Bianca Exklusiv Band 251

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EIN HERZ AUS PUREM GOLD von WILDING, KAY
In den Armen des begüterten Unternehmers Jack Sherrodan glaubt Frances an der Reling des Kreuzfahrtschiffs für Momente: Dies ist der Mann ihres Lebens! Aber wieso sollte Jack sich für eine wie sie interessieren? Außer ihrer Liebe hat sie ihm doch nichts zu bieten …

DIE ANTWORT KENNT NUR DEIN HERZ von STEELE, JESSICA
Ist Jack der Vater ihrer süßen Nichte - oder ist er ein perfekter Schauspieler, der alles abstreitet? Leyne weiß nicht, was sie dem einnehmenden Millionär glauben darf. Denn seit sie ihn ausfindig gemacht hat, kümmert er sich liebevoll um die Kleine. Und um sie. Warum?

DU BRINGST LACHEN IN MEIN LEBEN von TEMPLETON, KAREN
Grant Braeburn erkennt sein Leben kaum wieder, seit sich die lebhafte Mia in seinem luxuriösen Haus um seine kleine Tochter kümmert. Mit der schönen Frau sind Glück und Liebe zurück gekehrt - doch wie lange noch? Denn er weiß etwas über sie, das dieses Glück zerstören wird.


  • Erscheinungstag 07.11.2014
  • Bandnummer 0251
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730130
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kay Wilding, Jessica Steele, Karen Templeton

BIANCA EXKLUSIV BAND 251

KAY WILDING

Ein Herz aus purem Gold

Eigentlich ist der smarte Unternehmer Jack Sherrod nur an Bord des luxuriösen Kreuzfahrtschiffes, um ein Geschäft voranzutreiben, dass ihn zum Milliardär machen würde! Als er an Bord die süße Frances kennenlernt, spielt das aber plötzlich kaum noch eine Rolle. Doch ist sie wirklich das Aschenputtel mit dem großen Herzen, als das sie ihm erscheint?

JESSICA STEELE

Die Antwort kennt nur dein Herz

Wer ist mein Daddy? Auf die neugierige Frage ihrer Nichte Pip weiß die hübsche Leyne keine Antwort. Also beginnt sie nachzuforschen und stößt auf den ausnehmend attraktiven Firmenboss John Dangerfield. Doch der streitet alles ab. Dabei ist ihm die Kleine wie aus dem Gesicht geschnitten. Lügt John – oder sagt er zwischen heiße Küssen die Wahrheit?

KAREN TEMPLETON

Du bringst Lachen in mein Leben

Mia mag den zielstrebigen Geschäftsmann Grant Braeburn einfach nicht. Aber er war nun mal der Mann ihrer besten Freundin. Und da ist es Ehrensache, dass sie sich nach deren Unfalltod um ihre süße Tochter kümmert. Wobei sie dabei nicht nur der Kleinen ganz nah kommt, sondern auch Grant. Gefährlich nah sogar. Doch dann macht er ihr ein erschütterndes Geständnis …

PROLOG

Das Testament war eine Überraschung.

Frances Lanier hatte gewusst, dass es dieses Testament gab, natürlich. Jeder, der ihren Vater auch nur entfernt kannte, wusste, dass er ein Testament gemacht hatte. Schon vor mehr als zwanzig Jahren hatte er dieses Testament aufgesetzt, kurz nach dem Tode seiner Frau, doch keiner aus der Familie wusste genau, was es enthielt. Die Überraschung aber kam, als das Testament nach seinem Tode eröffnet wurde. Und Frances war genauso schockiert wie all die anderen, als sie erfuhr, dass sie Alleinerbin ihres Vaters war.

Als sie jetzt darüber nachdachte, entschied sie allerdings, dass es wohl richtig so war. Immerhin hatte sie ihn die letzten dreizehn Jahre seines Lebens versorgt, hatte ihn gepflegt nach mehreren Schlaganfällen, seit sie mit siebzehn Jahren die Schule verlassen hatte.

Außerdem wusste sie und auch ihre Schwester Juli sowie ihr Bruder Howie, dass ihr Vater nicht viel Geld hinterlassen würde. Da war das Haus in einer Arbeitergegend in Charlotte, aber sowohl das Haus als auch die Nachbarschaft ließen einiges zu wünschen übrig. Von dem Verkauf des Schrotthandels war vielleicht noch ein wenig Geld übrig geblieben, aber viel konnte es nicht sein, denn Frances und ihr Vater hatten schon seit Jahren von diesem Kapital gelebt. Vielleicht ist das Geld ja auch längst aufgebraucht, dachte Frances mit schwerem Herzen.

Richard Morrison, der langjährige Freund ihres Vaters, der auch sein Anwalt gewesen war, hatte diesen Verkauf damals in die Wege geleitet, er kümmerte sich auch um die persönlichen und finanziellen Verhältnisse Howard Laniers. Für Frances hatte er ein besonderes Konto eingerichtet, von dem sie die Ausgaben für den Haushalt bestreiten konnte. Und er hatte ihr gesagt, sie könne immer zu ihm kommen, wenn sie mehr Geld brauche, obwohl sie das nie in Anspruch genommen hatte. Jetzt fragte sie sich, ob sie ihm vielleicht sogar noch Geld schuldete.

Die Stimme Richard Morrisons lenkte sie von ihren Überlegungen ab. Sie setzte sich ein wenig aufrechter und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was der Anwalt gerade sagte. Es hatte etwas mit dem angewachsenen Wert des Besitzes ihres Vaters zu tun, mit der Summe, die sie schließlich erben würde. Sie verstand nur Bruchstücke von dem, was er erklärte – Erbschaftssteuer … Abschreibungen … Investitionen in Aktien … Schatzbriefe und noch einige andere Dinge, die sie nicht verstand, weil Richard Morrison so undeutlich sprach. Deshalb war Frances überrascht, als ihr Bruder plötzlich aufsprang.

„Was?“, schrie Howie.

Richard Morrison rückte seine Brille zurecht und blickte auf das Blatt Papier, das er in der Hand hielt. „Ungefähr neun-achtzig oder neunzig“, sagte er. „Das ist der ungefähre Betrag, den Frances erben wird.“

„Das kann nicht sein!“ Howie schrie noch immer.

Frances runzelte die Stirn. Der Ausbruch ihres Bruders machte sie verlegen. Auch wenn Howie selbst Anwalt war, so hatte er doch nicht das Recht, Mr Morrison anzuschreien. Sie fragte sich, warum er sich nur so aufregte. Neunhundertachtzig oder neunhundertneunzig Dollar waren doch gar nicht so schlecht. Das bedeutete, dass sie Mr Morrison kein Geld schuldete.

„Ich versichere Ihnen, die Zahlen sind korrekt.“ Mr Morrison nahm seine Brille ab und sah Howie an. Frances war erstaunt, als sie das zufriedene Lächeln sah, das sich auf Mr Morrisons Gesicht stahl. Doch gleich hatte er es wieder unterdrückt. Was hatte das zu bedeuten?

„Das ist natürlich der Betrag nach dem Abzug der Steuern und der anderen rechtlichen Kosten“, sprach er weiter. „Aber die augenblicklichen vierteljährlichen Zinsen auf die Investitionen sind noch nicht berücksichtigt. Der Betrag, den Frances erhalten wird, könnte die Millionengrenze überschreiten. Ich habe absichtlich eine geringere Summe genannt, um sicherzugehen.“

„Was haben Sie da gesagt?“, fragte jetzt auch Juli mit schriller Stimme und sprang von dem Sofa, auf dem sie bis jetzt gesessen hatte, auf.

Frances blinzelte. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort heraus. Sie sah, dass Mr Morrison ihr zublinzelte! Und jetzt verbarg er auch nicht länger sein selbstzufriedenes Lächeln.

„Ich habe gesagt, dass Frances nach dem Abzug der Steuern fast eine Million Dollar erbt.“

„Sie meinen, unser Vater hatte so viel Geld?“ Julis Stimme klang beinahe hysterisch. „Und er hat alles Frances hinterlassen?“

„Es ist Ihnen doch wohl klar“, mischte sich jetzt Howie ein, „dass die Tatsache, dass unser Vater seine anderen beiden Kinder in seinem Testament nicht begünstigt hat, genügt, um das Testament sofort für ungültig erklären zu lassen.“

„Ihr Vater und ich haben uns über diesen Punkt unterhalten.“ Mr Morrison nickte. „Und er hat sich entschieden, Ihnen beiden auch ein Erbteil zu hinterlassen.“

„Wie viel hat er uns hinterlassen?“, wollte Juli wissen.

Frances beobachtete die anderen. Sie war nicht fähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen, während Mr Morrison seine Brille wieder aufsetzte und aus dem Testament vorzulesen begann. „Meiner Tochter Julianna, die zuerst ihren Namen auf Julia verkürzt hat und sich jetzt Juli nennt und meinem Sohn Howard Junior, der sich ohne jeden ersichtlichen Grund Howie nennt, hinterlasse ich … nur meine besten Wünsche, denn das ist alles, was ich von ihnen je bekommen habe.“

„Das ist nicht …“, begann Howie, doch Richard Morrison hob die Hand und brachte ihn so zum Schweigen.

„Es geht noch weiter“, meinte Mr Morrison, dann las er weiter. „Mein guter Freund und Anwalt jedoch hat mir geraten, dass ich für meine beiden anderen Kinder einen Geldbetrag festsetzen soll, damit das Testament nicht angefochten werden kann. Deshalb hinterlasse ich Juli und Howie je einen Dollar.“

Frances hielt den Atem an, als Mr Morrison jetzt seine Brille wieder absetzte und sie in seine Tasche steckte. Einen Augenblick lang herrschte absolute Stille, dann begannen alle gleichzeitig zu reden.

„Frances!“

Als sie ihren Namen hörte, blickte Frances auf. Die Frau ihres Bruders stand vor ihr. „Lisa.“ Frances lächelte sie an. Ihre Schwägerin war diejenige, die ihr in der Familie am liebsten war, sie fühlte sich zu ihr mehr hingezogen als zu ihrer eigenen Schwester.

