Bianca Extra Band 16

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IM STURM MEINER GEFÜHLE von WILKINS, GINA
Paul Drennan ist charmant, gut aussehend, sexy - und aus mehreren Gründen der absolut Falsche für Bonnie! Nach einer atemberaubenden Liebesnacht trifft sie eine Entscheidung: Sie kann und will ihm seine Freiheit nicht rauben, selbst wenn es ihr das Herz bricht …

NACHBAR, BESTER FREUND - UND MEHR? von TEMPLETON, KAREN
Er ist nur ein guter Freund! Das sagt sich die schwangere Laurel immer wieder - vergeblich … Kaum steht ihr wahnsinnig attraktiver, hilfsbereiter Nachbar Tyler Noble vor der Tür, spürt sie die Anziehung zwischen ihnen. Dabei hat Tyler klargestellt: "Kinder sind nichts für mich."

WAS DEIN BLICK VERRÄT von MYERS, HELEN R.
Erst zärtlich, dann widerspenstig: Mit ihrem Verhalten bringt Rylie den Anwalt Noah Prescott völlig aus dem Konzept. Doch auch wenn ihn ihr intensiver Blick im Innersten trifft, sollte er besser vorsichtig sein. Denn er hat sofort gemerkt, dass sie irgendetwas vor ihm verbirgt …

ZUM ERSTEN, ZUM ZWEITEN ... ZUM VERLIEBEN! von ROBARDS THOMPSON, NANCY
Er soll als Junggeselle versteigert werden?! Nur, um damit Spenden für die Kinderklinik zu sammeln, sagt Dr. Liam Thayer schließlich zu. Eine neue Liebe ist schließlich das Letzte, was der junge Witwer will. Aber warum sprühen dann die Funken bei seinem Date mit der schönen Kate?


  • Erscheinungstag 17.03.2015
  • Bandnummer 0016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732448
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gina Wilkins, Karen Templeton, Helen R. Myers, Nancy Robards

BIANCA EXTRA BAND 16

GINA WILKINS

Im Sturm meiner Gefühle

Paul Drennan ist hin- und hergerissen, als er die schöne Bonnie trifft. Soll er sich auf eine Beziehung mit ihr einlassen – ausgerechnet jetzt, wo er in Kürze frei sein wird von allen Verpflichtungen?

KAREN TEMPLETON

Nachbar, bester Freund – und mehr?

Gegen seinen Willen fährt Tylers Herz Achterbahn, sobald er in Laurels Nähe kommt. Aber solange er mit seiner Vergangenheit hadert, bleibt eine warmherzige, kluge Frau wie sie für ihn unerreichbar …

HELEN R. MYERS

Was dein Blick verrät

Der Anwalt Noah Prescott ist einfach umwerfend sexy! Doch die hübsche Rylie darf ihn nicht zu sehr an sich heranlassen. Denn wenn jemand wie er ihr Geheimnis entdeckt, steckt sie in Schwierigkeiten …

NANCY ROBARDS

Zum Ersten, zum Zweiten … zum Verlieben!

Auch wenn Kate sich immer mehr nach dem faszinierenden Witwer Liam Thayer verzehrt, sollte sie sich zurückhalten. So weh es tut, scheint es in seinem Herzen keinen Raum für eine neue Liebe zu geben …

1. KAPITEL

Auf dem Wochenmarkt herrschte an diesem warmen Dienstagvormittag im Juli reges Treiben. Bonnie Carmichael ließ sich nur zu gern vom Angebot an frischem Obst, Gemüse und duftenden Kräutern inspirieren. Sie liebte den Wochenmarkt mit seinen bunten Farben und verführerischen Gerüchen.

Samstags war die Auswahl an Ständen sogar noch größer, doch am Wochenende hatte Bonnie weniger Zeit, da sie mit ihren beiden älteren Geschwistern ein kleines Hotel führte, das Bride Mountain Inn. Die Küche war ihr Revier, also gehörte auch das Einkaufen zu ihren Aufgaben, und die meisten der Marktverkäufer kannten sie mittlerweile mit Namen.

Sie sprach gerade mit einem Biobauern und schnupperte genüsslich an einer Tomate, als jemand sie so hart anrempelte, dass sie die Frucht fallen ließ.

„Oh, das tut mir sehr leid, ich bin selbst geschubst worden“, sagte eine männliche Stimme weit über ihrem Kopf. „Alles in Ordnung?“

Bonnie blickte auf und wollte ihm versichern, dass ihr nichts passiert war. Doch als sie Paul Drennan erkannte, blieben ihr die Worte im Hals stecken.

Schon wieder er?

Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Paul zusammenstieß. Als sie ihn im Mai kennengelernt hatte, hatte sie eine große Schachtel metallener Flaschenkorken getragen und ihn einfach nicht gesehen. Er war mit seiner Tochter Cassie im Inn gewesen, die dort im August heiraten wollte. Bonnie war auf dem Hosenboden gelandet, und die Flaschenverschlüsse hatten sich mit lautem Getöse über den ganzen Fußboden verteilt – ein Moment, der ihr jetzt noch peinlich war.

Das zweite Mal, ein paar Wochen später, hatte Paul nicht aufgepasst und sie umgerannt. Es hätte sie also nicht überraschen sollen, dass auch ihre dritte Begegnung mit einem Zusammenstoß begann. Und dass sie sich auch beim dritten Mal unwillkürlich zu ihm hingezogen fühlte. Schon bei der ersten Begegnung, als sie vom Boden aus zerknirscht zu ihm aufgeschaut hatte, war bei ihr der Blitz eingeschlagen. Und sie hatte kribbelnde Funken gespürt, als er ihr die Hand hinstreckte und ihr aufhalf. Jetzt war es wieder so: Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn so unvermittelt vor sich stehen sah.

Paul hatte dichtes, dunkelbraunes Haar mit ein paar grauen Fäden an den Schläfen und jadegrüne Augen, die amüsiert funkelten.

„Wenn das so weitergeht, werden Sie bald Polizeischutz beantragen“, sagte er mit dieser tiefen Stimme, die ihr immer einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. „Aber ich schwöre Ihnen, ich mache das nicht absichtlich.“

„Ich glaube Ihnen“, erwiderte sie lachend. „Aber lustig ist es schon, oder?“

Paul nahm die Serviette, die der Biobauer ihm reichte, und hob die zermatschte Tomate auf. „Die bezahle ich natürlich“, erklärte er, woraufhin der Verkäufer abwinkte.

Bonnie ließ sich ein Kilo Tomaten der mehrfarbig gestreiften Sorte einpacken und zahlte. Sie hatte schon mehrere Tüten am Arm, und Paul streckte schnell die Hand nach der neuen aus. „Ich helfe Ihnen besser beim Tragen.“

Bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihr alle Tüten bis auf eine abgenommen. Sie lächelte zu ihm auf und musste dabei den Kopf ganz schön weit in den Nacken legen. Mit seinen eins neunzig überragte er sie um fast dreißig Zentimeter; noch dazu trug sie heute zu ihrem mintfarbenen Top und dem bunten Sommerrock flache Sandalen.

„Danke.“

„Immer gern. Wie läuft es im Bride Mountain Inn?“, fragte er, als er neben ihr zum nächsten Stand ging.

„Die letzten Wochen war ziemlich viel los. Juni und Juli sind beliebte Monate zum Heiraten.“

Das Inn war auf Hochzeitsfeiern spezialisiert und wurde dafür gern gebucht.

„Und es ist gut, wenn es viele Hochzeiten gibt, oder?“, hakte er nach, während sie sich verschiedene Kürbisse ansah.

„Aber ja.“ Sie suchte sich einen der orangeroten Hokkaido-Kürbisse aus und ließ ihn sich einpacken.

„Die sehen lecker aus. Ich weiß leider überhaupt nicht, wie man sie zubereitet“, bemerkte er.

„Oh, das ist ganz leicht. Man kann fast alles mit ihnen machen – überbacken, grillen, kochen …“

Sie wusste nicht, ob sich Paul überhaupt fürs Kochen interessierte, doch er nickte aufmerksam. „Ich mag sie in jeder Form, ich kann sie nur nicht zubereiten. Würden Sie einen für mich aussuchen? Dann schaue ich mal im Internet nach einem Rezept.“

„Natürlich.“ Sie erklärte ihm fachmännisch, worauf er beim Kauf achten sollte, als wäre er irgendjemand, der sie um Hilfe gebeten hatte, und nicht der Mann, der ihr bei jeder Begegnung Herzklopfen bescherte.

Paul bezahlte und packte den Kürbis in seine Einkaufstasche, an der noch ein Preisschild hing.

Er lachte, als er ihren Blick bemerkte. „Wie Sie sehen, bin ich zum ersten Mal auf dem Wochenmarkt. Meine Tochter hält mir ständig vor, ich würde mich nicht gesund genug ernähren, und da dachte ich, hier bekomme ich was Frisches. Sonst mache ich mir nämlich immer nur Tiefkühlgemüse in der Mikrowelle warm und brate mir ein Stück Fleisch dazu. Oder ich hole mir was vom Chinesen. Aber Cassie wohnt bis zur Hochzeit bei mir, deshalb versuche ich, was Gesundes zu kochen.“

„Mein Bruder ist auch so. Wenn ich ihm nichts koche, lebt er von Spaghetti oder Kartoffeln aus der Mikrowelle.“

Pauls Lächeln war umwerfend. „Ja, das gehört auch zu meinem Standard-Repertoire.“

Hinter ihr räusperte sich jemand laut, und Bonnie wurde bewusst, dass sie den Zugang zum Kürbisstand versperrte. Mit einer schnellen Entschuldigung ging sie weiter.

Paul deutete auf ein kleines Café am Marktplatz, wo unter bunten Sonnenschirmen Bistrotische standen. „Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen? Oder haben Sie es eilig?“

Bonnie zögerte nur kurz. Er hatte ihr die Möglichkeit geliefert, Nein zu sagen, aber tatsächlich wurde sie im Moment nicht so dringend im Hotel gebraucht. Dienstags war immer wenig los, was Bonnie in den hektischen Sommermonaten eine willkommene Verschnaufpause bot. Da sie als einzige der drei Geschwister direkt im Hotel wohnte, hatte sie manchmal das Gefühl, vierundzwanzig Stunden am Tag im Dienst zu sein. Deshalb hatte sie vor Kurzem beschlossen, sich öfter mal eine Auszeit zu gönnen. Ein freundlicher Kaffee mit einem Kunden war sicherlich noch kein großer Schritt in diese Richtung, aber immerhin ein kleiner Anfang. Dass dieser spezielle Kunde auch noch so unglaublich attraktiv war, erhöhte natürlich den Reiz.

„Nein, ich habe es nicht eilig“, erwiderte sie. „Kaffee klingt gut. Lassen Sie mich nur die Tüten ins Auto bringen.“

Er trug ihr die Einkäufe zum Parkplatz und half ihr, sie in ihren Wagen zu laden. Dann gingen sie in das Café, wo gerade draußen ein Tisch frei wurde. Bonnie setzte sich schon mal, während er drinnen die Bestellung aufgab und kurz darauf mit einem Kaffee und einem Muffin für sich und einem Eiskaffee für Bonnie zurückkam.

„Es ist ein Vollkornmuffin mit Beeren“, sagte er. „Das ist doch gesund, oder?“

Da der Mann kein Gramm Fett zu viel am Leibe hatte – was ihr bei den ersten beiden Begegnungen auch schon aufgefallen war –, lächelte sie nachsichtig.

„Ja, ja, reden Sie sich das nur ein.“

Lachend nahm er einen Bissen. „Ich werde es heute beim Abendessen wieder ausgleichen. Ich esse bei der Familie meiner Tochter. Holly – die Mutter meiner Tochter – kocht immer sehr gesund.“

Bonnie hatte Cassies Mutter, Holly Bauer, und ihren Mann Larry schon bei einem Besprechungstermin im Mai kennengelernt. Wenn sie sich richtig erinnerte, waren die beiden und ihre Tochter blendend mit Paul ausgekommen.

