Bianca Exklusiv Band 292

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WARTET HIER DAS GLÜCK AUF MICH? von LEANDRA LOGAN
Getarnt als Dokumentarfilmerin reist Tina in ihren Geburtsort, um ihre leibliche Mutter zu finden. Dort lässt der attraktive Polizeichef Colby Evans sie keine Sekunde lang aus den Augen. Misstraut er ihr - oder spürt er auch diese magische Anziehungskraft zwischen ihnen?

EIN KUSS, EIN WUNSCH - EIN BABY? von BARBARA HANNAY
Es ist ja nur ein Freundschaftsdienst, denkt Will, als Lucy ihm ihren Vorschlag unterbreitet: Sie wünscht sich ein Baby - und er soll der Vater sein. Doch nach dem ersten Kuss bei ihrem vereinbarten Rendezvous sind seine Gefühle auf einmal alles andere als freundschaftlich …

WO DEIN HERZ ZU HAUSE IST von PATRICIA THAYER
Luke weiß, dass er für die schöne Tess der Falsche ist. Schließlich will er das Land, auf dem ihr Cottage steht, verkaufen und wegziehen. Doch je näher der Moment des Abschieds rückt, desto mehr hat er das Gefühl, als hätte sein Herz bei Tess endlich ein Zuhause gefunden …


  • Erscheinungstag 05.01.2018
  • Bandnummer 0292
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733841
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Leandra Logan, Barbara Hannay, Patricia Thayer

BIANCA EXKLUSIV BAND 292

1. KAPITEL

Mit einem wehmütigen Lächeln stellte Tina Mills eine Tasse des kostbaren Familiengeschirrs auf die dazugehörige Untertasse. Wie lange hatte sie das Royal-Doulton-Teeservice mit dem schönen Rosendekor nicht mehr in der Hand gehabt!

„Hier ist dein Tee, Daddy. So wie du ihn gerne magst.“ Es fiel ihr nicht schwer, sich den immerzu gut gelaunten Bill Mildenderger vorzustellen, wie er ihr gegenübersaß und genüsslich seinen Tee trank. Genau wie vor fünfundzwanzig Jahren.

Kaum zu glauben, wie viel Zeit vergangen war, seit sie hier im Esszimmer ihre Kindergeburtstage gefeiert hatte. Die Erinnerung an ihren Vater, der vor acht Jahren bei einem Autounfall auf dem Long Island Expressway ums Leben gekommen war, schmerzte sie immer noch sehr. Er war pharmazeutischer Handelsvertreter gewesen und hatte sich gerade auf dem Heimweg von einer seiner Reisen befunden.

Tina hatte damals an der Columbia University studiert. Als es passierte, saß sie gerade in einem Seminar über Filmschnitt. Sie erinnerte sich, dass sie plötzlich von einem Gefühl des Unwohlseins gepackt wurde, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als der Unfall geschah. Ein deutliches Zeichen dafür, wie nah sie und ihr Vater William E. Mildenderger sich immer gestanden hatten.

Wenige Monate später hatte Tina ihren Abschluss in der Tasche. Sie verließ Brooklyn und zog nach Tribeca, einem Stadtteil Manhattans, wo sie eine geräumige Dachgeschosswohnung gefunden hatte. Zusammen mit ihrer Studienkollegin Emmy Snow gründete sie eine eigene Filmproduktionsfirma, „Reality Flicks“.

Zu ihrem Erstaunen hatte ihr der Vater eine beträchtliche Geldsumme hinterlassen, wodurch die Gründung der Firma überhaupt erst möglich wurde.

Bereits nach einem Jahr konnten sie erste Erfolge verzeichnen. Ihr Dokumentarfilm über misshandelte Frauen erregte großes Aufsehen und erhielt weltweit Auszeichnungen. Seitdem drehten sie einen Film nach dem anderen und hatten sich zu einer gefragten Produktionsfirma entwickelt.

Inzwischen war Tina dreißig Jahre alt und dachte viel über ihre Vergangenheit nach. Sie saß am Esszimmertisch des altehrwürdigen Hauses im New Yorker Stadtteil Brooklyn, in dem sie aufgewachsen war, und betrachtete versonnen die Tasse mit dem Blumendekor in ihren Händen. Damals, vor vielen Jahren, hatte sie meist Zitronenlimonade daraus getrunken oder irgendetwas anderes, das keine Flecken machte.

Denn ihre Mutter Angela Winston Mildenderger hasste Unordnung. Es war ihr immer ein Dorn im Auge gewesen, wenn Tina und ihr Vater nachmittags zusammen Tee aus ihrem geliebten Porzellangeschirr getrunken hatten, und sie sich darüber sorgen musste, ob dabei womöglich die wertvolle Spitzentischdecke Flecken abbekam. Überhaupt war das Verhältnis zwischen Tina und ihrer Mutter nie sehr innig gewesen. Angela hatte sich ihrer einzigen Tochter gegenüber immer sehr kühl und distanziert gegeben. Sie hatte ihr niemals gezeigt, dass sie sie liebte.

Tina stand auf und ging zu einem riesigen Wandschrank, dessen Türen weit offen standen. Sie war gerade dabei gewesen, ihn auszuräumen, als ein Gefühl der Wehmut sie gepackt hatte. Mit einem melancholischen Lächeln auf den Lippen hatte sie sich an den Tisch gesetzt und an die alten Zeiten gedacht. Sie hatte nie verstanden, warum ihre Mutter stets so abweisend zu ihr gewesen war. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass Tina ihrem Vater so ähnlich war: dünn, hochgewachsen, dunkle Haare und hohe Wangenknochen. Auch in ihrem Charakter war sie ganz und gar eine Mildenderger. Sie war neugierig, impulsiv und direkt – gute Voraussetzungen für eine Filmproduzentin. Für ein zartes Gemüt wie Angela jedoch ein ständiger Grund zum Ärgernis.

Die Mutter war eine Freundin von klaren Regeln, festen Strukturen und Beherrschtheit. Was ihr ursprünglich an Bill gefallen haben mag, ließ sich nicht mehr sagen.

Schon als kleines Kind hatte Tina gespürt, dass ihre Mutter den Ehemann eher erduldete als liebte und sehr oft zornig auf ihn war. Das hielt Bill jedoch nicht davon ab, ihr immer wieder spontan seine Zuneigung zu zeigen. Manchmal nahm er sie in den Arm und wirbelte sie durch die Küche, oder er brachte ihr einen großen Blumenstrauß mit.

Doch Angela schien unnahbar wie eh und je. Nur manchmal, wenn sie mit ihren Schwestern zusammen war, konnte man in unbeobachteten Augenblicken so etwas wie Gefühle wahrnehmen. Ihrem Mann und ihrer Tochter gegenüber jedoch gab sie sich stets kühl und distanziert.

Wenn Tina allerdings an den momentanen Zustand ihrer Mutter dachte, traten ihr Tränen in die Augen. Nach einem Schlaganfall war Angela nicht mehr ansprechbar und hatte in einem Pflegeheim untergebracht werden müssen. Sie erkannte niemanden und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Es war, als sei ein Teil von ihr bereits in eine andere Welt übergetreten. Die Ärzte gaben ihr noch ein paar Monate zu leben.

Damit bestand endgültig keine Möglichkeit mehr, jemals ein innigeres Verhältnis zu ihrer Mutter aufzubauen. Tina bedauerte es sehr. Und genau aus diesem Grund wollte sie selbst niemals Kinder haben. Sie hatte nie das Vorbild einer liebenden Mutter gehabt und wollte ihre schlechten Erfahrungen nicht an die nächste Generation weitergeben.

Das Esszimmer befand sich im vorderen Teil des Hauses, und Tina hatte die Fenster weit geöffnet, um etwas frische Luft hereinzulassen. Es war ein wunderschöner, warmer Septembertag. Als sie ein Auto die Auffahrt hochfahren hörte, blickte sie aus dem Fenster. Ihre Tanten Peggy und Jean waren gekommen.

Die drei Winston-Schwestern waren sich allesamt sehr ähnlich. Der Altersunterschied zwischen ihnen war nicht besonders groß, und sie waren alle eher stämmig gebaut, hatten hellblonde Haare und blaue Augen. Peggy war die Jüngste und zugleich die Angenehmste der drei Schwestern. Wenigstens sie zeigte manchmal ihre liebevolle Seite und bewies ab und zu so etwas wie Humor.

Aus diesem Grund hatte Tina auch mit ihr Kontakt aufgenommen. Sie hatte Peggy mitgeteilt, dass sie vorhatte, ein paar Kostbarkeiten aus dem Familienbesitz zu verkaufen, um mehr Geld für Angelas Pflege zur Verfügung zu haben.

Tina hörte, wie Autotüren zugeschlagen wurden.

Ohne zu klingeln traten die Schwestern ins Haus und blieben an der Tür zum Esszimmer stehen. Erfreut, die beiden zu sehen, begrüßte Tina ihre Tanten herzlich.

Die beiden betraten das Zimmer. Sofort fiel ihr Blick auf den Tisch, wo teures Porzellan und Kristallgläser aufgereiht waren. Peggy war die Erste, die das Wort an ihre Nichte richtete.

„Wie geht es dir, Tina?“

Mit einem schwachen Lächeln antwortete sie: „Es ist nicht leicht. Mom war immer kerngesund, nie hätte ich gedacht, dass so etwas geschehen könnte.“

Peggy warf ihrer Schwester einen kurzen Blick zu, bevor sie zu Tina ging und sie umarmte. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Angela hat so viel für ihre Gesundheit getan, sie sah aus wie das blühende Leben. Sechzig ist ja heutzutage noch gar kein Alter. Jeanie und ich sind nur unwesentlich jünger, das ist alles ziemlich erschreckend.“

Die Umarmung der Tante war kurz und lieblos. Tina hätte sich gewünscht, bei ihr Trost zu finden, doch Peggy gab ihr keine Gelegenheit dazu.

Mit verschränkten Armen und versteinertem Gesichtsausdruck trat Jean zu dem offenen Wandschrank. Tonlos fragte sie: „Du willst also ein paar Dinge verkaufen?“

„Es fällt mir natürlich schwer, mich von dem alten Familienbesitz zu trennen, aber die Krankenhausrechnungen müssen bezahlt werden …“

„Dafür gibt es doch die Krankenversicherung!“

„Die übernimmt aber nur einen Teil der Kosten. Soll ich dir mal die Rechnungen zeigen? Da gibt es Medikamente, die kosten über 100 Dollar!“

Jeans indignierter Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass sie das nicht weiter bekümmerte.

Mit Bestimmtheit erklärte Tina: „Wir alle wissen, dass Mom nicht mehr lange zu leben hat. Deshalb ist es das Beste, die Wertgegenstände der Mildendergers zu verkaufen und ihr mit dem Erlös ihre letzten Tage so angenehm wie möglich zu machen.“

„Das wäre Bill ihr jedenfalls schuldig!“, erklärte Jean.

Peggy stieß ihre Schwester mit dem Ellbogen in die Seite. „Wir verstehen dein Vorhaben und schätzen deine guten Absichten, aber …“

„… aber wir wollen ein Wörtchen mitreden, was hier das Haus verlässt und was nicht!“, unterbrach Jean ihre Schwester.

Sichtlich angespannt antwortete Tina: „Ich habe euch Bescheid gesagt, weil ich euch nicht übergehen wollte. Es gibt bestimmt ein paar Dinge hier, die euch besonders am Herzen liegen.“ Eigentlich hatte sie gehofft, von ihren Tanten in dieser schweren Zeit Unterstützung zu bekommen. Doch deren Gleichgültigkeit hatte sich über all die Jahre hinweg nur immer mehr gesteigert. Es schmerzte Tina sehr, dies nun so deutlich vor Augen geführt zu bekommen.