Jetzt schüttelte Lisa ihr die Hand. „Meine Schwägerin, die reiche Erbin. Ich kann es nicht glauben! Donnerwetter! Eine Million Dollar!“

„Ich kann es auch noch nicht glauben“, meinte Frances. „Ich denke immer, ob nicht vielleicht doch jemand einen Fehler gemacht hat. Vielleicht wollte Pops gar nicht, dass ich all das Geld bekommen sollte.“

Lisa schüttelte den Kopf. „Es gab keinen Fehler“, erklärte sie entschlossen. „Und die Gerechtigkeit hat gesiegt.“

Frances blickte zu ihrer Schwester und ihrem Bruder, die in eine hitzigen Debatte mit Mr Morrison verwickelt waren. „Ich bezweifle, dass Juli und Howie dir da zustimmen.“

„Keine Sorge“, wehrte Lisa ab. „Howie ist überrascht worden, und er mag keine Überraschungen, besonders keine unangenehmen. Aber ich kenne meinen Mann, er wird sich schon wieder beruhigen. Dafür werde ich schon sorgen. Juli wird hinter dir her sein, damit du dein Erbe mit ihr teilst, aber du wirst doch mit ihr fertig.“

„Du kennst mich doch, Lisa. Mit Juli bin ich noch nie fertig geworden.“

Lisa runzelte die Stirn. „Dann solltest du vielleicht für eine Weile verschwinden. Du könntest einen langen Urlaub machen.“

„Einen Urlaub?“, wiederholte Frances, als habe sie dieses Wort noch nie gehört. Und es stimmte, sie hatte noch nie daran gedacht, Urlaub zu machen. „Wohin denn?“

„Das ist doch egal. Nur lang muss er sein. Gibt es nicht einen Ort, an den du schon immer einmal reisen wolltest?“

Frances dachte nach. „Nun ja“, meinte sie nach einer Weile. „Ich habe im Fernsehen immer gern die Serie ‚Traumschiff‘ gesehen und davon geträumt, eines Tages auch einmal eine Kreuzfahrt zu machen.“

„Wunderbar, dass ich nicht selbst daran gedacht habe. Einige unserer Freunde haben im letzten Jahr eine Kreuzfahrt gemacht, und es hat ihnen sehr gut gefallen. Es ist genau das, was du jetzt brauchst, Frances. Die Mannschaft des Schiffes kümmert sich um alles, du wirst unendlich verwöhnt.“

Der Gedanke klang verlockend. „Aber was ist mit Howie und Juli?“

„Keine Sorge, die werden noch hier sein, wenn du zurückkommst. Doch bis dahin wirst du dich verändert haben.“

Frances kicherte. „Wieso glaubst du, dass ich mich verändern werde?“

„Du wirst entspannt sein, selbstsicher …“

„Ich? Selbstsicher?“

„Und ob. Denn bis dahin wirst du begriffen haben, dass du Geld hast. Geld bedeutet Macht, und daraus erwächst Selbstvertrauen. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich danach noch in deine Nähe trauen werde, mit all deinem Geld und deinem Selbstvertrauen … ganz zu schweigen von dem reichen, gut aussehenden Mann, den du auf der Kreuzfahrt kennenlernen wirst.“

Frances lachte. „Du bist ja verrückt.“

„Das bin ich“, stimmte Lisa ihr zu. „Aber vergiss das jetzt, vergiss deine geldgierigen Geschwister … und segle dem Sonnenuntergang entgegen. Amüsiere dich zur Abwechslung einmal!“

Als er aus dem Aufzug trat, der ihn von seiner Penthouse-Wohnung in sein Büro hinunterbrachte und ihn die junge hübsche Frau am Empfang mit ihren großen blauen Augen ansah, in denen Tränen standen, wusste er gleich, dass dieser Tag ein schlimmer Tag werden würde …

„Mr Sherrod!“, rief sie. „Mr Armstrong sucht Sie. Ich glaube, es ist etwas Schreckliches passiert.“

Martin Armstrong hatte von Anfang an mit ihm zusammengearbeitet, schon beinahe zehn Jahre lang jetzt. Und vorher hatte er bereits bei seinem Vater gearbeitet. Diskretion war das, was Jack an seinem Partner ganz besonders schätzte und auch seine Loyalität. Deshalb beachtete er auch jetzt die Bemerkung seiner Empfangsdame nicht weiter. Doch dann überlegte er, dass Martin, der wegen der außergewöhnlich schwierigen Verhandlungen der Gesellschaft im Augenblick unter ziemlichem Druck stand, vielleicht unbeabsichtigt einige unvorsichtige Worte entschlüpft waren.

„Ich bin sicher, es ist nicht so schlimm, Miss Burke.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. Noch ehe sie etwas antworten konnte, war er schon auf dem Weg zu seinem Büro. Er schloss die Tür hinter sich und holte tief Luft, dann ging er zum Telefon und wählte die Nummer von Martin Armstrong.

„Martin. Du hast nach mir gefragt? Was ist passiert?“

„Ich bin nicht sicher. Aber ich glaube, etwas von unserem neuesten Projekt ist bekannt geworden.“

„Verdammt!“, rief Jack. „Weißt du wer? Oder wo?“

„Nein, doch ich werde es herausfinden. Das ist aber noch nicht alles. Bist du in deinem Büro?“

„Ja.“

„Ich komme sofort zu dir rüber.“

Jack legte langsam den Telefonhörer wieder auf, dann ging er zum Fenster und sah auf den Fluss hinunter. Mein Vater hat von seinem Bürofenster auch einen solchen Ausblick gehabt, dachte er und fühlte wieder den Schmerz.

Das Büro seines Vaters jedoch hatte am Hafen von Boston gelegen, und dies hier war New York. Und er würde dort Erfolg haben, wo sein Vater versagt hatte. Nein, korrigierte er sich schnell, mein Vater hat nicht versagt. Ihm wurde seine Firma – eine Firma die schon seit Generationen der Sherrod Familie gehört hatte – gestohlen.

Und jetzt würde Jack die Firma seines Vaters zurückbekommen. Und er würde die Firmengruppe übernehmen, die sie seinem Vater gestohlen hatte. Er fand, dass er es verdient hatte, und er würde nicht ruhen, bis er den Lohn für seine Arbeit bekommen hatte.

Martin Armstrong kam in das Büro und schloss die Tür hinter sich. „Die First Fidelity hat unseren Kredit gekündigt“, begann er gleich. „Und sobald das bekannt wird, werden unsere anderen Gläubiger das gleiche tun.“

Es dauerte einen Augenblick, bis Jack die Tragweite dessen, was Martin gesagt hatte, begriffen hatte. „Verdammt! Das können sie nicht!“, rief er.

„Sie haben es bereits getan. Also beruhige dich.“

„Ich soll mich beruhigen? Wenn alles, für das ich – und auch du, Martin – die letzten zehn Jahre gearbeitet habe, den Bach heruntergeht?“

„So schlimm ist es ja nicht. Wenigstens noch nicht.“

„Und was ist mit den Japanern? Wissen die etwa auch schon Bescheid?“

„Ich glaube nicht.“ Martin rieb sich den Nacken. „Ich würde sagen, sie lassen sich wie immer nur etwas Zeit. Du weißt, sie sind übergenau, deshalb sind sie ja auch so erfolgreich.“

Jack holte tief Luft. „Und was schlägst du jetzt vor?“

„Na ja, wir könnten unsere Pläne für die Übernahme aufgeben, wenigstens für den Augenblick. Wir könnten uns zurückziehen und unsere Strategie neu überdenken.“

„Du weißt, dass ich auf keinen Fall all das verlieren will, was wir aufgebaut haben, Martin. Aber der Gedanke, jetzt alles aufzugeben … wo wir so nahe daran sind. Ich konnte ja schon beinahe die Angst der Leute fühlen, die die Firma von meinem Vater gestohlen haben.“

Martin nickte. „Das verstehe ich. Ich habe deinen Vater auch geliebt, Jack. Er war der beste Mensch, dem ich je begegnet bin.“

Jack seufzte. „Was haben wir denn noch für andere Möglichkeiten? Hast du nicht einen Vorschlag?“

Martin dachte nach. „Ich habe eine Idee“, meinte er nach einer Weile. „Aber sie wird dir nicht gefallen.“

„Versuche es.“

„Du könntest irgendwohin in Urlaub gehen, wo dich niemand finden kann.“

„Urlaub?“, wiederholte Jack ungläubig. „Bist du verrückt?“

„Ich habe dir doch gesagt, es wird dir nicht gefallen. Aber viele wichtige Männer tun das, wenn eine Krise vor der Tür steht.“

„Ich soll mich verstecken?“

„Teufel ja! Der Feind kann dich nicht angreifen, wenn er dich nicht finden kann.“

Jack schüttelte den Kopf. „Das gefällt mir gar nicht. Ich finde, das ist das Schlechteste, was ich tun könnte.“

„Sieh es doch einmal so. Du bist weg, und ich werde dafür sorgen, dass niemand weiß, wo du bist oder wie man sich mit dir in Verbindung setzen kann. Das wird uns Zeit geben … genug Zeit für die Japaner, sich zu entscheiden. Und unsere Gläubiger kann ich so lange vertrösten. Es ist die beste Idee, die ich mir vorstellen kann, aber vielleicht hast du ja noch eine bessere.“

„Du weißt, dass ich die nicht habe.“

„Also …?“

Jack zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich werde es tun. Und was für einen Urlaub stellst du dir vor?“

„Das klingt ja beinahe wie ein Todesurteil.“ Martin lachte leise. „Ich dachte an eine lange Kreuzfahrt, und vielleicht wird es dir sogar gefallen.“

„Das bezweifle ich, aber eine Kreuzfahrt ist vielleicht gar nicht so schlecht. Ich werde einige meiner Freunde anrufen, die eine Jacht besitzen und …“

„Auf keinen Fall! So würde man dich in kürzester Zeit ausfindig machen können. Ich dachte mir, dass du unter einem falschen Namen reist … auf einem Schiff, wie dem Traumschiff. Auf so einem Schiff wird dich niemand vermuten.“

Jack fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, während er darüber nachdachte. „Wahrscheinlich hast du recht“, gab er schließlich nach. „Würdest du für mich eine Kabine auf einem solchen Schiff buchen?“

„Wo möchtest du denn hin?“

„Das ist doch ganz gleich.“ Jack winkte ab. „Sorge nur dafür, dass es eine sehr lange Kreuzfahrt ist, damit wir den Japanern genügend Zeit geben, sich zu entscheiden.“

1. KAPITEL

Frances biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen das Gefühl der Panik an, als sie von der Menge der Passagiere die Gangway zu dem Kreuzfahrtschiff ‚American Dreamer‘ hinaufgeschoben wurde. Sie hatte das Gefühl, dass sich ihr Traum langsam zum Albtraum entwickelte.

Mit großen Erwartungen hatte sie an diesem Morgen ihre Reise begonnen. Viele Reiseprospekte hatte sie gewälzt, ehe sie sich für diese Reise entschieden hatte. Das Schiff würde von Montreal nach Quebec fahren und dann durch den Golf von St. Lawrence nach St. John und Miami, durch den Panama-Kanal nach Los Angeles und wieder zurück. Sie hatte sich auf diese Reise gefreut, es sollte ein einmaliges Erlebnis werden.

Aber wie schrecklich hatte alles begonnen!

Was wird wohl als nächstes schiefgehen, fragte sie sich. Ihr Flug von Charlotte an diesem Morgen hatte Verspätung gehabt, und sie hatte ihren Anschlussflug nach Montreal verpasst. Der nächste Flug war ausgebucht gewesen, und sie hatte stundenlang auf der Warteliste gestanden, um dann schließlich noch den letzten verfügbaren Platz zu bekommen.

Natürlich war das Flugzeug viel zu spät in Montreal angekommen, und sie hatte ein Vermögen ausgegeben, um mit einem Taxi zur Anlegestelle des Schiffes zu kommen.

Vielleicht wäre das Schiff besser ohne mich losgefahren, dachte Frances jetzt und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke den Schweiß von der Stirn. Das ganze Durcheinander heute war vielleicht ein schlechtes Omen.

Doch jetzt war es zu spät, um noch darüber nachzudenken. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte inmitten dieser Menschenmenge nicht umkehren können. Sie seufzte. Und dann seufzte sie noch einmal, diesmal erleichtert, als sie endlich das Schiff betrat und die Menge um sie herum sich ein wenig verteilte.