„Es ist schön, dass Sie sich so gut mit Ihrer Exfrau verstehen“, sagte sie. „Wir hatten auch schon Hochzeiten, wo Exehepartner sich geweigert haben, nebeneinander zu sitzen oder sich überhaupt zu begrüßen.“

„Holly und ich waren nie verheiratet“, gab Paul zu. „Ich war erst achtzehn und Holly siebzehn, als Cassie zur Welt kam. Die typische High-School-Liebe. Beim Abschlussball sind uns leider die Sicherungen durchgebrannt. Im ersten Jahr auf dem College haben wir dann festgestellt, dass wir doch kein Traumpaar sind, aber immerhin sind wir gute Freunde geblieben.“

„Verstehe.“ Sie hatte gedacht, Paul sähe für sein Alter ziemlich jung aus – schließlich hatte er eine einundzwanzigjährige Tochter –, doch nun stellte sich heraus, dass er viel jünger war als gedacht. Neununddreißig? Also nur elf Jahre älter als sie. „Und Holly ist trotz der frühen Schwangerschaft Anwältin geworden. Respekt.“

„Ja. Ihre Familie hat sie sehr unterstützt, und ich natürlich auch, aber Holly hat auch sehr hart gearbeitet, um das Studium zu schaffen und trotzdem für unser Kind da zu sein. Larry hat sie im Jurastudium kennengelernt, und sie haben geheiratet, als Cassie sechs war. Ein Jahr später haben sie Zwillinge bekommen.“

„Eine tolle Frau. Es ist schön, dass Sie um Cassies willen Freunde geblieben sind.“

„Oh, das war auch für mich gut. Holly und Larry waren so lieb, mich immer an ihrer Familie teilhaben zu lassen, sodass ich eine große Rolle in Cassies Leben spielen konnte. Und sogar die Zwillinge nennen mich Onkel Paul. Sie haben fast so viele Wochenenden mit mir verbracht wie Cassie. Larry ist ein großartiger Vater, aber er hat kein großes Interesse an Sport. Also war ich derjenige, der mit den Kindern Baseball gespielt hat oder reiten ging. Die meisten Menschen finden ein solches Arrangement seltsam, aber für uns hat es gut funktioniert.“

Bonnie fand es eher charmant. Allerdings fragte sie sich, wie andere Frauen in Pauls Leben darauf reagiert hatten, dass er ein so enges Verhältnis zur Mutter seiner Tochter hatte. Für einen Außenstehenden war es bestimmt nicht leicht, in dieser Familie einen Platz zu finden. Ob es eine Frau in Pauls Leben gab? Aber ihr fiel kein Weg ein, das unauffällig herauszufinden.

Sie hatte sich die letzten Jahre wirklich zu sehr mit dem Hotel beschäftigt. Vor drei Jahren hatten sie es von ihrem Großonkel geerbt und nach einem Jahr Renovierung feierlich wiedereröffnet. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, die ihr wenig Raum fürs Privatleben ließ. Offenbar hatte sie inzwischen völlig vergessen, wie man flirtete. Und dass sie übers Flirten hinausgekommen war, musste Ewigkeiten her sein.

Also war diese kleine spontane Kaffeepause eine gute Übung. Oder vielleicht sogar ein vielversprechender Anfang? Jedenfalls hatte sie nach ihren ersten beiden Begegnungen viel an Paul gedacht.

„Das hört sich an, als hätte es Cassie und den Zwillingen an nichts gefehlt“, nahm sie den Faden wieder auf. „Schön, wenn Kinder so aufwachsen können.“

Paul nickte. „Ja. Es war eine gute Zeit. Aber jetzt ändert sich vieles. Für Cassie genau wie für mich.“

Kopfschüttelnd biss er wieder in seinen Muffin. „Normalerweise erzähle ich nicht gleich jedem meine Lebensgeschichte bei einer Tasse Kaffee. Aber da Sie ja die Hochzeit ausrichten, hilft es Ihnen vielleicht zu wissen, dass diese Brauteltern ruhig nebeneinandersitzen können. Wir machen alles mit, was Cassie und die Hochzeitsplanerin sich ausdenken.“

Bonnie lachte. „Das ist gut zu wissen. Aber mit den Hochzeiten habe ich gar nichts zu tun. Dafür ist meine Schwester zuständig. Ich kümmere mich mehr um den regulären Hotelbetrieb – die Übernachtungsgäste, das Frühstücksbüffet, den Sonntagsbrunch und das Sonntagsdinner. Und mein Bruder pflegt das Haus und das Grundstück und beschafft, was immer die Bräute als Dekoration möchten.“

„Das haben Sie ja gut aufgeteilt.“

„Wir stehen uns als Geschwister sehr nahe und waren immer auf Gerechtigkeit bedacht. Da war es auch für das Hotel das Beste so.“ Sie wusste, dass Logan und Kinley dem aus vollem Herzen zustimmen würden.

Er lachte. „Ja, kann ich mir vorstellen.“

Zuerst hatten ihre Geschwister ein wenig gezögert, das alte Hotel zu übernehmen, zu renovieren und neu zu eröffnen, zumal es davor über achtzehn Jahre lang leer gestanden hatte. Ihr Großonkel Leo Finley hatte sein Bestes getan, das Haus zu erhalten, doch nach dem Tod seiner geliebten Frau war ihm einfach alles über den Kopf gewachsen. Da er wusste, dass es immer Bonnies Traum gewesen war, den Hotelbetrieb wieder aufzunehmen, hatte er das Haus zu gleichen Teilen ihr, ihrem Bruder und ihrer Schwester vermacht.

Bonnie hatte alles darangesetzt, Kinley und Logan davon zu überzeugen, das Erbstück wieder flottzumachen. Wenn sie sich etwas wirklich in den Kopf gesetzt hatte, gab sie niemals auf.

„Wir freuen uns sehr, dass Cassie sich unser Haus als Ort für ihre Feier ausgesucht hat“, sagte sie aufrichtig. „Ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun, um ihre Erwartungen zu erfüllen.“

„Das glaube ich Ihnen sofort. Cassie hatte auch gleich ein gutes Gefühl.“

„Das freut mich. Sie ist wirklich nett.“

Damit hatte sie offenbar Pauls Schwachstelle gefunden. Sein Lächeln vertiefte sich, und seine grünen Augen strahlten. „Ich bin natürlich voreingenommen, aber sie ist wirklich was Besonderes. Genauso klug wie ihre Mutter. Und talentiert. Sie studiert Modedesign und wurde gerade in ein Eliteprogramm in London aufgenommen.“

Dass ein Mann so von seiner Tochter schwärmte, gefiel Bonnie gut. Auf ihrer Liste der Eigenschaften ihres Traummannes stand „Familiensinn“ ganz oben. Sie hatte sich immer eine eigene Familie gewünscht, aber bevor sie sich wirklich auf jemanden einließ, wollte sie sich ganz sicher sein, dass er wirklich bereit dafür war. Nicht wie ihr eigener Vater, der Frau und Kinder verlassen hatte, als Bonnie vier war, um seinen Traum zu leben und durch die Weltgeschichte zu reisen.

„Offenbar sind Sie sehr stolz auf Ihre Tochter. Und Sie scheinen allen Grund dazu zu haben.“

Er lächelte ein wenig verlegen. „Ich weiß, ich gebe furchtbar an mit ihr. Und ich kann es kaum glauben, dass sie jetzt heiraten und dann nach England gehen wird. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn sie und Mike noch ein paar Jahre warten würden, aber davon will sie nichts hören. Dabei kommt es mir vor, als hätte ich sie erst gestern noch ins Bett gebracht und ihr ihr Lieblingsmärchen vorgelesen, nachdem ich ihr verbotenerweise Eiscreme zum Abendbrot serviert habe.“

„Und lassen Sie die Zwillinge auch verbotene Dinge essen?“

Er zwinkerte ihr zu. „Warum bin ich sonst wohl ihr Lieblingsonkel?“

Bonnie genoss das Gespräch sehr. In letzter Zeit war sie zu oft mit ihrem verschlossenen, ernsthaften älteren Bruder zusammen gewesen, und es machte Spaß, ganz ungezwungen mit jemandem zu plaudern. „Kommunikativ“ und „Sinn für Humor“ standen auf Platz zwei und drei ihrer Traummann-Liste.

„Wo wir gerade vom Essen sprechen …“ Sie blickte auf die Einkaufstüte zu seinen Füßen. Sollte sie den Vorschlag wirklich machen? „Ich weiß nicht, ob Sie Zeit und Interesse haben, aber ab nächster Woche gebe ich im Inn einen Kochkurs über regionale Küche. Wir treffen uns die nächsten drei Dienstage von sechs bis acht. Es geht um den richtigen Einkauf, professionellen Umgang mit Messern, Garmethoden und Haltbarmachung.“

Kinley hatte ihr erzählt, dass Paul Lehrer an einer High-School war. Deshalb hatte er wohl auch heute frei. Vielleicht suchte er ja noch nach einer anderen Ferienaktivität?

Paul hob die Augenbrauen. „Sie geben Kochunterricht?“

„Na ja, eine Frau, die bei mehreren Events bei uns war, hat mich dazu überredet, für sie und ihre Freundinnen einen Kurs zu halten. Es ist Platz für sechs Teilnehmer, aber eine ist abgesprungen, also wäre was frei.“

„Das klingt toll, und ich habe die nächsten Wochen auch nichts vor. Ich würde sehr gern kochen lernen. Und Cassie hätte bestimmt auch nichts dagegen.“

Dass er so schnell zusagte, überraschte Bonnie. Hatte er wirklich so großes Interesse daran? Oder wollte er einfach mehr Zeit mit ihr verbringen? Ein schmeichelhafter Gedanke.

Sie sagte ihm, was der Kurs kostete, und er nickte. „Ja, ich bin dabei.“

„Sie unterrichten an der High-School, oder?“

„Ja, ich bin Mathelehrer. Im Sommer leite ich ein paar Projekte, aber dienstagsabends habe ich frei. Muss ich mich noch irgendwo anmelden?“

„Nein, kommen Sie einfach nächsten Dienstag im Inn vorbei. Aber Vorsicht, ich bin keine ausgebildete Pädagogin, der Unterricht wird also ziemlich locker sein. Und Sie sind der einzige Mann in der Gruppe.“

Er lachte laut. „Damit komme ich schon klar.“

Sie gab ihm ihre Visitenkarte mit ihrer Handynummer – falls er vorher noch Fragen hatte, wie sie beiläufig erwähnte. Dann trank sie ihr Glas aus und schaute auf die Uhr. „Ich sollte jetzt besser aufbrechen, sonst wird mir das Gemüse im Auto welk. Vielen Dank für den Kaffee. Das war richtig schön.“

„Finde ich auch.“ Er stand gleichzeitig mit ihr auf. „Und ich freue mich auf Dienstag. Sie können mir bestimmt viel beibringen.“

Sein Unterton überraschte sie. Flirtete er etwa mit ihr? Aber wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Dennoch lächelte sie auf dem Heimweg vor sich hin. Sie freute sich schon jetzt auf den kommenden Dienstag.

Wahrscheinlich war sie zu jung für ihn. Paul kannte Bonnie Carmichaels genaues Alter nicht, aber sie sah nicht viel älter aus als seine Tochter. Für sie war er wahrscheinlich nur der Vater der Braut. Der sie außerdem ständig umrannte.

Der erste Zusammenstoß mit ihr hatte ihn doppelt überrascht, denn ihre Schönheit hatte ihm einen zusätzlichen Schlag versetzt. Diese riesigen blauen Augen mit den langen Wimpern, die perfekt geformte Nase und das herzförmige Gesicht, umrahmt von welligen blonden Haaren … Besonders groß war sie nicht, aber sie hatte wunderschöne Kurven. Sein erster Gedanke war einfach nur „wow“ gewesen.

Vielleicht war sie heute nur mit ihm Kaffee trinken gegangen, um ihn als Teilnehmer für ihren Kurs zu werben. Andererseits schien sie seine Gesellschaft genossen zu haben. Er hatte ziemlich viel über sich selbst geredet, fiel ihm etwas verspätet ein. Hoffentlich war sie von seiner Lebensgeschichte nicht allzu gelangweilt gewesen, denn er hätte sich gern noch einmal mit ihr verabredet.

Natürlich würde das dann kein Date sein. Eine feste Beziehung war momentan das Letzte, was er suchte. In ein paar Wochen heiratete seine Tochter, und dann war er ein freier Mann. Zum ersten Mal seit einundzwanzig Jahren kamen dann seine Wünsche an erster Stelle. Da würde er sich ganz bestimmt nicht mit einer festen Beziehung belasten – schon gar nicht mit einer Frau, die einen Ehemann suchte und Kinder wollte, wie das bei Frauen in Bonnies Alter oft der Fall war.

Allerdings schien Bonnies Hauptinteresse darin zu liegen, das Inn in die schwarzen Zahlen zu bringen – vielleicht bedeutete das ja, dass sie einem kleinen, unverbindlichen Abenteuer mit jemandem wie ihm nicht abgeneigt war?

Die Haustür öffnete und schloss sich, dann kam seine Tochter herein. Da ihr Verlobter bereits viel Zeit in London verbrachte, war Cassie vor zwei Wochen bei Paul eingezogen, als ihr Mietvertrag auslief. Er genoss es, noch einmal richtig viel Zeit mit ihr zu verbringen, bevor sie so weit wegzog.

„Hallo, Dad! Hast du schon was gegessen?“, fragte Cassie. „Ich habe Salat mitgebracht. Hey, ist das Gemüse, was du da in den Kühlschrank packst?“

„Ich war auf dem Wochenmarkt. Und gleich wirst du dich noch mehr wundern: Ich habe mich für einen Kochkurs mit regionalen Produkten angemeldet.“

Cassie schlug übertrieben überrascht die Hände vor den Mund. „Nein, was ist nur in dich gefahren?“

„Na ja, in ein paar Wochen bist du nicht mehr hier, um meine gesunde Ernährung zu überwachen, da muss ich das wohl selbst tun. Bonnie Carmichael gibt den Kurs im Bride Mountain Inn.“

„Hoffentlich hast du sie nicht wieder umgerannt.“

„Doch, ein bisschen“, gab er kleinlaut zu.

