Bianca Exklusiv Band 249

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SO TAPFER UND SO ZAUBERHAFT von GOLD, KRISTI
Jenna ist sich sicher: Eines Tages wird sie ihr Augenlicht zurückgewinnen! Bis dahin benötigt die junge Milliardärstochter jedoch Hilfe, etwa einen Fahrer wie den charmanten Logan. Aber einen Mann will sie nicht! Nicht einmal Logan, dessen heiße Küsse sie so betören…

HEIßER FLIRT MIT EINEM FÜRSTEN von DONALD, ROBYN
Eine Frau wie die atemberaubende Alexa ist dem attraktiven Fürsten Luka Bagaton noch nie begegnet! Doch kaum hat er sich auf einen heißen Flirt mit ihr eingelassen, findet er Details darüber in der Presse. Statt geliebt, fühlt sich Luka plötzlich nur noch verraten…

WILLKOMMEN IN DER HOCHZEITSSUITE von THAYER, PATRICIA
Für den Konzernboss John Rossi erfüllt sich mit dem altehrwürdigen Grand Haven Hotel ein Traum - wenn es die hübsche Lina erst auf Vordermann gebracht hat. Was es allerdings bedeutet, dass sie danach nicht wieder gehen will, ignoriert er: Denn an Liebe glaubt er nicht…


  • Erscheinungstag 12.09.2014
  • Bandnummer 0249
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730116
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristi Gold, Robyn Donald, Patricia Thayer

BIANCA EXKLUSIV BAND 249

KRISTI GOLD

So tapfer und so zauberhaft

Eine Milliardärstochter aus einem Nachtclub abholen? Das ist nicht gerade Logans Traumauftrag. Erst als er die schöne Jenna zu seinem Wagen führt, stellt er fest: Sie ist nicht betrunken, sondern nahezu blind – und unendlich zauberhaft. Augenblicklich verliert Logan sein Herz an sie: Aber nicht aus Mitleid – aus Liebe! Wie kann er ihr das nur klar machen?

ROBYN DONALD

Heißer Flirt mit einem Fürsten

Bankier, attraktiv und dazu auch noch Fürst – wie kann man diesem Mann widerstehen? Stürmisch erwidert Alexa die heißen Küsse des charmanten Luka Bagaton. Doch genau das kann sie tags drauf in der Zeitung sehen! Und sich dafür von Luka am Telefon auch noch wütende Beschimpfungen anhören! Sollte ihre Romanze schon zu Ende sein, bevor sie richtig begann?

PATRICIA THAYER

Willkommen in der Hochzeitssuite

Die Ärmel hochgekrempelt und ein romantisches Nest gebaut! Die Projektmanagerin Lina gibt im Auftrag des reichen und ausnehmend attraktiven Konzernchefs John Rossi dem altehrwürdigen Grand Haven Hotel seinen zauberhaften Charme zurück. Wie nebenbei erliegt sie dabei aber auch seinem! Versehentlich, denn eigentlich wollte sie sich nie wieder verlieben …

1. KAPITEL

Das Telefon klingelte, und wie immer war der Zeitpunkt äußerst ungünstig. Oft schwieg das Ding tagelang, nur um genau dann zu klingeln, wenn Logan O’Brian gerade unter der Dusche stand oder weiblichen Besuch hatte. Oder es störte, wenn er sich – wie in diesem Augenblick – ein Baseballspiel im Fernsehen ansah. Und das war das schlimmste Szenario überhaupt.

Logan stellte den Ton leiser, griff nach dem Hörer und rief gereizt: „Ja?“

„Tut mir leid, wenn ich störe, Boss, aber wir haben hier einen Vorfall.“

Es war der gute alte Bob, Logans rechte Hand. Immer wenn ein Problem auftauchte, klang der pensionierte Polizist, als arbeitete er für einen Geheimagenten und nicht als Fahrer für die wohlhabende Gesellschaft Houstons.

„Es ist spät, Bob. Ich bin erst seit einer Stunde zu Hause und sehe mir gerade das Baseballspiel an. Also, wenn nicht jedes Fahrzeug, das ich besitze, auf einmal kaputt gegangen ist, können Sie es alleine regeln.“

„Wir sollen eine vollkommen betrunkene Frau nach Hause fahren.“

Das ist keine Seltenheit, dachte Logan. „Und was ist daran das Problem?“

„Es ist Jenna Fordyce.“

Die Tochter seines wichtigsten Kunden, Avery Fordyce. Logans Firma kümmerte sich um alle Transporte, die der Millionär benötigte. „Was ist mit Calvin?“

„Er hat frei. Ich würde es ja übernehmen, aber ich fahre eine Hochzeitsgesellschaft zum Flughafen. Der alte Fordyce vertraut Ihnen, und da dachte ich …“

„Schon gut, Bob.“ So viel zu seinem freien Abend, an dem er endlich mal richtig ausspannen wollte. „Ich regle das. Wo ist sie?“

„In einem Club namens La Danza. Er ist an der …“

„Ich kenne den Club.“ Im vergangenen Jahr war er öfters dort gewesen. Der Nachtclub lag nicht weit von seiner Wohnung entfernt, aber bis zum Anwesen der Fordyces musste man eine gute halbe Stunde einplanen.

„Der Türsteher hat vor fünf Minuten angerufen“, informierte ihn Bob. „Er sagte, er bleibe bei ihr, bis sie abgeholt wird. Sie muss in einem schlechten Zustand sein.“

Das überraschte Logan nicht. Das Lokal war für seine hochprozentigen Drinks berüchtigt. „In Ordnung. Bin schon unterwegs.“

Logan legte auf und lief die Treppen hinauf, um sich anzuziehen. Zu seinem ausgeblichenen blauen T-Shirt wählte er eine Jeans und Wanderstiefel. Einen solchen Aufzug hätte er bei seinen Angestellten während der Geschäftszeiten nie toleriert. Aber der betrunkenen Fordyce-Tochter fiel das sicher nicht weiter auf.

In der Tiefgarage entschied Logan, statt des Sportwagens den Geländewagen zu nehmen. Wer weiß, vielleicht wurde ihr übel? Gott, er hoffte, dass ihm das erspart blieb. Das würde seinen Abend vollends ruinieren.

Logan fuhr durch die Stadt und überlegte, woran er Jenna Fordyce in der Menge erkennen sollte, schließlich kannten sie sich nicht. Einmal hatte er sie auf einem gerahmten Foto auf Averys Schreibtisch gesehen: eine schöne, dunkelhaarige junge Frau auf ihrer Schulabschlussfeier. Daddys kleine Prinzessin … Wie deine Ex-Verlobte, durchfuhr es Logan, die behauptet hatte, schwanger zu sein. Zum Glück hatte er den Bluff aufdecken können, bevor er ihr in die Falle gegangen war.

Ja, von piekfeinen Ladys hatte Logan genug, und er bezweifelte, dass Jenna Fordyce sich von den anderen unterschied, vor allem, da sie das einzige Kind eines verwitweten Großindustriellen war.

Wenige Minuten später parkte Logan seinen Wagen hinter einer Stretchlimosine. Es war der einzige freie Parkplatz unter dem Säulenvorbau des Fünfsternehotels, das den beliebten Nachtclub beherbergte. Logan trat hinaus in die laue Juni-Nacht. Dabei fiel sein Blick auf einen bulligen Typen. Der Mann stand ein paar Meter entfernt und hatte den Arm um eine Frau gelegt.

Je näher Logan dem Paar kam, desto sicherer war er, Jenna Fordyce gefunden zu haben. Zwar war sie etwas älter als auf dem Foto von damals, aber sie sah noch immer umwerfend aus. Sie trug eine blaue ärmellose Bluse zu einem weißen knielangen Rock. Schuhe mit niedrigem Absatz vervollständigten das konservative Outfit. Ihre braunen Haare fielen lockig über die Schultern. Eine Sonnenbrille verdeckte die Augen. Außerdem drückte sie ein weißes Tuch an ihre rechte Augenbraue. Vermutlich hatte sie ganz ordentlich einen sitzen.

Logan ging auf das ungleiche Paar zu, nickte dem Türsteher zu und fragte die Frau an dessen Seite: „Ms Fordyce?“

Sie drehte den Kopf in seine Richtung. „Ja?“

„Ich bin Logan O’Brien, der Eigentümer des Transportservices Ihres Vaters.“

Logan streckte ihr die Hand hin, aber Jenna ignorierte sie. Stattdessen kramte sie in ihrer Rocktasche, zog mehrere Geldscheine heraus und drückte sie dem Türsteher in die Hand.

„Das sollte für die Rechnung reichen, Johnny. Der Rest ist als Dank für Ihre Hilfe. Könnten Sie meiner Freundin ausrichten, dass ich gegangen bin?“

„Wie sieht sie denn aus?“, fragte Johnny.

„Eine hübsche Blondine“, erwiderte Jenna. „Sie heißt Candice und sitzt an der Bar.“

Johnny sah Logan an, den Arm fest um die dunkelhaarige Frau gelegt. „Jemand sollte sich die Wunde ansehen. Sie ist heftig gestürzt, aber sie will nicht, dass ich den Notarzt rufe.“

Jenna wischte die Bemerkung mit einer Geste beiseite. „Es ist nichts.“

Logan bemerkte, dass der Stoff blutdurchtränkt war. So eine Verletzung konnte ernsthafte Folgen haben. „Johnny hat recht. Ein Arzt sollte das untersuchen.“

„Können wir das im Auto besprechen?“, fragte Jenna gereizt.

Sicher, dachte Logan. Sie konnten den ganzen Weg zum Krankenhaus darüber debattieren, aber in diesem Zustand würde er Fordyce’ Tochter ganz bestimmt nicht alleine lassen. „Gehen wir.“

Logan legte den Arm um die Taille der Frau und umfasste ihren Ellbogen mit einer Hand. Langsam führte er sie zum Auto. Dabei fiel ihm auf, wie zierlich sie war: bestimmt dreißig Zentimeter kleiner als er. Nicht dein Typ, dachte Logan. Er bevorzugte Frauen mit mehr Substanz – äußerlich wie innerlich.

Als sie am Auto ankamen, öffnete Logan die Beifahrertür, half Jenna auf den Sitz und schnallte sie an. So weit, so gut. Auf dem Weg hierher war sie nicht wieder gestürzt. Obwohl sie sicher gestolpert wäre, hätte er sie losgelassen. Was auch immer sie getrunken hatte, es musste ganz schön stark gewesen sein.

Seltsam, sie riecht gar nicht nach Alkohol, dachte Logan. Stattdessen nahm er einen Hauch ihres Parfüms wahr. Ein sehr dezenter, unaufdringlicher Duft.

