Collection Baccara Band 389

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

KÖNNEN DIESE KÜSSE LÜGEN? von BENNETT, JULES
Privatdetektiv Jack Carson ist ihr Traummann - doch er ahnt nichts davon! Und jetzt hat seine Assistentin Vivianna auch noch etwas über seine Herkunft herausgefunden. Wie soll sie ihm nur die Wahrheit sagen - über ihn und über ihre Gefühle?

ICH WILL DICH - FÜR IMMER! von WILLIAMS, SYNITHIA
Die Frauen liegen ihm zu Füßen - nur die eine nicht! Und gerade sie reizt den Musiker Dante Wilson: Warum will Clubbesitzerin Julie nichts wissen von ihm und seinem Ruhm? Er muss es herausfinden - denn plötzlich wünscht sich Dante viel mehr als nur eine Affäre mit Julie …

AUCH EIN FEIND KANN ZÄRTLICH SEIN von ANDERSON, SARAH M.
Sie ist die neue Richterin - er soll überprüfen, ob sie korrupt ist. Ermittler Tom Yellow Bird bringt Carolines Blut in Wallung. Als sie sich zusammen verstecken müssen, kommt er ihr gefährlich nah. Und ihrem düsteren Geheimnis, von dem niemand etwas wissen darf …


  • Erscheinungstag 30.01.2018
  • Bandnummer 0389
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724924
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jules Bennett, Synithia Williams, Sarah M. Anderson

COLLECTION BACCARA BAND 389

JULES BENNETT

Können diese Küsse lügen?

So süß, so sexy – und so verheißungsvoll! Privatdetektiv Jack Carson hat Vivianna eigentlich nur engagiert, weil er dringend ihre Hilfe braucht: Sie soll in einem Fall undercover für ihn ermitteln. Doch dann weckt sie ein längst vergessenes Begehren in ihm. Darf er sich auf sie einlassen? Plötzlich spürt er, dass Vivianna etwas vor ihm verbirgt …

SYNITHIA WILLIAMS

Ich will dich – für immer!

Nicht umsonst hat sie den Ruf einer Herzensbrecherin: Julie ist attraktiv, aber ihre Karriere als Clubbesitzerin kommt für sie an erster Stelle – der Liebe hat sie schon lange abgeschworen. Bis Dante Wilson in ihr Leben tritt! Er lässt sich von ihrer Ablehnung nicht schrecken und hat anscheinend nur ein Ziel: Julie endlich zu erobern …

SARAH M. ANDERSON

Auch ein Feind kann zärtlich sein

Wenn Caroline neben ihm liegt, ist Tom Yellow Bird am Ziel seiner Träume! Sie hat alles, was er an einer Frau liebt: Selbstbewusstsein, Stolz – und sie ist unglaublich begehrenswert. Doch der FBI-Agent hat ein Problem: Er soll herausfinden, ob sie als Richterin wirklich gesetzestreu ist. Und dabei stößt er auf ihr wohlgehütetes dunkles Geheimnis …

1. KAPITEL

„Was machst du denn so früh hier?“

Jack Carson ging an Vivianna Smith vorbei und betrat ihr Apartment. Dabei versuchte er um jeden Preis, eine Berührung zu vermeiden. Oder ihren vertrauten Duft nach Jasmin einzuatmen. Oder darüber nachzudenken, wie unglaublich sexy sie in dem hellrosa Kostüm aussah.

Masochist. Mehr fiel ihm nicht dazu ein. Doch Jack musste eine Mission ausführen, verdammt noch mal, und dazu brauchte er die Hilfe seiner Assistentin.

Wie viel einfacher es doch wäre, wenn Viv nur seine Assistentin wäre. Seit vier Jahren versuchte Jack, die unwillkommene und doch nicht zu leugnende Anziehung zu ignorieren, die sie auf ihn ausübte. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwieriger wurde es. Und in letzter Zeit träumte er. Gut, zugegeben, er hatte am helllichten Tag Fantasien. Und Viv spielte jedes Mal die Hauptrolle.

Wie zum Teufel konnte er nur solche Gedanken haben? Es war schlichtweg falsch und dazu noch unprofessionell.

„Du musst deinen Charme spielen lassen und mehr rauskriegen.“ Jack drehte sich zu ihr um, als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog. „Du musst unbedingt noch mehr über die Parkers herausfinden.“

Clint und Lily Parker waren ein junges Ehepaar, das zwei Monate zuvor bei einem Einbruch umgebracht worden war. Die Täter hatten das Haus der Parkers angezündet. Einzig ihr Baby hatte überlebt. Ein entzückendes kleines Mädchen namens Katie … das Baby, das jetzt bei Viv in Pflege war.

Jack wollte nicht einmal an Babys denken, es tat immer noch zu weh. Trotzdem bewunderte er Viv für ihre selbstlose Art. In den vergangenen Jahren hatte sie immer wieder Pflegekinder aufgenommen. Er selbst wollte absolut nichts mehr mit Babys zu tun haben. Er konnte es nicht, wenn er nicht wollte, dass ihm das Herz brach.

„Bist du sicher, dass die O’Sheas mit dem Verbrechen in Verbindung stehen?“, fragte Vivianna und sah ihn an, bevor sie ihm voran in die Wohnung ging.

Jack blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen und dabei den Schwung ihrer runden Hüften zu bewundern. Er war auch nur ein Mensch. Und ein Mann. Wo sonst hätte er hinsehen sollen als auf Viviannas sexy Hinterteil? Sie trug immer diese figurbetonten Röcke … Bleistiftröcke hatte sie sie genannt, wenn er sich recht erinnerte. Ihre Kurven würden ihn noch um den Verstand bringen.

„Ich weiß es“, bestätigte er.

Die O’Sheas waren eine berüchtigte Bostoner Familie. Es war bekannt, dass sie kein Mittel scheuten, um ihre Interessen durchzusetzen. Selbst wenn das bedeutete, das Gesetz zu brechen. Jack hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Verbrecher wie sie zur Strecke zu bringen. Jedes Mal, wenn er jemanden vor sich hatte, der meinte, über dem Gesetz zu stehen, sah er den Verbrecher vor sich, der seine Frau und sein ungeborenes Kind getötet hatte … und ungestraft davongekommen war.

Die O’Sheas mochten ein hochklassiges High-Society-Auktionshaus führen, das auf der ganzen Welt bekannt war, doch Jack wusste, dass sie keinen Deut besser waren als ganz gewöhnliche Kriminelle. Und er würde dieser arroganten Sippschaft schon zeigen, wer das Sagen hatte. Er würde ihre sorgfältig errichtete Fassade niederreißen und dafür sorgen, dass sie ihre gerechte Strafe erhielten. Und dazu brauchte er die Frau, die in seinen Fantasien die unbestrittene Hauptrolle spielte.

Vor einem Jahr hatte er die perfekte Tarnung für Viv geschaffen und sie in das Auktionshaus der O’Sheas eingeschleust. Sie arbeitete zwar nur Teilzeit für die berüchtigte Familie, aber das genügte, um an Informationen zu kommen.

Das FBI hatte ihn um Hilfe gebeten, da es jemanden mit seiner Erfahrung und seinen Möglichkeiten benötigte, um in den engsten Kreis der O’Sheas einzudringen. Jack war der Beste, den man im Bereich private Ermittlungen finden konnte, und das FBI brauchte ihn. Das war keine Eitelkeit, sondern eine Tatsache. Er konnte da etwas ausrichten, wo andere schon lange ihre Waffen hatten strecken müssen.

Die Millionen, die er verdient hatte, waren ihm nicht zugeflogen. Er war niemand, der sich zurücklehnte und die Verantwortung an andere delegierte. Seit er vor zehn Jahren aus Afghanistan zurückgekehrt war, hatte Jack Tag und Nacht gearbeitet, um Carson Enterprises dahin zu bringen, wo es heute war.

Bei seiner Rückkehr hatte er erfahren, dass seine Familie während seiner Stationierung in Afghanistan umgebracht worden war. Was sonst hätte Jack tun sollen, als sein Leben der Gerechtigkeit zu widmen?

Inzwischen nahm er, der längst ein Vermögen gemacht hatte, nur noch die Jobs an, die ihn interessierten. Und die O’Sheas spielten genau in der Liga, auf die er es abgesehen hatte. Die O’Sheas hatten gerade in Verhandlung mit den Parkers gestanden, um einige ihrer Antiquitäten zu erwerben, als sich der Raub ereignete. Jack zweifelte keine Sekunde daran, dass diese gewissenlose Familie ganz genau wusste, was sich in der tragischen Nacht tatsächlich zugetragen hatte.

Viv ging ins Kinderzimmer. Jack wurde eng um die Brust, und er entschied sich wohlweislich, in der Diele zu bleiben.

Seit er sie kannte, hatte er Viv schon mit vielen Pflegekindern erlebt, aber niemals mit einem Baby. Damit wollte er nichts zu tun haben. Obwohl der tragische Vorfall, bei dem seine Frau und sein ungeborenes Kind gestorben waren, schon so lange her war, waren die Wunden noch offen und schmerzten, als wäre es erst gestern geschehen. Er bezweifelte, dass sie jemals heilen würden.

Viv trat wieder zu ihm in die Diele. Sie hielt Katie in den Armen, der kleine Kopf des Kindes lag auf Vivs Schulter. „Ich muss sie nur kurz nach nebenan zur Babysitterin bringen und dann los zum Auktionshaus.“

Viv konnte sich glücklich schätzen, dass ihre Nachbarin, eine verwitwete Lehrerin im Ruhestand, Kinder liebte. Martha kümmerte sich gerne um Vivs Pflegekinder, wenn diese arbeiten musste.

„Ich tue, was ich kann, Jack.“ Sie blickte ihn an. Wie müde sie aussieht, dachte er. Sie war zwar trotzdem wunderschön und sexy, aber Jack fühlte sich schuldig, dass sie seinetwegen so viel arbeiten musste. „Sie sind eh schon misstrauisch wegen der verschwundenen Daten. Wenn ich jetzt zu sehr Druck mache, verrate ich mich.“

Jack hatte sie niemals in diese Lage bringen wollen. Aber er konnte jetzt nicht einfach aufgeben, solange der Job nicht erledigt war. Und sein Job bestand nicht darin, in den tiefen V-Ausschnitt von Vivs tailliertem Jackett zu starren, als Katie daran zerrte.

Als ein Stück weißer Spitze von ihrem BH aufblitzte, hätte Jack nichts lieber getan, als die Knöpfe ihres Jacketts zu öffnen, um zu sehen, ob die Spitze …

Verdammt noch mal! Reiß dich zusammen!