„Also ehrlich, Dad, das muss aufhören, sonst cancelt sie noch meine Feier.“

Obwohl er wusste, dass sie Witze machte, schüttelte er den Kopf. „Nein, da ist sie ganz Profi. Man merkt doch sofort, wie viel ihr das Hotel bedeutet.“

„Stimmt. Kinley ist auch sehr ehrgeizig, aber sie sieht das mehr als berufliche Herausforderung. Für Bonnie ist das Inn ihr Zuhause, ihr ganzes Herz hängt daran.“

Schon immer war Cassie bemerkenswert gut darin gewesen, Menschen einzuschätzen, und auch diesmal hatte sie recht. Er hatte Bonnies Augen leuchten gesehen, als sie über das Hotel sprach, in dem sie lebte und arbeitete.

Er selbst hatte sich nie irgendwo ganz heimisch gefühlt. Zuhause war in den letzten einundzwanzig Jahren immer der Ort gewesen, an dem sich seine Tochter befand. Jetzt, wo sie wegzog, musste er sich wohl endlich mal überlegen, wo er gerne sein wollte. Es gab ihm ein Gefühl von Freiheit, dass ihn nach August nichts mehr hier hielt und er in der Welt herumreisen konnte.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du wirklich einen Kochkurs machst“, bemerkte Cassie zwischen zwei Bissen Salat.

„Tja, Bonnie hat mich auch schon gewarnt, dass ich der einzige Mann sein werde – bei sechs Teilnehmern insgesamt.“

Seine Tochter grinste breit. „Oh, vielleicht lernst du dann ja jemanden Interessanten kennen. Single, nett und dann noch eine gute Köchin …“

Cassie versuchte schon seit ihrer Verlobung, ihn zu verkuppeln. Wahrscheinlich hatte sie Sorge, er würde einsam sein, wenn sie wegzog. Was bestimmt auch der Fall sein würde … zumindest anfangs. Aber er brauchte keine Hilfe, um eine Frau zu finden. Deshalb verriet er Cassie auch nicht, dass der interessanteste Teil des Kochkurses für ihn darin lag, dass Bonnie Carmichael ihn hielt.

„Ich wünsche es dir jedenfalls“, erwiderte Cassie plötzlich ernst. „Ich hatte solches Glück, so tolle Eltern zu haben, und es ist mir bewusst, dass ihr eure eigenen Interessen meinetwegen immer zurückgestellt habt. Ich hoffe, Mike und ich kriegen es mit unseren Kindern genauso gut hin wie ihr.“

Er räusperte sich verlegen. „Wenigstens macht ihr es in der richtigen Reihenfolge – erst heiraten und die berufliche Karriere vorbereiten, dann die Kinder.“

„Während du Windeln gewechselt hast, wenn deine Kommilitonen auf dem College auf Partys waren. Mom hat mir erzählt, dass du niemals ein Besuchswochenende abgesagt hast, selbst als du neben dem College noch gearbeitet hast. Und dass du immer zum Babysitten gekommen bist, wenn sie mal eine Pause brauchte. Außerdem hast du auf die Unterhaltszahlungen immer noch was draufgelegt, wenn du was übrig hattest.“

Sein Leben von der Teenagerzeit bis jetzt in so wenigen Sätzen zusammengefasst zu hören machte die Freiheit, die vor ihm lag, noch etwas reizvoller für ihn – auch wenn er sein altes Leben hin und wieder bestimmt vermissen würde.

„Auch, dass du dich mit Mom und Larry so gut verstanden hast … das war bestimmt nicht immer einfach. Aber ihr wart ein tolles Team.“

„Okay, ich will dir was sagen und dann bitte das Thema wechseln, bevor ich hier in völlig unmännliche Tränen ausbreche“, kündigte er an. „Ganz gleich, wie es dazu kam, du bist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Und das wusste ich, seit ich dich zum allerersten Mal gesehen habe, obwohl ich da ein verängstigter Teenager war. Ja, manchmal war es nicht leicht, aber ich würde alles noch einmal so machen. Ich liebe dich, und ich bin unglaublich stolz auf dich. Und jetzt der Themenwechsel, bitte.“

Cassie blinzelte ihre Tränen weg und lächelte ihn liebevoll an. „Na gut. Also, Bonnie Carmichael sieht wirklich gut aus, oder? Und irgendwie frage ich mich die ganze Zeit, ob es wohl daran liegt, dass du auf einmal unbedingt kochen lernen willst.“

Seine Tochter war wirklich eine brillante Beobachterin. Denn genau dasselbe hatte er sich auch schon gefragt.

2. KAPITEL

Es war Dienstag, fünf vor sechs, und Bonnie plauderte mit den fünf Frauen, die sich für ihren Kochkurs angemeldet hatten. Und bestimmt ließ sich hinter ihrem strahlenden Lächeln die Enttäuschung darüber verbergen, dass Paul Drennan nicht aufgetaucht war. Auf einem Tisch im sonnigen Speisesaal des Hotels hatte sie Getränke und kleine Snacks angerichtet. Wie auch der Rest des Hauses war der Speisesaal mit den antiken Möbeln und Dekorationen bestückt, die ihre Großmutter über die Jahre zusammengetragen hatte.

Kinley und Logan arbeiteten beide noch in anderen Berufen – Kinley war Maklerin und Logan Berater für Firmensoftware. Bonnies Leben jedoch drehte sich nur um das Hotel. Sie arbeitete sieben Tage die Woche hier und hatte in den letzten drei Jahren keinen richtigen Urlaub gemacht. Auch diesen Kochkurs sah sie als einen weiteren Teil ihrer Verantwortung als Gastgeberin, Chefköchin, Hausdame, Dekorateurin und Concierge. Kinley nannte Bonnie immer „das Herz des Inns“, und dieser Titel gefiel ihr ganz gut.

Sie räusperte sich und wandte sich den Damen zu, die den Tisch mit den Snacks umstanden und sich ziemlich laut unterhielten.

„Ich denke, dann können wir langsam anfangen“, sagte sie. „Ich habe an diesen zwei Tischen einiges vorbereitet, vielleicht verteilen Sie sich einfach drum herum, damit alle gut sehen können.“

Die Frauen taten, was sie sagte, dämpften aber die Lautstärke ihrer Unterhaltung dabei kein bisschen. Bonnie fragte sich, ob sie sich lange genug Gehör verschaffen konnte, um ihnen überhaupt etwas beizubringen. Nora Willis, die Frau, die sie gebeten hatte, den Kurs zu halten, war die lauteste von allen.

Inzwischen war es sechs Uhr, und Bonnie holte tief Luft und gab sich Mühe, ebenfalls lauter zu sprechen.

„Wenn dann alle so weit sind, können wir …“

Sie wurde von Paul unterbrochen, der verlegen lächelnd den Raum betrat. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Entschuldigen Sie die Unterbrechung.“

Bonnie dagegen war froh, dass die Frauen jetzt alle Paul anstarrten und nicht sie. So konnte sie einen neutralen Gesichtsausdruck aufsetzen, der nicht jedem gleich verriet, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen.

Dafür war es jetzt umso schwieriger, den Kurs zu halten, schließlich durfte sie keinen Schüler bevorzugen.

Paul setzte sich auf einen Stuhl am zweiten Tisch und grüßte die Frauen dort mit einen freundlichen Nicken, während er immer wieder entschuldigend zu ihr hinüberblickte. Sie lächelte ihm zu, um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war, und hob dann wieder die Stimme.

„Die meisten von Ihnen kennen sich ja untereinander, aber da wir einen Neuzugang haben, wäre es nett, wenn jeder sich kurz vorstellen könnte.“

Die Damen ließen sich nicht lang bitten. Es gefiel ihnen sichtlich, einen attraktiven Mann im Kurs zu haben. Besonders Lydia und Jennifer, die beide geschieden waren, wirkten sehr angetan, zumal sich Paul an ihren Tisch gesetzt hatte.

Bonnie verteilte die Mappen, die sie vorbereitet hatte – zu jedem der Themen, die sie behandeln würde, gab es bereits Registerkarten, hinter denen dann Rezepte und Tipps abgeheftet werden konnten.

„Nächsten Dienstag bin ich um acht auf dem Wochenmarkt“, sagte sie. „Wenn jemand von Ihnen Zeit und Lust hat, können wir gemeinsam die Zutaten einkaufen, die wir am Dienstagabend brauchen.“

„Ich kann kommen, wenn ich die Kinder in der Tagesstätte abgegeben habe“, erklärte Jennifer eifrig. „Das wird bestimmt lustig, finden Sie nicht, Paul?“

„Ja.“ Paul lächelte Bonnie an, als sie ihm seine Mappe reichte. Ob es wohl nur ein Zufall war, dass seine Finger dabei ihre streiften? Ob Absicht oder nicht, der kurze Kontakt ließ ihre Hand kribbeln. Unwillkürlich bewegte sie die Finger, als sie wieder zum Präsentationstisch ging, um ihren kleinen Vortrag über die vielen Vorteile von frischen, regional angebauten Produkten zu halten.

Dabei gab sie sich Mühe, nicht allzu oft zu Paul hinüberzublicken – aber auch nicht zu selten, denn das wäre ebenso auffällig gewesen. Doch die ganze Zeit über war sie sich bewusst, dass er sie kaum einen Moment aus den Augen ließ, und das machte sie verlegen. Selbst wenn die anderen Teilnehmer sich zu Wort meldeten, spürte sie seinen Blick.

Nach vierzig Minuten schlug Bonnie eine kurze Pause vor. „Nehmt euch von den Getränken und Snacks. Ihr könnt auch gerne im Park spazieren gehen. Achtet aber bitte auf die Zeit, damit wir pünktlich wieder anfangen können.“

Tatsächlich folgten die fünf Frauen ihrem Vorschlag. „Kommen Sie mit, Paul“, drängte Jennifer. „Der Park ist wunderschön.“

„Ja, ich habe ihn schon gesehen und finde das auch. Aber ich muss kurz mit Bonnie sprechen, bevor es weitergeht.“

Da ihr offenbar kein Grund einfiel, warum sie dann ebenfalls bleiben sollte, ging Jennifer mit den anderen hinaus. Paul wartete, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, bevor er einen Scheck aus seiner Tasche zog.

„Meine Kursgebühr“, sagte er. „Nicht, dass Sie denken, ich will mich hier umsonst unter die Teilnehmer schmuggeln.“

Bonnie lachte und steckte den Scheck in die Tasche ihres Sommerrocks. „Das hätte ich sowieso nicht gedacht.“

„Auf einen Spaziergang im Park habe ich gerade keine richtige Lust. Kann ich hier mit den Vorbereitungen für den nächsten Teil helfen?“

Natürlich war er zu sehr ein Gentleman, um zu erwähnen, dass er versuchte, Jennifer aus dem Weg zu gehen, aber Bonnie dachte sich ihren Teil.

„Sie könnten ein paar Sachen aus der Küche reintragen, wenn Sie möchten.“

Vielleicht wollte er ja auch nur höflich sein. Es hatte ihr nicht gefallen, wie unverschämt Jennifer mit ihm flirtete. Aber vielleicht war das ja genau sein Ding? Sie selbst musste sich natürlich zurückhalten, schließlich war sie die Kursleiterin.

Trotzdem lächelte sie ihn an, als er neben ihr in der Küche stand. „Sie könnten einen dieser Körbe tragen. Ich nehme den anderen.“

„Sehr gern.“ Er griff nach dem Korb. „Entschuldigen Sie nochmals, dass ich so spät dran war. Die Zwillinge brauchten einen Fahrer, und Holly wurde bei der Arbeit aufgehalten. Ich dachte, ich schaffe es rechtzeitig, aber Jenna hat sich drei Mal umgezogen, bevor wir endlich loskonnten. Und ich muss zugeben, dass ich am Ende ziemlich ungeduldig war, denn ich habe mich wirklich auf den Kurs gefreut.“

„Sie waren doch genau pünktlich“, erinnerte sie ihn. „Jenna ist eine der Zwillinge, oder?“

„Ja. Jenna und Jackson. Sie sind dreizehn.“

Bonnie stellte ihren Korb auf den Präsentationstisch und dachte nicht zum ersten Mal, dass seine Beziehung zur Familie seiner Tochter äußerst ungewöhnlich war. Allerdings fragte sie sich, warum er nicht selbst auch noch mal eine Familie gegründet hatte. Offensichtlich war er gerne Vater und Onkel. Und Single. Hatte er Angst vor einer ernsthaften Beziehung? Oder hing er noch immer an seiner wunderbaren Exfrau, obwohl die schon seit Langem einen neuen Mann hatte?

All das ging sie natürlich überhaupt nichts an.

Er sah ihr zu, wie sie sechs kleine Schraubgläser mit handbeschriebenen Etiketten aus dem Korb holte und auf den Tisch stellte.

„Sie machen Pesto?“, fragte er, als er eins davon in die Hand nahm.

