen. Ohne ein weiteres Wort hatte er sich umgedreht und den Strauß Rosen, den er ihr mitgebracht hatte, in die Mülltonne geworfen. Dann war er in seinen Wagen gestiegen und mit hoher Geschwindigkeit davongefahren. Später hatte er sich noch einmal bei ihr gemeldet und ihr sein Ultimatum gestellt, über das sie aus einem unerfindlichen Grund immer wieder nachgedacht hatte. Sie konnte sich das nur damit erklären, dass sie offenbar Spaß daran hatte zu leiden.

Ein Blick auf das Display ihres Handys machte ihre Hoffnung zunichte. Es war nicht Leo, der angerufen hatte. Stattdessen war dort die Nummer von „In the Pink!“ zu lesen. Das war ihre Werbeagentur, die ihren Sitz in der Innenstadt von Austin hatte, in einer Seitenstraße in der Nähe der Congress Avenue.

Der Durchwahlnummer nach zu schließen, war der Anruf von Kel, ihrer Sekretärin, gekommen. Allerdings war Kel weit mehr als eine äußerst kompetente Assistentin. Sie war auch ihre beste Freundin, kostenlose Therapeutin und eine Schulter zum Ausweinen.

Verdammt, dachte Abigail, während sie sich ärgerlich eine einzelne Träne von der Wange wischte. Jetzt ging das schon wieder los. Sie lehnte sich an den Türrahmen, schluckte mühsam die aufsteigenden Tränen hinunter, wählte Kels Nummer und meldete sich mit einem gezwungen fröhlichen Hallo.

„Hey, Abby. Hast du dir eine Erkältung eingefangen?“

„So ähnlich“, antwortete sie. „Diese Sache bringt mich völlig durcheinander.“

„Ich kann es mir vorstellen. Das sind die Hormone.“

Oder die Angst vor der Begegnung mit Leo und davor, was er sagen oder tun wird, dachte Abigail. Die Art und Weise, wie sie ihn behandelt hatte, gab zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass.

„Abgesehen davon, dass ich das Gefühl habe, kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen, geht es mir gut“, erklärte sie und lachte gekünstelt. „So gut, wie es einer Frau mit Morgenübelkeit, die gerade einen Stall ausmistet, nur gehen kann.“ Nicht zu vergessen die Angst vor dem Erschießungskommando, das von Leo Storm befehligt wird, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Du solltest jemanden einstellen, der diese ekligen Arbeiten für dich erledigt“, sagte Kel vorwurfsvoll.

Abby musste lächeln. Kel war durch und durch Großstadtmensch und wäre niemals auf die Idee gekommen, einen Stall mit eigenen Händen auszumisten. „Ich weiß. Du hast recht. Das werde ich tun.“

„Gibt es etwas, das ich wissen muss, bevor ich mir deinen Terminplan für diesen Tag ansehe?“, erkundigte sich Kel.

„Ja“, antwortete Abby und machte eine Pause. „Ich sage es ihm. Heute.“

„Oh. Wann genau?“

„Jetzt sofort.“

„Na endlich.“

„Wenn ich es noch länger vor mir herschiebe, werde ich bald verrückt. Es sieht aber ganz so aus, als ob ich ihm auflauern müsste. Er erwidert meine Anrufe nicht.“

„Du hättest eben besser auf deine kluge Sekretärin gehört. Habe ich dir nicht gleich gesagt, du sollst dich bei ihm entschuldigen?“

„Ja, ja. Du bist die Beste. Klug und schön.“

„Das stimmt nur bedingt. Ich bin nämlich eifrig dabei, meine Schönheit zu ruinieren. Jan hat zwei Dutzend Donuts mitgebracht, die mit leckerer Erdbeerglasur, und ich inhaliere gerade meinen zweiten.“

„Guten Appetit. Also, ich habe ihn nicht angerufen, um mich zu entschuldigen. Und nun will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Er nimmt meine Anrufe nicht an und ruft auch nicht zurück.“

„Welche Überraschung“, meinte Kel trocken.

„Ich habe ihm gesagt, dass es dringend ist, und ich habe mehrere Nachrichten bei seiner Sekretärin hinterlassen. Gestern ist sie ziemlich schnippisch geworden und hat mir mitgeteilt, er habe nicht die Absicht, meine Anrufe zu erwidern. Ich kann dir gar nicht sagen, wie demütigend das war. Ich werde dieser Hexe ganz bestimmt nicht anvertrauen, dass ich von ihrem Chef schwanger bin, also muss ich wohl hinfahren.“

„Das sehe ich auch so. Kommst du dann noch ins Büro?“

„Nach dem Mittagessen. Ich bin nach diesem Treffen vermutlich ein Nervenbündel.“

„Soll ich deine Termine für heute Nachmittag absagen?“

„Auf keinen Fall.“

„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte Kel besorgt.

„Sei einfach nur so kompetent und vorausschauend wie immer und halte mir bitte in der Firma den Rücken frei.“

„Natürlich. Hier läuft alles rund, mach dir keine Sorgen. Pass gut auf dich auf.“

Sie verabschiedeten sich, und Abby legte auf.

Mit zitternder Hand schob sie das Handy wieder in die Tasche. Wie unter Zwang ging sie in den Stall zurück und ordnete Zaumzeug, an dem es eigentlich nichts zu ordnen gab. Dann rückte sie Bürsten und Behälter mit Futterzusätzen und Pflegemitteln auf dem Regal zurecht. So hatte sie das Gefühl, wenigstens irgendetwas kontrollieren zu können. Schließlich nahm sie einen Besen und fegte den Hafer zusammen, den Coco zuvor herausgewühlt hatte, als sie einen Futtersack mit den Zähnen untersuchte.

Die Stute kam näher und stupste sie sanft mit dem Maul an ihre Schulter. Das war ihre Art, um ein Leckerchen zu bitten.

„Nein, heute nicht. Du warst ein böses Mädchen und hast das ganze Futter verschüttet.“

Nachdem sie den Besen an die Wand gestellt und die Schubkarre nach draußen geschoben hatte, um sie auf dem Misthaufen auszuleeren, machte Abby sich auf den Weg zurück ins Haus. Coco und Mac folgten ihr wie üblich in der Hoffnung auf eine Streicheleinheit oder ein Leckerchen. Sie war jedoch zu zerstreut, um darauf so zu reagieren, wie sie es sonst tat.

Sie war schwanger. Ausgerechnet von Leo.

Obwohl Abigail den Schwangerschaftstest, genau genommen sogar drei, schon vor einer Woche gemacht hatte, konnte sie immer noch nicht fassen, in welcher misslichen Lage sie sich befand. Sie war eine Geschäftsfrau, eine Unternehmerin mit vierzig Angestellten und die Eigentümerin einer Ranch, die zwar nur klein war, aber immerhin. Sie war es gewohnt, eine führende Rolle zu spielen und die Dinge unter Kontrolle zu haben.

Erneut zog sie das Handy aus der Hosentasche, wählte Leos Nummer und lauschte den Klingelzeichen so lange, bis die Mailbox ansprang. Also war er immer noch nicht bereit, ihren Anruf entgegenzunehmen. Sie schaltete das Telefon aus und seufzte enttäuscht. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie Leo aufs Display schaute, grimmig das Gesicht verzog, während er sah, dass sie ihn anrief, und den Apparat wieder in die Tasche steckte.

Dabei war es gerade mal zwei Wochen her, da war er sehr erpicht darauf gewesen, von ihr zu hören. Bis sie ihm vorgeworfen hatte, er sei ein Stalker und würde sie verfolgen. Zornig war er weggefahren, hatte sie aber noch einmal angerufen. Sie hatte das Gespräch nicht angenommen, deshalb hatte er eine Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen.

„Ein Stalker? Das denkst du also von mir? Ich dachte, du wärst nur verlegen, weil wir in der ersten Nacht ziemlich weit gegangen sind“, hatte er gesagt. „Ich habe eigentlich gehofft, ich könnte dich davon überzeugen, dass ich dich für eine wunderbare Frau halte. In jeder Beziehung. Und dass ich bereit bin, die Sache ab sofort langsamer angehen zu lassen. Aber wenn du tatsächlich nichts mehr mit mir zu tun haben willst, gehe ich natürlich. Ruf mich heute zurück. Sonst bin ich fertig mit dir. Und ich meine wirklich fertig.“

Sie kannte ihn nicht sehr gut, war sich jedoch ziemlich sicher, dass er ein Mann war, der meinte, was er sagte.

Abby ballte die Hände zu Fäusten. Es war einfach lächerlich, wie elend sie sich fühlte, weil er ihre Anrufe nun ignorierte. Sie hatte sich die ganze Zeit eingeredet, ihm würde es nur um wilden, hemmungslosen Sex gehen, und hatte sein Interesse an ihr als selbstverständlich betrachtet. Bedeutete er ihr am Ende mehr, als sie sich bis jetzt eingestanden hatte?

Jedenfalls ließ er sie ziemlich rasch fallen, als sie nicht das tat, was er von ihr verlangte. Genauso wie ihre Eltern, nachdem Becky, ihre Zwillingsschwester, verschwunden war. Schnell unterdrückte Abigail diesen Gedanken. Sie erinnerte sich nicht gern an ihre nun schon so lange vermisste Schwester. Die Erkenntnis, dass sie selbst niemals jemandem wirklich wichtig gewesen war, hatte ebenso fatale Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden, also übte sie sich in der Kunst der Verdrängung.

