Bianca Extra Band 29

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WEIL UNS NICHTS MEHR TRENNEN KANN von JUMP, SHIRLEY
Mac Barlows Welt steht Kopf, als er die schöne Savannah trifft. Bei ihr verspürt der erfolgreiche Geschäftsmann nie gekannte Gefühle von Leichtigkeit und Glück. Aber wenn er sich jetzt der Liebe hingibt, verrät er sein Ziel. Denn eigentlich wollte er nur eins: Savannahs Firma!

MARTAS GRÖßTE SEHNSUCHT von MARSHALL, LYNNE
Keine Verpflichtungen. Keine Versprechen. Marta ist sich einig mit Leif Andersen, dass sie nur eine kurze Affäre haben. Schließlich ist der attraktive Witwer aus Heartlandia für eine neue Beziehung so wenig bereit wie sie. Trotzdem wächst bald eine geheime Sehnsucht in Marta …

ERST NANNY, DANN NEUE LIEBE? von MAJOR, MICHELLE
Jake Travers liebt seine Unabhängigkeit über alles. Als frischgebackener Single Dad muss er allerdings über seinen Schatten springen und Millie als Nanny engagieren. Natürlich nur seiner kleinen Tochter zuliebe. Nicht weil er sich spontan zu Millie hingezogen fühlt - oder doch?

EIN HAPPY END FÜR UNS ZWEI von KIRK, CINDY
Den perfekten Mann zum Heiraten zu finden, steht ganz oben auf Mitzis Liste. Dumm nur, dass ausgerechnet der attraktive Bad Boy Keenan McGregor ihr Herz höher schlagen lässt. Denn jemand wie er ist vielleicht der Richtige für heiße Küsse, aber nicht für ein Happy End. Was jetzt?


  • Erscheinungstag 15.03.2016
  • Bandnummer 29
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732455
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shirley Jump, Lynne Marshall, Michelle Major, Cindy Kirk

BIANCA EXTRA BAND 29

SHIRLEY JUMP

Weil uns nichts mehr trennen kann

Seit sie Mac Barlow getroffen hat, erkennt Savannah sich selbst nicht wieder: Wie kann sie ausgerechnet für den Mann, der das Erbe ihres Vaters zerstören will, romantische Gefühle entwickeln?

LYNNE MARSHALL

Martas größte Sehnsucht

Der Liebe hat Witwer Leif Andersen für immer abgeschworen. Doch seine leidenschaftliche Begegnung mit der schwangeren Künstlerin Marta bringt gegen seinen Willen alle Vorsätze ins Wanken …

MICHELLE MAJOR

Erst Nanny, dann neue Liebe?

Single Dad Jake Travers braucht dringend eine Nanny für seine Tochter, und Millie sehnt sich nach einer neuen Aufgabe – mehr nicht! Bis sie sich, ohne es zu wollen, immer mehr zu Jake hingezogen fühlt …

CINDY KIRK

Ein Happy End für uns zwei

Zwischen der faszinierenden Mitzi und Keenan McGregor prickelt es unwiderstehlich heiß. Aber Vorsicht: Mitzi ist auf der Suche nach einem Mann zum Heiraten. Und Keenan hat gerade ganz andere Pläne …

1. KAPITEL

Bei Mac Barlows Geburt soll sein Großvater gesagt haben: „Aus dem Jungen wird mal was. Man spürt, dass der Ehrgeiz in ihm brennt.“ Niemand konnte mehr jenen Augenblick rekonstruieren, in dem Grandpa Barlow seinen ersten Enkel in den Armen gehalten hatte, und Earl Ray Barlow selbst war schon vor zwanzig Jahren gestorben. Doch das Gerücht hatte sich hartnäckig gehalten und sich im Laufe der Zeit zu einer immer weiter von Tanten, Onkels und Geschwistern ausgeschmückten Legende entwickelt.

Jeder, der Mac Barlow kannte, wusste, dass er dieser Prophezeiung mehr als gerecht geworden war. In ihm brannte tatsächlich ein nie zu stillender Ehrgeiz. Er war nie zufrieden, hatte immer neue Pläne, musste ständig jemanden anrufen oder ein Geschäft abwickeln. Das hatte schon während seines ersten Semesters auf dem College angefangen – mit ein bisschen Startgeld, das Mac sich mit einem Nebenjob während der Highschoolzeit verdient hatte. Nach seinem ersten Gehaltsscheck hatte er sich rasant zu einem der im Forbes Magazine vorgestellten erfolgreichsten Unterdreißigjährigen entwickelt.

Als er eines Sonntagnachmittags mit röhrendem Motor nach Stone Gap, North Carolina fuhr, wollte er mal wieder zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zur Hochzeit seines Bruders Jack gehen und für Barlow Enterprises einen Kauf unter Dach und Fach bringen. Der Deal wurde bisher zwar hartnäckig von einer unglaublich sturen Frau blockiert, doch Mac ließ sich davon nicht beirren. Bisher hatte er noch jedes Hindernis überwunden. Er hatte daher beschlossen, schon eine Woche vor der Hochzeit seines Bruders nach Stone Gap zu fahren, um Savannah Hillstrand zur Vernunft zu bringen.

Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet raste er auf seiner Harley wie ein dunkles Gespenst durch die Straßen von Stone Gap, wie immer mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Er legte sich in jede Kurve und küsste dabei fast den Asphalt. Er liebte diese raren Momente auf dem Motorrad, wenn er ausnahmsweise mal nicht Geschäftsführer war. Kein Anzug, keine Krawatte, niemand, der ihn anrief, ihm eine Mail schickte oder an seine Tür klopfte, damit er eine Entscheidung traf. Nur er, das Motorrad und die Straße – die einzigen Auszeiten, die er sich gönnte.

Stone Gap war rasch durchquert, so winzig war die Stadt. Ein Teil davon sah noch immer so aus, als würde die Zeit hier seit dem Bürgerkrieg stillstehen, doch Mac würdigte das Zentrum mit seinen historischen Häusern kaum eines Blickes. Auf dem Highway gab er so kräftig Gas, dass ihm der Wind ins Gesicht peitschte. Kurz darauf bog er auf den Parkplatz eines Firmengebäudes.

Mac war zuversichtlich, dass das bevorstehende Meeting genauso enden würde wie alle seine Meetings: damit, dass er sich durchsetzte.

Er zog sein Handy aus seiner Jackentasche und rief Savannah an. Während er darauf wartete, dass sie abnahm, betrachtete er das in der Spätnachmittagssonne funkelnde Glasgebäude, dessen Firmenlogo einer über dem Horizont aufsteigenden Sonne glich.

Nach fünf Freizeichen ging Savannah endlich ran. „Hallo?“

Sie hatte eine überraschend angenehme und melodiöse Stimme. „Miss Hillstrand, hier ist Mac Barlow. Wir haben gleich ein Meeting.“

„Natürlich. Schön, dass Sie es geschafft haben, und noch dazu pünktlich. Ich weiß das zu schätzen.“

Bisher hatte Mac sich mit ihr nur per E-Mail ausgetauscht. Ihre waren so nüchtern und kurz angebunden gewesen, dass er sie sich unwillkürlich mit Hornbrille und strengem Haarknoten vorgestellt hatte.

„Kommen Sie rauf, ich bin im vierten Stock.“

Sie nannte ihm den Code für die Tür und erklärte ihm den Weg. Mac gab die vier Zahlen ein, ignorierte den Fahrstuhl und stieg die Treppen zum obersten Stockwerk hinauf, wo er das Büro des Geschäftsführers vermutete.

Auf dem Weg dorthin ging Mac noch mal sämtliche Fakten im Kopf durch. Hillstrand Solar, einer der ersten Produzenten von Solarzellen im Süden, war jahrelang von Willie Jay Hillstrand geleitet worden. Der Mann hatte aus dem von seinem Großvater gegründeten kleinen Familienunternehmen einen Giganten im Sektor erneuerbare Energien gemacht. Nach seinem Tod vor ein paar Monaten hatte er die Firma seinem einzigen Kind hinterlassen, einer Tochter.

Mac hatte ihr einen Monat Zeit gegeben und dann einen seiner Manager zu ihr geschickt, um ihr ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen konnte. Zu seiner Überraschung war sie nicht darauf eingegangen, auch nicht auf das zweite und das dritte. Als Mac es nach einem weiteren Monat nochmals versucht hatte, war gar keine Reaktion mehr gekommen.

Ein vernünftigerer Mann hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt das Handtuch geworfen, doch Mac wollte die Firma unbedingt. In den letzten Jahren war Mac nämlich dazu übergegangen, die Firmen, die er kaufte, nicht sofort wieder zu veräußern, sondern mehrere zueinander passende Firmen miteinander zu kombinieren und sozusagen als Gesamtpaket anzubieten. Das hatte den Vorteil, dass er höhere Preise verlangen und zugleich mehr Inventar loswerden konnte. Und Hillstrand Solar mit seiner führenden Position im Solarsektor war bei seinem derzeitig geplanten Paket das Sahnehäubchen.

Macs Meinung nach war der Deal nur noch eine Frage der Zeit. Savannah Hillstrand stand das Wasser nämlich inzwischen bis zum Hals. Es fiel ihr offensichtlich nicht leicht, die Firma ihres Vaters weiterzuführen. Dass sie sich zu einem Meeting bereit erklärt hatte, noch dazu an einem Sonntag, wo die Belegschaft nicht da war, war schon mal ein gutes Zeichen. Er würde ihr ein verlockendes Angebot machen und danach sein nächstes Projekt angehen. Er hatte während seines Aufenthalts im Süden nämlich noch mindestens vier weitere Firmen im Visier.

Okay, vielleicht kam ihm das sonntägliche Meeting auch deshalb ganz gelegen, weil es ihm einen guten Vorwand bot, den Besuch bei seiner Familie aufzuschieben. Er liebte seine Brüder, wirklich, aber was seine Eltern anging … zwischen ihm und seinem Vater herrschte schon seit Jahren Funkstille.

Ehrlich gesagt hatte Mac absolut keine Lust auf die Begegnung mit Bobby. Er wusste nicht, wie er ihm nach seiner unglaublichen Entdeckung letzte Woche gegenübertreten sollte. Ein „Hey Dad, ich habe erfahren, dass du uns einen Halbbruder verheimlicht hast“, würde ihn beim Sonntagsessen bestimmt nicht zum Lieblingssohn machen.

Die Gedanken an seine Familie verdrängend öffnete Mac die schwere Treppenhaustür im vierten Stock und betrat ein langweiliges graues Büro mit ebenso langweiligen grauen Bürozellen. Er hatte schon Hunderte solcher Büros gesehen, eins deprimierender als das andere. Seine eigenen Büroräume in Boston waren hell, großzügig und offen. Hillstrand Solar kam ihm im Vergleich dazu wie ein Gefängnis vor.

„Mr. Barlow. Endlich lernen wir uns persönlich kennen.“

Mac drehte sich zu einer groß gewachsenen schönen Blondine um – ohne Haarknoten oder Omabrille. Ehrlich gesagt war Savannah Hillstrand das Gegenteil dessen, womit er gerechnet hatte.

Sie trug einen maßgeschneiderten grauen Hosenanzug, darunter eine rosa Seidenbluse und hatte das Haar locker zurückgebunden. Ein paar lose Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Sie trug kaum Make-up, nur ein bisschen Mascara und rosa Lippenstift, an dem Macs Blick viel zu lange hängen blieb.

„Miss Hillstrand“, sagte er förmlich und ging auf sie zu, um ihr die Hand zu schütteln. Er hatte plötzlich ein ganz komisches Gefühl in der Magengegend. Musste daran liegen, dass er nichts gegessen hatte. „Sie sind nicht ganz wie … äh … wie ich erwartet habe“, stammelte er, etwas, das ihm sonst nie passierte. Was ist bloß los mit mir?

Miss Hillstrands Händedruck war fest und warm. Geschäftsmäßig. „Mir geht’s genauso, was Sie angeht. Ich habe Sie mir irgendwie … seriöser vorgestellt.“

Übersetzung: steif und langweilig. Mac wusste selbst nicht, warum er ihr das übel nahm. Immerhin hatte er sie für den Typ altjüngferliche Bibliothekarin gehalten. „Sie haben mich an einem Wochenende erwischt“, erklärte er. „Ab Montag trage ich wieder Anzüge und Krawatten. Oder zumindest meine Version davon.“

Savannah musterte ihn von Kopf bis Fuß, betrachtete die Lederjacke, die Bikerstiefel, die dunkle Jeans und das weiße Hemd – das einzige Zugeständnis an ein seriöses Outfit, das Mac an Wochenenden machte. „Und was ist Ihre Version von Anzug und Krawatte? Lederchaps?“

Er musste lachen. „Ganz und gar nicht. Normalerweise trage ich dunkle Jeans, Hemd und Krawatte. Und ein Jackett, falls ich mich mit einem Anwalt treffen muss.“

Miss Hillstrand stimmte in sein Lachen mit ein. Es klang hübsch und melodiös … und irgendwie sexy. Ihre Lederchaps-Bemerkung ließ darauf schließen, dass sie Pepp hatte. Hm, interessant. „Wollen wir uns setzen und über mein Angebot reden?“, schlug er vor.