„Ja. Heute bekommt jeder ein Glas davon mit nach Hause. Mit Rezept natürlich.“

„Wow, das würde Cassie tief beeindrucken, wenn ich ihr selbst gemachtes Pesto serviere.“

Ohne nachzudenken, tätschelte Bonnie seinen Arm. „Wenn wir hier fertig sind, können Sie sie mit einem ganzen Drei-Gänge-Menü überraschen. Aus frischen, regionalen Zutaten.“

Er legte seine Hand über ihre, bevor sie sie wegziehen konnte, und drückte leicht ihre Finger. „Sie bewirken wahre Wunder.“

Obwohl seine Geste beiläufig war, reagierte sie wie schon vorher darauf – oder überreagierte vielmehr, denn die plötzliche Hitzewelle und das Kribbeln in ihrem Körper waren der Situation überhaupt nicht angemessen. Schnell zog sie ihre Hand weg, packte den Korb weiter aus und sagte sich, dass sie ihr Privatleben wohl schon ein bisschen zu lange vernachlässigt hatte. Gleich heute Abend würde sie das Profil dieser Dating-Webseite ausfüllen. Auch wenn sie bezweifelte, dass die Männer dort so interessant und attraktiv waren wie Paul.

Zusammen mit den anderen betrat Jennifer den Speisesaal. „Sie haben einen schönen Spaziergang verpasst“, sagte sie zu Paul.

„Und den unbezahlbaren Anblick, wie Heather vor Schreck einen Luftsprung gemacht hat, als dieser riesige Hund auftauchte. Zum Glück war er an der Leine.“

Bonnie seufzte. „Das ist Ninja, der Hund meines Bruders. Wir lassen ihn nie frei auf dem Gelände laufen, schließlich sieht er wirklich ein wenig furchterregend aus.“

Logan hatte zu dem Rottweiler-Mix, den er als Streuner aufgesammelt hatte, eine besonders enge Beziehung.

„Dann war der gut aussehende Besitzer Ihr Bruder?“, fragte Lydia. „Ist er Single?“

„Ja.“

„Ach, ihr Carmichaels.“ Nora schüttelte gespielt missbilligend den Kopf. „Immer nur bei der Arbeit und keine Zeit fürs Privatleben. Wenigstens hat Kinley jetzt ihr Glück gefunden. Aber bei Ihnen und Logan fange ich an, mich zu fragen, ob Sie mit dem Hotel verheiratet sind.“

„Es stand in den letzten Jahren für uns nun mal an erster Stelle“, gab Bonnie leichthin zurück. „Aber früher oder später werden wir auch wieder ein Privatleben haben. Und jetzt sollten wir weitermachen. Wer möchte mir in der zweiten Hälfte beim Kochen assistieren?“

„Ich schlage Paul vor.“ Nora grinste Paul frech an. „Weil er in einer Schürze bestimmt besonders süß aussieht.“

Falls sie gehofft hatte, ihn verlegen zu machen, wurde sie enttäuscht. Paul stand sofort auf. „Ich helfe gern“, sagte er und umrundete den Tisch, um sich neben Bonnie zu stellen.

Bonnie streifte sich eine rot-weiß karierte Schürze mit dem eingestickten Hotellogo über den Kopf und band sie in der Taille zusammen. Paul reichte sie eine zweite. „Sie ist vielleicht ein bisschen kurz für Sie, aber so bekommen Sie wenigstens kein Öl oder Pesto auf Ihre Kleidung.“

Unter dem zustimmenden Grinsen der anderen neigte Paul den Kopf, damit Bonnie ihm die Schürze überstreifen konnte. Sein Gesicht war dabei sehr nah an ihrem, und sie blickte unwillkürlich auf seinen Mund, dessen Form sie wirklich mochte. Ihre Blicke trafen sich kurz, und als seine Augen aufblitzten, fragte sie sich ein wenig verlegen, ob er womöglich ihre Gedanken gelesen hatte.

Doch dann richtete er sich auf und drehte ihr den Rücken zu, damit sie das Taillenband zu einer Schleife binden konnte. Seinen breiten, starken Rücken. Mit einem festen, wohlgeformten …

Sie räusperte sich und wandte sich wieder dem Präsentationstisch zu. „Frische Kräuter, entweder selbst gezogen oder vom Wochenmarkt, sind das A und O der regionalen Küche …“, fuhr sie mit ihrem Vortrag fort, froh, dass ihre Stimme einigermaßen normal klang.

Hoffentlich würde sie jetzt auch noch den praktischen Teil hinkriegen, ohne sich zu blamieren. Ihr attraktiver Assistent lenkte sie nämlich ganz schön ab.

Paul hoffte, dass die Ausdrucke in der Mappe alle Informationen enthielten, die er brauchte. Sosehr er auch versuchte, sich auf Bonnies Worte zu konzentrieren, er würde sich bestimmt an nichts erinnern. Nicht weil der Stoff langweilig, sondern weil die Lehrerin so verflixt attraktiv war.

Ihre Stimme war weich und melodisch, und er hörte ihr einfach nur gern zu, ohne den Inhalt zu erfassen. Und wenn er sich auf ihr Gesicht konzentrierte, verlor er sich jedes Mal in diesen wundervollen blauen Augen, die einen perfekten Kontrast zu ihrem Elfenbeinteint bildeten. Oder er betrachtete versonnen das kleine Grübchen an ihrem rechten Mundwinkel.

Wie lange lag sein letztes Date nun zurück? Zu lange, ganz offensichtlich, wenn er so stark und eindeutig auf Bonnie Carmichaels zahlreiche Vorzüge reagierte. Vor einem Jahr hatte er eine kurze Affäre mit einer gewissen Michaela gehabt, die aber nur drei Monate dauerte. Außerhalb des Schlafzimmers – wo sie hervorragend harmonierten – waren ihre Interessen einfach zu verschieden gewesen. Als er sie letztens mit einem anderen Mann gesehen hatte, hatten sie sich ein paar Minuten lang freundschaftlich unterhalten.

Offenbar hatte er eine Begabung dafür, seine Expartner zu Freunden zu machen. Was das wohl für seine Aussichten auf eine Langzeitbeziehung bedeutete? Aber mit der rechnete er mit jedem Jahr, das verging, weniger. Seit Michaela war er nur ein paar Mal mit Frauen essen gegangen, ohne dass er oder die Frau weiterführende Erwartungen gehabt hätten.

Er war sich nicht sicher, ob er mit Bonnie Carmichael mehr gemeinsam hatte als mit Michaela. Trotzdem stand er immer unter Strom, wenn er in ihrer Nähe war. Er wollte nicht, dass sich einer von ihnen die Finger verbrannte, aber was Bonnie zu Nora gesagt hatte, deutete ja darauf hin, dass auch sie gerade nicht an einer Langzeitbeziehung interessiert war. Wieso auch? Sie war jung, hatte viel um die Ohren und ehrgeizige Pläne für das Hotel. Eine Familie würde sie wahrscheinlich erst später gründen wollen – und bis dahin war sie wahrscheinlich ein wenig Vergnügen nicht abgeneigt.

Er hielt es ebenso. Und wenn er und Bonnie eine gute Zeit haben konnten, ohne dabei an Hochzeitsglocken und Kinderwagen zu denken – warum nicht?

Obwohl seine Gedanken nicht beim Kochen, sondern bei der Köchin waren, schaffte er es, ihr zu assistieren, ohne sich einen Finger abzuschneiden oder eins der kleinen Gläser zu zerbrechen, in die sie das Pesto abfüllte. Als seine Mitschülerinnen am Ende der Stunde fröhlich applaudierten, verbeugte er sich mit großer Geste. Es war eine nette Gruppe, und sie hatten ihm das Gefühl gegeben, willkommen zu sein.

Die freundlichste von allen blieb noch zurück, als die anderen gingen: Jennifer ließ sich Zeit, ihr Pesto und den Ordner in ihrer Leinentasche zu verstauen, sodass er Gelegenheit hatte, ihre schlanke Figur in dem figurbetonten Sommerkleid zu betrachten.

„Sieht aus, als wären wir die Letzten“, bemerkte sie, als ob sie das überrasche. „Dann können wir ja zusammen zu unseren Autos gehen.“

Wahrscheinlich hätte ihre Aufmerksamkeit ihm schmeicheln sollen. Sie war zweifellos attraktiv, doch das nahm er nur objektiv war, ohne innere Anteilnahme. Dass sie ihn so hemmungslos anflirtete, störte ihn nicht. Er gehört nicht zu den Männern, die immer unbedingt den ersten Schritt machen mussten, sondern genoss es sogar, wenn eine Frau die Initiative ergriff. Es sei denn, er war nicht interessiert, dann fühlte er sich schlecht, wenn er ihr einen Korb geben musste. Und in diesem Fall war er definitiv nicht interessiert, deshalb hoffte er, dass er Jennifers Absichten falsch deutete.

Er warf einen Blick zu der zierlichen, kurvigen Bonnie hinüber und war überrascht, als sein Puls durch die Decke schoss. Daran lag es also, dass Jennifer ihn völlig kaltließ. Er tauschte einen Blick mit Bonnie, und etwas wie Verständnis schien über ihr Gesicht zu huschen.

„Paul kann noch nicht weg“, sagte sie und lächelte ihm zu. „Wir müssen noch etwas wegen der Hochzeit seiner Tochter besprechen.“

Jennifer blinzelte ein paar Mal. „Ihre Tochter?“, sagte sie zu Paul gewandt.

„Ja. Cassie heiratet in ein paar Wochen hier im Hotel. Bonnie hilft uns dabei, die Hochzeit auszurichten.“

„Verstehe. Da sind Sie in letzter Zeit sicher sehr beschäftigt.“

Paul lachte leise. „Cassie hat mich die letzten einundzwanzig Jahre auf Trab gehalten.“

„Haben Sie noch mehr Kinder?“

„Nein, nur Cassie. Und in ein paar Wochen werde ich ein sehr zufriedener freier Mann sein.“

Jennifer blickte ein wenig nachdenklich von ihm zu Bonnie und zurück und zuckte dann die Achseln. „Na, dann gehe ich schon mal. Bis nächste Woche. Es war ein toller Abend, Bonnie.“

„Danke, das freut mich.“

Bonnie wartete, bis Jennifer draußen war, und wandte sich dann Paul zu. „Ich hoffe, ich habe Ihren Blick richtig gedeutet. Sie brauchten doch eine Ausrede, um noch ein paar Minuten zu bleiben, oder?“

„Oh ja. Sie ist bestimmt sehr nett, aber …“

Bonnie nickte nur und begann, die Kochutensilien zusammenzuräumen. Um sein Bleiben zu rechtfertigen, ging er ihr dabei zur Hand.

„Und wie läuft es denn nun wirklich mit den Hochzeitsvorbereitungen?“, fragte sie. „Braucht Cassie noch irgendwas von uns, womit wir ihr helfen könnten?“

Er war sich nicht sicher, ob sie nur Small Talk machte oder seiner Ausrede einen wahren Hintergrund geben wollte. Dass es wahrscheinlich Letzteres war, amüsierte ihn.

„Soweit ich das beurteilen kann, läuft alles wunderbar. Das Kleid ist fast fertig, alle Entscheidungen sind getroffen und die Bestellungen aufgegeben. Jetzt muss sie nur noch all die Abschiedspartys hinter sich bringen, die in den nächsten Wochen geplant sind. Und außerdem hat sie noch viereinhalb Wochen Unterricht.“

„Ich finde es wirklich beeindruckend, dass sie ihr Kleid selbst entworfen hat und auch selbst näht“, sagte Bonnie.

„Oh ja, an der Nähmaschine vollbringt sie wahre Wunder.“

„Aber offenbar hat sie im Moment richtig viel zu tun. Kommt sie klar damit?“

„Ach, meine Cassie haut so schnell nichts um. Sie bleibt immer im Fluss. Wenn die Hochzeit eine Katastrophe wird, würde sie es als eine lustige Geschichte nehmen, die sie später ihren Enkeln erzählen kann.“

„Ich wünschte, mehr Bräute würden so denken.“

„Tja, wahrscheinlich haben Sie schon eine Menge Zusammenbrüche gesehen.“

„Ja, einige, und daran wird sich bestimmt auch in Zukunft nichts ändern. Die meisten Bräute scheinen zu glauben, dass eine winzige Abweichung vom Ablaufplan ihr Leben auf ewig ruiniert.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Selbstverständlich tun wir hier im Hotel alles dafür, die Wünsche unserer Bräute so detailliert wie möglich umzusetzen.“

Er versuchte, seine Belustigung zu verbergen. „Aber sicherlich gibt man Ihnen nicht die Schuld an Dingen, die der höheren Gewalt unterliegen.“

Wieder vergaß sie ihre Rolle und verdrehte die Augen. „Vor Kurzem hat uns eine Braut angedroht, uns zu verklagen, weil es an ihrem Hochzeitstag geregnet hat.“

„Das ist nicht Ihr Ernst.“

Sie seufzte. „Leider doch. Sie hat nach uns ihrem Bräutigam, ihrer Mutter und Gott die Schuld gegeben und verbrachte eine Stunde weinend in der Damentoilette. Wir hatten Mühe, sie wieder herauszulocken, nachdem der kurze Schauer vorbei war. Am Ende wurde es doch eine schöne, wenn auch ein wenig feuchte Hochzeit.“

„Deshalb steht also im Vertrag, dass Sie nicht für das Wetter und andere Ereignisse höherer Gewalt verantwortlich sind. Cassie fand die Passage witzig.“

„Ja, aber leider nötig. Könnten Sie die Tupperdose auf das oberste Regalbrett stellen, bitte?“

Er streckte lässig den Arm aus und tat, was sie wollte.

„Vielen Dank. Ich hätte mir dafür eine Trittleiter holen müssen.“

Mit einem Blick auf die hohen Küchenschränke legte er lächelnd die Hand auf ihren blonden Schopf, der ihm gerade bis zur Schulter reichte.