Doch ihre Erleichterung dauerte nicht lange, denn sie stellte sehr schnell fest, dass sie keine Ahnung hatten, wo sie jetzt ihre Kabine finden sollte.

Frances ging ein wenig zur Seite, um dem Strom der Passagiere nicht im Weg zu stehen, dann suchte sie in ihrer Tasche nach ihrem Ticket. Sie besaß auch schon einen Schlüssel zu ihrer Kabine, und irgendwo musste auch ein Plan des Schiffes sein, aber wo?

Ein junger Mann in Uniform kam auf sie zu, sie entschied sich, ihn zu fragen. „Könnten Sie …?“

„Tut mir leid, Ma’am, wenn es ein Problem gibt, müssen Sie den Zahlmeister fragen“, rief er über seine Schulter zurück, während er weitereilte.

Frances entdeckte einen anderen uniformierten Mann. „Entschuldigung.“ Sie hielt ihn am Arm fest, ehe er ihr entkommen konnte. „Könnten Sie mir sagen, wo meine Kabine ist?“

Der junge Mann versuchte, sich loszumachen, doch Frances hielt ihn fest und reichte ihm ihr Ticket. Seufzend warf er einen Blick darauf. „Zwei Decks höher, Ma’am. Der Aufzug ist dort drüben.“

Sie ließ ihn los, und im nächsten Augenblick schon war er verschwunden. Frances ging zum Aufzug. Auf dem nächsten Deck waren schon wesentlich weniger Menschen, und ein Deck höher schien überhaupt niemand zu sein. Frances seufzte erleichtert auf, als sie aus dem Aufzug trat. Ein junger Mann in einer weißen Uniform kam auf sie zu.

„Willkommen an Bord der ‚American Dreamer‘, Ma’am“, begrüßte er sie. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Danke.“ Frances erwiderte sein Lächeln. „Ich suche meine Kabine. Sie hat die Nummer zwei, zwei …“

„Gleich hier drüben“, unterbrach er sie. „Folgen Sie mir bitte.“

Nun, vielleicht stimmte es doch, dass man hier verwöhnt wird, dachte Frances. Nach dem Tag heute konnte sie das auch gebrauchen. Sie folgte dem jungen Mann den Gang hinunter, neben einer offenen Tür blieb er stehen.

„Hier ist es.“ Er deutete auf die Kabine, in der eine weiß gekleidete junge Frau gerade einen großen Früchtekorb auf den Tisch vor dem Sofa stellte.

Sofa? Frances hatte nicht gewusst, dass die Kabine groß genug war, um ein Sofa zu haben. Ihr stockte der Atem, als sie an dem Sofa vorbei die große Glasschiebetür entdeckte. „Eine Terrasse?“, flüsterte sie.

„Die offene Promenade, Ma’am. Die Liegestühle werden am Morgen aufgestellt, noch ehe sie aufwachen. In der Nacht stellen wir sie natürlich weg.“

„Natürlich“, stimmte sie zu. Im Augenblick hätte sie ihm in allem zugestimmt, so bezaubert war sie von dem Raum. Jetzt glaubte sie langsam, dass er die ungeheure Summe wert war, die sie dafür bezahlt hatte, auch wenn sie mit Lisa gestritten hatte, weil sie nicht so viel Geld hatte ausgeben wollen. Glücklicherweise hatte Lisa den Kampf gewonnen!

Der nette junge Mann zeigte ihr alles, von der gut gefüllten Bar und dem Fernsehapparat bis hin zu dem Bad mit dem Whirlpool, in dem ein flauschiger Bademantel hing. „Brauchen Sie noch etwas?“, fragte er schließlich.

„Nun ja, ich sehe hier nirgendwo mein Gepäck. Ich meine …“

„Haben Sie sich erst spät eingecheckt?“

„Ja.“

„Das wird es sein.“ Er lächelte. „Bestimmt wird Ihr Gepäck jeden Augenblick gebracht werden.“ Er reichte ihr eine Karte. „Wenn Sie Probleme haben, rufen Sie mich an. Bei Tag oder bei Nacht.“

„Danke.“

Er ging zur Tür, dann war er verschwunden. Frances holte tief Luft und sah sich um. „Endlich alleine“, sagte sie und zog sich ihre hochhackigen Schuhe aus. Jetzt würde sie erst einmal ein langes heißes Bad in diesem herrlichen Whirlpool nehmen, etwas, das sie sich schon seit Jahren gewünscht hatte, seit sie einmal einen solchen Whirlpool in einer Fernsehreklame gesehen hatte. Sie nahm an, dass bis dahin wahrscheinlich auch ihr Gepäck da sein würde, sie könnte sich danach also umziehen und zu der Willkommensparty gehen, die auf der Brücke gefeiert werden sollte.

Oder vielleicht auch nicht.

Vielleicht würde sie auch den kuscheligen Bademantel anziehen, der im Bad hing und würde es sich auf dem Sofa gemütlich machen und von den frischen Früchten essen, die auf dem Couchtisch standen.

Sie ging zu der großen Glastür und schloss die Vorhänge, dann ging sie ins Bad. Die Tür der Kabine ließ sie offen, damit man das Gepäck hineinbringen konnte, während sie im Bad war.

„Stellen Sie alles in den Schlafraum“, sagte Jack zu dem Steward, als sie die Kabine betraten.

„Soll ich für Sie auspacken, Sir?“

„Das ist nicht nötig, ich werde mich später darum kümmern. Ich muss zuerst noch ein wichtiges Telefongespräch führen.“ Seine Stimme sagte dem Steward, dass er allein sein wollte.

Den ganzen Tag über schon hatte er sich beeilen müssen, beinahe hätte er sogar das Schiff verpasst. Auf dem Flug hierher waren ihm noch einige wichtige Dinge eingefallen, über die er unbedingt mit Martin sprechen musste.

Er reichte dem Steward ein ansehnliches Trinkgeld, und als der Mann gegangen war, zog er seine Jacke aus und ging zum Telefon.

„Verdammt!“, murmelte er einige Minuten später, nachdem der Telefonist ihm erklärt hatte, dass alle Schiffsanschlüsse besetzt seien. Sobald eine Leitung frei war, würde er zurückrufen, hatte der Mann ihm versprochen. Jack fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, dann ging er hinüber zur Bar und goss sich ein Glas Scotch ein.

„Cheers“, sagte er laut und prostete sich in dem Spiegel über der Bar zu. „Und gute Reise.“ Er nahm einen großen Schluck.

Und dann traf es ihn wie ein Schlag. Was sollte er nur tun auf diesem verdammten Schiff? Tagelang. Wochenlang. Er schloss die Augen und nahm noch einen großen Schluck von seinem Whiskey.

Er füllte das Glas ein weiteres Mal, dann ging er hinüber zum Sofa und sank darauf. Als er die Füße unter den Couchtisch streckte, berührte er etwas, doch konnte er nicht sehen, was es war. Er stellte seinen Drink auf den Tisch und bückte sich, mit der Hand fühlte er unter dem Tisch und zog schließlich … einen Damenschuh hervor.

Mit gerunzelter Stirn starrte er auf den Schuh in seiner Hand, als er plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Er wandte sich langsam um und sah sie.

Sie stand an der Tür des Schlafzimmers, in einem Bademantel, ein Handtuch um den Kopf geschlungen. Der Bademantel stand weit offen und enthüllte zwei wohlgeformte Brüste mit rosigen Brustspitzen, einen flachen Bauch und ein Dreieck dunklen Haares dort, wo ihre langen schlanken Beine endeten.

Jack schluckte. Der Mund der Frau war leicht geöffnet, doch sie sagte nichts. Sie starrte ihn nur an, genauso schockiert, erschrocken und sprachlos, wie er sich fühlte.

Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, räusperte sich Jack. „Cinderella?“, fragte er leise und hielt ihr den Schuh entgegen. „Ich glaube, ich habe deinen Schuh gefunden.“

Sie schrie.

Oh du liebe Güte, dachte Frances. Und ich habe schon geglaubt, heute könnte mir nichts Schlimmeres mehr passieren.

Sie sah, dass der Mann – der Eindringling – den Schuh fallen ließ und auf sie zukam. Schnell versuchte sie, den Bademantel zu schließen. Zu spät!

Er war schon bei ihr, mit einem Arm presste er sie gegen sich, mit der anderen Hand versuchte er, ihr den Mund zuzuhalten. Frances warf den Kopf zur Seite und wollte sich aus seinem schmerzhaften Griff lösen. Doch er hielt sie nur noch fester.

„Hören Sie auf!“, flüsterte er wütend. „Bringen Sie mich nicht dazu, Ihnen wehzutun.“

Bedeutete das, dass er sie nicht umbringen wollte? Frances versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch wie konnte sie das, wenn dieser Mann – wahrscheinlich ein Vergewaltiger oder ein Serienmörder – sie so festhielt, dass sie kaum atmen konnte?

Nur keine Panik, sagte sie sich. Natürlich hatte der Mann vor, ihr wehzutun. Denn weshalb sonst wäre er in ihr Zimmer geschlichen, während sie im Bad war?

Sie biss ihn in die Hand. So fest sie konnte.

„Verdammt!“, schrie er und lockerte für einen Augenblick seinen Griff. Das genügte, um ihm zu entkommen. Frances lief zur Tür, doch schon nach wenigen Schritten hielt er ihren Arm fest und zog sie zurück.

„Lassen Sie mich los!“, schrie sie und grub ihre Fingernägel in seine Hand.

„Hören Sie auf!“, schrie er zurück.

Frances schlug ihm mit der freien Hand ins Gesicht und zuckte dann erschreckt zurück, als sie sah, dass er aus einer Kratzwunde zu bluten begann. Jetzt wird er mich sicher umbringen, dachte sie.

Sie hatte nichts mehr zu verlieren, deshalb holte sie aus und trat ihn mit aller Wucht gegen sein Schienbein. Doch dann keuchte sie voller Schmerz auf und hoffte, dass ihr nackter Fuß nicht gebrochen war.

Sie versuchte sich umzudrehen, während er gleichzeitig versuchte, ihren freien Arm festzuhalten. Doch stattdessen packte er mit seiner großen Hand nach ihre Brust, und Frances merkte erst jetzt, dass sich der Bademantel wieder geöffnet hatte. Erneut schrie sie.

Der Mann ließ ihre Brust los und legte die Hand auf ihren Mund. „Es tut mir leid“, sagte er. „Entschuldigung. Ich wollte nicht … das heißt … Verdammt! Beruhigen Sie sich. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich würde Ihnen nichts tun! Warum machen Sie denn einen solchen Aufstand? Was zum Teufel ist mit Ihnen los?“

Frances versuchte, ihm das zu erklären, doch mit seiner Hand auf ihrem Mund wurde daraus: „Mmghmm mhx pmnm cmhm!“

„Ich verstehe kein Wort.“ Er runzelte die Stirn. „Aber ich habe nicht die Absicht, den gleichen Fehler noch einmal zu machen und Sie loszulassen. Doch wir müssen darüber reden.“

„Hmm?“, sagte sie.

„Ist das alles, was Sie zu sagen haben?“

Sie nickte heftig.

„Wenn ich Sie loslasse, versprechen Sie, dass Sie nicht wieder schreien?“

Niemals! dachte sie und schüttelte den Kopf.