„Wir können uns gern unterhalten, aber zunächst mal möchte ich eins klarstellen: Ich habe kein Interesse an einem Angebot Ihrerseits. Ich verkaufe nicht.“ Ihre anfängliche Freundlichkeit war kühler Distanz gewichen. „Ich habe Ihnen schon mehr als einmal klargemacht, dass es reine Zeitverschwendung wäre, hierherzukommen, aber Sie haben nicht lockergelassen, also dachte ich, Sie glauben mir vielleicht, wenn Sie mir gegenüberstehen. Ich werde Hillstrand Solar nicht an Sie verkaufen, weder jetzt noch in Zukunft.“

Mac ließ sich nicht von ihren Worten beirren. Er würde schon mit Savannah fertig werden, so wie er bisher noch mit allen störrischen Firmenbesitzern fertig geworden war. Er musste ihr einfach klarmachen, dass sie ihre Firma nicht mehr lange würde halten können. „Ich werde Ihnen ein sehr faires Angebot machen. Dann wären Sie reich genug …“

„Geld ist mir egal“, schnitt sie ihm das Wort ab.

Mac lachte spöttisch. „Niemandem ist Geld egal. Jeder hat seinen Preis, Miss Hillstrand.“

„Ich nicht.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig das Kinn. „Sie können mich mit Ihrem Charme einzuwickeln versuchen, wie Sie wollen, aber ich verkaufe nicht.“

Macs Blick blieb an ihrer Hose hängen, die wie eine zweite Haut saß, dunkel, weich und verführerisch. Unwillkürlich stellte er sie sich ohne Hose vor, nur mit einem Spitzenslip bekleidet und unendlich langen Beinen …

Verdammt, wo kam das denn plötzlich her? Er schüttelte den Kopf, um die unerwünschte Fantasie loszuwerden. Er war geschäftlich hier und nicht privat, und er hatte nicht die Absicht, beides zu mischen. So etwas ging nie gut.

Er räusperte sich verlegen. „Warum treffen Sie sich dann mit mir? Dass Sie nicht verkaufen wollen, haben Sie mir doch schon in Ihren E-Mails geschrieben.“

„Weil Sie sonst anscheinend nicht lockerlassen. Wie schon gesagt, ich wollte Ihnen ein für alle Mal klarmachen, dass ich es ernst meine. Todernst.“ Ihre grünen Augen blitzten wütend auf. „So, und jetzt, wo Sie meinen Standpunkt kennen, muss ich zurück an die Arbeit. Guten Tag, Mr. Barlow.“

Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz – falls man das graue mit Unterlagen übersäte Ding so nennen konnte. Absolutes Chaos traf die Sache besser. Nein, Miss Hillstrand war weiß Gott nicht die ordentliche und strukturierte Bibliothekarin seiner Fantasie.

Macs eigener Schreibtisch war in der Regel makellos aufgeräumt, genauso wie die Büros von Barlow Enterprises. Seiner Meinung nach konnte man am besten in fast leeren Räumen denken. Es lag ihm auf der Zunge, Savannah zu raten, erst mal ein bisschen Ordnung zu schaffen, wenn sie die Firma ihres Vaters wieder flottkriegen wollte, aber damit würde er seinem Ziel vermutlich nicht näherkommen.

Okay, Miss Hillstrand war anscheinend eine härtere Nuss als gedacht. Mac lehnte sich mit einer Hüfte gegen den Schreibtisch. „Ihnen steht das Wasser bis zum Hals, das wissen Sie genauso gut wie ich.“

„Wollen Sie damit etwa andeuten, dass ich nicht das Zeug habe, diese Firma zu leiten?“

„Nein, nur, dass Sie nicht die nötige Erfahrung mitbringen. Sie haben einen Abschluss in Geschichte und nur sporadisch hier gearbeitet. Hier geht es aber nicht um die Napoleonischen Kriege, Miss Hillstrand, sondern ums Geschäft. Da braucht man gewisse … Fähigkeiten.“

„Und Sie gehen davon aus, dass mir die abgehen.“ Wieder hob sie trotzig das Kinn.

„Ich weiß, dass Sie die nicht mitbringen.“ Er hatte Nachforschungen über sie angestellt – na ja, sein Personal. Savannah Hillstrand hatte während ihrer Highschool- und Collegezeit aushilfsweise in der Fabrik gearbeitet und dabei fast sämtliche Abteilungen kennengelernt. Zwischendurch hatte sie eine kleine Umbaufirma gegründet und alten Häusern zu neuem Glanz verholfen. Sie war dabei relativ erfolgreich gewesen, hatte jedoch zwischendurch immer wieder bei Hillstrand Solar ausgeholfen.

Willie Ray hätte mal lieber dafür sorgen sollen, dass seine Tochter einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre machte, bevor er ihr die Leitung seiner Firma aufbürdete.

„Sie wissen überhaupt nichts über mich“, erwiderte sie heftig. „Oder diese Firma.“

„Ich weiß mehr als genug, und Zahlen lügen nicht. Die Umsätze sind um fünfunddreißig Prozent eingebrochen, seitdem Sie die Leitung übernommen haben. Sie haben allein letzten Monat zwei Ihrer größten Kunden verloren, und seitdem Sie mit der letzten Kreditzahlung in Verzug gekommen sind, hat die Bank Ihnen den Geldhahn zugedreht …“

Savannah sah ihn wütend an. „Spionieren Sie mir etwa hinterher?“

„Ich stelle nur Nachforschungen an. Ich sammle grundsätzlich sämtliche Fakten, bevor ich eine Firma kaufe.“

„Suchen Sie sich jemand anderen, um Dreck aufzuwühlen.“ Savannahs Wangen waren hochrot. „Hillstrand Solar ist für Ihren … Ausschlachtungs-Laden nicht zu haben.“

Spöttisch hob er eine Augenbraue. „Ausschlachtungs-Laden?“

„Machen Sie das nicht immer so? Firmen kaufen und stückweise wieder verkaufen? Ganz egal, wie viele Menschen dabei ihre Jobs verlieren? Hauptsache, Sie können sich in Ihrem Erfolg sonnen!“

Ihre Worte versetzten Mac einen Stich, doch er ignorierte das Gefühl. Vielen der von ihm gekauften Firmen ging es hinterher besser. Und nicht wenige Besitzer waren dankbar für den Geldregen. Savannah Hillstrand würde schon bald zu ihnen gehören, das war nur eine Frage der Zeit. „Sie lieben bildhafte Vergleiche, oder?“

„Ich beschreibe die Dinge nur so, wie ich sie sehe.“ Sie zeigte zur Tür. „Sie finden den Weg selbst hinaus. Ich habe keine Zeit, mit Ihnen zu diskutieren.“

„Sie haben keine Zeit, mir nicht zuzuhören. Jeden Tag, an dem Sie darauf bestehen, diese Firma zu leiten, verlieren Sie Geld. Lassen Sie mich raten … etwa zwanzigtausend pro Woche?“ Als sie sich versteifte, wusste Mac, dass er richtig geraten hatte.

„Ich muss jetzt arbeiten, um die Gehälter meiner Angestellten zu verdienen – Menschen, die auf mich angewiesen sind.“

„Soweit ich weiß, gibt es so etwas wie Stellenanzeigen. Ihre Leute finden andere Jobs.“

Miss Hillstrand sprang auf und marschierte auf Mac zu. Ihre grünen Augen blitzten. „Sind Sie wirklich so kalt und herzlos?“

„Weder noch. Ich bin nur Realist.“

„Realist?“ Sie schnaubte verächtlich. „Noch so ein Euphemismus für einen skrupellosen Geschäftshai.“

Mac hob abwehrend eine Hand. Ihre Gehässigkeiten hatte er alle schon gehört – vor allem von seinem Vater. Doch aus irgendeinem Grund störte es ihn, dass Savannah ihn für herzlos hielt.

„Bevor Sie mich als leibhaftigen Teufel hinstellen, möchte ich eins klarstellen: Hier geht es um nackte Zahlen, nicht mehr und nicht weniger. Ich kaufe und verkaufe. Für mich macht es finanziell Sinn zu kaufen und für Sie zu verkaufen, das wissen Sie genauso gut wie ich. Ihre Firma wird bald pleite sein, wenn Sie nicht nach der Rettungsleine greifen, die ich Ihnen hinwerfe.“

„Aber die Firma ist das Erbe meines Vaters, ein Teil unserer Familiengeschichte!“ Ihre Stimme zitterte ein bisschen – ein erster Riss in ihrer professionellen Fassade. „Er wird sich im Grab umdrehen, wenn ich verkaufe.“

„Persönliche Gründe haben in der Geschäftswelt nichts verloren.“ Noch während Mac diese Worte aussprach, sah er, dass Savannah die Tränen in die Augen stiegen. Der Anblick ließ ihn nicht ganz ungerührt. Musste an Stone Gap liegen. Normalerweise ließ er sich nicht so schnell erweichen. „Es wäre das Klügste, die Firma zu kaufen, bevor sie zugrunde gewirtschaftet ist“, sagte er etwas sanfter hinzu. „Ich kann ja verstehen, warum Sie weitermachen wollen und bewundere Sie dafür, wirklich. Aber es wäre in Ihrem eigenen Interesse, auf mich zu hören.“

Mac zögerte einen Moment mit seinem nächsten Vorschlag. „Hören Sie, wenn Sie wollen, können wir uns gern gemeinsam die Bücher ansehen. Auf der Basis der Ergebnisse mache ich Ihnen dann ein letztes Angebot.“ Dann hatte er endlich wieder Zahlen und Kolonnen vor sich anstatt einer unglücklichen Frau, die sich an ihrem Familienerbe festklammerte. Er kam sich nämlich plötzlich wie ein Schwein vor.

Savannah wirkte mit einem Mal erschöpft, so als sei ihr Kampfgeist erloschen. „Na schön. Nicht dass ich nachgeben werde, das kommt nicht infrage, aber …“ Ihre Stimme erstarb.

Mac verspürte den Impuls, sich wieder auf sein Motorrad zu setzen und die Stadt zu verlassen, doch dann rief er sich wieder sein Mantra ins Gedächtnis, Privates und Geschäftliches zu trennen und verhärtete sich gegen Savannahs unglücklichen Blick.

„Vielleicht sollte ich Sie zumindest anhören“, fügte Savannah hilflos hinzu. „Falls ich es mir doch noch anders überlege, so unwahrscheinlich das auch ist.“

„Es ist immer besser, sämtliche Informationen zu haben, bevor man eine Entscheidung trifft.“ Mac spürte, dass er als Sieger aus der Diskussion hervorgehen würde, aber seltsamerweise erfüllte ihn das nicht mit so viel Befriedigung wie sonst. Er wusste selbst nicht wieso. Schließlich war das hier sein Leben – die Jagd nach dem Erfolg, das Zuschlagen im richtigen Augenblick. Aber auf einmal war es ihm nicht wichtig zu gewinnen, sondern …

… Savannah Hillstrand wieder lächeln zu sehen. Was natürlich völlig verrückt war.

Nickend wandte sie den Blick ab. „Das hier ist der Computer meines Vaters.“

Entgeistert sah Mac sie an. „Was? Dieses Chaos ist der Arbeitsplatz Ihres Vaters?“

Sie lächelte entschuldigend. „Organisiertes Chaos.“

„Er hatte also kein eigenes Büro?“

„Nein, er wollte mit den Menschen zusammenarbeiteten, die ihn so treu unterstützen. Also hatte er auch nur eine Bürozelle, genauso wie alle anderen.“ Zärtlich ließ sie eine Hand über die Rückenlehne des Stuhls gleiten, so als würde Willie Jay noch dort sitzen. „Er hat immer gesagt, dass er dann nicht so schnell vergisst, worauf es ankommt.“

„Und das wäre?“, fragte Mac. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er plötzlich unglaublich gespannt auf die Antwort.

Savannah hob den Blick zu ihm. Ihre tiefgrünen Augen erinnerten ihn an die dunklen üppigen und geheimnisvollen Wälder North Carolinas. „Dass es nicht nur ums Geschäft geht, sondern um Menschen. Um … die Familie.“

2. KAPITEL

Savannah fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock, ging in den Pausenraum und betrachtete das dort an der Wand hängende Foto ihres Vaters, das vor sieben Jahren bei einem Firmenpicknick geknipst worden war – lange vor seinem Herzinfarkt.

Sie hatte gewusst, dass der heutige Tag kommen würde, von dem Moment an, als sie sich mit dem unangenehmen Gefühl in den Stuhl ihres Vaters gesetzt hatte, keine Ahnung vom Geschäft zu haben. Trotzdem hatte sie gehofft, dass Mac Barlow irgendwann aufgeben und sie irgendwie plötzlich wie durch ein Wunder zu einer erfolgreichen Geschäftsführerin mutieren würde.

Nicht dass sie nicht schon öfter darüber nachgedacht hatte, alles zu verkaufen. Bei jedem Angebot von Mac Barlow oder einem seiner Konkurrenten war sie innerlich hin- und hergerissen gewesen. Sie empfand die Firmenleitung insgeheim nämlich als große Belastung und war damit völlig überfordert. Sie hatte ihren Vater sehr geliebt, aber nur er hatte wirklichen Einblick in die Abläufe gehabt. Er hatte ihr zwar immer versprochen, sie in alles einzuarbeiten, doch der Herzinfarkt und sein viel zu früher Tod waren ihnen zuvorgekommen.