Viv kam auf ihn zu, und er musste sich zwingen, den Blick von ihrem atemberaubenden Dekolleté abzuwenden und ihr ins Gesicht zu sehen. Was an sich nicht schwierig war. Viv hatte einen Teil indianisches Blut. Ihre Großmutter war eine Sioux gewesen, und Viv hatte ihre hohen Wangenknochen, ihr dichtes blauschwarzes Haar und ihre dunkelbraunen Augen geerbt. Jack hatte mehr als einen Mann gesehen, der bei ihrem Anblick stehen blieb und sie wie hypnotisiert anstarrte … und jedes Mal hatte er das unbändige Verlangen gespürt, dem Fremden einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen.

Das Schuldgefühl war so stark, dass es ihm den Hals zuschnürte. Jack sollte keine andere Frau begehren. Er hatte die Liebe seines Lebens gefunden. Und jetzt war sie tot. Weil er nicht da gewesen war, um sie und ihr Baby zu beschützen.

Er war sich sicher, dass er sich nur zu Viv hingezogen fühlte, weil sie schon so lange zusammenarbeiteten. Viv war die einzige Frau, mit der er regelmäßigen Kontakt hatte, abgesehen von seiner Haushälterin Tilly. Jack bewunderte Viv, weil sie stark und gleichzeitig so gefühlvoll war. Nahm man ihr umwerfendes Aussehen und ihre wohlgeformten Kurven dazu, war es nur natürlich, dass Jack sich von ihr angezogen fühlte. Doch er musste seine Emotionen unter Kontrolle halten.

„Ich bin auf deiner Seite“, sagte Viv lächelnd und riss ihn aus seinen Gedanken. „Warum kommst du nicht heute Abend vorbei, und wir reden weiter?“

„Heute Abend habe ich eine Telefonkonferenz mit Auftraggebern aus Großbritannien.“

Sie nickte. „Okay, alles klar. Was ist mit morgen? Ich koche uns was, und dann überlegen wir uns das weitere Vorgehen.“

Abendessen? Mit ihr und dem Baby? Das hörte sich so … häuslich an. Normalerweise achtete er darauf, sie nur im Büro oder auf neutralem Terrain zu treffen. Allerdings war er heute Morgen selbst zu ihr nach Hause gefahren, um nach dem Rechten zu sehen … und das hatte, wenn er ganz ehrlich war, nicht nur mit der Arbeit zu tun gehabt.

Verdammt. Je länger sie mit diesem Fall beschäftigt waren, desto größer wurde sein Verlangen, sie zu beschützen … und zu besitzen.

„Warum kommst du nicht zu mir? Meine Haushälterin kocht uns was.“

Das war es. Tilly würde da sein, und dadurch wurde alles gleich weniger familiär.

„Morgen passt gut“, erwiderte sie und strahlte ihn an. „Katie und ich können es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Ich arbeite bis vier. Danach hole ich sie ab und gehe gleich zu dir rüber.“

Bisher war Viv noch nie mit einem ihrer Pflegekinder bei Jack gewesen. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen sie sich außerhalb des Büros getroffen hatten, waren es immer nur sie beide gewesen. Seitdem er begonnen hatte, in ihr mehr als nur seine Assistentin zu sehen, hatte er versucht, ihren Kontakt zueinander auf ein Minimum zu beschränken.

„Irgendwelche besonderen Wünsche?“, fragte er.

Wanderte ihr Blick plötzlich zu seinen Lippen? Sah sie ihn wirklich gerade mit ihren dunkelbraunen Augen an, als wollte sie …?

Nein, wies er sich zurecht. Es war gleichgültig, was sie wollte oder auch er selbst. Ihre Beziehung war rein beruflich. Punkt.

„Hm … nein, keine besonderen Wünsche.“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn wieder an. „Egal, was es ist, es schmeckt bestimmt gut.“

Jack rieb sich die feuchten Handflächen an der Jeans. Ich muss hier raus, dachte er. Ihr vielsagender Blick, das entzückende Baby an ihrer Schulter, seine Übermüdung … all das führte dazu, dass sich in seinem Kopf unmögliche Filme abspielten.

Jack ging zur Wohnungstür und drückte die Türklinke nach unten. Über seine Schulter warf er einen Blick zurück, bevor er hinausging. „Sei vorsichtig, Viv. Ich will nicht, dass du ein unnötiges Risiko eingehst.“

„Du hast mir beigebracht, auf mich aufzupassen. Ich verspreche dir, dass mir nichts passiert. Wir sehen uns morgen.“

Er blieb einen Moment stehen und ließ das Bild auf sich wirken, wie sie in ihrem makellosen, figurbetonten Kostüm mit dem Baby auf dem Arm vor ihm stand. Es war wirklich höchste Zeit, das Weite zu suchen, bevor er noch vergaß, dass sie für ihn arbeitete, und das tat, was er schon seit Monaten am liebsten getan hätte. Aber romantische Verwicklungen oder andere Ablenkungen von seiner Lebensaufgabe durfte es nicht geben.

Endlich, dachte Viv erleichtert, als sie zur Wanduhr sah. Es war sechzehn Uhr, und gleich würde sie zu Jack fahren. Es war lächerlich, wie sie für ihren Boss schwärmte. Sie entsprach ganz bestimmt nicht dem Klischee der verknallten Assistentin, und doch wusste sie, dass sie sofort mit ihm ins Bett gehen würde, wenn er ihr signalisierte, dass er es wollte.

Erbärmlich, dachte sie. Es war einfach nur erbärmlich, wie sie darauf hoffte, dass ihr Boss sie endlich eines Tages bemerken würde. Außerdem war es nicht so, dass sie Zeit oder Energie für eine heiße, flüchtige Affäre gehabt hätte. Sie hatte ein Baby, das sie brauchte und um das sie sich kümmern musste. Was war schon sexy an einer übermüdeten Mutter? Doch gleichzeitig wusste sie, dass sie niemals aufhören würde, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Auf diese Weise konnte sie wenigstens auch Mutter sein, ohne sich gefühlsmäßig zu sehr zu binden.

Der Schmerz darüber, dass sie niemals eigene Kinder haben konnte, war weniger heftig als früher. Doch irgendwo lauerte er noch immer und drohte jederzeit wieder hervorzukommen. Zum Glück lenkte die Arbeit sie ab und ließ nicht zu, dass sie zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und im Augenblick hatte sie mehr als genug Arbeit.

Sie arbeitete in Teilzeit für die O’Sheas, was sich gut mit ihren Aufgaben als Pflegemutter in Einklang bringen ließ. Außerdem arbeitete sie inoffiziell natürlich immer noch für Jack. Als Single kannte sie nur eine Handvoll Menschen, auf die sie zählen konnte. Ihre Eltern waren schon tot, und sie war Einzelkind. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, für sich selbst zu sorgen. Aber ganz ohne Unterstützung konnte auch sie nicht gleichzeitig arbeiten und sich um ein Kind kümmern.

Zum Glück gab es Martha, ihre Nachbarin. Sie war eine entzückende ältere Dame, die fast immer Zeit hatte, sich um Katie zu kümmern. Und wenn es gerade nicht passte, konnte Viv das Baby auch mit ins Büro nehmen. In ihr Büro bei Jack.

Der Job bei den O’Sheas war nur eine Tarnung, die Jack sich ausgedacht hatte, um sie in den inneren Kreis der Familie zu bringen. Ihr wirklicher Arbeitgeber war der attraktive und reiche Ermittler, dessen Herz einmal gebrochen worden war und der seitdem nichts anderes um sich herum wahrnahm als die Arbeit.

Was kein Wunder ist, sagte sich Viv. Der Mann hatte so viel durchlitten in seinem Leben. Seine Mutter war gestorben, als er erst neunzehn gewesen war. Er war im Krieg gewesen. Seine Frau war ermordet worden, und er hatte nie erfahren, wer sein Vater war … Viv kannte nur die groben Einzelheiten, aber das reichte schon, um ihr selbst fast das Herz zu brechen. Wie sehr sie sich wünschte, er würde dem Leben noch einmal eine Chance geben. Zu gern wäre sie diejenige gewesen, die ihm zeigte, dass nicht alles im Leben Schmerz und Verlust bedeutete. Wenn er sie nur gelassen hätte.

Sie lief in den hinteren Bereich des Auktionshauses, wo sich die Büroräume befanden. Laney, das jüngste Familienmitglied der O’Sheas und die einzige Frau unter den Geschwistern, verhandelte vorne gerade mit einem potenziellen Kunden. Seitdem sich herausgestellt hatte, dass vertrauliche Informationen zum FBI durchgedrungen waren, war immer mindestens ein Mitglied der Familie im Auktionshaus. Was Vivs Aufgabe, an Informationen zu kommen, deutlich erschwerte, zumal sie nur zwanzig Stunden in der Woche hier arbeitete.

Sie ging um den antiken Schreibtisch herum, der ihr als Arbeitsplatz zugeteilt worden war, und öffnete die oberste Schublade, um einen Stift zu suchen. Bevor sie Katie abholte, musste sie dringend noch ein paar Einkäufe erledigen, und wenn sie vorher keine Liste machte, würde sie die Hälfte vergessen. Einkaufen rangierte momentan ziemlich weit unten auf ihrer Prioritätenliste. Weiter oben stand Kinder retten, Jack helfen, versuchen, dass Jack endlich mehr in ihr sah als nur seine Assistentin … Würde er das jemals tun?

In dem einen Jahr, seit sie für die O’Sheas arbeitete, war es Viv gelungen, das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Manchmal allerdings fühlte sie sich schuldig, sie zu täuschen. Aber sie war nicht naiv. Auch sie hatte die Gerüchte gehört, die sich um die Familie rankten. Jeder, der in Boston mit Kunst oder Auktionen zu tun hatte, kannte die O’Sheas. Die Begriffe „Mafia“ und „skrupellos“ waren durchaus gebräuchlich, wenn die Familie beschrieben wurde.

Auf einmal fühlte Viv, wie etwas ihren Handrücken streifte. Erschrocken zog sie die Hand zurück, bückte sich und blickte suchend in die Schublade. Nichts. Hoffentlich war es keine Spinne gewesen.

Schnell griff sie noch einmal in die Schublade, und wieder streifte etwas ihre Hand.

Ängstlich nahm Viv ihr Smartphone und leuchtete in die Schublade hinein. Fast erwartete sie, eine ganze Familie haariger Vogelspinnen zu erblicken.

Doch als sie sich bückte, um genauer hinzusehen, entdeckte sie ein Stück Papier, das aus der Verkleidung über der Schublade herausragte. Was ist das?, fragte sie sich. Seltsam, dass da ein Stück Papier über der Schublade steckte. Wieso war ihr das bisher nie aufgefallen?

Viv lauschte. Laney war immer noch im Gespräch mit dem Kunden, und ansonsten befand sich niemand im Auktionshaus. Viv zog ihren Schreibtischstuhl heran, setzte sich und besah sich die Unterseite des Schreibtisches genauer.