Logan kletterte auf den Fahrersitz, schaltete das Licht ein und zog sein Handy hervor. „Möchten Sie Ihrem Vater mitteilen, was los ist, oder soll ich das tun?“

„Viel Glück dabei“, antwortete Jenna. „Er ist geschäftlich in Chicago. Und das Personal hat den Abend frei.“

„Kann ich sonst jemanden anrufen?“

„Nein.“ Sie zögerte. „Fahren Sie mich nach Hause. Ich schaffe das schon.“

Aber erst wollte Logan sich die Schnittwunde genauer besehen. Er streckte seine Hand aus, um den Stoff zu entfernen. Erschrocken fuhr sie auf.

„Entspannen Sie sich“, sagte er und nahm den behelfsmäßigen Verband ab. „Ich möchte nur sehen, wie schlimm es ist.“

„Es ist nur ein kleiner Kratzer“, entgegnete Jenna. „Ich habe nähere Bekanntschaft mit der Wand vor der Damentoilette geschlossen, als ich gestolpert bin.“

„Das muss genäht werden, und das Krankenhaus ist ganz in der Nähe.“

„Kein Krankenhaus.“ Ihre Stimme klang leicht panisch. „Notaufnahmen und Ärzte sind nichts für mich.“

Wollte sie nicht, dass man einen Bluttest durchführte? Das würden bestimmt ein paar lustige Schlagzeilen, wenn die Presse von ihrer Trunkenheit Wind bekam.

„Sie könnten eine Gehirnerschütterung haben“, warnte Logan.

„Das trifft sicher nicht zu.“

„Sind Sie Ärztin, Ms Fordyce?“

„Sind Sie Arzt, Mr O’Brien?“, konterte Jenna.

Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte sich Logan, er wäre einer. Dann könnte er sie untersuchen – selbstverständlich rein medizinisch. Doch die Medizin war nicht seine Berufung gewesen … Plötzlich kam ihm eine Idee.

„Hören Sie, mein Bruder ist Arzt. Er wohnt etwa zehn Minuten von hier entfernt. Er könnte einen Blick darauf werfen.“

Jenna sah ihn nachdenklich an, dann antwortete sie: „Einverstanden, aber nur, wenn Sie mich dann heimbringen.“

Kein Problem, dachte Logan, das hatte ich ohnehin vor. „Ich rufe ihn an. Vielleicht hat er Zeit.“

Logan wusste, dass sein Bruder daheim war. Am frühen Abend hatte er mit ihm telefoniert. Devin hatte einen der seltenen freien Tage als leitender Oberarzt.

Nach zweimaligem Klingeln antwortete Devin mit seinem üblichen: „Dr. O’Brien.“

„Hey, Dev, ich bin’s, Logan. Tut mir leid, dass ich so spät störe.“

„Ich bin noch wach, dank einem Kind, das denkt, jetzt sei Zeit zum Spielen und nicht Schlafenszeit. Was gibt es?“

„Eine Kundin benötigt ärztliche Hilfe, ist aber nicht erpicht, in die Notaufnahme zu gehen.“ Er sah schnell in Jennas Richtung. Sie hatte den Blick auf die Windschutzscheibe geheftet. „Sie hat eine Wunde an der Stirn. Könntest du dir das mal ansehen?“

Devin lachte leise. „Eine Kundin? Nennt man das heutzutage so?“

Logan ging nicht weiter darauf ein. „Wenn du mir hilfst, überlasse ich dir meine Saisonkarten für das Heimspiel deiner Wahl.“

„Abgemacht. Aber wenn es etwas Ernstes ist, muss sie trotzdem in die Notaufnahme.“

Das könnte schwierig werden. Aber welche Wahl blieb ihm? „Einverstanden.“

„Warte kurz.“

Im Hintergrund hörte Logan gedämpfte Stimmen, Devin besprach sich mit seiner Frau. Wenige Augenblicke später war sein Bruder wieder am Apparat. „Stacy hat nichts dagegen, aber unter einer Bedingung – abgesehen von den Karten: Ich komme zu dir und bringe Sean mit. Beim Autofahren wird er hoffentlich endlich müde.“

„Kein Problem. Bis gleich.“

Logan klappte das Telefon zu und wandte sich zu Jenna. „Wir treffen uns bei mir.“

Jenna hielt ihren Blick fest auf das Armaturenbrett gerichtet. „Wo wohnen Sie?“

„In der Stadt. Nur ein paar Kilometer von hier.“

„Danke. Ich hoffe, ich mache Ihnen nicht zu viel Ärger.“

„Überhaupt nicht“, beruhigte er sie. Aus den Augenwinkeln betrachtete er die ausgesprochen hübsche Frau neben ihm. Dann rief er sich wieder zur Vernunft. Dass ihm ihre Reize gefielen, konnte durchaus für Ärger sorgen. Vergiss nicht, sie ist die Tochter deines wichtigsten Kunden!

„Kann ich das Tuch jetzt fortnehmen?“, fragte Jenna ihn.

„Lassen Sie mal sehen.“ Er berührte mit seinem Zeigefinger ihr Kinn und hob ihr Gesicht leicht an.

Na gut, sie hatte eine weiche Haut und einen sinnlichen Mund. Aber das hatten viele Frauen. „Es hat aufgehört zu bluten, Sie können es weglassen“, bestätigte er und legte seine Hände wieder auf das Lenkrad. Seine Gedanken lenkte er aufs Geschäft, denn da gehörten sie hin.

Langsam fuhr Logan zurück in sein Loft. Während der gesamten Fahrt behielt Jenna die Sonnenbrille auf, ihr Blick blieb unverwandt nach vorne gerichtet. Abgesehen von einem gemurmelten Danke, als er ihr aus dem Auto und in den Fahrstuhl half, sagte sie nichts. Logan hatte sich vorgenommen, Abstand zu wahren, aber sie schien unsicher auf den Beinen, daher hielt er sie fest, bis sie in einem Klubsessel im Wohnzimmer saß.

„Das ist eine nette Wohnung“, bemerkte Jenna.

Um endlich mehr Abstand zu ihr halten zu können, ließ sich Logan ihr gegenüber auf das Sofa fallen. „Ich habe sie von meiner Schwester und meinem Schwager gekauft.“

„Dann haben Sie einen Bruder und eine Schwester?“, kombinierte Jenna.

„Genau genommen sind es vier Brüder und eine Schwester.“

Sie lachte begeistert. „Wie schön! Ich bin ein Einzelkind und kann mir gar nicht vorstellen, eine so große Familie zu haben. Wie sind Ihre Eltern?“

„Sie leben noch immer im Arbeiterviertel im Westen Houstons, wo ich aufgewachsen bin.“ Dabei betonte er das Wort Arbeiterviertel ganz besonders. Logan wollte, dass Jenna Fordyce von vornherein wusste, dass er nicht aus ihrer Gesellschaftsschicht stammte.

Logan fiel auf, dass sie keinerlei Anstalten machte, ihre Sonnenbrille abzunehmen. Daher sagte er: „Sie können Ihre Brille jetzt absetzen. Ich weiß, wie es Ihnen geht.“

Mehrmals rieb Jenna ihre Hände gegeneinander, bevor sie antwortete. „Das Licht tut mir weh in den Augen.“

Mann, er wollte morgen früh nicht an ihrer Stelle sein. „Wenn Sie glauben, das sei schlimm, warten Sie bis morgen.“

„Warum?“

Offenbar hatte sie noch nie einen richtigen Kater erlebt. „Aus Ihrer Frage schließe ich, dass Sie nicht sehr oft trinken.“

„Nein. Ich mache mir nicht viel aus Alkohol. Gelegentlich trinke ich ein Glas Wein, aber mehr nicht.“

Das könnte die Erklärung sein. Aber Logan beschlich das Gefühl, dass etwas faul war. Ihre Aussprache klang nicht im Mindesten lallend, ihre Sätze waren zusammenhängend. Ob sie zu den Glücklichen gehörte, die sich betrinken und dennoch nüchtern wirken?

Wieder wurde Jenna still. Einen Moment überlegte Logan, ob er den Fernseher einschalten und das Baseballspiel weiter ansehen sollte, aber seine Überlegungen wurden von der Türklingel unterbrochen. Die erwartete Hilfe war bereits eingetroffen.

Logan stemmte sich vom Sofa und öffnete seinem Bruder die Tür. Devin trug einen kleinen Arztkoffer bei sich und hatte einen Jungen im Schlafanzug auf dem Arm.

Logan trat beiseite, damit sein Bruder eintreten konnte. „Du bist aber schnell.“

„Der Bereitschaftsdienst hat einen Vorteil: Man lernt den schnellsten Weg“, erklärte Devin. „Wo ist die Patientin?“

„Im Wohnzimmer.“ Dort angekommen, deutete Logan auf seinen Gast. „Devin, das ist Jenna Fordyce.“

Jenna hielt Devin lächelnd ihre Hand hin. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, ich vergeude nicht Ihre Zeit.“

„Gewiss nicht“, erwiderte Devin und reichte dabei seinen Sohn Sean an Logan weiter. Dann zog er einen Hocker vor den Sessel. „Dann sehen wir uns die Wunde einmal an.“

Logan deutete mit dem Daumen über seine Schulter. „Wir gehen in die Küche. Vielleicht finden wir ja ein paar Kekse …“

Devin warf ihm einen strengen Blick zu. „Aber nur einen. Wenn ich Sean mit einem Zuckerhoch heimbringe, gibt’s Ärger.“

Eigentlich hatte Logan seine Schwägerin als umgänglich eingeschätzt, aber darauf ankommen lassen wollte er es nicht. „Keine Sorge.“

In der angrenzenden Küche warf er Sean spielerisch in die Luft, was dem kleinen Jungen einen freudigen Jauchzer entlockte. „Du wirst langsam schwer, Kumpel“, erklärte Logan ihm, als er ihn auffing und auf den Küchentresen setzte. „Ich habe nur einen Keks mit Schokosplittern.“

Sean antwortete mit einem breiten Grinsen und dem Wort „Keks“ – kein Zweifel also, dass sie sich blendend verstehen würden. Logan öffnete einen Schrank, holte einen Keks aus der Verpackung und reichte ihn seinem Neffen, der vor Freude quietschte. Ein Gutes hatten kleine Kinder: Sie waren einfach zufriedenzustellen. Im Gegensatz zu bestimmten Frauen …

Aber noch bevor Sean das letzte Stückchen verdrückt hatte, streckte er auch schon die Hand aus und wackelte mit seinen kleinen Fingerchen. „Mehr.“

„Das ist keine gute Idee, Kumpel.“ Suchend blickte sich Logan in der Küche nach einer anderen Form der Unterhaltung um. Sein Blick fiel auf einen Holzlöffel, der aus einem Behälter mit selten benutzten Küchenutensilien ragte. „Wie wäre es, wenn wir deinen Schlagarm trainieren, junger Mann?“

Aber Sean entschied, dass sich der Löffel besser zum Trommeln eignete, und begann, ohne das geringste Gefühl für Rhythmus auf den Tresen zu hämmern. Dabei brabbelte er fröhlich vor sich hin. Und solange es den Kleinen glücklich machte, hatte sein Onkel nichts dagegen.

