Bianca Exklusiv Band 267

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BITTERSÜßES WIEDERSEHEN von HARPER, FIONA
Neun Monate ist es her, dass Nick seine Frau Adele im Streit verließ. Nun trifft er sie in London wieder, um die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Doch das kommt für Nick nicht mehr infrage. Denn nach einem Blick auf Adele weiß er genau, was er will: nämlich sie …

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  • Erscheinungstag 29.01.2016
  • Bandnummer 0267
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732684
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Fiona Harper, Nicola Marsh, Ally Blake

BIANCA EXKLUSIV BAND 267

1. KAPITEL

Adele widerstand dem dringenden Wunsch, schreiend aus dem Badezimmer zu laufen. Stattdessen schloss sie die Augen, atmete tief durch und zwang sich, die Hände ruhig zu halten. Als sie spürte, dass ihr Puls sich langsam beruhigte, riskierte sie wieder einen vorsichtigen Blick.

Nichts hatte sich verändert. Ihre Badewanne war immer noch von dem dicken, pelzigen Monster mit den acht spindeldürren Beinen besetzt. Sie tat ein paar Schritte rückwärts, ohne dabei das Ungeheuer aus den Augen zu lassen. Denn das winzigste Zucken konnte einen unmittelbar bevorstehenden Angriff ankündigen.

Blind tastete sie auf dem Regal über dem Waschbecken nach ihrem Zahnputzglas. Zahnpasta und Zahnbürste flogen durch die Luft, als sie danach griff. Jetzt brauchte sie nur noch etwas Flaches, nicht allzu Biegsames, ein Stück Pappe vielleicht. Sie sah sich hektisch um.

Auf dem Wäschekorb lag noch die Zeitschrift, die sie letztes Mal beim Baden gelesen hatte. Lesen gehörte zu ihrem Baderitual, und so hatte sie es auch diesmal vorgehabt – säße da nur nicht dieser Eindringling und blockierte ihre Wanne. Sie stieß eine leise Verwünschung aus. Wie konnte dieser hässliche kleine Hausbesetzer es wagen, ihre Pläne für den Abend zu durchkreuzen?

Adele nahm die Zeitschrift und marschierte entschlossen zur Badewanne zurück. Jetzt oder nie! Ihr wurde zunehmend mulmig, aber auf keinen Fall würde sie sich von diesem widerwärtigen Wesen unterkriegen lassen! Wie einfach war ihr Leben doch gewesen, als sie noch jemanden hatte, der für sie auf Spinnenjagd gegangen war. Aber diese Zeiten waren vorbei. Jetzt gab es nur sie und diesen achtbeinigen Kameraden dort drüben.

Ihre Finger waren so feucht, dass sie fürchtete, das Glas würde ihr jeden Moment entgleiten. Ihr Atem kam keuchend, und sie hielt bei jedem Atemzug einen winzigen Moment die Luft an, bevor sie wieder ausatmete. Noch zwei Schritte, dann war sie dicht genug am Feind.

Es fehlten nur noch Zentimeter. Um sie herum wurde es mit einem Mal sehr still. Selbst die Spinne schien die bevorstehende Attacke zu ahnen. Und dann schoss sie ohne Vorwarnung vorwärts, in Richtung Badewannenrand und direkt auf Adele zu.

Adele warf, ohne nachzudenken, dem Angreifer Glas und Zeitschrift entgegen und rannte aus dem Badezimmer. Und während das Glas mit lautem Klirren zerschellte, lehnte sie sich von außen gegen die Tür – nur für den Fall, dass der ungebetene Gast versuchen würde, die Türklinke hinunterzudrücken.

Das war wieder einmal typisch. Genau das war der Grund, weshalb sie solche Aktionen lassen sollte. Ihre Phobie verwandelte sie in ein völlig kopfloses Wesen. Als sie jetzt ein Geräusch aus dem Badezimmer hörte, umklammerte sie den Türgriff noch fester.

Wenn doch nur …

Nein, sie würde ihn nicht herbeiwünschen! Sie brauchte keinen Mann, um eine Spinne zu fangen. Schon gar nicht diesen Mann.

Endlich ließ sie die Türklinke los und strich sich mit einem tiefen Seufzer durch das lange dunkle Haar. Ich kann es, dachte sie. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Sonst ist ja niemand da.

Mit zitternden Händen strich sie die Falten ihres makellos weißen Bademantels glatt und zog den Gürtel enger zu, auch wenn das eine eher sinnlose Geste war. Ihr pelziger Freund dort drinnen interessierte sich nicht für ihr Aussehen. Trotzdem. Irgendwie, fand sie, war sie es sich schuldig, dass sie ihm äußerlich ruhig und gelassen begegnete. Er sollte die Adele erleben, die sich durch nichts und niemanden einschüchtern ließ.

Sie drehte sich zur Badezimmertür um und stellte sich vor, wie sie im Geschäftskostüm, die blonden Haare im Nacken verschlungen, auftrat. Es war alles nur eine Frage der mentalen Stärke und der entsprechenden Konzentration.

Ihre Firma, Frenton and Barrett, hatte sie einmal zu einem Managerseminar geschickt. Und während sie scheinbar aufmerksam zugehört hatte, war sie in Wirklichkeit dabei gewesen, Pläne für ihre eigene Unternehmensberatung zu schmieden. Inzwischen hatte sie ihren Traum verwirklicht und sollte auch in der Lage sein, die gelernten Tricks von damals anzuwenden.

Was war noch der Grundgedanke gewesen? Ach ja. Positives Denken. Adele konzentrierte sich, und vor ihrem inneren Auge verwandelte sich das Ungeheuer in ihrem Bad in einen leuchtend bunten und zerbrechlichen und ganz und gar harmlosen Schmetterling.

Es war ja wohl nicht schwierig, einen Schmetterling anzufassen! Das konnte wirklich jeder.

Sie öffnete die Tür. Glasscherben lagen auf dem Boden der Badewanne, während die Spinne sich unter die Armatur geflüchtet hatte. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie fast den Eindruck gehabt, das Tier schaute sie frech an.

„Schmetterling“, murmelte sie beschwörend. Mit angehaltenem Atem streckte sie den Arm aus und schloss die bloße Hand um die Spinne. Plötzlich schien das Fenster unendlich weit entfernt zu sein, und sie hatte das Gefühl, als müsste sie ein ganzes Fußballfeld überqueren, um dorthin zu gelangen. Sie versuchte, langsam zu gehen, doch nach anderthalb Schritten rannte sie. „Schmetterling!“, schrie sie, als die Spinnenbeine sich in ihrer Hand bewegten. Übelkeit stieg in ihr hoch.

Mit der freien Hand riss sie das Fenster auf und warf das ekelhafte Vieh hinaus. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie rieb sich heftig die Hände an ihrem Bademantel ab, bis sie befürchtete, den Stoff durchzuscheuern.

Jetzt brauchte sie wirklich ein Bad. Aber vorher musste sie die Glasscherben aus der Wanne entfernen. Sie hatte niemanden, der Spinnen für sie fing, und genauso wenig gab es jemanden, der ihr im Notfall Splitter aus dem Po ziehen würde. Also machte sie besser gründlich sauber.

Ihr Kopf steckte im Küchenschrank unter der Spüle, als es an der Tür läutete. Die Sonne war gerade erst untergegangen, sodass es noch hell genug war, um ohne künstliches Licht auszukommen, aber es war schon so dunkel, dass sie hier drinnen nichts mehr erkennen konnte. Und so tastete sie suchend im hinteren Teil des Schranks herum.

Wo hatten sich nur dieser dämliche Handfeger und die Kehrschaufel versteckt?

Wieder klingelte es. Adele stieß sich vor Schreck den Kopf an der Spüle. Ihre Türglocke war nicht leicht zu ignorieren. Es war kein sanftes, melodisches Läuten, das einen geduldigen Gast mit Blumen in der Hand vermuten ließ. Oh, nein. Es war ein aufdringliches Geräusch, das an eine schrille Fahrradklingel erinnerte.

Alles, was sie sich nach einem anstrengenden Tag im Büro an diesem Samstagabend wünschte, war ein Schaumbad, bei dem sie die nächsten vier Kapitel ihres Buches lesen wollte. War das wirklich zu viel verlangt?

Sie rieb sich den Hinterkopf und lief zur Haustür. Dass sie nur einen Bademantel trug, kümmerte sie nicht. Mit einem Ruck riss sie die Tür auf, bereit, den ungebetenen Besucher abzuwimmeln.

Die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Vor ihr stand der entnervendste Mann, den zu kennen sie je das Missvergnügen gehabt hatte. Er lehnte lässig an der Wand, ein Lächeln in den Augen und Grübchen in beiden Wangen.

Der Mund blieb ihr offen stehen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Als der Mann lächelte, vertieften sich seine Grübchen.

„Hallo, Adele.“

„N-Nick?“

Die Sonne war hinter den Schieferdächern der Vorstadt versunken, und die Lampe auf der Veranda hatte sich automatisch eingeschaltet. Ihr Licht ließ seine Haut warm und golden schimmern.

Er sah so … echt aus, so wirklich. Ganz und gar nicht wie der Nick, den sie im Geiste seit neun Monaten anschrie und beschimpfte. In ihrer Erinnerung hatte sie ihn kleiner gemacht, jungenhafter und viel unattraktiver. Sie spürte, wie die vertraute Chemie zwischen ihnen bereits wieder ihren Verstand zu vernebeln begann.

Er sah ihr tief in die Augen, und sie spürte förmlich, wie sich weitere Zellen ihres Gehirns in nichts aufzulösen schienen.

Jetzt zog er eine Augenbraue hoch. „Genau der.“

Wenn sie nur wüsste, was sie sagen sollte. Sie schüttelte den Kopf. Was wollte er? Seit wann war er hier? Und vor allem: Warum stand er vor ihrer Haustür und tat, als wäre nichts geschehen?

„Möchtest du mich nicht hereinbitten?“

Am liebsten hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeworfen. Wenn er etwas von ihr wollte, sollte er doch zum Anwalt gehen! Zu spät ertappte sie sich dabei, dass sie nickte. Irgendwie hatte er es schon immer geschafft, dass sie zu allem Ja und Amen sagte. Er meinte es sicher nicht böse, aber am Ende war immer sie diejenige gewesen, die die Scherben aufsammeln musste.

Es war keine gute Idee gewesen, Nick Hughes jemals in ihr Leben zu lassen.

Und es war eine noch schlechtere Idee gewesen, ihn zu heiraten.

Adele setzte sich den Flur hinunter in Bewegung. Nick folgte ihr. Erst in der Küche wandte sie sich zu ihm um. „Was willst du?“

Auf diesen Moment hatte er gewartet. Für diesen Augenblick hatte er sich seinen Text zurechtgelegt und so oft geübt, dass er am Ende nicht mehr mitgezählt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein.