„Das habe ich mir gedacht“, meinte er. „Aber wir müssen miteinander reden. Vielleicht kann ich Ihnen Fragen stellen, und Sie antworten ja oder nein. Wäre das möglich?“

Sie wollte ihm gern ganz genau sagen, was sie von ihm oder von seiner Idee hielt. Doch er würde sie nicht verstehen. Stattdessen brummte sie.

„Warum haben Sie geschrien, als Sie mich gesehen haben?“, fragte er. „Habe ich Sie erschreckt?“

Sie nickte.

„Das tut mir leid. Aber zu meiner Verteidigung muss ich Ihnen sagen, dass ich ebenfalls überrascht war.“

Frances blinzelte. Er klang eigentlich ganz vernünftig. Oder verlor sie etwa den Verstand?

„Und“, sprach er weiter, „auch wenn das vielleicht nicht ganz höflich klingt, immerhin waren Sie in meiner Kabine … mehr oder weniger leicht bekleidet …“

Frances stockte der Atem. Was hatte er gesagt? Sie wäre in seiner Kabine? Das ergab doch alles keinen Sinn.

„Also habe ich natürlich angenommen … ich meine, ich wusste … warum Sie hier sind.“

Was? fragte sie sich. Was wollte er damit sagen?

„Aber hey, ich werde Sie nicht verraten, wenn Sie sich deswegen Sorgen machen. Ich weiß, dass ein Mädchen sich auch irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Sie können sich anziehen und dann in Ihre Kabine verschwinden … und wir beide werden die ganze Sache vergessen. Was meinen Sie?“

Was sagte er da? Er glaubte, sie sei eine … eine Prostituierte? Sie versuchte, klar zu denken. Vielleicht sollte sie so tun, als ginge sie auf seinen Vorschlag ein. Und wenn er sie dann endlich losließ, würde sie dafür sorgen, dass er so schnell wie möglich hinter Gitter kam.

„Hmm.“ Frances nickte, um ihm zu zeigen, dass sie mit seinem Vorschlag einverstanden war.

„Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen trauen kann“, meinte er und runzelte die Stirn.

Verdammter Kerl!“, sagte sie. Aber es klang wie „Vdmmth Khhn!“

„Was war das?“, fragte er und verzog den Mund zu einem sarkastischen Lächeln.

Frances sah ihn wütend an.

Der Mann holte tief Luft. „Ich werde Sie bei drei loslassen. Eins … zwei …“ Dann ließ er sie plötzlich los und sprang ein paar Schritte zurück. „Drei! Also. Sie sind frei und können gehen.“

Frances zog sofort den Bademantel eng um sich und band ihn zu. Sie fragte sich, was sie tun sollte … und was er wohl vorhatte. Dass er ihr etwas antun wollte, glaubte sie nicht länger, aber warum war er hier?

„Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie hier sind“, sagte er in ihre Gedanken hinein.

„Wie bitte?“

„Hatten Sie etwa vor, hier hereinzukommen, sich auszuziehen und dann Zeter und Mordio zu schreien, um Geld aus mir herauszuholen?“

Frances konnte nicht glauben, was sie hörte. „Sie Bastard!“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Okay, das war es also nicht. Aber warum sind Sie denn in meine Kabine gekommen und haben sich ausgezogen, und als ich dann erschien, taten Sie so, als wären Sie eine verschüchterte Jungfrau? So etwas habe ich noch nie erlebt.“

„Zunächst einmal“, begann Frances und ballte ihre Hände zu Fäusten, „bin ich nicht in Ihre Kabine gekommen. Sie sind in meine Kabine gekommen. Und …“

„Wie bitte?“

„Sie haben mich genau verstanden. Ich habe ein Bad genommen, und als ich dann aus dem Bad kam, fand ich einen betrunkenen Eindringling vor. Also habe ich geschrien. Unter diesen Umständen würde das wohl jeder tun.“

„Ich bin kein Eindringling. Und ich bin nicht betrunken. Ich habe nur einen einzigen Drink genommen.“

„Sie riechen aber wie eine ganze Schnapsbrennerei. Und als ich aus dem Bad kam, sind Sie über mich hergefallen … haben mich misshandelt …“

„Das ist es also!“, rief er. „Sie wollen also doch Geld von mir, weil Sie behaupten, ich hätte Sie misshandelt. Aber das sage ich Ihnen gleich – Baby – damit werden Sie nicht durchkommen. Ich werde mit Ihnen bis vor das höchste Gericht ziehen, ehe ich Ihnen einen einzigen Penny bezahle!“

Frances schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir reden aneinander vorbei.“

Vielleicht ist er ja nicht ganz normal, dachte sie. „Wenn Sie jetzt ruhig meine Kabine verlassen, werden wir die ganze Sache vergessen.“

„Das habe ich Ihnen doch eben schon angeboten!“, schrie er sie an, dann fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. „Also, verschwinden Sie … ruhig.“

„Nicht ich, sondern Sie.“ Frances versuchte, ruhig zu bleiben. „Das hier ist meine Kabine.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist meine Kabine.“

Frances öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schloss sie den Mund wieder und schüttelte nur den Kopf.

„Verdammt!“ Er sah sich um, als suche er etwas, dann nahm er seine Jacke von einem Sessel und suchte in den Taschen herum. „Hier ist es!“, rief er und hielt sein Ticket hoch.

Er hielt ihr das Ticket unter die Nase. „Na und?“, meinte Frances nur. „Darauf steht, dass Sie Kabine P-22 haben.“

Er nahm sie grob beim Handgelenk und zog sie zur Tür, dann öffnete er die Tür und deutete auf die Nummer, die darauf stand. P-22. „Also?“, fragte er triumphierend.

Ihre Kabine hatte die Nummer 222, nicht P-22, erkannte Frances, und ihr wurde ganz schlecht. Und dann dachte sie wieder an den jungen Mann, der es so eilig gehabt hatte, als er ihr die Richtung zu ihrer Kabine wies … und an den Mann, der sie in diese Kabine geführt hatte, noch ehe sie ihm die genaue Nummer genannt hatte.

„Oh nein“, sagte sie seufzend.

2. KAPITEL

Jack beobachtete die Frau und wartete darauf, was sie sagen würde. Es dauerte lange, bis sie sprach.

„Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen“, murmelte sie schließlich verstört.

„Dann geben Sie also zu …“

„Nein! Ich bin nicht das, was Sie von mir gedacht haben. Ich bin Passagier. Genau so wie Sie. Es scheint nur, dass … irgendwie muss ich in die falsche Kabine gekommen sein.“

Jack runzelte die Stirn und wusste nicht, ob er ihr glauben sollte oder nicht.

„Ich verstehe ja, dass Sie skeptisch sind.“ Sie schien seine Gedanken gelesen zu haben. „Das wäre ich unter diesen Umständen wohl auch.“ Sie versuchte zu lachen. „Aber es stimmt, das schwöre ich Ihnen.“

Sie schien verängstigt und unsicher zu sein, wie ein kleines Kind. Und sie tat Jack leid. Aber das würde er ihr nicht sagen, denn immerhin war es ja auch möglich, dass sie eine gute Schauspielerin war.

„Ich glaube Ihnen“, sagte er nach einem Augenblick und hielt beide Hände hoch.

„Einfach so?“

„Ja. Warum? Finden Sie, ich sollte Ihnen nicht glauben?“ Jack begann, die Situation zu genießen.

„Natürlich sollen Sie mir glauben. Und ich glaube, ich verschwinde jetzt besser hier, ehe ich noch mehr Schwierigkeiten bekomme.“

Er grinste. „Das hört sich ja großartig an, aber glauben Sie wirklich, Sie sollten so zu Ihrer Kabine gehen? Damit will ich natürlich nicht sagen, dass Sie nicht bezaubernd aussehen“, fügte er schnell hinzu und dachte daran, wie sie ausgesehen hatte, als der Bademantel weit offenstand.

Sie verzog das Gesicht. „Das habe ich ganz vergessen.“

„Ich nehme an, Sie waren angezogen, als sie hier hereinkamen. Cinderella, ich fühle mich geehrt, Ihnen mein Bad anzubieten, wenn Sie sich umziehen möchten.“

Frances warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Ich möchte mein Glück nicht noch einmal versuchen …“

„Glauben Sie, ich würde noch einmal den betrunkenen Eindringling spielen und über Sie herfallen?“

„Jetzt machen Sie sich auch noch über mich lustig.“

„Nein, ich habe Sie nur geneckt. Das ist ein großer Unterschied.“

Sie schwieg lange, dann nickte sie. „Also gut, ich werde Ihr Bad noch einmal benutzen, um mich umzuziehen.“

Das Läuten des Telefons unterbrach sie, und Jack erinnerte sich wieder daran, dass er ja unbedingt mit Martin hatte sprechen wollen.

„Ich … äh … ich erwarte ein Gespräch. Es ist von meinem Geschäftspartner. Es wird nicht lange dauern, ich meine, ich werde wahrscheinlich schon fertig sein, wenn Sie auch fertig sind … mit dem Umziehen.“

„Sie brauchen sich meinetwegen nicht zu beeilen.“

„Ich möchte mich gern noch etwas mit Ihnen unterhalten“, platzte er heraus.

„Worüber?“

„Über nichts Besonderes. Ich meine … einfach unterhalten. Vielleicht könnten wir zusammen etwas trinken …“

„Das glaube ich nicht.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Hören Sie, ich muss jetzt an dieses verdammte Telefon … Bitte gehen Sie nicht weg, ehe ich noch mit Ihnen gesprochen habe“, bat er. „Okay?“

Sie zuckte mit den Schultern, nahm dann ihre Schuhe und ging ins Bad. Jack sah ihr nach, dann lief er zum Telefon.

„Warum hat das denn so lange gedauert?“, fragte Martin. „Und warum rufst du denn schon heute Abend an? Wir haben uns doch erst vor ein paar Stunden verabschiedet.“

Jack ging gar nicht erst auf Martins Fragen ein. „Ich glaube ich weiß, wer die Informationen über unser Projekt weitergegeben hat“, sagte er leise.

„Wer ist es?“, wollte Martin wissen.

„Miss Burke, unsere neue hübsche Empfangsdame.“

„Das glaube ich nicht. Wir haben Sie über eine uns sehr vertraute Agentur bekommen, und ich bin sicher, sie ist vorher gründlich überprüft worden. Ich kann nicht glauben …“

„Ich weiß, ich habe keine Beweise, aber ich fühle es einfach. Tu mir den Gefallen, Martin, durchsuche ihren Schreibtisch, ehe sie morgen zur Arbeit kommt.“

„Wonach soll ich denn suchen?“

„Nach irgendetwas, das sie in Verbindung mit den bösen Buben bringt. Vielleicht hat sie die Möglichkeit, irgendwie unsere privaten Gespräche abzuhören.“

„Wenn das so wäre, würde es eine Menge Dinge erklären“, meinte Martin bedächtig. „Zum Beispiel, woher unsere Gegenseite wusste, was wir zu tun beabsichtigten, noch ehe wir es ausführen konnten. Aber da gibt es noch einige Dinge, über die ich mit dir reden wollte.“

„Jetzt?“, fragte Jack und dachte an die Frau in seinem Badezimmer, mit der er sich noch unterhalten wollte.

