Collection Baccara Band 379

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SO ZÄRTLICH NIMMST DU MICH GEFANGEN von BOURNE, PHYLLIS
Wie konnte das nur passieren? Erst verliert Lola ihren Job, und dann landet sie mitten in der Einöde unschuldig im Gefängnis! Zum Glück ist wenigstens Sheriff Dylan Cooper äußerst attraktiv - und versüßt ihr die Stunden hinter Gittern auf seine ganz eigene Art …

BERAUSCHT VON DIESER EINEN NACHT von BEVARLY, ELIZABETH
Sie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf! Dabei hat Harrison schon oft Mädchen wie Gracie getroffen - und meist wollten sie nur eines: sein Geld. Dennoch bezaubert sie den Millionär. Er träumt von heißen Nächten mit Gracie - wenn er nur wüsste, ob er ihr wirklich vertrauen kann …

OFT BERÜHRT, SINNLICH VERFÜHRT von WHITEFEATHER, SHERI
Diese Augen, die sexy Kurven, das Lachen, das er so gut kennt - Dakota könnte Kathys Verlockungen sofort wieder erliegen. Doch er muss sich beherrschen: Vor drei Jahren hat sie ihn eiskalt einfach im Stich gelassen - das darf ihm nicht noch einmal passieren …


  • Erscheinungstag 25.04.2017
  • Bandnummer 0379
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724092
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Phyllis Bourne, Elizabeth Bevarly, Sheri WhiteFeather

COLLECTION BACCARA BAND 379

PHYLLIS BOURNE

So zärtlich nimmst du mich gefangen

Wie ein Hurrikan wirbelt sie in sein Leben: Lola, ein ehemaliges Top-Model, verirrt sich in sein kleines Dorf – und benimmt sich wie eine Großstadt-Diva. Dennoch ist Sheriff Dylan Cooper auf den ersten Blick fasziniert von Lola – und als sie abreist, wünscht er sich nur eines: Sie soll ihn immer wieder so heiß küssen wie in der letzten Nacht …

ELIZABETH BEVARLY

Berauscht von dieser einen Nacht

Was für ein unfreundlicher Kerl – aber gleichzeitig so anziehend und geradezu unglaublich erregend! Gracie kann nicht fassen, dass Harrison Sage der Sohn ihres gerade verstorbenen Nachbarn ist. Und ihr tatsächlich vorwirft, eine Erbschleicherin zu sein! Wie nur kann sie ihn davon überzeugen, dass sie an ihm interessiert ist – und nicht an seinem Geld?

SHERI WHITEFEATHER

Oft berührt, sinnlich verführt

In seinem Leben spielte sie nie die Hauptrolle: Für ihren Mann Dakota Lewis zählte die Arbeit mehr als seine Ehefrau. Schweren Herzens musste Kathy ihn verlassen, auch wenn sie Dakota bis heute liebt. Jetzt steht er wieder vor ihr – und sie sehnt sich immer noch nach seinen atemberaubenden Berührungen. Aber sie fürchtet, dass er sich nicht geändert hat …

1. KAPITEL

„Verdammter …“

Lola Gray verstummte, als sie den tadelnden Blick ihres Vaters bemerkte. Doch ihre Wut blieb. Sie musterte die Mitglieder ihrer Familie, die sich im Konferenzraum von Espresso Cosmetics versammelt hatten.

„Beruhige dich, Kleines“, warnte Cole Sinclair sie in strengem Ton. Er war ihr Stiefbruder und gleichzeitig der Chef des Unternehmens.

„Ich soll mich beruhigen?“, fragte Lola ungläubig. Sie sprang von ihrem Sessel auf und schleuderte ein Porträtfoto des Models, das sie ersetzen sollte, über den Konferenztisch. „Wie würdest du dich fühlen, wenn du deinen Job an eine Dragqueen verlieren würdest?“

„Diese Dragqueen wäre um ein Haar deine neue Stiefmutter geworden“, warf Loretta Walker, die langjährige Chefsekretärin von Espresso, mit Grabesstimme ein.

„Wie oft willst du das noch aufs Tapet bringen?“, seufzte Lolas Vater.

„Solange ich lebe“, erwiderte Loretta scharf.

„Es war ein bedauerlicher Irrtum“, murmelte Lolas Vater. „Der Typ sah aus wie eine Frau, und zwar wie eine sehr attraktive.“

Lola konnte nur den Kopf schütteln. Unglaublich.

Als sie heute Morgen das Espresso-Gebäude betreten hatte, war sie davon ausgegangen, dass sie über die neuesten Entwicklungen des Familienunternehmens und über ihre anstehende Fotokampagne in China für die neue Lippenstiftkollektion diskutieren würden. Stattdessen hatte ihre Familie ihr so ganz nebenbei eröffnet, dass sie als Gesicht für Espresso aus dem Rennen war.

Und dann hatten ihre Geschwister und ihr Vater einfach das Thema gewechselt.

„Ist er nicht hinreißend?“ Lolas ältere Schwester Tia Wright-Gray nahm das über den Tisch geschleuderte Foto in die Hand. „Das war mit Abstand die größte Herausforderung bei einem Umstyling, die ich je hatte. Freddy Finch ist eine unglaubliche Frau … äh, ich meine, ein unglaublicher Mann … also …“

Ethan Wright, ihr Ehemann und inzwischen Anwalt von Espresso, tätschelte die Hand seiner Frau. „Wir wissen, was du meinst, Liebling, und du hast in der Tat fantastische Arbeit geleistet.“ Er wandte sich an seinen Schwiegervater. „Du musst immer auf den Hals achten.“

Cole nickte zustimmend. „Denn wenn die Kehle einen gut sichtbaren Adamsapfel aufweist, dann ist sie vermutlich ein Er.“

Lautes Gelächter erscholl am Tisch. Erstaunt blickte Lola in die Runde. Das sollte ein Geschäftstreffen sein?

Wie konnten sie alle ihre Späßchen machen, nachdem sie ihre Bombe hatten platzen lassen?

„Haltet den Mund!“, schrie sie erbost und stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften. „Alle!“

Sofort wurde es mucksmäuschenstill, und alle Blicke richteten sich auf sie. Endlich. Sie würde jetzt ein für alle Mal klarstellen, dass sie nicht kampflos zusehen würde, wie man ihr den Job wegnahm.

„Als Familienmitglied und Miteigentümerin von Espresso Cosmetics habe ich in dieser Sache wohl auch ein Wörtchen mitzureden“, begann sie.

„Du hast mir deine Stimmrechte übertragen“, erinnerte Cole sie. Wieder lag in seinem beiläufigen Tonfall eine gewisse Schärfe.

„Das galt aber nur für längere Auslandsaufenthalte. Jetzt bin ich jedoch zurück. Und ich kann wieder für mich selbst reden, vielen Dank. Wir müssen also neu abstimmen.“

Lola sandte Coles frischgebackener Ehefrau Sage einen flehenden Blick zu. Die Kosmetikfirma ihrer Schwägerin hatte vor kurzem mit Espresso Cosmetics fusioniert, und Sage hatte eine durchaus rebellische Ader. Wenn sie Sage also auf ihre Seite brachte und ihren Vater dazu überreden konnte, seine Meinung zu ändern, dann musste Cole seine Entscheidung zurücknehmen.

Sage blickte ihren Ehemann an, und Cole zwinkerte zurück. Lola sah ihre Hoffnungen schwinden. Sage war offensichtlich bis über beide Ohren in ihren Mann verliebt. Wie erwartet schüttelte ihre Schwägerin den Kopf und formte das Wort „Nein“ mit den Lippen.

Cole räusperte sich. „Selbst wenn wir nach Anteilen abgestimmt hätten, würde es nicht ausreichen, meine Entscheidung außer Kraft zu setzen“, sagte er. „Es bleibt dabei. Mr. Freddy Finch ist das neue Gesicht von Espresso Cosmetics. Die Öffentlichkeit wird im kommenden Monat davon in Kenntnis gesetzt. Er wird für die Fotokampagne der Lippenstift-Sonderedition nach Hongkong reisen.“

„Das war also bereits abgemachte Sache, ehe ich die Firma betrat“, flüsterte Lola mehr zu sich als zu den anderen. „Ich hatte nie eine Chance.“

Sie blickte zu ihrem Vater, ihren Geschwistern und deren Ehepartnern. Dies war ihre Familie, die ihr eigentlich den Rücken stärken sollte.

„Ich habe einen Vertrag. Ich werde vor Gericht gehen.“

„Das wäre nicht klug“, sagte Ethan und klang dabei mehr wie der Anwalt, der er war, als ihr Schwager.

Cole stieß einen Seufzer aus. „Das wäre jetzt hoffentlich geklärt.“ Und an seine Sekretärin gewandt: „Was steht als Nächstes auf der Tagesordnung?“

„Gar nichts ist geklärt“, brach es aus Lola heraus, die vergeblich versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. „Das … das ist“, stammelte sie und suchte nach den richtigen Worten. „Das ist Mist!“

„Lola!“, rügte ihr Vater sie.

Doch es stand zu viel für sie auf dem Spiel, um klein beizugeben.

„Du hast mir beigebracht, die Dinge beim Namen zu nennen, und genau das werde ich tun“, sagte sie zu ihrem Vater und blickte sich dann im Raum um.