Als er nun Adeles Gesicht sah, verließ ihn der Mut. Er hatte gehofft, dass sie nach all den Monaten für ein Gespräch offen sein würde. Anscheinend erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die Zeit hatte die Wunden nicht geheilt.

Mit der Tür ins Haus zu fallen und ihr geradeheraus zu sagen, weshalb er gekommen war, würde ihn sicher nicht weiterbringen. Er musste behutsam vorgehen. Und so setzte er sein charmantestes Lächeln auf.

„Das ist wirklich eine nette Art, seinen Ehemann zu begrüßen.“

Adele kniff die Augen zusammen.

Nick holte tief Luft. Wenn er jetzt nichts unternahm, würde sie ihn hinauswerfen, ehe er sich versah. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, um Zeit zu gewinnen. Dann konnte er sie vielleicht dazu bringen, ihm wenigstens zuzuhören.

„Wie wäre es mit einer Tasse Tee?“

Ihre Augen verengten sich weiter, während sie ihn stumm anstarrte. Okay, es war sicher ein plumper Versuch, aber zu höheren Leistungen war sein Verstand im Moment nach schier endlosen Stunden im Flugzeug nicht fähig. Eine Tasse Tee würde ihm immerhin mindestens eine Viertelstunde in Adeles Gesellschaft verschaffen.

„Ich habe einen ziemlich langen Flug hinter mir“, fügte er hinzu.

Sie blieb so ungerührt und kühl wie die Küchenarbeitsplatte aus Granit. Gerade als er glaubte, sie wäre für immer erstarrt, schüttelte sie den Kopf und ging zum Wasserkocher. Nick behielt sie vorsichtshalber im Auge. In dieser Stimmung war Adele unberechenbar. Man konnte sich nicht sicher sein, ob sie den Wasserkocher wirklich einschalten oder ihn quer durch die Küche in seine Richtung schleudern würde.

Mit dem Rücken zu ihm gewandt, ließ sie Wasser in den Kocher laufen, während sie ihre Frage wiederholte.

„Was willst du?“

Er wartete, bis sie sich umdrehte und ihn ansah.

„Wir müssen miteinander reden.“

Es schien sich auszuzahlen, dass er seinen Stress nicht mit einer witzigen Bemerkung überspielte. Das hatte er sonst oft getan, und es hatte Adele auf die Palme gebracht.

Sie schüttelte den Kopf. „Wozu? Das hätten wir schon vor Monaten tun müssen. Jetzt ist es zu spät.“

„Aber es ist wichtig.“

„Ha!“

Er zuckte unwillkürlich zusammen. „Was soll das heißen?“

„Seit wann ist dir etwas wichtig? Verantwortung oder Zuverlässigkeit sind Fremdwörter für sich. Warum sollte ich also irgendetwas ernst nehmen, was von dir kommt?“

Adele war auf Angriffskurs. Jetzt half nur noch bestmögliche Verteidigung. Langsam zog er seine Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben. „Das macht einen Teil meines Charmes aus.“

„Das ist der Grund, weshalb unsere Ehe gescheitert ist.“

Bisher hatte er ihr nicht einmal den Anflug eines Lächelns entlocken können. Dieses Treffen verlief ganz anders, als er es geplant hatte. Aber er war so müde, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Nun konnte er nur noch auf eine einzige Taktik zurückgreifen, die garantiert eine Reaktion hervorrief.

Verzweifelte Situationen verlangten verzweifelte Maßnahmen. Es war an der Zeit, die Grübchen einzusetzen.

Er dehnte sein Lächeln um das erforderliche Maß aus und beobachtete Adeles Augen. In der Tat. Diesen Grübchen konnte sie nicht widerstehen. Tauwetter kündigte sich an.

„Hör auf damit, Nick.“

Sein unschuldiges Achselzucken war eindeutig oscarreif.

„Gib dir keine Mühe. Ich kenne dich viel zu gut. Es wird nicht funktionieren.“

Es wäre das erste Mal. Adeles Panzer mochte während seiner Abwesenheit noch dicker geworden sein, aber selbst der dickste Panzer hatte irgendwo Schwachstellen. Man musste sie nur aufspüren. Gerade dieses kühle Äußere, hinter dem sie ihre Wärme und Leidenschaft verbarg, hatte ihn besonders fasziniert, als sie sich kennenlernten. Feuer und Eis, das war Adele.

Als er einen Schritt auf sie zuging, wich sie zurück. „Ich habe im Moment keine Zeit zum Reden.“

„Das sehe ich.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Beim Anblick ihres wohlgeformten Beines, das durch einen Spalt im Bademantel sichtbar wurde, verspürte er ein vertrautes Flattern in der Magengrube.

Adele zog den Gürtel fester zu. „Ruf mich nächste Woche im Büro an. Ich stecke zwar mitten in einem Projekt, aber vielleicht kann ich am Donnerstag ein paar Minuten erübrigen. Wo wohnst du?“

Nick zog die Augenbrauen hoch und sah sich vielsagend um.

„Das kommt überhaupt nicht infrage! Hier kannst du nicht bleiben.“

Er blinzelte. „Es ist auch mein Zuhause.“

„Irrtum. Es mag dein Haus sein, aber es hat in dem Moment aufgehört, dein Zuhause zu sein, als du den Atlantik überquert hast. Immerhin hast du es neun Monate lang nicht für nötig gehalten zurückzukommen.“

Adele verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn böse an. Dies war nicht der richtige Augenblick, um sie daran zu erinnern, dass er sehr wohl zurückgekommen war. Und zwar, sobald es ihm möglich gewesen war. Nur zwei Wochen nach ihrem großen Streit war er fünftausend Meilen gereist, um zwischen ihnen alles in Ordnung zu bringen. Doch er hatte ein leeres Haus vorgefunden. Adele war inzwischen ausgezogen und hatte Unterschlupf bei ihrer besten Freundin gesucht.

Nein, es hatte keinen Sinn, ihr jetzt damit zu kommen. Bei ihrer momentanen Verfassung war es wenig ratsam, sie mit ihren eigenen Fehlern zu konfrontieren. Und wenn er ehrlich war, verspürte er selbst auch wenig Lust, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Also verstaute er die Erinnerung daran in einer Schublade seines Gehirns und ignorierte das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend.

Er zog sein Jackett aus, hängte es über einen Stuhl und ließ sich dann in das weiche Sofa sinken, das eine Ecke der gemütlichen Küche einnahm.

„Was ist mit dem Tee?“, erkundigte er sich versuchsweise.

Adele schloss für einen Moment die Augen und ließ die Schultern sinken. Die erste Runde war an ihn gegangen, aber glücklich machte es ihn nicht, sie so niedergeschlagen zu sehen.

„Mach dir deinen Tee selbst. Ich gehe nach oben. Und wenn du dir einbildest, du könntest mitsamt deiner Tasche, die du im Flur abgestellt hast, später in meinem Schlafzimmer auftauchen, dann hast du dich getäuscht. Du weißt, wo das Gästezimmer ist.“

Autsch. Nick verzog das Gesicht, als sie herumwirbelte und die Treppe hinaufstürmte. In solchen Situationen war erfahrungsgemäß jeder Widerspruch zwecklos und hätte nur ihren Dickkopf herausgefordert. Er hatte längst gelernt, dass er bei Adele am weitesten kam, wenn er sie zum Lachen brachte.

Sie hatte einen feinen Sinn für Humor, auch wenn man das nicht immer gleich merkte. Und es gehörte unbestritten zu seinen Stärken, dass er ein Lächeln auf das Gesicht seiner Frau zaubern konnte.

Zu erleben, wie Adele auftaute, war einfach wundervoll. Am Anfang gab sie sich immer beherrscht und kühl. Aber dann begannen ihre Augen zu funkeln, und man konnte zuschauen, wie es in ihr arbeitete, wenn sie versuchte, ernst zu bleiben. Wenn er den richtigen Zeitpunkt erwischte, genügte ein einziges Lächeln, ein Blick, um das Eis zum Schmelzen zu bringen. Dann seufzte sie einmal tief und verwandelte sich in die warmherzige, leidenschaftliche Frau, die er so sehr liebte.

Nick ließ seinen Kopf auf das Sofakissen sinken und schloss die Augen.

Er wusste, was sie dachte: dass sie ihm nicht wichtig genug war. Und das nur, weil er sich entschlossen hatte, einen Auftrag anzunehmen, wie er einem nur einmal im Leben angeboten wurde! Er sah das ganz anders. In ihrer Selbstgerechtigkeit hatte Adele übersehen, dass sie diejenige war, die sich nicht einen Fingerbreit hatte bewegen wollen. Es war ihre Entscheidung gewesen, ihre Ehe auf Eis zu legen.

Eine Geschichte hatte wahrscheinlich immer zwei Seiten, aber Adele war grundsätzlich davon überzeugt, dass ihre Sichtweise die richtige war. Und so ärgerlich das auch war, es traf meistens auch zu. Aber eben nicht immer. Ab und zu kam es vor, dass sie eine Situation verblüffend falsch beurteilte. Und dann ging es normalerweise um die großen, wichtigen Dinge im Leben.

Seufzend streckte Nick sich auf dem bequemen Sofa aus. Die Zeitverschiebung forderte allmählich ihren Tribut. Über der Rückenlehne hing Adeles Kostümjacke. Sie roch nach ihrem Parfum. Wenn er die Augen schloss, konnte er sich einbilden, Adele säße neben ihm.

Wie viele Abende hatte sie zusammen entspannt auf diesem Sofa verbracht, wenn sie nach dem Essen noch ein Glas Wein getrunken hatten. Und es hatte andere Momente gegeben, in denen ihnen das Sofa weniger entspannten Zwecken gedient hatte …

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er langsam ein und träumte von diesen aufregenden, unvergesslichen Abenden.

Die Küchentür knarzte leise, als Adele sie einen Spalt öffnete. Alles war still. Zu still für ihren Geschmack. In dieser Hinsicht ähnelte Nick einem Kleinkind. Wenn man ihn nicht hörte, führte er normalerweise etwas im Schilde. Aber als sie die Tür vorsichtig weiter aufschob, sah sie ihn auf dem Sofa liegen, tief und selig wie ein Baby schlummernd.

Sogar damit machte er sie wütend. Das durfte einfach nicht wahr sein! Wie konnte er die ganze aufgeladene Atmosphäre zwischen ihnen vergessen und einfach schlafen? Sie selbst stand unter Höchstspannung, als hätte sie zehn doppelte Espresso getrunken. Ein Seufzer entfuhr ihr, als sie ihren Mann betrachtete.

Wenn er schlief, sah er so unschuldig und friedlich wie ein Engel aus. Sein Haar war ein bisschen zu lang, und ständig fiel ihm eine freche Strähne in die Stirn. Wie oft war sie morgens aufgewacht und hatte ihm mit einem Lächeln diese Strähne aus dem Gesicht gestrichen. Fast war sie versucht, zu ihm zu gehen, um es jetzt auch zu tun.