„Es gibt da ein paar Gegenstände aus dem Familienbesitz der Winstons, die würden wir gerne mitnehmen. Dinge, die unserer Mutter gehört haben“, sagte Peggy mit ruhiger Stimme.

„Meiner Großmutter“, bemerkte Tina.

Jean stieß ein verächtliches Schnauben aus, und Peggy warf ihr einen warnenden Blick zu.

Tina spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. „Was genau ist euer Problem?“

„Nun …“, begann Jean, „… wir sind der Meinung, dass du dich der Familie gegenüber nicht loyal verhalten hast. Ich erinnere dich nur daran, dass du deinen Namen geändert hast und solche Dinge.“

„Ich habe Mildenderger zu Mills abgekürzt, das ist alles“, erwiderte Tina erstaunt. „Und ich habe es nur getan, weil es für unsere Produktionsfirma besser ist, wenn ich einen kurzen, prägnanten Namen habe. Dad hätte das sicher verstanden. Und schließlich ist es sein Name, um den es hier geht.“

„Oh, sicher, er hätte alles gutgeheißen“, murmelte Jean vor sich hin.

„Nehmt ihr mir etwa übel, dass ich meinen Namen nicht in Winston umgeändert habe?“

„Nein!“, riefen beide wie aus einem Munde.

Tina holte tief Luft. „Also gut. Ich wollte euch gerne die Möglichkeit geben, ein paar Erinnerungsstücke aufzubewahren …“ Verwundert hielt sie inne, als Jean erbost nach einer gläsernen Butterdose griff.

„Das alles hat unserer Mutter gehört!“ Mit einem Klirren stellte Jean das wertvolle Stück zurück auf den Tisch.

„Okay. Dann nimm sie mit.“

„Die Dose gehört zu einem ganzen Service, und das muss zusammenbleiben.“ Jean ging zum Schrank und suchte nach den dazugehörigen Teilen. Mit einem triumphierenden Lächeln entnahm sie Salz- und Pfefferstreuer, ein Sahnekännchen und eine Zuckerdose. Als sie alles auf dem Tisch abgestellt hatte, runzelte sie die Stirn. „Der Deckel der Zuckerdose fehlt.“

„Den hat Dad vor langer Zeit einmal zerbrochen.“

Mit einem erbitterten Nicken meinte Jean: „Er hat so vieles kaputt gemacht.“

„Jeanie!“, ermahnte Peggy ihre Schwester.

Aufgebracht wies Jean auf den voll beladenen Tisch. „Such dir auch etwas aus, Peg. Ich jedenfalls weiß schon, was ich noch alles haben will.“

Peggy ergriff eine der Teetassen mit Blumendekor.

„Die hätte ich gern, Peggy“, warf Tina schnell ein. „Das Teeservice bedeutet mir sehr viel.“

„Aber es gehört den Winstons“, widersprach Jean entrüstet.

Peggy hielt die Tasse in der Hand und wusste nicht, was sie tun sollte.

Jetzt war Tinas Geduld am Ende. „Genau genommen gehört hier alles mir!“

Die Schwestern wechselten vielsagende Blicke. Langsam spürte Tina, wie Wut und Empörung in ihr aufstiegen. „Es war eigentlich als Entgegenkommen meinerseits gedacht, als ich sagte, ihr solltet euch etwas aussuchen. Außerdem hatte ich gehofft, wir könnten uns in dieser schweren Zeit gegenseitig unterstützen.“

„Ich finde es traurig, dass du den wertvollen Familienbesitz verkaufen willst“, sagte Peggy bekümmert.

„Nicht alles“, berichtigte Tina. „Nur Dinge, die keiner will und die nicht mehr gebraucht werden. Mir fällt es ja auch schwer, aber es ist meine Pflicht als Alleinerbin und Nachlassverwalterin, so zu handeln, wie es für Mom am besten ist.“

„Ich glaube nicht, dass Angela das gewollt hätte!“, sagte Jean barsch. „Das Testament wurde von Bill aufgesetzt. Angela hat es nie geändert, weil sie dachte, sie hätte noch genug Zeit.“

Entgeistert starrte Tina ihre Tante an. „Willst du damit sagen, dass Mom das Testament ändern wollte?“

„Nein, Jean ist einfach überreizt. Ihr geht das mit deiner Mom eben sehr nahe“, beschwichtigte Peggy eilig.

Erbost drehte sich Jean zu ihrer Schwester. „Ich bin nicht überreizt, das weißt du genau! Wir waren uns vorhin doch einig, was wir zu tun haben. Warum machst du nun einen Rückzieher?“

„Jean!“, meinte Peggy warnend. „Tina leidet genauso wie wir.“

Jean schnaubte verächtlich.

„Schon gut“, sagte Tina. „Ich habe bei euch ja immer schon alles falsch gemacht. Ich bin nicht einmal gut genug gewesen, um mit euren Kindern zu spielen. Warum sollte es jetzt plötzlich anders sein?“

Beschämt wandte sich Peggy ab.

Jean hämmerte auf den Tisch. „Wir wollen alle Dinge, die aus dem Besitz der Winstons stammen. Basta!“

Als Jean begann, eilfertig das Geschirr zu sortieren, schnappte Tina vor Empörung nach Luft. „Wie kannst du es wagen!“

Jean stieg die Zornesröte ins pausbackige Gesicht. „Ich bringe jetzt alle unsere Sachen ins Auto. Und wage es nicht, mich dabei aufzuhalten.“

„Beruhige dich.“ Peggy legte einen speckigen Arm um ihre Schwester.

„Aber sie hat kein Recht auf all die Sachen, Peg. Sie ist keine von uns.“

„Was soll das heißen, ich bin keine von euch?“, fragte Tina fassungslos.

„Du bist keine Winston!“, rief Jean.

„Wir hätten nicht herkommen sollen. Komm, lass uns wieder fahren“, meinte Peggy beschwichtigend, während sie ihre Schwester sanft hinausdirigierte.

Doch Tina lief ihnen hinterher. „Was hat Jean damit gemeint, Peggy?“

„Hör nicht auf sie. Jean ist völlig durcheinander, aus Sorge um unsere Schwester.“

„Aber sie hat doch eindeutig gesagt, dass wir nicht miteinander verwandt sind!“

„Ich habe mit Angelas Arzt gesprochen“, erwiderte Peggy ausweichend. „Er glaubt, dass sie höchstens noch drei Monate zu leben hat. So lange reichen die Ersparnisse auf jeden Fall.“

„Vielleicht, aber es könnte knapp werden.“

„Lass uns erst einmal abwarten. Wir können ja wieder darüber sprechen, wenn das Geld gebraucht wird.“

Pah! Abwarten! Das war typisch für die Winstons. Sie waren Problemen schon immer aus dem Weg gegangen. „Warte! Bitte, Peggy, sag mir: Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“

Peggy schob ihre Schwester zur Tür hinaus. „Das geht mich nichts an.“

„Komm schon, es ist wichtig für mich.“

Mit versteinertem Gesichtsausdruck blickte Peggy ihre Nichte an. „Ich bitte dich, ruf mich nicht mehr an.“

Als die beiden weg waren, lief Tina wie betäubt durchs Haus. Was hatte das alles zu bedeuten? Die Dinge waren auch so schon schwer genug. Am liebsten wäre sie nach Hause gefahren und hätte nicht weiter über all das nachgedacht. Doch das wäre ziemlich feige gewesen. Wie sollte sie die Augen vor ihren eigenen Problemen verschließen, wenn sie selbst davon lebte, Menschen in schwierigen Lebenssituationen unerbittlich mit der Kamera festzuhalten? Sie war es sich selbst und ihrem geliebten Vater schuldig, dieses Geheimnis zu lüften.

Sie holte eine Flasche Whiskey aus dem Schrank und nahm sich ein angeschlagenes Glas, das bestimmt keiner haben wollte. Dann ging sie ins Arbeitszimmer, in der Hoffnung, in den Familiendokumenten ein wenig Aufschluss über ihre eigene Geschichte zu bekommen.

War es etwa möglich, dass sie nicht die leibliche Tochter ihrer Eltern war? Als sie geboren worden war, waren beide um die dreißig gewesen. In der damaligen Zeit galt das als relativ alt. Vielleicht hatten sie vergebens versucht, eigene Kinder zu bekommen, und sie schließlich adoptiert?

Sie zog einen Ordner mit wichtigen Dokumenten aus dem Regal. Sie fand die Geburtsurkunden ihrer Eltern sowie ihre eigene und viele andere Urkunden und Zertifikate, jedoch keinen Hinweis auf irgendwelche Unstimmigkeiten.

Anschließend ging sie zu dem Regal mit Fotoalben und fand eines, das sie bisher noch nicht gesehen hatte – ein Büchlein mit Hochzeitsfotos ihrer Eltern. Neugierig blätterte sie es durch. Bill trug bei seiner Hochzeit einen Zylinder und einen Frack, Angela hatte ein langes weißes Kleid an, das mit unzähligen kleinen Knöpfen am Rücken verschlossen war.

Schon damals wirkte ihre Mutter ziemlich verbissen. Steif stand sie neben dem schlaksigen, lässigen Bill. Trotzdem schien das Lächeln auf ihren Lippen echt zu sein, und ihre Augen glänzten vor Aufregung. Auf vielen Bildern sah man Bill herumalbern. Es gab ein Foto, auf dem er gerade ein Stück Hochzeitstorte vernaschte und mit sahneverschmiertem Mund in die Kamera grinste. Auf einem anderen hatte er sich seine ausgelassen lachende Frau über die Schulter geworfen.

Allmählich wurde es draußen dunkel. Tina hatte ein Album nach dem anderen durchgesehen, und ihr war nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Es gab sogar ein Foto vor dem Mercy Hospital, wo sie geboren war. Stolz hielt Bill seine kleine Tochter in die Kamera.

Natürlich war sie das Kind ihrer Eltern! Die Fotos und Dokumente bewiesen es doch. Ihre kaltherzigen Tanten wünschten sich nur, sie gehörte nicht zur Familie. Sie waren lediglich gierig auf den Familienbesitz.

Die Nacht verbrachte Tina in ihrem Elternhaus, doch sie schlief schlecht. Sie ist keine von uns!, spukte es ständig in ihrem Kopf herum. Am nächsten Morgen war sie schließlich überzeugt, dass etwas in ihrer Familiengeschichte nicht stimmte.

Sie beschloss, alles daran zu setzen, das Geheimnis zu lüften.

„Die kleine Tina Mildenderger, was für eine Freude!“ Warren Ferguson, der langjährige Anwalt ihrer Eltern, reichte ihr erfreut die Hand. „Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass ich dich das letzte Mal gesehen habe.“

Tina trug ein dunkelblaues Kostüm und hochhackige Schuhe. Sie hatte das Haar straff nach hinten gebunden und wirkte sehr streng. Dieses Outfit hatte sie absichtlich gewählt, um möglichst selbstbewusst und energisch zu wirken.

„Du hast dich kaum verändert, Warren.“

Verlegen griff sich der hochgewachsene Mann in die lichten Haare. „Nett von dir, dass du das sagst. Aber ich bin jetzt dreiundsechzig, und das Alter macht mir schon zu schaffen.“

Der Blick aus Warren Fergusons Wohnzimmerfenster war beeindruckend. Der Central Park lag ihnen zu Füßen. „Danke, dass du so schnell für mich Zeit hattest“, meinte Tina.