Die Durchreiche bot Logan einen guten Blick in das Wohnzimmer. Devin hatte die Wunde mit dünnen weißen Pflasterstreifen abgeklebt. Im Moment leuchtete er Jenna mit einer Stiftlampe in die Augen. Logan sah, dass die beiden etwas miteinander besprachen, aber er verstand kein Wort, denn Sean hatte eine Blechdose zum Trommeln gefunden.

Mit einem finsteren Gesichtsausdruck kam Devin schließlich in die Küche. „Die Kopfverletzung ist nicht so ernst. Dennoch sollte sie jemand heute Nacht im Auge behalten, falls sie eine leichte Gehirnerschütterung hat.“

Genau das war das Problem. „Bei ihr zu Hause ist niemand“, erklärte Logan. „Wenn du so besorgt bist, solltest du sie ins Krankenhaus einweisen.“

„Vielleicht solltest du sie in deinem Gästezimmer übernachten lassen.“

Das passte keineswegs zu Logans Plänen, Abstand zu dieser Frau zu halten. „Keine gute Idee.“

Devin runzelte die Stirn. „So kenne ich dich gar nicht. Normalerweise schlägst du keiner gut aussehenden Frau etwas ab.“

„Einer betrunkenen gut aussehenden Frau, die zufällig das Kind eines millionenschweren Kunden ist, schon. Ihm wird es im Übrigen missfallen, wenn ich die Nacht mit seiner Tochter verbringe.“

Devin fuhr sich mit der Hand über den verspannten Nacken. Dabei sah er starr auf den Küchenboden. „Sie ist nicht betrunken, Logan. Sie erblindet.“

2. KAPITEL

Das vergangene Jahr hatte Jenna Fordyce in einer Welt voller Schatten und Einsamkeit verbracht. Dann entschied sie sich endlich, einmal für eine Nacht ihren sicheren Hafen zu verlassen, und was geschah? Sie hatte eine Wunde an der Stirn, womöglich eine Gehirnerschütterung, und dann wurde sie auch noch von einem Arzt, der dienstfrei hatte, in der Wohnung eines seltsamen Mannes untersucht.

Jenna hatte mit der Zeit gelernt, ihre Sinne einzusetzen. Im Moment hörte sie leises Stimmengemurmel. Zweifellos informierte der Arzt seinen Bruder, dass sie so gut wie blind war – und nicht betrunken.

Dann glaubte Jenna, tapsende Kinderfüße zu hören. Angestrengt blinzelte sie und erkannte durch den Schleier ihrer versagenden Augen schemenhaft eine kleine Gestalt. Dann spürte Jenna eine kleine Hand an ihrem Bein. Instinktiv öffnete sie ihre Arme für das Kind.

Sean kletterte auf ihren Schoß und drückte seine Wange an ihre Brust. Jenna atmete den süßen Babyduft ein, und ihre Gedanken wanderten zu einem anderen kleinen Jungen, der nur noch eine Stimme am Telefon war. „Ich liebe dich, Mommy“ – diese kostbaren Worte waren es, die Jenna die einsamen Tage und Nächte aushalten ließen.

„Nichts ist schöner, als es sich im Schoß einer Frau bequem zu machen, nicht wahr, Sean?“

Das war Devin O’Briens Stimme. Jenna hatte den warmherzigen Arzt gleich gemocht. Sein Bruder war ein etwas schwierigerer Fall. Über ihn hatte Jenna noch kein Urteil gefällt. „Er stört mich nicht, Devin“, versicherte Jenna.

„Aber der junge Mann muss ins Bett, er ist endlich müde.“

Devin hob Sean von ihrem Schoß, und Jenna setzte sofort wieder ihre Brille auf. „Kann ich jetzt nach Hause?“

„Sie bleiben heute Nacht bei mir“, wies Logan sie an.

Sein Befehlston ärgerte sie. „Das wird nicht nötig sein.“

„Ärztliche Anweisung“, fügte Devin etwas sanfter hinzu. „Logan meinte, Sie wären allein zu Hause. Wir würden uns beide wohler fühlen, wenn Sie Gesellschaft hätten. Nur für den Fall, dass es Schwierigkeiten gibt.“

Einen Augenblick lang wog Jenna ihre Möglichkeiten ab. Sie könnte darauf bestehen, nach Hause zu gehen, aber dort war wirklich niemand für sie da. „Nun gut“, gab sie schließlich nach. „Ich bleibe.“

„Gut“, bestätigte Devin. „Machen Sie sich wegen Logan keine Sorgen. Er hat ein Gästezimmer und ist ein anständiger Kerl. Obwohl ich sehr viel besser aussehe als er.“

„Du bist verheiratet, Dev. Jetzt geh nach Hause zu deiner Frau.“ In Logans Stimme schwang ein Hauch Belustigung mit.

„Vielen Dank für alles, Devin.“

„Nichts zu danken. Sag Jenna Gute Nacht, Sean.“

„Gute Nacht“, ertönte die kindliche Stimme. Ein weicher Kinderkuss landete auf Jennas Wange.

„Gute Nacht, mein Süßer. Schlaf schön.“

Voller Sehnsucht hörte Jenna Seans unbefangenem Geplapper und den Neckereien der Brüder zu, während die drei den Raum verließen. Als die letzten Abschiedsgrüße verhallten und die Tür geschlossen wurde, überkam sie die Angst.

Logan O’Brien machte sie nervös, und das lag weder an seiner imposanten Größe, noch am scharfen Ton in seiner Stimme oder an seinem beherrschten Auftreten. Vielmehr war sie auf der Hut vor seinem Drang, die Kontrolle zu übernehmen.

„Wir müssen miteinander reden.“

Das dunkle Timbre in Logans Stimme riss Jenna aus ihren Gedanken. „Sie sind ja wieder da“, fuhr sie auf. Erschrocken legte sie die Hand auf die Brust.

„Erklären Sie mir, weshalb Sie nichts von Ihrer Erkrankung erwähnt haben.“

Logan O’Brien war nicht der zurückhaltende Typ, das stand fest. „Ich begrüße Fremde im Allgemeinen nicht mit den Worten: ‚Hallo, ich bin Jenna Fordyce und blind wie eine Fledermaus.‘“

„Das lasse ich für unser Kennenlernen gelten, aber nicht für danach“, wandte er ein.

Jenna rang nach Worten. Wie sollte sie ihm das erklären? „Heute habe ich zum ersten Mal seit Monaten das Haus verlassen. Ich wollte so wie jeder andere behandelt werden und verschont bleiben von dem üblichen Mitleid.“

„Seit wann sind Sie in diesem Zustand?“

„Meinen Sie den der Einsiedlerin oder den des Wildfangs, wie meine Mutter zu sagen pflegte?“

Logan seufzte ungeduldig. „Wie lange haben Sie schon diese Schwierigkeiten mit Ihren Augen?“

Sehr viel länger, als ihr lieb war. „Als Teenager wurde bei mir eine Form der Hornhautdystrophie diagnostiziert. Anfangs war es nicht schlimm, abgesehen von den Augeninfektionen. Aber man hat mir gleich gesagt, dass es schlimmer werden würde.“

„Wie viel können Sie noch sehen?“

„Es ist, als schaute man durch zersprungenes Milchglas. Alles ist verzerrt. Ich kann zwar Umrisse erkennen, aber keine Einzelheiten.“

„Das wäre ohne Sonnenbrille sicherlich leichter.“ Mit diesen Worten hob Logan seine Hand und nahm ihr die Brille ab. Jenna wäre es lieber gewesen, er hätte das unterlassen. Nicht ihre lichtempfindlichen Augen beunruhigten sie, denn Devin hatte längst das Licht gedämmt. Sie war besorgt, wie ihre Augen auf Logan wirken würden.

„Können Sie mich jetzt besser sehen?“, fragte er.

„Ich sehe, dass Sie vor mir sitzen, aber das ist auch schon alles.“

„Und es gibt heutzutage keine Operation, die Ihnen helfen könnte?“

Jetzt klang Logan genauso frustriert, wie Jenna sich oftmals fühlte. „Eine Hornhauttransplantation ist der einzige Weg.“

„Und dafür brauchen Sie einen Spender“, ergänzte Logan.

„Genau. Ich warte schon seit über einem Jahr. Ginge es nach meinem Vater, würde er versuchen, ein Hornhautpaar zu kaufen oder mich mit Geld in der Liste nach oben zu schieben.“

„Aber das lassen Sie nicht zu.“

Jenna schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht“, lehnte sie heftig ab. „Das wäre nicht fair. Ich konnte den Großteil meines Lebens sehen. Viele Kinder hatten nie dieses Privileg. Sie sollten als Erste dran sein.“

„Das ist eine bewundernswerte Einstellung.“

Unruhig rutschte Jenna auf ihrem Sitz hin und her. „Bevor Sie mich zur Heiligen stempeln … Ich warte nicht nur deswegen mit der Transplantation. Manchmal habe ich auch schlichtweg Angst davor.“ Ginge es ausschließlich um sie selbst, könnte sie ihre Einschränkung akzeptieren und die Operation vergessen. Sie würde ihren Blindenstock nutzen und sich einen Blindenführhund suchen. Aber sie hatte einen dreieinhalbjährigen Sohn, der seine Mutter brauchte.

„Das muss hart sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, nicht sehen zu können.“

„Ich male mir stattdessen aus, was ich mache, wenn ich wieder sehen kann.“ Jenna dachte an ihren Sohn. „Bis dahin muss ich mit meinen übrigen Sinnen geistige Bilder entwickeln. Wenn ich Sie berühren darf, zeige ich es Ihnen.“

„Ach ja?“ Deutlich hörte sie das Lächeln in seiner Stimme.

Jenna lachte unsicher, als ihr bewusst wurde, wie zweideutig das klingen mochte. „Ich möchte Ihr Gesicht berühren, um einen Eindruck zu gewinnen, wie Sie aussehen. Vorausgesetzt, es macht Ihnen nichts aus“, stellte sie klar.

„Und was, wenn Sie enttäuscht werden?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich habe gelernt, dass der wahre Charakter wenig mit äußerlicher Attraktivität zu tun hat. Ich möchte nur einen Anhaltspunkt“, erklärte sie.

„Dann berühren Sie mich.“

Sein provokanter Unterton zerrte an Jennas Nerven, aber sie ließ sich nicht abhalten. „Sie müssten mir helfen und meine Hände zu Ihrem Gesicht führen, da ich keine Tiefenwahrnehmung habe. Ich beginne bei den Haaren und arbeite mich anschließend nach unten vor.“

Jenna schloss die Augen und hielt ihm die Hände hin, die er an seine Schläfen führte. Mit federleichten Bewegungen strich sie durch sein volles Haar. „Jedenfalls bekommen Sie keine Glatze“, scherzte sie.