Sie musste hier weg, bevor sie all die Gründe vergaß, weshalb sie Nick Hughes tunlichst auf fünf Meilen Abstand hielt.

Adele nahm ihre Handtasche vom Tresen und schloss leise die Küchentür hinter sich. Minuten später marschierte sie in Mantel, Schal und Handschuhen die Straße entlang. Mitte Februar war es in London üblicherweise kalt und feucht, und dieser Abend bildete keine Ausnahme.

Sie schlug den Weg zu Monas Haus ein. Wie immer, wenn ihr Leben aus dem Gleichgewicht geraten war, brauchte sie ihre beste Freundin. Mona öffnete die Tür, ein Baby auf dem Arm.

„Du meine Güte, Adele! Was ist passiert?“

„Nick!“

Erschrocken schlug Mona die Hand vor den Mund. „Ist er ….? Hatte er einen Unfall?“

„Nein. Schlimmer.“

„Schlimmer, als von irgendwelchen Felsen zu stürzen?“

„Ich habe keine Ahnung, ob er sich in letzter Zeit irgendwo im Gebirge rumgetrieben hat, aber ich weiß, wo er sich in diesem Moment aufhält. Mein Extremsport liebender Ehemann ist quicklebendig und bester Gesundheit in unserer … in meiner Küche eingeschlafen.“

Mona zog die Augenbrauen zusammen und setzte eine grimmige Miene auf. Dann legte sie Adele den Arm um die Schulter und drückte sie fest an sich. „Komm erst mal rein und erzähl mir alles der Reihe nach.“

Adele strich dem Baby über den Kopf und küsste es auf die Wange. Dann folgte sie Mona ins Wohnzimmer.

„Er ist aus heiterem Himmel einfach aufgetaucht.“

„Ohne Vorwarnung?“

Adele zog verächtlich eine Augenbraue hoch. „Was? Nick? Der Mann, der so wenig vorausplanen kann, dass er erst entscheiden kann, was er essen will, wenn ihm der Magen knurrt?“

Mona setzte ihr Töchterchen Bethany auf den Fußboden und gab ihr eine Rassel zum Spielen. „Und was will er von dir?“

Adele zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Ich habe versucht, ihn danach zu fragen, aber er … er war eben ganz der alte Nick. Angeblich will er mit mir reden.“

„Worüber?“

Adele seufzte tief. Ihr sank der Mut. „Ich könnte mir vorstellen, dass er … dass er die Scheidung will“, brachte sie leise heraus. „Das würde erklären, warum er nicht gleich damit herausgerückt ist. Selbst Nick würde nicht einfach nach neun Monaten …“

„Nach neuneinhalb Monaten.“

Adele schloss die Augen für einen Moment und schüttelte den Kopf. „Egal, wie viele Monate … Selbst Nick würde nicht einfach auftauchen und sagen: Hallo, Darling, ich bin wieder zu Hause. Ach, und übrigens, ich will mich von dir scheiden lassen.“

Mona nickte. „Du willst ihm natürlich zuvorkommen.“

Dass sie darüber noch gar nicht nachgedacht hatte, wollte Adele ihrer Freundin gegenüber lieber nicht zugeben. Aber sie hätte natürlich daran denken sollen. Wo blieb ihr alter Kampfgeist?

Mona lehnte sich zurück und musterte sie misstrauisch. „Bitte sag jetzt nicht, dass du ihn zurückhaben willst.“

Diese Frage hätte Adele reflexartig mit Nein beantworten müssen. Natürlich wollte sie ihn nicht zurück. Nicht in hundert Jahren! Sie rieb sich die Schläfen und schwieg.

„Adele?!“

„Ich dachte ja auch, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will, solange er Tausende von Meilen entfernt war. Aber jetzt, seit er wieder da ist … Ich weiß nicht … Scheidung klingt so endgültig.“

„Lass dich bloß nicht wieder von seinem Charme einwickeln, Adele!“

„Keine Angst.“

„Mach mir nichts vor! Ich sehe dir doch an, dass du schwach wirst. Hast du vergessen, wie er dich behandelt hat?“

Nein, sie hatte es nicht vergessen. Im Gegenteil. Sie erinnerte sich lückenlos an den Tag, an dem Nick die Bombe hatte platzen lassen.

Nick entwickelte Spezialeffekte für Film und Fernsehen, und endlich hatte sich seine Arbeit ausgezahlt, nachdem er sich jahrelang finanziell gerade über Wasser gehalten hatte. Wie es schien, war sein Herumbasteln im Gartenschuppen doch nicht so sinnlos gewesen, wie es ihr immer erschienen war.

Jedenfalls hatte er nach einigen erfolgreichen Werbespots das Angebot bekommen, die Effekte für eine kleine unabhängige Filmproduktion zu entwerfen. Der Film war entgegen allen Erwartungen ein Riesenerfolg geworden, und damit war Nicks Name plötzlich in aller Munde gewesen. Adele erinnerte sich nur noch zu gut daran, wie sehr sie sich darüber gefreut hatten. Sie hatte sich sogar mit Nicks seltsamen Arbeitszeiten ausgesöhnt und damit, dass er manchmal für mehrere Tage verschwand, um dann ohne Ankündigung morgens um vier Uhr wieder aufzutauchen. Wenn sie geahnt hätte, was auf sie zukam, wäre ihre Freude vielleicht nicht ganz so groß gewesen.

Eines Tages war Nick in ihr Büro gestürmt und hatte voller Begeisterung die große Neuigkeit verkündet: Er hatte ein Angebot aus Hollywood für einen Science-Fiction-Film bekommen und genau fünf Tage Zeit, um seine Sachen zu packen und sich mit den Produzenten in Kalifornien zu treffen. Danach sollte er praktisch sofort mit der Arbeit beginnen.

Von diesem Augenblick an lief alles schief. Nick hatte mehr oder weniger erwartet, dass ihre kleine Firma von heute auf morgen zumachte und mit ihm nach Amerika ging. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Wurzeln. Ein Zuhause. Ein Ziel. Das wollte sie nicht aus einer Laune heraus aufgeben. Auf keinen Fall!

Es war zu einem Riesenkrach gekommen, und irgendwann hatte sie wütend geschrien: „Wenn dir dein alberner Job so wichtig ist, dann setz dich doch ins nächste Flugzeug! Aber ohne mich!“ Keine Sekunde hatte sie damit gerechnet, dass er sie beim Wort nehmen und tatsächlich nach Hollywood abreisen würde.

Monas Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. „Du musst jetzt stark sein.“

„Ich bin stark“, erwiderte Adele wenig überzeugend. Monatelang hatte sie sich vorgemacht, dass es ihr ohne Nick prächtig ging. Das hatte sie viel Kraft gekostet.

Mona war von ihrem Mann vor zehn Monaten verlassen worden, kurz nachdem ihr zweites Kind auf die Welt gekommen war. Und so waren die Freundinnen praktisch in derselben Situation. Sie hatten sich allwöchentlich in Monas Wohnzimmer getroffen und gemeinsam ihrer Wut auf ihre Ehemänner Luft gemacht.

Es war die schlimmste Zeit in Adeles Leben gewesen, und sie war nicht bereit, Nick die Gelegenheit zu geben, ihr noch einmal so wehzutun.

Sie straffte die Schultern. „Du hast recht. Wozu braucht man Männer überhaupt? Man sollte sie ausstopfen und irgendwo in die Ecke stellen.“

„Richtig so. Was hast du jetzt mit dem Draufgänger vor, der in deiner Küche kampiert?“

Am besten ihn mit einer seiner selbstgebastelten Kanonen auf den Mond schießen!

Eine mehr als verlockende Idee. Darüber sollte sie genauer nachdenken, dann käme sie wenigstens nicht in Versuchung, ihre andere ebenso verlockende Idee in die Tat umzusetzen: nämlich nach Hause zu laufen, ihn wachzuküssen und ihm zu zeigen, wie sehr er ihr gefehlt hatte.

Aber solche Schwächen durfte sie sich nicht erlauben.

Denn er hatte genau das Gegenteil von dem getan, was er ihr einmal versprochen hatte: sie nie zu verlassen. Sie durfte ihm nie wieder eine Möglichkeit geben, sie noch einmal so zu verletzen. Das sagte ihr zumindest ihr Verstand. Ihr Herz sprach eine ganz andere Sprache.

Adele schüttelte den Kopf. „Irgendwann werde ich wohl oder übel mit ihm reden müssen. Aber heute bin ich ihm nicht mehr gewachsen. Er kriegt mich immer viel zu leicht herum, wenn er den richtigen Moment erwischt. Ich muss mich erst darauf einstellen.“

Sie durfte Nick auf keinen Fall zeigen, wie viel Macht er immer noch über sie besaß. Wenn er merkte, dass er sie allein durch seine Nähe zum Zittern bringen konnte, würde er das schamlos ausnutzen. Und am Ende machte sie sich womöglich vor, dass ihre Ehe doch noch eine Chance hatte. Und dann würde er ihr unweigerlich ein zweites Mal den Boden unter den Füßen wegziehen.

Davor musste sie sich schützen. Das funktionierte aber nur, wenn Nick glaubte, dass sie gegen ihn immun war. Und davon würde sie ihn heute Abend bestimmt nicht mehr überzeugen. Sie stand immer noch so sehr unter Schock, dass sie womöglich eine Dummheit beging. Nicht auszudenken, was geschah, wenn ihr zum Beispiel herausrutschte, dass die Sache mit dem Gästezimmer nur ein Scherz gewesen sei!

„Bleib doch einfach hier“, bot Mona ihr an. „Wir machen eine Flasche Rotwein auf und überlegen uns einen schönen Schlachtplan.“

„Danke. Du rettest mir das Leben.“

Mona nahm Bethany auf den Arm und stand auf. „Komm, junge Dame. Zeit zum Schlafengehen.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal zu Adele um.

„Weiß er Bescheid?“

Adele faltete die Hände und drückte sie so fest zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Nein. Er hat keine Ahnung.“

2. KAPITEL

Nick spürte etwas in seinem Gesicht und fuhr hoch. Dann stellte er fest, dass es seine eigene Hand war. Er hatte im Schlaf seinen Ellbogen unter den Kopf geschoben, sodass sie sich ganz taub anfühlte.

In der Küche brannte Licht. Draußen war es noch dunkel. Er hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte. Sechs Uhr morgens, stellte er nach einem Blick auf seine Uhr fest. Das war unmöglich!

Er seufzte. Kein Wunder, dass er sich völlig steif fühlte. Zwölf Stunden hatte er auf diesem Zweiersofa in wer weiß welchen Positionen zugebracht.

Adele würde in einer Stunde aufstehen. Im Gegensatz zu ihm war sie immer eine Frühaufsteherin gewesen, während er eher der Spezies der Nachteulen zuzurechnen war. Er fühlte sich völlig zerschlagen. Der lange Flug von Los Angeles nach London steckte ihm noch in den Knochen. In seinem zerknitterten Zustand würde er Adele zu nichts überreden können. Besser, er stellte sich erst einmal unter die Dusche, damit er wieder wie ein menschliches Wesen aussah.