„Sicher jetzt. Warum fragst du? Hast du es etwa eilig?“

„Nein“, log Jack. „Obwohl auf der Brücke eine große Party gefeiert wird, an der eigentlich jeder teilnehmen sollte. Ich wollte auch hingehen.“ Das war schon wieder eine Lüge. Er hatte gar nicht die Absicht, zu dieser Party zu gehen.

„Großartig! Es freut mich, dass es dir zu gefallen scheint. Mach dir keine Sorgen, ich werde dich nicht lange aufhalten.“

Und das tat er auch nicht. Doch als Jack denn endlich den Hörer wieder auflegte und sich umsah, wusste er sofort, dass die Frau verschwunden war.

Und er kannte nicht einmal ihren Namen.

Frances fand schließlich die Kabine 222 und stellte fest, dass ihr Schlüssel ins Schlüsselloch passte. Sie war jedoch noch immer nicht überzeugt. Erst, als sie ihr Gepäck in der Kabine entdeckte, schloss sie die Tür hinter sich.

Dann sah sie sich in dem Raum um, der für die lange Zeit der Reise ihr Zuhause sein würde. Die Kreuzfahrt sollte vierundsiebzig Tage dauern, und sie würde sie an Orte führen, von denen sie schon ihr ganzes Leben lang geträumt hatte.

Sie versuchte, nicht länger an das zu denken, was geschehen war, als sie sich in der Kabine umsah. Es gab ein Bad mit einer Wanne und einer Dusche, allerdings ohne den flauschigen Bademantel. In dem Hauptraum stand ein Einzelbett, eine Kommode, ein Farbfernseher und ein Radio. Vor dem großen Fenster gab es eine Sitzecke mit zwei Sesseln. Auf dem Couchtisch stand ein Korb mit frischen Früchten.

Es war ein hübsches Zimmer – sehr hübsch. Und Frances wäre begeistert gewesen, wenn nur nicht … Verflixt!

Sie konnte noch immer nicht glauben, was geschehen war. Wie erniedrigend!

Glücklicherweise war sie noch beizeiten verschwunden. Sie hatte sich in Rekordzeit angezogen, dann hatte sie an der Tür gewartet, bis sie seine Stimme hörte und sich dann leise davongestohlen, während er noch sprach.

Ihr einziger Trost war, dass sie den Mann hoffentlich nie wiederzusehen brauchte. Das Schiff war so groß, dass die Chance, ihm zufällig zu begegnen, gleich null war … Und sie hatte nicht die Absicht, noch einmal zu seinem Deck hinaufzugehen. Mit diesem beruhigenden Gedanken machte sie sich daran, ihre Koffer auszupacken, dann aß sie einen Apfel und ging ins Bett.

Am nächsten Morgen ließ Frances das Frühstück aus und aß statt dessen einen Banane aus dem Früchtekorb. Sie überlegte, ob sie nicht auch noch das Mittagessen ausfallen lassen sollte, doch ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass sie sich nicht für immer in ihrer Kabine verstecken konnte.

Sie suchte in ihrem Schrank nach einem passenden Kleid, stellte aber sehr schnell fest, dass all ihre Kleider hoffnungslos unmodern und veraltet waren. Ich hätte auf Lisa hören sollen und mir für diese Reise neue Sachen kaufen sollen, dachte sie. Doch sie hatte es nicht getan.

Jetzt seufzte sie resigniert auf, dann wählte sie ein geblümtes Baumwollkleid, das beinahe bis zu ihren Knöcheln ging und ihre Schultern unbedeckt ließ. Wenigstens würde der Mann sie in diesem Kleid nicht wiedererkennen, dachte sie, als sie sich im Spiegel betrachtete. Doch um sicherzugehen, setzte sie noch eine dunkle Sonnenbrille auf.

Auf dem Weg zum Speisesaal kam sie an dem Schönheitssalon vorbei und entdeckte einige Perücken in der Auslage. Perfekt! dachte sie und ging in den Salon, in dem sich dann die Verkäuferin vergeblich bemüht, ihr zu erklären, dass die Perücken nur für den Kostümball taugten.

„Das ist schon in Ordnung“, meinte Frances und wählte eine braune Perücke, die beinahe ihre eigene Haarfarbe hatte, deren lange Stirnlocken jedoch bis fast zu ihrer Sonnenbrille reichten. „Ich will sie ja auch nur zum Spaß anziehen.“

Mit der Perücke und der Sonnenbrille getarnt machte sie sich dann auf den Weg zum Speiseraum. Doch ihr neu erwachtes Selbstvertrauen bekam den ersten Knacks, als der Empfangschef ihr nicht erlaubte, sich an einem kleinen Tisch in einer Ecke des Raumes zu verstecken, wie sie es vorgehabt hatte. Und als er ihr dann erklärte, dass sie einen festen Platz für die Dauer der Reise an einem Achtertisch hatte, begann sie zu schwitzen.

Man würde von ihr erwarten, sich mit sieben fremden Menschen zu unterhalten – dreimal am Tag, Tag für Tag, Woche für Woche. Konnte sie das? Natürlich nicht.

Vier Leute saßen bereits an dem Tisch, an den der Mann sie führte. Sie beobachteten sie, während der Empfangschef ihr den Stuhl zurechtrückte und sie sich setzte.

„Hallo“, begrüßte sie eine attraktive weißhaarige Frau, die ihr gegenübersaß. „Wir sind so erleichtert, dass Sie uns Gesellschaft leisten.“

Frances wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.

„Wir vier haben heute Morgen schon zusammen gefrühstückt“, erklärte die Frau. „Und wir dachten schon, dass alle anderen uns verlassen hätten …“ Sie deutete auf die drei leeren Plätze an dem Tisch.

„Ich … äh … ich habe verschlafen“, stotterte Frances.

Die Frau schien ihre Lüge zu glauben, sie nickte. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Party bis in die frühen Morgenstunden gedauert hat. Haben Sie sich gut amüsiert?“

Party? Dann fiel ihr die Party auf der Brücke wieder ein. „Oh ja“, murmelte sie. „Es war … nett.“

Warum um alles in der Welt hatte sie sich nur auf eine solche Kreuzfahrt eingelassen? Sie hätte sich doch denken können, dass sie mit lauter fremden Menschen in Kontakt kommen würde … Und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen musste.

„Ich bin Evangeline Curtis“, stellte sich die weißhaarige Frau vor. „Alle meine Freunde nennen mich allerdings Angie. Und dies ist mein Mann Lionel.“ Sie deutete auf einen gut aussehenden weißhaarigen Mann, der neben ihr saß.

Frances nickte Lionel zu, der die wunderbarsten blauen Augen hatte, die sie je gesehen hatte. Die beiden schienen etwa siebzig Jahre alt zu sein, und sie waren wirklich ein gut aussehendes Paar.

„Und die beiden Ladys neben Ihnen sind Mavis und Maxine McSwain“, erklärte Angie weiter.

Frances wandte sich zu den beiden Frauen in mittlerem Alter. „Sind Sie Schwestern?“, fragte sie, bemüht, etwas zu der Unterhaltung beizutragen.

„Cousinen“, antwortete die Frau neben ihr. „Ich bin Maxine.“ Sie hatte ein freundliches, rundliches Gesicht, und auch ihre Figur war wohlgerundet. Mavis war viel dünner.

„Und ich wette, Sie sind Leo.“ Maxine lächelte zufrieden.

„Leo? Nein, ich bin Frances Lanier.“

Maxine lachte laut auf, ihre Cousine Mavis schüttelte den Kopf. „Hören Sie nicht auf sie, Frances. Sie sprach von Ihrem Sternzeichen, nicht von Ihrem Namen.“

„Ja“, stimmte Mavis ihrer Cousine zu. „Wir beide sind lizenzierte Berufsastrologen. Und Maxine glaubt, sie kann einem Menschen ansehen, unter welchem Sternzeichen er geboren ist, aber sie irrt sich meistens.“

„Das ist nicht wahr, bei Lionel habe ich mich heute Morgen nicht geirrt.“

„Ein glücklicher Zufall“, winkte Mavis ab und spitzte die Lippen.

„Ich glaube, unsere anderen drei Tischgenossen sind auf dem Weg hierher“, flüsterte Evangeline Curtis und unterbrach die beiden Cousinen.

Alle blickten auf. Frances entdeckte den Empfangschef, der auf ihren Tisch zukam, zwei Männer und eine Frau folgten ihm. Die Frau war groß und sah umwerfend aus. Ihr pechschwarzes, schulterlanges Haar bildete einen wunderbaren Kontrast zu ihrer alabasterfarbenen Haut, ihre Lippen und ihre Fingernägel waren leuchtend rot. Die gleichen Farben wiederholten sich in ihrem Kleid.

Der Mann neben der Frau war mittelgroß, er hatte sorgfältig gekämmtes, sandfarbenes Haar und sah eigentlich recht nett aus.

Doch als sie dann zu dem großen Mann blickte, der hinter den beiden herkam, stockte Frances der Atem, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus.

Das konnte nicht sein.

Bitte, lass es nicht wahr sein!

Doch es war so. Er war es. Der Mann. Der gleiche Mann, in dessen Kabine sie gestern eingedrungen war, der sie nackt gesehen hatte. Der Mann, den sie in ihrem ganzen Leben nie hatte wiedersehen wollen.

Er kam immer näher. Frances nahm die Speisekarte und hielt sie vor ihr Gesicht, um sich dahinter zu verstecken, obwohl sie wusste, dass es umsonst war. Offensichtlich hatte ein grausames Schicksal es so gefügt, dass sie am gleichen Tisch essen würden … wenn sie überhaupt einen Bissen herunterbringen würde.

Die ganze Kreuzfahrt über.

Frances blickte über den Rand der Speisekarte. Ja, er war es. Selbst, wenn sie seine dunklen Augen und das schwarze Haar nicht wiedererkannt hätte, so hätte sie ihn doch sofort an dem großen, breiten Kratzer auf seiner Wange wiedererkannt, den sie ihm beigebracht hatte, als sie versucht hatte, sich von ihm loszureißen.

Alleine der Gedanke daran genügte, um ihr eine tiefe Röte ins Gesicht zu treiben.

Sie tat so, als studiere sie die Speisekarte, während die beiden Männer und die Frau sich setzten. Er war hier. Er saß ihr genau gegenüber.

Noch hatte er sie nicht gesehen, aber das würde er schon bald tun. Sie konnte nur beten, dass er sie nicht wiedererkannte.

3. KAPITEL

Jack sah zu der Frau, die ihm gegenübersaß. Sie hatte sich hinter der Speisekarte versteckt, schon die ganze Zeit, seit er am Tisch saß. Nur kurz hatte sie die Speisekarte gesenkt, als alle sich einander vorgestellt hatten. Die Speisekarte verdeckte die untere Hälfte ihres Gesichtes, die Sonnenbrille und die Locken, die ihr ins Gesicht fielen, verdeckten auch die obere Hälfte. Ihr unförmig weites Kleid verbarg ihre Figur, er konnte sich nicht vorstellen, wie sie aussah. Aber das interessierte ihn auch nicht.

Er sah sich um und versuchte, irgendwo in dem Speiseraum die bezaubernde Frau vom Vorabend zu entdecken. Er war sicher, er würde sie sofort wiedererkennen, doch bis jetzt hatte er noch kein Glück gehabt.

Als er sich jetzt umwandte, bemerkte er, dass sein Gegenüber ihn betrachtete. Sofort versteckte sie sich wieder hinter der Speisekarte. Jack musste sich bemühen, nicht zu lachen.