„Mir ist bislang nichts aufgefallen“, bestätigte er lachend.

„Welche Farbe hat Ihr Haar?“

„Schwarz.“

Groß und dunkel war er also. Nun war es an der Zeit, das mit der Attraktivität zu prüfen. Mit den Fingerspitzen nahm Jenna die Form seiner Stirn in sich auf, bevor sie mit ihren Daumen über seine Brauen strich. „Und Ihre Augen?“

„Sie sind blau.“

Jennas lachte auf. „Himmelblau? Aquamarinblau?“

„Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich würde sagen, himmelblau“, sagte Logan verwundert.

„Die meisten Menschen achten nicht auf solche Details“, räumte Jenna ein. „Das ist ein eindrucksvoller Kontrast, schwarze Haare und hellblaue Augen.“

„Meine Mutter ist zur Hälfte Armenierin, und mein Vater ist Ire. Ich bin also eine echte Promenadenmischung.“

„Interessant.“ Wie auch seine Nase, die sie gerade untersuchte. Als sie eine kleine Einkerbung auf der rechten Seite seines Nasenrückens berührte, erkundigte sie sich: „Was ist hier passiert?“

„Ich bin aus einem Flugzeug gesprungen und habe mein Gesicht am Tragflügel verletzt.“

„Ernsthaft?“

Er lachte leise und sexy. „Nein, bei einem Baseballspiel in der Highschool wurde ich von einem Ball getroffen. Aber die Flugzeuggeschichte klingt interessanter.“

Es überraschte Jenna keineswegs, dass er Sport trieb. Aber der plötzliche Anflug von Humor verblüffte sie. Diese Seite an ihm hatte sie bisher noch nicht kennengelernt. Unbeirrt setzte sie ihre Erkundungstour fort. Die kräftigen Wangenknochen passten zu ihm. Er trug Koteletten, die ihre Finger kitzelten. Allein die Fältchen an seinen Wangen brachten sie aus der Ruhe. „Sie haben Grübchen!“

„Leider ja.“

Jenna lächelte. „Leider? Frauen lieben das. Sie verleihen einem Mann etwas Jungenhaftes.“

„Wenn Sie das sagen“, gab Logan skeptisch zurück.

Zart strich Jenna über seine vollen Lippen. Dann verband sie alle Punkte vor ihrem inneren Auge zu einem Bild. In ihrer Vorstellung schuf sie ein Gesicht, das der Wirklichkeit vielleicht nicht ganz entsprach. Aber sie wusste nun, wie attraktiv er war.

Und äußerst maskulin dazu, bemerkte sie, als ihre Finger über seinen markanten Adamsapfel und den sehnigen Hals glitten, bis sie auf Stoff stießen.

„Sie tragen ein T-Shirt.“ Jenna ließ ihre Hände auf seine Schenkel fallen. „Und Jeans.“ Mit ihrem Fuß fand sie den seinen und stupste ihn leicht an. „Stiefel, aber keine Cowboystiefel. Eher Wanderschuhe. Gehen Sie gerne wandern?“

„Ja, und zelten. Aber mein Job lässt mir kaum Zeit dafür.“

Ihre Gedanken schweiften ab. „Als ich jünger war, bin ich oft wandern gegangen.“

„Wie alt sind Sie jetzt?“

Seine direkte Art gefiel Jenna. „Ich bin letzten Monat dreißig geworden. Und Sie?“

„Vierunddreißig.“

Sie hob ihre Hand, um ein unerwartetes Gähnen zu verbergen. „Da ich Sie nun besser kenne, kann ich wohl ruhig die Nacht mit Ihnen verbringen.“

„Möchten Sie sofort ins Bett?“

Jenna grinste. „So gut kenne ich Sie nun auch wieder nicht.“

Logan räusperte sich. „Ich meinte, ob Sie sofort in das Gästezimmer möchten.“

„Aber das war doch nur ein Scherz. Natürlich gehen Sie in Ihr Bett und ich in meines.“

„Klingt aber nicht sehr reizvoll, oder?“

„Nein, nicht sonderlich.“

Eine knisternde Spannung herrschte plötzlich zwischen ihnen, und die eintretende Stille war beinahe erdrückend. Aber schon als Sehende waren Jennas Instinkte ausgeprägt gewesen, und so sehr sie die Vorsicht beiseite schieben und Logan O’Brien ermutigen wollte, ihre Intuition riet ihr, es sein zu lassen.

In dem Moment wurde ihr bewusst, dass ihre Hand noch auf Logans Schenkel lag. Wie elektrisiert riss sie ihre Hand zurück.

„Hat Ihr Gästezimmer einen Fernseher?“, lenkte Jenna ab.

„Nur ein Bett. Ich habe nicht oft Gäste“, entschuldigte er sich.

Zumindest schlafen die nicht in ihrem eigenen Bett. „Haben Sie hier einen?“

„Ja, weshalb?“, fragte Logan.

„Ich lasse gern den Fernseher laufen, wenn ich zu Bett gehe. Die Stimmen helfen mir beim Einschlafen.“

„Ich kenne das“, lachte Logan. „Ich nicke oft beim Fernsehen ein.“

„Dann bleibe ich hier. Wenn Sie mir nur das Sofa zeigen und den Fernseher einschalten könnten?“, bat sie ihn.

Er nahm Jenna bei der Hand und half ihr auf die Füße. „Ich schlage Folgendes vor: Da mein Bruder mich angewiesen hat, Sie im Auge zu behalten, nehmen Sie das Sofa und ich den Liegesessel.“

„Das ist nicht nötig“, wehrte sie ab. „Es geht mir gut. Keine Übelkeit, kein Schwindelgefühl.“ Was nicht ganz stimmte, denn Logans Nähe machte Jenna benommen.

„Hören Sie, Jenna“, sagte er eindringlich. „Ich kann mir ja vorstellen, dass Sie mir nicht so weit trauen, um mit mir in einem Bett zu schlafen. Aber Sie werden sich abfinden müssen, dass ich im Wohnzimmer bleibe.“

Ihm vertraute sie, aber ob sie sich selbst trauen konnte? „Wollen Sie mich etwa die ganze Nacht beobachten?“

Sanft strich er ihr über die Wange. „Ich hätte nichts dagegen“, versicherte er ihr.

Jenna fühlte, wie eine Welle sengender Hitze sie durchlief. Wie sehr bedauerte sie, ihn nicht sehen zu können! Aber sie spürte seine sanfte Berührung, nahm seinen Blick wahr und fühlte sich zum ersten Mal seit langem wie eine normale – und begehrenswerte – Frau.

Jenna Fordyce war eine teuflisch eigensinnige Frau. Das hatte Logan entdecken müssen, als sie sein Angebot, ihr zur Hand zu gehen, abgelehnt hatte. Im Augenblick war sie im Badezimmer im unteren Stockwerk und zog sich eines seiner T-Shirts an. Er wartete draußen vor der Tür. Andererseits … Ihr beim Umkleiden zuzusehen, wäre sicher keine gute Idee.

Ihre Erkundungstour vorhin hatte eine verheerende körperliche Reaktion ausgelöst. Wieso fühlte er sich so sehr zu ihr hingezogen? Zugegeben, sie war eine schöne Frau, aber das war nicht alles. Er bewunderte ihren Wunsch nach Freiheit. Und ihr Augenlicht war ihr zwar genommen, doch sie sah mehr als die meisten Menschen mit hundertprozentiger Sehkraft.

All diese Eigenschaften ergaben eine bemerkenswerte Frau in einer hübschen Verpackung. Dennoch, die Wunden, die ihm Helena zugefügt hatte, waren noch nicht verheilt.

Am allerwenigsten konnte er Komplikationen in weiblicher Gestalt gebrauchen, und Jenna Fordyce machte nicht den Eindruck, als wollte sie sich auf einen One-Night-Stand einlassen. Aber etwas anderes interessierte ihn nicht. Keine Verpflichtungen. Keine Versprechungen.

Ein klapperndes Geräusch drang durch die geschlossene Tür und ließ ihn auffahren.

Er klopfte und rief: „Ist alles in Ordnung?“ Wenn sie nicht in zwei Sekunden antwortete, würde er die Tür eintreten.

„Mir geht es gut“, hörte er sie. „Mir ist nur die Zahnbürste in das Becken gefallen.“

„Brauchen Sie irgendetwas?“

„Eigentlich nicht – außer Augen-Make-up-Entferner. Aber so etwas haben Sie wohl nicht, oder?“

Logan war versucht, die Frage zu verneinen, um nichts erklären zu müssen, aber wenn sie es brauchte … „Sind Sie angezogen?“, fragte er deshalb.

„Das ist Ansichtssache, aber Sie können hereinkommen.“

Jenna öffnete die Tür und stand in seinem verwaschenen T-Shirt vor ihm. Es reichte ihr bis zur Mitte der Schenkel. Mit einem Waschlappen rieb sie sich über das Gesicht. Ihre Kleider hatte sie auf die Marmorablage gehäuft, obenauf lag ein knapper Spitzen-BH.

Logan versuchte, die Kleidungsstücke zu ignorieren. Er ging zum Waschtisch, öffnete eine Schublade und holte ein goldenes Täschchen heraus. Aus der Tasche zog er ein blaues Fläschchen hervor und reichte es ihr. „Bitte sehr.“

Jenna verzog das Gesicht. „Haben Sie mir etwas zu sagen, Logan?“

„Ich schminke mich nicht, falls das Ihre Frage war. Das gehörte jemand anderem.“

„Sie haben eine Freundin“, stellte sie fest.

„Ich habe eine Ex-Freundin“, betonte er.

Jenna öffnete die Flasche und gab einen Tupfer der durchsichtigen Flüssigkeit auf ihren Waschlappen. „Aber Sie haben ein paar Erinnerungsstücke zurückbehalten.“

„Allerdings. Sie sollen mich an einen der vielen Gründe erinnern, wieso wir nicht mehr zusammen sind: Sie war zu stark geschminkt.“

Logan hatte erwartet, dass Jenna sich nach den anderen Gründen erkundigen würde. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihr Maskara. Ihm gefiel, dass sie nicht nachbohrte. Dass sie die Vergangenheit vergangen sein ließ. Überhaupt gefiel Jenna ihm sehr, und er konnte sich nicht erinnern, wann er dieses Gefühl zuletzt für eine Frau empfunden hatte.

Frustriert seufzte sie. „Ich hätte nie zulassen dürfen, dass Candice mir Make-up auflegt. Wenn ich es nicht ganz entferne, entzünden sich bestimmt meine Augen.“ Damit drehte sie sich zu ihm um und fragte: „Was meinen Sie, könnte ich vier Monate zu früh auf eine Halloween-Party gehen oder ist das Make-up weg?“

„Warten Sie“, sagte er und nahm ihr den Lappen aus der Hand. Er umfasste ihr Kinn und wischte die Flecken unter ihren Lidern fort. Überdeutlich war sich Logan ihrer Nähe bewusst.