Und jetzt war es zu spät, ihn um Hilfe zu bitten.

Ihr Vater war inzwischen vier Monate tot, doch noch immer hatte Savannah sich nicht eingewöhnt. Sie versuchte ihr Bestes, aber es fiel ihr schwerer als gedacht, die Hillstrand-Solar-Familie zusammenzuhalten. Sie hatte ihm jedoch ihr Versprechen gegeben, und das würde sie halten, ganz egal zu welchem Preis.

Und jetzt war auch noch Mac Barlow aufgetaucht und drohte, alles zu zerstören. Leider hatte er nicht ganz unrecht mit seinen Argumenten. Savannahs hilflose Bemühungen in den letzten vier Monaten hatten der Firma eher geschadet als geholfen. Bisher hatte sie zwar noch niemanden entlassen müssen, aber sie verlor alarmierend schnell Geld und Kunden und wusste nicht, wie sie den Verlust wieder wettmachen sollte.

Vielleicht hatte Mac ja recht. Vielleicht würde es der Firma unter seiner Leitung besser gehen. Aber was wurde dann aus den Mitarbeitern?

Savannah lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und atmete ein paar Mal tief durch. Sie brauchte einen Plan. Zeit zum Nachdenken. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie sich noch nicht mal einen Nachmittag freigenommen, auch nicht an den Wochenenden. So konnte es nicht weitergehen.

Plötzlich sehnte sie sich nach dem alten Haus am See, nach ein paar Stunden am Wasser, wo die Luft rein war und ihre Sorgen weit weg. Sie könnte dort die Veranda abreißen oder die alte Farbe an der Wandvertäfelung des Esszimmers abkratzen. Immer wenn sie etwas erneuerte und wiederaufbaute, fand sie so etwas wie inneren Frieden. Es hatte etwas Beruhigendes, ein heruntergekommenes Haus zu retten und ihm zu neuem Glanz zu verhelfen. Und vielleicht würde ihr dabei ja eine Lösung einfallen, wie sie die Jobs ihrer Angestellten erhalten konnte.

Versprich mir, dass du die Firma weiterführst, hatte Willie Jay sie vor seinem Tod gebeten. Diese Menschen waren von mir abhängig, und jetzt brauchen sie dich.

Savannah berührte sein Foto. „Ach, Dad, ich wünschte, du wärst jetzt hier.“ Sie brauchte verzweifelt einen Mentor, jemanden, der ihr half, die Firma in die schwarzen Zahlen zu bringen. Jemanden, der schon Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte …

Ihr Vater lächelte. Er stand in einer langen Reihe von Hillstrand-Solar-Angestellten. Das an einem schönen Sommertag geknipste Foto war eines seiner Lieblingsfotos gewesen. Willie Jay hatte die Firma geliebt, genauso wie die Menschen, die hier arbeiteten. „Ich werde eine Lösung finden, Dad“, flüsterte sie. „Das verspreche ich dir.“

Savannah holte tief Luft und nahm eine Limonade aus dem Kühlschrank, bevor sie wieder in den Fahrstuhl stieg und zurück in den vierten Stock fuhr. Als ihr Blick auf ihr Spiegelbild im Glas der Treppenhaustür fiel, bekam sie einen Schreck.

Großer Gott, sie sah genauso furchtbar aus, wie sie sich fühlte! Ihr Versuch, einen souveränen professionellen Eindruck zu machen, war kläglich gescheitert. Ihr Anzug war ja noch in Ordnung, aber ihr Haar sah aus, als sei sie gerade aus dem Bett gestiegen. Sie hatte es sich einfach achtlos im Lauf des Tages hochgebunden, so wie sie es auf Baustellen immer machte, aber hier war sie darauf angewiesen, dass man sie ernst nahm.

Kein Wunder, dass Mac ihr den Untergang prophezeite.

Sie zerrte sich das Gummi aus dem Haar und zupfte ihre Frisur zurecht. Natürlich hatte sie nicht die Absicht, den Typen zu bezirzen, auch wenn er wie eine verführerische Kreuzung aus Bad Boy und Millionär aussah. Eine ordentliche Frisur würde ihr nur dabei helfen, ihren Standpunkt besser zu vertreten, das war alles.

Sie war nach wie vor fest entschlossen, nicht an Mac Barlow zu verkaufen, ganz egal zu welchem Preis. Aber bevor sie ihn ein für alle Mal wegschickte, würde sie versuchen, ihn ein bisschen auszuquetschen. Vielleicht konnte sie ihm ja ein paar Tipps entlocken, die ihr dabei halfen, die Firma zu retten. Sie konnte einen Mentor gebrauchen, und er war zufällig da. Er durfte das nur nicht merken.

Ein Lächeln aufsetzend durchquerte sie das Büro. Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie Mac auf dem Stuhl ihres Vaters sitzen sah, die Aufmerksamkeit auf den Bildschirm vor sich gerichtet. Am liebsten hätte sie ihn runtergezerrt, doch sie beherrschte sich gerade noch rechtzeitig.

Bleib schön freundlich. Versuch, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, bei dem etwas für dich herausspringt.

„Wir hatten anscheinend einen schlechten Start, Mr. Barlow“, sagte sie, als sie bei ihm ankam. Sie hielt ihm die Limonade hin. „Ich wollte Ihnen deshalb ein … Friedensangebot machen.“

Er streifte die Flasche mit einem gleichgültigen Blick. „Ich trinke keine Limonade.“

„Ach.“ Sie schraubte den Deckel ab und wieder rauf. Das war’s dann wohl mit ihrem Friedensangebot. „Ich würde gern noch ein bisschen mit Ihnen über die Firma reden.“

Er klickte sich weiter durch das Buchhaltungsprogramm und schenkte ihr kaum Beachtung. „Miss Hillstrand, wenn das ein weiterer Versuch werden soll, mich davon abzubringen …“

„Natürlich nicht“, log sie. Sie musste ihn irgendwie dazu bewegen, über seinen Job zu reden – wie er es geschafft hatte, so erfolgreich zu sein oder zumindest, wie er vorhatte, ihre Firma wieder flottzukriegen. „Ich dachte nur, Sie können vielleicht etwas Insiderwissen gebrauchen. Ich habe hier praktisch seit meiner Kindheit gearbeitet. Vielleicht kann ich Ihnen dabei helfen, eine … bessere Entscheidung zu treffen.“

„Und was für eine Entscheidung soll das sein?“ Er drehte sich in seinem Stuhl zu ihr um. „Mein Angebot zurückzuziehen?“

„Nein, nein.“ Wieder schraubte sie den Deckel der Flasche auf und zu. Mist, sie war viel zu nervös! Eine gute Geschäftsführerin war selbstsicher und stark. „Ich hätte nur gern eine Vorstellung davon, was Sie mit der Firma vorhaben und wie Sie sie wieder auf die Beine bringen wollen. Schließlich werden Sie sie nicht so leicht los, wenn sie nicht läuft.“

Mac richtete die Aufmerksamkeit wieder auf den Computer. „Ich weihe nur selten andere Menschen in meine Pläne ein.“

„Ich bin nicht andere Menschen, sondern die Inhaberin. Und diese Firma ist für mich wie …“, sie schluckte, „… eine Familie. Ich will gewährleisten, dass es allen hier weiterhin gut geht. Dass die Familie gewissermaßen intakt bleibt.“

Mac überflog die Liste mit den Mitarbeitern in der Produktion und richtete die Aufmerksamkeit dann wieder auf die Forderungen. Savannah wartete nervös.

Irgendwann schob er seufzend den Stuhl zurück. „Ich verstehe ja, dass Sie die Jobs erhalten wollen, aber manchmal ist das einfach nicht realisierbar.“

„Aber viele Angestellte sind so lange hier wie mein Vater. Sie sind auf ihr Gehalt angewiesen. Sie sind ehrlich, vertrauenswürdig, arbeiten hart …“

„Da ich nicht vorhabe, irgendwelche Vorstellungsgespräche zu führen, können Sie sich das Loblied sparen.“ Mac zeigte auf den Computerbildschirm. „Für mich zählt nur der Saldo, die nackten Zahlen, und die sprechen eine eindeutige Sprache. Sie können sich so viele Angestellte einfach nicht mehr leisten.“

Savannah befürchtete, dass Mac recht hatte. Ihr Vater war ein toller Chef gewesen, aber auch sehr weichherzig. Es war ihm immer schwergefallen, jemanden zu entlassen. „Es muss doch eine Möglichkeit geben, trotzdem mehr Gewinn zu machen.“

„Gibt es auch. Mehr Absatz. Aber Sie haben Ihre größten Aufträge an die Konkurrenz verloren. Es wird eine Weile dauern, den Markt zurückzuerobern.“

„Es ist einfacher, sich um das Bienenvolk zu kümmern, das man hat, als neue zu fangen.“ Sie lächelte traurig. „Mein Vater hat das immer gesagt.“

Als Mac ihren Blick erwiderte, hätte sie für einen Moment schwören können, dass da plötzlich eine Verbindung zwischen ihnen war, so etwas wie ein Verständnis seinerseits. „Meine Eltern sagen solche Dinge auch ständig. Muss an den Südstaaten liegen.“

„Hören Sie so etwas in Boston nicht?“

Mac lachte geringschätzig. „Nein, nie. Manchmal vermisse ich …“ Er schüttelte den Kopf. Der Moment der Verbundenheit war vorbei, falls er überhaupt je existiert hatte. „Wie dem auch sei, Ihr jetziges Bienenvolk schwächelt. Es ist nicht komplett tot, aber in den letzten Monaten hat es ganz schön gelitten.“ Er schloss das Buchhaltungsprogramm und erklärte ihr die Zahlen, über denen sie selbst schon vergeblich gebrütet hatte. Jeder Prozentsatz, jede Zahl wies auf das gleiche Ergebnis hin.

Savannah nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben Mac. Die Ziffern auf dem Bildschirm verschwammen vor ihren Augen, ein verwirrendes Durcheinander, das sie auch an guten Tagen kaum verstand. Eine Firma dieser Größe war weitverzweigt. Der gesamte Betriebsablauf war viel zu unübersichtlich … zumindest für sie.

Aber wenn sie die Firma nicht leitete, wer dann? Ganz bestimmt nicht Mac Barlow, der alles Stück für Stück verscherbeln würde – alles demontieren, was von Willie Jay Hillstrand noch übrig war.

Als Mac fertig und Savannah komplett deprimiert war, schob sie ihren Stuhl zurück und seufzte tief. „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“

Macs Mundwinkel zuckten belustigt. Er hatte ein süßes Lächeln, eins, das ihn von einem fiesen Firmenplünderer in einen … Mann verwandelte. Und noch dazu einen sehr gut aussehenden.

„Ich glaube, ich weiß, was Sie vorhaben.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Sie wollen mich dazu bringen, Ihre Firma zu retten.“

„Und sie somit Ihren Klauen zu entziehen“, scherzte Savannah und erwiderte sein Lächeln. Vielleicht würde er ihr ja tatsächlich helfen, wenn sie ihn ganz lieb darum bat. Das Beste war vermutlich, die Karten offen auf den Tisch zu legen. „Sie haben mich durchschaut.“

„Warum sollte ich Ihnen helfen?“

„Weil es im Leben nicht nur darum gehen kann, Firmen zu zerstören, Mac Barlow.“ Sie beugte sich vor und sah ihn bittend an. Sie wollte fest daran glauben, dass der Mann, den sie gerade ein paar Sekunden lang in ihm gesehen hatte, tatsächlich existierte. Dass Mac Barlow Dinge auch erhalten konnte, anstatt sie zu zerstören. „Wie wär’s zur Abwechslung mal damit, eine Firma neu aufzubauen?“

„Sie täuschen sich in mir, Savannah. Ich baue nichts auf, sondern mache Geld, nicht mehr und nicht weniger. Und zwar so schnell wie möglich. Ich päpple keine strauchelnden Firmen auf, sondern kaufe, verkaufe, mache einen Gewinn und ziehe weiter.“

Savannah wusste, dass er seine letzten drei erworbenen Firmen noch nicht verkauft hatte. Außerdem gab es da ein kleines Unternehmen in Stone Gap, das er vor Jahren ein zweites Mal erworben und wieder in Schwung gebracht hatte. Soweit Savannah wusste, gehörte es ihm noch.

Sie hatte nämlich ebenfalls Nachforschungen angestellt, und diese eine Abweichung hatte ihr sofort Hoffnung gemacht. Sie hatte zwar keine Ahnung, warum er die Firmen behalten hatte, und er würde ihr den Grund bestimmt nicht verraten, aber vielleicht hatte sie ja doch eine winzige Chance, Mac nach und nach davon zu überzeugen, dass er mit seiner hartnäckigen Jagd nach Hillstrand Solar nur seine Zeit verschwendete. „Haben Sie heute eigentlich schon eine gute Tat begangen?“

Er lachte. „Sehe ich wie ein Pfadfinder aus?“

„Vielleicht wie ein abtrünniger Pfadfinder.“

Das brachte ihn schon wieder zum Lachen. Savannah gefiel Macs Lachen. Er wirkte dann viel lockerer und zehn Mal attraktiver als sonst. Und dabei war er auch so schon anziehend genug. Nicht dass sie sich für ihn interessierte, nie im Leben. Sie wollte nur sein Wissen anzapfen.

