Bianca Gold Band 43

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Heimlich träumt Nikki davon, leidenschaftlich von Alex Reed geküsst zu werden. Doch der Chef der Klinik nimmt sie gar nicht wahr. Deshalb traut sie auch ihren Augen nicht, als sie nach einem Unfall aus der Ohnmacht erwacht. Denn an ihrem Bett sitzt ihr Traummann …

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  • Erscheinungstag 19.01.2018
  • Bandnummer 0043
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734275
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Allison Leigh, Annette Broadrick, Maureen Child

BIANCA GOLD BAND 43

1. KAPITEL

Nikki Day wollte die Augen nicht öffnen. Ein kurzer Blick würde ihr bestätigen, dass sie in einem Krankenhaus lag und offensichtlich den Verstand verloren hatte. Denn es war einfach unmöglich, dass er wirklich an ihrem Bett saß, noch dazu mit einer Selbstverständlichkeit, als gehöre er genau dorthin.

Demnach litt sie an Halluzinationen. Als ob sie nicht schon genug andere Sorgen hätte!

Beschützend schlang sie einen Arm um ihren Bauch, als sie einen Tritt spürte. Das bewies ihr zumindest, dass ihr Baby sich immer noch anstrengte, Fußballer des Jahres zu werden – was auch immer geschehen sein mochte und aus welchem Grund auch immer sie im Krankenhaus lag.

Nikki war jetzt im sechsten Monat, und sie nahm an, dass ihr Baby bis zum neunten bleibende Fußabdrücke hinterlassen haben würde.

Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite, legte sich ein Kissen unter den Bauch und versuchte, eine bequemere Position zu finden. Als sie die Augen doch kurz öffnete, bereute sie es sofort.

Er war immer noch da.

Bestürzt schloss sie die Augen wieder. Ganz fest.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen“, sagte die Erscheinung leise.

Offensichtlich konnte sie ebenso akkurat und präzise halluzinieren, wie sie die meisten Dinge in ihrem Leben bewältigte. Diese Erkenntnis weckte den unbändigen Wunsch in ihr, laut zu lachen. Wurde sie nun auch noch hysterisch?

Sie veränderte erneut ihre Lage und verfluchte den Schmerz im Rücken.

„Vorsicht. Sonst reißt du dir die Infusionsnadel heraus.“

Sie zuckte zusammen, als sich seine langen, warmen Finger um ihre Hand schlossen.

Eindeutig keine Halluzination.

Sie wich zurück und setzte sich so abrupt auf, dass ihr die hellblaue Decke bis zur Taille runterrutschte und ein blaues Krankenhaushemd enthüllte. Das Kissen fiel zu Boden.

Er hielt immer noch ihre Hand. Anscheinend machte er sich Gedanken wegen des dünnen Schlauchs, der sich unter einem Pflaster auf ihrem Handrücken hervorschlängelte, denn es gab keinen anderen Grund, ihre Hand zu halten.

Er. Alex. Alexander Reed. Der Mann, der – unbeabsichtigt und völlig unwissend – für das Baby verantwortlich war, das wie wild strampelte.

Er war drei Jahre lang ihr Boss gewesen, bis sie im vergangenen Sommer gekündigt hatte.

Nikkis Herz pochte so schnell, dass ihr schwindelig wurde.

„Ganz ruhig“, murmelte er und drückte auf die Klingel, die an einer Schnur nahe ihrer Schulter hing. „Reg dich nicht auf. Es geht dir gut. Dem Baby geht es gut.“

Seine Worte milderten die Panik. Sanft entzog sie ihm die Hand. „Wie bin ich zurück nach Cheyenne gekommen?“

Er schüttelte den Kopf. „Du bist immer noch in Montana. Im Lucius Community Hospital.“

„Allerdings“, bestätigte die Krankenschwester, die gerade den Raum betrat. „Und wir sind sehr froh, dass Sie aufgewacht sind.“ Sie lächelte aufmunternd, während sie die Geräte prüfte und Notizen machte. „Der Doktor wird gleich da sein“, teilte sie Alex mit, während sie Nikki die Manschette eines Blutdruckmessgeräts anlegte. „Wir sind heute ziemlich beschäftigt. Zwei Babys sind unterwegs. Wie fühlen Sie sich, Liebes?“

Nikki konnte keine schlüssige Antwort geben.