Vorsichtig nahm sie das Papier zwischen Daumen und Zeigefinger und zog daran. Es bewegte sich, und jetzt sah sie auch, dass es eng mit einer Handschrift beschrieben war, die sie nicht kannte. Sie zog etwas stärker, und plötzlich fühlte sie, wie es nachgab. Wieder leuchtete sie in die Schublade, und diesmal sah sie, dass die Verkleidung über der Schublade locker war.

Behutsam zog sie an der Verkleidung, bis sie diese ganz gelöst hatte und ein kleines Buch in die Schublade fiel.

Wie kommt es dahin, und wer hat es wohl versteckt? Rasch nahm sie das Buch und schob es in ihre Handtasche. Hier konnte sie es nicht wagen, es sich genauer anzusehen.

Ohne noch einen Gedanken an die Einkaufsliste zu verschwenden, packte sie eilig ihre Sachen zusammen. Später war noch genug Zeit für Einkäufe. Sie warf sich ihren Mantel über und verließ das Büro durch den Hinterausgang. Als sie zu ihrem Auto eilte, bemerkte sie fast nichts von dem eisigen Wind, der ihr entgegenschlug.

Als sie endlich in ihrem Wagen saß, einem älteren, aber noch vollkommen funktionstüchtigen Modell, verriegelte sie die Türen und zog das kleine, ledergebundene Büchlein aus ihrer Handtasche.

Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass sie auf Gold gestoßen war. Der Verfasser des Büchleins war kein anderer als der verstorbene Patrick O’Shea selbst. Der Patriarch der Bostoner Familie, die Jack um jeden Preis zu Fall bringen wollte.

Als Viv die ersten Seiten rasch überflog, sah sie Jack schon vor sich, wie er triumphierend das Buch las. Sie konnte es kaum abwarten, es ihm zu geben. Endlich hatten sie etwas in der Hand!

Als sie jedoch zur nächsten Seite umblätterte, gefror ihr auf einmal das Blut in den Adern. Sie hatte Mühe zu begreifen, was sie las. Sie las jedes Wort noch einmal, um sich zu vergewissern, dass ihre Fantasie ihr keinen Streich gespielt hatte.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie begriff, dass Jack das Büchlein niemals in die Hände bekommen durfte. Alles, was er brauchte, um die Familie zu Fall zu bringen, stand in dem Büchlein … aber darin stand auch, dass er Patrick O’Sheas unehelicher Sohn war.

2. KAPITEL

Das Geräusch von Absätzen, die über den massiven Holzfußboden klackerten, wurde immer lauter, je näher Viv kam. Jack stand auf und wandte sich zu den Flügeltüren um, die zu dem verglasten Patio hinausführten. Jack hatte Tilly darum gebeten, im Patio aufzutragen. Außerdem hatte er ihr gesagt, dass sie nach Hause gehen könne, sobald sie Viv hineingelassen hatte.

Jack stockte der Atem, als Viv in Sichtweite kam. Das Verlangen, das ihn schlagartig überfiel, war heftig, aber inzwischen nicht mehr überraschend. Jedes Mal, wenn sein Blick auf sie fiel, packte es Jack. Aber das war allein sein Problem.

Der rosafarbene Blazer betonte ihre schmale Taille. Der dazu passende Rock endete kurz über dem Knie, und die schwarzen Stiefel mit den hohen Absätzen ließen ihre Beine endlos lang wirken.

Jack war viel herumgekommen. Sowohl privat als auch in seiner Zeit beim Militär. Überall auf der Welt war er umwerfenden Frauen begegnet. Mit dieser betörenden Mischung aus Unschuld, Klasse und heißblütigem Temperament war Viv jedoch eine Frau, der keine von ihnen das Wasser reichen konnte.

Jack wusste, dass Viv in jeder Kleidung wunderschön aussehen würde. Wegen ihres indianischen Erbes stach sie unter allen anderen Frauen, die er kannte, hervor. Und genau das ließ immer wieder heftige Schuldgefühle in ihm aufsteigen. Er fühlte sich, als sei er seiner verstorbenen Frau untreu. Ich muss das in den Griff kriegen, dachte Jack. Bevor er ihre berufliche Beziehung in Gefahr brachte. Jack wollte keine andere Assistentin. Er und Viv waren ein eingespieltes Team.

Außerdem war Viv die Einzige, der Jack es zutraute, die Informationen bei den O’Sheas zu finden, die er brauchte.

„Tut mir leid, ich bin ein bisschen zu spät“, begrüßte Viv ihn. Dann fiel ihr Blick auf den Tisch, und ihre Augen weiteten sich. „Wow, du hast ja an alles gedacht.“

Knusprige Brötchen, Putenrouladen mit Pflaumensauce, goldbraun geröstete Ofenkartöffelchen, knackiges Gemüse, Wein … die Butterstücke für die Brötchen hatten die Form kleiner Tauben. Tilly, seine Haushälterin und Köchin, wollte nichts lieber, als Jack wieder unter die Haube zu bringen, und so hatte sie sich mächtig ins Zeug gelegt. Und in der Küche wartete noch ein selbst gemachter dreilagiger Frucht-Käsekuchen zum Nachtisch.

Was soll’s, dachte Jack. Tillys Versuche waren vergebens. Dieses Dinner war rein beruflich, und er brauchte bestimmt keine Hilfe, um sich eine Frau zu suchen. Wenn er jemals wieder so weit sein sollte, würde er sich schon selbst darum kümmern.

Jack ließ seinen Blick über den romantisch gedeckten Tisch wandern, bevor er Viv wieder ansah. „Ich habe Tilly gesagt, dass es ein Arbeitsessen ist, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu verkuppeln.“

Viv zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Na ja, es ist jetzt schon romantischer als alle Dates, die ich je erlebt habe. Ich erhole mich immer noch von dem letzten.“

Bevor Jack fragen konnte, was sie damit meinte, stieß Katie, die gerade zahnte, einen Schrei aus. Viv strich ihr besänftigend über den Rücken und schaukelte sie sanft hin und her, während sie ihr tröstende Worte ins Ohr flüsterte. Doch nichts schien zu helfen.

„Ich habe die Wickeltasche bei der Garderobe stehen lassen. Könntest du sie mir eben holen?“

Wickeltasche. Sicher.

Jack versuchte, ein Schuldgefühl zu verdrängen, als er zur Garderobe lief. Schon bevor sie Katie in Pflege genommen hatte, war Viv mit ihren zwei Jobs vollkommen ausgelastet gewesen. Sich jetzt noch um ein elf Monate altes Baby zu kümmern, war mehr als eine Herausforderung. Aber Jack kannte Viv lange genug, und sie war stark. Er machte sich keine Sorgen, dass ihr Job darunter litt. Im Gegenteil, er zählte auf sie.

Und genau das irritierte Jack. Er hasste es, sich auf andere verlassen zu müssen, während er danebenstand und nichts unternehmen konnte.

Die grau-weiß gemusterte Tasche stand neben dem kleinen Tischchen bei der Eingangstür. Jack schnappte sich den Riemen und warf sich die schwere Tasche über die Schulter. Was zum Teufel ist da drin?, fragte er sich ungläubig. Wie konnte ein so kleines Wesen nur so viel Zeug benötigen?

Jack hörte Katie schon schreien, als er zurück zum Patio ging. Viv saß auf einem der weich gepolsterten Stühle am Tisch. Sie hielt Katie in den Armen und flüsterte ihr beruhigend zu.

Als sein Blick auf die hellrosa Spitze fiel, die aus dem V-Ausschnitt ihres Blazers hervorblitzte, blieb Jack wie angewurzelt stehen. Gott im Himmel, sei mir gnädig!, dachte er flehend. Nicht schon wieder! Katie hatte die Fäustchen in das Revers gekrallt und zog den Stoff auseinander.

Die helle Spitze bildete einen unwiderstehlichen Kontrast zu Vivs dunkler, samtig schimmernder Haut … ihrer Haut, die er ebenso wenig mit Blicken verschlingen sollte, wie es ihn danach verlangen durfte, sie zu berühren.

Reiß dich zusammen!

Jack rückte den Riemen der Wickeltasche auf der Schulter zurecht und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, dass diese Frau offenbar Spitzenwäsche liebte.

„Was brauchst du?“, fragte Jack und öffnete den Reißverschluss der Tasche.

Viv hob den Kopf. Wie jedes Mal, wenn sie ihn aus ihren tiefbraunen Augen ansah, konnte er kaum den Blick abwenden. Viv war sich gar nicht bewusst, was sie mit ihren Blicken anrichtete, und Jack tat gut daran, sich erneut zu ermahnen, dass Viv tabu war.

„Stell sie bitte hier hin. Ich mach das schon.“

Jack stellte die Tasche auf den Boden neben Viv und setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber. Unglücklicherweise riss Katie noch ungestümer an Vivs Ausschnitt, als diese sich gerade hinunterbeugte, um in der Tasche zu kramen. Jack sah, dass eine kleine pinke Schleife genau in der Mitte zwischen ihren Brüsten saß.

Nein, es war unmöglich! Wie sollte Jack sich so auf die Arbeit konzentrieren?

„Sag mir doch bitte, was du suchst.“

Jack stand auf und nahm die Tasche, während er sich zwang, nicht zu Viv zu blicken. Konzentrier dich auf die Tasche, befahl er sich. Nur so ließ es sich vermeiden, dass dieses „Arbeitsessen“ vollkommen entgleiste.

„Das Schmerzmittel.“ Viv setzte sich Katie auf den Schoß und zog ihren Blazer zurecht. „Es ist in der kleinen Außentasche.“

Als Jack das Fläschchen gefunden hatte, reichte er es Viv. Er sah ihr zu, wie sie der Kleinen die Paste vorsichtig auf das Zahnfleisch strich. „Alles gut, meine Süße“, flüsterte sie. „Gleich geht’s dir wieder besser.“

Viv hatte Katie zwar schon einige Male mit ins Büro gebracht, aber Jack hatte sich jedes Mal unter einem Vorwand aus dem Staub gemacht. Die Kombination aus der wunderschönen Frau und dem entzückenden Baby war wie ein Spiegel, der ihm zeigte, was er alles verloren hatte …

Als Jack jetzt Viv dabei zusah, wie sie das unglückliche Baby tröstete, fragte er sich plötzlich, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn seine Frau noch am Leben wäre. Jack versuchte, diese Gedanken zu vermeiden, aber manchmal überfielen sie ihn urplötzlich.