Seine Augen funkelten belustigt. „Und was für eine gute Tat schwebt Ihnen da vor?“

„Geben Sie mir einen geschäftlichen Rat.“

„Damit unterminiere ich meine Absichten.“

Sie zuckte die Achseln. „Nennen Sie es einfach geschäftliche Kulanz.“

Er lachte spöttisch. „Sie sind anscheinend noch nicht sehr lange Geschäftsführerin, Miss Hillstrand. In der Wirtschaft gibt es keine Kulanz. Es geht nur um …“

„… den Profit, ja, ich weiß. Das sagten Sie bereits.“ Savannah trank einen Schluck Limonade. Vielleicht war es sowieso schon zu spät, aber sie musste es zumindest versuchen. Sonst würde sie sich das nie verzeihen. „Ihnen gehören doch schon ein paar andere grüne Unternehmen. Vielleicht könnten Sie die mit meinem zusammenschließen und …“

„Das … wäre in der Tat eine gute Idee. Aber ich will kein grünes Imperium aufbauen, sondern einfach bei dem bleiben, was ich am besten kann. Kaufen und verkaufen.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Okay, wie wär’s dann hiermit? Solange Sie in Stone Gap sind, geben Sie mir ein paar gute Tipps, und ich versuche es noch einen weiteren Monat. Wenn die Firma danach noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht ist, werde ich sie Ihnen zu einem sehr fairen Preis verkaufen.“

Mac musterte sie aufmerksam. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Er hätte Pokerspieler werden sollen, denn man sah ihm absolut nicht an, was in ihm vorging. Savannah wartete eine gefühlte Ewigkeit auf seine Antwort. Sie musste sich beherrschen, nicht nervös an der Sodaflasche herumzufummeln.

„Ich soll Ihnen helfen?“

„Ja.“

„Eigentlich wollte ich während meines Aufenthalts hier Zeit mit meiner Familie verbringen.“

Dann kam Mac Barlow also von hier. Im Netz hatte nur gestanden, aus welchem Bundesstaat er kam, aber nicht seine Heimatstadt. Savannah wäre nie auf die Idee gekommen, den Firmenplünderer Mac Barlow mit den sympathischen Barlows in Verbindung zu bringen, die sie bisher kennengelernt hatte. „Ich wusste gar nicht, dass Sie mit den Barlows verwandt sind.“

„Lassen Sie mich raten. Sie hätten nie gedacht, dass meine charmanten Brüder auch nur ansatzweise etwas mit jemandem wie mir gemeinsam haben könnten, einem kaltherzigen Arschloch, dem es nur um den Profit geht.“

Anscheinend konnte der Typ auch Gedanken lesen. „Na ja … wenn diese Beschreibung zutrifft.“

Er lachte. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir verwandt sind, auch wenn es ein paar Differenzen zwischen uns gibt, über die ich allerdings nicht reden will.“ Mac lächelte dünn.

Er sah trügerisch normal aus, wie ein Typ, mit dem man sich am Ende eines Tages mit einem Glas Wein ans Wasser setzen würde. Der Typ Mann, der mit einem den Weihnachtsbaum schmückte und dann das Licht im ganzen Haus ausschaltete, um den Anblick zu genießen.

Großer Gott, jetzt wurde sie auch noch romantisch, und das ausgerechnet bei dem Firmenplünderer, der das Vermächtnis ihres Vaters zerstören wollte! Sie musste sein Lächeln einfach ignorieren. Sogar Raubtiere lächelten – bevor sie einen in einem Stück verschlangen.

Savannah hätte Mac nur zu gern gehasst, wirklich, und irgendwie tat sie es auch. Doch insgeheim fragte sie sich, ob unter seinem weißen Hemd und seiner Lederjacke nicht doch ein Herz schlug. Sie setzte sich auf die Schreibtischkante. „Wissen Sie was? Stimmen Sie meinem Vorschlag zu, dann werden Sie dem Rest Ihrer Familie gleich viel ähnlicher.“

Er lachte. „Das ist Ihr überzeugendstes Argument dafür, Ihnen zu helfen? Dass ich damit die öffentliche Meinung von mir ändern würde?“

„Das und jede Menge gutes Karma. Das kann jeder gebrauchten, sogar fiese Tycoons.“ Sie lächelte, um ihre Worte abzumildern.

Er erwiderte ihren Blick. „Ich bin nicht fies.“

Savannah beugte sich vor. Sein Rasierwasser stieg ihr in die Nase, eins mit einer dunklen geheimnisvollen Note. Es passte zu dem Mann, der es benutzte. „Dann beweisen Sie es mir.“

Die Sekunden verstrichen. Macs Gesichtsausdruck war unergründlich. Savannah platzte fast vor Ungeduld, als er irgendwann aufstand und ihr eine Hand hinhielt. „Okay, Miss Hillstrand. Abgemacht.“

Sein Händedruck fühlte sich warm und fest an. Es war schon lange her, dass ein Mann sie berührt hatte – offensichtlich viel zu lange, so heftig, wie sie auf die Berührung reagierte. „Sehr schön. Dann fangen wir gleich morgen früh in alter Frische an.“

„Warum warten? Lassen Sie uns eine Kleinigkeit essen, und ich weihe Sie in meine sinisteren Manager-Geheimnisse ein.“

„Sie meinen ein Date?“ Savannah fragte das nur im Scherz, aber insgeheim ertappte sie sich bei der Hoffnung, dass er mit Ja antworten würde. Sie verspürte ein Gefühl der Enttäuschung, als er ihre Hand losließ.

Anscheinend hatte sie den Verstand verloren! Warum würde sie mit einem Mann ausgehen wollen, der das Lebenswerk ihres Vaters vernichten wollte? Okay, Mac sah gut aus und hatte ein tolles Lächeln, und ihr letztes Date war schon sehr lang eher, aber trotzdem. Er wollte ihre Firma, nicht sie.

„Lektion Nummer eins – je mehr man auf einmal erledigt, desto besser. Ich verschwende nicht gern Zeit mit Restaurantbesuchen. Am effizientesten ist es, am Schreibtisch zu essen, Meetings in die Mittagspause zu legen, das Frühstück ausfallen zu lassen …“

„Das Frühstück ausfallen lassen? Jetzt weiß ich endgültig, dass Sie verrückt sind.“ Sie lachte. „Ohne Pfannkuchen und Speck zum Frühstück läuft bei mir gar nichts.“

„Ich werd’s mir merken.“ Mac lächelte wieder. Für einen verrückten Augenblick fragte sie sich, ob er sich das merken wollte, weil er sich für sie interessierte oder weil er gerade beschloss, ihr sein nächstes Angebot in einem Diner zu machen. „Dann lassen Sie uns etwas zu essen bestellen, einen Schreibtisch freiräumen und sehen, wie weit wir kommen.“

„Okay.“ Savannah zögerte einen Moment. „Ehrlich gesagt würde ich gern woanders hingehen. Ich habe hier nämlich praktisch schon das ganze Wochenende verbracht.“ Bald würde die Sonne untergehen. Wie lange war es her, dass sie das letzte Mal im Freien und nicht an einen Schreibtisch gefesselt gewesen war? „Ich möchte lieber noch ein bisschen frische Luft schnappen.“

„Ich verschwende nicht gern Zeit. Savannah …“

Großer Gott, wie sexy er meinen Namen ausspricht. „Die Arbeit kann warten. Zumindest ein bisschen.“ Savannah nahm ihre Handtasche. Sie hatte in den letzten Wochen so viel Zeit im Büro verbracht, dass sie ganz vergessen hatte, worauf es im Leben wirklich ankam. Vielleicht würde sie ja ein besseres Gefühl dafür bekommen, warum ihr Vater ein so guter Firmenchef gewesen war, wenn sie die Orte aufsuchte, die er geliebt hatte.

„Die Arbeit wartet nie“, widersprach Mac. „Ich würde lieber …“

„Hören Sie mal, Sie haben doch schon einen langen Anreisetag hinter sich. Wäre es nicht schön, an einem ruhigen Ort eine entspannte Mahlzeit einzunehmen? Mein Vater war dafür, das Leben zu genießen. Um fünf Feierabend machen, die Wochenenden freinehmen und vor allem täglich etwas Spaß haben. Ich habe das in den letzten Monaten ganz vergessen, und es wird höchste Zeit, etwas davon nachzuholen. Um wieder aufzutanken.“

„Ich betrachte das eher als Konjunkturrückgang.“ Mac schüttelte den Kopf. „Hier geht es ums Geschäft und nicht die Gepflogenheiten Ihres Vaters. Bis die Dinge hier besser laufen, ist Ihre Anwesenheit unabdingbar.“

„Das sehe ich genauso, aber vorher muss ich erst mal wieder … meine Batterien aufladen. Mein Vater hat das auch so gehalten, und er war ein toller Chef.“ Savannah ging einen Schritt auf Mac zu. Als sie die kleinen goldenen Flecken in seinen blauen Augen sah, machte ihr Herz einen Satz. Sie unterdrückte den Impuls, wieder sein verführerisches Rasierwasser einzuatmen. „Warum kommen Sie nicht mit und lassen sich von mir einen Ort zeigen, der Willie Jay Hillstrand viel bedeutet hat und der ihn zu seinen besten Ideen inspirierte?“

„Ich werde bestimmt genug Inspiration in Ihren Unterlagen finden.“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Nein, werden Sie nicht. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.“

Er musterte sie lange aus unergründlichen Augen. Das Einzige, was Savannah darin erkannte, war ein Anflug Belustigung. „Ich weiß nicht. Ich muss zwar etwas essen, aber …“

„Ich kenne ein tolles Lokal, in dem man himmlische Steaks kriegt. Es liegt direkt am Wasser, und es ist ruhig. Ich bestehe allerdings darauf, dass wir erst nach dem Dessert über die Firma reden.“

Mac lachte geringschätzig. „Erst nach dem Dessert? Und worüber sollen wir bis dahin reden?“

„Genau wegen dieser Frage kann ich Ihnen Hillstrand Solar noch nicht verkaufen, Mr. Barlow“, erwiderte Savannah. „Mein Vater war davon überzeugt, dass ein Privatleben sehr wichtig ist, und genau deshalb war er so erfolgreich. Den Leuten hier ging es gut. Solange Sie das nicht verstehen, verstehen Sie auch die Firma nicht.“ Sie bückte sich und kritzelte eine Adresse auf ein Stück Papier. „Wenn Sie mir also helfen wollen, treffen Sie mich in einer Stunde in diesem Lokal am See.“

„Ich würde lieber …“

Sie gab ihm das Stück Papier. Resolut und souverän, auch wenn sie sich absolut nicht so fühlte. „Das ist meine Bedingung, Barlow. Finden Sie sich damit ab.“

3. KAPITEL

Mac musste immer wieder an Savannah Hillstrand denken. Natürlich hatte er dem Abendessen auswärts nur zugestimmt, damit er seinem Ziel, Hillstrand Solar zu kaufen, näherkam. Nicht, um mehr über die willensstarke, faszinierende Blondine zu erfahren.

Anscheinend hatte er sie völlig falsch eingeschätzt – etwas, das ihm sonst nie passierte und sein Interesse noch steigerte. Sie war widerstandsfähiger als gedacht und ließ sich von ihm weder einschüchtern noch Angst einjagen. Sie hatte ihn sogar dazu gebracht, einer völlig verrückten Idee zuzustimmen: ihr dabei zu helfen, Hillstrand Solar zu retten.

Er konnte ihr jetzt natürlich falsche Tipps geben, aber irgendwie fand er die Vorstellung, ihr zu helfen, ganz verlockend. Eine Firma zu retten, anstatt sie zu verkaufen, wäre mal eine interessante Abwechslung.

Ihm blieb noch eine Stunde bis zu seinem Treffen mit Savannah – Zeit, die er damit verbringen konnte, sich in ein Café zurückzuziehen und seine E-Mails zu checken. Oder er biss in den sauren Apfel und besuchte seine Familie. Irgendwie hatte er seine Brüder und seine Mutter vermisst, und er freute sich darauf, sie endlich wiederzusehen.

Das galt jedoch nicht für seinen Vater, schon gar nicht nach dem Gespräch mit Onkel Tank in Atlanta, der natürlich in Wirklichkeit nicht Tank hieß, auch wenn ihm der Spitzname schon seit seiner Kindheit anhaftete. Er war der jüngere Bruder von Macs Vater Bobby, ein Witzbold, der früher jede Menge Mist gebaut hatte. Als er Mac von Bobbys Fehltritt erzählt hatte, hatte Mac das daher zunächst nur für einen Scherz gehalten, aber leider hatte er sich geirrt. Was er über seinen Vater erfahren hatte, warf alles über den Haufen, was er über seine Familie zu wissen geglaubt hatte.