Er schleppte seine Tasche die Treppe hinauf und wäre fast ins Schlafzimmer geplatzt. Ein dummer Fehler. Ihm war natürlich bewusst, dass er nicht einfach hier auftauchen und seine lieb gewordenen Gewohnheiten wieder aufnehmen konnte, als wäre nichts geschehen.

Doch genau das wünschte er sich: einfach wieder in sein altes Leben schlüpfen zu können. Adele und er waren so glücklich gewesen. Ein einziger unbesonnener Moment hatte ihn vielleicht seine Ehe gekostet. Er verlor nur sehr selten die Beherrschung, aber Adele hatte ihn damals bis zur Weißglut provoziert und bedrängt, bis er schließlich explodiert war.

Das bewies ihm nur, dass seine übliche Methode der bessere Weg war: nämlich alles Negative unter den Teppich zu kehren und sich mit Witzen darüber hinwegzuretten, bis sich der Ärger in Luft auflöste. Hätte er diese Erkenntnis im letzten Mai beherzigt, hätten sich die Dinge wahrscheinlich anders entwickelt, und er müsste nicht mit diesem ständigen Schmerz leben, der einfach nicht verschwinden wollte. Da konnte er noch so viele Späße und Witze mit seinen Kollegen machen – sie lenkten ihn doch nicht von seinem Kummer ab.

Eine halbe Stunde später war er rasiert und angezogen und machte Wasser heiß. Nach der ersten Tasse Kaffee am frühen Morgen war Adele immer am zugänglichsten. Er kannte so viele kleine Tricks, um ihre Schale zu knacken. Darin hatte er Übung.

Natürlich musste er diesmal besonders aufpassen. Es ging um mehr als damals, als er ihr teuerstes Make-up aufgebraucht hatte. Dabei hatte er nur einen Latexkopf möglichst lebensecht gestalten wollen, der mit einer Axt zerteilt werden sollte. Aber diesmal war es wirklich ernst.

Er dachte wieder daran, als er in ihrer besten Kasserolle klebriges Alienblut gebraut hatte. Ihre Begeisterung über die grüne Lebensmittelfarbe, die selbst nach stundenlangem Schrubben nicht hatte verschwinden wollen, hatte sich in sehr engen Grenzen gehalten. Dabei hatte er auf die harte Tour gelernt, sich von Adeles Küchenutensilien fernzuhalten. Sie war auf diesem Gebiet ausgesprochen empfindlich.

Nein, diesmal hieß es, Feingefühl zu beweisen. Das war Plan A. Dann musste er sie dazu bringen, Plan B zuzustimmen, was hoffentlich dazu führte, dass Plan C funktionierte. Plan C war das größte Vorhaben. Denn er sollte Adele zu der Einsicht bringen, dass sie beide füreinander bestimmt waren.

Sein Plan durfte nicht versagen, auf keinen Fall. Und deswegen war es auch vernünftig, in kleinen Schritten vorzugehen und Adele zum Beispiel mit einem frisch gekochten Kaffee versöhnlich zu stimmen.

Nick setzte sich an den Küchentisch, den Blick erwartungsvoll zur Tür gewandt. Adele musste jeden Moment hereinkommen.

Aber sie kam nicht. Und Geduld hatte noch nie zu seinen Stärken gezählt.

Vielleicht wollte seine Frau ja im Bett frühstücken? Oder würde er es mit dem Einschmeicheln dann doch übertreiben? Eigentlich war sie morgens nie gern lange liegen geblieben – es sei denn, er hatte sie davon überzeugen können, dass es sich für sie lohnen würde.

Mit einem leisen Seufzen lehnte er sich zurück. Adele hatte ihm gefehlt. Sehr gefehlt. Als er nach seinem ersten Heimflug wieder in Kalifornien angekommen war, war er verblüfft gewesen, wie lange sein Ärger anhielt. Er hatte ihn einfach nicht abschütteln können. Andererseits war das schließlich nur allzu verständlich.

Jeder andere Mann wäre auch wütend geworden, wenn seine Frau ihn beim ersten kleinen Problemchen gleich verlassen hätte. Bestimmt hätten sie eine Lösung gefunden, ihre Arbeit mit seinem Vertrag in Hollywood unter einen Hut zu bringen. Aber Adele hatte diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht gezogen! Sie hatte nur davon geredet, wie wichtig ihr das Leben in London, ihre Firma und ihre Freunde waren. Es hatte ihm einen harten Schock versetzt, dass er auf ihrer Prioritätenliste offenbar an letzter Stelle stand … wenn er überhaupt darauf auftauchte!

Auch ihm bedeutete seine Arbeit viel, selbst wenn Adele sie nie ernst genommen hatte. Selbst dann nicht, als er einen Vertrag mit dem Produzenten Tim Brookman angeboten bekam. Brookman gehörte zu den ganz Großen in Hollywood. So eine Chance hatte er einfach nicht ausschlagen können. Es schmerzte ihn mehr, als er zugeben wollte, dass Adele nicht genug Vertrauen zu ihm hatte, um seine Entscheidung zu unterstützen.

Doch bevor er sich erneut in seinen Ärger hineinsteigerte, schob er das Thema entschlossen beiseite. Inzwischen war es halb neun Uhr geworden. Um diese Zeit schlief Adele bestimmt nicht mehr. Besser, er sah nach, ob alles in Ordnung war.

Er lief die Treppe hinauf und horchte an der Schlafzimmertür. Adele schnarchte manchmal leise, was er sehr süß fand. Irgendwie tat es gut zu wissen, dass auch die perfekte Adele einen kleinen Fehler hatte.

Aber Nick hörte nichts. Nur absolute Stille.

Als er die Tür einen Spalt öffnete, musste er die Augen zusammenkneifen, so hell war es im Schlafzimmer. Die Februarsonne schien auf das leere, unbenutzte Bett.

Ihm blieb das Herz stehen. So ähnlich hatte er sich vor fast einem Jahr gefühlt, als er dieses Zimmer betreten und die geöffneten leeren Schränke entdeckt hatte.

Dann hatte er die Nachricht gefunden, in der Adele ihm mitteilte, dass sie zu Mona gezogen war und ihn nicht mehr sehen wollte. Wie im Schockzustand war er nach Kalifornien zurückgekehrt. Nie hätte er sich träumen lassen, dass seine Frau sich von einem Augenblick auf den anderen von ihm trennen würde. Wenigstens hatte Mona auf seine Bitte Adele davon überzeugen können, wieder nach Hause zu ziehen, nachdem er abgereist war.

Mit Herzklopfen trat er an die Schränke und öffnete die Türen. Er atmete auf. Alles hing ordentlich sortiert an seinem Platz. Aber wo war Adele?

Als er die Treppe hinunterging, hörte er die Haustür auf- und wieder zugehen. Dann stand er seiner Frau gegenüber. Sie errötete, als sie ihn sah, und zuckte zusammen, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt.

Ein unerträglicher Gedanke machte sich in ihm breit. „Warst du die ganze Nacht fort?“, wollte er wissen.

Sie hantierte verlegen mit dem Sonntagsblatt, das sie unter den Arm geklemmt hatte. „Ich glaube, das geht dich nichts an.“

Das ging ihn nichts an? Diese Frau war wirklich unbezahlbar!

„Du bist immer noch meine Ehefrau.“

Sie sah ihn lange an. Ihre Miene war undurchdringlich. „Das lässt sich relativ leicht ändern.“

Nick sah rot. Unfassbar, dass sie nach so langer Zeit immer noch diese Wirkung auf ihn hatte. Er stürmte wutschnaubend aus dem Haus und quer durch den Garten zu seiner Werkstatt und warf die Tür hinter sich zu.

Es ging ihn also nichts an, wenn seine Frau die ganze Nacht weg war?

Ethel, die Schaufensterpuppe, die er aus einem Müllcontainer gerettet hatte, stand in gewohnter Pose in ihrer Ecke. Wenigstens sie sorgte nicht für Überraschungen. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er geschworen, dass auch Adele für ihn berechenbar war. Doch ihre kompromisslose Haltung gegenüber diesem Auftrag hatte diese Illusion zerstört.

„Was meinst du, Ethel? Wie stehen meine Chancen? Ich brauche die Meinung einer Frau.“

Ethel starrte ungerührt aus dem Fenster.

Nick seufzte. „Besten Dank, Baby.“

Adele saß an ihrem Laptop, als Nick hereinkam. Ihre Anspannung nach der Begegnung im Flur hatte sich noch nicht gelegt. Beinahe wäre sie bei seinem Anblick schwach geworden. Aber am Ende hatte sie doch die Beherrschung behalten. Nick würde nie erfahren, dass sie kurz davor gewesen war, ihn mit einem Kuss zu besänftigen.

Zuerst tat sie, als bemerkte sie nicht, dass er unter der Tür des Abstellraums stand, den sie zum Büro umfunktioniert hatten.

„Ich habe zu tun, Nick“, sagte sie schließlich, ohne aufzublicken.

„Irgendwann müssen wir miteinander reden.“

Sie zuckte die Achseln und versuchte, sich auf den Bildschirm zu konzentrieren. Als sie einen Satz zum dritten Mal las, ohne ein einziges Wort zu verstehen, gab sie auf.

„Okay. Dann lass uns reden.“ Sie drehte sich mit dem Stuhl in seine Richtung und verschränkte die Arme vor der Brust. „Fang an.“

Nick schüttelte den Kopf. „Nicht so. Ich schlage eine neutrale Umgebung vor. Wie wäre es, wenn ich dich zum Essen einlade?“

Früher hatte sie es genossen, sonntags mit ihm irgendwohin zum Essen zu gehen: im Sommer in den Garten irgendeines Pubs, im Winter in ein gemütliches Restaurant mit Kaminfeuer. An diese glücklichen Zeiten wollte sie eigentlich nicht erinnert werden. Aber er hatte recht. Irgendwann mussten sie miteinander reden. Warum also nicht gleich?

„Okay, aber du bezahlst.“

„Ja, natürlich.“

Als Nick beim Lächeln seine Grübchen zeigte, hatte Adele das Gefühl, dass sie sich soeben eine Menge Schwierigkeiten eingehandelt hatte.

„Also, worum geht es?“

Sie hatten sich während der Hauptspeise über alles und nichts unterhalten. Jetzt konnte Adele die Ungewissheit nicht länger ertragen. Bei dem Gedanken, dass Nick das hässliche Wort mit S am Anfang aussprechen könnte, bekam sie vor Angst feuchte Hände. Seltsam, das Wort „Scheidung“ war das Letzte, was sie jetzt hören wollte, obwohl es seit letztem Sommer eigentlich zu ihren Favoriten gehört hatte.

Nick spielte mit einem Stück Kartoffel auf seinem Teller.

„Mum wird dieses Jahr fünfundsechzig.“

Adele nickte. „Ich weiß.“ Dann runzelte sie die Stirn.