So auch der Tatsache, dass sie unter dem T-Shirt keinen BH trug.

Sein verräterischer Körper reagierte sofort. Wenn er nicht schleunigst fortkam, lief er Gefahr, sie zu küssen.

„Sind Sie dann fertig?“

Jenna strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich glaube schon. Und Sie?“

Logan sah auf ihre vollen Lippen. Dann nahm er sie hastig beim Arm und führte sie zurück ins Wohnzimmer, wo er ihr auf das Sofa half. „Strecken Sie sich aus, ich decke Sie zu“, sagte er angespannt.

Wortlos kam sie seiner Aufforderung nach. Logan zog die Decke hoch bis an ihr Kinn, sodass ihr Körper verborgen war. Erleichtert atmete er auf. „Ist es gut so?“, erkundigte er sich fürsorglich.

Jenna kämpfte ihre Arme unter der Bettdecke frei. „Ja. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Ja, wieso?“

„Ich weiß nicht“, begann sie vorsichtig. „Sie klingen beinahe wütend.“

„Das bin ich nicht.“ Zumindest nicht auf sie.

Jenna streckte die Arme und verschränkte sie hinter dem Kopf. „Dann werfen Sie mich nicht raus, sobald ich eingeschlafen bin?“

„Machen Sie sich keine Sorgen.“ Sie würde sich Sorgen machen, wenn sie wüsste, was er dachte … Dass er am liebsten zu ihr auf die Couch kriechen würde …

Logan schob diesen Gedanken fort. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. „Haben Sie einen bestimmten Wunsch?“

„Eigentlich ist es egal, solange es mit Ton ist. Entscheiden Sie.“

Logan fiel sein ursprünglich geplantes Abendprogramm wieder ein. Das wäre jetzt eine willkommene Ablenkung. „Ich habe das Baseballspiel aufgezeichnet. Es lief gerade, als ich angerufen wurde, Sie abzuholen.“

„Ich weiß. Ich kenne den Spielstand. Ein paar Jungs sprachen in der Bar darüber.“

Er ließ die Fernbedienung zurück auf den Tisch gleiten. „Sagen Sie nichts. Das würde alles ruinieren.“

„Nun gut, dann lassen Sie sich überraschen.“ Sie rollte sich auf die Seite und drehte ihm das Gesicht zu. Verlegen spielte sie mit einer Ecke der Bettdecke. „Zuvor hätte ich noch eine Frage“, bemerkte sie zögerlich.

Jennas Tonfall klang so düster, dass er sich Sorgen machte. „Fehlt Ihnen etwas?“

„Nein, mir geht es gut.“ Gequält schloss sie die Augen. Nach einer Weile öffnete sie sie langsam. „Es ist sehr lange her, dass ich mich in einem Spiegel sehen konnte. Ich wüsste gerne, ob meine Augen …“

„Sie sind so schön wie der Rest von Ihnen“, bestätigte Logan ihr sanft. Sie hatte hellbraune große Augen, von langen dunklen Wimpern umrahmt. Nein, Make-up hatte sie nicht nötig. Sie war einfach perfekt. Fast zu perfekt.

Jenna lächelte, aber auf Logan wirkte es traurig. „Ich wette, das sagen Sie allen blinden Mädchen, die es auf Ihr Sofa verschlägt.“

„Das stimmt natürlich. Andererseits sind Sie die Erste, und es ist die reine Wahrheit.“

Ohne zu zögern, ergriff er ihre Hand, die sie ihm entgegenstreckte. „Danke, Logan. Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben.“

„Ich auch.“ Mehr, als ihm lieb war. „Versuchen Sie jetzt, zu schlafen.“

Logan drückte ihre Hand und nahm seinen Platz auf dem Liegesessel in einiger Entfernung ein. Unbeachtet flimmerte das Spiel auf dem Bildschirm, denn Logan war viel zu sehr damit beschäftigt, diese Frau zu analysieren. War sie wirklich real? Und war sie aufrichtig? Er wollte die bitteren Erfahrungen mit Helena nicht wiederholen. Aber genau das sah er kommen.

3. KAPITEL

„Was machen Sie denn da?“

Beim Klang von Logans rauer Stimme drehte Jenna sich um. „Frühstück“, entgegnete sie fröhlich. „Um Ihnen für meine Rettung zu danken. Aber selbst vor meiner Erblindung war ich keine gute Köchin.“ Sie tastete hinter ihrem Rücken nach der Milch und hielt sie fragend hoch. „Kann ich Sie für ein kaltes Müsli interessieren?“

„Nein, danke“, lehnte Logan ab.

Jenna nahm einen irritierten Unterton wahr. „Stimmt etwas nicht?“

„Als ich Sie nach dem Duschen nicht auf der Couch vorfand, habe ich mir Sorgen gemacht.“

Sie schätzte seine Fürsorge, auch wenn sie überflüssig war. Leicht berührte sie den Verband. „Mein Kopf schmerzt ein wenig, aber ansonsten geht es mir gut.“

„Sobald Sie angezogen sind, brechen wir auf“, bemerkte er.

Rasch strich sie über das T-Shirt, das er ihr letzte Nacht geborgt hatte. „Das hier ist sehr bequem, ich behalte es gleich an. Ich lasse es reinigen und Ihnen zurückbringen.“

„Es steht Ihnen“, gab er gedehnt zurück. „Aber wenn Sie es anbehalten, müssen Sie Ihrem Vater erklären, woher Sie es haben. Sie müssten sagen, dass Sie bei mir waren. Was wiederum bedeuten würde, dass ich seine Aufträge verliere.“

Wie Jennas Vater schien Logan alles aus einem geschäftlichen Blickwinkel zu beurteilte. „Er kommt erst nachmittags zurück. Wir werden also nicht erwischt. Apropos“, fügte sie hinzu, „wie spät ist es?“

„Kurz vor zehn.“

„Unglaublich, dass ich so lange geschlafen habe“, murmelte sie. Allerdings hatte Logans Nähe sie auch die halbe Nacht wach gehalten.

„Deshalb sollten wir uns beeilen“, bestätigte er. „Bevor Avery herausfindet, dass Sie die ganze Nacht weg waren.“

„Mein Privatleben geht ihn nichts an“, erwiderte Jenna spitz. „Gestern ist nichts Unehrenhaftes vorgefallen.“

„Wenn es nach mir geht, sind Sie dennoch zu Hause, bevor er zurück ist“, bekräftigte Logan und griff nach ihrer Hand. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen beim Anziehen.“

Offensichtlich wollte er sie loswerden. Jenna löste sich stirnrunzelnd von ihm. „Danke, das kann ich alleine.“

„Aber ich bleibe in der Nähe. Nur zur Sicherheit.“

„Wenn Sie wollen …“

Jenna ließ sich von Logan in das Badezimmer führen. Rasch zog sie sich die Bluse über den Kopf. Dann schlüpfte sie in ihren Rock und zerrte an dem Reißverschluss – er bewegte sich keinen Millimeter. Wie sehr wünschte Jenna sich in solchen Momenten, dass ihre Garderobe aus unförmigen Kaftanen bestünde.

Ihr blieb nur eines: Sie musste ihren Stolz beiseite schieben. „Ich brauche Ihre Hilfe, Logan“, rief sie.

Die Tür ging knarrend auf. „Ist etwas passiert?“, fragte er alarmiert.

„Es ist nur ein widerspenstiger Reißverschluss. Wenn ich Sie richtig einschätze, kennen Sie sich damit aus.“

„Eigentlich bin ich geübter darin, sie zu öffnen, aber ich gebe mein Bestes“, konterte er.

Logan klang amüsiert, als er hinter sie trat.

„Wenn es nicht geht, muss ich wohl doch Ihr T-Shirt anbehalten.“

„Ich schaffe das schon.“ Logan legte seine Hand auf ihre Hüfte und zog sie näher heran. Gleich beim ersten Versuch löste sich der Verschluss. „Geschafft“, verkündete er.

Um ihm zu danken, drehte Jenna sich zu ihm um. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, taumelte und stützte sich instinktiv mit ihren Händen auf seiner kräftigen, nackten Brust ab. „Sie tragen kein Shirt“, stellte sie atemlos fest.

„Weil Sie es anhaben“, erwiderte er gewandt und fasste sie an der Taille.

Jenna schien es nicht eilig zu haben, ihre Hände von ihm zu lösen. „Wenn Sie nur ein Shirt besitzen, sollten Sie meinem Vater mehr berechnen.“

„Ich besitze mehrere, aber ich habe noch keins übergestreift.“

Und das hatte sie auf äußerst angenehme Weise herausgefunden „Aber vielleicht sind Sie auch ganz nackt? Sehen kann ich Sie schließlich nicht.“

„Ich bin nicht nackt“, stellte er leise klar und kam noch etwas näher. „Ich habe ein Lächeln aufgesetzt.“

Ohne weiter darüber nachzudenken, glitten Jennas Hände über seinen muskulösen Bauch und zu seinen schmalen Hüften, bis ihre Finger den Bund seiner Jeans berührten. „Sehr witzig. Einen Moment lang habe ich Ihnen geglaubt.“

„Brauchen Sie sonst noch etwas von mir?“

Ihr würden einige Dinge einfallen, aber die meisten wären unklug. Interessant, mit Sicherheit. Aber unvernünftig. Widerwillig ließ sie die Arme fallen. „Ich sollte jetzt besser nach Hause. Ich muss duschen.“

„Ich habe eine Dusche, und ich würde Ihnen mit Freuden helfen.“

Wie leicht wäre es, ihn beim Wort zu nehmen! Wie leicht könnte sie vergessen, weshalb sie dieser enormen Anziehungskraft zwischen ihnen nicht nachgeben durfte. „Ob Sie es glauben oder nicht … Ich habe schon alleine geduscht. Das mache ich sogar jeden Morgen“, fügte sie sarkastisch hinzu.

„Na gut, aber wenn Sie auf dem Heimweg entscheiden, dass Sie doch meine Unterstützung brauchen, lassen Sie es mich wissen.“

„Wissen Sie, wo Sie hinfahren müssen, Logan?“

Direkt in den Graben, dachte er, wenn ich meine Augen nicht endlich von dir ab- und auf die Straße wende. „Vor etwa zwei Jahren war ich schon mal bei Ihnen, als ich den Vertrag mit Ihrem Vater schloss. Er hat mich auf eine Dinnerparty eingeladen. Aber Sie waren nicht da.“ Ohne Zweifel hätte er sich daran erinnert.

„Seltsam, sonst spiele ich immer die perfekte Gastgeberin für die perfekten Geschäftspartner meines Vaters.“ Jennas Sarkasmus war nicht zu überhören.