„Ich habe das Gefühl, dass Sie viel Zeit mit dieser Trittleiter verbringen.“

„Allerdings. Wenn ich mal heirate, mache ich sie zu meiner Trauzeugin.“

Obwohl er wusste, dass sie nur scherzte, nahm er bei dem Wort „heiraten“ automatisch die Hand von ihrem Haar und trat einen halben Schritt zurück. Um seine reflexartige Handlung zu maskieren, griff er nach dem zweiten Korb und begann, ihn auszupacken.

„Darf ich noch ein paar Sachen in den oberen Etagen verstauen, bevor ich gehe?“

„Wenn Sie es schon anbieten …“

Offenbar hatte sie nichts Ungewöhnliches bemerkt und ließ ihn noch einige andere Behälter wegpacken.

„Ich hoffe, dafür gibt’s Extrapunkte“, bemerkte er.

Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und lächelte. „Sie wissen doch, dass ich keine Noten gebe.“

Dieses süße kleine Grübchen an ihrem Mundwinkel hätte jeden Mann schwach gemacht. Er murmelte: „Trotzdem …“

Sie hängte das Tuch auf, strich sich das Haar aus der Stirn und sagte: „Ich glaube, jetzt können Sie gefahrlos gehen. Der Parkplatz dürfte leer sein. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Ich hatte keine Angst, mit den anderen rauszugehen“, erklärte er übertrieben heldenhaft. „Ich habe nur geahnt, dass Sie Hilfe brauchen.“

Wie er gehofft hatte, lachte sie wieder. Ihr Lachen war bezaubernd, leise und melodisch. Automatisch musste auch er lächeln, als er sich verabschiedete. Dass er dabei von einem Kuss träumte, konnte man ihm wohl kaum verdenken. Schließlich war er sich ziemlich sicher, dass sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte. Und da durfte man ja wohl hoffen, dass sich mehr daraus ergab.

Es war schon ganz dunkel, als Bonnie an dem Abend das Inn verließ. Nach dem Kurs hatte sie noch kurz bei den Gästen vorbeigeschaut, die sich im Gesellschaftsraum mit Brettspielen die Zeit vertrieben, und hatte ein paar Dinge fürs Frühstück am nächsten Morgen vorbereitet.

Als sie endlich Feierabend machte, ging sie nicht direkt in ihre Wohnung, sondern in den Park. Ein paar Minuten an der frischen Luft würden ihr guttun. Die Parkbeleuchtung reichte aus, um die Wege zu erhellen, schwächte aber die Wirkung des beeindruckenden Sternenhimmels nicht ab.

Während Bonnie durch den Park ging, sah sie nicht nur die Bepflanzung, den dreistöckigen Brunnen und den romantischen Hochzeitspavillon, sondern auch die vielen, vielen Stunden harter und schweißtreibender Arbeit, die sie und ihre Geschwister in den Park gesteckt hatten. Sie bereute keine Sekunde davon, und Kinley und Logan ging es wahrscheinlich ähnlich.

Am hinteren Ende blieb sie stehen. Von hier aus führte ein Wanderweg auf den Gipfel des Bride Mountains. Für diesen Teil des Parks hatten sie noch große Pläne – hier sollte ein meditativer Zen-Garten mit einem Koiteich entstehen.

Als sie die Hände in die Rocktaschen steckte, berührte sie den Scheck, den Paul ihr vorher gegeben hatte und der nun ein wenig verknittert war. Langsam strich sie das Papier glatt und dachte dabei an Pauls jadegrüne Augen und sein charmantes Lächeln.

Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto mehr mochte sie ihn. Und obwohl sie versucht hatte, diskreter zu sein als Jennifer, hatte er hoffentlich verstanden, dass sie gern noch mehr Zeit mit ihm verbringen würde. Und wenn ihre gerade wiedererwachten weiblichen Instinkte sie nicht trogen, ging es ihm ebenso. Vielleicht sollte sie mit dem Profil für die Dating-Webseite doch noch ein wenig warten.

3. KAPITEL

Bonnie stand auf der Trittleiter in der Küche und griff nach einer antiken Schale für ihre Bowle, die im obersten Fach in einem der Küchenschränke stand. Das eingravierte Traubenmuster passte perfekt zu dem Toskana-Thema der bevorstehenden Hochzeit. Vorsichtig nahm sie die schwere Schale in beide Hände und wollte gerade die Leiter hinuntersteigen, als jemand ihr das gute Stück abnahm. Da sie ganz auf ihre Aufgabe konzentriert gewesen war, hatte sie niemanden hereinkommen hören und zuckte zusammen. Doch eine große Hand umfasste ihre Taille und hielt sie sicher auf der Leiter.

Als sie sich umblickte, sah sie Pauls Lächeln. Er hielt die Schale im rechten Arm, während er sie mit der linken Hand stützte. Obwohl sie auf der Leiter stand, war sie nur ein paar Zentimeter größer als er, und ihre Gesichter befanden sich fast auf derselben Höhe. Auch aus dieser Perspektive sah er einfach umwerfend aus.

Ohne sie loszulassen, stellte er die Schale auf die Arbeitsplatte.

„Sie sollten besser nicht auf Leitern steigen, ohne gesichert zu werden.“

„Ich bin ja gerade mal dreißig Zentimeter über dem Boden“, gab sie zurück. „Selbst, wenn ich runterfalle, breche ich mir wohl kaum den Hals.“

Als er die nun freie Hand ebenfalls um ihre Taille legte, schlug ihr Herz schneller, und ihr wurden die Knie weich. Selbst durch die Kleidung spürte sie, wie warm seine Hände waren.

Er lächelte sie immer noch an, doch er machte keine Anstalten sie entweder loszulassen oder ihr hinunterzuhelfen. Und als sie die Hände auf seine breiten Schultern legte, wollte sie sich nicht nur abstützen. Offenbar war es an der Zeit, die Anziehungskraft, die seit ihrer ersten Begegnung zwischen ihnen bestand, nicht länger zu verleugnen.

„Ihre Schwester zeigt Cassie und ihrer Freundin Danielle gerade das Hotel. Ich habe mich verdrückt mit der Ausrede, ich müsste Sie noch was wegen des nächsten Kursabends fragen.“

„Sie haben eine Frage zum Kochkurs?“

Er grinste breit. „Nein.“

„Oh.“ Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten. Vor Freude wahrscheinlich, denn verlegen war sie nicht.

„Ich wollte Sie aber nicht von der Arbeit abhalten“, fügte er widerwillig hinzu.

„Tun Sie nicht. Ich habe immer Zeit für netten Besuch. Aber vielleicht sollte ich von der Leiter steigen.“

„Ich weiß nicht. Ich mag es irgendwie, Sie aus diesem Blickwinkel zu sehen.“ Bei diesen Worten schaute er direkt auf ihren Mund, und wie als Antwort begannen ihre Lippen zu kribbeln.

Automatisch warf sie einen Blick auf die offene Küchentür. Wenn nicht jeden Moment einer ihrer Angestellten hätte hereinkommen können …

Als läse er ihre Gedanken, seufzte er kurz und hob sie dann mühelos von der Leiter. Offenbar hatte er neben dem Unterricht noch genügend Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen. Als sie wieder sicher stand, lächelte er sie an. Seine grünen Augen blitzten. „Ich mag es aber auch, Sie aus diesem Blickwinkel zu sehen.“

Ihre Hände lagen nun auf seinen Oberarmen, und sie blickte zu ihm auf. „Sie sind ja heute sehr verwegen.“

„Ich habe viel an Sie gedacht in den letzten Tagen“, gab er zu.

Diese Worte in seiner tiefen, wohlklingenden Stimme zu hören machte sie ganz schwindelig. Sie hatte sich wohl wirklich in ihn verguckt. Das war aufregend … aber auch ein wenig beängstigend. Auf keinen Fall durfte sie sich zu schnell in ein Abenteuer stürzen. Bis jetzt wusste sie ja nicht mal, in welche Richtung er dachte. Schließlich hatte er schon ein paar Mal erwähnt, dass er bald ein vogelfreier Junggeselle sein würde und sich darauf freute. Vielleicht wollte er nur während der Sommerferien ein wenig Spaß haben.

Dagegen hatte sie auch nichts einzuwenden, aber dann musste sie gut auf ihr Herz aufpassen. Aber natürlich war es schwierig, vorsichtig zu sein, wenn ein so attraktiver Mann vor einem stand.

„Tja, möglicherweise habe ich auch ein- oder zweimal an Sie gedacht“, erwiderte sie.

„Dann könnten wir ja vielleicht mehr Zeit miteinander verbringen?“, fragte er prompt. „Außerhalb des Kurses, meine ich. Gehen Sie gern ins Kino? Oder essen? Morgen bin ich mit ein paar Freunden zu einer Kajaktour auf dem New River verabredet. Aber so kurzfristig können Sie hier wohl keinen Tag freinehmen, oder?“

Er wollte mit ihr ausgehen! So ruhig wie möglich erwiderte sie: „Ich würde gern mal Kajak fahren, aber morgen kann ich nicht. Wir haben hier am Nachmittag eine Hochzeit.“

Nun ließ er sie los und trat einen halben Schritt zurück. „Ich sollte Sie nicht länger von der Arbeit abhalten.“

„Aber Montagnachmittag oder – abend könnte ich mir freinehmen, wenn Sie da Zeit hätten“, warf sie schnell ein.

Sein Lächeln wurde breiter. „Montag wäre perfekt. Welche Uhrzeit passt Ihnen am besten?“

Bevor sie antworten konnte, wurden sie von Kinley unterbrochen, die mit Cassie und ihrer Freundin den Raum betrat.

Kinley zwinkerte Bonnie zu, bevor sie sich an Paul wandte: „Ihre Tochter hat sich gefragt, wo Sie abgeblieben sind, und ich dachte mir, Sie könnten vielleicht hier stecken.“

„Ja, mein Dad entwickelt in letzter Zeit ein ausgeprägtes Interesse für Küchen“, warf Cassie mit einem spitzbübischen Grinsen ein.

Während Kinley ihr Danielle vorstellte, die nach Cassies begeisterter Beschreibung im nächsten Frühjahr nun auch im Inn heiraten wollte, gab sich Bonnie Mühe, nicht zu ungeduldig zu wirken.

Als die drei wieder gegangen waren, blieb Paul zurück. „Also … am Montag?“

Bonnie nickte. „Rufen Sie mich doch Sonntag an, dann können wir die genaue Zeit ausmachen.“

„Mach ich.“ Er zwinkerte ihr zu und ging hinaus.

Sie hatte noch viel zu tun an diesem Tag, doch die Erinnerung an sein verführerisches Lächeln blitzte immer wieder auf. Ganz zu schweigen davon, wie gut es sich angefühlt hatte, als er sie von der Leiter hob … Wie mochte es dann erst sein, tatsächlich in diesen starken Armen zu liegen?

Bevor Bonnie am Sonntag den erwarteten Anruf von Paul erhielt, meldete sich Samstagabend überraschend seine Tochter bei ihr.

„Störe ich sehr?“, fragte Cassie nach der Begrüßung.

„Nein, gar nicht. Ich mache gerade eine kleine Pause nach der Hochzeit heute Nachmittag. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.“

Bonnie erwartete, dass es um die Hochzeitsfeier ging. „Nur zu.“

„Dürfte ich wohl ein Kleid für Sie entwerfen?“

Das kam unerwartet. „Ein Kleid?“, wiederholte Bonnie überrascht.

„Ja. Ich brauche für die Uni noch ein kleines Showprojekt, und da kam mir die Idee, eine Kollektion für zierliche Frauen wie Sie zu entwerfen. Eins der Kleider würde ich auch nähen und Ihnen schenken, nachdem ich Sie darin fotografiert habe. Würde Ihnen das was ausmachen?“

Bonnie lachte. „Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil, ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mich als Model haben wollen. Oder bin ich einfach nur die kleinste Frau, die Sie kennen?“, fügte sie lachend hinzu.

Auch Cassie lachte. „Nein, das nicht. Aber ich habe schon die ganze Zeit einige Ideen im Kopf, die perfekt zu Ihrer Figur passen. Sie sehen toll aus, und ich würde wirklich gern ein Kleid für Sie machen.“

„Aber Sie haben doch sowieso schon so viel zu tun.“

„Na ja, die Uni läuft noch vier Wochen, und eine Woche später ist die Hochzeit. Das heißt, ich habe zehn Tage für dieses Projekt. Das sollte reichen. Außerdem …“ Sie zögerte kurz und fuhr dann fort: „Ich muss mich irgendwie beschäftigen, sonst werde ich noch ganz hibbelig. Und ich vermisse Mike, also freue ich mich über alles, was mich davon ablenkt.“

Cassies Verlobter musste bis vier Tage vor der Hochzeit arbeiten, damit er danach für die Flitterwochen Urlaub nehmen konnte.

„Na dann stelle ich mich gern zur Verfügung.“

„Wunderbar. Möchten Sie morgen Nachmittag zum Maßnehmen zu mir kommen? Ich habe mein ganzes Nähzeug in Dads Haus zwischengelagert.“

„Ja, ich komme gern.“

Doch noch während sie die Worte aussprach, fragte sie sich, ob Paul von Cassies neuem Projekt überhaupt wusste. Oder würde er überrascht sein, wenn sie plötzlich bei ihm vor der Tür stand?