Die Schwester wirkte verständnisvoll. „Bleiben Sie ganz ruhig. Der Doktor kommt gleich.“

Als sie wieder gegangen war, wandte Nikki sich an Alex. „Und was tust du hier?“

Seine dunkelbraunen Augen waren so undeutbar wie immer. „Sie haben mich gerufen, als du eingeliefert wurdest.“

„Sie?“

Er bewegte die Schultern, als wäre er ungehalten über die Frage. Es wunderte sie nicht. Als sie für ihn gearbeitet hatte, war sie für die Handhabung jeglicher Details zuständig gewesen. Er hätte sich nicht einmal an seinen eigenen Geburtstag erinnert.

„Die Frau, der das Gasthaus gehört, in dem du abgestiegen warst. Sie hatte nur die Telefonnummern von dir zu Hause und von deinem Arbeitsplatz. Und das Krankenhaus hat mich auch angerufen.“

Von meinem ehemaligen Arbeitsplatz, korrigierte sie in Gedanken. „Hadley Golightly? Das ‚Tiff’s‘ ist eine Pension, kein Gasthaus.“

„Dann eben eine Pension.“ Alex blickte zum Fenster. Eine Jalousie hing davor. Die Lamellen waren so geneigt, dass keine direkte Sonne in das Zimmer fiel. Nicht, dass die Sonne geschienen hätte. Der Himmel war grau, mit Schneewolken verhangen – typisches Januarwetter, ob nun zu Hause in Wyoming oder auf Urlaub in Montana.

Ihre Schläfen pochten. „Bist du sicher, was das Baby angeht?“, flüsterte sie.

„Ganz sicher.“ Er schaute sie wieder an, und sein fester Blick beruhigte sie ebenso wie seine Worte.

„Ich verstehe aber immer noch nicht, was du hier tust.“ Warum hatte Alex nicht ihre Familie angerufen? Schließlich kannte er sie. Ihre Zwillingsschwester Belle hatte auch mal für ihn in der Sportklinik Huffington gearbeitet, wenn auch nur für kurze Zeit.

Vor ihrem geistigen Auge tauchten unvermittelt die verschwommenen Umrisse eines märchenhaften blauen Pferdeschlittens auf und verflüchtigten sich sogleich wieder wie Rauchkringel.

Cody hat mir eine Schlittenfahrt in den Flitterwochen versprochen.

Aber das lag Jahre zurück.

Nikki hatte diese Schlittenfahrt allein angetreten. Es war das Letzte, an das sie sich erinnerte. Sie hatte auf der dick gepolsterten Bank gesessen, mit der frischen, kalten Morgenluft im Gesicht.

Oder war das nur ein Traum?

Sie konnte sich nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren. War es einfacher, sich mit Alex zu befassen als mit ihrer nebulösen Erinnerung? Wahrscheinlich nicht. „Wie läuft es im Geschäft?“

„Ich musste letzte Woche wieder eine Assistentin entlassen.“

Natürlich hatte sie die Gerüchte über seine Schwierigkeiten gehört, einen dauerhaften Ersatz für sie zu finden. „Die wievielte war es?“

„Die sechste.“

Er richtete den Blick vom Fenster auf Nikki. Obwohl er sie nie wirklich zu bemerken schien, wühlte es sie stets auf, wenn er sie ansah. Deshalb hätte sie damals die Stelle als seine Verwaltungsassistentin beinahe abgelehnt. Sie wollte von niemandem aufgewühlt werden, denn ihr Herz gehörte immer noch Cody.

Über dreieinhalb Jahre war es her, dass sie den Job angenommen hatte, und ihre Reaktion auf Alex war so schlimm wie eh und je – oder sogar schlimmer.

„Wie läuft es denn sonst so in der Klinik?“ Ihre Stimme klang ein wenig atemlos. Sie hoffte, dass er es auf den Grund ihres Krankenhausaufenthalts schob, über den er vermutlich mehr wusste als sie.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich gekommen bin, um übers Geschäft zu reden?“

„Du hast mich am Anfang fünfmal in der Woche angerufen, um darüber zu reden.“

„Das hätte ich nicht tun müssen, wenn die Personalabteilung eine kompetente Kraft eingestellt hätte.“

„Es ist deine eigene Personalabteilung“, entgegnete sie milde. „Du bist also gekommen, um … Warum eigentlich? Um mich zu bitten, in meinen Job zurückzukehren?“

„Du hältst es also immer noch für deinen Job, mir zu assistieren?“

„Nein.“

„Dann bist du jetzt woanders angestellt?“

„Ich trete sehr bald eine Stelle an.“ Sie hoffte es zumindest. Seit Monaten lebte sie nun schon von ihren Ersparnissen, und ihr Stolz ließ es einfach nicht zu, Unterstützung von ihrer Familie anzunehmen.