Er hatte doch einen Hintergedanken. Sie beugte sich vor, um in seinen Augen zu lesen. Er schien vollkommen darin aufzugehen, die Erbsen mit dem Messer zusammenzuschieben.

„Wie geht es deiner Mutter?“

Nach Nicks Abreise hatte sie den Kontakt zu seiner Familie auf ein Minimum reduziert. Das war nicht weiter aufgefallen, da alle wussten, dass sie schreibfaul war. Und natürlich hatte sie eine Weihnachtskarte geschickt. Aber die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hatte sie ignoriert. Der Grund dafür war nicht die viele Arbeit gewesen, wie sie sich selbst einzureden versucht hatte, sondern schlicht und einfach Feigheit.

Sie hatte Angst davor, dass Nicks Mutter Maggie und seine Schwestern sich von ihr zurückziehen könnten, wenn sie und Nick kein Paar mehr waren. Nicks Mutter stand ihr näher als ihre eigene. Ihre Eltern hatte sie das letzte Mal vor drei Jahren gesehen, aber das war nichts Ungewöhnliches. Sie kannte es nicht anders, seit sie als Kind aufs Internat geschickt worden war, damit ihre Mutter ihren Vater von einem exotischen Ort zum nächsten begleiten konnte.

Maggie Hughes entsprach dem Bild der idealen Mutter, das Adele sich als Teenager ausgemalt hatte. Sie hatte ständig Kinder und Enkelkinder zu Besuch, die sich fortgesetzt darüber beklagten, dass sie sich zu sehr in ihre Angelegenheit einmischte – was aber niemanden davon abhielt, schon bald wiederzukommen. Maggie hatte ein großes Herz und Adele immer das Gefühl vermittelt, zur Familie zu gehören. Nur mit ihrem einzigen Sohn war sie vielleicht ein wenig zu nachsichtig, fand Adele. Aber wer war schon vollkommen?

„Grüß sie von mir, wenn du mit ihr sprichst.“

Nick hustete. „Ich dachte, du würdest sie vielleicht gern einmal besuchen.“

„Und wie stellst du dir das bitte vor? Hast du vor lauter Hollywood-Prominenz vielleicht vergessen, dass sie letztes Jahr zu Tante Beverley gezogen ist? Schottland ist zu weit, um mal eben auf eine Tasse Tee vorbeizuschauen.“

„Sie will ihren Geburtstag dieses Jahr groß feiern. Charlotte hat die Organisation übernommen, aber die anderen helfen ihr natürlich dabei.“

Das konnte Adele sich gut vorstellen. Nick hatte drei ältere Schwestern, die für sie immer etwas Furchteinflößendes hatten, wenn sie in geballter Form auftraten. Ihre einzige Schwäche war ihre übergroße Duldsamkeit gegenüber ihrem kleinen Bruder. Es gab unzählige Geschichten, wie Nick sich als junger Bursche in Schwierigkeiten gebracht hatte und eine seiner Schwestern, oder auch alle zusammen, ihm aus der Patsche geholfen und hinter ihm die Scherben aufgesammelt hatten.

„Was habe ich mit dieser Feier zu tun?“

Nick sah Adele unter seiner vorwitzigen Haarsträhne hervor an. „Mum möchte gern, dass du kommst. Ehrlich gesagt, sie besteht darauf.“

„Warum?“ Maggie war ein feinfühliger Mensch. „Ihr muss doch klar sein, dass es peinlich werden könnte, wenn wir beide zu ihrem Fest kommen. Warum will sie das riskieren?“

„Na ja, ich … Ehrlich gesagt, ich habe ihr noch nichts von uns erzählt.“

Adele zog die Augenbrauen zusammen. „Von uns?“

„Du weißt schon, von unseren Problemen.“

Die Gegenstände auf dem Tisch begannen vor ihren Augen zu verschwimmen. Nick hatte es also wieder einmal getan. Wieder einmal war er vor einer schwierigen Situation davongelaufen und überließ es anderen, irgendwie damit fertig zu werden.

Nein, so töricht konnte nicht einmal er sein – oder? Adele sah ihn an. Das schiefe Lächeln sagte alles. Er setzte es immer auf, wenn er um gut Wetter bitten wollte.

Sie holte tief Luft. Es kostete sie ihre ganze Beherrschung, ihm nicht die Reste ihres Mittagessens über den Kopf zu kippen. Dafür, dass sie wortlos das Restaurant verließ, hätte sie eine Medaille verdient!

Um sich zu beruhigen, bevor er sie einholte, atmete sie die kalte Winterluft tief ein. Das war wieder einmal typisch Nick! Warum hatte sie überhaupt zugelassen, dass er den Mund aufmachte? Es hätte ihr doch klar sein müssen, dass sie von ihm nichts Gutes erwarten konnte. Trotzdem hatte sie sich das wieder einmal angetan, wie schon so oft, und sich ihm geradezu als Fußabtreter angedient. Sie war einfach nicht zu retten.

Zum Glück hatten sie sich für das nächstgelegene Restaurant entschieden, sodass sie jetzt nicht neben ihm im Wagen sitzen musste, sondern zu Fuß nach Hause gehen konnte. Der Weg dauerte höchstens zehn Minuten, vielleicht sogar nur acht, wenn sie diese Geschwindigkeit beibehielt.

Nick sah Adele gerade noch um die Ecke biegen, als er auf die Straße trat, und folgte ihr im Dauerlauf. Sie konnte wirklich ein ziemliches Tempo vorlegen, wenn sie aufgebracht war.

„Adele!“, rief er, als er auf Hörweite war.

Sie machte sich gar nicht die Mühe, sich nach ihm umzudrehen, sondern hob nur abwehrend die Hand in seine Richtung.

„Komm, Adele. Bitte.“

Leider musste sie ausgerechnet jetzt einen Moment stehen bleiben, bevor sie die Straße überqueren konnte. Das gab Nick die Möglichkeit, sie einzuholen.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen.

„Nein! Lass es lieber“, warnte sie ihn. „Es ist besser, glaub mir.“

Er klappte den Mund wieder zu.

„Diesmal hast du dich wirklich selbst übertroffen, Nick. Nach neun Monaten Funkstille tauchst du hier auf und lädst mich zu einem Geburtstagsfest bei deiner Mutter ein.“ Sie lachte voller Sarkasmus. „Das ist selbst für dich ein neues Niveau.“

Moment mal! Hatte er sie nicht ständig aus Hollywood angerufen? Und hatte sie nicht jedes Mal aufgelegt, kaum dass sie seine Stimme erkannt hatte? Wenn sie neun Monate lang kein Wort miteinander gewechselt hatten, lag es eindeutig an Adele und nicht an ihm. Er hatte es im Gegensatz zu ihr zumindest versucht.

Am Schluss hatte er das getan, was sie offenbar von ihm verlangt hatte, und sie in Ruhe gelassen. Und nun machte sie ihm daraus einen Vorwurf?

„Vielleicht hast du für dich schon alles beantwortet, Adele. Ich nicht.“

Sie trat vom Bordstein zurück und sah ihn an. „Was willst du damit sagen?“

„Dass ich nicht genau weiß, wie es zwischen uns steht. Sind wir jetzt getrennt? Oder war es nur eine besonders lange Abkühlperiode nach einem Streit? Bisher hast du dich ja geweigert, mit mir darüber zu reden. Ich habe keine Ahnung, was in deinem geordneten kleinen Gehirn vor sich geht.“

Anstelle einer Antwort schüttelte Adele nur den Kopf und überquerte die Straße. Nick musste mehrere Autos abwarten, bevor er ihr folgen konnte. Er hatte nicht vor, sich noch länger hinhalten zu lassen. Seit neun Monaten wartete er auf ein Zeichen, jetzt wollte er endlich Antworten auf seine Fragen. Er hatte das Warten endgültig satt.

„Was hast du den Leuten erzählt, Adele? Welche Version von der Geschichte?“

Aber im Grunde wusste er die Antwort darauf ja. Für Mona, die mit Sicherheit in die kleinste Einzelheit eingeweiht war, war er der herzlose Schurke in dem Stück, während Adele engelsgleich daraus hervorging. Diese Frau war manchmal nur schwer erträglich.

Er gab auf und ging schweigend hinter Adele her. Warum hatte er nicht auf sein Gefühl gehört? In dieser Verfassung war seine Frau Vernunftgründen nicht zugänglich. Alles, was er jetzt sagte, verschlimmerte die Situation nur unnötig.

Als sie die Haustür aufschloss, spürte er förmlich die Funken, die sie versprühte.

„Ich gehe nach oben.“ Sie verschwand, ohne sich umzudrehen, und ließ die Tür für ihn offen.

Nick folgte ihr ins Haus. Obwohl er letzte Nacht zwölf Stunden geschlafen hatte, begann er bereits wieder müde zu werden. Vielleicht konnte er im Wohnzimmer vor dem Fernseher ein wenig dösen.

Adele würde sich bald beruhigen. Ihre Wut flammte schnell und heftig auf, kühlte aber auch ebenso schnell wieder ab. Er schaltete den Fernseher ein und machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem. Nur eine Viertelstunde ausruhen, mehr wollte er nicht. Danach würde er ihr als Friedensangebot eine Tasse Tee machen und noch einmal einen Versuch unternehmen, mit ihr zu reden, ohne dass gleich der dritte Weltkrieg ausbrach.

Als er wenig später in die Küche gehen wollte, hörte er Adele die Treppe herunterkommen. Oder, um genau zu sein, er hörte ein seltsames Poltern, als spränge sie sozusagen in doppelter Ausführung die Treppe hinunter.

Er ging in den Flur hinaus. Adele zerrte seine Tasche gerade die letzten drei Stufen hinunter.

„Was soll das werden?“

Adele hielt inne und verschnaufte einen Moment. Die Arme taten ihr weh. Wie konnten ein paar zerknitterte Hemden nur so viel wiegen?

„Ich dachte, das wäre offensichtlich. Ich werfe dich raus.“

Nicks Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Hätte sie sich nicht auf dem Kriegspfad befunden, hätte sie gelacht. Nick Hughes stand einer Frau gegenüber, die nicht anbetend vor ihm auf die Knie fiel, und war sprachlos.

„Du kannst mich nicht rauswerfen. Ich wohne hier.“

„Jetzt nicht mehr. Such dir eine andere Dumme, die bei deinen Verrücktheiten mitspielt. Ich habe die Nase voll.“

Es schnürte ihr die Brust zusammen, als sie begriff, was sie da gesagt hatte. War dies das Ende ihrer vierjährigen Ehe? Sie sah Nick an. Seine Grübchen waren verschwunden. Eigentlich hätte sie froh sein müssen, dass er die Botschaft endlich verstanden hatte. Stattdessen traten ihr Tränen in die Augen.

„Es tut mir leid, Adele. Wirklich. Natürlich hätte ich Mum erzählen müssen, was passiert ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber sie liebt dich wie eine Tochter, und ich wollte sie nicht beunruhigen. Sie ist nicht sehr …“

Er verschluckte den Rest des Satzes und suchte nach Worten.