„Ich habe jahrelang mein Gesicht hingehalten, während diese Firma eine fade Kollektion nach der anderen produzierte und sich damit den Ruf erwarb, Make-up für alte Damen herzustellen“, argumentierte Lola. Denn sie war es, die für Espressos Senioren-Image in der Öffentlichkeit stand, nicht ihr Vater, ihre Geschwister oder deren Ehepartner. „Und jetzt, wo wir endlich ein Comeback mit frischen Farben und aufregenden Produkten feiern, wollt ihr mich für einen Mann mit einer Perücke aus dem Rennen werfen!“

Lola nahm ihren Bruder ins Visier und zeigte mit einer manikürten Fingerspitze auf ihn. „Wenn das nicht absoluter Mist ist, dann sag mir, wie du es nennst.“

Cole zog eine Augenbraue in die Höhe. „Da du kein Problem damit hast, die Dinge beim Namen zu nennen, werde ich genauso verfahren.“ Seine Augen wurden schmal, während er sich zurücklehnte. „Fangen wir einmal mit deinem plötzlichen Interesse für deinen Job an. Wo war es, als Tia dich im vergangenen Jahr persönlich zum Flughafen eskortieren musste, weil du beinahe ein Fotoshooting platzen lassen hast?“

Noch ehe Lola auf diese Frage antworten konnte, feuerte er bereits die nächste Salve ab. „Weißt du eigentlich, was es Espresso gekostet hat, diesen Fotografen zu besänftigen, weil er warten musste?“

Noch bevor sie den Mund öffnete, wusste sie, dass Cole sie nicht verstehen würde. Ihre Schwester hatte sie auch nicht verstanden. „Der Verlobte meiner besten Freundin hatte eine Woche vor der Hochzeit mit ihr Schluss gemacht. Britt war völlig außer sich. Wie hätte ich wegfliegen können, als sie mich am meisten brauchte?“

„Ganz einfach“, erwiderte Cole ebenso ungerührt wie ihre Schwester damals. „Du hättest ihr ein Päckchen Taschentücher geben und dich dann um deinen Job kümmern können.“

Lola schloss kurz die Augen. Wie kaltherzig ihre älteren Geschwister doch waren.

Doch Cole war noch nicht fertig. „Nach jenem Vorfall im Hotel, aus dem man dich nach einer wilden Party hinauswarf, bat ich dich darum, dich künftig aus Unannehmlichkeiten herauszuhalten. Doch du machtest gleich wieder Schlagzeilen. Was war es diesmal?“ Er wandte sich an seine Sekretärin, die ihn nur allzu gern mit Informationen versorgte. „Ein Flugzeug auf dem Weg von Nashville nach Los Angeles musste in Denver zwischenlanden, wo Lola wegen eines angeblichen Angriffs auf einen anderen Passagier abgeführt wurde.“

„A…aber …“, begann Lola.

Wieder ließ Cole sie nicht zu Wort kommen. „Weißt du eigentlich, wie peinlich das für Espresso war? Handy-Videos von dir, umringt von Sicherheitsleuten, haben sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Du hast damit dem Ruf von Espresso massiv geschadet.“

Lola verdrehte die Augen. Sie wusste selbst, dass im Internet ein wahrer Shitstorm gegen sie lief.

Und natürlich gab es keine Videoaufnahmen davon, wie der flegelhafte Passagier in der Reihe hinter ihr seine nackten Füße auf die Rücklehne – und den Kopf – des älteren Herrn neben ihr gelegt hatte.

Sie stieß den Atem aus. Auch wenn Cole ihr das nicht glaubte, hatte sie seine Warnung sehr wohl ernst genommen. Sie hatte ernsthaft versucht, sich nicht einzumischen, denn noch mehr Ärger konnte sie wahrlich nicht gebrauchen.

Anfangs hatte sie ihre Finger in die Armlehnen gekrallt, als der Flegel hinter ihr die Anweisungen der Stewardess ignoriert hatte. Es geht dich nichts an, hatte sie sich immer wieder wie ein Mantra vorgesagt.

Doch als alle höflichen Bitten ihres Sitznachbarn nur mit höhnischem Gelächter quittiert wurden, hatte sie nicht mehr an sich halten können. Sie war aufgesprungen und hatte unter dem Applaus der anderen Passagiere die Füße ihres Hintermanns mit Schwung von der Kopflehne des netten Gentlemans neben ihr geschoben.

Unglücklicherweise hatte der Flegel in diesem Moment ihr Gesicht erkannt, vor Schmerz aufgeschrien und sich zusammengekrümmt.

Das Ende vom Lied war gewesen, dass sie beide aus dem Flugzeug eskortiert wurden. Sie von Sicherheitsleuten flankiert, während der Flegel, der behauptete, sie hätte besinnungslos auf ihn eingeschlagen, in einem Rollstuhl davongeschoben wurde.

„Dein Verhalten war einfach inakzeptabel“, sagte Cole.

„Aber das war ein Irrtum“, rechtfertigte sich Lola. Als die Sicherheitsleute des Flughafens die Wahrheit herausgefunden hatten, hatte man sich bei ihr entschuldigt, doch da waren die Handy-Videos längst online gewesen. „Ich wollte nur einem anderen Passagier helfen.“

Tia schüttelte den Kopf. Lola sah, wie ihr Vater versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, und ihr Schwager warf heimlich einen Blick auf seine Uhr.

„Du hast dich damit selbst aus der Rolle der Repräsentantin von Espresso geworfen“, sagte Cole.

„Jeder von euch hätte in dieser Situation genauso reagiert wie ich“, verteidigte sich Lola.

Cole fuhr sich mit einer Hand über das kurzgeschnittene Haar. Er erwiderte ihren Blick − und Lola glaubte schon, zu ihm durchgedrungen zu sein.

„Mein Entschluss steht fest“, sagte er schließlich.

„A…aber …“

„Das Thema ist beendet.“

„Und was mache ich jetzt?“ Lola konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken, während sie von einem zum anderen blickte. „Wollt ihr mich auch noch aus der Familie ausschließen?“

„Natürlich nicht, Liebes.“ Die harte Miene ihres Vaters wurde weicher.

„Das weißt du doch“, sagte Tia.

„Wirklich?“, fragte Lola.

Cole räusperte sich. „Wir haben das doch alles längst besprochen“, sagte er und wandte sich mit seinen Worten an Tia und ihren Vater. „Lola ist kein kleines Kind mehr, sondern eine fünfundzwanzigjährige Frau“, fuhr er fort, als sei sie gar nicht anwesend. „Und diese Situationen, unglücklichen Zufälle, oder wie immer man die chaotischen Zustände nennen mag, in die sie durch ihre Impulsivität gerät, sind schlecht für das Geschäft.“

Während Lola die Runde am Konferenztisch musterte, dämmerte es ihr. Sie war ihnen im Weg.

„Oh, jetzt verstehe ich.“ Sie hatten sich gegen sie verbündet, dachte Lola. „Ich bin anscheinend das fünfte Rad am Wagen. In dieser Familie und auch in dieser Firma.“

Ihr Bruder sah sie genervt an. „Wir haben wirklich dringende geschäftliche Dinge zu besprechen“, sagte er. „Also setz dich wieder hin, und hör auf, uns mit diesen lächerlichen Anschuldigungen von der Arbeit abzuhalten.“

„L…lächerlich?“, stammelte sie.

Ohne auf ihren Protest einzugehen, gab Cole seiner Sekretärin ein Zeichen, die den nächsten Punkt auf der Tagesordnung vorlas.

Eine Diskussion über die Zukunft des in die Jahre gekommenen Espresso-Gebäudes entspann sich. Lola stand wie zur Salzsäule erstarrt da und konnte es nicht fassen, wie ihre Familie mit ihr umging. Sie hatten ihre Karriere schlichtweg beendet.

Lola wusste nicht, wie lange sie so dastand, als Cole sie ansprach.

„Willst du jetzt weiter wie ein Mannequin in Positur stehen, oder hilfst du uns freundlicherweise bei der Strategie für die kommenden Kampagnen deines Nachfolgers?“

Nach allem, was vorgefallen war, besaß ihr Bruder die Frechheit, sie auch noch um Hilfe zu bitten. Sie wollte schon den Mund öffnen, um ihm zu sagen, dass sie nicht im Traum daran dachte.

Antworte nicht voreilig.

Ihre innere Stimme ließ Lola zögern.

Wie sollte sie mit der Demütigung umgehen, durch eine Dragqueen ersetzt zu werden?

Schluck deinen Stolz hinunter, und nimm das Angebot an!

„Wir alle möchten deine Gedanken dazu hören“, sagte ihre Schwester aufmunternd.

Mit aller Macht versuchte Lola, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken. „Ich … ich …“, begann sie.

„Nun?“, fragte Cole. „Als ehemaliges Model für Espresso hast du doch sicher einige vernünftige Vorschläge.“

Lola starrte ihren Bruder an. Sie schaffte es einfach nicht.

„Lola …“, begann ihr Bruder, doch diesmal war sie es, die ihn unterbrach.

„Vergiss es einfach.“

Ohne einen weiteren Gedanken an die Konsequenzen nahm sie ihre pinkfarbene Ledertasche vom Tisch und ging auf die offene Tür des Konferenzraums zu. Auf der Schwelle hielt sie kurz inne und blickte über die Schulter zurück.

„Mich zu feuern war ein großer Fehler“, sagte sie. „Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, dass wir eine Familie sind, wenn ihr alle angekrochen kommt, damit ich diese Firma und eure Hintern rette.“

Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, ging den Flur hinunter zu den Aufzügen und schwelgte im Gedanken an ihre verblüfften Gesichter.

Sie drückte auf den Knopf nach unten und warf das Haar zurück. Espresso war nicht die einzige Kosmetikfirma der Welt, sagte sie sich. Sie würde jede Menge Angebote von der Konkurrenz bekommen, sobald die Nachricht von ihrem Ausscheiden bei Espresso die Runde gemacht hatte.

„Moment, bitte!“, rief eine männliche Stimme, als sie in den Fahrstuhl stieg.

Na, das hatte nicht lange gedauert, dachte Lola und presste die Lippen zusammen, um ein Grinsen zu unterdrücken. In der Erwartung, eines der männlichen Familienmitglieder zu sehen, drehte sie sich triumphierend um. Doch es war nur einer der Hausmeister mit einer Leiter.

„Danke, Miss Gray.“

Auf dem Weg nach unten in die Lobby überlegte sie, ob sie jemals einen Job angeboten bekäme, der so gut war wie der, den sie eben ausgeschlagen hatte.

Tatsächlich war sie bisher nur bei ein paar Modenschauen während der New York und der European Fashion Week gelaufen. Das Marktsegment für ihr Gesicht war ziemlich klein.

Der Fahrstuhl kam unten an.

„Bis bald, Miss Gray“, rief der Hausmeister.

Lola setzte einen Fuß vor den anderen auf ihrem Weg zum Ausgang, als sie plötzlich durch eines der großen Lobbyfenster einen Mann sah, den sie kannte.