Sie hatte schon immer auf eigenen Füßen gestanden. Das hatte sie über die Runden gebracht, als sie und Belle mit fünfzehn den Vater verloren und als Cody unerwartet starb.

„Aha, du hast also einen Job.“

„Ja.“

„Wo?“

„Das geht dich nichts an, Alex.“ Sie wäre stolz auf diese Antwort gewesen, hätte ihre Stimme nicht so geschwankt.

Er sah sie ungläubig an, ließ es aber dabei bewenden. Dann blickte er zur Uhr – kaum merklich, aber sie kannte ihn sehr gut, nachdem sie drei Jahre lang fünfzig oder sechzig Stunden in der Woche für ihn gearbeitet hatte.

In ihrem zweiten Jahr bei Huffington hatte sie sich eine Woche Urlaub genommen und war mit Belle nach Florida gefahren. Hätte sie nicht den Fehler gemacht, ihr Handy mitzunehmen, hätte sie sich vielleicht wirklich erholen können. Doch so war ihre Schwester mit einer ansehnlichen Sonnenbräune und einem Album voller Fotos vom Tauchen und Gleitsegeln nach Hause gekommen, während Nikki so selten das Hotel verlassen konnte, dass sie die Speisekarte des Zimmerservices auswendig kannte.

Daraufhin hatte sie keinen Urlaub mehr genommen.

„Lass dich von mir nicht aufhalten“, sagte sie jetzt.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Womit habe ich dich verärgert?“

„Mit nichts.“

„Aha.“ Er blickte zu ihrem Bauch. „Hast du wegen deiner Schwangerschaft gekündigt?“

„Natürlich nicht“, wehrte sie schnell – und wahrheitsgemäß – ab. Zu dem Zeitpunkt hatte sie nichts davon geahnt.

„Du hättest mir sagen sollen, dass du schwanger bist. Ich hätte entsprechende Änderungen vornehmen können.“ Er hob das Kissen vom Fußboden auf und legte es auf das Bett. „Zum Beispiel eine Assistentin einstellen.“

„Das hast du doch getan. Ich habe gekündigt, du hast eine andere Assistentin eingestellt. Ganz einfach.“

„Ich meine eine Assistentin für dich. Dann hättest du weniger Stunden arbeiten müssen.“

Alex hatte sich nie darum geschert, wie viele Stunden sie für ihn arbeitete. Anscheinend halluzinierte sie wieder. Sie rieb sich die Schläfen. Oder vielleicht war das letzte halbe Jahr nur ein unglaublich lebhafter Albtraum, aus dem sie jeden Moment am Computer in seinem Vorzimmer aufwachen würde.

„Du hättest nicht kündigen müssen.“

Genau das hatte sie tun müssen, doch das konnte sie ihm nicht erklären. Matt lehnte sie sich zurück in die Kissen und zog die Decke bis zum Hals hoch. Ihr war nicht kalt, aber sie brauchte einen größeren Abstand zwischen sich und ihm. Sie hatte gute Arbeit für ihn geleistet, doch niemand war unersetzlich. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso du hier bist.“

„Deine Schwester ist auf Hochzeitsreise.“

Sie runzelte die Stirn und fragte sich, woher er das wusste. „Ja. Und?“

„Deine Mom und ihr Mann sind auf einer Kreuzfahrt.“

Monatelang hatte ihre Mutter die Reise geplant und Squire nur mit viel Mühe überreden können, seine Cowboystiefel auf ein Schiffsdeck zu setzen. „Ja, aber was hat das mit dir zu tun?“

„Also bin ich nach Montana gekommen.“ Er stand auf und trat an das Fußende des Bettes. „Jemand musste es tun.“

Das erklärte seine Anwesenheit immer noch nicht wirklich. Denn sie hatte eine sehr große Stief-Familie, wie er wusste. Jeder der Clays hätte ihr auf jede erdenkliche Weise geholfen – auch wenn sie es verabscheute, jemanden um Hilfe zu bitten.

Aber das wusste Alex nicht, und er tat nie etwas, ohne dabei eigene Ziele im Auge zu haben. Nicht, dass er nicht nett sein konnte, wenn er es wollte. Sie wusste nur zu gut, an wie vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen er sich aktiv beteiligte und wie häufig er Schirmherrschaften übernahm – in allen neun Städten von Florida bis Arizona, in denen die Kliniken seines Unternehmens lagen. Aber vor allem lebte er für sein Geschäft. Wäre sie nicht seine Angestellte gewesen, hätte er sie nie wahrgenommen.