Sie holte tief Luft. Nach ihrem gestrigen Anruf bei Leos Sekretärin hatte sie seine Visitenkarte in eine Kommodenschublade geworfen. Die Fäuste noch immer geballt, betrat sie ihr Haus. Sie musste diese Karte finden, jetzt sofort, sein Büro anwählen und ihr Kommen ankündigen. Wenn sie die Adresse in ihr Navigationsgeräte eingäbe, dürfte die Fahrt zu seiner Firma kein Problem sein.

In der Küche wusch sie sich hastig die Hände, dann ging sie ins Schlafzimmer. Während sie zunächst erfolglos in den zahlreichen Schubladen einer Kommode herumkramte, erinnerte sie sich unversehens an jene schicksalhafte Nacht. Sie war in diese Bar gegangen, weil sie sich so einsam und verlassen vorgekommen war. Wieder einmal waren ihre Gedanken ständig um Shanghai Knight gekreist, ihren längst verflossenen Freund, der sie wegen Mia Kemble sitzen gelassen hatte. Das lag schon einige Zeit zurück, aber sie kam weder über die Enttäuschung noch über die Demütigung wirklich hinweg. Um ihr Selbstbewusstsein zu stärken, hatte sie heftig mit Leo geflirtet und war schließlich in seinem Bett gelandet. Und nun würde die nächste Jeans, die sie sich kaufte, einen Gummizug im Bund haben. So einfach war das.

Hatte Leo eigentlich Kondome benutzt? Sie war sich nicht sicher. Da diese Nacht sie nur mit Schamgefühl und Reue erfüllte, hatte sie die Erinnerungen daran ebenfalls verdrängt. Außerdem hatte sie mehr Alkohol getrunken, als gut für sie war.

Sie hielt inne und schaute in den Spiegel über der Kommode. Ein schmales, blasses Gesicht blickte ihr entgegen. Unter ihren Augen waren tiefe Ringe, und das honigblonde Haar fiel ihr in wirren Strähnen auf die Schultern.

Abby richtete sich auf. Obwohl der Reißverschluss ihrer Jeans sich nicht mehr schließen ließ, war ihre Schwangerschaft noch nicht zu erkennen, aber dass ihr Bauch sich in absehbarer Zeit deutlich wölben würde, versetzte sie in Panik.

Schon bald musste sie ihren Angestellten davon erzählen. Sie schloss kurz die Augen und öffnete die nächste Schublade mit einem so heftigen Ruck, dass sie herausrutschte und auf den Boden knallte. Abby kniete sich hin und durchwühlte mit zitternden Händen Nachthemden und T-Shirts.

Niemals wieder wollte sie so eine Woche durchleben wie die vergangene. Nachdem sie ihren Arzt aufgesucht hatte, wurde ihr klar, dass sie das alles nicht allein schaffen würde. Wenn Leo glaubte, er könnte ihr ein Ultimatum vor die Nase knallen und sich dann davonmachen, wie es bisher jeder in ihrem Leben getan hatte, täuschte er sich gründlich. Zumindest würde sie ihn vorher vor vollendete Tatsachen stellen.

Die unvermittelte Erinnerung an ihre Mutter, die ihre Koffer packte, um ihren Mann und ihre Tochter zu verlassen, schmerzte noch immer. Abby zwang sich, die nächste Schublade zu öffnen.

Sie wusste nicht viel über Babys, aber sie konnte sich denken, dass ihr Kind sich wünschte, sein Vater würde von seiner Existenz erfahren.

Sie nahm an, Leo war in den letzten Tagen in San Antonio geblieben und hatte seine Ranch namens Little Spur, die ihm zusammen mit seinem Bruder gehörte, gemieden, denn sie lag direkt neben ihrer eigenen. Seit seinem Ultimatum hatte sie weder ihn noch seinen schwarzen Geländewagen gesehen. Verständlicherweise hatte sie nach ihm Ausschau gehalten. Pech gehabt, Leo Storm, dachte sie ironisch. Du hättest deine Hose eben besser geschlossen gelassen.

Das Letzte, an das sie jetzt denken wollte, war die Nacht mit ihm. Trotzdem drängten sich ihr die Bilder auf, wie sie in der Bar ziemlich hemmungslos miteinander tanzten. Seine körperliche Nähe hatte an dem Abend heftiges sexuelles Verlangen in ihr ausgelöst, und als er sie geküsst hatte und seine Hände über ihren Körper hatte gleiten lassen, war sie dahingeschmolzen wie Eis in der Sonne.

Später dann, in seinem Loft in der Innenstadt von San Antonio, war sie auf den Esstisch gestiegen und hatte einen Strip hingelegt, der keine Fragen offen ließ. Am nächsten Morgen war sie neben seinem warmen sonnengebräunten Körper aufgewacht und wollte nur eins, so schnell wie möglich weglaufen und alles vergessen.

Sie fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen, und hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie er auf ihre Eröffnung reagieren würde.

„Warum sagst du es ihm nicht einfach?“, hatte Kel vorgeschlagen. „Tu es endlich. Dann hast du es hinter dir. Du wirst sehen, nach einer Woche denkst du gar nicht mehr daran.“

„Das sagt sich so leicht. Du hast aber nicht meine Erinnerungen“, hatte sie erwidert.

Es gab Dinge, die man nicht vergessen konnte.

Sie hatte Kel niemals von dem schrecklichen Nachmittag berichtet, an dem zwei absolut gleich aussehende achtjährige Mädchen in den Franklin Mountains einen Pfad hinaufgerannt waren, um einen wilden Truthahn zu verfolgen. Der einsetzende Sonnenuntergang hatte Beckys Haar feurig schimmern lassen, die Wangen ihres schmalen Gesichts waren vom Laufen gerötet gewesen.

„Warte!“, hatte Becky gerufen. „Warte auf mich.“

„Nein, komm schon“, hatte sie zurückgerufen, war weitergerannt und hatte erwartet, dass ihre Zwillingsschwester ihr wie üblich folgen würde. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie Becky gesehen hatte.

Abby öffnete die nächste Schublade. Sie träumte noch immer von Becky. Und nun kamen auch noch Träume von dem Baby dazu. Dabei hatte sie niemals mehr Teil einer Familie sein wollen, damit ihr nie wieder jemand wehtun konnte.

Die Schwangerschaft machte ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung. Mit dem Kind, das sie erwartete, ging sie das Risiko ein, erneut verletzt zu werden. Dennoch war sie fest entschlossen, das Baby zu bekommen. Ein Schwangerschaftsabbruch kam für sie nicht infrage, denn insgeheim sehnte sie sich nach einer Familie, trotz allem oder vielleicht gerade deswegen. Sie hatte erfahren, wie schnell man Fehler begehen konnte, die nicht wiedergutzumachen waren.

Denk nicht an Becky, ermahnte sie sich und schloss die Finger um ein Stück Papier. Es war nicht Leos Visitenkarte, sondern die Weihnachtspost, die sie von ihrem Vater erhalten hatte.

Der Geldschein, den er mit dem Kartengruß in den Umschlag gesteckt hatte, befand sich immer noch darin. Ihr Vater wäre nie auf die Idee gekommen, Weihnachten zusammen mit ihr zu verbringen. Sein Geschenk hatte aus dieser Karte mit den fünfzig Dollar bestanden, die zwei Wochen zu spät bei ihr angekommen war. Da hatte sie die Hoffnung, dass er an sie dachte, bereits aufgegeben.

Für einen kurzen Moment ließ sie den Gedanken an das letzte Weihnachtsfest vor Beckys Verschwinden zu. Ihre Schwester und sie waren übereingekommen, vor ihren Eltern so zu tun, als glaubten sie noch an den Weihnachtsmann. Sie hatten Kekse gebacken und sie neben einer mit Milch gefüllten rosa Puppentasse auf den Tisch beim Kamin gelegt, damit Santa Claus sich stärken konnte.

Plötzlich fühlte Abby sich unendlich allein und verlassen und legte in einer beschützenden Geste die Hände auf ihren Bauch. Als Kind hatte sie sich nie einsam gefühlt. Sie hatte ja einen Zwilling, einen Menschen, mit dem sie alles teilte. Sie dachte an ihre gemeinsamen Ballettstunden, an die identischen Tutus und die Ballettschuhe. Beides war rosa gewesen, Beckys und ihre Lieblingsfarbe.

Denk nicht an Becky.

Abby schob den Umschlag wieder unter ihren Pullover und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Eins wusste sie genau, gleichgültig, wie Leo reagierte, sie würde ihr Kind lieben, von ganzem Herzen. So traurig ihre Erinnerungen auch sein mochten, war dies vielleicht ihre zweite Chance auf Glück.

Schließlich fand sie die Visitenkarte. Sie nahm sie zur Hand und studierte sorgfältig die aufgedruckte Adresse. Ihr Herz hämmerte bei dem Gedanken, was ihr nun bevorstand. Ehe die Angst vollends von ihr Besitz ergreifen konnte, nahm sie ihr Handy und wählte die Nummer seines Büros.

„Golden Spurs, Leo Storms Büro. Mein Name ist Miriam Jones. Wie kann ich Ihnen helfen?“, meldete sich seine Sekretärin mit der üblichen professionellen Höflichkeit.

Abby holte tief Luft. Über diese Frau hatte sie sich schon am Tag zuvor maßlos geärgert. „Abigail Collins. Ich brauche einen Termin bei Mr Storm. Es ist sehr dringend.“

„Mr Storm trifft seine Verabredungen selbst. Heute ist sein Terminplan voll. Vielleicht schicken Sie ihm eine Mail und erklären darin, worum es sich handelt“, erwiderte die Sekretärin kühl.

„Nein, vielen Dank. Bitte stellen Sie mich durch.“

„Einen Moment bitte.“ Nun klang ihre Stimme eisig.

Es entstand eine längere Pause, in der Abby von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde.