Er stand vor dem Parkhaus gegenüber und war Kameramann für die Reality-Show Promis reingelegt. Er war in ein Gespräch mit einem Typen in einem Clownkostüm vertieft.

Lola unterdrückte einen Fluch. Sie waren schon seit dem Vorfall im Flugzeug hinter ihr her. Am liebsten wäre sie geradewegs auf die beiden zugesteuert und hätte dem einen die rote Nase heruntergezogen und …

„Nein, das machst du nicht“, murmelte Lola vor sich hin. Sie beobachtete die Männer durch die Lobbyfenster und überlegte, ob sie einen der Espresso-Sicherheitsleute bitten sollte, sie zu ihrem Auto im Parkhaus zu bringen.

In diesem Moment klingelte ihr Handy, und sie nahm ihre Designer-Handtasche von der Schulter. Sie wühlte darin herum und fand alles Mögliche, nur ihr Handy nicht. Als sie es dann endlich in der Hand hielt, hatte es aufgehört zu klingeln. Sie wischte mit dem Finger über das Display und rief die Mailbox auf.

Ihre Agentin Jill bat sie nur dringend um einen Rückruf. Sonst nichts.

„Lola, Honey“, tönte Jills Stimme wenige Augenblicke später begeistert durch das Telefon.

Dieser zuckersüße Tonfall, der vor falscher Fröhlichkeit triefte, konnte nur eines bedeuten. Ein weiteres Angebot für irgendeine Werbung, die sich an die Nationale Seniorenvereinigung richtete.

„Du glaubst nicht, wer eben angerufen hat. Sie wollen dich für …“

„Nein“, unterbrach Lola sie. Normalerweise hätte sie ihre Agentin ausreden lassen und dann höflich abgelehnt, aber nach allem, was heute vorgefallen war, war sie dazu einfach nicht in der Lage.

„Aber du weißt doch gar nicht, um was für einen Job es sich handelt …“

Lola klopfte mit einer Fußspitze ungeduldig auf den Boden. Espressos Senioren-Image haftete an ihr − und niemand schien darüber nachzudenken, dass sie erst Mitte zwanzig war.

„Ich dachte, wir hätten das geklärt. Ich bin nicht daran interessiert, für Haftcreme oder barrierefreie Badewannen zu werben oder Aufnahmen zu machen, bei denen ich mich idiotisch grinsend an einen Sugardaddy schmiege, der eine kleine blaue Pille eingeworfen hat.“

„Ich verspreche dir, dies hier ist völlig anders und eine fantastische Gelegenheit. Absolut perfekt für dich“, beharrte Jill.

„Das kommt mir sehr bekannt vor“, knurrte Lola.

„Bitte, hör mir zu!“

Lola zuckte mit den Schultern. Zurzeit hatte sie nichts zu verlieren. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Also gut, schieß los.“

Ihre Agentin erklärte ihr alle Einzelheiten, und Lolas Grinsen wurde immer breiter. Wenn sie es richtig anfing, dann war dies nicht nur ein Job, sondern die Chance ihres Lebens!

Sie beendete das Gespräch und steckte das Handy in ihre Tasche zurück.

Dann stieß sie eine Faust in die Luft und flüsterte die Worte vor sich hin, die sie am liebsten so laut ausgerufen hätte, dass ihre Familie im zehnten Stock sie hören konnte.

„Ich bin wieder da!“

Nichts konnte sie nun mehr umwerfen, dachte Lola. Auch nicht die Tatsache, dass der Hausmeister das riesige Poster von ihr, das seit Jahren in der Lobby hing, herunternahm und durch das eines Mannes mit einer Perücke und Schminke ersetzte.

2. KAPITEL

Polizeichef Dylan Cooper hatte seit seiner Scheidung keine so unbeeindruckten Gesichter mehr gesehen.

„Ich habe gestern Abend zehn Übeltäter ins Gefängnis gebracht“, rief eine Stimme von hinten. „Ich musste nicht einmal Verstärkung rufen.“

„Ist das alles?“ Die Frage wurde von einem Schnauben unterstrichen. „Ich hatte in dieser Woche mehr als fünfzig Festnahmen, einschließlich Big Moe von ganz oben auf der Fahndungsliste.“

Die Festnahme des flüchtigen Big Moe erntete beifälliges Murmeln.

„Was ist mit Ihnen, Chief? Wie viele Kriminelle haben Sie diese Woche von den Straßen geholt?“

Dylan hatte die Henderson-Brüder ins Bezirksgefängnis gebracht, nachdem sie eine Kneipenschlägerei angezettelt hatten, aber das lag schon zwei Wochen zurück.

Er hob den Kopf, und sein Blick traf auf ein Dutzend erwartungsvoller Gesichter.

„Keinen“, erwiderte er schließlich.

Abfälliges Gekicher erfüllte den Raum.

„Man muss allerdings bedenken“, warf Dylan ein, „dass ich eine Polizeistation in einer Kleinstadt leite und keine Video-Spielkonsole.“ Er blickte sich im Klassenzimmer der Cooper’s Place Elementary School um, in dem Schüler der vierten und fünften Jahrgangsstufe versammelt waren.

„Sie haben nicht einmal Big Moe hochgenommen?“, fragte hinten ein Junge.

Dylan dachte kurz nach. Einige seiner Polizeikollegen spielten das beliebte Videospiel, aber keinem war es bislang gelungen, das letzte Level zu erreichen und den gerissenen Big Moe zu schnappen.

Dylan strich sich über das stoppelige Kinn. „Nun, vielleicht …“

„Dylan Cooper.“ Er drehte sich zu der ungewohnt strengen Stimme um. Die Klassenlehrerin stand mit vor der Brust verschränkten Armen hinten in der Ecke.

„Ja, Mrs. Bartlett“, erwiderte Dylan so folgsam wie früher in der fünften Klasse, als sie seine Lehrerin gewesen war.

Sie sah ihn über ihre Lesebrille hinweg an. Ihre Lippen waren geschürzt, wodurch die Falten um ihren Mund stärker hervortraten. Die Jahre hatten ihr dunkles Haar ergrauen lassen. Doch ihr Gesichtsausdruck war genau wie an jenem Tag, als ihm eine Ringelnatter aus der Tasche gekrochen war, die er auf dem Schulweg eingefangen hatte.

„Diese Schüler sitzen an diesem sonnigen Julitag hier in meinem Klassenzimmer, weil sie das Schuljahr damit vertrödelt haben, Big Moe zu spielen, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen.“

Dylan seufzte. Er hatte Mitleid mit den Schülern.

„Nein“, sagte er deshalb. „Big Moe zu schnappen zählt nicht als echte Festnahme.“

Mrs. Bartlett lächelte zustimmend. Doch in der Achtung seiner Zuhörer war er eher gesunken.

„Ist es nicht Ihr Job, Leute zu verhaften?“, fragte ein Junge aus der ersten Reihe.

„Nicht immer“, antwortete Dylan. „Meine Hauptaufgabe ist es, für Sicherheit in unserer Stadt zu sorgen.“

Er blickte sich um und sah den Sohn eines ehemaligen Schulfreundes mit den Fingern schnippen. „Hast du eine Frage, Ryan?“

„Wo ist Ihre Waffe?“, fragte der Junge.

„Zu Hause“, erwiderte Dylan. „Ich bin heute nicht im Dienst. Außerdem haben Waffen in einem Klassenzimmer nichts verloren.“

Dylan warf verstohlen einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwar war heute sein freier Tag, aber er hatte später noch eine Sitzung im Rathaus wegen der bevorstehenden Bürgermeisterwahlen.

„Ja, Kinder, ein typischer Arbeitstag in unserer Stadt beginnt für mich mit meiner morgendlichen Runde und endet mit der nächtlichen Runde“, schloss er seinen Vortrag.

„Das klingt ziemlich langweilig für mich, Chief“, rief der Junge, der Big Moe geschnappt hatte. „Ich kann es kaum erwarten, erwachsen zu werden und von hier weg an einen coolen Ort zu ziehen.“

„Ich auch“, stimmte ein anderer Junge ihm zu.

Dylan verstand die Jungen sehr gut. Schließlich hatte er in ihrem Alter die gleichen Gedanken gehabt. Und er hatte sie umgesetzt. Nach dem Abschluss der Highschool war er mit großen Plänen und seiner Jugendliebe am Arm aus seiner Heimatstadt geflohen.

Er hatte nie vorgehabt, nach Cooper’s Place zurückzukehren, und doch war er wieder hier in seiner Heimatstadt und erfüllte seinen selten aufregenden Job.

Doch nichts gegen Langeweile.

Seine Zeit als Polizist im Süden von Chicago hatte ihn gelehrt, dankbar dafür zu sein, an einem Ort zu leben, an dem die Kinder sorglos draußen spielen konnten. Wo es keine Straßengangs, bewaffneten Raubüberfälle und nächtlichen Mordermittlungen gab.

Opfer des hiesigen Klatsches zu werden war so ziemlich das Schlimmste, was einem hier passieren konnte.

Cooper’s Place, Ohio, war noch immer eine Stadt, in der sich die Einheimischen mit Vornamen kannten und nachts schlafen gehen konnten, ohne sich zweimal zu vergewissern, dass die Tür abgeschlossen war. Hier regierten Frieden und Ruhe.

Nachdem Dylan noch einige Fragen beantwortet hatte, verabschiedete er sich von den Schülern.

Seine frühere Lehrerin begleitete ihn auf den Flur hinaus. „Ich würde Sie gern noch kurz sprechen, Chief Cooper“, sagte sie.

Dylan stöhnte innerlich, da er mit seinem Titel angesprochen wurde, und hoffte nur, sie würde ihm nicht die neuesten Einzelheiten eines Nachbarschaftsstreits auftischen.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte er.

„Es geht um Ihren Onkel“, begann sie. „Mein Fall wurde vergangene Woche vor dem Bürgermeistergericht verhandelt und …“

Er hob die Hand, um sie zu unterbrechen.

„Ich gehöre der Vollzugsbehörde an, Mrs. Bartlett. Ich habe nicht den geringsten Einfluss auf das Bürgermeistergericht oder den Bürgermeister.“

„Aber er gehört zu Ihrer Familie“, beharrte sie.