Paul war verschwitzt, mit Grasflecken übersät und hatte Muskelkater, als er am Sonntagnachmittag vom Fußballspielen kam und in seine Einfahrt bog. Außerdem hatte er von der Kajaktour am Vortag noch einen heftigen Sonnenbrand im Gesicht. Vielleicht sollte er es beim Sport doch mal ein wenig langsamer angehen lassen?

Hinter Cassies Kleinwagen stand ein anderes Auto, das er erstaunt als Bonnies erkannte. In diesen Kofferraum hatte er vor weniger als zwei Wochen ihre Einkäufe vom Wochenmarkt geladen. Was machte sie hier? Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand durch das zerzauste und verschwitzte Haar. Es ging bestimmt um die Hochzeit.

Er überlegte, wie er am besten ungesehen ins Haus kam, damit er kurz duschen konnte, bevor er Bonnie begrüßte. Er nahm den Hintereingang durch die Küche und ging direkt zur Treppe ins Obergeschoss. Zwar hörte er keine Stimmen im Wohnzimmer, aber wenn es um die Hochzeit ging, war das der Ort, wo Cassie und Bonnie zusammensaßen. Leise stieg er die Stufen hinauf und ging zu seinem Schlafzimmer am Ende des Flurs. Beim Zimmer davor, das Cassie als ihren Werkraum benutzte, solange sie bei ihm wohnte, stand die Tür offen, und er hielt überrascht inne.

Bonnie und Cassie saßen inmitten von einem Chaos von Stoffen, Nähmaschinen, Schneiderpuppen und Nähmaterial. Auf dem Bett lagen ein Skizzenblock und Cassies Tablet. Das alles nahm er mehr aus dem Augenwinkel wahr, denn sein Blick ruhte auf Bonnie, die mit seitlich ausgestreckten Armen in der Mitte des Raumes stand, während Cassie ihre Maße nahm. Im Moment vermaß sie die Oberweite, und Paul konnte den Blick nicht abwenden. Für eine so zierliche Frau hatte sie wirklich verführerische Kurven.

Der Anblick ließ ihn nicht kalt. Vorsichtshalber verdeckte er die verräterische Wölbung in seiner Jogginghose mit der Sporttasche. Durch die Bewegung wurde Bonnie auf ihn aufmerksam, drehte sich zu ihm um und ließ hastig die Arme sinken. Ihre Wangen färbten sich rot, doch sie lächelte ihn an.

Auch Cassie hatte ihn nun bemerkt und sagte ein wenig abwesend: „Oh, hi, Dad. Du bist früh dran. Ich nehme gerade Bonnies Maße.“

„Das sehe ich. Aber warum?“

Cassie notierte etwas auf dem Skizzenblock. „Ich mache ein Kleid für sie. Es ist ein Zusatzprojekt für die Uni, und sie hat sich netterweise bereit erklärt, mein Model zu sein. Hab ich das nicht erzählt?“

„Nein, hast du nicht.“ Und irgendwie hatte er den Verdacht, dass sie das nicht einfach nur vergessen hatte.

Er blickte wieder zu Bonnie, die ein wenig verlegen ihr Oberteil glatt zupfte. „Hi“, sagte er.

„Hi.“

„Cassie hat Sie also als Model eingespannt, was? Ich verrate Ihnen besser nicht, wie oft ich schon dafür herhalten musste“, sagte er, um ihre Verlegenheit zu zerstreuen.

Bonnie hob die Augenbrauen. „Ich wusste gar nicht, dass Sie auch Männermode entwerfen, Cassie.“

„Tut sie auch nicht“, warf Paul mit einem übertriebenen Seufzen ein.

Wie erhofft brach Bonnie daraufhin in fröhliches Lachen aus, und sie wirkte gleich wieder entspannter. Cassie notierte eifrig Zahlen auf ihren Block und ignorierte ihn geflissentlich.

„Mögen Sie diese Form, Bonnie? Es ist ein etwas anderer Stil als das, was Sie jetzt tragen, aber ich denke, es würde Ihnen schmeicheln.“

Paul verstand den Hinweis. Außerdem fiel ihm ein, dass er in schmutzigen und verschwitzten Sachen vor ihnen stand. „Entschuldigt mich bitte, ich muss erst mal schnell duschen.“

„Dusch lieber ausgiebig, Dad“, riet ihm Cassie grinsend.

Er warf ihr einen gespielt strengen Blick zu und ging dann in sein Zimmer. Hoffentlich war Bonnie noch da, wenn er sich wieder wie ein richtiger Mensch fühlte.

Es war nicht das erste Mal in achtundzwanzig Jahren, dass Bonnie sich sexuell zu einem Mann hingezogen fühlte. Zwar hatte sie sich in den letzten Jahren auf das Hotel konzentriert, aber zu Highschool-Zeiten war sie natürlich auch mit Jungs ausgegangen. Auf dem College hatte sie sogar eine längere Beziehung gehabt und seitdem ein paar kurze Affären. Trotzdem war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch nie vorher einen so umwerfenden, atemberaubenden und pulsbeschleunigenden Anfall von Lust erlebt hatte wie gerade eben.

Wenn sie nur an Pauls überraschendes Auftreten dachte – verschwitzt, sonnengebräunt und von Kopf bis Fuß pure Männlichkeit ausstrahlend –, wurde ihr schon wieder ganz heiß. Sie musste das Bild bewusst aus ihren Gedanken verbannen, um sich auf Cassie konzentrieren zu können – vor allem, als sie hörte, wie im angrenzenden Bad die Dusche anging. Die Fantasien, die ihr dabei in den Kopf kamen, mussten unbedingt warten, bis sie wieder zu Hause war.

„Also, der schilfgrüne Stoff, ja?“

Bonnie nickte. Cassies Entwürfe waren wirklich fantastisch, und sie hatte auch zu fast allem die passenden Stoffe parat. Eine Bezahlung für das Kleid oder Material hatte sie vehement abgelehnt.

„Ja, die Farbe gefällt mir sehr.“

Das schmal geschnittene Etuikleid war nicht das, was sie normalerweise tragen würde, doch Cassie hatte ihr versichert, dass sie darin umwerfend aussehen würde. Und aus irgendeinem Grund vertraute sie der jungen Designerin völlig.

„Dann sind wir hier so weit fertig“, erklärte Cassie. „Möchten Sie vielleicht noch einen Eistee, oder müssen Sie los?“

Bonnie blickte auf ihre Armbanduhr. „Nein, eine Stunde habe ich noch“, sagte sie. Und sie blieb natürlich nicht nur deshalb, weil sie hoffte, dann Paul wiederzusehen. Zumindest versuchte sie, sich das einzureden.

Sie saß mit Cassie am Küchentisch, als Paul hereinkam. Jetzt war er frisch geduscht und rasiert, trug ein blaues Leinenhemd und gut sitzende Jeans. Und wieder ging ihr sein Anblick durch und durch. Dafür hatte sie diesmal ihre Reaktion besser unter Kontrolle, denn sie war auf sein Erscheinen ja vorbereitet.

„Und, wie ist die Modeberatung gelaufen?“, fragte er, als er sich Bonnie gegenübersetzte.

„Ihre Tochter ist brillant“, sagte Bonnie.

„Ja, ich weiß.“ Er zwinkerte ihr zu. „Allerdings versuchen wir, es nicht zu oft in ihrer Gegenwart zu erwähnen, sonst bildet sie sich noch was darauf ein.“

„Hey!“, protestierte Cassie zum Schein. „Ich bin die Bescheidenheit in Person, was meine Genialität angeht.“

Paul stöhnte, und Bonnie musste lachen. Sie genoss das liebevolle Geplänkel, auch wenn es sie ein wenig melancholisch stimmte. Zu gern hätte sie zu ihrem eigenen Vater auch so eine enge Beziehung gehabt, als sie in Cassies Alter war. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie vor Langzeitbeziehungen zurückschreckte – ihr Vater hatte die Versprechen, die er ihrer Mom gemacht hatte, alle gebrochen.

„Ist alles in Ordnung? Sie sehen auf einmal so traurig aus.“ Besorgt blickte Paul sie an.

Bonnie zuckte zusammen und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. „Ich musste nur gerade an meine Familie denken. Meine Mutter ist vor vier Jahren nach einer kurzen, schweren Krankheit gestorben. Mit erst achtundfünfzig.“

Auch nach all der Zeit fehlte sie Bonnie unendlich. Und es tat jedes Mal weh, wenn sie daran dachte.

Paul legte seine Hand auf ihre. „Das tut mir leid.“

„Mir auch“, fügte Cassie leise hinzu.

„Ist schon gut“, erklärte Bonnie so fest wie möglich.

„Aber es wird nie einfacher, es zu akzeptieren, oder?“

„Nein, wird es nicht.“

Er drückte ihre Finger leicht und gab ihre Hand dann wieder frei.

„Und Ihr Vater? Lebt er noch?“, fragte Cassie leise.

Bonnie nickte. „Ja. Er reist in der Weltgeschichte herum, aber er ruft hin und wieder an und besucht uns. Er kann es nicht leiden, länger an einem Ort zu wohnen. Meine Mom und er waren zehn Jahre lang verheiratet, aber mit drei kleinen Kindern ist es nicht leicht, jedes Mal umzuziehen, wenn er einen Tapetenwechsel brauchte. Sie haben sich scheiden lassen, als ich vier war, und wir sind nach Tennessee gezogen. Im Sommer haben wir immer meinen Onkel und meine Tante hier besucht, und ich war Onkel Leos Lieblingsnichte, weil ich schon von klein auf davon geträumt habe, eines Tages das Inn zu renovieren und zu betreiben. Ich habe sogar mit meinen Puppen ‚Hotel‘ gespielt und Kinley erklärt, dass es einen Nickel pro Nacht kostet, wenn ihre Puppen in meinen aus Kartons gebastelten Hotelzimmern übernachten dürfen.“

„Das ist ja klasse“, sagte Cassie lachend. „Hat sie wirklich bezahlt?“

„Oh ja. Ich habe sie davon überzeugt, dass nur die coolsten Puppen in meinem Hotel absteigen. Sie war schon immer ein bisschen ehrgeizig.“

„Und ich dachte, Kinley wäre die Starverkäuferin der Familie“, warf Paul grinsend ein.

„Ist sie auch. Sie kann in einer Wüste Sand verkaufen.“

„Und Sie?“

„Ich mache diese Wüste zu einem einladenden Aufenthaltsort“, gab sie zurück.

„Oder zum perfekten Platz für eine Hochzeit“, fügte Cassie hinzu.

„Das auch.“

Cassie warf einen Blick auf die Küchenuhr. „Oje, ich muss los. Ich habe den Zwillingen versprochen, sie ins Kino zu fahren.“

„Ich sollte mich auch auf den Weg machen“, erklärte Bonnie.

„Aber Sie haben Ihren Tee ja noch gar nicht ausgetrunken. Sie haben doch gesagt, dass Sie erst um fünf wieder losmüssen, oder? Vielleicht können Sie Dad ja noch ein paar Ernährungstipps geben.“ Sie grinste breit. „Und außerdem wäre es ja schade, wenn er sich ganz umsonst in Schale geworfen hätte.“

Sie drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange, dann eilte sie hinaus.

„Meine Tochter ist nicht gerade subtil“, murmelte Paul entschuldigend. „Wenn Sie ins Hotel zurückmüssen …“

Bonnie zögerte nur kurz, dann griff sie nach ihrem Glas. „Nein, das hat wirklich keine Eile.“

Bei seinem erfreuten Lächeln wurde ihr ganz warm, und sie trank hastig einen Schluck Eistee. Die kühle Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab, konnte aber gegen das Feuer in ihr nichts ausrichten.

„Es war eine schöne Überraschung, Sie heute hier vorzufinden. Eine sehr schöne sogar.“

Okay, also waren sie wieder beim Flirten. Hoffentlich war sie nicht zu sehr aus der Übung. „Ich muss zugeben, dass ich gehofft hatte, Sie würden rechtzeitig zurückkommen. Sie waren also heute Fußball spielen?“

„Ja. Die Gruppe, mit der ich gestern Kajak fahren war, hat mich gefragt, ob ich für ein Spiel einspringen kann. Es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal gespielt habe, aber es ging ganz gut. Ich habe sogar ein Tor geschossen.“

„Herzlichen Glückwunsch.“

„Danke. Meine Mannschaft hat allerdings leider trotzdem verloren.“

„Und wie geht’s dem Bein?“

„Dem Bein?“

„Ich habe das Blut auf Ihrer Hose gesehen, als Sie ankamen.“

„Oh. Und ich dachte schon, Sie hätten übersinnliche Fähigkeiten. Es ist nur ein Kratzer. Ich wurde von einem Kerl gefoult, der zwei Mal so groß und breit war wie ich.“

Irgendetwas sagte ihr, dass er maßlos übertrieb, und sie ging darauf ein. „Oh, dann ist es ja das reinste Wunder, dass Sie das Foul überlebt haben.“

„Tja, ich bin eben hart im Nehmen.“

Sie musste kichern und kam sich wie ein Schulmädchen vor. Hastig leerte sie ihr Glas.