Frances Lanier, so hatte sie sich vorgestellt. Verschüchterte Maus würde besser zu ihr passen, dachte er, dann betrachtete er seine anderen Tischgenossen. Die beiden unverheirateten Frauen sind harmlos, entschied er, obwohl es ihn gestört hatte, dass sie ihn nach seinem Geburtsdatum, der Zeit und dem Ort seiner Geburt ausgefragt hatten.

Das ältere Ehepaar – die Curtise – hatte ihm sofort gefallen. Sie erinnerten ihn ein wenig daran, wie seine eigenen Eltern aussehen würden, wenn sein Vater noch lebte.

Und dann war da noch Arthur Fortuna und seine Schwester, Sharon Lane, die Jack kennengelernt hatte, als er darauf wartete, an seinen Tisch geführt zu werden. In dieser kurzen Zeit hatte er mehr über Art erfahren, als ihm lieb war. Der Mann war unglaublich aufdringlich, selbstgefällig und eitel. Wenn man ihm glauben sollte, so fielen die Frauen auf einer solchen Kreuzfahrt nur so über einen alleinreisenden Mann her, besonders, wenn man gut tanzen konnte. „Sie können doch tanzen, nicht wahr, Jack?“

„Nicht, dass ich wüsste“, hatte Jack geantwortet.

„Zu schade.“ Art hatte den Kopf geschüttelt. „Trotzdem … Sie sind ein gut aussehender Kerl, Sie werden sicher keine Schwierigkeiten haben … wenn Sie wissen, was ich meine.“

„Nun Jack, mit was verdienen Sie denn Ihren Lebensunterhalt?“, fragte Art.

„Ich arbeite im Verkauf“, antwortete er schnell, weil er auf diese Frage vorbereitet gewesen war.

„Verkauf?“, wiederholte Sharon, und ihre Stimme klang, als sei das auf der sozialen Leiter noch niedriger als ein Schlangenbeschwörer.

„Ja“, antwortete Jack gut gelaunt. „Möbel.“ Und so falsch war diese Antwort nicht einmal, denn die Firma seines Vaters hatte seit Generationen erstklassige Möbel hergestellt. Und wenn es Jack gelänge, diese Firma zurückzubekommen, dann würde er die Tradition fortsetzen und würde Möbel verkaufen.

„So schlimm ist das doch gar nicht“, wehrte Art ab. „Auf eine Art könnte man sagen, dass ich auch im Verkauf beschäftigt bin.“

„Du liebe Güte, Art“, unterbrach seine Schwester ihn. „Du bist Bankier.“

„In gewisser Weise verkaufe ich Geld“, erklärte er ein wenig herablassend. „Und natürlich will ich dabei ebenfalls Profit machen, auch wenn wir auf verschiedenen Ebenen arbeiten.“

Du Idiot, dachte Jack und hoffte, dass Art nicht in einer der Gesellschaften arbeitete, die ihm Geld verkauft hatten.

„Ich bin Vizepräsident bei der First Fidelity“, erklärte Art.

Jack bemühte sich zu lächeln. Die First Fidelity gehörte zu seinen Gläubigern, sie waren die ersten gewesen, die ihm den Kredit aufgekündigt hatten. Und so, wie er in der letzten Zeit vom Glück verfolgt wurde, war es nur normal, dass er für die Zeit der Kreuzfahrt an einem Tisch mit einem so unmöglichen Angestellten dieser Firma sitzen musste.

„Ich finde, im Verkauf zu arbeiten, in welcher Branche auch immer, ist ein sehr anspruchsvoller, lohnender Beruf.“

Jack wandte den Kopf. War es wirklich Frances Lanier gewesen, die gesprochen hatte, die verschüchterte Maus? Sie hatte sogar die Speisekarte weggelegt und sah Art hinter ihrer dunklen Sonnenbrille her an.

„Einer unserer bewunderungswürdigsten Präsidenten war ein Verkäufer. Harry Truman verkaufte Herrenbekleidung.“

„Lassen Sie mich raten.“ Art grinste. „Die kleine Lady ist sicher Demokratin.“

Sharon, die neben Jack saß, kicherte. Sie beugte sich zu Jack und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich kann es nicht glauben, die verschüchterte Maus da kann sogar sprechen.“

Frances hatte gehört, was Sharon gesagt hatte, Jack ahnte es, noch ehe er sah, wie sie über und über rot wurde und wieder nach der Speisekarte suchte, die der Kellner aber bereits abgeräumt hatte. Jack seufzte.

Dann wandte er sich um und suchte noch einmal nach der geheimnisvollen Frau vom Vorabend.

Er weiß noch immer nicht, wer ich bin. Angezogen erkennt er mich nicht.

Zuerst war Frances ungeheuer erleichtert gewesen, dass der Mann – Jack Smith hieß er – sie nicht erkannt hatte. Dann aber ärgerte sie sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund darüber, dass er sie nicht erkannt hatte.

Und das war wirklich sehr dumm.

Das Essen war endlich vorbei. Frances schien es, als hätten sie stundenlang zusammen an diesem Tisch gesessen. Schnell verabschiedete sie sich von Maxine, die neben ihr saß, und von Angie Curtis, dann stand sie auf. Sie wagte es nicht, die anderen anzusehen, ganz besonders ihn nicht.

Erst als sie im Flur war, bemerkte sie, wie angespannt sie die ganze Zeit über gewesen war. Ihre Knie waren weich, sie wischte ihre schwitzenden Hände am Rock ihres Kleides ab.

„Frances. Warten Sie!“

Oh nein, diese Stimme kannte sie. Sie ging schneller und hoffte nur, dass ihre weichen Knie nicht nachgeben würden. Aber sie hätte wissen müssen, dass er schneller war als sie.

„Hi“, begrüßte Jack Smith sie. „Ich habe Sie gerufen, aber sie haben mich nicht gehört. Ich wollte mich bei Ihnen bedanken.“

„Bedanken?“, wiederholte sie.

„Ja, weil Sie mich Art gegenüber verteidigt haben. Es war sehr nett von Ihnen, mir zur Hilfe zu kommen.“

Er lächelte, und Frances schluckte. „Ich habe das nicht Ihretwegen gesagt. Ich meine … nicht nur“, berichtigte sie sich schnell und fragte sich, warum sie sich überhaupt die Mühe machte, es ihm zu erklären. „Mein Vater war auch Verkäufer.“

Doch das war nicht die ganze Wahrheit. Frances zögerte. Sie wollte ihm nicht von ihrem Privatleben erzählen, aber er sollte sie auch nicht missverstehen.

„Mein Vater hatte einen Schrotthandel“, erklärte sie schließlich. „Er hat hart gearbeitet, sein ganzes Leben lang.“ Sie reckte sich. „Und ich konnte es einfach nicht zulassen, dass dieser Mann andeutete, dass man sich für das schämen müsste, was mein Vater getan hat.“

Jack Smith sah sie lange an … so lange, dass ihre Hände wieder feucht wurden. Dann nickte er. „Sie hatten völlig recht, und ich bin sicher, Ihr Vater wäre stolz auf Sie.“ Er lächelte sie an, doch dann runzelte er die Stirn. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er. „Aber als Sie eben sprachen, hat mich Ihre Stimme an jemanden erinnert. Sind wir uns schon einmal begegnet?“

Frances hielt den Atem an. „Nein.“

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher.“ Frances ging schneller. Sie hätte Jack Smith niemals etwas aus ihrem Leben erzählen dürfen, sie sollte so weit von ihm entfernt bleiben wie möglich. Ihre Schritte wurden noch schneller, doch Jack blieb neben ihr, bis sie beide beinahe liefen.

„Haben Sie es eilig?“, fragte er nach einem Augenblick.

„Ja … ich … mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas zu erledigen habe.“ Sie musste von dir weg. Neben dem Aufzug blieb sie stehen. „Hier trennen sich unsere Wege wohl“, meinte sie.

„Ich fahre hinunter zum Pacific Deck“, erklärte er.

Das Pacific Deck! Dort war ihre Kabine. „Ich nehme an, Ihre Kabine ist dort?“, fragte sie, obwohl sie genau wusste, dass es nicht so war.

„Nein, aber ich habe einen Freund, von dem ich annehme, dass seine Kabine auf diesem Deck ist. Ich weiß die Nummer der Kabine nicht genau, deshalb werde ich mich einmal dort umsehen, vielleicht entdecke ich … meinen Freund.“

Er sucht mich! dachte Frances entsetzt. Er sucht die nackte Frau, die gestern Abend in seiner Kabine war.

„Ich muss in die andere Richtung“, erklärte sie schnell und überlegte, dass sie sich so lange das Schiff ansehen würde, bis er es müde war, auf eine Frau zu warten, die es gar nicht gab.

„Dann sehen wir uns also später beim Abendessen“, meinte er.

„Ja.“ Darauf freue ich mich schon, dachte sie bedrückt, als sie in den Aufzug stieg, der sie nach oben brachte.

Was für eine tolle Idee, dachte Jack, nachdem er beinahe zwei Stunden vergeblich auf dem Pacific Deck gewartet hatte. Er ging zum Aufzug. Wo konnte sie nur sein?

Er war so sicher gewesen, sie hier zu finden, wegen der Nummer seiner Kabine, die sie mit der ihren verwechselt hatte. Aber genauso gut könnte ihre Kabine auch die Nummer eins-zwei-zwei auf dem Atlantic Deck haben oder auf dem Mediterranen Deck die Nummer drei-zwei-zwei. Die Kabinen auf dem Pacific Deck dagegen begannen alle mit der Nummer zwei-zwei.

Doch warum machte er sich überhaupt die Mühe, sie zu finden?

Er musste zugeben, dass es wohl zum Teil aus Langeweile war. Sie hatte ein hübsches Gesicht gehabt, aber das hatten viele Frauen, die er kannte. Doch ihr Körper …

Jack öffnete die Augen und sah eine bekannte Gestalt, die auf ihn zukam. „Frances? Was tun Sie denn hier?“

Sie schien überrascht, ihn zu sehen, doch dann runzelte sie die Stirn. „Die gleiche Frage könnte ich Ihnen auch stellen.“

„Ich sagte Ihnen doch, dass ich einen Freund suche.“

„Nun, ich nehme an, Sie haben sie gefunden.“

„Sie?“

„Oder ihn.“

„Nein, ich habe ihn nicht gefunden.“

„Und was tun Sie dann noch hier unten?“

„Ich bin eben hartnäckig, okay. Und Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet, warum Sie hier unten sind.“

Sie runzelte die Stirn, dann seufzte sie. „Ich wohne hier. Ich meine … meine Kabine ist auf diesem Deck.“

„Aber … eben sind Sie doch nach oben gegangen.“

„Ja, ich habe noch einen Spaziergang gemacht.“

„Zwei Stunden lang?“

„Genauso lange, wie Sie hier nach Ihrem Freund gesucht haben“, erklärte sie. „Das muss ja ein besonders guter Freund sein, wenn Sie derart lange auf ihn warten.“

„Ich …“, begann Jack, doch dann hielt er inne. „Irgendwie muss ich ihn wohl verpasst haben“, meinte er nach einer Weile. „Nun, ich werde es später noch einmal versuchen.“

„Warum fragen Sie nicht einfach den Zahlmeister nach der Nummer seiner Kabine?“, schlug sie vor.