„Bedaure.“

Wenige Augenblicke später stand Dylan vor dem Schulgebäude und nahm sein Handy aus der Brusttasche. Er überlegte, ob er die Einsatzzentrale anrufen sollte.

Es gab nur zwei Polizisten in der Dienststelle − und heute hatte Todd Wilson Dienst.

Der junge Mann war Polizist aus Leidenschaft, aber manchmal übertrieb er es mit seiner Genauigkeit und machte sich damit des Öfteren zum Gespött der Bürger.

Dylan hielt sich das Telefon ans Ohr und hörte es zweimal läuten, ehe die Einsatzleiterin abhob.

„Es ist ruhig wie immer“, sagte Marjorie Jackson automatisch, als habe sie seinen Anruf erwartet. Wahrscheinlich hatte er sie gerade beim Lesen einer ihrer Illustrierten gestört.

„Und Wilson?“, fragte er.

„Er ist mit dem Streifenwagen in die Old Mill Road gefahren, um Raser zu überwachen.“

Dylan überlegte kurz, ob er zu seinem jungen Kollegen hinausfahren sollte, entschied sich aber dagegen. Seit der Einweihung der neuen Umgehungsstraße gab es auf der Old Mill Road so gut wie keinen Verkehr mehr. Wilson würde also kaum in eine Situation geraten, die er nicht in den Griff bekam.

Dylan atmete tief durch, schirmte die Augen mit einer Hand ab und schaute in den Himmel hinauf. In der Ferne erblickte er eine kleine dunkle Wolke, ehe er seine Pilotenbrille aufsetzte. Und trotz des blauen Himmels konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass ein Sturm aufzog.

Lola rutschte unruhig auf dem Fahrersitz ihres roten Mustangs hin und her.

Nachdem sie nun schon stundenlang unterwegs war, kam ihr die Idee, mit dem Auto nach New York zu fahren, nicht mehr so genial vor wie am Morgen in Nashville. Ihre Schultern schmerzten, und ihre Oberschenkel waren taub.

Sie hätte an der letzten Raststätte anhalten sollen, dachte Lola und massierte ihren Nacken. Aber sie war so euphorisch wegen des Angebots ihrer Agentin gewesen, dass sie einfach vorbeigebraust war.

America Live!

Lola zwickte sich kurz in den Arm.

Nein, es war kein Traum.

In wenigen Tagen würde sie tatsächlich einen Gastauftritt bei America Live! haben. Und die Produzenten hatten angedeutet, dass ihr Auftritt gleichzeitig als Casting für eine feste Stelle in der erstklassigen Frühstücks-Show gedacht sei.

Ihre Lippen formten ein Lächeln, als sie sich vorstellte, wie ihre Familie − und besonders ihr großer Bruder − sie am Montagmorgen über ihre Kaffeetassen hinweg im Fernsehen sah. Sie würden alle total schockiert sein.

Die Frau, die sie verstoßen hatten. Lolas Grinsen wurde breiter. Zu schade, dass sie ihre Gesichter dabei nicht sehen konnte.

„Diesmal hat sich deine traurige Berühmtheit anscheinend zu deinem Vorteil ausgewirkt“, hatte Jill gesagt. „Das ist deine Chance, Lola. Ich muss dir ja nicht sagen, wie wichtig es ist, sie optimal zu nutzen. Sorg dafür, dass du hammermäßig aussiehst und das Publikum vom Hocker reißt!“

Um möglicherweise auftauchenden Paparazzi am Flughafen zu entgehen, hatte sie sich kurzentschlossen ins Auto gesetzt und war allein in Richtung New York aufgebrochen.

Allerdings hatte sie dabei die Sommerbaustellen auf den Autobahnen außer Acht gelassen. Das Navigationssystem ihres Wagens hatte sie von der Interstate herunter auf Landstraßen umgeleitet. Sie unterdrückte ein Gähnen. Mit jeder Meile fuhr sie tiefer ins Farmland von Ohio und passierte dabei nur selten ein kleines Städtchen. Hier gab es wirklich keine Möglichkeit für sie, in Schwierigkeiten zu geraten.

Ihr Handy auf dem Beifahrersitz klingelte. Sie sah die Nummer auf dem Display und stieß einen erleichterten Seufzer aus.

Obwohl es Freitag war, hatte sie es geschafft, auf der Fahrt durch Kentucky Last-Minute-Termine in der Stadt für eine Sauerstoff-Gesichtsbehandlung, Augenbrauenzupfen und – färben und natürlich eine Maniküre zu ergattern. Jetzt musste sie nur noch New Yorks Topstylisten dazu überreden, ihre glanzlose Mähne über das Wochenende mit Schnitt und Farbe aufzupeppen.

„Pablo“, flötete sie ins Telefon. „Du musst mir einen riesigen Gefallen tun.“

Vor ihrer Abreise aus Nashville hatte sie kurz überlegt, sich in die Hände des erlesenen Beauty-Teams im Espresso Day Spa ihrer Schwester zu begeben, aber sie war zu sauer auf Tia, um sie darum zu bitten.

Außerdem kannte sie Pablo schon, seit er noch völlig unbekannt gewesen war.

„Du hättest vor einem halben Jahr wegen eines Termins anrufen müssen, Baby, denn ich bin total ausgebucht“, erwiderte Pablo geziert. „Ich rufe dich aus reiner Höflichkeit persönlich zurück, weil wir Freunde sind. Doch ich habe leider wirklich keinen Termin.“

Der Stylist war ihr Freund, deshalb vertraute sie ihm an, was ihre Familie ihr angetan hatte. „Jetzt weißt du, wie wichtig es ist, dass du mir die Haare machst“, erklärte sie ihm eindringlich. „Für mich hängt unheimlich viel davon ab, einfach perfekt auszusehen, Pablo. Ich brauche dich. Bitte.“

Eine lange Pause entstand.

„Unmöglich“, sagte Pablo schließlich. „Abgesehen davon, dass ich am Wochenende nicht arbeite, bin ich zu einer Promi-Party in den Hamptons eingeladen.“

So schnell wollte Lola nicht aufgeben. „Nichts ist unmöglich. Denk daran, wie ich dir unter die Arme gegriffen habe, als du noch nicht berühmt warst.“

„Ich weiß, dass du mir geholfen hast, Lola, aber …“

„Und hast du nicht auch ein Darlehen von mir für deinen ersten Shop in Nashville bekommen, als die Banken dir keinen Kredit geben wollten? Erinnerst du dich daran?

Sie hörte ein Seufzen am anderen Ende des Telefons.

„Ach Lola. Wir sprechen hier von den Hamptons.“

Lola runzelte die Stirn. Er ließ ihr keine andere Wahl. „Dann mach nur so weiter, Sherman“, sagte sie, seinen richtigen Namen betonend.

„Das würdest du nicht tun!“

„Was? Das Gerücht verbreiten, dass der international bekannte Starstylist Pablo nicht aus Barcelona kommt, sondern in Wahrheit Sherman Meeks aus Shelbyville, Tennessee, ist?“

„Das wagst du nicht“, kreischte Pablo.

„Natürlich würde ich dir das niemals antun“, antwortete sie ihm zuckersüß.

„Okay, du hast gewonnen“, sagte der Stylist eingeschnappt. Er nannte ihr eine Uhrzeit am Sonntag. „Aber komm bloß nicht zu spät. Lieber zu früh.“

Lola bedankte sich und versicherte ihm, dass sie pünktlich sein würde.

Sie warf das Handy auf den Beifahrersitz, als das GPS piepste. Nicht schon wieder, dachte sie.

„Unfall auf der Strecke“, warnte die Automatenstimme. „Umleitung auf eine Alternativroute.“

Lola folgte den Anweisungen und verließ die Staatsstraße. Sie lenkte ihr Auto auf schmalen, kurvenreichen Straßen immer weiter ins ländliche Nichts hinein.

„Biegen Sie nach links in die Old Mill Road.“

Bei einem Blick auf das Navigationssystem sah Lola, dass sich ihre Ankunftszeit um eine weitere halbe Stunde verschoben hatte. Das nächste Straßenschild senkte die Höchstgeschwindigkeit auf fünfundvierzig Meilen und warnte vor Kühen auf der Straße.

Wenn das so weitergeht, brauche ich einen Monat, um nach New York zu kommen, dachte Lola verärgert.

Sie konnte nirgends Kühe entdecken und auch weit und breit kein anderes Auto. Nur eine zweispurige Straße durch endlos erscheinende Maisfelder.

Lola biss sich auf die Unterlippe. Eine ihr Leben verändernde Karriere wartete auf sie − und was machte sie? Sie schlich über einsame Landstraßen.

Schließlich gab sie dem überwältigenden Impuls nach und trat aufs Gaspedal.

Das fühlte sich schon ganz anders an.

Lola schaltete Musik ein und trommelte mit den Fingern im Takt auf das Lenkrad.

Die Tachonadel wanderte auf siebenundfünfzig Meilen und schließlich darüber hinaus. Sie hatte fast achtzig Meilen in der Stunde erreicht, als ihr eine innere Stimme riet, langsamer zu fahren.

Lola blickte aufmerksam durch die Windschutzscheibe und dann in die beiden Außenspiegel und den Rückspiegel. Keine Kühe. Keine Autos. Nur Maisfelder, so weit das Auge reichte.

Warum also nicht ein wenig von der bereits verlorenen Zeit aufholen?

Doch dann bemerkte sie aus dem Augenwinkel ein blaues Blinklicht. Möglicherweise nur eine Einbildung. Ihr Magen zog sich zusammen.

Sirenengeheul übertönte die Musik. Im Seitenspiegel tauchte ein Streifenwagen auf. Das war definitiv keine Einbildung. Vielleicht war er ja gar nicht hinter ihr her, dachte Lola hoffnungsvoll, nahm aber trotzdem den Fuß vom Gaspedal.

Sie bremste so weit herunter, dass sie am Seitenstreifen anhalten konnte.

Im Rückspiegel sah sie, wie der Polizeibeamte ausstieg und auf ihren Mustang zukam. Sie ließ das Seitenfenster herunter und beobachtete ihn aus schmalen Augen. Lang aufgeschossen und in einer zu großen Uniform, sah er eher aus wie ein Teenager, der Polizist spielte.