„Was machen Sie in Ihrer Freizeit, außer die Gastgeberin zu geben?“

„Ich lerne die Blindenschrift, mehrere Fremdsprachen, und wenn Calvin mich nicht zu meinen Arztterminen fährt, chauffiert er mich zweimal die Woche in die Bibliothek. Dort lese ich Vorschulkindern Geschichten vor.“

Logan war beeindruckt. „Sie haben gerne Kinder um sich, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt.“ Jenna seufzte. „Sie verurteilen und bevormunden mich nicht. Im Grunde bin ich ein Geschichtenerzähler, der zufällig blind ist, und nicht umgekehrt. Und was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?“

„Sonntags esse ich meist mit meiner Familie zu Mittag“, führte er aus. Obwohl er in der letzten Zeit die Zusammenkünfte oft verpasst hatte; was seiner Mutter sehr missfiel.

„Das heißt, Sie kommen meinetwegen zu spät zum Essen“, stellte Jenna fest.

„Das ist halb so schlimm“, beruhigte er sie. Allerdings würden seine Geschwister ihn aufziehen oder mit guten Ratschlägen versorgen. Aber wenn er darüber nachdachte, wäre das – zumindest heute – zu vermeiden. „Da Ihr Vater Avery erst spät zurückkehrt, könnten Sie doch mitkommen? Das Essen ist einfach, aber die Gesellschaft gut.“

Als Jenna nicht antwortete, blickte Logan in ihre Richtung. Sie schien in Gedanken versunken.

„Also?“, erkundigte er sich.

„Ich sollte zu Hause bleiben, falls Vater früher kommt.“ Jenna warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu. „Aber danke für das Angebot.“

Die Enttäuschung, die Logan spürte, konnte er sich nicht erklären – und eingestehen mochte er sie sich erst recht nicht. „Kein Problem“, sagte er daher leichthin.

Still fuhren sie die übrigen Kilometer zum Fordyce-Anwesen. „Wir sind da“, stellte er fest, fuhr die Zufahrt hinauf und erblickte auf der Veranda sofort einen ergrauten Mann in einem schwarzen Anzug. Auf ihn zu treffen hatte Logan unbedingt vermeiden wollen. Er drosselte die Geschwindigkeit und fragte beiläufig: „Wie verstehen Sie sich mit Ihrem Vater?“

Jenna rieb sich die Stirn, so als bereite ihr diese Frage Kopfzerbrechen. „Solange er mir nichts vorschreibt, läuft es gut. Er ist überängstlich, aber ein wunderbarer Vater. Ich liebe ihn von ganzem Herzen und weiß, was er seit dem Tod meiner Mutter für mich getan hat.“ Nachdenklich fügte sie hinzu: „Wahrscheinlich sage ich es ihm nicht oft genug.“

„Dann können Sie jetzt ja die Chance ergreifen.“

Sie drehte sich zu ihm und schaute ihn verwirrt an. „Ich verstehe nicht …“

„Ihr Vater scheint einen früheren Flug bekommen zu haben.“ Und er wirkt, als wolle er jemanden lynchen, fügte er im Stillen hinzu.

Jenna lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze. „Großartig“, murmelte sie.

Logan fuhr die kreisförmige Auffahrt entlang und hielt unter dem Säulenvorbau. „Ich kann das gern für Sie übernehmen“, bot er an.

„Nein“, lehnte sie ab. „Das erledige ich selbst.“

Logan stieg aus und lief zur Beifahrertür, aber da hatte sie die Tür bereits geöffnet und kletterte selbst hinaus. Logan half ihr die Stufen hinauf. Gerade wollte er eine Erklärung abgeben, da platzte Avery ungehalten heraus: „Wo in Gottes Namen hast du gesteckt, Jenna?“

„Sie war bei mir“, erwiderte Logan besänftigend. Avery schien nicht allzu erfreut darüber zu sein.

Jenna streckte ihre Hand nach dem Arm ihres Vaters aus, lehnte sich nach vorne und küsste ihn auf die Wange. „Ich war aus, um mit Candice Geburtstag zu feiern, da ist mir ein kleines Missgeschick passiert.“ Sacht berührte sie den Verband an ihrer Stirn. „Logan war so freundlich, seinen Bruder Devin – der zufällig Arzt ist – zu bitten, sich die Wunde anzusehen. Er hat mich zusammengeflickt, Logan lieh mir sein Sofa für die Nacht und Ende der Geschichte.“

Avery blickte finster drein. „Sicher nicht. Candice hat heute Morgen angerufen, und Sasha alarmierte mich. Sie waren beide außer sich vor Sorge“, hielt er ihr vor.

Missbilligend hob Jenna ihr Kinn. „Ich werde Candice später alles erklären. Und Sasha hatte ich das Wochenende freigegeben.“

„Meine Angestellten sind loyal, Jenna“, gab Avery mit einem strengen Blick auf Logan zurück. „Sie tun das, worum ich bitte. Ihr Auftrag war, auf dich aufzupassen.“

„Ich bin erwachsen, Dad. Ich brauche keinen Aufpasser.“

„Offensichtlich schon.“

Logan entschied sich, einzugreifen, bevor ein offener Krieg zwischen Vater und Tochter ausbrach. „Avery, es war meine Idee, dass Jenna bei mir geblieben ist.“

„Das soll es besser machen?“ Seinen ungläubigen Kommentar krönte er mit einem säuerlichen Blick.

„Lass uns hineingehen, damit Logan aufbrechen kann.“

„Aber du musst mir noch Einiges erklären!“

„Wir reden später, Dad. Ich muss duschen, damit ich fertig bin, wenn Logan mich abholt. Wir essen bei seinen Eltern. Wann darf ich Sie erwarten, Logan?“

Erstaunt sah Logan sie an. „Sie möchten wirklich mitkommen?“

Jenna lächelte ihn an. „Aber natürlich. Die äußerst fürsorgliche Sasha kann heute Nachmittag nach meinem Vater sehen.“

Logan erkannte ihre offenkundige Rebellion. Jetzt stand er zwischen den Fronten. Er konnte sein Angebot zurückziehen. Damit stünde er wieder in Averys Gunst, würde aber Jenna beleidigen. Oder aber er vergraulte seinen größten Kunden und verbrachte den Nachmittag mit dessen Tochter. Abwägend blickte er den mürrischen Avery an und anschließend Jenna. Sie hatte das großartigste Lächeln, das er je gesehen hatte. Geschäft oder Vergnügen – wofür sollte er sich entscheiden? „Ich bin in einer Stunde wieder da.“

Ohne auf Averys Antwort zu warten, lief Logan zu seinem Auto und fuhr davon. Während der gesamten Fahrt fragte er sich, was um alles in der Welt in ihn gefahren war.

„Weißt du, was du da tust, Jenna? Er ist ein Gigolo. Er ist nicht der Typ Mann, der sich mit einer Frau begnügt, schon gar nicht mit …“

Avery verstummte, doch das Gemeinte war nicht zu überhören gewesen. „Mit einer Frau wie mir, Dad? Wolltest du das sagen?“

„Du bist etwas Besonderes, Jenna.“

„Ich erblinde, Dad“, stellte sie klar. „Aber das heißt nicht, dass ich nicht die Gesellschaft eines Mannes genießen kann. Auch die eines ‚Gigolos‘.“ Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Das ist ein ungezwungenes Essen unter Freunden. Logan wollte mich nicht alleine lassen. Immerhin nahm ich an, es wäre niemand hier.“

„Ich will doch nur, dass du nicht wieder von einem Mann verletzt wirst“, räumte er ein.

Sein zärtlicher Tonfall besänftigte sie. „Das geschieht nur, wenn ich es zulasse. Außerdem will ich nichts Dauerhaftes. Das solltest du doch langsam wissen.“

„Ja, ich weiß. Das beweist deine Scheidung.“

„Dad, diese Diskussion führt doch zu nichts. Wir sehen uns am Abend, da kannst du mir alles über Chicago erzählen. Im Gegenzug erfährst du, wie man auf Italienisch und Französisch nach dem WC fragt.“

Avery schüttelte den Kopf. „Du bist entschlossen, die Europareise zu machen?“

„Aber erst nach der Transplantation.“ Sofern sie je stattfand. „Ich will warten, bis John David älter ist.“

„Hast du Logan von ihm erzählt?“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit“, rechtfertigte sie sich kleinlaut, aber noch vor dem Ende des Tages wollte sie ihn informieren. „Mach dir keine Sorgen.“

„Das tue ich, seit dem Tag, an dem du in unser Leben kamst. Ich kann nicht anders.“

„Wenn ich mir meine Eltern hätte aussuchen können, hätte ich niemand besseren wählen können als euch.“ Aber Jenna hatte sich oft gefragt, ob ihre Eltern sie adoptiert hätten, wäre ihre Sehschwäche schon damals bekannt gewesen.

„Und wir hätten nicht gesegneter sein können“, entgegnete er, und sie umarmten sich.

„Ich liebe dich, Dad“, flüsterte sie. „Und hör mit dem Grübeln auf! Mit Logan O’Brien werde ich schon fertig.“

Unter normalen Umständen hätte Logan erwartet, von einem Hausangestellten empfangen zu werden. Aber die ganze Situation war alles andere als normal, daher war er nicht im Mindesten überrascht, als Avery die Tür selbst öffnete. „Treten Sie ein“, sagte der Hausherr barsch.

Logan folgte Avery ins Haus und hoffte, dass Jenna auf ihn wartete, damit sie schnell verschwinden konnten.

„Mir gefällt das nicht, O’Brien.“

Für Logan war klar, was ihm nicht gefiel. „Es ist nur ein Essen.“

„Das sagen Sie. Vergessen Sie nicht, dass Jenna mein Ein und Alles ist. Sie ist außergewöhnlich und in vielerlei Hinsicht zerbrechlich. Wenn Sie ihre Gefühle verletzen, verletzen Sie meine. Verstanden?“

Klarer hätte er sich nicht ausdrücken können. Trotzdem konnte Logan kaum glauben, dass Jenna so zart sein sollte, wie ihr Vater behauptete. „Verstanden“, erwiderte er dennoch schlicht.

„Nun kennen Sie meine Erwartungen. Warten Sie im Arbeitszimmer auf Jenna.“ Er deutete auf eine Tür, bevor er sich wie ein Feldwebel umdrehte und davonschritt.

Logan schlenderte in das Zimmer. Das hier war kein Büro im herkömmlichen Sinn. Das Zimmer war gemütlich und mit einer Rattan-Sitzgruppe ausgestattet. An den Wänden hingen Fotos, Porträtaufnahmen eines dunkelhaarigen Jungen. Auf einem war er als Neugeborenes auf einer blauen Decke zu sehen. Ein anderes zeigte einen zahnlosen, lächelnden Säugling, der in einer Wiese voller Wildblumen auf dem Bauch lag. Daneben hing ein Bild mit einem Kleinkind, das eine rote Baseballuniform und einen hölzernen Miniaturschläger trug.