„Nun, ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber wie du siehst, geht es mir gut.“

In trockenem Ton entgegnete er: „Ist das deine höfliche Art, mir zu sagen, dass ich jetzt verschwinden soll?“

„Alex, es ist einfach … peinlich für mich.“

„Warum?“

„Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dich im Krankenhaus aufsuchen würde?“

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „Vielleicht wäre ich froh, ein vertrautes Gesicht zu sehen.“

Ihre Wangen röteten sich. „Jetzt stellst du mich als undankbar hin.“

„Wem der Schuh passt …“

„Bitte, versuch nicht, mich durch Schuldgefühle zur Rückkehr zu bewegen.“

„Das habe ich bereits versucht, und es hat nicht geklappt.“ Er trat ans Fenster, nahm eine Hand aus der Tasche und richtete die Lamellen.

Mehr graues Licht drang in den Raum, und Nikki beobachtete das Spiel seiner Muskeln unter dem hellen Pullover, der zweifellos aus Kaschmir war und seine breiten Schultern umschmiegte.

Seine Haare waren schwarz und an den Schläfen von Silberfäden durchzogen – im Nacken ebenfalls, wenn sie zu lang wurden. Nun waren sie jedoch kurz geschnitten.

Sie schluckte verlegen, als er sich zu ihr umdrehte und merkte, dass sie ihn anstarrte.

„Ich bin gekommen, weil ich besorgt war“, sagte er milde. „Gibt es jemanden, den du lieber hier hättest?“ Sein Blick glitt zu ihrem Bauch. „Vielleicht den Mann, der das zu verantworten hat?“

Sie senkte den Blick auf ihre Hände. Sie waren geschwollen. Vor einem Monat hatte sie sämtliche Ringe abgenommen, sogar den Verlobungsring, den Cody ihr geschenkt hatte. „Er ist weg“, sagte sie. „Ich weiß es zu schätzen, dass du extra aus Cheyenne hergekommen bist. Ich weiß, wie beschäftigt du bist. Aber es geht mir echt gut.“

Er musterte sie stumm.

Nun, sie lag in einem Krankenhaus, und demnach war doch nicht alles eitel Sonnenschein. „Es wird mir bald wieder gut gehen“, berichtigte sie sich.

„Du weißt ja nicht mal, was passiert ist.“

Solange sie das Baby in sich strampeln fühlte, konnte sie alles verkraften, was auch passiert sein mochte. Nicht verkraften konnte sie dagegen, sich Alex längere Zeit auszusetzen. „Weißt du es denn?“

Er war kein Familienmitglied. Er war nicht einmal mehr ihr Vorgesetzter. Das Krankenhaus hätte ihm keine persönlichen Auskünfte erteilen dürfen. Aber sie wusste, dass er zu bekommen pflegte, was er wollte.

„Ich weiß genug.“

„Und was soll das bitte heißen?“, hakte sie ungnädig nach.

„Du warst wesentlich gefälliger, als du noch für mich gearbeitet hast.“

„Du hast mich dafür bezahlt, gefällig zu sein.“

„Stimmt. Nun, niemand weiß besser als ich, wie fähig du bist, Nikki.“ Er nahm einen schwarzen Mantel von einem Metallhocker in der Ecke. „Zweifellos wirst du die Effektivität hier um etwa dreißig Prozent steigern, bevor du entlassen wirst. Das Personal wird total auf Zack gebracht sein.“ Sein Ton war überhaupt nicht mehr freundlich, sondern vielmehr angespannt. Verärgert.

Und das verblüffte sie über alle Maßen. Welchen Grund hatte er, verärgert zu sein? „Alex. Warte bitte.“ Die Worte sprudelten über ihre Lippen, obwohl ihr Verstand protestierte. Sie wollte, dass er ging. Oder etwa nicht?

So erpicht sie auch darauf war, ihre Haltung wiederzugewinnen, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, ihn verärgert zu haben. Aus welchem Grund auch immer, er war gekommen. Sie hatte nie erlebt, dass er sich vom Geschäft frei machte. Für niemanden. Warum also tat er es für sie?

Bevor er auf ihre Bitte reagieren konnte, kam ein schlaksiger Arzt ins Zimmer. Er stellte sich als Dr. Carmichael vor und sagte: „Gut. Sie sind endlich wach. Da Sie gerade beide hier sind, sollten wir über Ihre Alternativen reden, nachdem ich Sie untersucht habe.“

Und somit erfuhr sie nicht, ob Alex auf ihre Bitte hin geblieben wäre oder nicht.