Du hast noch einen Bruder, hatte Onkel Tank ihm mitgeteilt. Er hat gesagt, er will den Rest der Familie kennenlernen, und zwar schon bald.

Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit ans Licht kam und Bobby als Betrüger entlarvt wurde. Mac mochte seinen Vater nicht besonders, aber die Vorstellung, den anderen einen solchen Schock versetzen zu müssen, machte ihm Bauchschmerzen. Wie sollte er einen Mann, mit dem er seit fast zehn Jahren kein Wort gewechselt hatte, mit etwas so Kompromittierendem konfrontieren?

Als Mac in der Einfahrt seines Elternhauses ankam, ließ er den Blick über die offene Veranda und die Eingangstür gleiten, die wie früher himbeerrot gestrichen waren. Das Haus hatte sich in all den Jahren kaum verändert. Mac parkte sein Motorrad, stieg die Verandastufen hoch und betrat das Haus. Sofort wurde er von Familienmitgliedern umringt.

Grinsend nahm er seinen Helm ab. Verdammt, war das schön, alle wiederzusehen. „Ich habe gehört, einer von euch will heiraten? Ich bin gekommen, um ihn davon abzuhalten.“

Jack war der Erste, der ihm einen Schlag auf den Rücken versetzte. Er war immer noch fit und schlank von seiner Militärzeit. „Sorry, Mac, aber du kommst zu spät. Versuch’s mal bei Luke. Er hat sich vor fünf Sekunden verlobt.“

Was? Luke, verlobt? Damit hätte Mac nie gerechnet. Er warf seinem jüngsten Bruder einen süffisanten Blick zu, doch der grinste nur idiotisch. Mac schüttelte den Kopf. „Kaum ist man ein paar Jahre weg, bricht hier das Chaos aus!“

Seine Mutter Della umarmte ihn herzlich. „Halt den Mund und freu dich für deine Brüder“, sagte sie und zog ihn zum Esszimmertisch. Es war Sonntag – der Tag, an dem immer das traditionelle Sonntagsessen stattfand. Mac war jedoch schon seit Jahren nicht dabei gewesen und wusste nicht, ob er überhaupt Lust darauf hatte. Sein Vater stand etwas abseits, sein Gesicht so unergründlich wie die Sphinx.

Mac musterte Bobby verstohlen. Er hatte ohnehin schon gemischte Gefühle, was den Mann anging, und die Tatsache, dass Bobby Barlow ein Kind mit einer anderen Frau gezeugt hatte, gab seiner Wut auf ihn neue Nahrung.

Seine Mutter küsste ihn auf eine Wange. „Es ist schön, dich wieder hier zu haben.“

Mac drückte ihr eine Hand. „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein, Mama.“

Jack zeigte auf einen der Stühle. „Setz dich doch. Bleibst du jetzt länger, oder was?“

Mac richtete den Blick wieder auf seinen Vater. Ihm wurde bewusst, dass er sogar jetzt noch, mit dreißig, auf ein zustimmendes Nicken wartete. Lächerlich. Er müsste das längst überwunden haben.

„Natürlich bleibt er“, sagte Della und drückte Mac praktisch auf den Stuhl. „Außerdem hat Maddy heute Geburtstag.“

„Wer ist Maddy?“

„Lukes Tochter mit Susannah Reynolds“, erklärte Della. „Es ist eine lange Geschichte. Luke heiratet jetzt Peyton, Susannahs Schwester.“

Mac drehte sich um und sah ein kleines blondes Mädchen, das scheu Peytons Hand hielt. Rechts von ihnen stand Meri Prescott, die ehemalige Schönheitskönigin, die mit Jack verlobt war. Mac kannte Peyton und Meri noch von früher. „Geht hier irgendwie der Heiratsvirus um?“

Seine Mutter lächelte. „Sieht ganz so aus. Du kommst gerade rechtzeitig für die Feierlichkeiten.“

„Wurde ja auch höchste Zeit“, grummelte sein Vater. „Ich habe seit Jahren nichts von dir gehört.“

Mac ignorierte die Spitze. Er wusste auch nicht, warum sein Vater ihm gegenüber so feindselig war. Ganz egal, wie erfolgreich Mac gewesen war, Bobby hatte ihn kaum je gelobt. Und als Mac verkündet hatte, am Tag nach seinem Abschluss an der Highschool die Stadt verlassen zu wollen, hatte Bobby ihm vorgeworfen, seine Pflichten gegenüber seiner Familie zu vernachlässigen.

Das endgültige Aus war mit einer von Macs ersten Erwerbungen gekommen, einem kleinen familienbetriebenen Gebrauchtwarenhandel, den Mac an einen Investor aus dem Norden weiterverkauft hatte. Bobby hatte Mac damals vorgeworfen, damit das Leben seines Freundes, die Stadt und praktisch die ganze Welt zu ruinieren.

Als Mac seine glücklichen Brüder sah, beschloss er, die Bombe mit Bobbys unehelichem Sohn ein andermal platzen zu lassen. „Ich kann mir Jacks letzte Augenblicke als Single doch nicht entgehen lassen, Mama“, witzelte er. „Für den Anlass trage ich sogar Schwarz.“

„Du bist unverbesserlich“, erwiderte seine Mutter lachend. „Aber ich liebe dich trotzdem.“

„Das sagt sie nur so“, warf Jack ein. „Wie du weißt, bin ich ihr Lieblingssohn.“

„Wo ist eigentlich dein Date?“, erkundigte Luke sich bei Mac.

„Welches Date? Ich habe niemanden mitgebracht.“

„Kein Wunder. Wer hat schon Lust auf einen Workaholic?“ Jack lachte.

Immer wieder die gleiche Leier! Seitdem Mac mit elf Jahren seinen ersten Job angenommen hatte, warfen seine Brüder ihm vor, dass er zu viel arbeitete und sich zu wenig Spaß gönnte, doch Mac hatte nie Lust auf Videospiele oder Skaten gehabt. „Ich bin kein Workaholic.“

Jack hob eine Augenbraue. „Dann bist du also nur wegen meiner Hochzeit gekommen? Nicht wegen deines Jobs?“

„Also …“

„Siehst du?“ Jack schüttelte belustigt den Kopf. „Du solltest endlich lernen, Fünfe gerade sein zu lassen und dein Leben zu genießen, großer Bruder.“

„Mac genießt doch sein Leben“, wandte Bobby ein. „In der großen Stadt, schön weit weg von uns allen. Er hat kaum genug Zeit, uns mal anzurufen und uns zu fragen, wie es uns geht.“

„Dad, ich bin schwer beschäftigt.“

„Damit, den Magnaten zu spielen und die kleinen Fische einfach zu schlucken und sie damit zu vernichten.“

Genau da lag die Wurzel seiner Probleme mit seinem Vater. Bobby verstand Macs Unternehmensphilosophie einfach nicht, konnte nicht einsehen, dass es manchmal etwas Gutes war, ein Unternehmen dichtzumachen. „Dad, das haben wir doch schon hunderte Male …“

Della sprang auf. „Ich hol dir einen Teller, Mac, bevor deine Brüder dir alles wegessen.“

Mac verließ seine Familie nur widerstrebend, jetzt, wo er schon mal da war, aber die Arbeit rief. Außerdem wollte er vermeiden, etwas zu sagen, das er womöglich hinterher bereuen würde – zum Beispiel zu seinem Vater, der ihn missbilligend ansah. Ihn ignorierend stand er auf. „Tut mir leid, Mama, aber ich kann nicht länger bleiben. Ich wollte nur mal kurz Hallo sagen. Ich habe gleich noch ein Meeting.“

„An einem Sonntag?“ Seine Mutter schüttelte verständnislos den Kopf. „Warum arbeitest du am Tag des Herrn? Sogar der hat mal eine Pause eingelegt.“

„Nur weil er seine Arbeit geschafft hatte, Mama. Ich bin nie fertig.“ Mac küsste Della rasch auf eine Wange, nahm seinen Helm vom Sideboard und setzte ihn auf. „Ich übernachte übrigens im Stone Gap Hotel. Wir sehen uns spätestens Samstag bei Jacks Hochzeit.“

„Bevor du wieder verschwindest“, sagte sein Vater missbilligend. Das war eher eine Feststellung als eine Frage.

„Ich lebe in Boston, Dad, nicht hier.“

„Was spricht dagegen, hier zu wohnen? Niemand muss die ganze Welt erobern und die Existenz kleiner Leute zerstören.“

Mac unterdrückte einen Anflug von Frustration. Ganz egal, was er erreichte, sein Vater hatte immer etwas an ihm auszusetzen. Mac hatte sich noch nie von ihm verstanden gefühlt. Aber jetzt war er an der Reihe, seinen Vater, den angeblich so treuen Familienvater, die wertvolle Stütze Stone Gaps, nicht zu verstehen.

„Ich komme wieder“, versprach Mac, verließ das Haus, stieg auf sein Motorrad und fuhr erleichtert davon.

Auf dem Weg zu dem Lokal, dessen Adresse Savannah ihm aufgeschrieben hatte, hielt er noch kurz beim Stone Gap Hotel, um einzuchecken und seinen Zimmerschlüssel zu holen, falls es nachher spät wurde. Für das Meeting packte er nur seinen Laptop und einen Notizblock ein und nahm sich vor, die Gesprächsthemen auf die Firma zu beschränken. Auf keinen Fall würde er Savannah näher kennenlernen oder herausfinden, womit er sie wieder zum Lachen bringen konnte. Arbeit hatte für ihn Vorrang vor dem Vergnügen, und je eher er wieder in seinem Zimmer war, um seine Mails zu beantworten, desto besser.

Er sah wieder Savannahs schöne grüne Augen vor sich. Wie konnte jemand, dessen Firma so schlecht lief, trotzdem so positiv und gut gelaunt sein? Das war ihm absolut schleierhaft. Für einen Moment stieg fast so etwas wie Sehnsucht in ihm auf, auch wenn er nicht wusste, wonach.

Ihm fiel ein, dass Savannah ihre Firma als große Familie bezeichnet hatte. Wenn man ihr glauben konnte, hatte ihr Vater seine Angestellten wie Verwandte behandelt, doch Mac vermutete stark, dass sie ihn in einem allzu rosigen Licht sah. Kein Mensch war so altruistisch wie sie Willie Jay Hillstrand dargestellt hatte.

Er fuhr Richtung See und parkte auf einem sandigen Parkplatz. Als er die frische Luft einatmete, fragte er sich unwillkürlich, wie lange er schon nicht mehr am Wasser gewesen war. Das musste schon verdammt lang her sein.

Sein Blick fiel auf eine kleine Holzhütte, kaum größer als ein Trailer. Das Ding sah aus, als würde es beim nächsten Windstoß zusammenbrechen. Hier wollte Savannah Hillstrand Steak essen? In dieser … Bruchbude?

Als er Gelächter hörte, sah er sie neben der Hütte stehen und über die Bemerkung eines älteren Mannes lachen. Er spürte einen unerwarteten Anflug von Eifersucht. Dabei hatte er keinerlei Ansprüche auf Savannah und legte auch keinen Wert darauf. Er traf sich schließlich nur aus geschäftlichen Gründen mit ihr.

Fragte sich nur, warum er den Blick dann nicht von ihrer schlanken Figur in einem dunkelgrünen Sommerkleid losreißen konnte. Sie hielt einen weißen Pullover über einem Arm, und das Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie hatte sich umgezogen und frisiert. Womöglich seinetwegen?

Als er auf sie zuging, zog sich der ältere Mann in das Gebäude zurück. Beim Klang von Macs Schritten im Sand drehte Savannah sich zu ihm um.

Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. „Sie sind tatsächlich gekommen.“

„Sie klingen ja so überrascht.“

„Ein bisschen, ja.“

„Ich pflege meine Verabredungen zu halten. Auch wenn die hier ganz schön spontan war.“ Er zeigte auf die Bruchbude. Leider hatte er gerade sehr spontane Gedanken zu Savannah. Musste an ihrem Sommerkleid und an der guten Luft liegen.

„Tja, wer weiß, Mr. Barlow. Vielleicht stellt sich ja am Ende der nächsten Woche heraus, dass ich einen schlechten Einfluss auf Sie habe?“

Mac lachte. „Das bezweifle ich.“

„Kommen Sie, lassen Sie uns einen Tisch suchen, bevor die Sonne untergeht.“ Sie winkte ihm, ihr einen schmalen Fußweg um das Lokal herum zu folgen. Der Weg endete auf einer kleinen Terrasse mit weißen Plastiktischen und – stühlen. Es konnte nicht am Ambiente liegen, dass die Leute hierherkamen.

Nein, es lag eindeutig an der Aussicht.

„Ist das nicht wunderschön?“, schwärmte Savannah, als sie sich setzten. Sie zeigte auf den See. „Immer wenn ich hier sitze … ich weiß, wie blöd das klingen muss, aber dann regeneriert sich meine Seele.“

Mac musste über diese Worte nachdenken, als er die große sich vor ihm erstreckende blaue Wasserfläche betrachtete. In der Ferne glitt ein Ruderboot vorbei. Macs Herzschlag verlangsamte sich, und er atmete tief durch.