„Sorry.“ Viv blickte zu ihm hoch und lächelte ihn sanft an. „Warum fängst du nicht schon an zu essen? Ich will dich nicht abhalten.“

Dankbar für die Möglichkeit, sich auf etwas anderes konzentrieren zu können, begann Jack, ihre Teller zu füllen. „Wie war’s heute? Hast du mit Laney gearbeitet?“

Laney O’Shea war das Nesthäkchen der Familie. Sie war verlobt mit Ryker Barrett, der rechten Hand der Familie und dem Mann für die Drecksarbeit. Laney und er erwarteten ihr erstes Kind im Sommer, und Jack hasste sich selbst für die Eifersucht, die ihn jedes Mal bei dem Gedanken daran befiel. Leute wie sie hatten kein Recht darauf, das Glück zu erfahren, das ihm genommen worden war.

„Was?“ Viv sah ihn zerstreut an und blickte dann wieder zu Katie. „Oh, ja. Laney war den ganzen Tag im Büro.“

„Und? Irgendwelche interessanten Besucher? Sind Ryker oder ihre Brüder vorbeigekommen?“

„Ryker war kurz da, um Laney etwas zum Mittagessen zu bringen. Seitdem sie schwanger ist, ist er unheimlich besorgt um sie.“

Jack biss die Zähne zusammen, bevor er einen der vollgefüllten Teller vor Viv auf den Tisch stellte. „Hat er sonst noch was gemacht? War er am Computer, oder hat er telefoniert?“

„Nein, er war wirklich nur ganz kurz da.“ Viv blickte auf ihren Teller. „Das schaffe ich nie im Leben.“

„Iss so viel, wie du magst. Tilly bringt die Reste immer in die Obdachlosenunterkunft bei ihr um die Ecke. Sie kocht meistens absichtlich zu viel, damit sie etwas abgeben kann.“

„Wie süß von ihr.“

Jack zuckte mit den Schultern. „Sie hat ein großes Herz und keine Skrupel, mein Geld auszugeben, um anderen damit zu helfen.“

Katie, die immer noch in Vivs Armen lag, hatte sich inzwischen beruhigt.

Viv nahm ihre Gabel und pikste in eine Kartoffel. „Und du? Du scheinst auch ein großes Herz zu haben, sonst würdest du das nicht erlauben.“

„Ich habe kein Problem damit, jemandem, der es braucht, zu helfen.“ Jack sah zu Viv. Ihm fiel auf, dass sie ihn nicht angesehen hatte, seit er die Arbeit bei den O’Sheas erwähnt hatte, und dass sie jetzt versuchte, das Thema zu wechseln. „Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat, damit es uns nie an etwas mangelt. Ich weiß, dass es für sie nicht leicht war, mich alleine großzuziehen. Oft habe ich sie nachts weinen gehört.“

Jack hielt inne. Er wollte nicht zu tief in die schmerzhaften Erinnerungen eindringen. Wie leicht konnte die Vergangenheit ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Das Einzige, was er niemals vergessen wollte, war, woher er gekommen war, denn dies hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war. Und seine Mutter, die so viel für ihn geopfert hatte, würde er niemals vergessen.

Jack atmete tief durch. Er durfte sich nicht ablenken lassen. „Was ist heute im Büro passiert?“

Viv ließ ihre Gabel fallen. Sie nahm sie rasch wieder in die Hand und zuckte mit den Schultern. „Nichts. Nur das Übliche, wie jeden Tag.“

Wieder bemerkte Jack, dass Viv es vermied, ihm in die Augen zu sehen. Er kannte Viv lange genug und hatte als Soldat und Ermittler genug Erfahrung, um zu erkennen, wenn jemand log. Was war hier los?

Ganz langsam, ohne sie einen Moment aus den Augen zu lassen, lehnte Jack sich nach vorne. „Was ist heute passiert?“, wiederholte er, diesmal langsamer. Endlich blickte Viv ihn an.

„Jack, ich habe dir erzählt, was passiert ist.“ Jetzt sah Viv ihm gerade in die Augen. Katie war eingeschlafen und lag eng an sie gekuschelt auf ihrem Schoß. „Laney hat den ganzen Morgen mit einem potenziellen Auftraggeber verhandelt, und ich war hinten und habe Inventarlisten für die Frühjahrsauktion in den Rechner eingegeben.“

Jack hörte ihr zu und lehnte sich zurück. Wieso zweifelte er auf einmal an ihren Worten? Er vertraute Viv hundertprozentig und wusste, dass sie seine Verbündete bei diesem Fall war.

„Und dann kam Ryker mit dem Mittagessen vorbei“, fuhr sie fort. Viv blickte auf das schlafende Baby auf ihrem Schoß. „Danach war nicht mehr viel los, und Laney und ich haben uns über Babys unterhalten. Sie weiß ja, dass ich Pflegemutter bin, und hatte ein paar Fragen.“

„Was zum Beispiel?“ Jack wollte alles wissen, was im Büro vor sich ging. Selbst das kleinste Detail konnte wichtig sein, um den Fall zum Abschluss zu bringen.

Viv zuckte mit den Schultern. „Sie hat mich nach bestimmten Entwicklungsschritten gefragt. Aber ich hatte selber vorher nie mit Babys zu tun. Meine Pflegekinder waren immer schon älter.“

Jack wusste, dass Viv normalerweise nur ältere Kinder in Pflege nahm. Bei Katie hatte sie eine Ausnahme gemacht, weil sie die Parkers schon durch ihre Arbeit bei den O’Sheas kennengelernt hatte. Bei einem ihrer Besuche hatte sie sogar schon mit dem Baby gespielt.

Außerdem wusste Viv, wie schwierig es war, geeignete Pflegeeltern für Kinder in Not zu finden. Da sie bereits als Pflegemutter registriert war, hatte sie keinen Moment gezögert, darum zu bitten, Katie bei sich aufnehmen zu dürfen.

Das alles hörte sich nach einem gewöhnlichen, langweiligen Tag an. Der ihm kein bisschen weiterhalf. Doch irgendetwas störte ihn. Viv hatte wie erstarrt gewirkt, als er sie das erste Mal auf die Arbeit angesprochen hatte. Und dann war sie seinen Blicken ausgewichen.

„Bist du sicher, dass sonst nichts vorgefallen ist?“

Viv legte sich Katie in den anderen Arm, wobei sich der Ausschnitt ihrer Jacke wieder öffnete. Viv zog den Blazer schnell wieder zurecht, allerdings nicht, bevor Jack ein weiterer Blick auf ihre wohlgerundeten Brüste gegönnt wurde.

„Ich bin nur gestresst“, erklärte Viv und lächelte ihn an. „Katie zahnt, und die Auktion steht ins Haus. Leider besteht meine Arbeit bei den O’Sheas nicht nur daraus, sie auszuspionieren. Sie erwarten von mir, dass ich den Job erledige, für den sie mich eingestellt haben. Und das kann ganz schön anstrengend sein.“

Gar nicht zu erwähnen all die andere Arbeit, die sie für ihn erledigte. Streng genommen war Viv eine alleinerziehende Mutter mit zwei Teilzeitjobs. Und jetzt musste sie sich auch noch ständig mit ihm zu den unmöglichsten Zeiten treffen. Was sicherlich auch nicht half. Jack fluchte innerlich. Vielleicht sollte er den Fall doch aufgeben und der Justiz überlassen. Aber jetzt waren sie schon so lange hinter den O’Sheas her, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte, bis einer von ihnen einen Fehler machte und sich verriet. Er musste nur geduldig sein.

Da Katie nun ruhig und friedlich auf ihrem Arm schlief, widmete Viv sich dem Essen. Jack fragte nicht weiter. Vielleicht hatte er ihre Reaktion überinterpretiert, und sie war wirklich nur gestresst. Jack war jedenfalls der Letzte, der noch zusätzlichen Stress verursachen wollte.

„Sie haben dich aber nicht in Verdacht, oder?“

Viv nahm einen Schluck Wein aus ihrem Glas. „Sie verdächtigen jeden, der irgendwie mit dem Büro in Verbindung steht. Aber ich glaube nicht, dass sie mich im Besonderen verdächtigen. Ich bin vorsichtig, Jack.“

Warum machte es ihn fast wahnsinnig vor Verlangen, seinen Namen aus ihrem Mund zu hören? Ich darf mich nicht ablenken lassen!, ermahnte er sich. Schon gar nicht, wenn es um die Sicherheit seiner Assistentin ging.

Sobald der Fall erledigt war, würde er in seine Villa in Italien fahren. Sich entspannen. Vielleicht eine Frau aufreißen, um eine bedeutungslose Nacht mit ihr zu verbringen. Jack schien nicht mehr in der Lage zu sein, einen klaren Gedanken zu fassen, und schob das darauf zurück, dass er schlicht überarbeitet und sexuell frustriert war.

„Nächsten Montag wird eine neue Lieferung mit Gemälden erwartet“, unterbrach Viv seine Gedanken. „Eigentlich habe ich frei, aber ich habe gedacht, dass ich anbiete, ins Büro zu kommen, und sage, dass ich gerne noch mehr arbeiten würde.“

„Auf keinen Fall. Wenn du sagst, dass du mehr arbeiten möchtest, schöpfen sie Verdacht. Die O’Sheas wissen, dass es eine undichte Stelle gibt. Mach alles so weiter wie bisher.“

Viv nickte. „Wahrscheinlich hast du recht. Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun.“

„Versuch, mehr über die Parkers herauszukriegen“, antwortete Jack. Er lehnte sich zurück und blickte auf das schlafende Baby. „Du hast den perfekten Einstieg. Besonders mit Laney. Sprich mit ihr über Katie. Darüber, wie sie sich eingewöhnt hat. Sprich über den Verlust ihrer Eltern, und du bist mitten im Thema.“

Viv schob ihren Teller, der noch halb voll war, von sich, schlang beide Arme um das Baby und schürzte nachdenklich die Lippen. „Kein schlechter Plan. Laney und ich sprechen fast immer über Babys, wenn es nicht gerade um die Auktion geht.“

„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Wir müssen das Ganze aus dieser Richtung angehen. Wenn wir mehr über die Nacht herauskriegen, in der die Parkers ermordet wurden, wird die Spur uns letztendlich wieder zu den O’Sheas führen.“

Es war Jack vollkommen gleichgültig, für was sie die O’Sheas drankriegten. Diese korrupte Familie hatte so viele Verbrechen auf dem Kerbholz, dass man sie niemals für alle zur Rechenschaft ziehen konnte. Aber er würde beweisen, dass die O’Sheas nicht die weiße Weste hatten, die sie der Öffentlichkeit präsentierten.

Es war gleichgültig, wer aus dem Clan nach dem Ableben des Familienoberhaupts Patrick O’Shea das Kommando übernommen hatte. Diese Familie steckte so tief im Sumpf des Verbrechens, dass es unmöglich war, dass sie inzwischen nur noch legale Geschäfte machte.