Er fummelte an einem Notebook herum, ehe er es fallen ließ. Als er sich vorbeugte, um es aufzuheben, fiel seine Kopfbedeckung herunter. Sie schüttelte den Kopf, während sie ihm dabei zusah, wie er versuchte, sich auf die Reihe zu bekommen. Fast hätte er ihr leidgetan, aber letztendlich würde er ihr eine Strafe für zu schnelles Fahren aufbrummen.

„Guten Tag, Ma’am“, sagte er, als er schließlich bei ihrem Auto ankam.

Sie nahm die Sonnenbrille ab. Der Polizist blinzelte und starrte sie an. Daran war Lola gewöhnt.

Sie lächelte, und sein Gesicht wurde rot. Gut so.

„Officer.“ Lola schaute auf den Namen an seiner Uniform. „Officer Wilson.“

Das schien ihn aus seiner Benommenheit zu reißen. „Ähm, Ma’am … wissen Sie, wie schnell Sie gefahren sind?“ Seine Stimme klang kratzig, und er räusperte sich. „Auf dieser Straße gilt eine Höchstgeschwindigkeit von fünfundvierzig Meilen pro Stunde. Ich habe Sie mit vierundneunzig gestoppt.“

Sich aus der Sache herauszureden war einen Versuch wert, dachte Lola. Wahrscheinlich reichte es, Unwissenheit vorzutäuschen, viel zu lächeln und ihn mit ihrem schönsten Gesichtsausdruck zu betören.

Nichts einfacher als das.

Du bist im Unrecht.

Lola seufzte. Vielleicht war es an der Zeit, ihrer inneren Stimme zu folgen.

„Tut mir leid, Officer“, sagte sie also nur. Ohne Erklärungen. Ohne Entschuldigungen.

Die Röte auf Officer Wilsons Gesicht wurde immer dunkler. „Bitte zeigen Sie mir Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere.“

Lola beugte sich hinüber, öffnete das Handschuhfach und holte eine kleine Plastikhülle heraus, die ihre Papiere enthielt. Sie reichte sie Officer Wilson und unterdrückte ein Stöhnen, als sie ihm aus den Händen fielen.

Während er die Papiere prüfte, hob Lola ihre Designertasche vom Boden der Beifahrerseite auf den Sitz. Diese Tasche wurde immer schwerer. Bald würde sie Rollen dafür brauchen.

Officer Wilson gab ihr die Plastikhülle zurück. „Ihre Papiere sind in Ordnung, jetzt brauche ich nur noch Ihren Führerschein.“

„Sofort.“ Lola kramte in ihrer riesigen pinkfarbenen Tasche nach ihrem Portemonnaie. Sie tastete sich durch den Inhalt, spürte eine Kamera auf, dann eine Taschenlampe und einen Beutel Proteinpulver.

Irgendwann demnächst musste sie diese Tasche einmal gründlich ausmisten, dachte sie, während ihr Arm bis zum Ellbogen in der Tasche steckte. Sie zog eine kleine Flasche Desinfektionsmittel heraus und ein Päckchen Taschentücher.

„Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?“

„Nein, ich …“ Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihre Hand, und Lola zog sie hastig zurück. „Autsch!“

Blut lief über ihre Handfläche und an ihrem Arm entlang. Verdammte Schere, dachte sie. „Ich weiß, ich habe irgendwo in meiner Tasche Verbandszeug. Könnten Sie sie vielleicht ausleeren und …“

Auf wackligen Beinen trat der Polizist vom Auto zurück. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

„Blut“, flüsterte er und starrte auf ihre Hand.

„Nur ein kleiner Schnitt“, sagte Lola, obwohl es höllisch wehtat. Sie hielt ihren Arm so, dass er ihn besser sehen konnte. „Sehen Sie, es ist nur …“

Seine Augen verdrehten sich, und der arme Kerl sah aus, als würde er jeden Moment umkippen.

„Officer Wilson“, schrie Lola und riss die Autotür auf.

Sie wollte ihn mit ihrer unverletzten Hand festhalten, doch es war eine Sekunde zu spät. Er fiel bewusstlos zu Boden. Lola hörte ein hässliches, dumpfes Geräusch, als sein Kopf auf dem Asphalt aufschlug.

„Mist! Mist! Mist!“, fauchte Lola.

Sie kniete sich neben ihn.

„Officer Wilson?“

Keine Antwort. Sie bettete seinen Kopf auf ihre Knie und erkannte am Heben und Senken seines Brustkorbs, dass er atmete. Er schien nicht zu bluten, aber da das Blut noch immer von ihrer Hand tropfte, konnte sie sich nicht sicher sein. Sie nahm das Funkgerät von seinem Gürtel und drückte wahllos darauf herum.

„Hilfe“, rief sie in das Gerät hinein, erhielt aber keine Antwort.

Sie schloss kurz die Augen und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

„Ich gehe zu meinem Auto und hole mit meinem Handy Hilfe“, sagte sie zu dem bewusstlosen Officer.

So vorsichtig wie möglich ließ sie seinen Kopf auf den Boden gleiten und holte ihr Handy vom Beifahrersitz. Dann wählte sie mit zitternden Fingern die 911.

Sie presste den Hörer ans Ohr. Stille. Sie blickte auf das Display. Die Worte „Kein Empfang“ hatten die Punkte ersetzt, die normalerweise die Empfangsstärke anzeigten.

Die Panik kehrte zurück und drohte sie zu überwältigen. Sie blickte sich um. Nichts als Einsamkeit und in der Ferne ein Traktor.

Zurück beim noch immer ohnmächtigen Officer, stieß Lola zitternd den Atem aus. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihn bewegen durfte, doch sie hatte keine andere Wahl. Sie konnte ihn nicht hier allein zurücklassen. Sie musste ihn mitnehmen.

Als sie ihn vorhin im Rückspiegel auf sich zukommen gesehen hatte, hatte er ziemlich mager gewirkt. Nun stellte sich heraus, dass er doch viel schwerer war als vermutet.

Als sie Officer Wilson endlich auf ihren Beifahrersitz gewuchtet hatte, war sie vollkommen außer Atem.

Mithilfe des Navigationssystems suchte sie die nächste Klinik.

„Halten Sie durch, Officer Wilson“, murmelte sie, als das GPS ein nur wenige Meilen entferntes Krankenhaus anzeigte. „Wir werden in Windeseile im Kreiskrankenhaus von Cooper’s Place sein.“

3. KAPITEL

Ein finsterer Blick und der Duft nach Schokolade empfingen Dylan, als er das Haus seiner Mutter betrat.

„Wann lernst du es endlich anzuklopfen, ehe du in ein Haus eindringst?“ Virginia Cooper stemmte die Hände in die Hüften.

„Anklopfen? Ich bin in diesem Haus aufgewachsen.“

„Aber die Rechnungen im Briefkasten da draußen sind an mich gerichtet. Wer bezahlt, ist auch der Boss.“

„Nun, ich möchte dem Boss keinesfalls auf die Zehen treten. Vor allem nicht, wenn er gerade beim Backen ist.“ Dylan gab lächelnd nach. „Was duftet da so himmlisch aus dem Backofen?“

Die Mundwinkel seiner Mutter zuckten ein klein wenig nach oben. Für den Augenblick schien sie besänftigt zu sein.

„Muffins mit weißen Schokoladen-Chips. Sie sind in sechzehn Minuten fertig“, erklärte Virginia nach einem Blick auf den Küchenwecker. „Bleibst du?“

„Ich bin hier.“

„Kaffee?“, bot sie ihm an.

„Setz dich“, sagte Dylan und wies auf die Stühle, die um die große Kücheninsel herumstanden. „Wenn du schon für selbstgebackene Muffins sorgst, dann kann ich wenigstens den Kaffee kochen.“

Virginia nahm Platz, während er den Küchenschrank öffnete, in dem sie die Kaffeedose aufbewahrte.

„Wieso trägst du Uniform? Ich dachte, du hättest endlich mal einen Tag frei?“

Dylan schaltete die Kaffeemaschine ein.

„Theoretisch habe ich frei, aber ich habe vorhin in der Grundschule zum Thema Karriere Einblicke in meinen Job gegeben. Heute ist der letzte Tag vor den Sommerferien.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Eigentlich sollte ich jetzt im Rathaus sein. Onkel Roy hat eine Sitzung zur Amtseinführung des Bürgermeisters einberufen, aber sie wurde verschoben.“

„Amtseinführung? Er ist doch noch gar nicht wiedergewählt worden.“

„Seine Wiederwahl ist eine reine Formsache. Er möchte den Amtseid diesmal im Freien auf dem Rathausplatz leisten, und dafür soll alles festlich geschmückt werden.“

„Die Stadtkasse ist doch wirklich leer genug.“ Virginia schüttelte den Kopf. „Außerdem ist Roy allmählich zu alt für den Job. Er sollte sein Amt aufgeben. Wir brauchen frisches Blut im Rathaus.“

Dylan verschränkte seine Arme und lehnte sich an den Küchentresen. „Da gibt es kein frisches Blut. Wenn sich in den nächsten drei Wochen niemand zur Wahl stellt, wird er ohne Gegenkandidaten wiedergewählt.“

„Schon wieder“, sagten beide gleichzeitig.

„Du könntest dich doch aufstellen lassen.“ Die Augen seiner Mutter leuchteten.

„Nie im Leben.“ Dylan winkte ab.

Er goss Kaffee in zwei Becher. Aus dem Augenwinkel sah er, wie seine Mutter die Stirn runzelte. „Wenn du Bürgermeister wärst, würde allerdings dieser unbeholfene Wilson unser neuer Polizeichef, und dann hätte diese Stadt wirklich ein Problem.“

„Jetzt hör auf damit, Mom“, bat Dylan. „Er ist jung und ein bisschen nervös, aber er gibt sich wirklich Mühe. Und die Arbeit bedeutet ihm alles.“

„Er hat mir einen Strafzettel über zwanzig Dollar verpasst, weil ich bei Rot über die Ampel gegangen bin“, beschwerte sich Virginia. „Und ich bin nicht die Einzige. Seiner Urgroßmutter hat er auch zwanzig Dollar Strafe aufgebrummt.“

Dylan gab einen großen Schuss Milch in den Kaffee seiner Mutter, seinen eigenen trank er schwarz.