„Mr Storm sagt, dass er Sie weder sprechen noch sehen will. Sie wüssten den Grund dafür“, meldete sich Miriam Jones zurück.

„Wie bitte? Haben Sie ihm gesagt, dass es dringend ist?“

„Ja. Genau wie gestern. Gibt es sonst etwas, bei dem ich Ihnen behilflich sein kann?“

„Haben Sie ihm wirklich gesagt, dass es dringend ist?“, fragte Abby mit brüchiger Stimme.

„Natürlich. Einen schönen Tag noch.“ Die Sekretärin legte auf.

Das Herz schlug Abby bis zum Hals hinauf, als sie die Wiederwahltaste drückte. „Wann ist heute Vormittag die beste Zeit, um ihn zu treffen?“, fragte sie, bevor Miriam Jones sich melden konnte.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, was …“

„Sie verstehen mich offenbar nicht. Genauso wenig wie Mr Storm. Ich muss ihn sehen. Schieben Sie mich zwischen zwei Termine.“

„Das wird nicht möglich sein. Aber selbst wenn, kann ich Ihnen nicht versprechen …“

„Tun Sie es einfach“, sagte Abby mit kaum unterdrücktem Zorn.

„Er war die letzten vier Tage selten im Büro. Ich fürchte, das ist jetzt ein ganz schlechter Zeitpunkt, weil er viel Arbeit aufzuholen hat. Außerdem hat er mir sehr deutlich gemacht, dass er Sie nicht sehen …“

Entnervt unterbrach Abby die Verbindung, bevor die Sekretärin ihren Satz beendet hatte, dann suchte sie ein paar Kleidungsstücke heraus und eilte ins Bad, um sich frisch zu machen und sich umzuziehen. Fünf Minuten später fand sie, dass sie einigermaßen präsentabel aussah. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt und trug eine schwarze Hose und einen blauen Strickpullover. Sie legte sich ihren Blazer über den Arm und nahm ihre Handtasche. Mit langen Schritten hastete sie zur Eingangstür hinaus zu ihrem Wagen.

Die Pferde standen am Zaun und hoben erwartungsvoll den Kopf, aber Abby ignorierte sie schweren Herzens. Sie hatte es auf einmal sehr eilig und das dringende Bedürfnis, diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Leo musste die Wahrheit erfahren, ob er sie nun hören wollte oder nicht.

Sie hoffte inständig, dass sie ihm damit seinen Tag ruinierte. Seinen Tag, seine Woche, den Rest seines Lebens. So, wie er ihres ruiniert hatte.

2. KAPITEL

An den Wänden in den imposanten Geschäftsräumen hingen Gemälde und Fotografien, die die Golden-Spurs-Ranch zeigten, die zweihundert Meilen südlich von San Antonio lag. Großzügige Panoramafenster erlaubten einen atemberaubenden Blick auf die von Zypressen und Gebäuden gesäumten Windungen des San-Antonio-Flusses.

Abby war jedoch weder von der Aussicht noch von den pompösen Räumlichkeiten sonderlich beeindruckt. Sie war damit beschäftigt, eine Notiz für Leo auf ein kleines Stück Papier zu kritzeln. Anschließend faltete sie es wieder und wieder zusammen, bis es ein winziges Päckchen war.

Es hatte sie Überwindung gekostet, den Empfangsbereich zu betreten, sie war sehr nervös und angespannt gewesen, aber nachdem sie nun eine Stunde hier gesessen hatte, wandelte sich ihre Nervosität allmählich in Ungeduld und Zorn. Während sie von der Sekretärin, die anfangs nach ihrem Namen gefragt hatte, geflissentlich ignoriert wurde, beobachtete sie das rege Kommen und Gehen. Miriam Jones hatte zahlreiche Leute, die ein Treffen mit Leo hatten, in sein Büro begleitet. Der letzte Besucher war ein älterer, ziemlich unglücklich wirkender Rancher.

In der Zeit, in der Leo mit seinen Besuchern sprach, lenkte Abby sich ab, indem sie die Bilder und Fotos von der Ranch betrachtete. Meistens waren darauf Cowboys, Ölpumpen und Viehtriebe zu sehen und natürlich das imposante Wohnhaus, in dem die Familie Kemble, für die Leo arbeitete, Präsidenten, Mitglieder von Königsfamilien und kürzlich auch arabische Scheichs empfing und bewirtete. Sie selbst war ebenfalls einmal dort gewesen. Die älteren Gemälde zeigten Szenen mit Cowboys und amerikanischen Ureinwohnern und selbstverständlich typisch texanische Landschaften mit Hügeln, Wiesenlupinen und mächtigen Eichen.

Trotz ihrer Bemühungen, Ruhe zu bewahren, wurde Abby mit jeder Minute wütender. Ungeduldig rutschte sie auf dem gigantischen roten Ledersessel hin und her, auf dem sie sich vorkam wie ein kleines Kind.

Immer wieder warf sie einen vorwurfsvollen Blick zur Sekretärin. Die rothaarige Frau hatte einen verkniffenen Gesichtsausdruck, sortierte Papiere und gab vor, ihre Gegenwart nicht zu bemerken. Ihr Haar war zu einem schrecklichen Knoten mitten auf dem Kopf aufgetürmt, und ihre dünnen Lippen waren kaum zu sehen. Alles in allem hatte Abby das Gefühl, in einem teuren Restaurant zu sitzen. In einem sehr teuren Restaurant, wo sie von arroganten Kellnerinnen übersehen wurde, während sie versuchte, sich bemerkbar zu machen, weil ihr das Besteck fehlte.

Zum wiederholten Mal schaute sie auf die Uhr und dann wieder auf das Foto des Wohnhauses auf der Golden-Spurs-Ranch. Sie hatte an ihren Aufenthalt dort keine guten Erinnerungen.

Endlich fasste sie einen Entschluss. Zum Teufel mit Leo! Er schuldete ihr was, denn er hatte ihr Leben ruiniert. Sie hatte es satt, dieses Spielchen mitzuspielen. Wenn sie nicht bald etwas unternahm, müsste sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren. Daher stand sie auf und ging zum Empfangstresen, um die Sekretärin zum fünften Mal an ihr Anliegen zu erinnern.

Die Rothaarige blickte auf und schürzte die kaum vorhandenen Lippen. „Ja, Ms Collins?“

„Würden Sie ihm diese Nachricht zukommen lassen? Bitte.“

Die Brauen hochgezogen, betrachtete die Frau den zusammengefalteten Zettel, den sie ihr hinhielt. Schließlich nahm sie ihn mit spitzen Fingern entgegen, rollte ihren Bürostuhl zurück und erhob sich ohne ein Wort. Abby beobachtete, wie sie mit steifen Schritten die Lobby durchquerte und die Tür zu Leos Büro öffnete. Kurz darauf kam sie zu ihrem Platz zurückmarschiert und setzte sich wieder.

„Und?“, fragte Abby ungeduldig.

Miriam Jones schüttelte den Kopf. „Mr Storm sagt, es täte ihm sehr leid, aber er hat heute den ganzen Tag zu tun. Ich habe bereits versucht, Ihnen zu erklären, dass Sie Ihre Zeit verschwenden. Es wäre besser, Sie würden ihm eine Mail schicken. Er hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass Sie selbst die Entscheidung getroffen haben, Ihre Beziehung mit ihm zu beenden.“

Abby war sprachlos. Leo gelang es tatsächlich, sie im selben Moment zurückzuweisen und zu demütigen. Sie war gleichermaßen zornig und verlegen. Wie konnte er es wagen, so mit ihr umzuspringen?

Und überhaupt, von welcher Beziehung sprach er da? Eine Affäre für eine Nacht hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Beziehung.

Trotz ihres inneren Aufruhrs gelang es ihr, ruhig zu bleiben. „Ich muss ihn sprechen. Es ist wirklich sehr wichtig“, wiederholte sie geduldig.

„Es tut mir leid“, sagte die Sekretärin und zuckte mit den Schultern.

Ganz offensichtlich tat es ihr überhaupt nicht leid. Mit gleichgültiger Miene begann sie erneut damit, Papiere zu ordnen.

„Ich habe Ihnen schon ziemlich oft erklärt, wie dringend es ist“, sagte Abby.

„Und ich habe Ihnen auch wiederholt erklärt, dass er Sie nicht empfangen kann.“

„Ach, tatsächlich? Kann er nicht, oder will er nicht?“

Im Hintergrund hörte Abby schwere Fußtritte. Als sie sich umdrehte, erblickte sie zwei Muskelprotze in dunklen Anzügen, die auf sie zukamen. Die beiden sahen aus wie Polizisten. Ihre bedrohlichen Blicke jagten ihr Angst ein.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte sie Sekretärin. „Aber Mr Storm möchte, dass Sie das Gebäude verlassen. Ich fürchte, er hat den Sicherheitsdienst alarmiert. Die Herren werden Sie nach draußen begleiten.“

„Verdammt!“ Abby zögerte nur eine Sekunde, dann rannte sie durch die Lobby auf Leos Büro zu.

Die Männer riefen ihren Namen und verfolgten sie mit eiligen Schritten.

„Sie können da nicht einfach hineingehen!“, schrie die Sekretärin ihr nach.

Das wollen wir doch mal sehen, dachte Abby und beschleunigte das Tempo.

Sie riss die Tür auf, stürzte in den Raum und knallte sie so heftig hinter sich zu, dass die Haarnadeln sich aus ihrer Frisur lösten und auf den polierten Holzfußboden fielen.