„Eigentlich wollte ich dich ja ins Four Seasons zum Mittagessen einladen. Dein Dad und ich haben uns dort immer zu Besprechungen getroffen. Aber ich kann verstehen, wenn du lieber in privatem Rahmen über deine Mutter sprechen willst.“

„Ja, das ist mir sehr wichtig.“

„Komm setz dich. Myrna hat noch Kaffee gekocht, bevor sie ging. Ich muss zugeben, sie war ein wenig gekränkt, dass du mich allein sprechen wolltest. Sie hätte dich auch gern gesehen.“

„Ich glaube nicht, dass ihr unser heutiges Gespräch gefallen hätte.“

Konnte es sein, dass in seinen Augen plötzlich ein Anflug von Panik zu erkennen war? Sie schien den richtigen Informanten für ihre Nachforschungen ausgewählt zu haben.

Die beiden setzten sich im Esszimmer an einen großen Granittisch. Myrna hatte neben dem Kaffee noch einen riesigen Teller mit Gebäck bereitgestellt, sowie eine Schale mit Obst. Die gute Myrna! Als Tina klein gewesen war, war sie oft hier gewesen, und das, obwohl Myrna mit ihren vier aufgeweckten Kindern schon alle Hände voll zu tun gehabt hatte. Tina unterdrückte einen Anflug von Sentimentalität.

Sie nahm ihre Tasse in die Hand und sah den Anwalt eindringlich an. „Ich habe gestern Tante Peggy und Tante Jean zum Haus meiner Mutter bestellt, weil ich gern ein paar Dinge verkaufen möchte, um die Arztrechnungen bezahlen zu können.“

Er hob die Augenbrauen. „Ist das denn wirklich nötig?“

„Ja, leider. Ich war selbst schockiert, wie teuer ein Heimaufenthalt ist.“

„Das tut mir alles so leid. Myrna und ich haben sie ein paar Mal besucht. Sie erkennt niemanden mehr.“

„Ja, es ist wirklich traurig.“ Tina nippte an ihrem Kaffee. „Jedenfalls war die Begegnung mit meinen Tanten ziemlich unerfreulich. Wir haben uns gestritten, und sie haben Dinge gesagt, die für mich keinen Sinn ergeben.“

Warren blickte finster drein. „Die beiden sind keine sehr angenehmen Zeitgenossinnen, habe ich recht?“

Mit einem verächtlichen Schnauben pflichtete Tina bei. „Bei Gott nicht! Sie haben um jedes einzelne Erbstück gekämpft, und dabei hat Jean die Bemerkung fallen lassen, ich sei gar keine Winston.“

„Ach, Tina, ich bitte dich!“ Sichtlich benommen rang er um Fassung. „Jean ist von allen Winstons die Kaltherzigste. Kümmere dich nicht darum, was sie sagt. Dein Vater hat sie nie gemocht.“

„Ich denke aber, da steckt mehr dahinter, und ich bin fest entschlossen, es herauszufinden. Mit deiner Hilfe.“

Er nahm einen Donut und knabberte nervös daran herum. „Unsinn!“

„Jean hat ganz eindeutig gesagt, dass Bill und Angela nicht meine leiblichen Eltern sind! Und du als Anwalt und Freund meiner Eltern weißt bestimmt mehr darüber.“

„Aber deine Eltern sind auf deiner Geburtsurkunde eingetragen.“

„Das stimmt. Aber Dokumente sind leicht zu fälschen.“

„Vor dreißig Jahren war das noch nicht so einfach“, sagte er aus voller Überzeugung. „Und außerdem kann ich mich an ein Foto erinnern, das deinen Vater vor dem Mercy Hospital zeigt, wie er dich als Neugeborenes auf dem Arm hält.“

„Ich schätze mal, das Foto hast du gemacht, Warren. Weshalb solltest du dich sonst so genau daran erinnern?“

Warren wurde verlegen.

„Ich sehe dir doch an, dass etwas nicht stimmt. Komm schon, erzähl es mir!“

Er holte tief Luft und sagte dann mit Entschiedenheit: „Ich bitte dich, Tina, lass es auf sich beruhen. Was auch immer sich zugetragen hat, es geschah aus Liebe.“

„Aber ich habe nie etwas von dieser Liebe gespürt, Warren. Um mich herum gab es nur Abneigung und Bitterkeit.“

„Das meinst du nur, weil Bill schon so lange tot ist.“

„Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, warum mich meine Mutter nie so geliebt hat, wie Bill es getan hat.“

„Myrna und ich haben dich immer sehr geliebt.“

„Bitte hör auf, mir auszuweichen!“

Er schüttelte den Kopf. „Ich darf nichts sagen, Tina. Ich habe es Bill fest versprochen.“

„Es ist nichts Schlimmes, ein Kind zu adoptieren. Aber wenn Bill und Angela nicht meine richtigen Eltern sind, muss es irgendeinen Grund gegeben haben, warum sie die Geburtsurkunde gefälscht haben.“ Nachdenklich tippte sie sich mit dem Finger ans Kinn. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“

„Die ganzen Umstände waren etwas ungewöhnlich“, gab Warren widerwillig zu.

„Bitte sag mir die Wahrheit!“, bat sie ihn eindringlich. „Ich werde niemanden dafür verurteilen.“

„Doch, das wirst du!“

„Ich verurteile dich dafür, dass du mir nichts sagst. Ich finde es feige.“

Verdrießlich blickte er sie an. „Mir sind die Hände gebunden. Und obwohl ich rechtlich nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnte, möchte ich nicht meinen guten Ruf verlieren. Nicht einmal meine Kinder wissen Bescheid.“

„Dann wurde ich also gestohlen?“

„Natürlich nicht! Was für ein Unsinn!“ Er versuchte, ihre Hand zu tätscheln, doch Tina zog sie schnell zurück.

„Ich muss es wissen, Warren.“

„Na gut, Tina, wenn du unbedingt meinst. Ich hoffe nur, ich tue das Richtige …“

Tina wagte es kaum zu atmen, als Warren das Geheimnis ihrer Vergangenheit lüftete.

„Bill ist dein wirklicher Vater“, begann er vorsichtig. „Er hatte auf einer seiner Geschäftsreisen eine Affäre, und die Frau wurde schwanger. Aus mir unbekannten Gründen wollte die Frau dich nicht haben. Angela und Bill hingegen wünschten sich sehnlichst ein Kind, doch sie wussten, dass Angela keine Kinder bekommen konnte. Also haben sie dich als ihr eigenes Kind aufgenommen.“

Verdutzt lehnte sich Tina zurück. Ihr Vater, ein Ehebrecher? Sie konnte es einfach nicht glauben.

„Wie konnte Dad so etwas tun? Schlimm genug, dass er Mom betrogen hat, aber wie konnte er von ihr verlangen, mich als ihr Kind zu akzeptieren?“

Warren lächelte matt. „Zuerst hat er ihr eine Lügengeschichte aufgetischt. Er hat ihr erzählt, er habe auf einer Geschäftsreise ein schwangeres Mädchen kennengelernt, das ihr Kind möglichst schnell und ohne den ganzen Papierkram weggeben wollte.“

Warren seufzte.

„Bill schlug Angela vor, so zu tun, als sei sie schwanger. Da sie sich verzweifelt ein Baby wünschte, spielte sie mit. Alle außer ihren Schwestern waren der Meinung, sie sei schwanger. In den letzten Wochen ihrer vermeintlichen Schwangerschaft ging Bill mit ihr gemeinsam auf Geschäftsreise, um das Kind abzuholen. In einem Hotel warteten sie auf die Geburt. Als der Anruf kam, arrangierten sie ein Treffen in einem nahe gelegenen Café.“

Starr sah der Anwalt vor sich hin und schüttelte mehrmals den Kopf, bevor er fortfuhr.

„Leider spürte Angela bei dem Treffen, dass es zwischen Bill und der Kindsmutter eine emotionale Bindung gab. Daraufhin stellte sie ihn zur Rede. Natürlich war sie außer sich, als sie die Wahrheit erfuhr, und wollte das Baby am liebsten sofort zurückgeben. Doch damit wäre der ganze Schwindel aufgeflogen, und sie hätte sich selbst zum Narren gemacht.“

Tina saß wie erstarrt an ihrem Platz und hielt die Kaffeetasse fest umklammert.

„Ich wollte mit der Geschichte nichts zu tun haben, aber Bill brachte dich zu mir in die Kanzlei, und ich habe dich sofort ins Herz geschlossen. Dein Vater bat mich um eine Geburtsurkunde, um eventuelle Komplikationen zu vermeiden. Danach sind wir zum Krankenhaus gefahren und haben das Foto gemacht.“ Schuldbewusst blickte er Tina an.

„Dad hätte wissen müssen, dass es irgendwann auffliegen würde.“ Tina biss sich auf die Lippen. „Und dass ich darunter leiden würde.“

„Bill hat nicht weiter über die Konsequenzen nachgedacht. Er meinte, er habe mit Angela eine Art Vereinbarung getroffen.“

„Was für eine Vereinbarung?“

„Keine Ahnung. Doch offensichtlich hat es nicht viel gebracht, denn sie hat dich nie wie ihr eigenes Kind behandelt.“

Eine Weile saßen sie schweigend da.

Ihr geliebter Vater war ein Ehebrecher! Und er war so naiv gewesen zu glauben, sie könnten eine glückliche Familie werden.

Schlagartig brach das Bild, das sie von ihrer Familie hatte, in sich zusammen. Sogar Bill wurde zu einem Fremden.

Schließlich sagte sie heiser: „Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Angela mich wieder zurückgegeben hätte.“

„Das hätte Bill das Herz gebrochen.“

„Wahrscheinlich hätte die Möglichkeit gar nicht bestanden“, sagte Tina bitter. „Meine leibliche Mutter wollte mich ja gar nicht.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich nach mütterlicher Liebe gesehnt hast …“

Sie ballte ihre Hände zur Faust. „Du irrst dich. Dieses Bedürfnis habe ich schon vor langer Zeit abgelegt.“

Zweifelnd blickte Warren sie an.

Eine Vielzahl von Fragen drängte sich Tina auf. „Was weißt du über meine wirkliche Mutter, Warren?“

„Nichts. Bill hat einmal eine Stadt erwähnt, aber sonst hat er darüber geschwiegen. Lass es gut sein, Tina, lass die Vergangenheit ruhen.“

„Ich frage mich, wie meine wahre Mutter so etwas tun konnte. Ob sie sich jemals Vorwürfe gemacht hat?“

Die Frau konnte höchstens sechzig Jahre alt sein. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie noch lebte. Tina blickte Warren eindringlich an. „Wo hatte mein Vater die Affäre?“

Warren stieß einen Seufzer aus. „In Connecticut. Die Stadt heißt Sugartown.“

2. KAPITEL

Als Tina spät am Nachmittag das großzügige Büro der Reality Flicks Filmproduktion in Tribeca betrat, war ihre langjährige Freundin und Partnerin Emmy Snow gerade dabei zu telefonieren. Typisch Emmy! Da die beiden im Produktionsbüro auch wohnten, stand sie in Unterhosen vor dem Fenster, während sie ihren unglückseligen Gesprächspartner zusammenstauchte. Wenn er sie so sehen könnte, würde er sich bestimmt nicht einschüchtern lassen, dachte Tina amüsiert.

„Sie haben die Lieferung für Montag zugesagt. Und stellen Sie sich vor, wir haben bereits Montag!“

Tina ließ sich erschöpft auf das schwarze Ledersofa fallen. „Ging es um die neuen Objektive?“, fragte sie, als ihre Freundin das Telefonat beendet hatte.