„Seid ihr denn bei Rot über die Ampel gegangen?“, fragte er.

„Ja, aber …“

Er zuckte mit den Schultern und blickte sie über den Rand seiner Kaffeetasse an. „Dann darfst du dich nicht beklagen.“

Sie nippte an ihrem Kaffee und verdrehte dabei die Augen.

Der Duft nach Schokolade erfüllte inzwischen die ganze Küche. Dylans Magen begann zu knurren. Er hatte nur Kaffee und Toast zum Frühstück gehabt und war jetzt richtig hungrig.

Wie auf Befehl klingelte die Küchenuhr.

Virginia erhob sich, schaltete den Backofen aus und nahm die Form mit den Muffins heraus. „Sie müssen noch fünf Minuten auskühlen.“

„Unsinn.“ Dylan holte sich einen Kuchenteller aus dem Schrank. Als er sich einen Muffin aus der heißen Backform holen wollte, verbrannte er sich dabei und zog fluchend seine Hand zurück.

Seine Mutter konnte sich das Lachen nicht verbeißen.

Unbeeindruckt versuchte Dylan es ein zweites Mal, und diesmal gelang es ihm, das Gebäckstück auf seinen Teller zu befördern. „Ich sterbe vor Hunger“, erklärte er. Zurück am Tisch, biss er ein großes Stück ab und kaute bedächtig. Anscheinend hatte seine Nase ihm einen üblen Streich gespielt, denn es schmeckte überhaupt nicht wie erwartet. Er spülte den geschmacklosen Klumpen mit einem großen Schluck Kaffee hinunter.

„Was ist das denn?“, fragte er seine Mutter, die schnell den Blick abwandte.

„Ein Muffin, mein Lieber. Ich habe nur ein paar Zutaten ausgewechselt.“

„Und was zum Beispiel? Geschmack gegen Staub?“

Virginia öffnete den Laptop, der neben ihrem Ellbogen auf dem Tisch lag. Dann holte sie ihre Lesebrille aus der Schürzentasche und blickte auf den Bildschirm. „Ich teste ein paar Rezepte, um meinen Gästen im nächsten Monat einige gesündere Varianten anzubieten. Also habe ich Vollkornmehl anstelle von normalem Mehl genommen und zerdrückte Avocado statt Butter, und ich habe nur die halbe Menge Zucker verwendet“, erklärte sie ihm.

Jeden Herbst verwandelte sich das Heim, in dem Dylan aufgewachsen war, in ein Bed & Breakfast und nahm Fans und ehemalige Mitglieder des College-Footballteams einer benachbarten Stadt auf.

„Du hättest mich vorwarnen können“, sagte er.

„Ich wollte meinen Mädels im Gartenclub die Muffins mitbringen und sie um ihre Meinung bitten“, seufzte seine Mutter. „Dann bist du aufgetaucht, und ich wollte deine unvoreingenommene Einschätzung.“

Dylan nahm seinen Teller und ließ den Muffin im Abfalleimer verschwinden. „Ist das unvoreingenommen genug?“

Virginia blickte von ihrem Rezept auf und sah ihn über den Rand ihrer Lesebrille an. „Apropos, was willst du eigentlich wirklich hier?“

Dylan stieß den Atem aus. „Ich habe meinen morgendlichen Kontrollgang gemacht …“

„Heute ist dein freier Tag“

„Wie dem auch sei. Rosemary Moody kam aus ihrer Eisenwarenhandlung herausgestürmt und hat meinen Truck angehalten“, fuhr er fort.

„Hmm.“ Seine Mutter tat so, als sei sie von ihrem Laptop abgelenkt.

„Ich soll dir von ihr ausrichten, dass deine Bestellung eingetroffen ist, und sie wollte wissen, wann der beste Zeitpunkt dafür sei, sie bei dir abzuliefern.“

Virginia schüttelte den Kopf. „Das kommt davon, wenn man mit einer solchen Klatschtante Geschäfte macht“, murmelte sie. „Ich hätte einfach nach Columbus fahren und dort alles selbst besorgen sollen.“

„Möchtest du mir nun also erzählen, was du mit einer Wagenladung Betonsteinen und Zement vorhast?“

Sie presste ihre Lippen fest aufeinander.

„Ich finde es ohnehin früher oder später heraus, also kannst du es mir auch gleich sagen.“

Sie drehte sich zu ihm herum und sah ihn an. „Ich möchte hinten im Garten eine Feuerstelle bauen. Bei kühlem Wetter können die Gäste dann draußen sitzen und Marshmallows rösten.“

„Klingt gut“, erwiderte er. „Wieso wusste dann Luke nichts von deinen Plänen?“

Dylan hatte einen Verdacht, wollte die Antwort aber gern von seiner Mutter hören. Einige Augenblicke verstrichen. „Du lässt die Feuerstelle nicht bauen, oder?“

Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Du willst es selbst versuchen.“ Dylan lachte trocken.

„Sieh dir das erst mal an, mein Sohn.“ Virginia hob eine Hand und suchte auf ihrem Laptop nach Grannys Old House, einer Sendung, in der eine ältere Dame Ratschläge zum Heimwerken und zu Gartenprojekten gab. Als sie endlich fündig geworden war, drehte sie den Laptop zu ihm herum. „Laut Granny dauert das Ganze nur zwei Stunden.“ Mit dem Kopf wies sie auf den kleinen Bildschirm. „Schau selbst.“

Dylan sah auf dem Bildschirm eine Frau mit einem Schutzhelm auf dem grauen Haar, die den Griff eines Spatens hielt und erklärte, wie einfach es sei, eine Feuerstelle selbst zu bauen.

„Es ist nicht viel schwieriger, als Blumen in einer Vase zu arrangieren“, sagte Granny atemlos, während sie einen der schweren Betonsteine aufhob.

„Sie ist um die siebzig, genau wie ich. Wenn sie das kann, kann ich es auch“, kommentierte seine Mutter.

Dylan suchte nach den passenden Worten, um ihr dieses verrückte Vorhaben auszureden.

„Wenn du glaubst, dass ich dabei zusehe, wie du zentnerschwere Betonblöcke und Zementsäcke durch den Garten schleppst, dann irrst du dich gewaltig.“

„Bitte?“ Virginia zog eine Augenbraue hoch „Ich werde mir von meinem Sohn doch nicht vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen habe!“

Dylan stieß einen Seufzer aus und füllte seine Kaffeetasse neu. „Stimmt. Ich kann dir nichts vorschreiben. Deshalb habe ich deine Bestellung in meinen Truck geladen und zu mir nach Hause in die Garage gebracht.“

„Aber … das kannst du doch nicht machen“, ereiferte sich Virginia.

„Schon geschehen.“

„Dann kannst du gleich wieder zurückfahren und meine Sachen holen.“

„Das werde ich nicht, Mom.“

Sie setzte ihre Kaffeetasse hart auf dem Tisch ab. „Du machst dich lächerlich.“

„Nein, lächerlich ist nur, dass du glaubst, eine achtzigjährige Frau könnte einen solchen Knochenjob allein erledigen.“

„Ich bin neunundsiebzig“, erklärte Virginia würdevoll.

„Egal, auf jeden Fall zu alt, um in der Sommerhitze körperlich zu arbeiten.“

„Dummes Geschwätz. Die meisten dachten damals auch, ich sei mit achtundvierzig viel zu alt, um nach zwei Tagen Wehen ein zehn Pfund schweres Kind mit einem Kopf, so groß wie eine Wassermelone, zur Welt zu bringen. Aber du sitzt hier, oder?“

Dylan verdrehte die Augen bei der alten Leier. Er war das einzige Kind seiner Eltern, die damals schon alle Hoffnungen auf Nachwuchs aufgegeben hatten. Während er aufwuchs, war ihr Alter nie ein Thema gewesen.

Doch der Lauf der Zeit ließ sich nicht anhalten.

Vor zwei Jahren war sein Vater mit einundachtzig Jahren an Herzversagen gestorben. Sechs Monate später war Dylan zurück nach Cooper’s Place gezogen, damit er auf seine Mutter aufpassen und so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen konnte.

Diese Entscheidung hatte ihn seine Karriere und seine Ehe gekostet. Doch das Wohl seiner Mutter stand für ihn an erster Stelle.

Dylan entdeckte eine Keksdose auf der Anrichte und griff hinein, um sich ein Plätzchen zu nehmen. Er liebte Süßigkeiten.

„Fang nicht wieder mit dieser Geschichte an. Sie funktioniert diesmal nicht“, sagte er und öffnete den Mund, um von dem selbstgebackenen Plätzchen abzubeißen.

Wie ein Teenager sprang seine Mutter auf und riss ihm das Plätzchen aus der Hand. „Da du mit dieser Wichtigtuerin Rosemary Moody unter einer Decke steckst, schlage ich vor, du holst dir deine Plätzchen in ihrem Laden.“

„Aber … das kannst du doch nicht machen“, wiederholte Dylan hilflos die Worte, die seine Mutter vor wenigen Augenblicken selbst zu ihm gesagt hatte.

„Schon geschehen“, äffte sie seine tiefe Stimme nach. Sie lehnte sich mit dem Rücken neben ihn an den Tresen und biss genüsslich von dem konfiszierten Plätzchen ab.

Dylan knuffte sie mit einem Ellbogen in die Seite. „Jetzt komm schon“, schmeichelte er ihr. „Wir wissen doch beide, dass weder die Plätzchen von Rosemary Moody noch von irgendwem in dieser Stadt mit deinen vergleichbar sind.“

Und das war keine Übertreibung.

„Vermutlich bist du die beste Köchin im ganzen Umkreis“, fuhr er fort.

Sie stieß nur einen geringschätzigen Laut aus und vertilgte den Rest des Plätzchens.

„Vielleicht sogar im ganzen Land.“

„Hör auf, dich bei mir einzuschmeicheln.“ Dann leierte sie herunter, was sie für das Abendessen geplant hatte. Dazu gehörten in Buttermilch eingelegtes, gebratenes Hühnchen, Makkaroni mit Käse und süße Hefeteilchen.