Am anderen Ufer sah er ein einsames Haus stehen, ein zweistöckiges georgianisches Gebäude mit einem Holzsteg, auf dem zwei Liegestühle standen. Es war ein friedlicher Anblick, fast wie ein Naturgemälde.

Mac wurde von einem fremdartigen Gefühl erfüllt. Er brauchte eine Weile, bis ihm bewusst wurde, was es war – Ruhe und Entspannung. Er wusste gar nicht mehr, wann er zuletzt keinen Terminstress gehabt hatte.

Das Plätschern der Wellen hatte etwas Einschläferndes. Für einen Moment stellte Mac sich vor, wie er sich auf der anderen Seite des Sees in einen der beiden Stühle sinken ließ und einfach nur … existierte.

„Schön, nicht wahr?“, fragte Savannah. „Mein Dad hat diesen Ort geliebt. Er und meine Mom waren so oft wie möglich hier. Für sie war es nicht weit mit dem Boot. Sie waren hier ständig zum Abend essen.“

„Nicht weit mit dem Boot?“

„Ja. Das da drüben ist Dads Haus.“ Sie zeigte auf das georgianische Gebäude.

„Dort hat er gewohnt? Wie konnte er sich ein Haus am See leisten?“ Macs Entspannung fiel mit einem Schlag von ihm ab. Er nahm sich vor, noch mal die Finanzen der Firma zu überprüfen, ob er womöglich eine größere Hypothek übersehen hatte. „Ich dachte, Willie Jay hat ein Haus außerhalb von Stone Gap, in Juniper Ridge.“

„Das ist richtig, aber das Haus am See ist schon sehr lange im Besitz unserer Familie. Mein Dad war in vielen Bereichen sehr sparsam und konnte sich so den Erhalt leisten.“ Savannah strich sich die Haare aus dem Gesicht und betrachtete das Haus sehnsüchtig. „Es bedeutet uns sehr viel. Dort ist so viel Schönes passiert. Eines Tages werde ich diese Zeiten wieder auferstehen lassen.“

Sie sah für einen Moment ganz traurig aus, setzte jedoch ein tapferes Lächeln auf und drehte sich zu Mac um. „Wie dem auch sei, ich bin am Verhungern. Wie wär’s mit einer Vorspeise?“

„Nein danke“, antwortete Mac mechanisch, während er darüber nachdachte, warum Savannah so traurig war. Er verspürte plötzlich den verrückten Impuls, ihr zu helfen, aber das war verrückt. Er wollte ihre Firma kaufen, keine Beziehung zu ihr aufbauen. „Ich finde, wir sollten uns so schnell wie möglich an die Arbeit machen.“

Als eine halbe Stunde später die Steaks serviert wurden, war Savannah der Appetit vergangen. Mac hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr tatsächlich das Wasser bis zum Hals stand. Er hatte recht: Ein Abschluss in Geschichte und etwas Erfahrung mit der Renovierung von Häusern qualifizierte sie nicht als Geschäftsführerin. Nicht dass sie das nicht von Anfang an gewusst hatte, doch das Gespräch mit Mac hatte diese Erkenntnis noch verfestigt.

Er ließ einen Finger über den Bildschirm seines Laptops gleiten, um die Zahlen zu veranschaulichen, die er sich vorhin runtergeladen hatte. „Wenn Sie zu einer bedarfssynchronen Lagerhaltung übergehen und in der Produktion zwei Stellen abbauen …“

„Moment mal!“ Savannah hob abwehrend eine Hand. „Haben Sie gerade gesagt, ich soll zwei Leute feuern?“

„Ich habe gesagt, Sie sollen zwei Stellen abbauen.“ Mac zeigte auf eine von einem Prozentsatz flankierte Zahl. „Sie haben zu viel Mehraufwand.“

„Das Wort Stellenabbau ist doch nur eine euphemistische Bezeichnung für Entlassungen. Kommt nicht infrage.“

„In der Wirtschaft muss man sozusagen die Spreu vom Weizen trennen können, um das meiste aus einer Investition rauszuholen. Wenn wir diese zwei Stellen eliminieren …“, Mac zeigte auf einen Posten der Versand- und Eingangsabteilung, „… könnten Sie Ihren monatlichen Cashflow um mehrere Tausend Dollar erhöhen und sich damit über Wasser halten, bis die Verkaufszahlen wieder anziehen.“

„Es handelt sich um Menschen, Mr. Barlow, nicht um Weizen. Und Menschen sind keine bloßen Zahlen.“

„Diese Menschen verhindern, dass Sie Gewinn machen. Manchmal muss man eben einen Teil des Ganzen opfern, um den Rest zu erhalten.“

Es wäre wirklich schön, die Firma zu retten. Savannah richtete den Blick auf das georgianische Haus auf der anderen Seite des Sees. Von weitem sah es immer noch elegant aus, fast herrschaftlich, aber aus der Nähe war nicht zu übersehen, wie heruntergekommen es war. Seit der Gründung von Hillstrand Solar verfiel es mehr und mehr. Willie hatte sich dort entspannt, anstatt Arbeit reinzustecken. Eines Tages, hatte er immer gesagt. Eines Tages würde er dem Haus zu neuem Glanz verhelfen.

Kurz vor seinem Tod hatte Savannah heimlich angefangen, hier und da etwas auszubessern, um ihn vielleicht irgendwann mit dem fertig renovierten Haus zu überraschen. Das wäre der Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere gewesen, eine Möglichkeit, ihrem Vater zu beweisen, dass sie tatsächlich von ihrer Arbeit leben konnte. Doch dann war er gestorben, hatte ihr die Firma hinterlassen und ihr das Versprechen abgenommen, sie weiterzuführen.

Savannah stand jetzt am sprichwörtlichen Kreuzweg. Entweder verkaufte sie die Firma an Mac Barlow und hatte dann genug Geld, um ihre Träume von einer Altbausanierungsfirma zu verwirklichen, oder sie rettete das Lebenswerk ihres Vaters.

Beide Optionen hatten ihre Schattenseiten.

Doch letztlich blieb ihr nur eine Wahl. Sie hatte ihrem Vater ein Versprechen gegeben, das einzige, das er ihr je abverlangt hatte, und sie würde es halten, ganz egal, was passierte.

Savannah riss den Blick von dem alten Haus los und richtete ihn wieder auf den Computerbildschirm. Die Steaks waren inzwischen kalt, und ihren Wein hatten sie beide nicht angerührt. Mac hatte recht, was den Mehraufwand anging, so sehr sie sich auch dagegen sperrte. Gab es tatsächlich keine andere Lösung? Sollte sie die Firma zugrunde gehen lassen, nur um zwei Jobs zu retten? „Welche beiden … also, wen schlagen Sie vor?“

Mac überlegte einen Moment, klickte ein neues Blatt an und las sich die Zahlen durch. Savannah wartete angespannt. Vielleicht kam er ja zu dem Schluss, dass sie doch niemanden entlassen musste.

„Jeremy Reynolds und Carla Mueller“, antwortete Mac. „Jeremy bekommt das höchste Gehalt der Abteilung, und Carla ist noch nicht lange da.“

Savannah musste an Jeremys schiefes Lächeln und Carlas Fröhlichkeit denken. „Sie kennen die beiden doch gar nicht. Sie wissen überhaupt nichts über sie außer nackten Zahlen.“

„Mit Zahlen kenne ich mich nun mal aus, Miss Hillstrand, und nur sie sind für mich relevant. Nicht Menschen.“

Savannah hatte insgeheim gehofft, dass Mac Barlow einen weichen Kern hatte. Als sie vorhin über das Haus gesprochen hatten, hatte sie für einen Moment fast so etwas wie Sehnsucht in seinem Blick wahrgenommen, aber offensichtlich war das ein Irrtum gewesen. Dieser Mann war der reinste Eisklotz.

„Menschen sind die Basis jeder Wirtschaft, Mr. Barlow. Ohne Menschen würde Hillstrand Solar nie so weit gekommen sein. Wussten Sie, dass Carla meiner Mutter nach dem Tod meines Vaters drei Mal nacheinander Abendessen gemacht hat, um dafür zu sorgen, dass sie etwas isst? Und dass Jeremy bei der Arbeit Geld gesammelt hat, damit wir die Arztrechnungen bezahlen können? Er ist sogar viele Abende länger geblieben, damit die Lieferungen noch rechtzeitig rausgehen und der Betriebsablauf nicht unterbrochen wird. Diese Menschen haben Hillstrand Solar mit aufgebaut. Ich kann sie nicht einfach feuern, nur weil sie viel verdienen oder noch nicht genug Erfahrungen haben.“

„Dann machen Sie sich darauf gefasst, andere schmerzhaftere Sparmaßnahmen ergreifen zu müssen.“ Mac trank einen Schluck Wein. „Sie haben eine einfache Gleichung vor sich. Es kommt zu wenig Geld rein und geht zu viel raus. Sie müssen es irgendwie hinkriegen, den Geldfluss umzudrehen.“

Genau das versuchte Savannah schon seit Monaten, aber leider ohne Erfolg. „Wenn ich den Absatz erhöhe …“

„… hilft Ihnen das langfristig, aber kurzfristig bringt Sie das nicht weiter. Zunächst mal kämen jede Menge Kosten auf Sie zu, und die Banken gewähren Ihnen keinen Kredit mehr. Feuern Sie die beiden. Das sind zwei Gehälter weniger, die Sie sofort einsparen können.“ Mac zuckte die Achseln, als sei es ein Kinderspiel, am Montag die Firma zu betreten und zwei Mitarbeitern zu verkünden, dass sie gehen konnten.

Savannah schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich nicht. Nicht bei Jeremy und Carla.“

Mac seufzte frustriert. „Ich sehe wirklich keine andere Lösung.“

„Es muss aber eine geben. Sie sind doch ein intelligenter Mann.“ Sie zeigte auf den Bildschirm. „Finden Sie etwas anderes.“

„Sind Sie immer so stur?“

„Es muss doch einen Weg geben, die Firma mitsamt den Angestellten zu retten.“ Savannah füllte ihr Weinglas nach und trank einen Schluck.

„Das hier ist kein Disney-Film mit kitschigem Happy End für alle“, wandte Mac ein.

„Es muss aber auch nicht in einer Tragödie enden.“ Savannah schob ihren vollen Teller zur Seite und nickte der Kellnerin zu, damit sie ihn wegtrug. Sie wollte jetzt nichts essen, sondern hier sitzen bleiben, bis sie zu einem Ergebnis kam, mit dem sie sich am nächsten Morgen in der Firma blicken lassen konnte. „Lassen Sie uns gemeinsam nach einer Lösung suchen.“

„Gemeinsam?“ Mac hob eine Augenbraue. „Bislang sind wir uns eher uneinig.“

„Nicht wirklich. Wir wollen beide, dass Hillstrand Solar Gewinn macht. Wir sind uns nur nicht einig, was die Methoden angeht.“ Sie zeigte auf den Bildschirm. „Ich würde sagen, wir suchen nach einer Lösung, die uns beide zufriedenstellt.“

Mac lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete nachdenklich die Zahlen auf dem Bildschirm, während er den Rest seines Weins trank. Irgendwann seufzte er. „Sie wollen anscheinend eine unkonventionelle Lösung. Mit sowas kenne ich mich nicht aus.“

Savannah trank ebenfalls einen Schluck. „Das war früher aber anders.“

„Wie meinen Sie das?“

Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen. „Vor einigen Jahren haben Sie eine Firma gerettet, die Sie vorher verkauft hatten. Der neue Besitzer war umgezogen und hatte den früheren Firmensitz verwaisen lassen. Sie haben ihn zurückerworben und die Firma wieder in Schwung gebracht.“

Mac hob eine Augenbraue und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Woher wissen Sie das?“

„Ich stelle auch Nachforschungen an, Mac.“ Dieses eine Detail hatte ihr Hoffnung gemacht. Nur deshalb hatte sie sich überhaupt mit Mac getroffen.

„Ich bin beeindruckt, Savannah.“ Mac füllte sein Glas nach und zeigte fragend auf die Flasche.

Savannah schüttelte den Kopf. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war, sich mit Mac Barlow zu betrinken. Sie war schon jetzt beschwipst. Es war ein Fehler gewesen, Alkohol auf leeren Magen zu trinken. „Danke, dass Sie mich nicht Miss Hillstrand nennen. Dann fühle ich mich immer so alt.“

Er lachte. „Sie sind alles andere als alt. Obwohl ich zugeben muss, dass ich Sie mir vorher etwas … altjüngferlich vorgestellt habe.“

„Altjüngferlich?“ Sie musste lachen. „Wie kamen Sie denn darauf?“

„Sie wirkten in Ihren E-Mails so steif und geschäftsmäßig. Irgendwie nicht so …“, er zuckte die Achseln, „… entspannt wie jetzt.“

„Ach, das liegt nur daran, dass ich am See sitze. Da drüben …“, ihr Blick wanderte zum Haus auf der anderen Seite des Ufers, „… bin ich ein ganz anderer Mensch.“

„Weg mit den Anzügen, her mit Bikini und Flip Flops?“

Es musste am Wein liegen, dass ihre Wangen ganz heiß wurden und sie verschmitzt lächelte. „Das wäre zumindest nicht steif und geschäftsmäßig, oder?“

Er grinste. „Hängt vom Bikini ab.“

Flirteten sie etwa? Fühlte Savannah sich womöglich zu Mac Barlow hingezogen, demselben Mann, der die Firma ihres Vaters verscherbeln wollte? „Ich hatte in den letzten Monaten nicht oft die Gelegenheit, einen Bikini anzuziehen.“

„Schade auch.“ Mac grinste erneut. „Jeder sollte das Wasser genießen, wenn er schon in der Nähe wohnt.“

Savannah trank noch einen Schluck Wein. Ihr Kopf fühlte sich plötzlich ganz leicht an. Schluss für heute! „Es ist noch hell. Vielleicht sollten wir kurz rüberfahren und zumindest einen Zeh ins Wasser tauchen.“

„Ich dachte, wir sind hier, um Ihre Firma zu retten.“ Er zeigte auf den Laptop.