„Exakt.“ Emmy stellte eine Flasche Cola light auf den Glastisch und runzelte die Stirn. „Wo bist du so lange gewesen? Es ist Stunden her, dass du mich angerufen hast, um mir deine Neuigkeiten mitzuteilen.“

„Ich bin noch mal zum Haus meiner Eltern gefahren und habe Dads Unterlagen durchgesehen, in der Hoffnung, etwas herauszufinden.“

„Und? Hast du etwas gefunden?“

Sie zeigte auf ihre Aktentasche. „In einem Hohlraum unter der Treppe habe ich Hinweise gefunden auf Dads Affäre in Sugartown. Das hätte ich nie von ihm gedacht.“

„Jeder hat so seine Geheimnisse. Auch dein Dad.“

„Aber nicht vor mir! Wir haben uns immer alles erzählt.“

„Vielleicht wollte er es dir auch irgendwann sagen. Er konnte ja nicht wissen, dass er so früh sterben würde.“

„Ich finde es nur komisch, dass selbst Mom es mir nicht gesagt hat. Nach dem Tod meines Vaters hätte sie Gelegenheit gehabt, die Distanz, die sie mir gegenüber immer gezeigt hat, zu rechtfertigen. Und sie hätte das Testament zugunsten der Winstons ändern lassen können.“

„Schwer zu sagen, warum sie dir die brutale Wahrheit vorenthalten hat. Vielleicht wollte sie ihren eigenen Ruf nicht schädigen.“

„Das kann gut sein. Für Mom war der äußere Schein immer sehr wichtig.“ Tina massierte ihre schmerzenden Schläfen. „Hätte ich es doch schon früher herausgefunden!“

„Was hättest du dann getan?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich einen besseren Zugang zu meiner Mutter bekommen, da wir ja beide Opfer von Dads Lügengeschichten waren.“

„Nun, diese Möglichkeit besteht leider nicht mehr, sie ist nicht mehr ansprechbar. Jetzt musst du selbst sehen, wie du damit zurechtkommst.“

„Das hat Warren auch gesagt.“ Tina schüttelte den Kopf. „Aber ich werde die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Ich muss mehr über meine leibliche Mutter herausfinden.“

„Warren hat dich hoffentlich davor gewarnt. So etwas kann böse enden.“

„Natürlich hat er das. Er ist sowieso in allem übervorsichtig. Welche Meinung hast du denn dazu?“

„Also, ich weiß nicht …“

„Komm schon! Wir leben schließlich davon, die Wahrheit ans Licht zu bringen.“

„Aber es ist etwas anderes, wenn es einen selbst betrifft. Es kann sein, dass es dir noch viel schlechter geht, sobald du deine echte Mutter gefunden hast.“

„Aber ich kann nicht einfach weiterleben wie bisher, wenn es so viele ungelöste Fragen aus meiner Vergangenheit gibt.“ Tina griff in ihre Aktentasche. „Ich habe die Verkaufsbücher meines Vaters gefunden und die Kundenlisten. Zum Zeitpunkt meiner Geburt hatte er keinen einzigen Kunden in Sugartown.“ Sie blätterte die Unterlagen durch. „Hier ist ein angefangener Brief an eine Frau, die er mit Darling anspricht. Er beschreibt darin ausführlich und in liebevoller Weise, was Nathalie alles treibt. Offenbar haben sie mich so genannt. An ein paar Dinge kann ich mich sogar noch erinnern.“ Sie reichte Emmy den Brief.

„Der Brief beweist also, dass sie sich zumindest für dich interessiert hat.“

„Leider habe ich keinen Brief von ihr gefunden.“

„Wahrscheinlich war es Bill zu riskant, ihre Briefe aufzubewahren.“

Dann zog Tina ein Foto aus den Unterlagen. „Schau mal, ich könnte mir vorstellen, dass eine der drei Frauen meine Mutter ist.“ Gemeinsam betrachteten sie das vergilbte Bild. Bill alberte darauf mit drei attraktiven Frauen herum, im Hintergrund stand ein herrschaftliches Gebäude mit der Aufschrift „Hotel Beaumont“.

Emmy zuckte mit den Schultern. „Keine der Frauen hat Ähnlichkeit mit dir. Aber das Hotel ist ein guter Anhaltspunkt.“

„Ich werde meine Mutter finden!“, erklärte Tina mit Entschiedenheit. „Und wenn ich sie gefunden habe, werde ich sie zur Rede stellen.“

„Das kann ins Auge gehen, Tina. Du solltest ihre Privatsphäre achten.“

„Ich werde nicht durch die Stadt laufen und laut schreiend nach Bill Mildendergers Geliebten suchen. Ich werde ihr die Möglichkeit geben, alles zu erklären. Vielleicht hatte sie triftige Gründe, mich herzugeben. Obwohl ich mir keinen Grund denken könnte, der ihr Handeln rechtfertigen würde.“

„Vielleicht bereut sie ja inzwischen, was sie getan hat.“

„Könnte schon sein. Mein Hauptanliegen ist es jedoch, besser zu verstehen, was Dad getan hat …“ Sie stockte. „… und ihm zu verzeihen.“

Emmy schenkte ihrer Freundin ein teilnahmsvolles Lächeln. „Was hältst du davon, wenn wir unter dem Vorwand, einen Film zu drehen, nach Sugartown fahren und Nachforschungen betreiben?“

„Keine schlechte Idee. Mit dem Namen Mills wird niemand etwas in Verbindung bringen.“

„Alles, was wir brauchen, ist ein Thema, über das wir in Sugartown einen Film drehen könnten.“

Mit einem leisen Stöhnen erhob sich Tina vom Sofa. „Ich denke, ich werde ein wenig im Internet recherchieren.“

Stunden später rüttelte Emmy ihre Freundin wach. Tina öffnete verschlafen die Augen und stellte fest, dass sie die Nacht auf dem Sofa verbracht hatte. Neben ihr lagen mehrere Zettel, vollgeschrieben mit Notizen. Emmy griff danach und setzte sich zu ihr.

„Hast du eine Story gefunden?“

„Vielleicht.“ Tina rieb sich die Augen. „Wir könnten eine Art Reality-Show machen über die Besonderheiten des Lebens in einer Kleinstadt. Dazu beleuchten wir vier verschiedene Kleinstädte aus verschiedenen Gegenden. Über jede Stadt machen wir einen halbstündigen Beitrag, und die Zuschauer entscheiden dann, welcher ihnen am besten gefällt.“

„Hmm, klingt nicht schlecht.“

„Aber ich weiß nicht, ob ich das alles schaffe. Ich muss mich doch um Angela kümmern, es kann jeden Moment mit ihr zu Ende gehen. Und dann sind da noch ihre Schwestern, die jede Gelegenheit nutzen würden, den Familienbesitz an sich zu reißen. Eigentlich kann ich hier also gar nicht weg.“

„Es gibt für alles eine Lösung. Um Angela kann sich Warren solange kümmern, und was die Winston-Schwestern betrifft – lass doch einfach das Türschloss auswechseln!“

Tina überlegte. „Es klingt alles so einfach, wie du das sagst.“

„Es ist einfach!“

„Du meinst also, ich sollte mich wirklich auf die Suche nach meiner Mutter machen?“

„Natürlich! Und deine Idee mit dem Städte-Wettbewerb finde ich auch gut. Der Gewinner bekommt einen Preis.“

Tina stand auf und streckte sich. Langsam kehrte ihr Unternehmungsgeist zurück. „Jedenfalls bringt es nichts, wenn ich hier Trübsal blase. Ich werde nachher mit Warren sprechen, ob er sich um Angela kümmern würde. Und dann lasse ich das Türschloss auswechseln.“

Colby Evans war zwar Polizeichef von Sugartown, doch man hatte ihn nicht darüber informiert, dass am kommenden Freitag eine Sitzung der Stadträte stattfinden sollte. Und genau aus diesem Grund beschloss er hinzugehen. In dieser Stadt würde nichts ohne sein Wissen geschehen!

Colbys Schwester Deidre Littman, die von allen nur Dizzy genannt wurde, war ebenfalls Mitglied im Stadtrat. Mit ihr hatte er in einem fort Meinungsverschiedenheiten. Obwohl er schon dreißig Jahre alt war, behandelte ihn Dizzy immer noch wie einen kleinen Jungen.

Zurzeit wurde im Stadtrat darüber diskutiert, ob neue Spielgeräte für den Kinderspielplatz im Park angeschafft werden sollten oder aber für den Pausenhof der Schule, wo Dizzy Schulleiterin war. Colby war für den Stadtpark und beschuldigte Dizzy, nur ihre eigenen Interessen im Sinn zu haben.

Es war nicht viel los, als der Polizeichef in seiner dunkelblauen Uniform den Park durchquerte. Nur ein paar Radfahrer waren unterwegs, und eine Gruppe Jugendlicher spielte Basketball.

Als er am Spielplatz vorbei kam, blieb er stehen. Der Anblick der ausgedienten, verrosteten Schaukel weckte alte Erinnerungen in ihm, und er war umso entschlossener, seine Ziele durchzusetzen.

Die Versammlungen des Stadtrats fanden wie immer in einem Nebenraum der St. Bartholomew’s Church statt. Aus den offen stehenden Fenstern drang lautes Stimmengewirr. Es schien eine Menge Leute gekommen zu sein.

Colby betrat die Kirche durch den Hintereingang. Dass Dizzy ihn absichtlich nicht über das Treffen informiert hatte, war ziemlich hinterhältig von ihr gewesen. Sie hatte offenbar die halbe Stadt hier zusammengetrommelt, um möglichst viele Stimmen für ihr Projekt zu bekommen. Das war die reinste Verschwörung!

Leise öffnete er die Tür zum Versammlungsraum. Gerade stand Bürgermeister Seth Husman am Rednerpult, wie immer in makellosem Outfit, mit Anzug und Krawatte, die Haare fein säuberlich gescheitelt. Colby und Husman hatten sich noch nie leiden können. Schon zu Schulzeiten waren sie erbitterte Rivalen gewesen.

Mit steigendem Alter jedoch sah Colby die Dinge etwas lockerer, und er amüsierte sich immer häufiger über den verwöhnten Jungen aus gutem Hause.

„Abschließend möchte ich euch allen danken“, sagte Seth gerade, „dass ihr eure Häuserfassaden so schön geschmückt habt. Und nun übergebe ich das Wort an …“ In diesem Moment erblickte er Colby und schenkte ihm ein boshaftes Grinsen. „… übergebe ich das Wort an die Präsidentin der Handelskammer, Jessie Miller, die mit der unschätzbaren Hilfe von Deidre Littman dies alles erst ermöglicht hat.“

Was geht hier vor?, fragte sich Colby.

Jetzt trat Jessie ans Mikrofon. „Danke, Herr Bürgermeister.“ Sie studierte ihre Notizen. „Morgen kommt die Leiterin der Produktionsfirma und macht sich ein erstes Bild von unserer Stadt. Wir werden sie mit gebührenden Ehren empfangen und sie sogleich von der angenehmen, ruhigen Atmosphäre unserer Stadt überzeugen.“ Jessie verzog das Gesicht. „Das Einzige, was mir Sorgen macht, sind die Wohnwagen am Rande der Stadt. Dort hausen ein paar ehemalige Knastbrüder und machen einen Haufen Dreck und Lärm, das wirft kein gutes Bild auf Sugartown. Aber unser Polizeichef Colby scheint die Jungs so gut im Griff zu haben, dass er dort für Ordnung sorgen kann.“

Energisch schritt Colby über den Mittelgang nach vorne. „Dürfte ich vielleicht einmal erfahren, was hier vorgeht?“

Jessie räusperte sich verlegen. „Vielleicht sollte Dizzy das übernehmen.“

Mit einem süffisanten Schmunzeln übernahm die Angesprochene das Mikrofon. „Mit dem größten Vergnügen. Also, eine Filmproduktionsfirma namens Reality Flicks kommt zu uns und dreht einen Dokumentarfilm über das Leben in einer Kleinstadt. Der Film ist Teil eines Wettbewerbs mit dem Titel „Wählen Sie die schönste Kleinstadt!“ Es wurden vier Städte aus den verschiedensten Gegenden ausgewählt. Über jede wird ein Film gedreht, der dann im Fernsehen gezeigt wird, und die Zuschauer stimmen anschließend ab, wer den Wettbewerb gewinnt.“

Wutentbrannt sprang Colby auf die Bühne und riss das Mikrofon an sich. „Darf ich euch alle daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit viele von euch auf den Betrüger Vincent Plant hereingefallen sind? Er wollte eine spezielle Apfelsinensorte anbauen. Angeblich sollte sie Antitoxine enthalten, die gut für Krebspatienten sein sollten. Er hat eure Gutgläubigkeit schamlos ausgenutzt und euch das Geld aus der Tasche gezogen, anschließend ist er auf und davon.“

Der damalige Polizeichef Rodale hatte versucht, die Geschichte geheim zu halten, doch Colby hatte davon erfahren, weil seine verstorbene Frau Diana ebenfalls dem Betrüger auf den Leim gegangen war. Jung und unerfahren hatte sie ihre Ersparnisse in das vermeintlich aussichtsreiche Projekt investiert.