Logan war sofort klar, dass der Junge jemand Besonderes sein musste. Jemand aus der weiteren Familie? Oder doch ein Mitglied aus dem engsten Kreis?

„Er heißt John David.“

Beim Klang der vertrauten Stimme drehte Logan sich um. Jenna stand in der offenen Tür. Sie trug ein hellgelbes, ärmelloses Kleid, die dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Wie üblich trug sie eine Sonnenbrille. Sie sah so fantastisch aus, dass es Logan für einen Moment die Sprache verschlug. Die dunkle Brille und der weiße Stock waren die einzigen Anzeichen, dass sie keine normale, gesunde Frau war. „Wer hat all die Aufnahmen gemacht?“

„Ich selbst. Bevor meine Augen schlechter wurden, besaß ich ein kleines Fotoatelier im Norden Houstons. Die Porträts zählen zu meinen besten Arbeiten.“

Das erklärte die Qualität der Bilder, wenn auch nicht Jennas Beziehung zu dem Kind. Aber Logan hatte einen Verdacht. „Das Motiv scheint es Ihnen besonders angetan zu haben.“

„Mehr, als Sie ahnen.“ Sie ging zu einem kleinen Tisch und nahm ein gerahmtes Bild auf. Damit kam sie zu ihm und reichte es ihm. „Das ist mein Lieblingsstück.“

Aufmerksam studierte Logan das Bild. Jennas Gesicht war dem Knaben zugewandt, ihre Stirn berührte leicht die seine. Es war die perfekte Darstellung der Zuneigung, die eine Frau für ein Kind fühlte. Oder der Liebe einer Mutter für ihren Sohn? Logan blickte Jenna an und sah die Tränen auf ihren Wangen. Da wusste er, dass er recht hatte.

„Er ist mein Sohn“, bestätigte sie ihm. Sie hob ihre Brille und wischte sich die feuchten Augen ab, bevor sie die Sonnenbrille wieder aufsetzte. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Es fällt mir schwer, über ihn zu sprechen und dabei ruhig zu bleiben.“

Warum? Was war mit dem Jungen passiert? Nur zu gerne hätte Logan sie gefragt, aber er wollte Jenna nicht unter Druck setzen. „Er sieht Ihnen ähnlich“, sagte er stattdessen.

Zögernd lächelte sie. „Er hat zwar meine braunen Augen, aber sein Haar ist heller, wie das seines Vaters. Zumindest war es das, als ich es zuletzt sehen konnte.“

„Wie lange ist das her?“

„Jetzt ist er dreieinhalb Jahre. Das muss also vor etwa einem Jahr gewesen sein, kurz bevor sich alles dramatisch verschlechterte“, erklärte sie ihm. „Kurze Zeit später zog er zu seinem Vater, da wir uns das Sorgerecht teilen.“

„Wann kommt er zu Ihnen zurück?“

Sie drückte den Bilderrahmen an ihre Brust, so als hielte sie ihren abwesenden Sohn im Arm. „Sobald ich die Hornhauttransplantation hinter mir habe. Da er so lebhaft ist, hielt ich es für das Beste, ihn über die zunächst vereinbarten sechs Monate hinaus bei seinem Vater zu lassen. Aber es ist sehr schwer für mich, weil er so weit weg ist.“

„Wo ist er denn?“, erkundigte sich Logan.

„In Memphis, Tennessee. Zum Glück kann ich aber abends mit ihm sprechen.“

Was für ein trauriger Ersatz für den realen Kontakt. „Ich bin überrascht, dass Avery ihn nie erwähnt hat“, gab Logan zu. Die meisten Großväter, die er kannte, erzählten ununterbrochen von ihren Enkeln, sein eigener Vater eingeschlossen.

„Es ist nicht so, dass Dad J. D. nicht liebt“, entschuldigte sie ihn. „Er vergöttert ihn sogar. Allerdings er hat nie verwunden, dass J. D.s Vater und ich geschieden sind.“

Logan sah ein, dass eine Scheidung für Traditionalisten wie Avery Fordyce kaum zu akzeptieren war. Auch seine Eltern hatten schwer unter der Scheidung seiner Schwester gelitten. „Wie lange waren Sie zusammen?“

„Ich kannte David vier Jahre, seit drei Jahren lebten wir zusammen, als ich erfuhr, dass ich schwanger bin. Fünf Wochen später heirateten wir. J. D. war sechs Monate alt, als wir uns eingestehen mussten, dass es nicht funktioniert. Aber David ist ein guter Vater und alleine das zählt jetzt.“

Die Traurigkeit, die Logan in Jennas Stimme hörte, sprach dafür, dass die Scheidung nicht ihre Idee gewesen war. „Wegen eines Kindes zu heiraten, ist selten das Richtige.“

Sie nickte. „Vor allem, wenn zwei Menschen sich nicht vertragen. Das hätten wir in den drei Jahren erkennen müssen.“ Nachdenklich fügte sie hinzu: „Aber manchmal steckt man in der Bequemlichkeit fest. Und dann geschehen Dinge, die man nicht geplant hat. Aber was meinen Sohn betrifft, würde ich niemals etwas ändern wollen.“

Die nachdenkliche Stimmung bedrückte Logan. Daher fragte er: „Wollen wir gehen?“

„Möchten Sie denn noch, dass ich mitkomme?“, zweifelte Jenna.

„Wüssten Sie einen Grund dagegen?“

„Gleich mehrere“, bestätigte sie. „Einer davon wäre, weil Sie Ihren Eltern eine blinde geschiedene Frau mit Kind vorstellen müssten.“

„Meine Eltern verurteilen niemanden, Jenna.“ Wahrscheinlicher wäre, dass sie sich sofort in sie verlieben und voreilige Schlüsse ziehen würden.

„Außerdem wäre da eine winzige Sorge meines schmollenden Vaters. Er denkt, Sie wollten mich verführen, und ich sei dumm genug, auf Sie hereinzufallen.“

„Ich schwöre, mich zu benehmen“, versprach Logan ihr galant. Er hoffte nur, dass er dieses Versprechen auch halten konnte.

4. KAPITEL

„Wissen Ihre Eltern, dass Sie einen Gast mitbringen?“

Jenna erhielt keine Antwort auf ihre Frage. Sie streckte ihre Hand aus und berührte Logans Arm. „Alles in Ordnung? Haben Sie meine Frage gehört?“

„Sie sagten etwas über meine Eltern?“

Offenbar war er mit den Gedanken weit entfernt. „Wissen sie, dass ich komme?“

„Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich eine Freundin mitbringe.“ Logan lächelte abwesend. „Sie war so froh, das zu hören, dass ich glaube, es wäre ihr egal, wenn ich zusätzlich noch eine Armee haariger Biker mitbrächte.“

„Dann haben Sie mich nicht näher beschrieben?“

„Was meinen Sie?“, fragte er verständnislos.

Jenna fragte sich, ob er sie wirklich nicht verstanden hatte oder ob er ihr nur auswich. „Haben Sie erwähnt, dass ich dazu neige, mich an Wänden zu stoßen?“

„Natürlich! Ich habe sie gewarnt, dass Sie ein Tollpatsch sind und dass sie alles Zerbrechliche in Sicherheit bringen sollte“, flachste er.

Jenna musste lächeln. „Ich meine es ernst.“

„Meine Eltern sind intelligent. Sie werden es merken, aber es wird nicht wichtig sein.“

Inständig hoffte Jenna, dass man sie behandelte wie alle anderen Gäste auch. Das wirst du bald sehen, dachte sie, als Logan verkündete: „Wir sind da.“

Sie schalt sich, weil ihre Nerven flatterten. Es gab keinen Grund, nervös zu sein. Wahrscheinlich würde sie diese Menschen ohnehin nie wieder sehen.

Logan fasste Jenna am Ellbogen und führte sie nach hinten in den Garten. Der Duft von Grillkohle und die fröhliche Unterhaltung beruhigten sie und verliehen ihr Mut. Als man sie bemerkte, wurden sie lautstark. Alle Anwesenden strömten auf sie zu. Ein O’Brien nach dem anderen stellte sich vor.

Die ersten, die sie grüßten, waren Logans Geschwister. Seine Schwester Mallory mit Ehemann Whit und den vier Monate alten Zwillingsmädchen. Dann traf sie auf Aidan und seine Frau Corri, gefolgt von Kieran mit seiner Freundin Claire. Devin stellte ihr seine bessere Hälfte Stacy vor, während der kleine Sean an Jennas Rock zupfte und sich über ein kleines Hündchen ausließ, so, als wären sie die engsten Freunde. Ganz zuletzt waren Logans Eltern an der Reihe.

„Jenna, das ist meine Mutter“, sagte Logan und legte seine Hand leicht auf Jennas Rücken. Die Wärme seiner Hand prickelte auf ihrer Haut.

„Schön, Sie kennenzulernen, Mrs O’Brien.“

Logans Mutter nahm Jennas ausgestreckte Hand und schüttelte sie sanft. „Ich freue mich auch, Jenna. Und bitte“, fügte sie hinzu, „nennen Sie mich Lucy. Hier bei uns geht es nicht so förmlich zu.“

„Und mich können Sie Nervensäge nennen.“ Die dröhnende Stimme hatte einen leichten irischen Akzent. Aus dem herzlichen Händedruck schloss Jenna, dass die schwergewichtige Person, die vor ihr stand, ein ganzer Kerl war.

„Sag ihr deinen richtigen Namen, Ehemann“, wies Lucy ihn zurecht. „Sie müssen ihn entschuldigen, Jenna. Selbst nach all den Jahren, die wir nun verheiratet sind, habe ich es nicht geschafft, ihm Manieren beizubringen.“

„Ich bin Dermot, Jenny“, gehorchte Logans Vater seiner Frau.

„Dad, sie heißt Jenna“, korrigierte ihn Logan.

„Für mich ist sie Jenny“, beharrte er. „Und sie ist das hübscheste Mädchen, das du deinem Dad je vorgestellt hast.“

Unbewusst fuhr Jenna mit der Hand zu ihrem Nacken, denn dort zeigte sich ihre Röte zuallererst. „Danke, Dermot. Und vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft.“

Jenna spürte einen leichten Druck an ihrem Ellbogen. „Setzen wir uns, bevor das Essen verschwunden ist“, sagte Logan.

„Guter Rat, Logan“, pflichtete Dermot ihm bei. „Die Jungs schlagen zu, als hätten sie noch nie etwas zu essen bekommen, Jenny.“

Jenna gefiel es, dass er sie mit einem Spitznamen bedachte, und hungrig war sie auch. Sowohl nach guter Gesellschaft als auch nach leckerem Essen.

Die beiden mischten sich unter die Familie. Jenna musste zugeben, dass es eine glänzende Idee gewesen war, Logans Einladung anzunehmen, trotz Logans anfänglichem Schweigen. Sicher hatte ihn ihre Enthüllung überrascht.