„Das ist ein gutes Essen, mein Sohn, oder?“ Virginia leckte sich über die Lippen. „Und als Nachtisch schwebte mir auch noch eine Limonaden-Schichttorte vor.“

Das war sein Lieblingskuchen.

„Wann soll ich zum Abendessen kommen?“, wagte es Dylan zu fragen.

„Wann du möchtest.“ Virginia zuckte mit den Schultern. „Aber du hast mir den Appetit damit verdorben, dass du mir meine Pläne für die Feuerstelle madig gemacht hast. Wahrscheinlich stelle ich nur rasch etwas in die Mikrowelle. Und zum Nachtisch können wir Obst essen, einen knackigen Apfel zum Beispiel. Wie findest du das?“

„Ach Mom“, sagte Dylan versöhnlich. „Wie wäre es mit einem Kompromiss?“

„Ich höre“, erwiderte Virginia, aber ihr Kinn war immer noch störrisch nach vorn gereckt.

„Ich komme heute Abend vorbei. Nachdem wir beide dein wunderbares Abendessen und meinen Lieblingskuchen gegessen haben, werde ich mir eine Folge von Grannys Old House anschauen, und dann überlegen wir, wie wir gemeinsam deine Feuerstelle bauen können. Wie klingt das für dich?“

„Okay, glaube ich“, seufzte seine Mutter.

Dylan beugte sich nach unten und küsste sie auf die Wange. „Super. Und anschließend schauen wir uns das Baseball-Spiel an.“

„Ach so? Warum schleppst du diesen Fernseher nicht auch gleich zu dir in deine Wohnung?“

„Weil er mein Muttertagsgeschenk für dich war.“ Sein Blick wanderte automatisch zu dem Achtzig-Zoll-Fernseher im Wohnzimmer.

„Vermutlich war auch das Sport-Paket, das du dazu gekauft hast, für mich?“ Ein warmes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie ein Geschirrtuch nahm und ihm damit auf den Arm schlug.

Er wehrte den leichten Schlag ab und sah dabei gleichzeitig auf die Uhr. „So, ich fürchte, es ist Zeit für mich, ins Rathaus zu verschwinden“, sagte er. „Bis zum Abendessen, okay?“

Seine Mutter nickte.

In diesem Augenblick vibrierte sein Handy. Er nahm es aus seiner Hemdtasche und sah die Nummer der Einsatzleitung auf dem Display. „Was gibt es, Marjorie?“

Wenige Sekunden später strich er mit dem Daumen über das Display, um den Anruf zu beenden, und lief zur Tür.

„Was ist los?“, rief seine Mutter ihm hinterher.

„Wilson“, erwiderte Dylan. „Er ist in der Notaufnahme.“

Lola starrte abwesend auf ihre Hand, während die Ärztin eine ganze Litanei von Anweisungen herunterratterte. Sie hörte ihr kaum zu, weil sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlugen. Einerseits sorgte sie sich um den verletzten Officer, den sie selbst in die Notaufnahme gebracht hatte, und andererseits berechnete sie ständig die Fahrtzeit neu, die sie nun zusätzlich aufholen musste, sobald sie wieder im Auto saß.

„Der Sprühverband sollte sich in fünf bis zehn Tagen von selbst auflösen. Und dann müsste ihre Schnittwunde auch verheilt sein.“ Die Ärztin blickte zu ihr auf. „Falls Rötungen, Schmerzen oder Fieber auftreten, sollten Sie umgehend einen Arzt aufsuchen.“

Lola hatte erst gar nicht daran gedacht, dass der kleine Schnitt überhaupt ärztlich versorgt werden müsste, aber die Dame an der Anmeldung in der Notaufnahme hatte das blutgetränkte Taschentuch um ihre Hand bemerkt und sie in einen Behandlungsraum geführt, der gleich gegenüber dem Raum lag, in den man Officer Wilson gebracht hatte. Leichenblass und bewusstlos.

„Der Polizist, den ich hergebracht …“, begann Lola, doch die Ärztin schüttelte den Kopf.

„Das habe ich Ihnen jetzt schon zweimal gesagt. Ich bin nicht befugt, Ihnen Auskunft über seinen Zustand zu geben“, erklärte sie.

„Bitte. Ich will doch nur wissen, ob mit ihm alles in Ordnung ist.“

Ohne auf ihre Bitte einzugehen, zog die Ärztin einen Kugelschreiber aus der Tasche ihres Kittels und füllte ein Formular aus. Sie blickte über die Schulter zu der Krankenschwester, die den Raum gerade wieder betrat. „Die Patientin kann entlassen werden.“

Die Ärztin verließ das Zimmer, und Lola hüpfte von der Untersuchungsliege herunter.

Die Krankenschwester gab ihr einen Kugelschreiber und bat sie, das von der Ärztin ausgefüllte Formular zu unterschreiben. Während Lola das tat, warf sie einen Blick auf die Wanduhr. Sie musste ihre Fahrt so schnell wie möglich fortsetzen. Aber vorher musste sie unbedingt in Erfahrung bringen, wie es Officer Wilson ging.

„Ich mache mir Sorgen wegen Officer Wilson. Können Sie mir sagen, wie es ihm geht?“ Sie hoffte, die Krankenschwester würde entgegenkommender sein als die Ärztin.

Doch diese schüttelte auch nur den Kopf. „Tut mir leid, aber das darf ich aus Datenschutzgründen nicht“, antwortete sie. „Aber ich kann sehen, ob Officer Wilson oder einer seiner Angehörigen mir die Erlaubnis gibt, Sie auf den neuesten Stand zu bringen.“

„Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar“, sagte Lola.

„Ich bringe Sie in den Wartebereich“, sagte die Schwester, während sie zur Tür ging. „Ich heiße übrigens Avis.“

„Lola“, erwiderte sie automatisch.

„Ich habe Sie gleich erkannt, als Sie in unsere Notaufnahme kamen.“ Die Krankenschwester stupste sie vertraulich mit einem Ellbogen in die Seite und senkte ihre Stimme. „Sagen Sie, haben Sie sich die Hand verletzt, als Sie Officer Wilson niedergeschlagen haben, so wie den Typen neulich im Flugzeug?“

„Wie bitte?“, fragte Lola verblüfft.

Avis musterte sie von Kopf bis Fuß, ehe sie den Kopf schüttelte und zu lachen begann. „Sie sehen so zerbrechlich aus, aber in Ihren Fäusten steckt wohl eine Menge Kraft.“

„Aber … aber ich …“

„Geben Sie es einfach zu.“ Die Krankenschwester winkte ab. „Ich kenne das Video.“

„Aber dieses Video zeigt nicht, wie es wirklich war“, versuchte Lola zu erklären.

Ohne Lolas Einwand zu beachten, redete die Frau einfach weiter. „Also ich finde zwar, dass Gewalt keine Lösung ist, muss aber zugeben, dass ich vor ein paar Wochen Officer Wilson selbst gern den Hintern versohlt hätte.“

Lola wollte schon antworten, sah dann aber ein, dass es sich nicht lohnte. Sie wollte nur herausfinden, ob es Officer Wilson gut ging, und schnellstens ihre Fahrt fortsetzen.

„Wissen Sie, was er getan hat?“, unterbrach Avis ihre Gedanken. „Mein Großvater hat sich in der Stadt einen Schokoriegel gekauft und dann aus Versehen auf dem Gehweg die Verpackung fallen lassen. Und dieser Todd Wilson hat ihm dafür doch tatsächlich eine Vorladung wegen Umweltverschmutzung verpasst. Stellen Sie sich das mal vor!“

Lola hütete sich, darauf zu antworten.

„Großvater hat eine Hüft-OP hinter sich und geht noch immer am Stock. Er hätte sich gar nicht bücken können. Zum Glück ist unser Polizeichef ein vernünftiger Mann“, fuhr Avis fort, ohne Atem zu holen. „Er hat das Verfahren sofort eingestellt.“

Im Wartebereich angekommen, blickte Lola an ihrer blutverschmierten Kleidung hinunter. „Wo ist die Toilette? Ich würde mich gern ein wenig frisch machen.“

„Natürlich, gleich dort vorne neben dem Eingang“, antwortete Avis.

Lola reinigte sich so gut wie möglich und zog frische Shorts und ein sauberes Top an. Dann kehrte sie in den kleinen Warteraum zurück, der bis auf ein paar Stühle an der Wand und einen Fernseher leer war.

Sie setzte sich und blickte sich nach der Fernbedienung um. Dann zappte sie sich durch die Kanäle, ohne etwas Interessantes zu finden.

Lola seufzte, als sie ihr Handy klingeln hörte. Sie fand es zum Glück gleich ganz oben in ihrer Handtasche. Auf dem Display leuchtete die Nummer ihrer Agentin.

„Hör zu, Liebes“, sagte Jill ohne jegliche Einleitung. „Einer meiner Freunde hat mir gerade die Info zukommen lassen, dass jemand von einer Show mit versteckter Kamera hinter dir her ist. Ich glaube, sie heißt …“

„Promis reingelegt“, ergänzte Lola frustriert und dachte an den Kameramann und den Typen in dem Clownkostüm, denen sie in Nashville entkommen war.

„Ja, genau“, bestätigte ihre Agentin. „Ich wollte dich nur warnen, damit du nicht in deren Falle tappst“, fuhr sie fort. „Du musst unbedingt dem Publikum von America Live! zeigen, dass du ganz anders bist, als du in den sozialen Medien dargestellt wirst.“

„Keine Sorge. Das bekomme ich hin.“ Lola warf das Handy zurück in ihre Tasche. Was Promis reingelegt anging, war sie in höchster Alarmbereitschaft und würde sich unter keinen Umständen zum Narren machen lassen.

4. KAPITEL

Dylan konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass Todd Wilson ihm etwas verschwieg.

„Ich verstehe noch immer nicht, wie es passieren konnte, dass du im einen Moment noch einen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens ausstellst und im nächsten ohnmächtig zu Boden sinkst.“ Der junge Officer saß auf der Kante der Untersuchungsliege, wandte rasch den Blick ab und blinzelte. Auf der Polizeiakademie hatte Dylan gelernt, dass solche Gesten Signale dafür waren, dass eine normalerweise ehrliche Person log.