Jetzt ergriff Dizzy wieder das Wort. „Aber diesmal steckt kein Betrüger dahinter. Ich habe selbst mit Tina Mills gesprochen und Nachforschungen über Reality Flicks angestellt. Es ist alles in Ordnung.“

Skeptisch blickte er sie an. „Selbst wenn es so wäre, was haben wir davon?“

„Der Gewinnerstadt winken hunderttausend Dollar!“

Tosender Applaus brach los, und Colby musste warten, bis sich das Publikum wieder beruhigt hatte. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir gewinnen, ist nicht sehr groß. Wir geben dennoch unsere Privatsphäre auf, und unsere idyllische Kleinstadt steht plötzlich im Rampenlicht.“

„Die meisten von uns stört das nicht. Im Gegenteil. Es wäre gut, wenn mehr Touristen kommen würden.“

„Warum sollte das gut sein?“

„Die Leute geben Geld aus. Unsere Geschäfte profitieren davon.“

„Also geht es euch nur ums Geld.“

Dizzy biss sich auf die Lippen und funkelte ihn böse an. „Das ist der Grund, warum dir niemand davon erzählt hat! Wir wussten genau, dass du dagegen sein würdest. Wenn du schon nicht dafür bist, dann halt dich wenigstens heraus.“

„Aha, aber um die Knastbrüder in den Wohnwagen darf ich mich kümmern, ja?“

„Na ja, schließlich ist es deine Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen“, sagte sie etwas kleinlaut. „Die Filmcrew wird im Hotel Beaumont logieren. Du könntest allen einen Gefallen tun, wenn du öfter mal nachts eine Zivilstreife dort vorbeischickst. Nur um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist.“

Tina besaß kein eigenes Auto und überlegte, wie sie nach Sugartown kommen könnte. Wenn sie den Wagen ihrer Mutter nehmen würde, könnte vielleicht jemand anhand des Kennzeichens herausfinden, wem das Auto wirklich gehörte, und ihre wahre Identität würde auffliegen. Sie entschied sich für einen Mietwagen.

Ihr erster Eindruck von dem schmucken Städtchen war durchaus positiv. Stattliche Häuser säumten die Straßen, die Grünflächen waren gut gepflegt, alles schien seine Ordnung zu haben.

Bestimmt aber gab es irgendwo hinter diesen hübschen Fassaden auch dunkle Geheimnisse. Tina würde sie schon aufdecken, schließlich war das ihr Job als Dokumentarfilmerin.

Das Rathaus der Stadt lag direkt an der Hauptstraße. Obwohl Samstag war, gingen Leute ein und aus. Tina parkte ihren Wagen, stieg aus und zupfte ihr Kleid zurecht.

Kaum hatte sie die Stufen zum Rathaus erreicht, öffnete sich die schwere Eingangstür. „Herzlich willkommen, ich bin Seth Husman, der Bürgermeister.“

Tina schenkte dem großen Herren im tadellosen blauen Anzug und den polierten Schuhen ein Lächeln. Offenbar war er sehr stolz darauf, Bürgermeister zu sein. Sie reichte ihm die Hand. „Ich bin Tina Mills, guten Tag.“

„Ich freue mich, dass Sie hier sind, kommen Sie herein.“

Im Inneren des Gebäudes war es angenehm kühl. Husman führte sie über einen langen Korridor. Wenn er ihr Ansprechpartner bei den Filmaufnahmen war, würde sie leichtes Spiel haben, dachte Tina.

„Nennen Sie mich Seth. Mein Büro liegt ein Stockwerk höher, es ist das größte Zimmer.“ Sie gingen eine Treppe hinauf und blieben vor einer schweren Eichentür stehen. Husman ließ ihr den Vortritt.

Im Vorzimmer saß eine junge Frau um die zwanzig, die sofort aufsprang, als Husman eintrat. „Ach, Herr Bürgermeister, Sie sind schon da, ich …“

„Nicht jetzt, Lindsay.“ Seth öffnete die Tür zu seinem Büro und führte Tina hinein. „Machen Sie es sich bequem“, bat er.

Plötzlich blieb er wie erstarrt stehen. In seinem riesigen Ledersessel saß ein Mann in Polizeiuniform. Die Beine hatte er lässig auf den wertvollen Mahagonischreibtisch gelegt.

„Danke, ich habe es mir bereits bequem gemacht“, meinte der Mann mit einem Grinsen.

„Nimm sofort deine Beine herunter!“, fauchte Seth ihn an. „Der Tisch ist eine Antiquität.“

„Zumindest hat das der Verkäufer der Internetauktion behauptet“, erwiderte der ungebetene Gast mit einem boshaften Lächeln. Dann schwang er die Beine vom Tisch und stand auf. „Hallo, ich bin Colby Evans“, begrüßte er Tina.

Sein fester Händedruck gefiel ihr, außerdem hatte er wunderschöne braune Augen. Sie würde sich nicht dagegen wehren, sollte sie im Laufe der Filmaufnahmen mehr mit ihm zu tun haben. Colby Evans war ein ausnehmend gut aussehender Mann, und er hatte eine starke erotische Ausstrahlung.

Seth drängte sich zwischen die beiden. „Sie werden im Hotel Beaumont übernachten. Wenn Sie möchten, kann ich Sie gleich hinbringen.“

„Setzen Sie sich, Miss Mills“, unterbrach ihn Colby. Er hielt die Dreherlaubnis in der Hand, die für die Filmaufnahmen notwendig war.

„Nennen Sie mich Tina.“

„Du kannst dich auch setzen, Seth“, meinte Colby mit einer großzügigen Geste. „Nun, Tina, ihr Wettbewerb ist eine interessante Idee.“ Seinem Tonfall konnte man entnehmen, dass er exakt gegenteiliger Ansicht war.

„Im Fernsehen kommt so viel Unsinn. Wir dachten, es sei an der Zeit, den Leuten zu zeigen, dass es das gute alte Amerika noch gibt.“

„Sie meinen, Sie wollen einmal über etwas anderes berichten, als über Verbrechen, Korruption und Armut?“

Tina überging die Bemerkung. „Das Thema mag ein wenig leichter sein als unsere sonstigen Produktionen …“

„Ich habe allerdings Bedenken, dass Sie unsere Stadt in schlechtem Licht darstellen könnten“, fuhr der Polizeichef fort.

„Ach hör doch auf, Evans!“, sagte Seth in blasiertem Tonfall. „Gestern noch hast du dich darüber aufgeregt, dass der Beitrag womöglich haufenweise Touristen anlocken könnte. Was willst du eigentlich?“

Colby warf dem Bürgermeister einen verächtlichen Blick zu. „Ich habe meine eigenen Erkundigungen über Reality Flicks eingeholt. Wie es scheint, gehen Sie für eine gute Story über Leichen.“

Empört rief Tina: „Das tun wir nicht! Unser Ziel ist es, Missstände aufzudecken und damit einen Beitrag zu ihrer Behebung zu leisten.“

„Haben Sie denn schon einen Sponsor für den Wettbewerb?“

„Ja, der Sender LifeSource unterstützt uns. Es gibt die Wettbewerbsbedingungen vor und stellt das Preisgeld.“

„Welche anderen Städte wurden ausgewählt?“

„Es sind Städte aus den Bundesstaaten Washington, Kalifornien und South Carolina.“

„Gibt es bereits Filmmaterial aus den anderen Städten?“

„Nein, Ihre Stadt ist die erste, über die wir berichten werden. Sie werden mich also die nächste Zeit ertragen müssen.“

„Du wirst damit überhaupt nichts zu tun haben, Colby“, ergänzte Seth schnell. „Ich persönlich werde mich um alles kümmern. Das habe ich mit Dizzy abgesprochen.“

Colby stand auf und winkte mit der Dreherlaubnis. „Lassen Sie uns draußen weiterreden, Tina.“

„Hören Sie nicht auf ihn.“ Seth ließ sich von Colby die Genehmigung reichen und gab sie Tina. „Sagen Sie ihm einfach, er soll verschwinden.“

Das hätte sie liebend gerne getan. Colby Evans ging ihr nämlich gewaltig auf die Nerven. Doch sie konnte nicht riskieren, sich gleich von Anfang an den Polizeichef zum Feind zu machen. Sie verstaute die wertvolle Dreherlaubnis in ihrer Handtasche und stand auf. „Okay, Sherlock Holmes, gehen wir hinaus.“

Draußen auf der Straße lehnte sie sich mit verschränkten Armen gegen ihren Mietwagen und blickte ihn herausfordernd an. „Also, was gibt’s?“

Ein paar Fußgänger waren unterwegs, und da Colby nicht wollte, dass jeder hörte, was er zu sagen hatte, sprach er leise. „Ich dachte, es wäre besser für Sie, wenn wir gewisse Dinge ohne den Bürgermeister besprechen.“

„Weshalb?“

„Weil ich über Sie Bescheid weiß.“

Erschrocken zuckte sie zusammen. „Worüber wissen Sie Bescheid?“

Colby zog einen Zettel aus seiner Jacke und machte seelenruhig ein paar Notizen, ohne auf ihre Frage zu antworten. Weshalb spannte er sie so auf die Folter? Angespannt blickte sie auf ihre Armbanduhr. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu antworten?“

„Ich habe gelesen, was Sie in Chicago getrieben haben.“

Verwirrt starrte sie ihn an. „Was habe ich denn getrieben?“

„Spielen Sie nicht die Unschuldige. Sie sind in einem verruchten Nachtclub aufgetreten und haben dort in einem Käfig getanzt.“ Flüsternd fügte er hinzu: „In einem durchsichtigen Negligé!“

War das etwa alles? Mit einem süßlichen Lächeln antwortete sie: „Ja, und manchmal trug ich einen Netzanzug und hatte nichts darunter an. Sie haben mich ‚Catwoman‘ genannt. Finden Sie es nicht lächerlich, eine so große Sache daraus zu machen?“

„Nein, finde ich nicht. Warum hätten Sie es sonst verheimlichen sollen?“

„Hören Sie, das war reine Recherchearbeit. Hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, dass ich mir während der Auftritte überlegt habe, was ich am nächsten Tag alles einkaufen muss?“, fragte sie mit einem schiefen Lächeln.