2. KAPITEL

Dr. Carmichael legte eine dicke Akte auf den Rollwagen am Fußende des Bettes, trat an das Kopfende und holte mit einer Hand sein Stethoskop hervor, während er mit der anderen seine runde Brille hochschob.

Bevor Nikki protestieren konnte, öffnete er das Band, das ihr Krankenhaushemd im Nacken zusammenhielt, und beugte ihren Oberkörper nach vorn. Das Metall war kalt auf ihrem Rücken, und sie hielt hastig das Vorderteil des Hemdes fest, bevor es ganz von ihren Schultern rutschen konnte.

Dann drückte er sie wieder zurück in die Kissen und schob das Stethoskop unter den Ausschnitt, um ihrem Herzschlag zu lauschen.

Ihr Gesicht glühte, und das hatte nichts mit dem Arzt zu tun, der das kalte Gerät bereits wieder weggenommen hatte und nun ihren Hals abtastete, wonach auch immer.

Schließlich trat er an das Fußende ihres Bettes, schlug die Akte auf und nahm einige Eintragungen vor. Die Schwester kam erneut ins Zimmer und schickte Alex hinaus, weil Nikkis Unterleib untersucht werden sollte.

Als Dr. Carmichael fertig war, verkündete er: „Es sieht gut aus. Die Blutungen haben aufgehört.“

Die Schwester band das Nachthemd wieder zu, während Nikki den Arzt anstarrte. „Ich hatte Blutungen? Wie lange bin ich schon hier?“

„Vier Tage“, sagte die Schwester. „Sie sind am Sonntag eingeliefert worden. Jetzt ist Donnerstag. Mr. Reed ist seit Dienstag nicht von Ihrem Bett gewichen. Die Hälfte der Schwestern ist grün vor Neid.“

Vier Tage?

Sie hatte eher mit vier Stunden gerechnet.

Dr. Carmichael winkte Alex wieder herein, als die Schwester die Tür öffnete. „Wie ich Nikki gerade gesagt habe, hat die Blutung aufgehört. Es gibt keine Anzeichen für weitere Wehen.“

„Weitere?“, hakte Nikki bestürzt nach. Was war während ihrer Bewusstlosigkeit nur geschehen?

Die Schwester tätschelte ihr den Arm. „Regen Sie sich nicht auf. Ihr Blutdruck war sehr hoch, als Sie eingeliefert wurden. Er hat sich erst in den letzten zwölf Stunden stabilisiert.“

Diese Mitteilung trug nicht gerade zu Nikkis Beruhigung bei. „Das Baby bewegt sich. Was ist also nicht in Ordnung?“

„Nichts, was durch Bettruhe nicht behoben werden kann“, versicherte Dr. Carmichael gelassen. Erneut rückte er sich die Brille zurecht, sodass die Gläser im Licht der Deckenbeleuchtung funkelten. „Offen gesagt, geht es dem Baby momentan besser als Ihnen.“

„Dann kann ich nach Hause gehen?“

„Ich würde Sie lieber hierbehalten. Sie müssen die nächsten drei Wochen liegen.“ Er blickte in ihre Akte. „Dann werden Sie im letzten Drittel der Schwangerschaft sein.“

Nikkis Herz sank. Ihr neuer Job war mit einer Krankenversicherung verbunden, die sie zum Geburtstermin dringend brauchte, die aber erst nach sechzig Arbeitstagen in Kraft trat. Das Schlüsselwort dabei war Arbeit.

Wenn sie wochenlang in diesem Krankenhaus in Montana lag, konnte sie sich wohl kaum am kommenden Montag bei Belvedere Salvage & Wrecking zur Stelle melden. „Aber das geht nicht“, protestierte sie matt.

„Ich fürchte, es muss gehen.“ Dr. Carmichael tätschelte ihren Fuß durch die Bettdecke. „Keine Sorge. Sie werden sich schon an das Essen hier gewöhnen.“

Ein dicker Kloß trat ihr in die Kehle, und ihre Augen wurden feucht.

Beschwichtigend sagte er: „Es wird schon nicht so schlimm. Nach einer Woche sehen wir weiter. Und Daddy kann hierbleiben, solange er will, wie bisher.“

Nikki warf einen Blick zu Alex. Zwischen ihnen war nicht einmal im Entferntesten etwas Persönliches vorgefallen, und somit war er nicht der werdende Vater. Aber er widersprach der irrigen Ansicht des Arztes nicht.