„Sie sind doch derjenige, der gesagt hat, dass jeder das Wasser genießen sollte, der in der Nähe wohnt. Sie sind nur eine Woche hier. Also … sollten Sie die Gelegenheit nutzen.“

Er sah sie verstörend intensiv an. „Was das Wasser angeht, meinen Sie?“

Plötzlich sprühten nur so die Funken, stand etwas Dunkles, Verführerisches im Raum. Das konnte nur am Wein liegen, nicht an diesem Mann, der mit seinem Motorrad in Savannahs Leben geplatzt war und dessen dunkles Haar einen förmlich dazu einlud, mit den Händen hindurchzufahren. „Klar“, sagte sie betont leichthin. „Was sonst?“

4. KAPITEL

Mac wusste selbst nicht, was ihn dazu bewogen hatte, in ein kleines Motorboot zu steigen und mit Savannah den See zu überqueren. Die Sonne ging schon unter, doch es war immer noch sommerlich warm – warm genug, um vielleicht schwimmen zu gehen.

Okay, er wusste es doch. Je mehr Zeit er in Gesellschaft Savannah Hillstrands und ihres tollen Lächelns verbrachte, desto weniger dachte er an die Arbeit.

Wann hatte er das letzte Mal Fünfe gerade sein lassen und einfach nur die Natur genossen? Er konnte sich nicht daran erinnern.

Savannah saß am Heck des Boots und steuerte es fachmännisch. Mac musste zugeben, dass er es ziemlich sexy fand, eine Frau so souverän mit einem Motor umgehen zu sehen. Der Wind blies ihr die blonden Locken um die Schultern. Sie sah ganz anders aus als die Frau, der er vor wenigen Stunden begegnet war.

Sie war verführerisch, diese Frau, so verführerisch, dass er seine geliebte Arbeit vergaß. Ganz schön gefährlich.

Sie legte am Steg an, vertäute das Boot an einer Klampe und stieg aus, bevor Mac ihr helfen konnte. „Sie überraschen mich“, sagte er, als er auf den Steg kletterte.

„Tu ich das?“ Sie wandte sich von ihm ab und ging auf das Haus zu. „Inwiefern?“

„Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Sie wissen, wie man einen Außenbordmotor bedient oder ein Boot vertäut.“

„Ich habe viele Fähigkeiten, von denen Sie keine Ahnung haben, Mac.“ Sie lächelte durchtrieben.

Verdammt, ihm gefiel die Art, wie sie seinen Namen aussprach. „Wir sollten aufpassen, dass wir nicht in Urlaubsstimmung geraten.“ Mac stellte sich plötzlich vor, wie er Savannah auf eine Urlaubsinsel entführte, wo sie zusammen lachten, einander zuprosteten und … Schluss damit!

„Für mich ist das hier eher eine Auszeit“, erwiderte Savannah.

Sie hatte natürlich recht, aber er wollte noch nicht aufhören, in Urlaubsfantasien zu schwelgen. „Das hier ist doch auch ein Ferienhaus“, widersprach er und zeigte nach vorn.

Savannah wurde schlagartig ernst. „Es war mal eins“, sagte sie leise. „Und vielleicht wird es eines Tages wieder eins sein.“

Hinter sich hörten sie ein Platschen und drehten sich beide gleichzeitig um. Ein Fisch verschwand gerade unter der Wasseroberfläche. Ihre Wangen streiften sich um ein Haar, sodass Mac sich Savannahs Nähe, ihrer Körperwärme, ihres Parfums, ihres ganzen Körpers zur allzu bewusst war. Für einen Moment stockte ihm der Atem. Keiner von ihnen rührte sich, so als wollten sie den Zauber des Augenblicks nicht zerstören.

„Das war ein … ein Fisch“, stammelte er.

„Wahrscheinlich hatte er Angst vor uns“, flüsterte sie.

Mac konnte ihren Atem spüren. Er ließ den Blick über ihren Hals, ihre Schultern und ihre Brüste unter dem dunkelgrünen Kleid wandern und sah, wie sie den Mund öffnete und wieder schloss. Als ihm ihr Parfum in die Nase stieg, konnte er an nichts anderes mehr denken, als sie in die Arme zu nehmen.

„Wir …“ Ihre Stimme erstarb.

„Ja“, antwortete er, ohne zu wissen, wieso, bevor er sich vorbeugte und sie küsste. Ihre Lippen gaben nach, weich, süß, zögernd, bevor sie ihm sanft eine Hand auf den Arm legte. Ihre zarte Berührung löste etwas in ihm, etwas, das schon sehr lange verhärtet war. Er schlang ihr einen Arm um die Taille und vertiefte seinen Kuss.

Sie stieß einen leisen Laut aus, der ihm fast den Rest gab. Plötzlich spürte er ihre Hände in seinem Haar, ihren an ihn gepressten Körper, und sein Kuss wurde wilder, leidenschaftlicher.

Savannah riss sich von ihm los und stolperte zurück. „Das … was … Was war das?“, stammelte sie.

„Ein Unfall“, antwortete Mac, denn es war einer. Oder? „Es tut mir leid.“

Ihre Augen sahen in der Dämmerung groß und glänzend aus. Sie nickte kurz. „Stimmt. Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir das … nicht wiederholen.“

Mac wollte den Kuss eigentlich mit jeder Faser seines Körpers wiederholen, das und viel mehr. Doch stattdessen sagte er: „Einverstanden.“ Er wandte sich ab und richtete den Blick auf Willie Jay Hillstrands Haus. Sogar in der Dämmerung konnte man die abblätternde Farbe und die fehlenden Schindeln auf dem Dach der abgesackten Veranda sehen. Es war bestimmt mal ein stolzes majestätisches Haus gewesen, aber jahrelange Vernachlässigung hatte Spuren hinterlassen.

„Du solltest es verkaufen“, sagte er, weil es einfacher war, sich aufs Finanzielle zu konzentrieren, als über das nachzudenken, was er gerade getan hatte. „Du könntest das Geld neu investieren und …“

Wütend wirbelte sie zu ihm herum. „Verscherbelst du alles, was dir zwischen die Finger kommt? Gibt es nicht irgendetwas, an dem du hängst?“

„Nichts ist unersetzlich, Savannah.“

„Da irrst du dich, Mac.“ Savannah betrachtete das Haus voller Wehmut. Sie zeigte auf die kleine Kopie auf einem Holzpflock. „Siehst du das Vogelhäuschen da drüben? Mein Dad und ich haben es gebaut, als ich neun war. Es ist nichts Besonderes, aber es beherbergt ein Paar Rotkehlhüttensänger, die hier jedes Jahr nisten. Wenn du genau hinguckst, kannst du die Babys erkennen.“

„Und was hat das mit einem eventuellen Verkauf des Hauses zu tun?“

„Es gehört zu den vielen Besonderheiten dieses Hauses. Ich kann die Vergangenheit nicht zurückholen, aber jedes Mal, wenn ich das Vogelhäuschen sehe, denke ich an meinen Vater. Es sind Dinge wie diese, die aus einem Haus mehr als nur eine Immobilie machen. Sie machen es zu einem Zuhause. Nicht alles kann man ersetzen, Mac. Und nicht alles ist verkäuflich.“

In Macs Welt hatte alles einen bestimmten Preis. Das Grundstück, auf dem sie standen, das Haus, mit dem Savannah so viele Erinnerungen verband, sogar die Stiefel an seinen Füßen waren nichts als Gebrauchsgegenstände. Man konnte jederzeit ein neues Vogelhäuschen kaufen. Je eher Savannah Hillstrand das lernte, desto schneller würde sie damit aufhören, aus Sentimentalität an irgendwelchen Dingen festzuhalten.

Und schon war er wieder gedanklich bei der Arbeit. Sie hatte recht, der Aufenthalt hier war nur eine kleine Auszeit. Schon morgen früh mussten sie beide wieder arbeiten, und Strände, Flip Flops und Bikinis würden in weite Ferne rücken. Genauso wie Küsse.

Vor allem die.

Als Mac bewusst wurde, wie deprimierend diese Einsicht war, wurde er wütend auf sich selbst. Was war bloß los mit ihm? Er wollte Savannah zum Verkauf ihrer Firma überreden, damit er sich um sein nächstes Projekt kümmern konnte. Er war nicht hier, um irgendeine persönliche Beziehung zu ihr zu entwickeln. „Wir sollten das hier vielleicht abkürzen, damit wir zurück …“

Savannah schnitt ihm das Wort ab, indem sie seine linke Hand nahm und sie fast genauso abrupt wieder fallenließ so als habe sie sich verbrannt. Ihre Berührung hatte ihre Wirkung auf ihn jedoch nicht verfehlt. Sein Herz machte einen Satz, und all seine guten Vorsätze waren plötzlich wieder wie weggeblasen.

„Es ist Sonntag, Mac“, rief sie ihm ins Gedächtnis. „Der Abend ist wunderschön. Lass uns ein bisschen die Natur genießen, bevor du weiterarbeitest.“

Die Vorstellung, länger als ein paar Sekunden nichts zu tun, machte Mac Angst. „Ich verschwende nicht gern meine Zeit.“

„Wer redet denn von Zeitverschwendung?“ Lächelnd krümmte sie einen Finger, um ihn zum Wasser zu locken. „Komm schon, setzen wir uns auf den Steg.“

Eigentlich sprach nichts dagegen. Vielleicht konnte Mac ja bei dieser Gelegenheit weiter auf sie einwirken. Wenn er es recht bedachte, war er sowieso nur deshalb ins Boot gestiegen. Um über Geschäftliches zu reden, nicht, weil er wissen wollte, wie Savannah sich in seinen Armen fühlte oder wie ihre Lippen schmeckten.

Savannah streifte ihre Sandalen ab. „Willst du deine Stiefel nicht auch ausziehen?“

„Nein, nicht nötig.“

Sie stach ihn mit einem Finger in die Brust und weckte in ihm den Wunsch, sie wieder an sich zu ziehen und zum zweiten und dritten Mal zu küssen. „Komm schon, ich weiß, dass da irgendwo in dir ein Laisser-faire-Typ steckt.“

Er lachte. „Ein Laisser-faire-Typ? Nie im Leben.“

„Die Harley verrät dich. Trotz deines Geredes über Zahlen und Gewinnspannen bist du jemand, mit dem man Spaß haben kann. Und genau so jemanden brauchen Hillstrand Solar und ich. Also komm mit und guck mit mir auf den See. Das macht dich zu einem besseren Geschäftsführer, garantiert.“

„Ich glaube nicht, dass mir das bei irgendetwas hilft.“

„Wenn du mir und der Firma wirklich helfen willst, solltest du dich in den Mann hineinfühlen, der sie gegründet hat. Lass los, entspann dich. Sei ein ganz normaler Durchschnittstyp, so wie mein Vater.“ Savannah legte den Kopf schief und sah Mac heraufordernd an. „Wenn du seine und meine Welt nicht verstehen kannst, wie willst du dann Hillstrand Solar verstehen?“

Mit wippendem Kleid ging sie davon. Mac sah ihr ein paar Sekunden hinterher, bevor er ihr folgte.

Die Stiefel behielt er jedoch an.

Savannah kam schon vor Sonnenaufgang in der Firma an, um noch vor Mac da zu sein, doch als sie das fast leere Gebäude betrat, sah sie ihn zu ihrer Überraschung hinter dem Schreibtisch ihres Vaters sitzen, wieder in die Buchhaltung vertieft. Er trug dunkle Jeans und ein hellblaues Hemd, das sich über seinen breiten Schultern spannte.

Großer Gott!

Savannah legte ihre Handtasche in der Bürozelle neben ihm ab und spähte über die Trennwand. „Wie bist du hier reingekommen?“

„Ich habe den Code eingetippt, den du mir gestern genannt hast. Ich fange immer gern früh an.“ Er zeigte auf den Computer. „Ich hoffe, das ist okay für dich?“

„Es ist erst halb sieben. Seit wann bist du denn hier?“

„Seit kurz nach fünf.“ Er zuckte die Achseln. „Vielleicht war ich auch schon ein bisschen früher da.“

Fassungslos schüttelte Savannah den Kopf. Es gab nicht viel, wofür sie so früh aufstehen würde. Am Computer zu sitzen, stand jedenfalls nicht auf ihrer Liste. „Hast du noch etwas Schlaf bekommen?“

„Ich brauche nicht viel Schlaf.“

„Du fährst nicht in Urlaub, schläfst nicht, verzichtest aufs Frühstück … Was fängst du eigentlich mit all den Stunden an, Mac Barlow?“

Er erwiderte ihren Blick aus blauen Augen. „Arbeiten.“

Mac war anscheinend doch genauso wie sein Ruf: ein unverbesserlicher Workaholic. Allerdings hatte keine der Websites seine tollen blauen Augen erwähnt, mit denen er eine wehrlose Frau völlig durcheinanderbringen konnte.