„Ich bin morgen Vormittag von acht bis zwölf im Auktionshaus“, erinnerte ihn Viv, als wüsste er nicht selber auf die Sekunde genau, wann sie bei den O’Sheas arbeitete. „Ich muss mit Katie zu einer Routineuntersuchung beim Kinderarzt. Ich schicke dir eine Nachricht, wenn ich aus dem Büro weggehe.“

Katie fing an, sich in ihren Armen zu winden. Viv erhob sich und strich ihr besänftigend über den Rücken, um sie zu beruhigen. Jack war fasziniert, wie mühelos sie sofort in die Mutterrolle schlüpfte. Sie war die großherzigste Person, der er jemals begegnet war. Er hatte ihren Hintergrund sorgfältig geprüft, bevor er sie eingestellt hatte. Deshalb wusste er, dass sie nie verheiratet gewesen war und keine eigenen Kinder hatte. Sie hatte eine lange Krankengeschichte in ihrer Kindheit hinter sich, aber sie selbst hatte nie davon gesprochen, sodass er nie hatte nachfragen können. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, herauszufinden, was damals passiert war, aber er hatte genug über sie erfahren, um zu wissen, dass er ihr vertrauen konnte. Und er wollte ihr Vertrauen in ihn nicht missbrauchen. Ehrlichkeit war für ihn das Wichtigste, und da er ehrlich zu Viv war, erwartete er dasselbe von ihr.

„Ich sollte jetzt los“, unterbrach sie seine Gedanken. „Katie muss ins Bett, und wenn ich nicht bald schlafen gehe, bin ich morgen auch zu nichts zu gebrauchen.“

Er legte seine Serviette vor sich auf den Tisch und erhob sich ebenfalls.

„Warum bittest du nicht deine Nachbarin, jeden Tag ein paar Stunden zusätzlich auf Katie aufzupassen? Dann könntest du dich ein bisschen ausruhen. Ich würde auch dafür bezahlen, wenn es darum geht.“

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. „Es geht nicht ums Geld, Jack. Ich bin Pflegemutter geworden, um mich um Kinder zu kümmern, die sonst niemanden auf der Welt haben. Katie bei meiner Nachbarin abzugeben, nur damit ich ein paar Stunden Ruhe habe, kommt gar nicht infrage.“

„So hab ich das nicht gemeint“, entgegnete er und ärgerte sich darüber, dass sie den Eindruck haben könnte, er sei herzlos. Ganz im Gegenteil. Er sorgte sich … viel zu sehr. „Wenn du nicht auf dich achtest, wie willst du das dann alles schaffen?“

Sie schlug die Augen nieder und seufzte. Dann blickte sie ihn an. „Alles, was ich tue, tue ich für die Menschen, die mir wichtig sind. Für dieses Kind, für dich. Ich habe keine Familie, Jack. Deswegen arbeite ich, um die Leere auszufüllen. Wenn ich zur Ruhe komme, fange ich nur an nachzudenken. Ich will keine Zeit haben, um nachzudenken. Das halte ich nicht aus. Verstehst du, was ich meine?“

Er schluckte. Sie hatte genau das ausgedrückt, was er fühlte. Es war, als ob sie ein Parallelleben führen würde, und er hätte nur allzu gern gewusst, was passiert war. Von welchem Schmerz musste sie sich ablenken?

Noch nie hatte er sie so aufgewühlt erlebt, und er wusste genau, von welcher unerträglichen Leere sie sprach.

„Hey, du sprichst mit dem Workaholic“, erwiderte er leichthin, um die düstere Stimmung aufzulockern. „Ich will nur, dass du gut auf dich aufpasst.“

Viv richtete sich auf und nickte. „Das mache ich auch. Aber jetzt muss ich wirklich los. Ich schicke dir morgen eine Nachricht, sobald ich aus dem Büro komme, versprochen. Wir kommen ans Ziel“, versicherte sie ihm. „Wir sind schon so weit gekommen, den Rest schaffen wir auch noch.“

Jack trug ihr die Wickeltasche zur Tür und half Viv in den Mantel. Danach half er ihr dabei, Katie anzuziehen, die wieder eingeschlafen war. Es war gar nicht so leicht.

Als Viv gegangen war, lehnte Jack sich gegen die Innenseite der Haustür und blickte auf seine große, leere, zweistöckige Eingangshalle. Ja, Jack wusste genau, wie es sich anfühlte, ganz allein auf der Welt zu sein. Er hatte das große Anwesen in Beacon Hill einige Jahre, nachdem seine Frau Carly gestorben war, gekauft. Nicht einen Tag länger hatte er in dem kleinen Häuschen bleiben wollen, das er für seine große Liebe erworben hatte. Das Haus, in dem sie als Familie zusammenleben und ihre Kinder großziehen wollten. Am liebsten hätte er das Haus niedergebrannt, aber dann verkaufte Jack es an ein frisch verheiratetes junges Paar, das die gleichen Träume hatte wie er und seine Frau.

Jack hatte nicht aufgegeben, so viel Geld verdient, dass er gar nicht mehr wusste, wofür er es ausgeben sollte. Als er nach einem neuen Haus suchte, wusste er nur, dass es etwas Großes sein sollte … so groß, dass er es niemals mit einer Familie hätte ausfüllen können. Jack wollte Platz, wollte sich nicht eingesperrt fühlen.

Manch einer mochte ihn für großspurig halten, weil er ganz allein in diesem riesigen Haus lebte, aber das war Jack gleichgültig. Sein Fuhrpark, sein Ferienhaus in den Bergen, die beiden Häuser in Europa … das alles waren nur Dinge, die er sofort aufgeben würde, wenn er dafür jemanden in seinem Leben hätte.

Nein, nicht jemanden. Seine Frau.

Doch wenn Jack in der letzten Zeit darüber nachgedacht hatte, mit wem er sein Vermögen teilen würde, war immer das Bild von Viv in seinem Kopf aufgetaucht. Am liebsten hätte er das Bild ausradiert, denn er fühlte sich, als würde er Carly betrügen, wenn er an eine andere Frau dachte.

Als Jack durch die Eingangshalle zurück ins Innere des Hauses ging und an der Küche vorbeikam, fiel ihm der Käsekuchen ein. Wenn Tilly am nächsten Morgen kam, würde sie enttäuscht sein, dass sie ihn nicht gegessen hatten.

Doch das war ganz einfach zu lösen. Da er das Haus verlassen würde, bevor sie kam, würde er den Kuchen mit ins Büro nehmen.

Oder woandershin.

Viv behauptete zwar, dass sie niemanden brauchte, der auf sie aufpasste, aber das war eine Lüge. Und Jack würde sich um sie kümmern. Aus rein professionellen Gründen natürlich.

Was auch immer für Fantasien er über Viv haben mochte … Jack durfte nie vergessen, dass sie seine Assistentin war. Und niemals etwas anderes sein konnte.

3. KAPITEL

Als Viv und Katie am nächsten Tag vom Arzt zurück nach Hause kamen, war Viv vollkommen durchnässt.

Sie hatte gerade die Wickeltasche neben das Sofa auf den Boden fallen lassen und Katie in ihren Laufstall gesetzt, als es an der Tür klopfte.

Viv stöhnte. Sie fühlte sich, als hätte jemand sie mit Eimern voll Wasser überschüttet. Jetzt wollte sie sich nur noch die nassen Kleider vom Körper streifen, eine heiße Dusche nehmen und danach in den Pyjama schlüpfen. Zum Glück war wenigstens Katie trocken geblieben, weil Viv sie in ihren Mantel gewickelt hatte.

Wieder klopfte es an der Tür. Ob sie das Klopfen ignorieren sollte?

„Vivianna?“, hörte sie Jacks tiefe Stimme von draußen, und auf einmal hatte sich der Wunsch, dass niemand vor der Tür stand, in Luft aufgelöst.

Viv ging zur Tür. Ihre nassen Schuhe quietschten bei jedem Schritt. Sie verzichtete darauf, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Viv kannte niemanden, dem das Aussehen einer ertrunkenen Ratte gefiel.

„Du bist …“, sagte Jack erstaunt, bevor Viv seinen Satz beendete.

„Klatschnass. Ich weiß. Komm rein.“

Viv machte einen Schritt zur Seite, sodass Jack sie nicht berühren musste, als er die Wohnung betrat. Als Katie ihn entdeckte, quietschte sie vor Freude und klatschte in die Hände. Innerlich hätte Viv am liebsten dasselbe getan, doch gleichzeitig war sie nicht besonders glücklich, Jack in diesem Zustand gegenüberzustehen.

„Ich hab dir was mitgebracht“, sagte Jack, und Viv hatte keine Zeit mehr, sich länger über ihr Aussehen Gedanken zu machen.

Katie beäugte neugierig die Schachtel, die Jack in der Hand hielt. Viv war so beschäftigt mit ihrem Äußeren gewesen, dass sie sie vorher gar nicht bemerkt hatte.

Essen. Wunderbares, leckeres Essen. Viv war so hungrig, dass es ihr ganz egal war, was es war. Sobald ihr Blick auf die Schachtel fiel, begann ihr Magen zu knurren. Das Mittagessen hatte sie heute ausfallen lassen, damit sie noch rechtzeitig mit Katie zum Arzt kam.

„Was auch immer es ist, vielen Dank!“ Viv nahm ihm die Schachtel aus der Hand, ging in die Küche und stellte sie auf den Küchentresen. Als sie den Deckel öffnete, lachte sie laut auf.

„Käsekuchen?“, sagte sie und warf Jack einen fragenden Blick über die Schulter zu.

Jack zuckte nur mit den Schultern, zog sein Jackett aus und hängte es an den Garderobenhaken neben der Tür … es wirkte so natürlich, als würde er das jeden Tag tun. Als Viv seine Jacke neben ihrer an der Garderobe hängen sah, bekam sie auf einmal ein seltsames Gefühl im Bauch. Wie intim, wie natürlich Jacks Geste gewirkt hatte. Aber sie sollte lieber nicht zu lange darüber nachdenken.

Jack würde nicht bleiben. Er war nur zu Besuch. Für einen Moment wollte Viv aber noch so tun, als sei es nicht so. Jack sah so gut aus in seinem schwarzen Anzug. Er hatte ihr Kuchen vorbeigebracht und schien sich nicht im Geringsten an ihrem vollkommen derangierten Aussehen zu stören. Wenn Jack nicht der perfekteste Mann auf Erden war, wer dann?

Ob Jack jemals etwas anderes als seine Assistentin in ihr sehen würde?