„Die Lady, die ihn herbrachte, soll ja eine richtige Schlägerbraut sein“, mischte sich Dr. Hadley ein. Er legte die Instrumente, die er zum Nähen von Wilsons Kopfwunde gebraucht hatte, in eine Nierenschale. „Unser Wilson hier ist noch glimpflich davongekommen. Angeblich ist sie vor ein paar Tagen in einem Flugzeug durchgedreht und hat dort wild um sich geschlagen.“

„Tatsächlich?“, fragte Dylan abwesend.

Der Doktor nickte und streifte seine Latexhandschuhe ab.

„Vermutlich ist sie wieder ausgerastet, als Wilson ihr einen Strafzettel geben wollte, und hat ihn mit einem Hieb zu Boden gestreckt“, fuhr er fort. „Meine Kollegin verarztet gerade die Hand der Lady. Ich glaube, sie ist eine Schauspielerin oder irgendein Model …“ Dr. Hadleys Stimme brach ab.

Dylan konzentrierte sich noch immer auf seinen Officer. Er hätte gern von ihm gehört, was sich zugetragen hatte. „Beginnen wir noch mal von vorne, als du die Autofahrerin um ihre Papiere gebeten hast.“

Der junge Officer zögerte. „Hm … ja, ich glaube, es war so, wie der Doc es beschrieb. Der Schlag kam aus dem Nichts.“

Glaubst du es, oder bist du dir sicher?“

„Hm, ich glaube … also, ich bin mir sicher.“

Enttäuscht bemerkte Dylan, wie Wilsons Blick nach links auswich. Doch nicht nur das, auch seine ausweichenden Antworten kamen ihm verdächtig vor.

Gerade als er ihn noch etwas mehr unter Druck setzen wollte, rollte ein Pfleger einen Rollstuhl herein.

„Guten Tag, Chief“, grüßte er Dylan zuerst, ehe er sich an den grauhaarigen Arzt wandte. „Wilson kann jetzt nach unten in die Radiologie, Doc.“

Dr. Hadley erklärte Wilson, dass er ihn zu einem CT und einigen anderen Untersuchungen angemeldet hatte. „Wenn alles nach Plan läuft, können Sie in zwei Stunden nach Hause gehen.“

Wilson vermied nach wie vor den Blickkontakt mit Dylan, als er sich in den Rollstuhl setzte.

„Ich habe aber noch ein paar Fragen“, protestierte Dylan.

„Können die nicht bis später warten, Chief?“, fragte der Arzt.

Dylan nickte und steckte Kugelschreiber und Notizbuch zurück in die Hemdtasche seiner Uniform. Das seltsame Verhalten seines jungen Kollegen bereitete ihm Sorgen.

„Chief?“

Dylan wandte sich zu der Stimme um. „Hallo, Avis.“

„Die Frau, die in die Sache mit Wilson verwickelt ist, sitzt im Wartebereich. Sie möchte gern wissen, wie es ihm geht“, sagte die Krankenschwester. „Ihr Name ist Lola Gray.“

Sehr gut, dachte Dylan, während er den Flur hinunter zum Wartebereich ging. Vielleicht konnte sie ihm ja sagen, was genau draußen in der Old Mill Road passiert war. Außerdem musste er zugeben, dass er ziemlich neugierig auf diese Frau war, die offenbar häufig ihre Fäuste sprechen ließ.

„Sind Sie das, Chief?“

Dylan war so in seine Gedanken vertieft, dass er Jeb Dixon völlig übersehen hatte. „Ja, ich bin es“, erwiderte er.

Der Farmer kniff seine Augen hinter den dicken Brillengläsern zusammen.

„Ist bei Ihnen und Ihrer Frau alles in Ordnung?“, fragte Dylan.

Jeb verließ seine Farm nur selten. Deshalb vermutete Dylan, dass entweder er selbst oder jemand aus der Familie krank sein musste, wenn er am helllichten Nachmittag im Krankenhaus war.

„Uns beiden geht es gut.“ Der Farmer nahm seine Kappe ab und kratzte sich am Kopf, ehe er sie wieder aufsetzte. „Eigentlich warte ich auf Sie. Ich war kurz auf dem Revier, aber Marjorie sagte mir, Sie seien wegen dem jungen Wilson in der Klinik.“

„Worum geht es?“, fragte Dylan.

„Ich bin Zeuge einer Straftat. Ich wollte Ihnen alles persönlich berichten.“

„Was für eine Straftat?“

„Zuerst dachte ich, es handle sich um eine Entführung, aber wenn Wilson hier ist …“

„Er ist hier“, bestätigte Dylan.

„Wird der Junge wieder auf die Beine kommen?“, fragte Jeb. „Er hat ganz schön was abbekommen.“

Wie Dylan erst vor wenigen Minuten mit eigenen Augen gesehen hatte, hatte Wilson zwar eine Kopfwunde, aber im Gesicht hatte er weder Abschürfungen noch Verletzungen, die auf ein Handgemenge hingewiesen hätten.

„Er wurde gerade verarztet. Er sollte so weit okay sein.“

Jeb nickte. „Zum Glück hatte die Frau wenigstens den Anstand, ihn in die Klinik zu bringen.“

Dylan zog wieder sein Notizbuch aus der Tasche. Bisher hatte er mehr Gerüchte als Fakten gehört, und Wilsons Aufzählung der Ereignisse war sehr lückenhaft gewesen. Ein Augenzeuge konnte ihm da Aufklärung bringen. Sein Blick fiel auf Jebs dicke Brillengläser.

Er hoffte es zumindest.

„Sagen Sie mir, was genau Sie beobachtet haben.“

„Nun, ich war mit dem Traktor auf dem Maisfeld, als ich ein rotes Auto mit einem Affenzahn die Old Mill Road entlangrasen sah, verfolgt von einem Streifenwagen mit Blaulicht.“ Er hielt kurz inne. „Allerdings wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, wer hinter dem Steuer saß, Wilson oder Sie. Aber als der Fahrer dann ausstieg, war mir klar, dass Sie es nicht waren. Schließlich sind Sie ja viel größer als Wilson. Wie groß sind Sie eigentlich?“

Dylan antwortete nicht, sondern ließ Jeb weitererzählen.

„Wie auch immer, eine so schmächtige Frau hätte Sie nie zu Boden schlagen und dann wie einen Sack Kartoffeln zu ihrem Wagen schleppen können“, fuhr der Farmer fort.

„Haben Sie mit eigenen Augen gesehen, wie die Autofahrerin Wilson niederschlug?“, fragte der Officer.

„Ja, Sir. Ich glaube schon.“

„Hat sie ihn niedergeschlagen oder nicht?“, fragte Dylan nach. Die Aussagen dieses Zeugen klangen so ausweichend wie die seines Beamten.

„Eben noch stand er aufrecht, und im nächsten Moment lag er auf dem Boden, und sie stand über ihm“, erklärte Jeb. „Sagen Sie mir, was da sonst passiert sein soll.“

Dylan stieß genervt den Atem aus. „Ich war nicht dabei. Könnte Wilson vielleicht gestolpert sein?“

Der junge Polizist war manchmal etwas tollpatschig, besonders wenn er nervös war. Also lag das durchaus im Bereich des Möglichen.

Doch Jeb schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihm einen Schlag verpasst hat.“

„Aber haben Sie es gesehen?“

„Ja, ich habe die ganze Sache mit eigenen Augen gesehen.“

Dylan betrachtete die dicken Gläser in Jebs Brille und befürchtete, dass er sich auf die Sehkraft seines Zeugen nicht richtig verlassen konnte. „Wie weit waren Sie wohl von der Straße weg, als es passierte?“

Der Farmer zuckte mit den Schultern. „Nahe genug, um alles zu sehen, aber zu weit weg, um zu ihnen zu gelangen, ehe die Frau ihn in den Wagen beförderte und losfuhr.“

„Hat sie ihn von vorne oder von hinten angegriffen? Schlug sie ihn mit der offenen Hand oder mit der Faust?“

Jeb schüttelte den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das weiß ich alles nicht, Chief“, sagte er. „Ich kann nur sagen, was ich gesehen habe.“

Und das war anscheinend nicht besonders viel, dachte Dylan. „Vielen Dank, dass Sie für Ihren Bericht extra in die Stadt gekommen sind“, sagte er laut. „Sollte ich noch weitere Fragen haben, rufe ich Sie an.“

Die Gespräche mit Wilson und Jeb hatten wenig gebracht. Es war nun an der Zeit, sich mit der mutmaßlichen Täterin zu unterhalten.

Vor dem Wartebereich blieb er kurz in der Tür stehen.

Sein Blick fiel auf unverschämt lange, gebräunte und an den Knöcheln überkreuzte Beine in superkurzen Shorts, die mit Sicherheit gegen drei verschiedene städtische Verordnungen verstießen.

Verdammt. Sein Blick wanderte von den festen Oberschenkeln hinunter zu pink lackierten Zehennägeln in hochhackigen Sandaletten.

Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Ihr dunkles Haar fiel wie ein Vorhang vor ihr Gesicht, während sie in einer riesigen pinkfarbenen Tasche herumwühlte. Dylans Blick blieb an ihren wohlgeformten Waden haften.

Das Wort „Knockout“ kam ihm in den Sinn, aber in einem völlig anderen Zusammenhang, als der Doc und Jeb es gebraucht hatten.

Nimm dich zusammen, Mann.

Diese Frau wurde verdächtigt, an den Verletzungen eines Gesetzeshüters schuld zu sein. Es ging nicht an, dass sie nun auch noch den einzigen anderen Polizisten in dieser Stadt mit ihren endlos langen Beinen außer Gefecht setzte. Beine, die eine ganz besondere Sehnsucht in ihm weckten …

Dylan schloss kurz die Augen und verdrängte die verbotenen Bilder. Er musste aufhören, sich zu verhalten, als hätte er noch nie zuvor ein Paar sexy Beine gesehen, und endlich seinen Job erledigen.

Autor

Elizabeth Bevarly
Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam.

Sie...
Mehr erfahren
Phyllis Bourne
Mehr erfahren