„Sie liebt dich wie ihre eigene Tochter und wäre sehr traurig, wenn wir uns trennen. Und solange ich nicht sicher war, wie es mit uns weitergeht, wollte ich sie nicht unnötig aufregen. Aber nachdem es keine Hoffnung mehr gibt …“

Keine Hoffnung.

Adeles Unterlippe begann zu zittern, und sie presste den Mund zusammen. Nicks reumütiges Lächeln wirkte aufrichtig und verfehlte seine Wirkung nicht.

Ihre Entschlossenheit geriet ins Wanken. Hatte er nicht gesagt, dass er nicht wusste, wie es um ihre Beziehung stand? Das bedeutete doch, dass er sich nicht unbedingt scheiden lassen wollte.

Und selbst wenn: Was konnte Maggie dafür? Warum sollte die Familie darunter leiden, wenn es für Nick und sie vielleicht kein Happy End gab?

Sie atmete tief durch. Familie. Seit vier Jahren gehörte sie dazu. Es war ein wundervolles Gefühl – Anrufe an ihrem Geburtstag, geräuschvolle, gesellige Mittagessen an Sonntagen mit zu viel zu essen und zu wenig Platz am Tisch. Ihr Leben würde entsetzlich leer, wenn sie all das verlor.

Sie schloss die Augen. Nein, sie durfte jetzt nicht schwach werden. Sie musste darauf verzichten, Nicks Familie noch einmal zu sehen. Das war der Preis, den sie bezahlen musste, wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte.

Sie musste sich nur immer wieder klarmachen, dass Nick wieder einmal von ihr verlangte, alles stehen und liegen zu lassen und ihm wie ein Hündchen zu folgen. Dabei gab es keine Garantie, dass er sie nach diesem Geburtstagsfest nicht doch noch verließ. Jedenfalls hatte er kein Wort gesagt, dass er mit ihr zusammenbleiben wollte. Nein, er brauchte sie nur, um vor der Familie gut dazustehen.

Zu spät. Sollte er doch sehen, wie er sich allein aus der Patsche manövrierte.

Er hatte ja keine Ahnung, was sie nach seiner Abreise durchgemacht hatte! Nie wieder wollte sie in einen so tiefen, dunklen Abgrund stürzen.

Also sammelte sie noch einmal all ihre Kraft, zerrte seine Tasche das letzte Stück bis zur Haustür und schleuderte sie dann mit Schwung in den Garten. Nick stieß einen empörten Laut aus und starrte sie fassungslos an. Dann stürmte er aus dem Haus. Adele schlug die Tür hinter ihm zu.

Adele zappte durch die Programme. Promi-Köche. Pannensendungen, Top-Ten-Popstars, die sie nicht kannte … Warum gab es über fünfzig Sender, wenn keiner etwas Vernünftiges brachte? Sie wäre ja sogar mit einem kitschtriefenden Liebesfilm zufrieden gewesen. Andererseits, was konnte man um drei Uhr morgens schon erwarten?

Sie gähnte. Normalerweise schlief sie um diese Zeit schon seit Stunden. Doch heute kam sie einfach nicht zur Ruhe. Außerdem hatte es irgendwie etwas Tröstliches, die Nacht vor dem Fernseher zu verbringen.

Mona würde natürlich behaupten, sie schwelge in Selbstmitleid. Und damit hatte sie wahrscheinlich auch recht.

Aber etwas Selbstmitleid sollte wohl erlaubt sein, wenn man den Mann, den man liebte, gerade vor die Tür gesetzt hatte.

Sie konnte es nicht leugnen: Sie liebte Nick. Wenn es nicht so wäre, könnte er sie nicht halb so wütend machen. Und dass sie ihn aus dem Haus geworfen hatte, bedeutete noch lange nicht, dass sie ihn auch aus ihrem Herzen ausgesperrt hatte. Dort hatte er nach wie vor seinen festen Platz.

Doch für ein gemeinsames Leben hatten sie zu unterschiedliche Interessen. Mehr noch, sie waren so verschieden, dass sie sich fragte, wie ihre Beziehung überhaupt vier Jahre hatte halten können – fünf, wenn man das Jahr vor der Hochzeit mitzählte. Und in dem Jahr davor hatte Nick ihr hartnäckig den Hof gemacht, während sie sich ebenso hartnäckig geweigert hatte, ihn zu erhören – bis er sie zum Lachen gebracht hatte.

Eine einzige Verabredung hatte sie ihm versprochen. Nicht mehr.

Und dann war sie diejenige gewesen, die sich mit diesem einen Mal nicht begnügen wollte. Vielleicht hätte sie sich damals mehr auf ihre weibliche Intuition verlassen sollen, auf das kleine Signallämpchen in ihrem Kopf, das jedes Mal rot aufleuchtete, wenn Nick in Reichweite war.

Adele seufzte und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Warum tat es nur so weh, wenn sie nur daran dachte, dass sie Nick für immer Lebewohl sagte? Ihr Entschluss stand doch schon seit Monaten fest.

Jetzt erst fiel ihr auf, dass der Anrufbeantworter blinkte, und ihr Herz schlug schneller. Vielleicht war er es ja!

Sie spielte die Nachricht ab.

„Hallo Nick. Hier ist Debbie.“

Schwester Nummer zwei.

„Mum meinte, du könntest schon wieder da sein. Hoffentlich leidest du nicht zu sehr unter der Zeitverschiebung. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass Mum die letzte Chemotherapie gut überstanden hat. Also grünes Licht für die Party. Ruf mich an. Dann erzähle ich dir alles. Sag Adele, dass eine Schokoladentorte auf sie wartet. Bye.“

Chemotherapie? Nicks Mutter hatte Krebs? Adele war so schockiert, dass es ihr schwerfiel, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch nicht Maggie! Sie war immer so stark und vital gewesen. Warum hatte Nick ihr nichts davon erzählt?

Weil du ihm keine Gelegenheit dazu gegeben hast, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Inneren. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu bemitleiden. In ihrem Kummer hatte sie Nick und mit ihm seine Familie aus ihrem Leben ausgeschlossen. Und als sie dann bereit gewesen war, ihm zuzuhören, hatte er aufgegeben. In ihrem verletzten Stolz hatte sie sich nicht überwinden können, von sich aus wieder den Kontakt aufzunehmen. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er sie zurückgewiesen hätte. Es war so viel einfacher gewesen, ihm die Schuld an allem zu geben und ihren Kummer zu pflegen.

Wenn sie ihn doch nur anrufen könnte. Leider hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, wo er unterkommen würde. Sie selbst hatte einige enge Freunde, bei denen sie sich jederzeit einquartieren konnte. Aber Nick? Gut, er war beliebt und hatte einen riesigen Bekanntenkreis, der sich andererseits auch ständig veränderte. Aber es gab nur einen einzigen Freund, an den sie sich erinnern konnte. Nick hatte mit ihm zusammen studiert. Wie war noch sein Name? Kelvin? Oder Connor? Sie hatte ihn nur zweimal getroffen und besaß weder seine Adresse noch seine Telefonnummer.

Adele schaltete den Fernseher aus und starrte ratlos vor sich hin. Wie lange sie so im Dunkeln gesessen hatte, wusste sie nicht. Irgendwann schreckte ein Geräusch an der Haustür sie auf.

Sie hielt den Atem an und lauschte. Wahrscheinlich nur der Wind. Kein Grund zur Beunruhigung. Außerdem war die Tür mit zwei Schlössern gesichert. Aber als sie gerade wieder erleichert ausatmen wollte, hörte sie das Geräusch noch einmal.

Diesmal war es ganz deutlich. Jemand schloss die Tür auf! Eine Gänsehaut machte sich auf ihrem Rücken breit, und ihr Magen zog sich zusammen. Aber sie war unfähig, sich zu rühren. Sie kauerte sich in einer Ecke des Sofas zusammen und versuchte, ihre aufkommende Panik zu unterdrücken. Wenn doch nur Nick hier wäre! Warum hatten die Einbrecher nicht letzte Nacht kommen können, als der große Held in der Küche schlief?

Nun vernahm sie das Geräusch, das sie am meisten gefürchtet hatte. Nach einem leisen Knacken öffnete jemand die Tür. Sie wagte kaum zu atmen, dann stand sie geräuschlos auf und verkroch sich hinter dem Sessel. Dabei knackten ihre Knöchel so laut, dass sie meinte, man müsste es im ganzen Haus hören.

Sie begann zu zittern. Das Telefon! Sie brauchte das Telefon.

Aber es stand an der anderen Wand, und der Eindringling war schon im Gang und auf dem Weg ins Wohnzimmer. Das Risiko war zu groß. Selbst wenn sie vor ihm da war, würde er sie doch sprechen hören.

Adele spähte über die Sessellehne. In diesem Moment ging die Tür auf. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu. Sie erstarrte.

3. KAPITEL

Der Einbrecher tastete sich an der Sessellehne entlang. Er war so nahe, dass Adele seinen Atem spürte. Anscheinend fand er nicht, wonach er suchte, denn nun fasste er hinter den Sessel, genau dorthin, wo sie sich versteckte.

Sie tat das Einzige, was ihr spontan einfiel. Als seine Hand dicht vor ihrem Gesicht war, biss sie beherzt zu. Zum Glück trug er keine Handschuhe.

Er schrie auf, sprang zur Seite und kam ins Straucheln.

„Was, zum Teufel …“

Adele hatte sich vorgenommen, zu beißen und zu kratzen und zu treten und dann aus dem Zimmer zu fliehen, sobald der ungebetene Gast außer Gefecht gesetzt war. Doch jetzt stutzte sie. Diese Stimme gehörte doch …

„Nick?“

Er rappelte sich mühsam hoch. „Danke für den herzlichen Empfang, Darling!“

„Aber … Was willst du überhaupt hier?“ Das Adrenalin verwandelte ihre Angst schlagartig in Wut. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und begann noch einmal von vorne. „Warum, zum Teufel, schleichst du dich mitten in der Nacht in mein Haus?“

„In unser Haus“, verbesserte er sie.

„Pedant. Du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Ich habe etwas gesucht.“ Nick wandte sich um und schaltete die Stehlampe ein. „Da ist sie ja.“

Er griff um Adele herum und hob die lederne Brieftasche auf, die neben ihren Füßen lag.

„Und da ist auch mein Handy.“ Es lag nur Zentimeter neben der Brieftasche. „Ohne Telefonnummern und Geld ist es nahezu ausgeschlossen, in dieser Stadt eine Bleibe zu finden.“

Adele war so benommen, dass ihr keine Antwort einfiel. Noch vor wenigen Minuten hatte sie Nick sehnlichst herbeigewünscht, und nun, da ihr Wunsch erfüllt war, hättte sie ihn am liebsten sofort wieder hinausgeworfen.