Natürlich war Viv nicht entgangen, wie Jacks Blicke am vergangenen Abend immer wieder zu ihrem Dekolleté gewandert waren. Aber auch Jack war nur ein Mann  − das taten sie alle. Doch als sie ihn dabei erwischt hatte, war ihr innerlich ganz warm geworden, und ihr Körper hatte zu kribbeln angefangen. Denn Jack hatte nicht nur einen kurzen Blick gewagt und dann weggesehen. Nein, Viv hatte ein Verlangen in seinen Augen gesehen, das sie vorher noch nie wahrgenommen hatte.

„Was machst du so früh hier?“, fragte Viv, die sich zu ihm umgedreht und gegen den Küchentresen gelehnt hatte. „Nicht dass vier Uhr nachmittags so früh ist, aber normalerweise bist du um diese Zeit noch im Büro.“

„Ich hatte ein Meeting hier um die Ecke und dachte, ich komme kurz vorbei, um zu fragen, was heute bei den O’Sheas los war.“

„Ich muss unbedingt aus den nassen Kleidern raus“, sagte Viv. „Können wir danach reden?“

Jack ließ seinen Blick über ihren nassen Körper wandern, und auf einmal war es Viv überhaupt nicht mehr kalt. Wenn Jack wüsste, was für eine Macht er auf mich ausübt!, dachte sie.

Ob er auch außerhalb der Arbeit an mich denkt?, fragte sich Viv. Das würde sie wohl nie erfahren. Viv wusste nichts über Jacks Privatleben – nur, dass es Tilly gab, aber das war auch alles. Alles in seinem Leben hatte offenbar mit der Arbeit zu tun. Auch hatte sie noch nie von irgendwelchen Frauengeschichten gehört … aber vielleicht war Jack auch sehr diskret.

„Ich warte hier auf dich“, erwiderte Jack schließlich.

Viv ging aus der Küche in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie war erleichtert, einen Moment für sich zu haben. Jacks plötzliches Erscheinen hatte sie vollkommen überrascht.

Bevor sie angefangen hatten, bei den O’Sheas zu ermitteln, war Jack nie in ihrem Apartment gewesen. Er hatte zwar auch nach der offiziellen Arbeitszeit Nachrichten geschickt oder angerufen, aber es ging immer nur um die Arbeit. Gut, bei den Besuchen in ihrer Wohnung ging es auch um die Arbeit. Jack schien alles daranzusetzen, die berüchtigte Familie endlich zu Fall zu bringen.

Viv schloss die Augen und atmete tief durch. Bei dem Gedanken an das Tagebuch von Patrick O’Shea, das sie gut verborgen in ihrem Schrank versteckt hielt, wurde ihr fast übel, so schuldig fühlte sie sich. Schuld, gemischt mit Unruhe und Angst … die Gefühle waren so erdrückend, dass sie Schwierigkeiten hatte, klar zu denken und sich den nächsten Schritt zu überlegen.

Viv hatte gelogen, als sie gesagt hatte, es gäbe niemanden in ihrem Leben. Die Beziehung zu Jack, und war sie auch nur platonisch und rein professionell, bedeutete ihr alles.

Viv wusste, dass sie Jack erzählen musste, was sie erfahren hatte, doch sie wusste nicht, wie, ohne ihn zu verletzen. Jack war wie ein Ritter auf der Suche nach Gerechtigkeit. Das war es, was ihn am Leben hielt. Wie also sollte Viv ihm beibringen, dass er selbst ein Teil der Familie war, die er so unbedingt zerstören wollte? Viv war sich sicher, dass es Jack zerstören würde, wenn er erfuhr, dass Patrick O’Shea sein Vater war. Und möglicherweise auch ihre Beziehung.

Dennoch war Viv klar, dass Jack die Wahrheit erfahren musste. Die Frage war nur, wann.

Unfähig, sich länger damit auseinanderzusetzen, entledigte Viv sich ihrer nassen Kleider. Heute würde sie es ihm nicht sagen. Der richtige Moment würde kommen, dessen war sie sich sicher. Vielleicht erzielten sie bald einen Durchbruch in dem Fall, und dann würde Viv Jack das Tagebuch geben und ihn selbst entscheiden lassen, was er damit anstellen wollte.

Viv schlang sich das noch feuchte Haar in einem lockeren Knoten auf dem Kopf zusammen, zog sich eine Leggins über und ein lockeres Sweatshirt, das eine Schulter freiließ, und ging zurück ins Wohnzimmer.

Jack stand immer noch in der Küche, die zum Wohnzimmer hin offen war. Als Viv hereinkam, blickte er sie nicht an. Stattdessen war sein Blick auf Katie gerichtet, die in ihrem Laufstall saß und selbstvergessen an den Fingern ihre Stoffpuppe saugte.

„Also, lass uns den Käsekuchen anschneiden“, schlug Viv vor, um ihre Nervosität zu überspielen. „Wie ist dein Meeting gelaufen?“

Jack antwortete nicht und sah sie auch nicht an.

„Glaubst du, sie weiß, dass die wichtigsten Menschen in ihrem Leben nie mehr wiederkommen?“, fragte er dann, als ob er sie gar nicht gehört hätte.

Viv hatte sich das selbst oft gefragt, seitdem sie Katie bei sich aufgenommen hatte. Die älteren Kinder, die sie vorher bei sich gehabt hatte, wussten natürlich, weshalb sie bei einer Pflegemutter lebten. Aber die kleine Katie merkte sicherlich nur, dass etwas anders war, hatte jedoch keine Ahnung, weshalb.

„Sie sagt immer wieder ,Mama‘, aber ich weiß nicht, ob sie nur plappert oder tatsächlich nach ihr fragt. Aber ich bin mir sicher, dass sie die Abwesenheit ihrer Eltern spürt.“ Viv verschränkte die Arme vor der Brust, stellte sich neben Jack und betrachtete sein Gesicht. „Alles in Ordnung?“

Jack blinzelte, als sei er für einen Moment weit weg gewesen. „Die letzten Monate waren verdammt hart.“

Als Jack den Kopf wandte, um sie schließlich anzusehen, trat Viv instinktiv einen Schritt zurück. Sein Blick war so intensiv, so direkt, dass die starken Gefühle, die er in ihr auslöste, sie auf einmal zu überwältigen drohten. Schuld, Furcht und … heftiges Verlangen. Die Spannung zwischen ihnen war förmlich mit den Händen greifbar. Die Luft schien zu knistern. Es war unmöglich, dass nur sie es spürte. Doch Jack war stets vollkommen kontrolliert. Nie hatte Jack angedeutet, dass er in ihr etwas anderes sah als seine Assistentin.

Andererseits stand er heute plötzlich vor ihrer Haustür, um ihr Käsekuchen zu bringen.

„Erzähl mir von dem Meeting.“

Jack schüttelte den Kopf. „Später. Erst will ich wissen, was heute im Auktionshaus los war.“

„Nicht viel“, erwiderte Viv und hob dann die Hand, als sie sah, dass Jack etwas sagen wollte. „Aber ich habe zufällig eine Unterhaltung von Laney und Braden mitgehört. Sie sprachen darüber, dass sie schon seit einigen Tagen nichts mehr vom FBI gehört hätten, aber trotzdem noch vorsichtig sein sollten. Braden hat Laney gesagt, sie solle keine Unterlagen löschen, und dass er nichts zu verbergen habe, was die Parkers angeht.“

Jack sah ihr in die Augen, aber er schwieg. Viv war klar, dass diese Information sie nicht weiterbrachte, aber sie wusste, dass sie ihm alles berichten sollte, was sie erfuhr … mit Ausnahme des Beweisstückes, das ihr so schwer auf dem Gewissen lastete.

„Ist sonst noch etwas passiert?“

Viv zwang sich, an etwas anderes zu denken. Jacks leuchtend grüne Augen schienen direkt in sie hineinzublicken, als versuchte er, ihre Gedanken zu lesen … als könnte er ihre Gedanken lesen.

„Heute nicht, aber Braden hat noch gesagt, dass Mac am Montag in die Stadt kommt und die ganze nächste Woche im Büro sein wird.“

„Warum das?“

Viv zuckte mit den Schultern. „Das hat er nicht erwähnt. Aber ich arbeite nächste Woche drei volle Tage und finde es heraus.“

Jack fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und atmete hörbar aus. „Verdammt. Es ist so frustrierend. Jahrelang haben sie illegale Geschäfte gemacht, und auf einmal lässt sich nichts nachweisen.“

Viv ertrug es kaum, Jack so zu sehen. Wie gerne hätte sie ihm gegeben, wonach er suchte. „Ich habe noch versucht, Laney in ein Gespräch über Babys zu verwickeln, aber dann kam ein Kunde, um den sie sich kümmern musste. Danach musste ich gleich los, um rechtzeitig mit Katie beim Arzt zu sein.“

Jack schob die Hände in die Hosentaschen und blickte zur Decke. Viv konnte sehen, wie frustriert er war. Trotzdem war sie noch nicht so weit, ihm das Tagebuch zu geben. Alles, wirklich alles, sowohl was sein Leben als auch diesen Fall betraf, würde sich ändern, sobald er davon erfuhr.

„Morgen bist du bei mir im Büro“, sagte Jack, der sich jetzt wieder vollkommen im Griff hatte. „Wir tragen noch einmal alle Informationen zusammen, die wir über die O’Sheas haben. Vielleicht ist uns etwas entgangen. Irgendetwas, das uns auf die richtige Spur führt. Ich will, dass du gut vorbereitet für nächste Woche bist, wenn alle im Auktionshaus sind.“

„Sag dem FBI, dass nächste Woche alle Familienmitglieder im Haus sind“, fuhr Viv fort. „Ich bin mir sicher, dass irgendetwas los ist oder dass sie zumindest beunruhigt wegen der Ermittlungen sind.“

„Vielleicht haben sie einen Verdacht, wer das Leck ist.“

Der Gedanke ließ Viv einen Schauer über den Rücken laufen. Als sie den Job angenommen hatte, wusste sie genau, welches Risiko er barg, aber als Jack ihr zugesichert hatte, eine perfekte Tarnung für sie zu schaffen, hatte sie eingewilligt. Viv hatte ihr Leben in Jacks Hände gegeben. Und zwar wortwörtlich, wenn die O’Sheas tatsächlich so waren, wie es die Gerüchte vermuten ließen. Doch Viv hatte nie Angst gehabt. Jack würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß.

„Ich habe nicht das Gefühl“, erwiderte Viv, als sie zum Küchentresen zurückging. „Isst du jetzt ein Stück Kuchen mit mir oder nicht? Wenn ich das alles allein aufesse, kann ich meine Bleistiftröcke vergessen.“

Jack erfasste ihren Körper mit einem langen, prüfenden Blick, unter dem Viv ganz heiß wurde. Wie macht er das nur?, fragte sich Viv zum wiederholten Male. Mit einem einzigen Blick rief Jack Gefühle in ihr wach, die ein anderer Mann, wenn überhaupt, höchstens beim Vorspiel in ihr auslöste. Immer wieder fiel es ihr schwer zu glauben, wie sehr sie Jack begehrte.