„Möchten Sie noch was?“, bot er an.

„Nein, vielen Dank. So langsam muss ich wirklich ins Hotel zurück, um das Abendessen vorzubereiten. Ich will die Gäste nicht warten lassen.“

Sie stand auf und trug ihr Glas zur Spüle. Als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass Paul ihr gefolgt war. Er stellte sein Glas neben ihres und lächelte zu ihr hinunter. „Ich finde es wirklich schön, Sie heute gesehen zu haben. Ich dachte schon, ich muss bis morgen warten.“

„Cassie hat mich gestern angerufen und hergebeten. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid.“

„Nein, aber ich habe sie in den letzten Tagen auch nicht oft gesehen. Sie hat einen ziemlich vollen Terminplan und quetscht immer noch neue Dinge hinein.“

„Ja, sie meinte, es hilft ihr, ihren Verlobten nicht zu sehr zu vermissen.“

„Richtig. Aber sie war immer schon am zufriedensten, wenn sie tausend Projekte gleichzeitig hat. Holly und ich haben uns immer gewünscht, wir könnten ihre Energie in Flaschen abfüllen und verkaufen. Damit wären wir unglaublich reich geworden.“

Bonnie hob die Hand und strich sachte über seine von der Sonne leicht gerötete Wange. „Haben Sie hier schon was draufgetan?“

„Cassie hat mir eine Aloe Vera Creme gegeben. Und mir eine Standpauke gehalten, weil ich nicht besser aufgepasst habe. Aber es ist nicht so schlimm.“

Bonnie verzog das Gesicht. „Ich bekomme schon einen Sonnenbrand auf dem Weg vom Haus zum Auto. Ohne Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 30 bin ich aufgeschmissen.“

Auch Paul hob nun die Hand und streichelte leicht ihre Wange. „Sie haben so helle Haut. Bezaubernd.“

Eigentlich hätte sie an seine Nähe ja mittlerweile schon gewöhnt sein müssen, doch noch immer ließ jede Berührung ihr Herz höher schlagen. Da sie sich ja erst gestern ihr gegenseitiges Interesse eingestanden hatten und sie noch immer nicht sicher war, ob er ernsthafte Absichten hatte oder nur an einer Affäre interessiert war, nahm sie sich fest vor, sich nicht rettungslos in ihn zu verlieben.

Jetzt hatte sie es so lange geschafft, sich nicht das Herz brechen zu lassen – da sollte Paul bestimmt nicht der Erste sein.

„Sie sehen auf einmal so ernst aus.“

Wie lange hatte sie gedankenversunken vor ihm gestanden?

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Tut mir leid, mir geht wohl gerade eine Menge durch den Kopf.“

Langsam strich er mit dem Daumen über ihre Unterlippe. „Ich will Ihnen nicht noch mehr Stress bereiten. Es wäre mir viel lieber, Sie würden mich als jemanden sehen, mit dem man sich entspannen und Spaß haben kann.“

Verführerische Worte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie mit Paul jede Menge Spaß haben konnte.

„Das klingt gut …“, sagte sie leise.

Sein Mund war sehr dicht vor ihrem, als er murmelte: „Das finde ich auch.“

Offenbar wollte er den nächsten Schritt ihr überlassen, und das gefiel ihr gut. Und weil sie ihn so mochte, machte sie den nächsten Schritt auch, indem sie sich ein wenig nach vorn lehnte und den Kopf in den Nacken legte. Langsam, fast feierlich beugte er sich zu ihr hinunter und berührte ihre Lippen mit seinen. Er ließ sich Zeit für diesen ersten Kuss, als wolle er jede Sekunde auskosten und sich einprägen. Wie stark er war, hatte sie schon festgestellt, als er sie von der Trittleiter gehoben hatte. Jetzt drückte er sie fest an sich, und sie spürte seine wohldefinierten Muskeln. Trotz des Größenunterschieds passten sie körperlich wunderbar zusammen. Sie lag geborgen in seinen Armen, und er umschloss sie wie ein schützender, warmer Mantel.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Arme um seinen Hals zu schlingen. Als sie die Lippen einladend öffnete, ließ er sich nicht lange bitten und liebkoste sie mit der Zungenspitze, bevor er den Kuss vertiefte.

„Das habe ich mir gewünscht, seit ich dich nach unserem ersten Zusammenprall vom Fußboden hochgezogen habe“, gestand er mit einem etwas wackeligen Lächeln.

„Tja, du hast mich schon bei unserer ersten Begegnung komplett umgehauen“, murmelte sie und küsste ihn noch einmal, bevor sie ihn bedauernd losließ. „Leider muss ich jetzt wirklich dringend zurück ins Hotel.“

„Natürlich – auch wenn ich wünschte, du könntest noch bleiben. Wir sehen uns aber morgen?“

„Ja, sehr gern. Den Nachmittag habe ich mir freigenommen.“

„Und was würdest du gern unternehmen? Einen Ausflug oder eher Kultur? Jeans oder Abendkleid?“

Ohne Zögern antwortete sie: „Ausflug und Jeans. Ich war in den letzten Wochen viel zu wenig an der frischen Luft. Oder hast du von sportlichen Aktivitäten nach diesem Wochenende erst mal genug?“

„Niemals. Ich genieße es, in der Natur zu sein. Warum hätte ich sonst Cassie vorgeschlagen, die Hochzeit in eurem Park abzuhalten?“

„Ah, dann bist du also schuld, wenn es regnet.“

„Oh nein, dafür verklagen wir immer noch dich“, erklärte er gespielt ernst.

Sie ging darauf ein. „Na, vielen Dank auch.“

„Nur ein Witz“, versicherte er lachend. „Ich habe einen Kumpel, der etwa eine Stunde von hier eine Pferderanch betreibt. Man kann mit den Pferden ausreiten oder sich in der Kutsche spazieren fahren lassen. Was meinst du?“

„Ich würde sehr gern reiten. Als wir in Tennessee gewohnt haben, sind wir Kinder immer geritten, aber seit ich nach Virginia gezogen bin, habe ich kein Pferd aus der Nähe gesehen. Ich vermisse das.“

Und das war nur eins der Dinge, die sie aufgegeben hatte, um sich in Vollzeit um das Hotel zu kümmern, stellte sie kopfschüttelnd fest. Es wurde wirklich Zeit, wieder mehr an sich zu denken.

Paul nickte begeistert. „Dann rufe ich Tim an und sage ihm, dass wir kommen. Kann ich dich um eins abholen?“

„Eins ist perfekt. Ich freue mich darauf.“

Er küsste sie noch einmal und murmelte: „Und ich mich erst …“

Wenn sie die Schwingungen zwischen ihnen richtig deutete, würde nach dem Ausritt in die Berge schneller als gedacht eins zum anderen führen. Und dagegen hatte sie überhaupt nichts einzuwenden …

„Hey, musst du dich nicht langsam für dein Date umziehen?“, fragte Kinley am nächsten Mittag, als sie die Buchungen für die kommenden Wochen durchgingen.

Bonnie blickte auf ihre Armbanduhr. „Bin ja schon weg. Du schaust heute Abend nach den Gästen, wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin?“

„Natürlich. Nimm dir alle Zeit der Welt. Du hast dir wirklich mal einen freien Abend verdient. Oder komm erst morgen früh wieder, das ist auch völlig okay.“

„Ich bleibe nicht über Nacht weg“, murmelte Bonnie halbherzig. Zumindest war das für heute nicht geplant.

„Ach nein? Was geht denn dann zwischen Paul und dir eigentlich vor?“

Bonnie schüttelte den Kopf. „Wir verbringen ein paar nette Stunden bei einem Ausritt“, erklärte sie. „Vielleicht wird mehr daraus, vielleicht auch nicht. Es ist also keine große Sache, klar?“

Kinley lachte. „Tut mir leid, kleine Schwester, ich mache doch nur Witze. Du verbringst viel zu viel Zeit hier im Hotel, und ich freue mich, dass du mal rauskommst. Und Paul scheint ein netter Kerl zu sein. Allerdings …“

„Allerdings was?“

„Na ja, sei ein bisschen vorsichtig, okay? Ein so gut aussehender Mann der mit vierzig noch Single ist … Möglicherweise ist er ein Playboy. Behalt das im Hinterkopf, wenn du dich mit ihm vergnügst.“

Normalerweise kehrte Kinley nie die große Schwester heraus. Wieso also jetzt?

„Wie gesagt, wir unternehmen nur etwas zusammen und schauen, was draus wird“, wiederholte Bonnie langsam.

„Hauptsache, das, was passiert, verletzt dich nachher nicht, weil er das eine sagt und das andere tut oder ihr unterschiedliche Vorstellungen davon habt, wie es weitergeht. Glaub mir, das ist kein Spaß.“

Kinley sprach aus Erfahrung, denn ihr erster Mann hatte sie drei Monate nach der Hochzeit verlassen, weil er festgestellt hatte, dass er seine Freiheit brauchte.

„Ich lasse mir nicht das Herz brechen, keine Sorge“, versicherte Bonnie. „Aber danke für deine Fürsorge.“

Plötzlich verlegen strich sich Kinley eine Haarsträhne hinters Ohr. „Verflixt, da habe ich mich wohl gerade zu mütterlich verhalten. Vergiss, was ich gesagt habe, und hab viel Spaß mit deinem sexy Lehrer. Das Inn wird noch stehen, wenn du zurückkommst.“

„Das wäre schön. Ruft mich an, wenn …“

„Auf gar keinen Fall. Und jetzt ab mit dir.“

Bonnie ging in ihre Wohnung und zog sich um. Die Kleidung hatte sie sich schon am Vorabend zurechtgelegt: eine gut sitzende Jeans und eine gelbe, kurzärmlige Bluse mit Lochstickerei über einem passenden spitzenbesetzten Trägertop. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Sie hatte „schick, aber outdoortauglich“ im Sinn gehabt und war mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Vorsichtshalber steckte sie noch einen Haargummi ein, falls sie nachher die Haare zum Pferdeschwanz binden wollte. Aus dem obersten Fach ihres Kleiderschranks holte sie dann mithilfe einer Trittleiter noch den Karton mit ihren Reitstiefeln, die sie so lange nicht getragen hatte, dass sie sie abstauben musste.

Handy, Geld und einige persönliche Dinge verstaute sie in einer kleinen Umhängetasche, die sie sich schräg über die Schulter hängen konnte, um beim Reiten die Hände frei zu haben. Damit war sie fertig – und zwar zwanzig Minuten zu früh. Um gar nicht erst nervös zu werden – was ja auch völlig unnötig war –, setzte sie sich auf die Hotelveranda in die Sonne und plauderte mit ein paar Gästen.

Kurz darauf kam Pauls gelber Mustang die Einfahrt hinauf. Paul hatte das Verdeck des Cabrios offen, und Bonnie beglückwünschte sich dazu, dass sie an einen Haargummi gedacht hatte.

„Oh, Sie sind ja ein richtiger Glückspilz“, bemerkte die ältere Dame, mit der Bonnie gesprochen hatte. „Da wünsche ich Ihnen viel Spaß.“

Paul nahm die Sonnenbrille ab, bevor er Bonnie mit einem warmen Lächeln begrüßte. Auch er trug ein kurzärmliges Hemd und Jeans, und beide Kleidungsstücke saßen genau richtig, um seine wohldefinierten Muskeln erahnen zu lassen, ohne hauteng zu wirken. Seine Cowboystiefel fand sie sehr sexy – aber andererseits hatte sie ihn bisher noch in keinem Kleidungsstück gesehen, das sie nicht sexy fand.

Er küsste sie leicht auf die Wange und öffnete ihr die Beifahrertür. „Du siehst sehr hübsch aus.“

„Danke.“

„Möchtest du lieber mit geschlossenem Verdeck fahren?“

„Oh nein, offen bitte. Es ist Jahre her, dass ich in einem Cabrio gesessen habe.“

Das schien ihn zu freuen. Während er sich hinters Steuer setzte, band sie sich die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und setzte ihre Sonnenbrille auf.

Paul lächelte ihr zu. „Bereit?“

Sie hob das Kinn und erwiderte aus vollstem Herzen: „Bereit.“

Es war dieser Unterton in ihren wenigen Worten, der die seit Tagen schwelende Glut in ihrer Mitte wieder auflodern ließ.

4. KAPITEL

Sie hätten keinen besseren Tag für einen Ausritt wählen können. Am Himmel standen nur ein paar Wolken, die aber die heiße Sonne so weit abhielten, dass auch die Wegstücke, die nicht im Schatten von Bäumen lagen, angenehm waren. Am Horizont hing eine dunklere Wolkenbank, doch der Regen war erst für die Abendstunden angesagt.

Pauls Freund Tim hatte sich davon überzeugt, dass auch Bonnie mit einem Pferd umgehen konnte, und sie beide dann allein losreiten lassen. Da Paul den Weg kannte, ritt er voraus, was Bonnie nur recht war: So konnte sie ihn ausgiebig betrachten, ohne dass es allzu sehr auffiel.