„Wie bist du hereingekommen?“

Er zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und ließ es vor ihrer Nase hin und her baumeln. Adele versuchte, die Schlüssel mit dem Blick zu fixieren.

„Ich hatte angenommen, dass du schon im Bett bist und nicht merkst, dass ich komme. Ich wollte nur schnell meine Sachen holen und wieder verschwinden.“

„Du hast einen Hausschlüssel?“ Warum waren die einfachsten Dinge plötzlich so schwer zu begreifen?

„Ja, natürlich.“

Sie sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. „Warum hast du dann beim ersten Mal geklingelt?“

„Aus Höflichkeit vermutlich, keine Ahnung.“

Nick und höflich? Das passte nicht zusammen.

Er war nach neun Monaten einfach hereingeschneit und hatte sie zu einem Besuch bei ihrer fünfhundert Meilen entfernt wohnenden Schwiegermutter zu überreden versucht. Und da sollte er Hemmungen gehabt haben, seinen Hausschlüssel zu benutzen?

Die Situation war so absurd, dass Adele sich in den Sessel fallen ließ und loslachte. Sie konnte einfach nicht mehr aufhören, und bald liefen ihr die Tränen übers Gesicht.

Das brachte nur Nick fertig. Dieser Mann war einfach unmöglich. Und einmalig.

Ausnahmsweise grinste er in diesem Moment nicht, sondern sah sie nur an. Er hatte etwas Verlorenes, wie er da stand. Wenn er so aussah, war er absolut unwiderstehlich.

Nach einer Weile holte Adele tief Luft und schüttelte den Kopf. „Um diese Uhrzeit findest du in der ganzen Stadt kein Bett mehr. Hol deine Sachen und bring sie ins Gästezimmer. Wir unterhalten uns morgen weiter.“

Als Adele am nächsten Morgen um halb sieben Uhr in die Küche kam, erwartete Nick sie bereits.

„Du bist früh auf“, bemerkte sie. Und zwar drei Stunden vor seiner üblichen Zeit.

„Du wolltest doch reden.“

Sie schob den Blusenärmel hoch, um auf die Uhr zu sehen. „Trotzdem werde ich pünktlich zur Arbeit gehen, Nick. Ich kann mein Leben für dich nicht anhalten.“

Er verzog das Gesicht. „Das weiß wohl niemand besser als ich.“

„Was soll das nun wieder heißen?“

Er rieb sich verschlafen die Augen. „Tu einfach so, als wäre ich nicht da. Ich bin eben ein Morgenmuffel. Normalsterbliche springen nicht morgens schon vor Sonnenaufgang aus dem Bett und sehen aus wie aus dem Ei gepellt, so wie du.“

Er war noch nicht angezogen, sah aber in seinem schief zugeknöpften Pyjama und mit den zerzausten Haaren deutlich besser aus als die von ihm beschworenen Normalsterblichen.

Adele stutzte. Seit wann trug Nick Pyjamas?

Sie sah wieder vor sich, wie er immer im Bett gelegen hatte, und wurde unwillkürlich rot. Schlafanzüge waren definitiv gesünder für ihren Blutdruck.

Sie blickte prüfend an sich hinab und zupfte ihre tadellose Frisur zurecht.

Wieder einmal war es ihm gelungen, sie durch seine bloße Anwesenheit zu verunsichern. Sie war an diesem Morgen eigentlich mit einem gesunden Selbstbewusstsein aufgestanden. Und jetzt fühlte sie sich absurderweise zu gut angezogen.

„Es kann eben nicht jeder bis drei Uhr nachts im Gartenschuppen herumhängen und das dann Arbeit nennen. Das Büro wartet auf mich.“

Nick hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte. „Für solche Debatten bin ich zu müde. Einigen wir uns der Einfachheit halber darauf, dass ich mich wie ein Dreijähriger benehme und du die Erwachsene von uns beiden bist. Damit können wir den Streit beenden.“

Ich will mich aber streiten, hätte Adele am liebsten geantwortet, biss sich aber im letzten Moment auf die Zunge und ging zur Kaffeemaschine. Der Kaffee war schon fertig. Erstaunlich.

Nick stand vom Küchentisch auf und schenkte ihr einen Becher ein.

„Die normale Arbeitszeit fängt um neun Uhr an. Wir haben also reichlich Zeit.“

Sie wollte etwas erwidern, doch er kam ihr zuvor. „Ja, ich weiß, du bist gern schon um acht Uhr im Büro, aber selbst dann musst du noch nicht gehen.“

Adele verzichtete auf eine Antwort. Sie setzten sich einander gegenüber an den Tisch und schienen beide darauf zu warten, dass der jeweils andere anfing.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Mutter krank ist?“

Nick zog die Augenbrauen hoch. „Wie hast du davon erfahren?“

„Debbie hat eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Deine Mutter scheint nicht die Einzige zu sein, die nichts davon weiß, dass wir seit fast einem Jahr getrennt leben.“

Er legte den Kopf auf die Seite, als er sie ansah. „Soweit ich mich erinnere, hatte ich immer ganz schnell das Besetztzeichen in der Leitung, wenn ich dich angerufen habe.“

„Ich rede nicht von damals. Warum hast du mir gestern nichts davon gesagt?“

„Ich wollte dich nicht erpressen.“

Sie trank einen Schluck Kaffee. „Du hättest trotzdem ehrlich sein können.“

„Willst du behaupten, dass du dich nicht zu einem Besuch bei ihr verpflichtet gefühlt hättest, obwohl du nicht die geringste Lust dazu hast?“

Adele senkte den Blick. Nick hatte recht. Natürlich hätte sie sofort zugestimmt, Nicks Mutter zu besuchen, wenn sie die Wahrheit gekannt hätte.

„Jetzt weiß ich es ja.“

Er lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Und? Was willst du tun?“

Sie atmete tief durch und straffte die Schultern. „Wir sollten wie erwachsene Menschen damit umgehen. Ich fahre mit dir nach Schottland. Du weißt, dass ich deine Mutter sehr gern habe, und ich will natürlich nicht, dass sie sich Sorgen macht. Aber …“

Nick sprang auf und zog sie in die Arme. „Danke“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Das ist so wichtig für mich. Mum wird sich sehr freuen.“

Eine Weile drückte er sie so fest, dass sie kaum Luft bekam. Sie stimmte die Hände gegen seine Schultern, um sich aus seiner Umarmung zu befreien. Aber dann taten sein Duft, seine Wärme und die Nähe ihre Wirkung. Es war so lange her, dass jemand sie in den Arm genommen hatte. Nick fühlte sich so gut an, dass sie diesen Moment noch ein bisschen verlängern wollte. Und dann noch ein paar Sekunden …

Er hatte die Hände auf ihren Rücken gelegt und fing an, sie sanft zu streicheln. Adele lief eine Gänsehaut über den Rücken und zog sich bis zu ihrem Nacken hinauf. Es schien, als würde Nick ihren Duft in sich aufnehmen wollen und gar nicht genug davon bekommen. Das war endgültig zu viel für sie. Tränen stiegen ihr in die Augen und blieben an ihren Wimpern hängen.

Wie sehr sehnte sie sich nach der glücklichen Zeit zurück, als sie noch geglaubt hatte, dass ihre Ehe für immer halten würde. Bis dass der Tod euch scheidet … Damals hatte sie die Gewissheit gehabt, dass es wenigstens einen Menschen gab, für den sie etwas ganz Besonderes war. Es war nichts als eine Illusion gewesen, und am Ende hatte die Realität über ihre Träume gesiegt.

Nick hob den Kopf, um sie anzuschauen. In seinen Augen entdeckte sie dieselbe quälende Sehnsucht, die sie selbst empfand.

„Adele“, flüsterte er und beugte sich vor.

Gegen ihren Willen gab sie nach. Eine magnetische Kraft schien sie an ihn zu binden, und plötzlich hatte sie das Empfinden, dass sie neun Monate lang nur auf diesen Moment gewartet hatte. Die alten Gefühle und Erinnerungen, die sie so krampfhaft zu vergessen versucht hatte, waren mit einem Mal wieder da. Dieser Kuss war aufregender, zärtlicher, einfühlsamer …

Erst als ihre Hände wie ferngesteuert zum obersten Knopf seiner Pyjamajacke wanderten, kehrte Adele in die Wirklichkeit zurück. Was machte sie da eigentlich? Hatte sie den Verstand verloren?

In der schlimmsten Krise ihres Lebens hatte Nick sie allein gelassen. Sie konnte sich nicht auf ihn verlassen, damals nicht und jetzt auch nicht. Ganz gleich, ob die Chemie zwischen ihnen stimmte oder nicht, es gab für sie keine Zukunft.

Sie ließ den Knopf in Ruhe und löste sich aus seinen Armen. Als er sie festhalten wollte, schüttelte sie den Kopf.

„Das ändert nichts.“

Im Grunde zeigte dieser Kuss ihr den Weg, den sie gehen musste, nur umso deutlicher auf. Wenn sie nicht wollte, dass ihr Herz in tausend Stücke zersprang, musste sie sich vor diesem Mann schützen. Sie setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.

„Wie gesagt, wir sollten wie erwachsene Menschen damit umgehen“, wiederholte sie. „Auch wenn ich es nicht richtig finde, dass du deiner Mutter nichts von uns gesagt hast.“

„Ich wollte ihr einfach den zusätzlichen Stress ersparen. Mit ihrem Brustkrebs hatte sie schon genug zu tun.“

„Aber irgendwann muss sie die Wahrheit erfahren.“

„Was ist denn die Wahrheit, Adele? Mal wirfst du mich hinaus, und im nächsten Moment … Was war denn das gerade eben zwischen uns?“

Unwillkürlich wich sie ein paar Schritte zurück, bis sie gegen den Tresen stieß. „Das war dein üblicher Überschwang, sonst nichts.“

Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er ihre Ansicht nicht ganz teilte. Warum sollte er auch? Sie glaubte ja selber nicht, was sie sagte. Aber das wollte sie keinesfalls zugeben.

„Du redest von mir, als wäre ich ein Labrador.“

Adele schluckte. Sie hatte ihn nicht beleidigen, sondern nur auf Distanz halten wollen. Und das gelang ihr am besten, wenn sie ihn mit Worten verletzte. Andererseits war durchaus etwas dran. Im Grunde besaß Nick zu seinen besten Zeiten alle Qualitäten eines Labradors: Er war liebevoll, treu und von grenzenloser Energie. Aber gerade das machte ihn so gefährlich.

„Deine Reaktion kam mir im Übrigen nicht weniger überschwänglich vor“, fügte er ein wenig selbstgefällig hinzu.

Sie konnte es nicht leugnen. Fast ein ganzes Jahr lang hatte sie Barrieren gegen ihn aufgebaut. Und er hatte sie in nicht einmal vierundzwanzig Stunden komplett eingerissen.

Wenn sie nicht erneut Schiffbruch erleiden wollte, musste sie sich wehren.