Verdammt! Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte beinahe annehmen können, dass Frances wusste, dass er den Namen dieser geheimnisvollen Frau nicht kannte. „Gute Idee.“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Nun … ich denke, ich werde jetzt besser gehen.“ Er wandte sich ab, doch dann blieb er stehen. „Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser von Ihnen bekommen? Der geräucherte Fisch hat mich ziemlich durstig gemacht.“

„Warum gehen Sie dann nicht in Ihre eigene Kabine und trinken dort etwas?“

„Weil meine Kabine drei Decks höher liegt. Und Sie sagten doch, dass Ihre Kabine auf diesem Deck ist.“

„Nun ja, das habe ich gesagt … aber …“

Und plötzlich ging ihm ein kleines Licht auf. „Sie haben doch nicht etwa Angst vor mir, Frances?“

„Natürlich nicht!“ Die Röte, die ihr in die Wangen stieg, strafte ihre Worte Lügen.

„Ich meine … wir sind Tischgenossen auf dieser langen Reise.“ Er musste sich bemühen, nicht zu lachen. Frances, die verschüchterte Maus, dachte wirklich, dass er Interesse an ihr hatte! Der Gedanke, dass er sich für eine solch verschüchterte, ein wenig schlampige, ungeschickte Frau interessierte, konnte auch nur in Frances eigenem Kopf entstanden sein. Er rieb sich mit der Hand über den Mund, um sein Lächeln zu verbergen.

Aber ein wenig traurig war es auch, dachte er plötzlich. „Ich versichere Ihnen, meine Absichten sind völlig ehrenwert.“ Seine Stimme wurde sanft. „Ich möchte nur ein Glas Wasser, sonst nichts.“

„Das habe ich auch nicht angenommen!“, sagte sie schnell. „Es ist nur … meine Kabine ist so unordentlich und …“

„Ich werde nicht hinsehen, das verspreche ich Ihnen.“

Frances starrte ihn einen Augenblick lang sprachlos an, dann wandte sie sich um und ging den Flur hinunter, den gleichen Flur, in dem er zwei Stunden lang gewartet hatte. „Nun kommen Sie schon, wenn Sie so durstig sind“, rief sie ihm über ihre Schulter hinweg zu.

Vor einer der Türen blieb sie stehen, suchte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel und öffnete dann die Tür. Jack runzelte die Stirn. Bildete er sich das ein, oder hatten ihre Hände tatsächlich gezittert?

Er folgte ihr in die Kabine und ließ absichtlich die Tür offen, damit sie nicht glauben solle, er wollte mehr als nur ein Glas Wasser.

„Wahrscheinlich wollen Sie auch noch Eis in Ihr Wasser, nicht wahr?“, nahm Frances an.

„Bitte.“ Jack sah sich um und stellte fest, dass der Raum ordentlich und aufgeräumt war. Die Kabine war lediglich nicht so luxuriös wie seine. „Wenn Sie Eis haben“, fügte er deswegen schnell hinzu.

„Ich hatte welches, aber das wird jetzt wohl geschmolzen sein.“ Sie ging zu der Kommode hinüber, auf der ein Eiskübel stand.

„Er ist voll“, stellte sie überrascht fest.

„Wahrscheinlich hat der Steward ihn aufgefüllt, während sie weg waren.“

Frances runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, ob mir das gefällt, zu wissen, dass jemand in mein Zimmer kommt, wenn ich nicht hier bin.“ Sie goss Wasser aus einer Karaffe in ein Glas.

„Aber so wird das nun einmal auf einem solchen Schiff gemacht, Frances.“ Er nahm ihr das Glas aus der Hand. „Und manchmal kann es recht erfreuliche Folgen haben, wenn jemand in Ihrer Kabine ist, während Sie nicht da sind.“ Er dachte an seine unerwartete, wunderschöne Besucherin vom Abend zuvor.

„Was meinen Sie damit?“, bedrängte sie ihn, und wieder einmal hatte er das Gefühl, dass Frances mehr über ihn wusste, als ihm lieb war. Doch das bildete er sich sicher nur ein.

„Es gibt Dinge, über die ein Gentleman nicht spricht.“

Frances sah ihn durch die dunkeln Gläser ihrer Sonnenbrille eindringlich an. „Erzählen Sie mir, welche erfreulichen Überraschungen Sie in Ihrer Kabine gefunden haben. Etwa eine Frau?“

„Das geht Sie nichts an.“

„Einen Mann?“

„Das ist ja lächerlich!“

„Dann war es also doch eine Frau!“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Das brauchten Sie auch nicht zu sagen.“

Hatte sie die Absicht, ihn zu provozieren? „Tragen Sie immer eine dunkle Brille?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Ich dachte, Sie hätten sich diese Frage selbst beantwortet.“

„Ich habe nur geraten. Hatte ich etwa recht?“

„Nein. Tragen Sie immer eine dunkle Brille? Oder nur, wenn Sie sich verstecken wollen?“

„Das ist ja lächerlich!“, wiederholte sie heftig die Worte, die er zuvor benutzt hatte. Jack zog die Augenbrauen hoch, er war sicher, er hatte einen wunden Punkt getroffen.

„Ich trage eine dunkle Brille, weil meine Augen lichtempfindlich sind. Und bitten Sie immer Leute um ein Glas Wasser, das Sie dann doch nicht trinken?“

Jack blickte auf das Glas Wasser in seiner Hand. „Die Unterhaltung war so interessant, dass ich das Wasser ganz vergessen habe.“ Er hob das Glas und trank es mit großen Schlucken leer. „Ah, wundervoll.“ Er hielt ihr das leere Glas hin. „Darf ich noch eins haben?“

Er sah, dass sie zögerte, doch dann ging sie zur Anrichte und goss ihm ein weiteres Glas Wasser ein. Sie will mich hier heraushaben, dachte er plötzlich, und diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schock.

Sie wollte ihn einfach loswerden. Wie dumm war er nur gewesen, sich etwas anderes einzubilden.

Er nahm das Glas Wasser, das sie ihm entgegenhielt. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er unsicher in der Gegenwart einer Frau.

Und durstig war er auch nicht mehr, dennoch nahm er das Glas und trank es leer. Dann bedankte er sich hastig und ging.

4. KAPITEL

Frances rutschte beim Abendessen unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Unter der Perücke war ihr heiß, ihre Füße schmerzten von dem langen Spaziergang am Nachmittag, und Maxine McSwain stellte viel zu viele persönliche Fragen.

Doch die Hauptursache, warum sie sich so ungemütlich fühlte, war der leere Sitz ihr gegenüber.

Wo war er?

Nicht, dass sie ihn unbedingt sehen wollte, überhaupt nicht, sie überlegte nur, was er wohl sagen würde, wenn er kam.

Die Kellner räumten bereits die Teller der Vorspeise ab, die Suppe wurde serviert.

Warum nur habe ich heute Mittag absichtlich versucht, ihn zu provozieren? Ich wusste doch ganz genau, wovon er sprach, überlegte sie und verstand sich selbst nicht.

Und er? War es normal, dass ein Mann stundenlang auf eine Frau wartete, die er nur ein einziges Mal gesehen hatte? Reagierten Männer so? Sie wusste es nicht.

Woher auch hätte sie wissen sollen, wie ein Mann reagierte, vor allen Dingen ein Mann, der so gut aussah, dass ihr Herz schneller schlug, wenn sie nur im gleichen Raum mit ihm war?

Genau wie jetzt, dachte sie, als sie aufblickte und sah, wie er auf ihren Tisch zukam.

„Da kommt ja Jack Smith“, flüsterte Maxine Frances zu. „Ist er nicht der tollste Mann, den Sie je gesehen haben?“

„Das ist mir noch nicht aufgefallen“, log Frances und dachte, dass er in seinem schwarzen Smoking heute Abend ganz besonders gut aussah.

Maxine zog die Augenbrauen hoch. „Wahrscheinlich, weil Sie mit dieser dunklen Brille nicht so gut sehen können.“

„Meine Augen sind ein wenig lichtempfindlich“, wiederholte Frances die Lüge, die sie auch schon Jack erzählt hatte.

„Sie können mir glauben“, meinte Maxine. „Er sieht großartig aus. Und wahrscheinlich würde er auch ausnehmend gut zu Ihnen passen.“

„Wie bitte?“

„Ich kann natürlich nicht sicher sein, solange ich nicht die Horoskope für Sie beide genau aufgestellt habe. Aber er ist Skorpion, und ein Skorpion verträgt sich gut mit einem Krebs. Und er ist fünfunddreißig, genau das richtige Alter für Sie …“

„Er interessiert sich nicht für mich“, flüsterte Frances ihr zu.

„Da wäre ich nicht so sicher. Vielleicht ist Ihnen entgangen, wie er Sie beim Mittagessen angeschaut hat.“

„Ich …“ Frances sprach nicht weiter, weil Jack Smith in diesem Augenblick den Tisch erreicht hatte und sich bei allen dafür entschuldigte, dass er zu spät gekommen war, weil er auf einen wichtigen Anruf gewartet hatte.

Auch gestern Abend hat er einen wichtigen Anruf bekommen, dachte Frances. Und dieser Anruf hatte sie gerettet.

„Sie sehen gut aus heute Abend, Frances“, wandte er sich an sie. „Haben Sie sich von Ihrem langen Spaziergang heute Nachmittag erholt?“

Frances spürte einen Ellenbogen in ihren Rippen und hörte ein leises Lachen von Maxine. Der verdammte Kerl! Was hatte er denn jetzt schon wieder vor? Am liebsten wäre sie in ein Loch gekrochen, um sich vor ihm und den neugierigen Blicken der anderen Passagiere zu verstecken. Ihre Hoffnung, dass die ‚American Dreamer‘ plötzlich mit einem Eisberg zusammenstoßen würde, war wohl doch zu weit hergeholt.

Das ist richtig, Frances. Winde dich. Genau, wie ich mich heute Nachmittag gewunden habe, dachte Jack zufrieden.

„Sie und Frances haben heute Mittag einen langen Spaziergang gemacht?“, fragte Sharon Lane Jack. Er hörte die Überraschung aus ihrer Stimme heraus.

Siehst du, Frances? hätte er am liebsten gesagt. Die anderen Frauen denken nicht, dass ich ein solches Monster bin. ‚Sharon zählt nicht‘, konnte er sich Frances Antwort vorstellen, ‚sie ist genauso schlimm wie ihr Bruder‘.

„Nein, Frances ist alleine spazieren gegangen“, antwortete Jack und sah Frances dabei an. Er wartete einen Augenblick, ehe er zu seinem Schlag ausholte. „Ich habe hinterher nur etwas mit ihr getrunken … in ihrer Kabine.“

Er hörte, wie eine Frau aufkeuchte, doch es dauerte einen Augenblick, ehe ihm klar war, dass es nicht Frances gewesen war, sondern Sharon. Frances starrte ihn nur durch ihre dunkle Brille an.

Er starrte zurück. Immerhin hatte er doch nur ein wenig freundlich zu ihr sein wollen. Was glaubte sie eigentlich, wer sie sei? Eine Traumfrau, der jeder Mann nachlief?