„Es mag Leute geben, die dich respektieren und bewundern, weil du der Geschäftsführer von Golden Spurs bist, aber ich kenne dich dafür viel zu gut. Du bist nichts anderes als ein skrupelloser, kaltherziger Bastard“, sagte Mike Ransom laut, um den Lärm hinter der Tür zu übertönen.

Leo konnte Abbys Stimme ausmachen. Das bloße Wissen, dass sie da draußen war, genügte, um ihn in Aufruhr zu versetzen. Darüber ärgerte er sich dermaßen, dass er es kaum noch schaffte, sich auf seinen anstrengenden Besucher zu konzentrieren. Der Sicherheitsdienst musste inzwischen eingetroffen sein, aber es klang nicht danach, als hätten seine Leute mit Abby Erfolg. Sie hatte ihm doch sehr deutlich gemacht, dass sie nicht viel von ihm hielt. Was, um alles in der Welt, wollte sie nun hier?

„Ich arbeite den ganzen Tag mit Männern wie dir zusammen. Langweilige Managertypen, die nichts anderes im Sinn haben, als Geld zu scheffeln“, hatte sie ihm gesagt. „Ich will nicht auch noch meine Freizeit mit einem von dieser Sorte verbringen. Vor allem nicht meine Nächte. Da möchte ich ein wenig Abwechslung und Spaß.“

Er fand keine Erklärung dafür, weshalb sie ihren Verhaltenskodex gebrochen und die Nacht mit ihm verbracht hatte, aber wichtiger war die Frage, wieso er selbst seine geheiligten Regeln verletzt hatte, wonach er niemals Geschäftliches mit Sex vermischte. Verdammt.

Der Aufsichtsrat von Golden Spurs hatte ihn beauftragt, Caesar Kembles vermisste Zwillingstöchter zu suchen. Er wiederum hatte seinen Bruder Connor engagiert, der Sicherheitsexperte war. Connor hatte ihn nach kurzer Zeit mit der Information in Erstaunen versetzt, ihre Nachbarin Abigail Collins und deren verschollene Zwillingsschwester seien wahrscheinlich die Erbinnen von Golden Spurs.

Also hatte er Abby beschattet und war ihr in der fraglichen Nacht in die Bar gefolgt, um auf diskrete Weise an eine DNA-Probe von ihr zu gelangen. Es hatte keineswegs in seiner Absicht gelegen, mit ihr zu schlafen. Dank der leeren Bierflasche, die er mitgehen ließ, konnte bewiesen werden, dass sie tatsächlich zur Familie Kemble gehörte.

Er zwang sich dazu, sich wieder auf Mike Ransom zu konzentrieren. Der alte Mann wirkte müde und verbraucht. Trotz seiner heftigen Worte ließ er die schmalen Schultern resigniert hängen. Die Kleidung schlotterte ihm um den schmächtigen Körper.

Leo unterdrückte den Anflug von Mitleid und Sympathie, der ihn beim Anblick des Alten überkam. „Wenn ich ein Mistkerl bin, ist das vor allem dein Verdienst.“

„Ich werde ‚Running R‘ nicht verkaufen. Nicht einmal für das Doppelte des derzeitigen Angebots. Und schon gar nicht an dich.“

„Du hast keine andere Wahl. Genau wie ich damals, als du mich aus dem Haus geworfen und von der Ranch vertrieben hast, nachdem Nancy von mir schwanger war. Ich war achtzehn Jahre alt und hatte keinen Penny. Was ist das für ein Gefühl, hilflos jemandem ausgeliefert zu sein?“

Seltsamerweise fühlte er selbst sich nicht annähernd so glücklich, wie er gehofft hatte. Im Gegenteil, dass der alte Mann nun von seiner Gnade abhängig war, erfüllte ihn eher mit Unbehagen.

Der Krawall, den Abby draußen ausgelöst hatte, wurde zunehmend lauter. Das war gar nicht gut. Am liebsten wäre er hinausgegangen, um die Sache eigenhändig zu regeln, doch er zwang sich, hinter seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben und sich Mike Ransom zu stellen.

„Du bist nur auf Rache aus. Nur darum geht es dir“, sagte der Alte und funkelte ihn zornig an.

„Wenn du es sagst“, erwiderte Leo und zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Du willst ja die Ranch in Wirklichkeit gar nicht. Du hast nur deshalb die Absicht, sie zu kaufen, weil Nancy und Cal sie sonst eines Tages erben werden. Du bist doch niemals darüber weggekommen, dass …“

Nein, ich bin nicht darüber hinweggekommen, dass Nancy mich nicht heiraten wollte, weil ich ein armer Schlucker war, dachte Leo und blendete Ransom aus. Er war auch nicht darüber hinweggekommen, dass sie statt seiner Ransoms Sohn Cal geheiratet hatte, und auch nicht darüber, dass er seine Tochter verloren hatte, und er konnte nicht vergessen, dass Ransom für all das verantwortlich war.

„Denk doch, was du willst.“ Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Eigentlich hätte er gern mehr gesagt, denn er hatte Jahre auf diesen Tag gewartet. Bei dem Gedanken daran, wie er Ransom fertigmachen würde, war er noch an diesem Morgen ganz aufgeregt gewesen.

Plötzlich waren laute Schritte zu hören. Die Tür öffnete sich und knallte wieder zu. Als er aufsah, erblickte er Abigail, die in sein Büro stürmte und dabei ihre Haarnadeln verlor. Ihr honigblondes Haar wallte ihr über die Schultern wie ein seidiger Vorhang.

„Raus hier!“, rief er und bemühte sich um redlichen Zorn, doch ihr Anblick erinnerte ihn daran, wie seine Hände durch ihre schimmernde Mähne geglitten waren, bevor er Abby an sich gezogen hatte, um sie zu küssen. Unwillig registrierte er, dass sein Herzschlag sich bei diesem Gedanken beschleunigte.

Wie erstarrt sah sie ihn an. Ihre Augen weiteten sich, während sie versuchte, ihr Haar zu bändigen. Ihr Gesicht kam ihm sehr schmal vor, und sie war viel zu blass.

Er musste daran denken, wie sie ihn nach ihrem ersten Kuss angeschaut hatte, im Blick nichts als Begierde und Leidenschaft. Nun lagen dunkle Ringe unter ihren schönen braunen Augen. Bis auf den blauen Pullover und die zerzauste Mähne wirkte sie in der schwarzen Hose und dem dazu passenden Blazer wie eine Lehrerin.

Sie bückte sich, um die Haarnadeln vom Boden aufzusammeln, dann steckte sie sich mit routinierten Handgriffen das Haar wieder hoch. Der Haarknoten am Hinterkopf verstärkte den Eindruck von Ernsthaftigkeit und Strenge. Unwillkürlich kam Leo ihr sexy Outfit von jener Nacht in der Bar in den Sinn.

Ransom hob fragend die Augenbrauen und sah abwechselnd ihn und Abby an. Ihr Versuch, seriös zu wirken, änderte nichts an ihrem gehetzten Blick, der eine Flut von Gefühlen bei ihm auslöste. Neugier, Mitgefühl und heftiges Verlangen.

Verdammt, er musste sie unbedingt loswerden, und zwar so schnell wie möglich. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Nacht mit ihm als großen Fehler betrachtete und nicht allzu viel von ihm hielt.

Nachdem sie ohne ein Wort des Abschieds aus seinem Bett geflohen war, hatte sie ihm auf unterschiedliche Weise zu verstehen gegeben, dass er sich zum Teufel scheren sollte. Dabei hatte sie in ihrer gemeinsamen Nacht seine Leidenschaft mit der gleichen Intensität erwidert, die er empfunden hatte. Später erklärte sie ihm in deutlichen Worten, dass sie sich die ganze Zeit vorgestellt hatte, er sei ein anderer, und zwar Shanghai Knight. Als sie ihm auch noch vorwarf, ein Stalker zu sein und sie zu verfolgen, brachte sie das Fass zum Überlaufen. Er war fertig mit ihr und dieser Geschichte.

Dabei musste er sich jedoch zwingen, jeden Gedanken daran zu verdrängen, welch starke Gefühle diese Nacht mit ihr bei ihm geweckt hatte, Gefühle, die er seit der Sache mit Nancy verschüttet geglaubt hatte. Damals, als er fast noch ein Kind war und Nancy, Cal und Mike Ransom sein Leben ruinierten.

„Ich bin beschäftigt“, erklärte er kühl. „Du unterbrichst eine Besprechung.“

„Glaub mir, ich habe ebenso wenig den Wunsch, dich zu sehen, wie umgekehrt. Aber wie ich schon deiner Sekretärin sagte, es ist sehr dringend. Und Leo, ich schwöre dir, es wird nicht lange dauern“, fügte sie leise hinzu. „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Nachdem du mir zugehört hast, verschwinde ich für immer aus deinem Leben.“

Gut so, dachte er. Aber ihr verzagter Ton und der ängstliche Ausdruck in ihren Augen jagten ihm einen gehörigen Schrecken ein. Was war nur los mit ihr?

Es kostete ihn einige Mühe, seine kühle und ablehnende Haltung zu bewahren. „Wie du siehst, habe ich zu tun.“

„Nein, nicht mehr, denn ich gehe jetzt“, sagte Ransom mit hasserfüllter Stimme. „Der elende Mistkerl gehört nun ganz Ihnen, meine Liebe. Viel Spaß mit ihm.“

Nach diesen vor Sarkasmus triefenden Worten und nach einem letzten verächtlichen Blick verließ der Rancher den Raum und schloss geräuschvoll die Tür hinter sich.