„Du willst also von mir wissen, wie es mit unserer Beziehung aussieht?“

Er hob die Hände. „Ich hatte gehofft, dass wir auf der Fahrt nach Invergarrig darüber reden können.“

„So lange musst du gar nicht warten. Das kann ich dir gleich sagen.“

Nick blickte sie nur an.

„Ich fahre mit dir zu deiner Mutter, Nick. Aber nur unter einer Bedingung.“

„Bedingung“, wiederholte er etwas dümmlich.

„Ja. Es wird Zeit, dass du aufhörst, wie ein Wirbelsturm über das Leben anderer Leute hinwegzufegen. Und dass du für dein Verhalten selbst die Verantwortung übernimmst.“

Seine Lippen zogen sich zu einer schmalen Linie zusammen, aber er blieb stumm.

„Ich fahre nur dann mit dir, wenn du in die Scheidung einwilligst. Sobald wir aus Schottland zurück sind, gehe ich zum Anwalt.“

Er hätte nicht verdutzter aussehen können, wenn sie ihn geohrfeigt hätte. Ihr selbst wurde schwindelig, als ihr klar wurde, was sie da eigentlich gesagt hatte.

Aber gesagt war gesagt. Sie konnte ihre Worte nicht mehr zurücknehmen. Und sie wollte es auch nicht.

„Ich habe meine eigenen Pläne, und dazu gehört nicht, dass ich den Rest meines Lebens damit zubringe, hinter dir aufzuräumen.“

Als sie seinem Blick begegnete, verspürte sie einen stechenden Schmerz in der Brust. Nicks Gesicht wirkte plötzlich grau, und die grenzenlose Energie, die sie ihm eben noch zugeschrieben hatte, schien von einem auf den anderen Moment verpufft zu sein.

„Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin.“

Es war seltsam still im Haus, als Adele die Tür hinter sich schloss und ihre Aktentasche an den gewohnten Platz stellte. Sie zog den Mantel aus und hängte ihn in die Garderobe.

Nick war vermutlich in seiner Werkstatt. Sie hatte sich vorgenommen, etwas Gutes zu kochen und dann beim Essen noch einmal in Ruhe über alles zu sprechen. Es gab keinen Grund, warum sie sich nicht in Freundschaft trennen sollten.

In der Küche fiel ihr Blick auf einen Umschlag, der an der Kaffeemaschine lehnte. Er war von Nick und enthielt ein paar Zettel, die offenbar in Eile aus einem Notizbuch herausgerissen und mit einem grünen Filzstift beschrieben waren.

Adele, ich bleibe ein paar Tage bei Craig. Es kann nicht schaden, wenn wir beide etwas Abstand haben. Mum hat uns für Freitagabend zum Abendessen mit der Familie eingeladen. Sag mir Bescheid, wenn der Freitag zu früh ist, dann fahren wir erst am Samstag. Ich rufe dich in den nächsten Tagen an, wenn wir uns beide etwas beruhigt haben.

N.

Beruhigt? Sie war noch nie so ruhig gewesen wie jetzt!

Adele strich die Zettel glatt und schob sie zurück. Den Umschlag lehnte sie wieder an die Kaffeemaschine.

Dann ging sie nach oben und ließ sich ein Bad ein. Wer war eigentlich Craig?

Sie zog sich aus und ließ sich in das heiße Wasser gleiten, in der Hoffnung, es würde auch ihre Enttäuschung wegspülen. Es war feige, einfach nur eine Nachricht zu hinterlassen. Das wusste niemand besser als sie.

Sie hatte Nick damals auch nur einen kurzen Brief geschrieben, bevor sie zu Mona gezogen war. Gut, das war vielleicht auch nicht besonders mutig gewesen, aber wenigstens hatte sie einen guten Grund für ihr Verhalten gehabt.

Warum war er so überrascht darüber, dass sie die Scheidung wollte? Sie hatten monatelang nicht zusammengelebt. Nicht einmal gesprochen hatten sie miteinander. Wie sollte es denn wohl seiner Meinung nach weitergehen mit ihnen?

Adele lehnte sich zurück und versuchte nicht auf jedes kleine Geräusch im Haus zu achten. Sie hatte Monate gebraucht, bis sie sich an das Alleinsein gewöhnt hatte.

Ihr Haus war für sie immer ihr Nest gewesen, der Ort, wo sie mit Nick glücklich sein konnte und wo ihre Kinder aufwachsen würden. Sie hatten einige Jahre gebraucht, um es zu renovieren und nach ihrem Geschmack auszustatten. Wie lange sie allein nach passenden Griffen für die Küchenschränke gesucht hatten! Aber ein Heim war mehr als eine Hülle mit irgendwelchen Möbeln. Das Haus, in dem sie aufgewachsen war, hatte einem Palast geähnelt, Kinder waren darin nicht vorgesehen. „Nicht anfassen!“ hatte sie von früh bis spät gehört. Oder: „Schau, was du wieder gemacht hast!“ Ihre Mutter war einundvierzig Jahre alt gewesen, als sie zur Welt gekommen war. Es war ein Schock für sie gewesen, den sie wohl nie überwunden hatte. Allerdings hatte sich an ihrem Leben dadurch wenig geändert. Sie hatte für ihre Tochter eine Kinderschwester engagiert und war weiter mit ihrem Mann durch die Weltgeschichte gereist.

Adele starrte an die Badezimmerdecke. Sie hatte alles anders, besser machen wollen. Was hatte sie für Pläne gehabt mit diesem Haus! Und mit ihrem Leben. Nick hatte von einer Sekunde auf die andere alles zunichte gemacht.

Nachdem er nach Amerika abgereist war, hatte sie zuallererst die Einrichtung verändert, um nicht mehr an ihn erinnert zu werden. Sie hatte die Bilder von den Wänden genommen und durch neue ersetzt, selbst die Pflanzen im Wohnzimmer hatte sie ausgetauscht. Und dann hatte sie seine Sachen in Kisten verpackt und weggestellt. Vergebens. Nick war überall im Haus spürbar geblieben.

Es hatte lange gedauert, bis sie sich daran gewöhnt hatte, dass sein Jackett nicht mehr über der Rückenlehne des Sofas hing. Oder bis sie nicht mehr automatisch überprüft hatte, ob er die Terrassentür hinter sich zugemacht hatte, wenn er, von einem Geistesblitz getroffen, durch den Garten in die Werkstatt gerannt war, um seinen Einfall sofort in die Tat umzusetzen.

Jetzt war er wieder da, und alles fing von vorne an – mit einem Unterschied: Diesmal waren seine Sachen nicht im ganzen Haus verstreut, sondern alles spielte sich nur in ihrem Kopf ab. Aber im Augenblick fühlte sie sich nicht in der Lage, daran etwas zu ändern, zumal ja noch das Wochenende mit ihm und seiner Familie bevorstand.

Mona durfte davon natürlich nichts erfahren. Sie würde nur einen falschen Eindruck bekommen und annehmen, ihre Freundin wäre schwach geworden und hätte ihre Meinung über die Scheidung geändert.

Nick hielt Wort und ließ Adele in Ruhe. Das hinderte sie aber nicht daran, bei jedem Klingeln aufgeregt zum Telefon zu rennen und sich atemlos zu melden. Es war mehr als peinlich. Am Ende überließ sie den Job ihrem Anrufbeantworter.

Dann, am Mittwochabend um acht Uhr dreiundvierzig, meldete er sich.

„Adele? Ich bin’s. Ich wollte … Wir müssen noch entscheiden, ob und wann wir am Freitag losfahren wollen.“ Es folgte eine längere Pause. „Am besten, ich rufe dich später noch mal an. Dann können wir alles besprechen.“ Es vergingen fünf Sekunden, dann legte er auf.

Adele legte ihren Laptop neben sich auf das Sofa, stand auf und ging zum Telefon. Die Nummer auf der Anzeige war ihr unbekannt. Vermutlich gehörte sie Craig.

Sie wählte und wartete einen Moment.

„Hallo?“

Die Stimme klang jung, blond und fröhlich. Adele zuckte zusammen.

„Könnte ich bitte mit Nick sprechen?“

„Einen Moment. Er ist nebenan.“ Die junge Frau machte sich nicht die Mühe, den Hörer abzudecken, sodass Adele mithören konnte. „Nicky? Für dich. Deine Mutter, glaube ich.“

Nicky? Adele lief ein kalter Schauder über den Rücken. Über die Unterstellung, sie sei Nicks Mutter, wollte sie gar nicht erst nachdenken.

Sie hörte ihn lachen, als er zum Telefon kam. „Hallo? Ich verspreche, dass ich saubere Unterwäsche trage, nur für den Fall, dass ich vom Bus überfahren werde, Mum.“

„Brav.“

„Adele!“

„Craig klingt sehr viel blonder und piepsiger, als ich erwartet hatte.“

„Wie bitte? Ach, das war Kai. Seine Freundin. Jedenfalls diese Woche. Woher weißt du, dass sie blond ist?“

Adele verdrehte die Augen. „Das habe ich geraten.“

„Du hast also meine Nachricht gehört.“

„Ja.“

„Und? Wann fahren wir, am Freitag oder Samstag?“

Sie biss sich auf die Lippen. Ein zusätzlicher Tag mit Nick würde schwierig werden, andererseits wollte sie seine Familie gern etwas länger genießen. Mit allen zusammen bei Maggie um den großen Tisch zu sitzen, klang verlockend.

„Freitag kann ich einrichten.“

Nick atmete hörbar auf. „Großartig. Wir müssten allerdings schon ziemlich früh aufbrechen.“

„Wie früh?“

„Das weiß ich noch nicht genau.“

Typisch Nick. Wie immer hatte er sich über Einzelheiten noch keine Gedanken gemacht.

„Wann ist denn das Essen?“

„Eine Sekunde. Mum hat mir alle Details durchgegeben. Ich muss nur den Zettel finden.“

Offenbar legte er den Hörer auf einem harten Untergrund ab, dann waren Schritte zu vernehmen. Nach einer Weile meldete er sich leicht außer Atem zurück. „Okay. Wir essen um acht Uhr.“

„Dann sollten wir spätestens um sechs da sein, damit wir uns von der Fahrt noch etwas ausruhen können. Wie lange werden wir brauchen?“

„Debbie schafft es in neun Stunden, aber sie hat es nicht ganz so weit wie wir. Ich schlage vor, wir starten hier um acht Uhr.“

„Aber die M25 ist um die Zeit ziemlich dicht. Lass uns lieber schon um sieben fahren.“ Nick stöhnte auf, aber Adele kümmerte sich nicht darum. „Also, wann holst du mich ab?“

Sekundenlanges Schweigen. Dann: „Das Auto hast du, Adele.“

Natürlich. „Dann gib mir Craigs Adresse. Und steh bitte pünktlich um sieben vor der Tür, sonst fahre ich ohne dich.“ Kein Wunder, dass diese Blondine sie für Nicks Mutter gehalten hatte. Sie benahm sich ja auch fast so.

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

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