„Ich weiß nicht, wie du es so lange in geschlossenen Räumen aushältst. Ich würde verrückt werden.“ Savannah dehnte den Rücken. Ihr graute schon jetzt vor einem weiteren Tag am Schreibtisch. Sie sehnte sich danach rauszugehen, etwas Produktives zu tun. Etwas anstreichen zum Beispiel. Alles, nur nicht das, was sie hier fünf Tage die Woche tat … oder vielmehr sieben.

„Ich achte gar nicht auf die Zeit“, erklärte Mac. „Wenn ich im Büro bin, vergeht sie immer wie im Flug.“

„Ich werde schon unruhig, wenn ich länger als eine Stunde drin sein muss. Deshalb liebe ich es, Häuser zu restaurieren. Dabei komme ich raus und kann etwas mit den Händen tun.“ Sie zog einen Stuhl neben ihn und warf einen Blick auf den Bildschirm. „Was ist das?“

„Ich erstelle eine Kalkulation, die uns dabei hilft, die Arbeitsabläufe zu analysieren, um die Ausgaben zu reduzieren. Du hast gesagt, du brauchst eine unkonventionelle Lösung, und das hier könnte funktionieren.“

„Inwiefern sparen wir dadurch Geld?“

„Wenn wir Engpässe und Mehraufwand für Einzelfälle reduzieren, erhöht sich der Gewinn.“ Er zeigte auf verschiedene Zahlen. „Ohne jemanden entlassen zu müssen. Du wirst dann zwar immer noch den Absatz steigern müssen, aber …“

„Du hast also eine Lösung für uns gefunden?“ Hatte sie gerade tatsächlich „uns“ gesagt? Das konnte nur an ihrer Aufregung liegen.

Mac hob abwehrend eine Hand. „Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass es funktionieren wird. Normalerweise ist das nicht meine Vorgehensweise. Ich werde erst mal einen Tag in der Produktion verbringen müssen, um mich zu vergewissern, dass meine Zahlen stimmen. Und du wirst zusätzlich noch an anderer Stelle sparen müssen, aber …“

„… aber niemand muss seinen Job verlieren.“

Vielleicht muss niemand seinen Job verlieren“, korrigierte Mac sie. „Ich kann nichts versprechen.“

„Ein Vielleicht ist besser als nichts.“ Savannah lächelte erleichtert. Zum ersten Mal, seitdem sie die Nachfolge ihres Vaters angetreten hatte, sah sie ein Licht am Ende des Tunnels.

Sie hörte aufmerksam zu, als Mac ihr schilderte, wie man den Betrieb schlanker und effizienter organisieren konnte, und machte sich Notizen. Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug. Als die Produktionsmitarbeiter eintrafen, begleitete Savannah Mac nach unten zum Erdgeschoss.

Sie berührte ihn an einer Schulter, bevor sie die Tür zum Erdgeschoss öffneten. „Danke.“

Er sah sie verdutzt an. „Wofür?“

„Fürs Zuhören. Für deine Hilfe. Dafür, dass du vor dem ersten Hahnenschrei hier gewesen bist.“ Sie lächelte. „Ich weiß das zu schätzen.“

„War mir ein Vergnügen.“

Die Art, wie er „Vergnügen“ sagte, jagte Savannah einen Schauer über den Rücken. Sie schärfte sich ein, dass er von Arbeit sprach, nicht von … na ja, etwas anderem. „Wie bist du eigentlich zu deinem Job gekommen?“

Er dachte kurz nach. „Ich glaube, ich mochte Herausforderungen schon immer. Wenn ich etwas will …“, Savannahs Gedanken schweiften wieder in eine ganz bestimmte Richtung ab, „… gebe ich erst Ruhe, wenn ich es erreicht habe.“

„Das ist eine sehr gute Charaktereigenschaft.“ Savannah fragte sich, wie es wohl wäre, die Frau zu sein, hinter der er so hartnäckig her war.

Aber solche Gedanken waren tabu! Mac war nichts weiter als ein Südstaaten-Charmeur mit einem tollen Lächeln. „Sehen wir mal nach, wie es in der Produktion so läuft“, sagte sie und stieß die Tür auf, bevor das Gespräch noch persönlicher werden konnte.

Sie sahen sich den ganzen Betriebsablauf an, während Mac sich Notizen machte. Savannah blieb bei jedem Angestellten kurz stehen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln.

Irgendwann nahm Mac sie zur Seite. „Was machst du da eigentlich?“

„Ich habe mir Fotos von Bettys Enkelin angesehen. Sie lernt gerade krabbeln und …“

„Man unterbricht Angestellte nicht bei der Arbeit. Das hier ist kein Ehemaligentreffen. Lass deine Leute ihre Arbeit erledigen und erledige du deine.“

Savannah wurde wütend. „Ehemaligentreffen? Ich unterhalte mich doch nur mit ihnen!“

„Sie arbeiten für dich. Jede Sekunde, die du mit ihnen redest, verdienst du kein Geld. Das kostet dich und die Firma jeden Monat Tausende von Dollars.“

„Mir fünf Sekunden Fotos anzusehen, kostet mich keine Tausende von Dollars!“

„Nein, aber wenn du außerdem noch mit Joe über seine Knieoperation und mit Scott über sein Auto sprichst …“

„Ich bin doch nur nett. Ich sorge für Harmonie.“ Savannah stützte die Hände in die Hüften. „Etwas, wovon du keine Ahnung zu haben scheinst.“

„Woher willst du wissen, wie harmonisch meine Beziehungen zu anderen Menschen sind?“ Mac kam einen Schritt näher – so nahe, dass sie die goldenen Flecken in seinen Augen sehen konnte … und eine Stelle mit Barstoppeln, die er vorhin beim Rasieren übersehen haben musste.

„Weil ich weiß, wovon ich rede. Bis auf die paar Minuten am See warst du …“

„Was?“

„Schwierig und stur.“

„Ich nenne das eher zielorientiert und ehrgeizig. Beides gute Eigenschaften bei einem Geschäftsführer.“

Übersetzung: Sie sollte sich eine Scheibe davon abschneiden. Okay, Mac hatte vielleicht sogar recht, aber das würde Savannah ihm gegenüber nie zugeben. „Mein Vater fand es wichtig, ein gutes Verhältnis zu den Menschen zu entwickeln, mit denen er zusammenarbeitet.“

„Ach, das tust du also gerade?“

„Klar. Ich kenne die meisten hier schon seit meiner Kindheit, also ist es nur normal, wenn ich …“

„Ich meinte mich.“

„Ob ich gerade ein gutes Verhältnis zu dir entwickeln will?“ Savannahs Blick fiel wieder auf Macs Bartstoppeln. Sie machten ihn irgendwie menschlicher, zugänglicher. Plötzlich musste sie an seinen unglaublichen Kuss von gestern Abend denken, verdrängte die Erinnerung jedoch hastig. „Warum … warum sollte ich das wollen?“

„Na, hier willst du es doch auch.“ Mac zeigte auf den Raum. „Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen … enttäuscht, dass du mich nicht einschließt.“

„Das habe ich doch versucht. Am See. Du warst nicht interessiert.“

„Das habe ich nie gesagt.“

Die Worte hingen bedeutungsschwanger zwischen ihnen.

Savannahs Herz machte einen Satz. Meinte er das ernst? War er etwa eifersüchtig, weil sie den Angestellten Fragen zu ihrem Privatleben stellte und ihm nicht? Mac Barlow interessierte sich doch nur für Zahlen und nicht für sie.

Verunsichert lachend schüttelte sie den Kopf. „Wie auch immer. Du hast gerade selbst gesagt, dass ich meine Zeit nicht mit Privatgesprächen verschwenden soll, also werde ich den Fehler bei dir nicht machen.“ Sie drehte sich um und stieß die Tür zum Treppenhaus auf. Vielleicht würden vier Treppen sie ja vergessen lassen, dass Mac sie in den Wahnsinn trieb.

5. KAPITEL

In den nächsten drei Stunden stellte Mac alle möglichen Kalkulationen auf, schob Zahlen, Formeln und Gleichungen hin und her. Das hielt ihn zumindest davon ab, sich zu fragen, was Savannah Hillstrand gerade machte und warum eine Frau, die jede seiner Regeln brach, ihn so faszinierte.

Als sein Handy klingelte, wollte er den Anruf erst auf seine Mailbox weiterleiten, bis er die unbekannte Nummer auf dem Display sah. Er zögerte einen Moment, bevor er ranging. „Mac Barlow?“

Eine längere Pause folgte. „Äh, Mac? Hier ist Colton. Dein … äh …“

Mac wusste sofort, um wen es sich handelte. Sein Magen verkrampfte sich. Insgeheim hatte er gehofft, dass Onkel Tank nur einen Witz gemacht hatte und ein Mann namens Colton Barlow nicht existierte. „Ich weiß, wer du bist.“

Eine weitere Gesprächspause folgte. „Ich würde dich gern kennenlernen, dich, Jack und Luke. Ich spiele mit dem Gedanken, nach Stone Gap zu kommen und …“

„Das ist keine gute Idee.“ Nicht bevor Mac mit seinem Vater gesprochen hatte.

„Ich habe das Recht, meine Familie kennenzulernen“, protestierte Colton.

„Du hast schon eine Familie.“ Eine Mutter, einen Stiefvater und eine Schwester, soweit Mac wusste.

„Das stimmt. Und ich stehe der Familie unseres Onkels sehr nahe. Er war … meiner Mutter in den letzten Jahren ein guter Freund, aber bis vor Kurzem wusste ich nicht, dass er der Bruder meines Vaters ist.“

Mac störte sich an Coltons „unser Onkel“. Er war dem Mann nie begegnet, und jetzt kam er einfach daher und brachte alles durcheinander, wobei es ihn nicht im Geringsten zu interessieren schien, ob er erwünscht war oder nicht.

„Bis vor zwei Wochen wusste niemand von deiner Existenz. Du musst uns mehr Zeit geben.“

„Ich kann ja verstehen, dass es ein Schock für dich und deine Familie sein muss …“

„Das ist es, allerdings.“

„Glaub mir, ich habe nicht die Absicht, euer Leben zu ruinieren, aber ich habe erst jetzt erfahren, wer mein Vater ist und dass ich drei Brüder habe. Was würdest du denn an meiner Stelle tun?“

Mac hätte am liebsten geantwortet, dass er weggerannt wäre, so schnell ihn die Beine trugen, aber das wäre gelogen. „Wahrscheinlich das Gleiche wie du.“

„Ich habe fast zweiunddreißig Jahre darauf gewartet, endlich meinen Vater kennenzulernen“, fuhr Colton fort. „Das ist lange genug, findest du nicht?“

Colton war offensichtlich sehr hartnäckig. Auf irgendeine schräge Art flößte das Mac Respekt ein. „Lass mir Zeit, mit meiner Familie zu reden“, sagte er. „Jack heiratet diese Woche, und ich kann nicht …“

„Ich gebe dir einen Tag Zeit. Danach werde ich kommen, Mac, ob du mit deiner Familie geredet hast oder nicht.“ Colton legte auf.

Fluchend legte Mac sein Handy weg. Vierundzwanzig Stunden, mehr Zeit blieb ihm nicht, das Leben seiner Familie auf den Kopf zu stellen. Sobald er Bobby mitgeteilt hatte, dass Colton unterwegs war, würde Bobby es den anderen erzählen müssen. Jack und Luke würden bestimmt damit klarkommen, sie waren erwachsen, aber was war mit Della? Sie würde am Boden zerstört sein. Bobby war ihre große Liebe.

Er hörte ein Klopfen an der Trennwand hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er Savannah in der Tür stehen, umrahmt vom Sonnenlicht, das hinter ihr durchs Fenster schien. Sie sah wieder atemberaubend aus, sogar in Geschäftskleidung.

Ihr dunkelblauer Hosenanzug betonte ihr blondes Haar, das sie sich locker hochgesteckt hatte, sodass ihr ein paar Strähnen ins Gesicht fielen. Trotz des strengen Schnitts schien der Anzug Savannahs weibliche Kurven noch zu betonen. Sie hatte das Outfit mit knallroten High Heels kombiniert. Unwillkürlich stellte er sich Savannah nackt vor, nur mit diesen Schuhen …

„Ich mache jetzt Mittagspause“, sagte sie. „Ich würde dich ja fragen, ob du mitkommst, aber da du ja grundsätzlich am Schreibtisch isst, wollte ich nur kurz Bescheid sagen.“

Autor

Cindy Kirk
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Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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Lynne Marshall
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Michelle Major

Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.

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