„Machen Sie sich nicht über mich lustig!“

„Tut mir leid, das war nicht meine Absicht. Ich möchte nur, dass Sie die Sache etwas lockerer sehen.“

„Ich glaube, Sie haben hier alle ein wenig überrumpelt mit ihrem Wettbewerb. Ich hätte nie gedacht, dass Dizzy so unüberlegt zusagen würde.“

„Wer ist eigentlich diese Dizzy? Der Bürgermeister hat sie auch schon erwähnt.“

„Sie ist meine Schwester.“

Tina schmunzelte. „Dizzy ist also für die Filmaufnahmen, und Sie sind dagegen. Es geht Ihnen also offensichtlich darum, sich gegen Ihre Schwester durchzusetzen.“

„Nein, das ist es nicht. Vor einiger Zeit war ein Betrüger in der Stadt, und ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Das werde ich zu verhindern wissen!“

„Ah, die Geschichte mit dem Fruchtsaft-Gauner.“

„Genau.“

„Ich glaube, sie überschätzen meine Macht. Ich bin nichts weiter als eine kleine Dokumentarfilmerin, die, wenn es sein muss, auch einmal im Netzanzug auftritt.“

„Können Sie mir wenigstens sagen, wie das Konzept für Ihren Film aussieht?“

„Es gibt kein Konzept. Wie der Film letztendlich aussehen wird, hängt allein von den Menschen und den Gegebenheiten hier ab.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie haben alles in der Hand und können den Inhalt lenken, wohin Sie wollen. Deshalb räume ich mir das Recht ein, die Aufnahmen jederzeit abzubrechen, wenn ich das für richtig halte.“

„Nein, dieses Recht haben Sie nicht! Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Gesetz eingehalten wird, mehr nicht.“

„Jedenfalls werde ich Sie und ihre Crew im Auge behalten.“ Er steckte den Zettel, auf dem er die ganze Zeit herumgekritzelt hatte, unter den Scheibenwischer. „Auf dem Zettel steht meine Telefonnummer. Sie können mich jederzeit erreichen, wenn etwas sein sollte.“ Mit einem kurzen Nicken verabschiedete er sich und ging.

Neugierig griff Tina nach dem Stück Papier. Es war ein Strafzettel über fünfzig Dollar wegen Falschparkens.

Bürgermeister Husman bestand darauf, Tina in ihrem Mietwagen zum Hotel Beaumont zu begleiten. Sie fand das ein wenig aufdringlich, aber immerhin hatte er den Strafzettel zurückgezogen.

„Kümmern Sie sich nicht um unseren Polizeichef“, riet er ihr.

Das war leichter gesagt als getan. Colby Evans’ entwaffnendes Lächeln ging ihr nicht aus dem Kopf. Oder waren es seine betörend braunen Augen?

„Er hat kein Recht, Sie bei den Dreharbeiten zu behindern.“

„Schon gut. Er macht eben seine Arbeit, wie er es für richtig hält.“

„Das mit dem Strafzettel wird jedenfalls noch Konsequenzen für ihn haben.“

„Aber ich hatte doch falsch geparkt!“

„Nur eine Hälfte Ihres Autos stand im Halteverbot, und er hat ihn nur aus Boshaftigkeit ausgestellt.“

„Egal, Sie haben den Strafzettel ja zerrissen.“

Er holte die Papierschnipsel aus seiner Jackentasche. „Ich werde ihn wieder zusammenkleben, als Beweismittel.“ Tina hatte den Eindruck, dass der Bürgermeister absichtlich Streit mit dem Polizeichef suchte. Das konnte sie nun gar nicht gebrauchen.

„Es wäre mir lieber, Sie würden es auf sich beruhen lassen.“

„Mal sehen. Hier müssen Sie links abbiegen“, wies er sie an und legte dabei seine Hand wie beiläufig auf ihren Arm. „Gleich sind wir da.“

Das Hotel sah immer noch so aus wie auf dem Foto, wirkte jedoch in natura viel imposanter. Mit den vielen Türmchen, den bunten Glasscheiben und den riesigen Steinsäulen vor dem Portal war es eine echte Sehenswürdigkeit.

Immer wieder trat ihr das Bild ihres Vaters vor Augen, wie er hier, weit weg von Zuhause, eine Art Doppelleben geführt hatte.

Ach Dad, wie konntest du nur!

Sie fuhr zum Parkplatz auf der Rückseite des Gebäudes und stellte den Wagen ab. Seth nahm ihren schweren Koffer, und sie gingen gemeinsam zum Eingang.

Das Foyer hatte eine herrschaftliche Ausstrahlung. Tinas Blick fiel sofort auf die großzügige Empfangstheke aus poliertem Nussbaumholz und die weitläufige, geschwungene Treppe. Alles war geschmackvoll dekoriert, und an den Fenstern standen prächtige Farne und bunte Azaleen. Eine Frau war gerade mit Hingabe dabei, die Blumen zu gießen.

„Guten Tag!“, rief Husman mit Übereifer.

Die Frau erschrak und kippte sich Blumenwasser über den Hosenanzug. „Ach, Seth, du bist es“, meinte sie lachend. Sie stellte die Gießkanne ab und trat auf die beiden zu. „Sie müssen Tina Mills sein“, sagte sie freudig und streckte ihre Hand aus. „Ich bin Lizbeth Beaumont, die Geschäftsführerin des Hotels. Es freut mich, dass Sie hier bei uns wohnen werden.“

„Sehr erfreut, Lizbeth.“ Interessiert betrachtete Tina die schlanke Frau mit den rotblonden Haaren. Wenn ihre Haare etwas kürzer wären, könnte sie gut eine der drei Frauen auf dem Foto sein. Es war also denkbar, dass diese Frau ihre Mutter war.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Lizbeth besorgt. „Sie sehen so blass aus.“

„Ich habe eine anstrengende Reise hinter mir“, antwortete Tina mit schwacher Stimme.

„Sie können gleich in Ihr Zimmer, ich trage nur noch schnell Ihre Daten ein.“ Eifrig lief sie zur Empfangstheke. „Sie werden sich wohlfühlen. In dieser Jahreszeit ist es ruhig hier.“

Als Tina ihr folgte, merkte sie, dass Seth ihr immer noch an den Fersen klebte. „Ich danke Ihnen, Seth, ich komme jetzt allein zurecht. Sie haben sicher zu tun“, sagte sie freundlich, aber bestimmt.

Er blickte auf seine Uhr. „Oh ja, ich habe ein Treffen mit dem Kreisverwalter. Auf Wiedersehen, Ladies.“

Als sich die schwere Portaltür hinter dem Bürgermeister geschlossen hatte, wandte sich Tina wieder Lizbeth zu, die ungeduldig auf einer Computertastatur herumhämmerte. „Wie ich diese Rechner hasse! Seths Mutter Brooke hat gemeint, wir müssten unbedingt einen anschaffen, unsere alte Methode mit dem Registrierbuch sei völlig überholt. Seitdem kämpfe ich mit diesem Ungetüm hier.“

Tina horchte auf. Wenn es die alten Registrierbücher noch gab, konnte sie vielleicht feststellen, wann ihr Vater hier gewesen war. „Ich nehme an, Sie bewahren die alten Bücher noch auf?“

„Natürlich, schließlich sind sie ein Teil der Geschichte dieses Hotels. Ich finde es sehr interessant, mehr über die Gäste zu erfahren, wahrscheinlich bin ich von Natur aus etwas neugierig. Aus diesem Grund finde ich Ihr Filmprojekt auch so reizvoll.“

Somit hätten wir schon etwas gemeinsam, dachte Tina bei sich.

Endlich reagierte der Drucker und spuckte ein Blatt Papier aus. Lizbeth reichte es Tina, zusammen mit einem Stift.

„Es tut mir leid“, murmelte Tina, während sie das Anmeldeformular überflog, „aber mein Autokennzeichen kenne ich nicht. Ich fahre einen Mietwagen.“

„Kein Problem, wir wissen ja, wer Sie sind, nicht wahr?“

Tina wandte den Blick ab und versuchte, ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Formular zu richten.

Da rückte Lizbeth näher, stützte sich auf die Theke und begann leutselig zu plaudern. „Das Hotel Beaumont ist so etwas wie das Herzstück der Stadt, obwohl manche behaupten, die St. Bartholomew’s Church sei das schönste Gebäude. Auch die Bibliothek ist wunderschön, aber das werden Sie ja alles noch sehen. Als ich noch klein war, wurde hier einmal ein Film mit Humphrey Bogart gedreht. Marilyn, meine Mutter, könnte Ihnen mehr darüber erzählen, wenn Sie wollen.“

„Ich würde sehr gern mit Ihrer Mutter sprechen. Ist sie auch im Hotel beschäftigt?“

„Nein, sie hat zwar ihrem Vater zuliebe lange hier gearbeitet, aber es hat ihr nie richtig Spaß gemacht.“

„Das mit dem Bogart-Film klingt jedenfalls gut“, meinte Tina mit übertriebenem Interesse. „Erzählt Ihre Mutter oft Anekdoten von früher?“

„Wenn sie einmal angefangen hat, ist sie kaum zu bremsen.“

„Ich würde sie gern einmal treffen. Wo kann ich sie denn erreichen?“

„Wir wohnen alle im Privatflügel des Hotels. Aber meine Mutter ist gerade in Clarksville und besucht dort Freunde. Sie kommt morgen wieder zurück.“

Tina konnte ihre Aufregung kaum verbergen. Genau das hatte sie gesucht: Eine gesprächige alte Dame, die schon lange Zeit hier wohnte und genau wusste, wer hier im Hotel aus und ein gegangen war.

„Ich weiß, es ist sehr kurzfristig, aber wäre es denn möglich, ein paar Frauen zu einem unverbindlichen Vorgespräch einzuladen? Nur um mir einen ersten Überblick zu verschaffen.“

Etwas unsicher meinte Lizbeth: „Ich glaube, der Stadtrat hat bereits ein Treffen für Sie arrangiert. Aber ich denke, Sie mit ein paar Freundinnen zusammenzubringen dürfte kein Problem sein. Ich kann das gern organisieren. Aber jetzt ruhen Sie sich erst einmal aus.“

Am liebsten hätte Tina gleich nach den alten Registrierbüchern gefragt, doch die mussten erst mal warten.

3. KAPITEL

„Du bist ja echt bescheuert.“

„Hey, Dizzy, reiß dich zusammen!“ Colby warf seiner Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Wie konntest du einem so wichtigen Gast einen Strafzettel verpassen?“, herrschte Dizzy ihn an. Mit dem zusammengeklebten Papier in der Hand saß sie auf dem Spielplatz auf einer Schaukel.

Nachdenklich musterte Colby den Zettel. „Man darf keine Strafzettel zerreißen, das ist gesetzeswidrig. Außerdem soll Seth aufhören, ständig Schlechtes über mich zu verbreiten.“

„Du weißt doch, er ist ein alter Griesgram. Doch das tut hier nichts zur Sache. Musstest du diese Filmproduzentin denn so unhöflich empfangen?“

„Ich gebe zu, das war ein Fehler“, sagte er ein wenig zerknirscht. „Aber sie war selbst schuld daran.“

„Ach herrje, so einen Unsinn höre ich in der Schule jeden Tag.“

Colby verzog das Gesicht und setzte sich auf die andere Schaukel. Hier auf dem Spielplatz, unter den alten Bäumen, fühlte er sich wohl. Als Kind waren er und seine Schwester oft hier gewesen, da ihre kränkliche Mutter zu Hause keinen Lärm ertrug. Wie oft hatte er hier vor sich hin geträumt!

„Ich habe den Eindruck, dir liegt immer noch sehr viel an dem Spielplatz“, fuhr Dizzy fort. „Wenn wir den Wettbewerb gewinnen, bekommst du deine neuen Spielgeräte.“

Nun versuchte sie es also mit Bestechung! „Ich habe Tina Mills bereits deutlich gesagt, was ich von dem Projekt halte.“

„Ach Colby, du bringst doch jede Frau zum Dahinschmelzen, wenn du nur deinen Charme spielen lässt. Warum musstest du dich ausgerechnet bei ihr so kratzbürstig zeigen?“

„Ehrlich gesagt hatte ich den Eindruck, sie war trotzdem von mir angetan“, sagte er mit einem Schmunzeln.