Abigail lehnte sich dagegen. Ihre Lippen zitterten, ihr Gesicht wirkte noch eine Nuance blasser, und die Verzweiflung, die er in ihrer Mimik erkannte, jagte ihm nun endgültig Angst ein. Sie schluckte, oder zumindest versuchte sie es. Dabei gab sie ein Geräusch von sich, das an ein Würgen erinnerte, hielt sich eine Hand vor den Mund und kam mit unsicheren Schritten auf seinen Schreibtisch zu. War sie etwa ernsthaft krank?

Fassungslos beobachtete er, wie sie auf die Knie fiel und sich in den Papierkorb erbrach. Er eilte zu ihr und umfasste ihre Schultern. „Was ist denn mit dir los, um Himmels willen?“

Sie umklammerte den Metallbehälter und blickte zu ihm auf. Ihr Haar hatte sich wieder gelöst, und sie war weiß wie eine Wand. Plötzlich erinnerte er sich an Nancys entsetztes kreidebleiches Gesicht aus der Vergangenheit.

„Kannst du es dir nicht denken?“, flüsterte Abby tonlos.

Da wusste er es.

„Morgenübelkeit?“, fragte er leise und hoffte wider besseres Wissen, dass er sich irrte.

Sie nickte, ohne den Blick abzuwenden. Der Schmerz in ihren Augen traf ihn bis ins Mark. Er schloss kurz die Lider und holte tief Atem. Die Luft schien plötzlich zum Schneiden dick, und er spürte, wie ihm das Herz hart gegen die Rippen hämmerte.

„Du versuchst besser nicht, mir das Kind eines anderen unterzuschieben“, sagte er mit brüchiger Stimme.

Sie wurde rot. Eine einzelne Träne rollte ihr über die Wange. Leo biss sich so heftig auf die Zunge, dass er Blut schmeckte.

„Ich hasse dich“, wisperte sie erstickt. „Du bist ein schrecklicher Mensch.“

Sie hatte zweifellos recht. Er war der schrecklichste Mensch auf diesem Planeten. Wie hatte er so etwas nur von sich geben können?

Als sie wieder sprach, war ihre Stimme klar, kalt und hasserfüllt. „Es ist dein Kind. Ich wünschte, es wäre nicht so, das kannst du mir glauben, denn ich wollte dich wirklich nicht wiedersehen. Falls du Zweifel hast, es gibt Tests, die das beweisen. Wir brauchen nur zwei DNA-Proben. Eine von dir und eine von dem Baby.“

Er fühlte sich schuldig. Über DNA-Abgleiche wusste er gut Bescheid. „Das wird nicht nötig sein. Meine Bemerkung tut mir leid.“

„Entspann dich. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich kann dich nicht ausstehen und du mich nicht.“

„In Ordnung.“ Es war keine Überraschung für ihn, dass sie sein Kind ebenso wenig wollte wie ihn selbst.

Er strich sich durchs Haar und sah sie einen Moment wortlos an. Ihre Augen sagten ihm deutlich, dass sie ihn zur Hölle wünschte. Sobald sie die ganze Wahrheit wusste, hatte sie noch mehr Grund, ihn zu hassen. Sollte sie je erfahren, weshalb er an jenem Abend in der Bar gewesen war, würde ihr Hass vermutlich grenzenlos sein. Und falls der Aufsichtsrat von Golden Spur von der Geschichte Wind bekam, bedeutete das ohne jeden Zweifel das Ende seiner Karriere.

Leo riss sich zusammen und ging in den privaten Waschraum, der an sein Büro grenzte. Dort nahm er ein Handtuch und befeuchtete es im Waschbecken. Danach füllte er ein Glas mit Wasser. Als er zurückkehrte, überreichte er ihr beides. „Setzt dich hin, bevor du umfällst. Wasch dir das Gesicht und spül dir den Mund aus, dann werden wir besprechen, was du als Nächstes tun musst.“

„Was ich tun muss? Du bist an der Entstehung des Kindes genauso beteiligt.“

„Ja, das habe ich verstanden.“

„Aber du glaubst mir nicht.“

„Ich sagte, dass ich es verstanden haben, okay? Das Kind ist von mir. Schlechte Neuigkeiten begreift man in der Regel ziemlich schnell. Also, zunächst einmal werden wir …“

„Du kannst mich nicht herumkommandieren“, unterbrach sie ihn. „Ich bin nicht deine Angestellte.“

„Aber du trägst mein Kind aus.“

„Ich dachte, du wärst ein intelligenter Typ. Hast du eigentlich ein Kondom benutzt?“, fragte sie vorwurfsvoll.

„Ja, verdammt. Sogar mehrere.“

Abby wurde rot und senkte verlegen den Blick. Wie immer, wenn sie an diese Nacht erinnert wurde, wirkte sie peinlich berührt. Noch peinlicher war die Tatsache, dass es ihnen beiden nicht genügt hatte, nur einmal miteinander zu schlafen.

„Ich bin kein pubertierender Junge mehr, der so aufgeregt ist, dass er nicht an Verhütung denkt.“

Das war ihm damals passiert, vor Jahren mit Nancy, danach nie wieder. Da war er achtzehn gewesen. Trotz der Tatsache, dass er Abby unerhört erotisch und anziehend fand, hatte er nicht die Kontrolle verloren. Natürlich hatte er sie beide geschützt. Unwillkürlich musste er daran denken, wie oft sie es in jener Nacht getan hatten. An ihr Stöhnen und Seufzen. Daran, wie sie ihre Beine um seine Hüften geschlungen und sich ihm voller Leidenschaft hingegeben hatte. Es war wundervoll gewesen, sie in den Armen zu halten. Er hatte sich großartig gefühlt, unbezwingbar und lebendig. Und sie war so süß, sexy, nachgiebig und rückhaltlos gewesen. Er begriff nicht, wieso sie ihn seitdem so schroff zurückwies.

Als ob sie in der Lage wäre, seine Gedanken zu lesen, vertiefte sich die Röte auf ihren Wangen. „Ich kann mich kaum an diese Nacht erinnern.“

„Schön für dich. Ich wünschte, ich könnte das alles genauso leicht vergessen wie du.“

„Nun, ich habe ja das Baby als dauerhafte Erinnerung.“

„Du willst es also behalten?“ Er war erstaunt über die Erleichterung, die er bei dieser Aussicht empfand.

Sie sprang aus dem Sessel auf, in den sie sich gesetzt hatte, und funkelte ihn wütend an. „Wage es ja nicht, mir eine Abtreibung vorzuschlagen. Wenn du das tust, dann werde ich …“

„Schon gut, schon gut. Beruhige dich.“ Er trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. Bei der Berührung fuhr sie zurück, als hätte sie sich verbrannt. In ihren Augen stand der blanke Hass.

Leo unterdrückte resigniert ein Seufzen. Allmählich kam es ihm vor, als wäre eine normale Beziehung zu einer Frau für ihn grundsätzlich nicht möglich. Das gehörte vermutlich zu seinen besonderen Charaktereigenschaften. Dies hier war aber noch schlimmer als sonst. Es beeinflusste wahrscheinlich seine berufliche Laufbahn. Die Entwicklung dieser Affäre machte ihm ernsthaft Sorgen. Ihm gefiel es sehr, als Geschäftsführer von Golden Spurs zu arbeiten, deshalb musste ihm bald etwas einfallen, sonst wäre seine Karriere ein für alle Mal ruiniert.

„Beruhige dich“, wiederholte er mit bemüht sanfter Stimme. „Ich bin doch froh, dass du mein Baby behalten willst.“

„Dein Baby?“, fragte sie und wich noch weiter zurück.

Als er nickte, zeichnete sich Erleichterung auf ihrem Gesicht ab. Er atmete auf, während er beobachtete, wie sie wieder auf den Sessel sank. Er durfte jedoch nicht vergessen, dass Abby gefährlich für ihn war, und zwar in vielerlei Hinsicht.

Er trat hinter seinen Schreibtisch, setzte sich und blickte sie über den Tisch hinweg an.

„Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragte sie leise. „Das ist ein ziemlicher Schock.“

So viel steht fest, dachte er. Und es war noch wesentlich schockierender, als sie annahm. Er musste etwas unternehmen, bevor sie herausfand, dass sie alle Trümpfe in der Hand hielt.

„Du hattest ein bisschen mehr Zeit als ich, dich an den Gedanken zu gewöhnen. Meine Sekretärin hat dir wahrscheinlich gesagt, dass ich heute sehr viele Termine habe. Soll ich am Abend bei dir vorbeikommen? Sagen wir um sieben? Dann können wir alles in Ruhe besprechen.“

„Ich würde es vorziehen, mich an einem öffentlichen Ort mit dir zu treffen.“

„Abends? Du müsstest in der Dunkelheit allein nach Hause fahren. Hast du mehr Angst vor mir als vor einem Fremden, der dich möglicherweise verfolgt?“

„Mach dir um mich keine Sorgen. Ich bin daran gewöhnt, allein zu leben. Und ich fahre ziemlich oft nachts ohne Begleitung nach Hause.“

„Da du von mir schwanger bist, fühle ich mich für dich und das Kind verantwortlich“, erwiderte er ernst.

Sie runzelte die Stirn. Er konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Gehirn arbeitete, während sie sich Gegenargumente überlegte.

„Na schön“, lenkte er ein. „Vergiss, dass ich das gesagt habe. Ich will mich nicht mit dir streiten. Aber eins möchte ich doch wissen: Hast du wirklich Angst vor mir?“

Energisch schüttelte sie den Kopf.

„Und warum wolltest du mich dann nicht wiedersehen?“

„Weil du ein arroganter Macho bist und weil du nicht mein Typ bist“, antwortete sie gereizt.

„Ach ja, richtig. Du bevorzugst Cowboys. Das sagtest du bereits.“

„Das führt doch zu nichts.“ Sie sprang ärgerlich auf.