„Es war sehr nett von deinem Freund, dass er uns ohne Reitlehrer losgeschickt hat“, bemerkte Bonnie, als sie auf einem breiten Wegstück nebeneinander ritten. „In Tennessee musste immer jemand von der Ranch dabei sein.“

„Ich bin diesen Trail mit Cassie oder den Zwillingen schon so oft entlanggeritten, dass ich ihn mit verbundenen Augen finden würde“, erwiderte er. „Und mit Tim bin ich seit Jahren befreundet, also weiß er, dass ich die Pferde richtig behandle.“

„Bist du mit Pferden aufgewachsen?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin in der Stadt groß geworden. Meine Eltern waren beide schon über vierzig, als sie mich bekamen, und leider ist mein Dad dann gestorben, als ich vier war. Er hatte Multiple Sklerose und konnte am Ende nicht mehr viel machen. Wahrscheinlich hat sich meine Mutter bei der Pflege so sehr übernommen, dass sie später selbst kränklich war. Ich habe sie, so gut es ging, unterstützt, aber sie wollte sich nie gern helfen lassen. Für Freizeitaktivitäten war da natürlich nicht viel Zeit.“

„Und wie bist du dann so ein sportlicher Typ geworden?“, fragte sie. „Der noch dazu so gut reiten kann?“

Er lachte. „Der jüngere Bruder meiner Mutter, mein Onkel Brian, hat mich als Kind so oft wie möglich mitgenommen zum Fischen und Fußballspielen und so. Und reiten habe ich mit Cassie zusammen gelernt. Larry ist kein Sportlertyp, und Holly hat Angst vor Pferden, daher durfte ich sie in ihrer Pferdephase begleiten und habe dann auch gleich Unterricht genommen.“

Nachdenklich tätschelte Bonnie ihrem Pferd den Hals. Kein Wunder, dass Paul so hilfsbereit war und sich so engagiert um seine Tochter kümmerte. Er hatte schon als Kind gelernt, sich um andere zu kümmern. Aber das erklärte vielleicht auch, warum er sich so darauf freute, endlich ein freier Junggeselle zu sein.

„Holly ist dann wahrscheinlich auch aus Raleigh, wo ihr euch doch auf der High-School kennengelernt habt?“, fragte sie.

Er wartete mit der Antwort, bis sie ein unebenes Stück passiert hatten.

„Ja. Holly und Larry sind erst später nach Virginia gezogen, aus beruflichen Gründen. Ich habe Cassie hier besucht, und es hat mir gefallen, also bin ich dann auch hergekommen, um näher bei ihr zu sein. Sie war da erst neun.“

Sie passierten ein steiniges Bachbett, und Pauls Pferd blieb stehen, um zu trinken. „Und bevor du fragst – ich habe nicht vor, nach London oder Dallas zu ziehen.“

Fragend hob Bonnie eine Augenbraue. „Dallas?“

„Oh, hat Cassie das nicht erzählt? Holly und Larry ziehen mit den Zwillingen nach Texas. Holly wurde dort eine Partnerschaft in einer Rechtsanwaltskanzlei angeboten.“

„Nein, das wusste ich nicht. Und wie geht es dir damit?“

War er erleichtert, weil damit auch seine Onkelpflichten wegfielen, denen er jetzt so oft nachkam? Oder würde er die Zwillinge genauso stark vermissen wie Cassie?

Paul antwortete nicht, sondern stieg mit einer fließenden Bewegung vom Pferd. Sie waren an einem wunderhübschen Bach angekommen, der sich mit den schattigen Bäumen und großen Steinen rundherum perfekt als Rastplatz eignete.

„Wollen wir ein paar Schritte gehen?“, fragte Paul, nachdem er die Zügel seines Pferds einfach auf den Boden gelegt hatte.

Obwohl sie leicht selbst hätte absteigen können, ließ sie es zu, dass er ihr half, nur um wieder seine Hände um ihre Taille zu spüren. Als sie auf dem Boden stand, ließ er sie nicht sofort los.

„Leg die Zügel auf den Boden“, sagte er nur.

„Müssen wir die Pferde nicht festbinden?“

„Nein, Tim hat sie hervorragend trainiert. Wenn der Zügel auf dem Boden schleift, bleiben sie stehen.“

„Sie sind wunderschön. Und man sieht, dass sie gut gepflegt werden.“

„Ja, Tim gehen seine Pferde über alles.“

„Wie lange kennst du ihn schon?“

„Über zehn Jahre. Ich habe ihn kennengelernt, kurz nachdem ich hierhergezogen bin. Eigentlich weil ich, nun ja, mit seiner Schwester Laura eine kurze Beziehung hatte. Mit uns hat es nicht geklappt, aber da war ich eben schon eng mit Tim befreundet. Sie hat dann seinen Partner geheiratet, Jase. Wir sind auch immer noch gute Freunde.“

Sein leichter Tonfall verriet ihr, dass er Laura keine Träne nachweinte.

Bonnie machte sich von ihm los und ging zum Bach.

„Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich mich fühle“, sagte er leise hinter ihr.

Fragend blickte sie ihn über die Schulter an. „Was meinst du?“

Er lächelte ein wenig seltsam. „Du hast gefragt, wie es mir damit geht, dass Holly und Larry wegziehen, aber ich muss mich an den Gedanken erst noch gewöhnen. Natürlich freue ich mich für Holly. Aber es wird sich seltsam anfühlen, wenn die Familie so verstreut ist.“

Bonnie hob einen glatt geschliffenen grünen Stein aus dem Bachbett auf. „Aber in Texas werden bestimmt auch Mathelehrer gebraucht.“

„Nein, Dallas ist jetzt Hollys Lebensweg, nicht meiner. Wir werden durch Cassie immer in Verbindung stehen, irgendwann vielleicht auch durch die Enkelkinder. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass wir unsere eigenen Wege gehen. Wenn ich denn erst mal herausgefunden habe, wohin mein Weg mich jetzt führt. Schließlich steht mir die ganze Welt offen.“

Sie zögerte kurz, dann fragte sie doch: „Tut es dir leid, dass Holly und du nicht zusammengeblieben seid?“

Sein Lachen klang echt. „Nein, überhaupt nicht. Wir waren ja noch halbe Kinder, als Cassie kam. Selbst wenn wir um ihretwillen zusammengeblieben wären, hätte die Beziehung keinen Bestand gehabt. Wir waren einfach zu verschieden. Ich freue mich für sie, dass sie mit Larry wirklich glücklich ist.“

Nachdenklich blickte Bonnie auf den sprudelnden Bach. Ob der Hauptunterschied zwischen Paul und Holly wohl darin bestanden hatte, dass sie noch mehr Kinder wollte und er nicht?

Aber dann sagte sie sich, dass sie sich den herrlichen Tag nicht mit solchen müßigen Überlegungen verderben sollte.

Hinter ihnen schnaubte eines der Pferde, und sie musste lachen. „Ich glaube, da will jemand weiter.“

„Er kann noch ein paar Minuten warten.“

Sie hatte nicht gemerkt, wie dicht Paul hinter ihr stand, bis er ihr die Hände auf die Schultern legte. Lächelnd drehte sie sich um und hob das Gesicht, als er sich zu ihr hinunterbeugte. Als sie ihm die Arme um den Hals schlang, fand sie auch, dass die Pferde sich noch ein wenig gedulden konnten.

Er ließ sich Zeit für den Kuss, und sie schloss die Augen und genoss jeden Moment. Es war das perfekte Gefühl in einer wunderschönen Umgebung – sinnlich, leidenschaftlich und unglaublich prickelnd.

Als er sie langsam wieder freigab, öffnete sie die Augen und sah sein zufriedenes Lächeln. „Darauf habe ich gewartet, seit ich dich abgeholt habe.“

„Dann bin ich ja froh, dass du endlich dazu gekommen bist“, gab sie zurück.

Er lachte leise und küsste sie wieder. „Du siehst wirklich gut aus auf einem Pferd. Aber andererseits siehst du immer gut aus.“

„Und du bist ein ziemlicher Charmeur“, stellte sie fest. „Aber ich beklage mich nicht.“

„Ich sage nur die Wahrheit“, protestierte er. „Tim hat mich heute schon dazu beglückwünscht, dass ich mit dir hier bin. Und ich kann ihm nur rechtgeben.“

Eins der Pferde schnaubte laut und rief Bonnie ins Bewusstsein, dass sie noch ein gutes Stück Weg vor sich hatten. Paul seufzte, als könne er ihre Gedanken lesen.

„Ich denke, wir sollten besser weiterreiten. Komm, ich helfe dir in den Sattel.“

Bonnie blickte noch einmal in die Runde und nahm die magische Stimmung ihres Rastplatzes in sich auf, dann drehte sie sich um und ging zu ihrem Pferd.

Als sie wieder zu den Ställen zurückkamen, war die Wolkendecke dicker geworden, und Bonnie konnte den Regen förmlich riechen. Regen war gut für die Pflanzen im Park, aber sie war immer froh, wenn es am Wochenanfang regnete und nicht an den Wochenenden, wenn die Hochzeiten stattfanden.

Sie küsste ihr Pferd auf die Nüstern und bedankte sich für den angenehmen Ausritt.

„Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben“, sagte Tim. „Kommen Sie ruhig einmal wieder, ja?“

„Gern. Und ich werde Ihre Ranch meinen Hotelgästen empfehlen.“

In Erwartung des großen Regens schloss Paul für die Rückfahrt das Cabrioverdeck. Nach zehn Minuten Fahrt räusperte er sich. „Ich weiß, es ist noch ziemlich früh fürs Abendessen, aber ich habe Hunger. Möchtest du auch was essen? Es gibt hier an der Strecke ein nettes kleines Restaurant, in dem ich mit den Kindern oft einkehre.“

Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Obwohl es erst Viertel vor fünf war, knurrte ihr ebenfalls der Magen. Musste an der vielen frischen Luft liegen.

„Ja, ich könnte auch was zu essen vertragen.“

Er nickte, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Die Strecke war schmal und kurvig, an einigen Stellen ging es am unbefestigten Straßenrand steil bergab. Bonnie genoss die schöne Landschaft, war aber froh, dass Paul so konzentriert und vorsichtig fuhr. Was man nicht von allen sagen konnte, dachte sie, als ein Motorrad sie an einer unübersichtlichen Stelle überholte. Es waren offenbar Teenager. Der Junge fuhr und das Mädchen klammerte sich an ihm fest. Wenigstens trugen beide einen Helm, doch ansonsten statt einer Motorradkluft nur Shorts und T-Shirts.

„Idiot“, murmelte Paul, als das Motorrad sich vor ihnen fast waagerecht in eine der scharfen Kurven legte. „Wenn jemand so mit meiner Tochter auf dem Soziussitz fahren würde, würde ich ihn …“ Er unterbrach sich. „Oje, das klang jetzt ziemlich wütend, was?“

„Aber du hast völlig recht. Es ist verantwortungslos. Ich hoffe nur, dass …“

Sie konnte den Satz nicht mehr beenden, denn als Paul vorsichtig um die nächste Kurve bog, sahen sie gerade noch, wie das Motorrad ins Schleudern kam und über den Straßenrand im Abgrund verschwand.

Paul trat auf die Bremse und schaltete den Warnblinker ein.

„Ruf einen Krankenwagen!“ Er sprang aus dem Wagen.

Bonnie wählte die Notrufnummer und folgte ihm. Am Straßenrand sahen sie, dass der Abhang zum Glück nicht so steil war wie befürchtet. Das Motorrad hatte mehrere Büsche gestreift und lag nun am Fuße des Hügels an einem Baum. Die beiden Fahrer waren schon vorher abgeworfen worden. Der Jungen, hatte sich aufgesetzt und nahm gerade seinen Helm ab, das Mädchen lag reglos im Gras. Paul kniete sich neben sie.

„Legen Sie sich besser wieder hin“, sagte Bonnie, als sie den jungen Mann erreicht hatte. Sie drückte beruhigend seine Schulter, während sie besorgt seine blutenden Arme und Beine betrachtete. Hoffentlich hatte er nicht auch noch innere Verletzungen.

„Bleiben Sie ganz ruhig“, sagte sie. „Ein Krankenwagen ist unterwegs.“

Seine dunklen Augen waren vor Schmerz und Schock geweitet, sein Gesicht wirkte aschfahl. „Meine Freundin“, murmelte er. „Cheryl …“

„Mein Freund kümmert sich um sie“, versicherte sie ihm. „Und wie ist Ihr Name?“

Er stöhnte leise. Offenbar ließ die erste Betäubung bereits nach. Er musste ziemliche Schmerzen haben. „Kyle. Kyle Neighbors.“

„Okay, Kyle. Legen Sie sich wieder hin, dann schaue ich nach Ihrer Freundin.“

Er nickte mit geschlossenen Augen, und sie eilte zu Paul hinüber. „Wie geht es ihr?“

„Sie hat einige Verletzungen, aber es geht ihr so weit gut“, sagte er so laut, dass auch Cheryl es hören konnte.

Er hatte das Visier des Helms aufgeklappt, ihn ihr aber nicht abgenommen. Noch besorgniserregender fand Bonnie aber, dass unter der Hand, die Paul auf Cheryls Bein drückte, Blut hervorquoll. Ohne nachzudenken, zog sie die Bluse aus und reichte sie ihm.

„Hier, nimm die als Druckverband“, sagte sie.

Autor

Gina Wilkins

Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden!

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