Dizzy versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß. „Ach ja?“

„Ich kann es nicht beschreiben, aber da war irgendetwas zwischen uns.“

„Du fantasierst, kleiner Bruder.“

Doch es war nicht zu bestreiten, dass zumindest Colby von Tina hingerissen war. Sie wirkte so stark und doch geheimnisvoll – ganz anders, als die Frauen hier in der Stadt. Und er war sich sicher, dass auch sie Gefallen an ihm gefunden hatte. Daran konnte gar kein Zweifel sein.

Trotzdem war er hin- und hergerissen. Er hatte sich ein paar Filme von Reality Flicks angesehen und war sehr beeindruckt von Tinas Arbeit. Sie hatte es geschafft, einen Nachtclubbesitzer aufzudecken, der seine weiblichen Angestellten wie Sklaven gehalten hatte. Zugleich aber war es durchwegs ein aggressiver und provokativer Journalismus, den sie betrieb. Warum sollte sie ihre Methoden hier in Sugartown ändern?

Hinzu kam ihre merkwürdige Reaktion, als er ihr gesagt hatte, er wüsste über alles Bescheid. Weshalb hatte sie mit sichtlicher Erleichterung reagiert, als er ihr dann die Auftritte im Club vorgehalten hatte? Hatte sie etwas zu verbergen?

„Hörst du mir eigentlich zu, Colby?“, fragte Dizzy ungeduldig.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Ehrlich gesagt, nein.“

„Lizbeth hat angerufen. Sie möchte morgen im Hotel einen Begrüßungsbrunch für Tina Mills veranstalten.“

„Wirklich?“

„Mach dir keine Hoffnungen, es sind nur Frauen eingeladen. Und ich rate dir überhaupt, Tina von jetzt an in Ruhe zu lassen.“

Es war ihm egal, was Dizzy sagte. Diese Frau hatte irgendetwas zu verbergen, und er würde es herausfinden.

„Wenn du dir nicht sicher bist, dann zieh etwas Schwarzes an“, war Emmys resolute Stimme durch Tinas Mobiltelefon zu vernehmen.

Es war noch zeitig am Morgen, und Tina ging unruhig in ihrem Hotelzimmer auf und ab. Mit den blassrosa Wänden, der Bettwäsche mit Blümchenmuster und dem gemütlichen Himmelbett strahlte das Zimmer eine angenehme, beruhigende Atmosphäre aus. Trotzdem war Tina ziemlich angespannt.

„Sie wissen hier Bescheid über meine Auftritte im Nachtclub. Das wirft kein gutes Licht auf uns.“

„Von wem weißt du es?“

„Von Colby Evans, dem Polizeichef. Er ist äußerst misstrauisch mir gegenüber.“

„Schaffst du es, ihn für dich zu gewinnen?“

„Ich weiß nicht …“ Tina lehnte sich gegen den Fensterrahmen und blickte hinaus auf den prachtvollen Vorplatz des Hotels. Ein alter Chevrolet fuhr die Auffahrt hoch, direkt zu den privaten Garagen. „… kann schon sein. Er sieht übrigens ziemlich gut aus.“

„Du solltest erst einmal sichergehen, dass er nicht dein Bruder ist.“

„Keine Angst, ich habe schon Erkundigungen über ihn eingeholt. Er ist exakt drei Monate älter als ich, das ist als Mutter schwer zu schaffen.“

Lachend meinte Emmy: „Es freut mich, dass du endlich wieder Interesse an Männern zeigst. Eine kleine Affäre könnte dir nicht schaden.“

„Ich kann so schnell keinem mehr vertrauen, nachdem ich von Dad so enttäuscht wurde.“

„Du sollst auch nur ein wenig Spaß haben. Ein kurzes Liebesabenteuer, mehr nicht.“

Tina beobachtete das Geschehen vor dem Haus. Eine ältere Frau in ausgewaschenen Jeans und buntem Poncho kam aus der Privatgarage und ging zum Hoteleingang. Dem Aussehen nach war sie über siebzig, obwohl sie für ihr Alter noch sehr fit zu sein schien. Wahrscheinlich war es Lizbeths Mutter, die gerade aus Clarksville zurückkam.

„Okay, tu nichts Unüberlegtes, bis ich da bin“, befahl Emmy.

„Du wirst auch dabei sein?“

„Auf jeden Fall. Und jetzt sein ein braves Mädchen und warte, bis ich komme.“

Nachdem das Gespräch beendet war, ging Tina ins Badezimmer und stellte fest, dass die Handtücher fehlten. Schnell warf sie sich etwas über, um nach einem Zimmermädchen zu suchen. Im Flur sah sie eine Frau, die auf allen vieren auf dem Boden herumrutschte und ihre verstreuten Habseligkeiten einsammelte. Als Tina sich näherte, schrie diese laut auf. „Himmel, haben Sie mich erschreckt!“

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Pst, nicht so laut. Die Henkel meiner Einkaufstasche sind gerissen. Ich muss die Sachen in mein Zimmer schaffen, bevor Beth sie sieht.“

Beth war offenbar der Kosename für Lizbeth. Tina musste schmunzeln. „Sie müssen ihre Mutter sein.“

„Sehr richtig. Ich bin Marilyn Beaumont, Mutter der strengsten Tochter in der ganzen Stadt. Würden Sie mir bitte helfen?“

Die Arme voll beladen, schlichen sie wie zwei Diebe in den Privattrakt des Hotels. Marilyn ließ alles auf ihr Bett fallen. „Wenn meine Tochter das sieht, wird sie zu Recht behaupten, ich hätte mein Budget diesmal reichlich überschritten.“

Tina legte die restlichen Tüten dazu. Auf dem Bett türmte sich ein Berg von Wollknäueln und Garnen in allen erdenklichen Farben.

„Ich brauche die Wolle“, erklärte Marilyn. „Beth allerdings meint, ich solle nicht so viel auf einmal kaufen. Womöglich sterbe ich, bevor ich alles verarbeiten kann.“ Die alte Dame setze die Brille auf und blickte ihren Gast eindringlich an. „Wem habe ich eigentlich die Hilfe zu verdanken?“

„Oh, ich habe vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Tina Mills.“

„Ah, die vom Film!“ Und mit einem anerkennenden Nicken fügte Marilyn hinzu: „Ein hübschen Netzanzug haben Sie da auf Ihrer Website an.“

Tina stieß einen Seufzer aus. „Dann haben Sie es also auch schon gesehen.“

„Süße, es ist keine Kunst, Ihre Homepage abzurufen. Ich habe übrigens auch meine eigene Website, ich verkaufe meine Ponchos über das Internet.“ Sie zog ihren farbenfrohen Überwurf aus und reichte ihn Tina.

„Nicht schlecht.“ Tina hielt das Kleidungsstück vor dem Spiegel an sich heran. „Ponchos sind ja gerade der große Renner.“

„Stimmt, aber wenn Sie in Ihrem Film etwas Werbung dafür machen, kann das sicher nicht schaden“, sagte die ältere Dame mit einem Lächeln.

„Mal sehen. Ich brauche jedenfalls erst einmal eine Dusche. Als ich Sie getroffen habe, war ich gerade auf der Suche nach Handtüchern.“

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo welche sind.“

Falls Lizbeth tatsächlich ihre Mutter sein sollte, wäre Marilyn ja ihre Großmutter, überlegte Tina. „In einer halben Stunde beginnt ein Brunch, den Lizbeth als Willkommensgruß für mich organisiert hat. Kommen Sie doch auch!“

„Nein, ich werde lieber ein Nickerchen machen. In meinem Alter ist das nicht mehr so einfach. Ich schlafe nachts sehr schlecht.“

„Dann komme ich später noch einmal zu Ihnen. Ich würde mich sehr gern länger mit Ihnen unterhalten.“

Marilyn drückte ihr zwei Handtücher in den Arm. „Machen Sie das, Liebes.“

Als Tina nach unten kam, hatten sich schon viele Frauen versammelt. Zwei Kellnerinnen boten Schnittchen und Getränke an. Tina überblickte die Menge und hoffte inständig, auch die beiden anderen Frauen, die auf dem alten Foto abgelichtet waren, erkennen zu können.

Lizbeth bat die Anwesenden um Ruhe. „Ich schlage vor, jede stellt sich kurz vor. Machst du bitte den Anfang?“ Sie wies auf eine Frau in grauer Freizeithose und weißer Bluse, die um die dreißig sein musste.

„Okay, ich bin Dizzy Littman, Leiterin des hiesigen Gymnasiums. Mein Mann John ist Elektriker, und wir haben zwei Kinder, die in die Realschule gehen. Ach ja, und Polizeichef Evans ist mein kleiner Bruder.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Er wird Sie übrigens nicht mehr belästigen.“

Als Nächstes war eine Rothaarige in weißer Uniform dran. „Ich bin Jessie Miller, die Präsidentin der Handelskammer. Wir haben bereits miteinander telefoniert. Leider muss ich gleich wieder los, die Arbeit ruft. Aber Sie können mich jederzeit kontaktieren, wenn Sie Fragen haben.“

„Ich bin Brooke Husman“, stellte sich anschließend eine schicke blonde Frau im Chanel-Kostüm vor. „Mein Sohn, der Bürgermeister, hat mir schon begeistert von Ihnen erzählt. Ich bin Herausgeberin der Lokalzeitung, und ich stehe Ihnen jederzeit gern zur Verfügung – genauso wie Seth.“

Es folgte der Auftritt einer stark geschminkten, hageren Frau, deren Alter schwer zu schätzen war. „Mein Name ist Violet Avery. Ich bin Bibliothekarin, Single aus Überzeugung, habe eine Katze namens Gus und züchte Bienen.“

„Kaitlyn Schuler“, melde sich eine junge, schwangere Frau zu Wort. „Eigentlich sollte meine Mom hier sein, aber wir haben einen Blumenladen, und sie konnte nicht weg …“

Zum Schluss war eine gut gelaunte, mollige Dame mit gesunder Gesichtsfarbe dran. „Ich bin Ginny Royal, ich betreibe zusammen mit meiner Familie ein Speiselokal am Ende der Hauptstraße. Das Restaurant Royal Diner gibt es schon seit fünfzig Jahren, und wir haben das beste Essen in der ganzen Stadt.“

„Danke, Ginny, deine Werbung hättest du dir sparen können“, meinte Lizbeth säuerlich.

Nach der Begrüßung mischte Tina sich unter die Frauen, um sich von jeder ein genaueres Bild zu machen. Außer bei Lizbeth konnte sie bei keiner der Anwesenden eine Ähnlichkeit mit den Frauen auf dem Foto ihres Vaters erkennen.

Schließlich bat Lizbeth die Gesellschaft, ihr ins Restaurant zu folgen. In dem Moment trat ein junger Angestellter zu ihr und flüsterte ihr etwas zu. Wie von der Tarantel gestochen lief die Hotelchefin ins Foyer. Tina folgte ihr. Als sie aus dem Fenster blickten, sahen sie, dass zahlreiche Autos die Hotelauffahrt blockierten und dass sich an die fünfzig Leute vor dem Hotel versammelt hatten, einige davon mit Pappschildern bewaffnet. Alle wollten zu Tina.

Entschlossen trat Lizbeth vor die Tür. „Verschwindet! Macht, dass ihr wegkommt!“

Doch das schien wenig Eindruck zu machen, niemand rührte sich vom Fleck.

„Vielleicht sollte ich mit ihnen sprechen“, schlug Tina vor.