Noch ehe er darüber nachdenken konnte, war er bei ihr, legte die Hände um ihre Arme und zog Abby an sich, damit sie nicht weglief. Ihre unmittelbare Nähe hatte die gleiche Wirkung auf ihn wie in der Bar. Ihren Körper so dicht bei sich zu spüren, erfüllte ihn mit heftiger Begierde. Eine Begierde, die ihn bei ihrer ersten Begegnung schon daran gehindert hatte, bei seinem ursprünglichen Vorhaben zu bleiben und sich ausschließlich seinen Nachforschungen zu widmen.

„Warum hast du Angst vor mir? Habe ich dir wehgetan? Habe ich dich verletzt oder dich zu etwas gezwungen?“

Dass er ohne ihr Wissen die DNA-Probe genommen hatte, war viel schlimmer. Das war ihm bewusst. Ihm graute davor, was geschehen würde, wenn sie jemals davon erfuhr, doch er konnte immer nur eine Sache zurzeit erledigen. Und jetzt wollte er herausfinden, was sie von ihm dachte.

„Nein, aber …“

„Du hast mich einen Stalker genannt.“

Als er seinen Griff verstärkte, zitterte sie. Sie fühlte sich gut an. Viel zu gut. Und sie duftete nach Wind, Sonne und Sommerblumen.

„Das habe ich nur gesagt, damit du mich endlich in Ruhe lässt.“

Ihm war klar, dass er sie loslassen sollte, aber er brachte es einfach nicht über sich. „Wenn du mich so wenig anziehend findest, warum hast du dann in dieser Nacht mit mir geschlafen? Und zwar mehr als einmal?“

„Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.“

„Kannst du nicht, oder willst du nicht? Hasst du mich wirklich so sehr, wie du behauptest?“

Sie blickte ihn nur schweigend an.

„Komm schon. Ich will es wissen“, insistierte er.

Sie öffnete den Mund zu einer Erklärung, aber sie brachte kein Wort heraus. Er bemerkte, wie sie erschauerte und trocken schluckte. Gefiel er ihr am Ende doch? Wenigstens ein bisschen? Er erinnerte sich daran, wie er ihre Brüste gestreichelt hatte. Wie sie geseufzt und seine Küsse begierig erwidert hatte.

„Also gut. Vielleicht hasst du mich ja nicht wirklich“, lenkte er ein. „Wir stecken ziemlich in der Klemme, oder?“

Ehe er nachdenken konnte, beugte er sich zu ihr und küsste sie. Sie schmeckte nach Honig. Eigentlich hatte er heftigen Widerstand erwartet, aber sie verharrte regungslos. Als er den Kuss intensivierte und sie näher an sich zog, legte sie die Arme um seine Schultern und öffnete die Lippen.

Er lockerte seine Umarmung, dennoch machte sie keine Anstalten zu fliehen. Stattdessen erwiderte sie den Kuss und schmiegte sich an ihn. Sie wich nicht einmal zurück, als sie seine Erregung spürte. Er drängte sich an sie, und sie hielt den Atem an.

Leise seufzend rieb sie ihr Becken an ihm, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und legte den Kopf in den Nacken.

Die gleiche Leidenschaft wie in ihrer ersten Nacht durchflutete ihn. Plötzlich bekam alles einen Sinn. Kein Wunder, dass er es nicht akzeptieren konnte, als sie ihn danach immer wieder zurückwies. Kein Wunder, dass er ihr nicht glaubte, als sie die Anziehung zwischen ihnen leugnete, denn sie wollte ihn ebenso, wie er sie wollte.

Die Heftigkeit, mit der er diese Frau begehrte, jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein. Abrupt löste er sich von ihr und trat einen Schritt zurück. Als ob die kurze Distanz etwas an seinem Verlangen ändern würde. Sie mochte schwanger sein, aber er saß genauso in der Falle wie sie.

„Um sieben Uhr“, sagte er atemlos. „Bei dir. Falls du wirklich lieber an einem öffentlichen Ort mit mir reden willst, fahre ich dich in die Stadt und wieder nach Hause.“

„Du hast kein Recht, mich so zu bevormunden“, sagte sie leise. Jegliche Schärfe war aus ihrer Stimme gewichen.

„Wie ich schon sagte, du trägst mein Kind aus. Ich finde, das gibt mir gewisse Rechte.“

„Es ist diese Art und das, was eben passiert ist, weshalb ich dir nichts von der Schwangerschaft sagen wollte. Du ziehst deinen Vorteil …“

„Aber du hast es mir gesagt“, unterbrach er sie. „Also, wir sehen uns um sieben. Es sei denn, du möchtest beenden, was mit diesem Kuss begonnen hat. Hier auf der Couch.“

Sie folgte seinem Blick zur breiten Ledercouch. Ihre Augen weiteten sich. Unbewusst legte sie einen Finger an ihre Unterlippe. Diese kleine Geste ließ seine Erregung noch um ein paar Grad ansteigen.

„Nein, natürlich nicht.“

Sie sah ihm in die Augen. Bei dem Verlangen, das sie darin wohl kaum übersehen konnte, fand sie es offenbar besser, die Flucht zu ergreifen, denn sie wandte sich zum Gehen.

Er begleitete sie zur Tür. „Pünktlich um sieben“, sagte er, ohne sie noch einmal zu berühren.

Den Wachmännern und seiner Sekretärin, die vor der Tür warteten, bedeutete er, Abby ungehindert ziehen lassen, und beobachtete den Schwung ihrer schmalen Hüften, während sie die Lobby durchquerte. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er musste unbedingt damit aufhören, sich nach dieser Frau zu verzehren, und sich stattdessen ein paar ernsthafte Gedanken über seine Situation machen. Wenn der Aufsichtsrat erfuhr, wer sie wirklich war, würde die Hölle losbrechen. Es war höchste Zeit, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Er schloss die Tür, trat an seinen Schreibtisch und drückte einen Knopf an der Sprechanlage. Als Miriam sich meldete, bat er sie, seine Termine am späten Nachmittag zu verschieben, damit er sich rechtzeitig auf den Weg machen konnte.

Danach setzte er sich hin und blickte für einen Moment ins Leere. Unwillkürlich kehrten seine Gedanken zu dem Tag zurück, als sein Bruder Connor in sein Büro gestürzt war. Er hatte seinen Hut auf den Tisch gelegt und daneben einige Fotos von ihrer schönen Nachbarin ausgebreitet. Darauf war zu sehen, wie sie eins ihrer Pferde ohne Sattel ritt.

„Ich bin ziemlich sicher, dass Abby eine von den vermissten Zwillingsschwestern ist.“ Connor wirkte sehr überzeugt. „Aber für den endgültigen Beweis brauchen wir einen DNA-Abgleich.“

„Abby?“

„Wir wissen es erst mit Sicherheit, wenn du mir eine Probe besorgst.“

„Wieso ich? Du bist doch hier der Sicherheitsspezialist.“

Es dauerte nicht lange, bis Connor ihn davon überzeugte, dass es ganz einfach sein würde. Er musste Abby nur zu einem Kaffee einladen und hinterher ihre Tasse an sich bringen.

Also rief er am Nachmittag in ihrem Büro an, um ein Treffen zu vereinbaren. Er erzählte ihrer Sekretärin, er sei Abbys Nachbar. Während des Gesprächs vertraute Kel ihm an, wohin Abby und sie an diesem Abend gehen würden. Deshalb tauchte er ebenfalls in der Bar auf, und die Dinge nahmen ihren Lauf.

Eine Woche nach der Nacht mit Abby meldete Connor sich und teilte ihm mit, dass der DNA-Test positiv war. Abby war tatsächlich eine der verschwundenen Erbinnen von Golden Spurs. Becky, die schon so lange vermisst wurde, war die andere.

Abigail Collins war daher die letzte Frau, mit der er hätte schlafen sollen. Wenn ihm nicht bald einfiel, wie er sich aus dieser Klemme befreien konnte, würde ihre Schwangerschaft ihn alles kosten, was er hatte.

3. KAPITEL

Leo saß vor seinem Computer, richtete die Webcam aus und bewegte die Maus sachte hin und her. Er glaubte fest an die Theorie, dass in heiklen Situationen Angriff die beste Verteidigung war.

Im Moment fiel ihm niemand anders ein, dem er in den Hintern treten konnte, als sein kleiner Bruder.

Ein paar Mausklicks später füllten Connors kantiges Gesicht und seine breiten Schultern den Bildschirm aus. Sie nickten sich zur Begrüßung kurz zu und sagten Hallo, dann lehnte Connor sich entspannt zurück und setzte sein vor allem bei den Frauen berühmt-berüchtigtes Lächeln auf. Ganz offensichtlich hatte Connor einen wesentlich besseren Tag als er.

„Wie kann ich dir helfen, großer Bruder?“

Connor wischte sich eine blonde Haarsträhne aus den blauen Augen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er Leo mit seinen Eskapaden mächtig in Atem gehalten. Er war nicht immer so gelassen und freundlich gewesen, wie es nun den Anschein hatte. Leos jüngerer Bruder hatte auch seine dunklen Seiten, die früher gelegentlich zum Vorschein getreten waren.

Nachdem Mike Ransom sie beide aus dem Haus geworfen hatte, war er es gewesen, der Connor erzogen hatte. Und er hatte sich mehr als einmal gezwungen gesehen, ihm aus einer üblen Patsche zu helfen. Erst durch einen schlimmen Zwischenfall und die darauf folgende Konfrontation mit der Polizei war Connor zu der Überzeugung gelangt, besser auf der richtigen Seite des Gesetzes zu bleiben. Er war zu den Marines gegangen und hatte in Afghanistan gedient. Dann hatte er geheiratet, war aber inzwischen verwitwet.