Aber was willst du eigentlich? Dein Leben ist schon kompliziert genug, auch ohne dass du eine Beziehung mit Logan O’Brien eingehst, dachte Jenna. Trotzdem war es genau das, was in ihrem Kopf umherspukte. Aber sich etwas zu wünschen, was nicht sein sollte, war unklug. Auch wenn der Gedanke angenehm war.

Logan führte sie zum Picknicktisch, half ihr auf die Sitzbank und ließ sich neben ihr nieder. Es gab Steaks und einfache Beilagen. Alle behandelten Jenna wie ein Familienmitglied. Niemand war herablassend oder übermäßig besorgt. Das einzige Zeichen, dass ihre Sehschwäche überhaupt bemerkt worden war, kam in Person von Dermot. Denn dieser fragte ganz direkt: „Was ist mit Ihren Augen passiert, Jenny?“

„Du bist zu neugierig, alter Mann“, fuhr Lucy dazwischen.

Jenna schob den Teller von sich weg und verschränkte ihre Hände auf dem Tisch. „Das ist schon in Ordnung, Lucy. Ich habe eine Krankheit, die meine Sehkraft beeinträchtigt. Ich hoffe, dass man das mit einer Hornhauttransplantation beheben kann.“

„Das Wunder der modernen Medizin“, antwortete Dermot. „Ich freue mich auf den Tag, an dem Sie sehen können, was für ein attraktiver Mann ich bin.“

Alle lachten über diese Bemerkung. Auch Jenna. Als sie Logans unbekümmertes Lachen hörte, durchflutete Wärme ihren Körper. Ganz kurz berührte sein Schenkel den ihren, und dieser flüchtige Körperkontakt löste in ihr eine Aufregung und ein Verlangen aus, wie sie es noch nie erlebt hatte.

Während des Essens hatte sie seine Blicke gespürt und sich gefragt, ob ihm gefiel, was er sah. Ob sie seinen Erwartungen entsprach? Irgendetwas an ihr musste jedenfalls seine Beachtung gefunden haben.

„Sie haben etwas Grillsoße auf Ihrem Kleid.“

Na toll! Peinlich berührt hob Jenna eine Papierserviette auf. Er hatte einen unansehnlichen Fleck betrachtet, und sie hatte geglaubt, sie gefiele ihm. „Wo denn?“

„An einer Stelle, die Logan gerne für Sie von dem Fleck befreien würde.“

„Halt den Mund, Devin.“ Logan klang unwirsch, aber es schwang ein humorvoller Unterton mit. „Kommen Sie mit hinein, ich kümmere mich darum“, sagte er zu Jenna.

„Da bin ich mir sicher, Bruder.“

„Es reicht, Kieran!“

Jetzt war es Zeit, das Weite zu suchen, entschied Jenna und stand auf.

„Essig ist in der Vorratskammer“, rief Lucy. „Aber verdünn ihn mit kaltem Wasser.“

In der Küche lehnte Jenna sich mit der Hüfte gegen den Tresen. Begleitet von lautem Geschepper sah Logan sich in der Speisekammer um. „Gefunden“, triumphierte er. Gleich darauf hörte sie das Wasser. „Gleich sehen wir, ob das damit abgeht. Vorsicht …“

Trotz seiner Warnung fiel es Jenna schwer, das konstante Rubbeln zwischen ihren Brüsten zu ignorieren. „Super, jetzt rieche ich wie eine Essiggurke.“

„Ich mag Essiggurken.“ Dass er lächelte, war seiner Stimme anzuhören. „Wenigstens ist der Fleck jetzt fast weg. Es tut mir leid, wegen des kalten Wassers.“

Wenn er nur wüsste, wie warm ihr bei seinen Bemühungen geworden war! „Danke, dass Sie die Beweise meiner Ungeschicklichkeit entfernt haben. Aber blind zu sein hat einen Vorteil. Ich sehe nicht, wenn man mich anstarrt, weil ich mein Essen spazieren trage.“

„Niemand hat auf den Fleck gestarrt“, beruhigte sie Logan. „Alle waren viel zu beschäftigt mit Ihrem blauen Auge.“

„Meinem was?“, rief Jenna entsetzt. „Aber warum hat mir Sasha nichts gesagt, als sie den Verband gewechselt hat?“ Wahrscheinlich, um mir die Demütigung zu ersparen, sagte sie sich.

„Nur eine kleine Prellung. Der Schnitt sieht aber schon besser aus.“

„Haben Sie Ihrer Familie gesagt, was gestern Abend vorgefallen ist?“

„Ich habe ihnen erzählt, dass ich Sie in einer Bar aufgegabelt habe, in der Sie in eine böse Schlägerei verwickelt waren.“

„Das haben Sie nicht!“

„Wir sind heißblütige Iren. Wir kennen uns mit Kneipenschlägereien aus“, sagte er wie selbstverständlich.

„Aber ich hatte keine Schlägerei, Logan!“

„Ich mache doch nur Spaß, Jenna. Sie haben mich überhaupt nicht gefragt.“

Spielerisch schlug sie nach seinem Arm. „Gut. Andernfalls würde es Ihre Familie sicher begrüßen, wenn ich mich fortan von ihrem Haus fernhielte.“ Noch während sie das sagte, durchfuhr sie ein seltsamer Schmerz. Das wäre ungeheuer schade. Sie würde gerne noch einmal wiederkommen.

„Meine Eltern sind sehr von Ihnen eingenommen, Jenna. Vor allem mein Dad“, fügte Logan hinzu. „Er gibt nur Menschen, die er mag, einen Spitznamen. Und die übrige Familie ist ebenfalls beeindruckt.“ Nach einer kleinen Weile meinte er: „Ich übrigens auch, trotz Grillfleck und blauem Auge.“

Jenna ignorierte das Kompliment. „Apropos Familie. Ich habe nur drei Brüder gezählt. Wer fehlt denn?“, erkundigte sie sich.

„Kevin. Aber diese Familientreffen waren nie sein Ding. Und seit Corri und Aidan verheiratet sind, meidet er sie oft.“

„Wieso denn das?“

„Das ist eine lange Geschichte“, antwortete er zögernd. „Die kurze Version ist die, dass Corri zuerst mit Kevin verlobt war, dann aber Aidan geheiratet hat.“

„Sie hat mit Kevin Schluss gemacht, um mit Aidan zusammen zu sein?“, fragte sie ungläubig. Das klang ja wie in einer Seifenoper.

„Nein, Kevin hat mit ihr Schluss gemacht. Dass Corri sich dann in Aidan verliebt hat, haben wir erfahren, als sich die zwei in der Küche geküsst haben.“

„Sie meinen, hier?“ Jenna klang angespannt.

„Genau hier, wo wir jetzt stehen.“ Seine Stimme klang rau und sexy. „Wurdest du je in einer Küche geküsst, Jenna?“

„Nicht, dass ich wüsste“, antwortete sie atemlos, aber sie hatte das untrügliche Gefühl, dass sie diesen Kuss bald bekommen würde. Logan legte eine Hand an ihren Hals und fuhr mit dem Daumen zärtlich über ihre Wange. Die ganze vergangene Nacht hatte sie sich diesen Kuss vorgestellt. Jenna konnte das starke Verlangen kaum unterdrücken. Wie unter Strom wartete sie auf die Berührung seiner Lippen.

Plötzlich räusperte sich jemand hinter ihnen. Logan ließ die Hand fallen und fragte ungeduldig: „Was willst du, Kieran?“

„Devin und Stacy brechen auf. Mom dachte, du würdest dich gerne verabschieden. Sofern du nicht zu beschäftigt bist.“ Glucksend verließ Kieran dabei die Küche.

So gerne Jenna sich von dem Paar verabschiedet hätte, jetzt war sie nicht in der Verfassung, jemandem gegenüberzutreten. „Wenn du mir sagst, wo das Bad ist, bin ich in einer Minute wieder draußen.“

„Ich kann es dir zeigen“, bot Logan an.

Jenna hob ihren Stock ein paar Zentimeter. „Mein treuer Gefährte wird mir bei der Suche helfen. Und du kannst dich von deinem Bruder verabschieden. Sag mir nur, wie viele Türgriffe es sind und ob es links oder rechts vom Flur liegt.“

Ohne weiteren Widerspruch fasste er sie an der Schulter und drehte sie um. „Geradeaus, zweite Tür auf der rechten Seite. Pass auf die Vitrine links von dir in der Eingangshalle auf.“

Dass er ihr zutraute, es alleine zu schaffen, freute Jenna. Zu oft wurde sie sonst wie ein Pflegefall behandelt. „Ich bin gleich zurück. Sollte ich Devin und Stacy verpassen, richte ihnen bitte aus, dass ich mich gefreut habe, sie kennenzulernen.“

„Mach ich“, hörte sie Logans Stimme. Jenna spürte ihn direkt hinter sich. Sein warmer Atem streifte ihr Ohr. „Und später“, fuhr er leise fort, „holen wir nach, was wir eben abgebrochen haben.“

Jenna zitterten die Knie, als sie den Flur entlangging. Mehr stützte sie sich auf ihren Blindenstock, als dass sie ihn zu ihrer Orientierung nutzte. Leise zählte die Türknäufe, während sie über den sinnlichen Unterton in Logans Worten und ihre Reaktion darauf nachdachte.

Die Tür des Badezimmers stand offen, und sie trat sie ein. Endlich hatte sie ein paar Momente für sich. Hier konnte sie ihre Fassung zurückgewinnen und …

„Hallo, Jenna.“

Sofort erkannte sie Mallorys Stimme. „Es tut mir leid, mir war nicht klar, dass du hier bist.“

„Ich füttere die Mädchen.“

„Im Bad?“

Mallory lachte leise. „Das ist nicht das Bad“, erklärte sie, „sondern mein altes Schlafzimmer. Es wurde zu einem Kinderzimmer umgebaut.“

„Logan meinte, das Bad läge hinter der zweiten Tür auf der rechten Seite.“

„Komisch, in Mathe war er eigentlich immer ganz gut. Er hat sicher den Hauswirtschaftsraum vergessen.“

„Dann muss ich noch eine Tür weiter.“

„Ja, aber Corri ist gerade da drin. Sie spürt die Auswirkungen der Morgenübelkeit. Wenn du möchtest, kannst du gerne das Bad im Schlafzimmer unserer Eltern benutzen“, bot Mallory ihr an.

Jenna schüttelte den Kopf. „Danke, aber so eilig ist es nicht.“

Autor

Patricia Thayer
Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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Die Neuseeländerin Robyn Donald ist überzeugt, dass Schreiben und Gärtnern viel gemeinsam haben: Beide Tätigkeiten sind mit Fantasie, Gefühlen, Visionen, viel Arbeit und Rückenschmerzen verbunden - und machen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen sind, sehr glücklich.

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