„An deiner Figur ist nichts auszusetzen, mit oder ohne Käsekuchen.“

Viv musste sich abwenden. Jacks verlangender Tonfall ließ sie erschauern. Der Blick, mit dem er ihren Körper gemessen hatte, wirkte nicht so, als sei Jack nicht an ihr interessiert.

Auf einmal quietschte Katie vergnügt in ihrem Laufstall, und die Spannung löste sich. Erleichtert stellte Viv fest, dass das Schmerzmittel offenbar geholfen hatte.

Viv schnitt zwei Stücke von dem Kuchen ab, legte jedes auf eine Untertasse und trug alles in die Essecke, an der zwei Leute an einem kleinen Tisch Platz fanden. Na gut, um ehrlich zu sein, war es je nach Tageszeit ihre Essecke oder ihr Arbeitsplatz, wenn sie von zu Hause aus arbeitete. Vivs Wohnung war klein, aber für sie völlig ausreichend. Viv hatte selten Besuch, außer ihrem jeweiligen Pflegekind, sodass ein Tisch für zwei vollkommen ausreichte. Außerdem lag das Apartment in der Nähe von Jacks Büro, und die Miete war günstig.

Trotzdem war Viv nun etwas verlegen, wenn sie daran dachte, wie beeindruckend Jacks Behausung und der Patio gegen ihre kleine Wohnung waren.

Höchstwahrscheinlich hatte Jack ein exquisit eingerichtetes Esszimmer und eine großzügige Wohnküche, und trotzdem hatten sie im Patio gegessen. Das wenige, das sie vom Haus gesehen hatte, war ausreichend gewesen, um sie in bewunderndes Staunen zu versetzen. Alles war mit edlen, massiven Hölzern ausgestattet. Die Möbel waren schlicht, aber zweifellos von gefragten Designern entworfen. Das großartige zweistöckige Foyer mit dem beindruckenden Kronleuchter hätte auf dem Titelbild der bekanntesten Hochglanzzeitschriften für Innendesign erscheinen können.

Entweder hatte Jack selbst einen unbestechlichen Blick für Details und Einrichtung, oder er hatte jemanden engagiert, der sein Haus so geschmackvoll und luxuriös eingerichtet hatte.

Als sie sich an den Tisch setzten, erschien Viv der Tisch auf einmal viel kleiner als sonst. Jacks Knie stießen an ihre, ohne dass sich die Berührung vermeiden ließ. Sofort wurde ihr ganz heiß, und ihr Körper fing an zu kribbeln. Was ist nur los mit mir?, fragte sie sich. Das hier war nur Jack, ihr Boss. Ihr sehr sexy, sehr alleinstehender und sehr geheimnisvoller Boss. Viel mehr, als dass Jack Witwer war, keine Freundin hatte und beim Militär gewesen war, wusste Viv nicht über ihn. Obwohl sie liebend gern mehr über ihn erfahren hätte.

Jack schob sich einen Bissen Kuchen in den Mund. „Tilly wird sich freuen, wenn sie sieht, dass sie sich die Mühe nicht umsonst gemacht hat.“

„Und bestimmt noch mehr, wenn sie erfährt, dass du bei mir gewesen bist.“

Jack sah sie an. „Geschäftlich.“

Klar. Geschäftlich. Was sollte Jack auch sonst von ihr wollen?

„Trotzdem. Ihr scheint es wichtig zu sein, dass du eine Frau in deinem Leben hast.“

Als Jack schwieg, fuhr Viv fort. Irgendwann würde sie es schon schaffen, mehr über ihn herauszufinden. Seitdem Viv ihn kannte, hatte Jack nie etwas über sich preisgegeben, außer es hatte mit einem Fall zu tun. Dass Jacks Mutter schon gestorben war, hatte sie nur daraus geschlossen, dass Jack immer in der Vergangenheitsform von ihr sprach. Seinen Vater hatte Jack nie erwähnt.

Und hätte sich Tilly nicht eines Tages im Büro verplappert und von „seiner verstorbenen Frau“ gesprochen, hätte Viv angenommen, dass Jack ein ganz normaler unverheirateter Mann war. Nachdem Tilly die persönliche Information rausgerutscht war, hatte Jack ihr einen scharfen Blick zugeworfen, und seitdem war nie wieder ein einziges Wort über sein Privatleben über ihre Lippen gekommen.

„Ich weiß ja nicht, wie es bei dir mit Dates aussieht …“

„Die gibt es nicht.“

Viv schluckte. Gut, sie hatte so etwas vermutet, aber … weshalb? Er war … heiß. Anders ließ es sich nicht beschreiben. Und er war vermögend. Nicht dass ein gefülltes Konto einen Mann ausmachte, aber sicherlich half es dabei, eine Frau zu finden. Vielleicht wollte Jack einfach nicht. Vielleicht gab es einen anderen Grund dafür, dass er mit seiner Arbeit verheiratet war und alles andere um sich herum ignorierte.

„Ich sollte deinem Beispiel folgen“, entgegnete Viv. „Nach den letzten Reinfällen, die ich erlebt habe.“

Er schob sich einen weiteren Bissen in den Mund. Offensichtlich hatte er keine Lust, weitere Details aus seinem Privatleben preiszugeben. Dann eben nicht. Viv konnte genug für sie beide reden. Vor allem, wenn sie nervös war, so wie jetzt.

„Einmal bin ich mit einem Typen ausgegangen, der mich zum Essen und zu einem Film eingeladen hat.“

„Ziemlich einfallslos“, brummte er.

„Einfallslos wäre ja nicht so schlimm“, erwiderte sie und lachte. „Aber mit seiner Umsetzung hatte ich ein Problem. Es gab Tiefkühlpizza und einen uralten Film. Nicht gerade meine Idealvorstellung von einem Date. Als ich dann eine Entschuldigung vorgeschoben habe, um zu gehen, ist er aus allen Wolken gefallen. Er hat ernsthaft gedacht …“

Jack legte seine Gabel auf den Tisch und verengte die Augen zu Schlitzen. „Machst du Witze? Aber du hast doch wohl nicht …?“

Sie neigte den Kopf und sah ihn gespielt vorwurfsvoll an. „Ich habe meine Prinzipien, Jack. Es braucht mehr als eine Tiefkühlpizza, um mich ins Bett zu kriegen.“

Er blickte ihr lange in die Augen, bevor sein Blick zu ihren Lippen wanderte und dann wieder zurück. „Und was wäre das?“

4. KAPITEL

Wo zum Teufel war die Frage hergekommen?

Aus genau diesem Grund vermied Jack es, mit irgendjemandem zu persönlich zu werden. Und jetzt saß er hier und fragte seine Assistentin, was man tun musste, um sie ins Bett zu kriegen.

Offenbar brachten der Fall und die enge Zusammenarbeit mit dieser atemberaubenden Frau ihn dazu, völlig den Verstand zu verlieren.

„Ähm …“

„Nein.“ Jack hob die Hand, um Viv am Weitersprechen zu hindern. „Du brauchst darauf nicht zu antworten.“

Sie zog eine Augenbraue hoch und grinste ihn vielsagend an. „Bist du sicher?“

Nein, ein Flirt und die unwillkommene sexuelle Spannung zwischen ihnen durften nicht sein. Zu viel stand auf dem Spiel … der Fall, seine geistige Gesundheit.

Als er schwieg, lachte Viv auf einmal laut auf. „Sagen wir mal so, auf jeden Fall braucht es mehr als ein fades Abendessen und eine alte Schwarz-Weiß-Schmonzette.“

Er musste ebenfalls lauthals lachen. „Jeder Mann, der für dich nicht alle Register zieht, ist ein Idiot.“

Sie legte den Kopf schief und schürzte die Lippen. „Du hast das noch nie gemacht.“

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte ihr über den Tisch hinweg gerade in die Augen. „Was, lachen? Nein, ich lache nicht oft.“

Sie verschränkte die Arme und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Warum nicht? Was machst du, um Spaß zu haben?“

„Ich observiere.“

Viv rollte mit den Augen, als plötzlich Katie einen schrillen Schrei ausstieß. „Nein, ernsthaft“, insistierte sie, während sie aufstand.

Jack sah ihr nach, wie sie durch das Wohnzimmer zu Katies Laufstall lief. Das kleine Mädchen streckte Viv sofort die Arme entgegen, um von ihr hochgehoben zu werden. Jack wandte sich ab. All das … die familiäre Atmosphäre, das Baby, Viv – riss seine alten Wunden wieder auf.

Um sich abzulenken, räumte Jack den Tisch ab und trug die Teller zur Spüle. Er stützte sich mit den Händen auf dem Küchentresen ab und atmete tief durch. Ich hätte nicht herkommen sollen, dachte er. Viv näherzukommen, sie auch privat zu erleben, war kein kluger Zug.

Gleichzeitig konnte Jack zu seiner Verteidigung vorbringen, dass er sowieso gerade in der Nähe gewesen war und Viv ihm nicht, wie versprochen, eine Nachricht geschickt hatte. Außerdem wollte er ihr den Nachtisch vorbeibringen. Nur aus diesen Gründen war er von seinem Vorsatz abgewichen, niemandem mehr zu nah zu kommen. Aber jetzt war es Zeit zu gehen. Sich zu Hause in seinem Arbeitszimmer zu verschanzen mit einem Glas erstklassigem Bourbon und darüber nachzudenken, wie er im Fall der O’Sheas weiter vorgehen wollte.

Als er sich umwandte, stand Viv dicht vor ihm … zu dicht. Sie war so nah, dass er die goldbraunen Flecken in ihren ansonsten fast schwarzen Augen sehen konnte.

„Stimmt was nicht?“, fragte sie mit gerunzelten Brauen.

Katie zog an ihren noch immer feuchten Haaren. Ihren dichten, seidigen blauschwarzen Haaren. Er hätte lügen müssen, wenn er behauptet hätte, niemals davon geträumt zu haben, es vor sich ausgebreitet auf seinen dunkelblauen Laken zu sehen. Wann war das nur passiert? Seit wann kreisten all seine erotischen Fantasien um seine Assistentin?

Natürlich war ihm schon beim Einstellungsgespräch aufgefallen, wie schön sie war. Aber besonders im vergangenen Jahr waren seine Träume immer intensiver und häufiger geworden. Es war schlichtweg unprofessionell. Ganz abgesehen davon, dass er sich geschworen hatte, sich keinem Menschen jemals wieder zu öffnen.