„Das hat keinen Sinn“, zischte Lizbeth. „Die gehen nicht freiwillig. Eher zertrampeln sie noch meine Blumenbeete.“ Sie schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie. „Wir sollten besser die Polizei rufen.“

Colby griff nach seinem Handy und stöhnte, als er den Namen seiner Schwester auf dem Display las. „Hey, Dizzy“, meldete er sich.

„Wo bist du?“

„Zu Hause.“ Er unterbrach sich, denn um ein Haar hätte er ausgeplaudert, dass er soeben dabei war, die Hemden ihres Vaters zu bügeln. Ronny Evans arbeitete gelegentlich abends als Wachmann in einem großen Bürokomplex und brauchte dafür eine saubere Uniform.

„Es geht um den Willkommensbrunch …“

„Mach dir keine Sorgen, ich werde euer hübsches Kränzchen nicht stören.“

„Hör zu, vor dem Haus stehen ein paar Geisteskranke, die herumschreien und das Hotel stürmen wollen. Sie möchten alle zu Tina.“

„Habe ich dir nicht vorausgesagt, dass es Ärger geben wird?“

„Colby, wir brauchen deine Hilfe!“

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Tja, leider wurde mir verboten, mich in Tinas Nähe zu begeben. Zu blöd.“

„Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für deinen Zynismus.“

„Ein einfaches ‚Bitte‘ würde reichen, und ich komme sofort.“

„Komm schon, wer weiß, was die hier sonst anstellen.“

„Also gut, ich komme … unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“, fragte seine Schwester argwöhnisch.

„Du wäschst und bügelst zwei Monate lang Dads Uniform. Oder besser noch: drei Monate.“

„Ich habe geahnt, dass du das immer noch für ihn machst!“

„Und jetzt machst du es.“

„Wie soll er es jemals lernen, wenn du ihm immer alles abnimmst?“

„Er ist neunundfünfzig und wird das nicht mehr lernen. Und ich verdanke ihm meine Karriere.“

„Okay, okay. Und jetzt beeil dich.“

Mit Blaulicht und Sirene fuhr Colby die Hotelauffahrt hoch. Mühevoll schlängelte er sich mit dem Streifenwagen durch die kreuz und quer geparkten Autos. Vor der großen Treppe des Hotels blieb er stehen, packte das Megafon und stieg aus. Da er nicht die Zeit gehabt hatte, seine Uniform anzuziehen, stand er nun in Jeans und Sweatshirt vor der aufgebrachten Meute – nicht gerade Respekt einflößend.

Er stieg ein paar Stufen hoch und rief ins Megafon: „Was soll denn das hier? Werden in dieser Stadt Gäste so begrüßt?“ Die Menge reagierte mit aufgebrachtem Protestgeschrei.

„Soll ich euch einmal daran erinnern, wie kopflos und fanatisch ihr dem Fruchtsaft-Betrüger gefolgt seid?“

„Wir wollen Tina! Wir wollen Tina!“ Immer lauter wurden die Rufe.

„Wenn hier nicht sofort Ruhe herrscht, lasse ich euch alle unter Arrest stellen!“ Die Antwort war begeisterter Applaus.

Kein Wunder. Tina stand nämlich plötzlich neben ihm und nahm ihm das Megafon aus der Hand.

„Hallo zusammen, ich bin Tina Mills. Findet ihr nicht auch, dass der Polizeichef endlich mit der uralten Geschichte vom Fruchtsaft-Betrüger aufhören könnte?“

Die Menge brach in tosenden Applaus aus. Instinktiv legte Colby den Arm um Tina, um sie vor der wild gewordenen Menschenschar zu beschützen.

„Aber Mr. Evans hat recht“, fuhr sie fort. „Das ist nicht der richtige Weg, um in die Filmaufnahmen einbezogen zu werden. Ich werde keinen schreienden Mob filmen. Es gibt noch genügend Zeit, um jeden Einzelnen von euch persönlich kennenzulernen.“

„Wie?“ und „Wann?“ riefen die Leute.

Hilfe suchend schaute Tina den Polizeichef an. „Ich glaube, ich habe alles nur noch schlimmer gemacht“, wisperte sie.

„Ich mache euch einen Vorschlag“, rief Colby in die Menge. „Jeder von euch schreibt seinen Namen und seine Telefonnummer auf, zusammen mit ein paar Angaben über seine besonderen Fähigkeiten oder Leistungen, die für den Film interessant sein könnten. Die Zettel könnt ihr jederzeit hier im Hotel abgeben. Tina wird alles in Ruhe durchsehen und euch dann anrufen.“

Offenbar waren alle damit einverstanden, und langsam löste sich die Menge auf.

Zu seinem Erstaunen wurde Colby von Lizbeth eingeladen hineinzukommen und mit den anderen zusammen zu essen. Sie brachte ihm eine Flasche Bier und einen Teller „Omelett Beaumont“, das er so sehr liebte – mit extra viel Zwiebeln.

Doch noch vielmehr als das leckere Essen lockte ihn Tinas Anwesenheit. An diesem Tag trug sie eine beige Hüfthose und eine Leinenbluse, die ihren Körper umschmeichelte. Das Haar hatte sie mit einer Spange nach hinten gebunden. Sie sprach gerade mit Dizzy. Als er sich den beiden näherte, wurde Tina rot im Gesicht. Wahrscheinlich hatten sie gerade über ihn gesprochen.

„Ich habe Tina davon erzählt, wie du in deiner Anfangszeit als Polizist in deinem Übereifer so viele Strafzettel verteilt hast, dass man die ganze Stadt damit hätte pflastern können.“

„Vielen Dank auch, Dizzy!“ Colby warf Tina einen entschuldigenden Blick zu. Heute sah sie wesentlich frischer aus als gestern. Um ihren Hals hing ein goldenes Kettchen mit einem „T“ als Anhänger. Er fragte sich, ob ein Mann es ihr geschenkt hatte. Bestimmt gefielen ihr schicke reiche Großstadttypen, sinnierte er. Doch erneut spürte er ein seltsames Knistern zwischen ihnen.

„Gerade wollte ich Tina berichten, wie sehr du den Strafzettel von gestern bedauerst“, sagte Dizzy.

„Nicht nötig, das kann ich schon selbst übernehmen, wo du mich doch jetzt beauftragt hast, für ihre Sicherheit zu sorgen.“

„Ich habe was?“

„Es war sehr klug von dir, mich dafür einzusetzen.“ Ohne seine verblüffte Schwester weiter zu beachten, bot er Tina seinen Arm an. „Das Hotel hat einen wunderschönen Park hinter dem Haus. Den würde ich Ihnen gern einmal zeigen.“

Während sie zusammen den Raum verließen, meinte Tina: „Sie wurden also gebeten, sich von mir fernzuhalten, und jetzt hat man Sie doch wieder geholt.“

„So kann man es sagen.“ Er blieb stehen und sah ihr offen ins Gesicht. „Das mit dem Strafzettel tut mir leid. Übrigens lagen sie richtig, Dizzy und ich streiten uns oft darum, wer recht hat. Sie wollte unbedingt an dem Wettbewerb teilnehmen. Das Problem war, dass ich nicht darüber informiert worden bin, und das hasse ich!“

„Danke, dass Sie mich und Lizbeth vor der aufgeregten Menge beschützt haben. Aber ich hoffe doch, dass sie mich von nun an nicht ständig bewachen?“

„Ich befürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen, nach dem Vorfall von vorhin.“

„Hören Sie, ich brauche keinen Bodyguard, und schon gar nicht in einer friedlichen Kleinstadt wie dieser.“

„Man weiß nie!“

„Kann es etwa sein, dass es Ihnen vielmehr darum geht, die Stadt vor mir zu beschützen?“

Colby war hin- und hergerissen zwischen Misstrauen und wachsender Zuneigung Tina gegenüber. Mit Bestimmtheit erklärte er: „Wie dem auch sei, ich möchte weitere Vorfälle dieser Art vermeiden.“

„Oder ist es etwa so, dass Sie mich unbedingt bewachen wollen, weil Sie mich mögen?“

„Kann schon sein“, antwortete er mit einem schelmischen Lächeln.

Dann wandten sie sich dem herrlichen Park zu, der sich vor ihnen erstreckte. Es war ein wahres Paradies, mit zahlreichen Springbrunnen, verschlungenen Wegen und uralten Bäumen. „Sie haben recht, es ist wunderschön hier draußen.“

„Früher sind wir immer mit den Eltern hergekommen und haben ein Picknick gemacht. Wir Kinder konnten uns hier so richtig austoben.“

„Sie waren bestimmt ein süßer Junge, Colby“, sagte sie lächelnd, machte auf dem Absatz kehrt und ging ins Hotel zurück.

Tina warf einen Blick auf ihren Reisewecker. Es war kurz vor Mitternacht. Man hatte ihr gesagt, Marilyn Beaumont sei eine Nachtschwärmerin. Vielleicht würde sich auf diese Weise eine Gelegenheit finden, mit ihr allein zu sprechen. Tina hatte den Eindruck, sie könnte ihr einiges über die Frauen auf dem Foto sagen. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, das Foto möglichst unauffällig in die Unterhaltung einzubauen. Tina streifte einen Morgenmantel über und machte sich auf den Weg zu Marilyns Schlafzimmer.

Unter der Tür schien Licht hindurch, aber auf Tinas schwaches Klopfen meldete sich niemand. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Keine Marilyn. Vielleicht war sie unten.

Tina ging hinunter in die hell erleuchtete Hotelhalle. Ein Schild auf dem Empfangstresen verwies darauf, dass die Eingangstür zugesperrt war, aber mit dem Zimmerschlüssel geöffnet werden konnte.

„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönte Marilyns Stimme aus dem angrenzenden Fernsehzimmer. Sie saß in einem Schaukelstuhl und strickte. Die langen silbergrauen Haare, die sie tagsüber hochgesteckt hatte, fielen wallend auf ihre Schultern.

„Nein danke, ich kann nur nicht schlafen.“

Marilyn wies auf einen Polstersessel. „Setzen Sie sich, und genießen Sie mit mir die Ruhe, ohne die lästigen Gäste.“

„Eine Hotelbesitzerin, die ihre Gäste nicht leiden kann?“, fragte Tina lachend.

„Ach, die meisten von ihnen sind frustrierte Yuppies oder Familien mit ungezogenen Kindern. Ich bin froh, dass Beth sich schon als Kind für das Hotelgewerbe begeistert hat. Sie hat alles von ihrem Großvater gelernt. Ohne sie wären wir jämmerlich zugrunde gegangen, nachdem er gestorben war.“ Marilyn seufzte. „Eigentlich wäre es meine Aufgabe gewesen. Ich gebe zu, ich habe viele Fehler gemacht.“

Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Strickarbeit, ein weiß-braun gemustertes Dreieck. Offenbar sollte es ein weiterer Poncho werden.

„Aber meine Beth hat auch schon Fehler begangen. Einmal hätten wir dadurch beinahe das Hotel verloren.“

„Was ist geschehen?“

„Es ist schon ziemlich lang her. Beth hatte einen Mann geheiratet, der wesentlich älter war als sie. Sein Name war Arthur Porter, und er lebte noch nicht lange in der Stadt. Er war ein ziemlicher Angeber, kam immer mit Blumen an und Süßigkeiten und wollte ständig haarklein wissen, wie Lizbeths Tagesplan aussah. Er ließ sie kaum aus den Augen, und sie fühlte sich immer mehr eingeengt. Irgendwann hat er sie beschuldigt, sie habe eine Affäre mit einem Dauergast. Er ist dann ausgerastet und hat sie geschlagen.“

„Und hatte sie eine Affäre?“

„Ich wünschte es ihr, aber ich weiß es nicht.“

Autor

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