Jack wusste, dass er überreagierte. Aber mittlerweile begann er zu begreifen, dass er wahrscheinlich die geheimnisvolle Frau vom Vorabend nicht wiedertreffen würde, und er langweilte sich zu Tode. Schon jetzt. Und dabei war das Schiff nicht einmal vierundzwanzig Stunden unterwegs.

„In der Vegas Lounge spielt heute Abend eine großartige Band, Jack“, mischte sich jetzt Art Fortuna in die Unterhaltung ein. „Sharon und ich wollen nach dem Essen hingehen. Wollen Sie nicht mitkommen?“

Jacks erster Impuls war, Arts Einladung abzulehnen, doch dann kam ihm ein Gedanke. „Was meinen Sie, Frances?“, fragte er. „Sollen wir heute Abend tanzen gehen?“

„Ich tanze nicht“, antwortete sie nach einem Augenblick des Zögerns.

Er bewunderte ihre Haltung und nickte anerkennend. Doch der Krieg war noch nicht vorbei, er hatte gerade erst begonnen.

Also, sei vorsichtig, Frances, so leicht wirst du mir nicht entkommen. Ich habe mich entschlossen, auf dieser verflixten Kreuzfahrt dein Freund zu sein. Ob es dir nun gefällt oder nicht. Jacks Augen sagten ihr etwas, doch Frances war nicht sicher, was es war. Und sie war auch nicht auf ein solches Spiel mit einem Mann wie ihm vorbereitet. Warum tat er das überhaupt? Sie war sicher, dass er sie nicht erkannt hatte. Und warum sollte sich ein so gut aussehender Mann für einen Niemand wie sie interessieren?

„Wenn Sie sich nicht für das Tanzen interessieren“, wandte sich jetzt Angie Curtis an sie. „Warum kommen Sie dann nicht mit uns, Frances. Lionel und ich wollen in den Polaris Room gehen, dort gibt es gleich nach dem Abendessen eine Show. Mavis und Maxine kommen auch mit.“

Frances zögerte. Sicher würde diese Show ihr gefallen, und sie mochte auch die Leute, die mitgehen würden. Doch was sollte sie tun, wenn … Sie warf einen schnellen Blick zu Jack Smith, doch der unterhielt sich mit Art und Sharon.

Frances nickte. „Gern. Danke für die Einladung.“

Erleichtert atmete Frances auf, als Jack sich gleich nach dem Essen verabschiedete. Jetzt konnte sie ungestört mit den anderen zusammen zum Polaris Room gehen.

Nachdem sie an einem Tisch in der Nähe der Bühne Platz genommen hatten, bestellte Frances sich nach einigem Zögern einen Dreamer Deluxe, den der Kellner ihr empfohlen hatte.

„Der schmeckt ja köstlich!“, schwärmte sie, nachdem sie an ihrem Drink genippt hatte, und die anderen, die das gleiche Getränk bestellt hatten, stimmten ihr zu. Nur Lionel war skeptisch. „Wahrscheinlich ist er sehr stark“, warnte er. „Ganz besonders für jemanden, der keinen Alkohol gewöhnt ist.“

Frances war sicher keinen Alkohol gewöhnt, deshalb trank sie vorsichtig. Das Orchester begann zu spielen, gleich würde die Show beginnen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte Frances eine Show live miterlebt, sie war aufgeregt wie ein Kind. Das einzige Problem war, dass sie mit ihrer dunklen Brille kaum etwas sehen konnte. Aber vielleicht konnte sie die Brille ja abnehmen, wenn die Show erst einmal angefangen hatte.

„Hallo!“

Oder lieber doch nicht, dachte Frances und verzog das Gesicht beim Klang der wohlbekannten Stimme.

„Jack!“ Lionel streckte ihm die Hand entgegen. „Ich dachte, Sie wollten heute Abend tanzen gehen.“

Das dachte ich auch, stimmte Frances ihm insgeheim zu. Und warum hast du es nicht getan?

„Ich habe meine Meinung geändert“, antwortete Jack.

„Nun, warum setzen Sie sich dann nicht zu uns?“, schlug Lionel vor.

Nein, Lionel! Frances hätte am liebsten aufgeschrien. Sei doch nicht so höflich. Er könnte das Angebot annehmen und mir damit den ganzen Abend verderben.

„Aber gern“, stimmte Jack bereitwillig zu. „Der Kellner kann uns noch einen Stuhl bringen, ich werde mich hier zwischen Frances und Maxine setzen.“

Maxine kicherte, und Frances brachte kein Wort heraus. Sie nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas und schwieg. Jack bestellte einen Scotch, und als Frances auf ihr Glas blickte stellte sie erstaunt fest, dass es schon beinahe leer war. Sie dachte an Lionels Warnung, aber dann entschied sie, dass sie noch ein Glas bestellen konnte. Während der Show würde sie wahrscheinlich sowieso nichts trinken. Maxine und Mavis bestellten ebenfalls ein weiteres Glas.

Und dann machte sie den Fehler, Jack anzusehen. Er saß so nahe neben ihr, dass sie beinahe die Wärme seines Körpers spürte. Aber natürlich bilde ich mir das nur ein, sagte sie sich. Doch als er sie mit seinen dunklen Augen ansah, wurde ihr ganz warm. Sie blickte auf seinen Mund, mit den vollen sinnlichen Lippen, der so gefährlich sexy war und schluckte. Doch dann stellte Lionel Jack eine Frage, und er wurde von ihr abgelenkt.

„Was ist denn in diesem Getränk alles drin?“, fragte Jack, als der Kellner die frischen Gläser vor die drei Frauen stellte.

„Tropische Früchte und Rum“, erklärte Maxine. „Möchten Sie einmal probieren?“

Jack nippte an Maxines Glas. „Eine Menge Rum“, meinte er und schüttelte sich. „Wenn Sie vernünftig sind, trinken Sie langsam“, meinte er dann zu Frances gewandt.

Anstelle einer Antwort nahm Frances ihr Glas und trank einen großen Schluck. Jack zog nur die Augenbrauen hoch, doch er sagte nichts. Und dann begann die Show.

„Sehen Sie so etwas zum ersten Mal?“, fragte Jack, als Frances nach der ersten Nummer begeistert applaudierte.

Sie wandte sich zu ihm und sah, dass er gar nicht spöttisch lächelte, wie sie erwartet hatte. Sie nickte nur, dann nippte sie noch einmal an ihrem Drink. Und als sie ihn noch einmal ansah, bemerkte sie auch die rote Narbe auf seiner Wange, wo sie ihn gestern gekratzt hatte.

Sie fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie noch einmal in der gleichen Situation wäre wie gestern Abend. Würde sie ihn dann auch kratzen wollen? Vielleicht. Manchmal konnte er sie wirklich wütend machen.

Aber ehe sie ihn kratzte, würde sie gern wissen, wie es war, wenn sich seine sinnlichen Lippen auf ihre legten.

Der Gedanke erschreckte und überraschte sie. Vielleicht waren ja der Rum und die tropischen Früchten daran schuld.

Und natürlich würde sie so etwas niemals tun.

Oder vielleicht doch?

Aber er interessierte sich ja gar nicht für die langweilige, schlampige Frances. Seine Gedanken waren bei der geheimnisvollen nackten Frau, die er gestern in seinem Zimmer angetroffen hatte.

Bei der Frau, die zufällig auch die langweilige, schlampige Frances Lanier war.

Sie fragte sich, wie er wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass sie diese geheimnisvolle Frau war. Bei dem Gedanken musste sie lachen.

„Worüber lachen Sie denn?“, wollte Jack wissen.

„Ach, nur ein verrückter Gedanke, der Sie sicher gar nicht interessieren würde.“ Das war so komisch, dass sie noch einmal lachen musste.

Er runzelte die Stirn. „Ist alles mit Ihnen in Ordnung?“

„Aber sicher. Und Sie brauchen mir auch keinen Vortrag zu halten darüber, dass ich langsam trinken soll.“

„Dafür ist es sowieso zu spät.“ Er blickte auf ihr Glas.

Erstaunt stellte sie fest, dass das Glas schon wieder leer war. „Es hat köstlich geschmeckt“, meinte sie und bemühte sich, jedes Wort sorgfältig zu betonen.

Wieder verspürte sie den Wunsch zu lachen, doch sie hielt sich zurück und wandte ihre Aufmerksamkeit lieber der Show zu. Alles sah ein wenig verschwommen aus. Sie schloss ein Auge, das half ein wenig, aber nur für kurze Zeit.

Sie schloss das andere Auge, doch alles wurde nur noch verschwommener. Und dann machte sie den Fehler, beide Augen zu schließen.

Der Raum und die ganze Welt schienen sich um sie zu drehen. Schnell öffnete sie die Augen wieder, doch noch immer drehte sich alles. Sie blinzelte, doch auch das half nicht.

„Frances?“

Jacks Stimme schien von weit herzukommen, dabei hatte sie geglaubt, er säße neben ihr. Sie schloss ein Auge und blickte in seine Richtung. Wirklich, dort saß er und sah sie mit gerunzelter Stirn an.

„Warum sehen Sie mich so an?“ Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren ein wenig fremd.

„Ich sehe Sie so an, weil ich mir Sorgen um Sie mache. Ist alles in Ordnung?“

Sie wollte ihm gerade sagen, dass alles in Ordnung war, doch das stimmte nicht. Deshalb schüttelte sie den Kopf. Noch ein Fehler, denn zusätzlich zu dem Schwindelgefühl wurde ihr jetzt auch noch schlecht.

Sie merkte noch, dass Jack aufstand und Geld auf den Tisch legte. „Frances fühlt sich nicht wohl“, erklärte er. „Ich werde mit ihr einen Spaziergang an Deck machen.“

Sie wollte protestieren, doch dann fühlte sie schon, wie er sie von ihrem Stuhl hochzog. „Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Lionel.

„Nein“, antwortete Jack. „Ich werde dafür sorgen, dass sie sicher in ihre Kabine kommt.“

Wieder wollte Frances protestieren, doch sie war viel zu müde. Er zog sie mit sich, und als er dann eine Tür öffnete, traf sie ein Windstoß, der sie beinahe umgeworfen hätte.

Sie blieb stehen. „Nein.“

„Doch.“ Jack ignorierte ihren Protest. „Sie haben nicht auf meine Warnung vorhin gehört, aber jetzt werde ich mich um Sie kümmern, ob Sie es wollen oder nicht.“

Er zwang sie, mit ihm über das Deck zu gehen. Frances wollte nicht tief Luft holen, weil sie sich davor fürchtete, dass ihr wieder schlecht werden könnte. Doch dann atmete sie tief ein und noch einmal und noch einmal. Die frische Luft tat ihr gut.

Schließlich wagte sie es, ihn anzusehen. Herrje, er sah wirklich umwerfend gut aus. Doch schnell rief sie sich wieder ins Gedächtnis, dass er sich nur aus Freundlichkeit um sie kümmerte.

„Fühlen Sie sich besser?“

„Ja“, gab sie zu. „Ein wenig.“

„Sollen wir noch einmal um das Deck herumgehen?“

„Ich sollte noch einmal herumgehen“, antwortete sie. „Es geht mir schon wieder viel besser, es gibt keinen Grund, Sie weiter zu belästigen. Ich kann sehr gut alleine …“

„Unsinn“, unterbrach er sie. „Ich werde Sie begleiten.“

Autor

Kay Wilding
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