„Ich will dich nicht länger aufhalten“, erwiderte er nur und ignorierte den besorgten Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht. Sie brauchte sich nicht um ihn zu sorgen. Seine Gefühle waren vor langer Zeit zusammen mit seiner Frau gestorben. „Ich richte Tilly aus, dass ihr Dessert gut angekommen ist.“

Sie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, aber schließlich nickte sie nur und trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen. „Jederzeit gerne wieder. Ich liebe Süßes!“

„Das habe ich schon gemerkt“, entgegnete er und deutete mit dem Kopf auf ein Glas mit Süßigkeiten, das auf dem Küchentresen stand. „Im Büro hast du auch so eins.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich stehe zu meinen Snacks.“

Wenn es an ihren Snacks lag, dass ihr Körper so sexy und kurvig war, würde er ihr sofort einen ganzen Jahresvorrat davon kaufen.

Nein, verdammt, das würde ich nicht!, dachte er wütend. Zu seinen Aufgaben als ihr Boss gehörte es ganz bestimmt nicht, ihren Körper zu bewundern. Er musste hier sofort raus, bevor er noch einen kompletten Narren aus sich machte.

Wenn die Umstände anders gewesen wären … wenn seine Gefühle nicht vor langer Zeit gestorben wären, er nicht ihr Boss wäre … vielleicht hätte Jack sie dann verführt.

„Warum siehst du mich so an?“, fragte Viv und riss ihn aus seinen Gedanken.

Obwohl sie ihm Platz gemacht hatte, stand Jack immer noch an derselben Stelle. Jetzt trat er einen Schritt auf sie zu. Dabei sah er ihr in die Augen.

„Ich habe dich noch nie so privat gesehen. Ich wollte nur …“

„Was?“

Wenn ich das wüsste, dachte er verwirrt. Sie berühren, sie küssen? Um herauszufinden, ob es sich in der Realität ähnlich anfühlte wie in seinen Fantasien?

Viv schob sich Katie auf die Hüfte und streckte den freien Arm aus, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Er erstarrte. Unter ihrer sanften Berührung fühlte er sich wie elektrisiert.

„Wir lösen den Fall, Jack“, versicherte sie ihm. „Wir sind auf der richtigen Spur. Das weiß ich genau.“

Gut. Es war gut, wenn sie annahm, er hätte an den Fall gedacht und deshalb nichts gesagt. Auf keinen Fall durfte sie merken, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Denn wenn sie das dachte, dann wusste der Himmel, wohin das führen würde.

Na ja, er konnte sich ziemlich gut vorstellen, wo das hinführen würde … und genau deshalb musste er zusehen, dass er hier wegkam.

„Ich sehe dich morgen früh.“

Ohne ein weiteres Wort nahm er seine Sachen und verließ die Wohnung. Wenn er Glück hatte, würde der eisige Regen ihn abkühlen und seine Gedanken wieder auf die Arbeit lenken … weg von der Fantasie, in der seine Assistentin nackt ausgestreckt vor ihm auf seinem Bett lag.

Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen, dafür schneite es jetzt. Ebenso wie das Wetter hatte sich Vivs Laune zusehends verschlechtert.

Es war wie verhext heute Morgen. Erst war ihr Föhn kaputtgegangen, während sie gerade angefangen hatte, sich die Haare zu trocknen. Dann hatte Katie, gerade nachdem Viv sie frisch gewickelt und komplett angezogen hatte, wieder in die Windel gemacht und dabei noch die Hälfte der sauberen Kleidung durchnässt.

Zu guter Letzt hatte Martha, die eigentlich auf Katie hätte aufpassen sollen, angerufen, um abzusagen, weil sie krank war. Toll. Aber nichts, was Viv nicht hätte bewältigen können.

Sie flocht ihr nasses Haar zu einem Seitenzopf und zog Katie neue Kleidung an. Unglücklicherweise hatte Viv niemanden, der für Martha einspringen konnte. Dann nahm sie Katie eben mit ins Büro. Wenigstens arbeitete sie heute bei Jack und nicht bei den O’Sheas.

Schwer bepackt mit der Wickeltasche, einer weiteren Tasche voll mit Katies Spielzeug und dem Baby auf dem Arm, machte Viv sich auf den Weg ins Büro.

Nachdem Jack am vergangenen Abend ihr Apartment verlassen hatte, waren Vivs Gedanken immer wieder zu ihrem Gespräch gewandert … und dazu, wie er sie angesehen hatte. Irgendetwas zwischen ihnen hatte sich verändert. Viv konnte nicht genau sagen, was es war. Ebenso wenig, wie sie wusste, was in seinem Kopf vorgegangen war oder weshalb er sie so angestarrt hatte, als ob er … ja, als ob er sie wollte.

Die Schauer, die ihren Körper bei dem Gedanken daran durchfuhren, hatten nichts mit dem eisigen Wind an diesem kalten Februarmorgen zu tun.

Ob Jack es ihr zeigen würde, wenn sie für ihn noch etwas mehr als seine Assistentin war?

Und was, wenn sie nicht seine Assistentin wäre? Wäre dann alles anders?

Fragen über Fragen. Zum Glück konnte Viv sich auf Katie konzentrieren, die nächste Woche ihren ersten Geburtstag hatte, um sich abzulenken.

Als Viv ins Büro kam, schlug ihr angenehme Wärme entgegen. Die Räume, die sich in einem schönen Klinkergebäude befanden, hatten Jack früher als Wohnung gedient. Sie wirkten gleichzeitlich gemütlich und professionell mit der in neutralen Farbtönen gehaltenen Einrichtung und den Ledersofas. Für Viv fühlte es sich mehr wie ein Zuhause als ein Arbeitsplatz an.

Sobald die Tür hinter Viv ins Schloss gefallen war, ließ sie die Taschen auf den Boden fallen und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Wenn sie sonst nichts von ihrer Zeit mit Katie zurückbehalten würde, so doch wenigstens durchtrainierte Arme.

Aber daran mochte Viv gar nicht denken. Sie konnte sich nicht vorstellen, Katie irgendwann an Adoptiveltern abzugeben – abgesehen davon, wie die Kleine das verkraften würde. Es fiel Viv immer schwer, sich von ihren Pflegekindern zu trennen, aber zu Katie hatte sie eine ganz besondere Verbindung.

Trotzdem versuchte Viv, ihr Herz nicht zu sehr an die Kleine zu hängen, weil sie die Trennung sonst nicht ertragen würde. Es war so schon schmerzlich genug, dass sie niemals eigene Kinder haben konnte.

Jack kam aus seinem Büro und blickte auf das Durcheinander zu Vivs Füßen. „Irgendwas nicht in Ordnung?“

Viv zuckte nur kurz mit den Schultern. „Martha ist krank, und ich habe keinen anderen Babysitter.“

Jack eilte ihr zu Hilfe und hob die Taschen auf. „Du hättest heute freinehmen können.“

„Dafür haben wir zu viel zu tun“, erwiderte Viv, als sie Katie ihr Mäntelchen und die Mütze auszog.

Jack ging mit den Taschen in den hinteren Bereich der Räumlichkeiten, wo Viv ihr Büro hatte. Da sie Katie manchmal mit hierherbrachte, hatte sie auch für das Büro einen kleinen Laufstall angeschafft.

„Wir hätten auch telefonieren oder mailen können“, rief er ihr über die Schulter zu. „Ich bin kein Sklaventreiber. Ihr hättet bei diesem Wetter auch zu Hause bleiben können.“

Viv antwortete nicht, folgte ihm jedoch mit Katie auf dem Arm in ihr Büro, wo sie das Baby in den Laufstall setzte. Dann zog sie selbst ihren Mantel aus. Jack hatte die Taschen auf das Sideboard gestellt und kam jetzt auf sie zu.

Warum musste ihr Boss nur so unwiderstehlich gut riechen? Und warum musste sie sich dieser Tortur fast täglich aussetzen?

„Sag mir Bescheid, wenn du eine Pause brauchst.“

Viv nickte und hängte ihren Wickelmantel über die Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls. Dann strich sie die Seidenbluse glatt, die sie über ihrem Bleistiftrock trug. Nicht dass das nötig gewesen wäre, aber Viv musste etwas tun, um ihre Nerven zu beruhigen. Fast die ganze Nacht hatte sie wach gelegen und sich den Kopf wegen des Tagebuchs zermartert.

Eher gesagt hatte Viv die erste Hälfte der Nacht damit zugebracht, das Tagebuch noch einmal zu lesen. Dann hatte sie die zweite Hälfte der Nacht auf ihrem Bett gelegen und Löcher in die Dunkelheit gestarrt, voller Angst, wie Jack reagieren würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.

Alles deutete darauf hin, dass Jack tatsächlich Patrick O’Sheas unehelicher Sohn war. Jacks Mutter wollte die Affäre geheim halten. Viv hatte nachgerechnet, und es sah so aus, dass Patrick und Jacks Mutter kurz nach dem Tod von Patricks Frau etwas miteinander gehabt hatten.

Wahrscheinlich hatte er Trost bei ihr gesucht. Aber aus den Einträgen wurde ganz deutlich, dass es O’Shea vor Kummer fast zerrissen hatte, keinen Anteil am Leben seines Sohnes zu haben. Jacks Mutter wollte nicht, dass ihr Sohn mit dem kriminellen Lebensstil seines Vaters in Berührung kam, und ihr war klar, was es für ihn bedeutet hätte, wenn er den berüchtigten Nachnamen seines Vaters getragen hätte. Die Affäre war nicht auf Liebe gegründet, aber daran, wie Patrick über Jacks Mutter schrieb, merkte Viv, dass diese ihm nicht gleichgültig gewesen war.

Doch gleichzeitig wusste Viv, dass Patricks Gefühle oder seine Intentionen Jack vollkommen gleichgültig sein würden. Die ganze Zeit ging er davon aus, allein auf der Welt zu sein, und ausgerechnet die Familie, die er unbedingt zu Fall bringen wollte, war seine eigene.

Jedes Mal, wenn Jack über seine Mutter Catherine Carson sprach, war sein Tonfall voller Liebe und Bewunderung. Wenn man Jack eines nennen konnte, dann loyal. Genau deshalb hatten die schrecklichen Dinge, die er in der Vergangenheit durchmachen musste, ihn hart gemacht.

„Setz dich“, befahl Jack auf einmal.

Vor Schreck machte Viv einen Schritt zurück. „Wie bitte?“

Jack griff hinter sie und drehte ihren Schreibtischstuhl so, dass er ihr in die Kniekehlen stieß. Als er ihr die Hände auf die Schultern legte, war Viv wie erstarrt. Sie fühlte, wie stark er war, als er sie auf den Stuhl drückte. Als er sich zu ihr herabbeugte, blickte er ihr in die Augen.

Autor

Jules Bennett
Mehr erfahren
Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
Mehr erfahren
Synithia Williams
Mehr erfahren