Leo kam gleich zur Sache. „Warum hast du eigentlich keine Spur von Becky Collins? Drehst du Däumchen, oder was ist los?“

Connor lockerte die Krawatte und rutschte auf seinem Ledersessel hin und her. Noch immer lag ihm sein charmantes Lächeln auf den Lippen. „Ich habe meinen besten Mann mit dem Fall beauftragt, aber bis jetzt haben wir nichts. Rein gar nichts. Es ist, als ob sich das Mädchen damals im El-Paso-Park in Luft aufgelöst hätte. Menschenskind, seit ich dir den Laborbericht geschickt habe, der die wahre Identität unserer schönen Nachbarin enthüllt, habe ich auf eine Nachricht von dir gewartet. Wie hat sie die Neuigkeiten aufgenommen?“

So viel zu dem Thema, meinem kleinen Bruder in den Hintern zu treten, dachte Leo resigniert. Jetzt hat er mich kalt erwischt.

„Ich habe es ihr nicht erzählt“, gestand er widerwillig. „Noch nicht.“

„Aber ich habe sie schon vor einer Ewigkeit aufgespürt. Und vor einer Woche habe ich dir den Bericht geschickt. Worauf wartest du?“

Obwohl Connor in seinem Büro in Houston saß und die Unterhaltung via Webcam stattfand, fühlte Leo seinen vorwurfsvollen Blick wie ein Brennen auf der Haut.

„Es ist kompliziert“, sagte er vage. Und es wird mit jedem Tag komplizierter, fügte er in Gedanken hinzu.

„Du warst ziemlich begeistert, als ich dir ihre Akte gab.“

„Stimmt, das war ich“, gab er zu.

„Und hast du nicht gesagt, du würdest ihr sofort die Wahrheit erzählen, wenn der DNA-Test positiv ausfällt?“

„Das hatte ich ja auch vor“, sagte Leo zögernd. Es widerstrebte ihm, durch seinen jüngeren Bruder einem solchen Verhör ausgesetzt zu sein. „Als ich sie in dieser Bar traf, war sie ziemlich deprimiert.“

„Ja, und?“

„Sie war sehr verletzlich und in einer äußerst merkwürdigen Stimmung. Es war alles irgendwie verrückt und wurde schnell persönlich.“

„Normalerweise trennst du das Geschäftliche strikt von Privatem.“

„Ich wünschte, das hätte ich in dieser Nacht auch getan.“

„Erzähl mir nicht, du hast mit ihr geschlafen“, sagte Connor fassungslos.

Leo schnitt eine Grimasse und blickte seinen Bruder schweigend an. Es war sinnlos, ihm etwas vormachen zu wollen.

Connors Lächeln verschwand wie weggewischt. Er beugte sich vor. „Das kann doch nicht wahr sein.“

„Sieh mal, es ist wirklich schwierig. Abby hat dem DNA-Test nicht zugestimmt. Zu allem Überfluss ist sie schwanger. Ich fahre heute Abend zu ihr, um über die ganze Sache zu reden.“

Connor stieß einen Pfiff aus. „Du hast sie geschwängert? Die lange vermisste Erbin von Golden Spurs, mit deren Auffindung du meine Agentur beauftragt hast? Wie wird der Aufsichtsrat darauf reagieren?“

„Positiv, wenn ich einen Weg finde, wie ich da heil herauskomme. Ich muss es nur möglichst gut verkaufen.“

„Leo! Mach es nicht komplizierter, als es schon ist. Nicht dieses Mal. Bleib einfach bei den Tatsachen.“

Leo gab keinen Ton von sich.

„Du solltest wirklich auf mich hören. Versuche doch wenigstens einmal, deinen Ehrgeiz in Grenzen zu halten. Erzähl ihr und dem Aufsichtsrat die Wahrheit. Es ist immerhin dein Kind. Mach nicht so eine Katastrophe daraus wie beim letzten Mal.“

Ich habe eine Katastrophe daraus gemacht? Weißt du nicht mehr, wie Mike Ransom und Cal uns beide aus dem Haus geworfen haben, als Nancy schwanger war? Und das vermutlich nur deshalb, weil sie auf die Ranch von Nancys Familie scharf waren. Und hast du vergessen, wie sie dann Nancy dazu überredeten, Cal zu heiraten anstatt mich, da er angeblich viel besser für das Baby sorgen konnte? Für die kleine Julie.“

Bei den letzten Worten war seine Stimme weich geworden. Er musste schlucken, als das Bild seiner dunkelhaarigen Tochter vor seinem geistigen Auge erschien. Julie hatte sich inzwischen zu einem hübschen Teenager entwickelt. Ein zierliches Mädchen, das er kaum kannte und das ihn hasste.

„Ich habe nichts vergessen“, sagte Connor. „Aber du willst doch wohl nicht, dass dir das Gleiche noch mal passiert. Sieh mal, ich weiß, was du durchgemacht hast. Und ich kenne diese Art von Situation. Es ist ein schrecklicher Fehler, in einer solchen Lage die Wahrheit zu verschweigen. Alles wird unüberschaubar und kompliziert, und am Ende verlierst du die Kontrolle darüber. Versprich mir, dass du bei den Tatsachen bleibst.“

„Ich habe nicht die Absicht, dir irgendetwas zu versprechen. Du weißt genau, dass meine Ehrlichkeit mir unglaubliche Probleme eingebracht hat. Ich habe alles verloren. Nancy, Julie und beinahe auch dich.“

„Es war nicht deine Schuld, dass ich nach Mutters Tod auf die schiefe Bahn geraten bin. Du warst selbst fast noch ein Kind und musstest die ganze Zeit arbeiten.“

„Trotzdem hätte ich mich besser um dich kümmern müssen. Und ich hätte nicht zulassen dürfen, dass Cal mein Kind adoptiert. Ich hätte härter darum kämpfen müssen, ein Teil ihres Lebens zu werden. Sie ist meine Tochter.“

„Du solltest die alten Geschichten vergessen. So wie ich.“

„Ich bin aber nicht du, kleiner Bruder. Wenn Ransom mich nicht rausgeworfen und mir das Studiengeld gestrichen hätte, wäre alles anders gekommen. Nancy hätte mich bestimmt nicht wegen Cal verlassen. Ich kann das einfach nicht vergessen.“

„Um Himmels willen, Leo. Du schwimmst in Geld und Erfolg, und trotzdem willst du dich noch an diesem klapprigen alten Mann rächen?“

„Das ist ein komischer Zufall. Mike Ransom war heute in meinem Büro. Ich hatte diesen Bastard schon in der Hand, doch anstatt ihn zu zerquetschen, habe ich ihn laufen lassen.“

„Freut mich zu hören, dass du Nachsicht gezeigt hast. Schließlich ist er der einzige Großvater, den Julie hat.“

„Ganz so war es nicht. Er ist nur davongekommen, weil Abby plötzlich auftauchte. Sie sah krank und verstört aus. Ich war gerade dabei, echtes Mitgefühl für sie zu entwickeln, da fing sie an, aus allen Rohren zu schießen.“

„Gottes Wege sind unerforschlich, er hat einen Plan. Warum ist sie wohl genau in diesem Moment aufgetaucht? Und noch dazu schwanger? Dadurch hast du die Möglichkeit, gründlich über alles nachzudenken. Du solltest dir vor Augen führen, was du inzwischen erreicht hast. Eigentlich kannst du dich sehr glücklich schätzen. Und du solltest dir die Frage stellen, ob du dich wirklich an Mike Ransom rächen willst. Er hat einen Fehler gemacht, ja, doch das ist lange her. Er war uns gegenüber hart und ungerecht, aber hast du nie einen Fehler begangen? Heute ist er ein alter Mann, seine Frau ist sehr krank, die Ranch ist seit Generationen in der Familie. Falls du ihm etwas antust, triffst du damit genauso Julie.“

„Ich habe jetzt genug von dieser Unterhaltung“, sagte Leo brüsk.

„Denk bitte einfach nur darüber nach. Ransom hat reichlich Probleme am Hals, selbst wenn du ihn in Ruhe lässt. Das Leben sorgt oft schon allein für ausgleichende Gerechtigkeit. Ich finde, Ransom zahlt auch ohne deine Hilfe angemessen für seine Sünden, und solltest du Abigail dafür benutzen, deinen Ehrgeiz zu befriedigen, wirst du es eines Tages bereuen.“

Mit diesen eindringlichen Worten verabschiedete Connor sich. Leo fuhr den Computer herunter, und der Monitor wurde dunkel. Für einen Moment saß er nur da und betrachtete sein Spiegelbild auf der schwarzen Fläche, dann strich er sich mit beiden Händen durchs Haar, stand auf und ging an die kleine Bar, die er in seinem Büro hatte. Er schenkte sich einen doppelten Scotch ein, legte den Kopf zurück und stürzte den Inhalt des Glases in einem Schluck hinunter.

Es gehörte nicht zu seinen Gewohnheiten, tagsüber Alkohol zu trinken, und schon gar nicht im Büro. Der Scotch brannte im Mund und in der Kehle. Leo setzte sich auf den Bürosessel und wartete darauf, dass der Drink den Schmerz linderte. Als das nicht geschah, warf er einen Blick auf die Flasche mit der verlockenden bernsteingelben Flüssigkeit. Sollte er sich noch einen genehmigen?

Nein, auf keinen Fall. Diesen Weg war schon einmal gegangen, und der hatte nirgendwo hingeführt. Es war besser, sich dem Schmerz und den Problemen zu stellen und die Dinge und vor allem sich selbst unter Kontrolle zu behalten.

Er öffnete eine Schreibtischschublade und zog einen Aktendeckel mit Abigails Namen darauf heraus. Vor sechs Wochen hatte Connor ihm diese Akte triumphierend lächelnd auf den Tisch gelegt. Er schlug sie auf und blätterte durch Fotos und Papiere.

Die mit einer hochempfindlichen Kamera aufgenommenen Bilder zeigten Abby auf ihrer Fuchsstute. Der Laborbericht war ebenfalls dabei. Wie er Connor erklärt hatte, war es ein merkwürdiger Zufall, dass die Ranch der Golden-Spurs-Erbin direkt neben ihrer eigenen lag.

„Das ist weit mehr als ein Zufall“, hatte sein Bruder geantwortet. Er hatte erst kürzlich seinen Glauben an Gott und eine tiefe Religiosität entdeckt. „Das grenzt an ein Wunder. Gott hat bestimmt einen Plan.“

„Ich glaube weder an Wunder noch an Pläne eines übergeordneten Wesens“, hatte Leo trocken entgegnet.

„Irgendwann wirst du es tun. Vielleicht früher, als du denkst.“

Leo trat an das Wandregal und nahm ein gerahmtes Foto von Julie zur Hand. Sie hatte schwarzes Haar und dunkle Augen. Wie üblich hatte er sie auch zu ihrem letzten Geburtstag angerufen, aber sie hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen. Nancy hatte ihm berichtet, dass seine Tochter ihm von Tag zu Tag ähnlicher sah.

Julie war nun ein Teenager. Fast so alt, wie er selbst gewesen war, als Nancy schwanger wurde. Sie hielt nichts von der Schule und wollte nicht aufs College gehen. Ihr lag eigentlich nur daran, möglichst viel Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Unglücklicherweise gehörten ein paar ziemlich fragwürdige Gestalten zu ihrem Freundeskreis. Sie redete unablässig davon, sich tätowieren zu lassen, und hatte gewagte Piercings im Sinn. Ihre Outfits saßen immer zu knapp, und sie trug viel zu viel Make-up. Er hatte schon Bardamen in Nachtlokalen gesehen, die dezenter geschminkt waren.

Nancy hatte ihm erklärt, dass Julie das nur tat, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Cal behauptete, es läge daran, dass das Mädchen sich von ihrem biologischen Vater vernachlässigt fühlte, doch was konnte er unternehmen, wenn seine Tochter nicht einmal mit ihm telefonieren wollte?

Er hatte in Julies Leben nie eine große Rolle gespielt. In vielerlei Hinsicht war eigentlich Cal ihr Vater. Jetzt war sie fast erwachsen, und er bedauerte es zutiefst, dass sie ihm gänzlich entglitten war.

Unwillkürlich tauchte ein quälender Gedanke auf. Wie weit war er bereit zu gehen, um zu verhindern, dass dies noch einmal geschah? Mit seinem zweiten Kind?

Den ganzen verdammten Weg, sagte er sich. Er würde tun, was immer nötig war. Was es auch kosten mochte.

Nur noch eine Minute, dachte Abby, während sie die Sonne betrachtete, die tief am Himmel stand. Die alten Eichen und Pinien warfen geheimnisvolle Schatten auf die Wiese, ganz in ihrer Nähe grasten friedlich die Pferde. Die stille Abendstimmung lullte sie ein und lenkte sie von ihrem bevorstehenden Treffen mit Leo ab.

Der Zeitpunkt rückte immer näher. Es musste schon fast sieben Uhr sein. Sie wusste genau, dass sie von der steinernen Bank aufstehen und ins Haus gehen sollte, um ihn dort zu erwarten, doch sie fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen. Außerdem war sie müde und erschöpft. Es tat einfach gut, die Natur auf sich wirken zu lassen.

Leo war allerdings nicht gerade berühmt für seine Geduld. Es würde die ganze Sache nur verschlimmern, wenn sie ihn warten ließe, aber sie konnte sich nicht dazu aufraffen aufzustehen. Eine warme Brise strich ihr übers Gesicht wie eine zärtliche Berührung. Ihr Körper fühlte sich schwer und bleiern an. Es war eine Wohltat, auf der Bank zu liegen und den kühlen Stein zur spüren. Also blieb sie, wo sie war. Sie hatte es gründlich satt, vernünftig zu sein. Stattdessen genoss sie einfach den friedvollen lauen Sommerabend.

Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Dies war der erste Moment, den sie ganz für sich hatte. Ihr Blick ging zur Krone der mächtigen Eiche, in deren Schatten sie lag. Es war ein wundervoller Baum, und er wirkte aus dieser Perspektive noch imposanter. Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken zurück in ihre Kindheit, und sie erinnerte sich daran, wie gern Becky und sie auf Bäume geklettert waren.

Sie vergaß Leo völlig und versank in die Betrachtung der sich im Wind sacht bewegenden Blätter der Eiche und der Lichtreflexe, die die untergehende Sonne ihnen entlockte. Der Himmel war tiefblau und wolkenlos, die Welt groß und das Universum unermesslich.

Wie belanglos schien dagegen ihr kleines Problem mit der ungewollten Schwangerschaft. Dankbar sinnierte Abby darüber, wie ein Aufenthalt in der Natur die Dinge ins rechte Lot rücken konnte. Sie war so entspannt wie schon lange nicht mehr.

Jedenfalls bis zu dem Moment, als sie Leos tiefe Stimme hörte.

„Abby! Abby!“

Sie sprang auf die Füße und wischte sich ein Blatt aus dem Haar. „Hier drüben!“

Er kam auf sie zu und musterte sie eindringlich. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er bemerkte, dass sie um die Taille bereits ein wenig breiter geworden war.

Deutlich erinnerte sie sich daran, wie sie auf seinem Esstisch gestanden und sich zum Rhythmus von „Wild Thing“ in aufreizender Art und Weise entblättert hatte. Er war jeder ihrer Bewegungen mit seinen Blicken aus gold gefleckten Augen gefolgt. Die Faszination, die sie auf ihn ausgeübt hatte, und sein unverhohlenes Verlangen hatten ihr das Gefühl gegeben, sexy und begehrenswert zu sein. Selten zuvor war sie sich ihrer Weiblichkeit und ihrer Macht so bewusst gewesen.

Als sie völlig nackt war, hatte er die Hände um ihre Taille gelegt und sie behutsam in seine Arme gezogen. Für eine ganze Weile hatte er sie einfach nur festgehalten, dann hatte er sie aufs Haar geküsst und sie langsam auf den Tisch gedrückt. Als er ihren Körper mit den Lippen erkundete, hatte sie das Gefühl gehabt, in Flammen zu stehen.

Sie wollte leidenschaftlichen Sex, um ihren Kummer zu vergessen. Er wollte mehr. Und das jagte ihr Angst ein.

Denk nicht an diese Nacht, befahl sie sich. Du darfst ihn nie wieder so nah an dich herankommen lassen.

Er war sehr groß, sie schätzte ihn auf knapp eins neunzig. Sein Gesicht war das eines Mannes, der sich viel im Freien aufhielt, wettergegerbt und gebräunt. Sie wusste, dass er auf seiner Ranch oft schwere körperliche Arbeit verrichtete. Manchmal, wenn sie ihre Zäune abfuhr, um sich um nötige Reparaturen zu kümmern, sah sie Leo bei irgendeiner schweißtreibenden Tätigkeit. Dann verspürte sie einen Anflug von Neid und Sehnsucht. Es musste schön sein, einen Mann zu haben, der sich um solche Dinge kümmerte.

Seine Züge waren markant, die Augen braun und das Haar fast schwarz. Er war ein attraktiver Typ, das konnte sie nicht abstreiten. Vermutlich war er zu Hause gewesen, bevor er zu ihr gekommen war, denn er trug statt des Anzugs eine verwaschene Jeans und ein blaues Arbeitshemd. Die Ärmel hatte er hochgerollt, und der Kragen stand offen. Abby riskierte einen Blick auf seine muskulösen Unterarme und die bronzefarbene Haut am Halsansatz.

Sie wünschte, sie hätte sich ebenfalls umgezogen, aber sie war zu müde gewesen, um mehr zu tun, als den Blazer abzulegen.

Angesichts der maskulinen Kraft, die er ausstrahlte, kam sie sich plötzlich schwach und zerbrechlich vor. Sie musste sich erst wieder ins Gedächtnis rufen, dass Leo trotz seines guten Aussehens nichts anderes war als ein langweiliger Karrieretyp.

„Ich habe dein Auto gesehen und an der Haustür geklopft. Als du nicht geantwortet hast, bin ich zur Hintertür gegangen. Sie stand offen. Auf meine Rufe kam keine Reaktion, da habe ich mir Sorgen gemacht und bin hineingegangen. Tut mir leid.“ Er brach ab und schluckte trocken. „Aber jetzt habe ich dich ja gefunden. Ich bin froh, dass alles in Ordnung ist.“

Es schmeichelte ihr, dass er sich ihretwegen sorgte, obwohl das albern war, denn eigentlich lag ihr ja nichts an ihm. Im Gegenteil. Je weniger sie ihm bedeutete, desto besser.

„Hast du schon gegessen?“, fragte er.

Männer, dachte Abby halb amüsiert, halb verächtlich. Es geht ihnen immer nur um zwei Dinge. Sex oder Essen.

Sie schüttelte den Kopf.

„Wir könnten in die Stadt fahren.“

„Ich war heute ziemlich viel unterwegs und bin sehr müde. Vielleicht reden wir nur einfach. Und dann kannst du wieder gehen.“

Autor

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