„Ich kann es mir nicht leisten, drei Wochen im Krankenhaus zu bleiben“, erklärte sie vehement. „Ich muss nach Hause. Ich muss arbeiten.“

„Ich kann Sie natürlich nicht zwingen zu bleiben. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie die Schwangerschaft gefährden, wenn Sie keine strikte Bettruhe einhalten.“

Gefährden.

Das Wort tanzte ihr im Kopf herum wie die Kugel in einem Flipperautomaten, die bei jedem Anstoß eine kleine Explosion in Gang setzt.

„Aber sie könnte die Bettruhe auch woanders einhalten“, warf Alex ein. „Richtig?“

Dr. Carmichael nickte, auch wenn er dabei nicht besonders glücklich aussah. „Wenn sie mir verspricht, dass sie im Bett bleibt, und zwar liegend. Mit angezogenen Knien. Sie darf sich hin und wieder ein paar Minuten lang aufsetzen, aber nicht mehr.“

„Ich gehe zu meiner Mutter“, entschied Nikki resigniert. Ihre Familie würde sie mit offenen Armen aufnehmen, aber sie hatte das Gefühl zu versagen, weil sie nicht wie sonst auf eigenen Füßen stehen konnte.

„Ihre Mutter lebt hier in Lucius?“

„Nein. In Wyoming.“

Dr. Carmichael schüttelte entschieden den Kopf. „Sie sind nicht transportfähig. Nicht mal für eine Stunde.“

„Aber …“

„Widersprich nicht, Nikki“, sagte Alex sanft. „Wir tun, was immer nötig ist, um das Baby zu schützen.“

„Wir?“ Sie umklammerte die Bettdecke mit beiden Händen. Der Monitor neben ihr begann zu blöken wie ein Schaf und spuckte einen schmalen Streifen Papier aus.

„Miss Day.“ Die Schwester drückte sie sanft zurück in die Kissen. „Bitte, regen Sie sich nicht auf.“

„Sie haben mich gerade zu fast einem Monat Bettruhe verdammt, und ich soll mich nicht aufregen?“ Ein stechender Schmerz zuckte durch ihren Unterleib. Sie rang nach Atem, krümmte sich und zog die Knie an.

Sofort waren die Schwester und Dr. Carmichael zur Stelle, maßen den Blutdruck, verabreichten Injektionen.

Nikki spürte kaum, was mit ihr getan wurde, denn zu den starken Schmerzen gesellte sich Panik. Das Baby war ein „Unfall“, aber das bedeutete nicht, dass sie es nicht bekommen wollte.

Alex nahm ihre Hand und murmelte sanft ihren Namen.

Sie blinzelte, richtete den Blick auf ihn. Die Panik ebbte ein klein wenig ab. Sie spürte nicht, wie fest sie seine Finger umklammerte. „Es tut so weh.“

Sein Blick war stetig, ruhig und vertraut. „Ich weiß. Entspann dich.“ Seine Stimme wirkte beinahe hypnotisierend. „Es wird alles gut.“

Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, eine moderne, fähige, selbstständige Frau. Sie brauchte niemanden, der sie ermutigte. Für gewöhnlich sorgte sie dafür, dass alles gut war. Aber all das zählte momentan keinen Deut.

Sie war froh, dass er da war. Unendlich froh. Tränen rannen über ihre Wange. Nie zuvor hatte sie vor ihrem Boss geweint. Aber er war ja nicht mehr ihr Boss. Er war nur Alex – ein Mann, der ihr nicht aus dem Kopf ging.

„Atme“, ordnete er an.

Vage wurde ihr bewusst, dass die Schwester dasselbe gesagt hatte. Langsam holte sie Luft.

„So ist es gut“, sagte Alex ermutigend. „Ruhig und tief.“

Allmählich, kaum merklich, linderte sich der Schmerz. „Ich will das Baby nicht verlieren“, sagte sie mit belegter Stimme.

Er drückte ihre Hand. „Das werde ich auch nicht zulassen“, versprach er.

Es ergab keinen Sinn. Aber sie glaubte ihm.

„Versuchen Sie, sich zurückzulegen, Miss Day.“

Sie fühlte sich benommen und unfähig, sich auszustrecken. Es fiel ihr schwer, den Blick auf Alex zu fokussieren. Aber als er sich über sie beugte und sie sanft zurück in die Kissen drückte, sah sie trotzdem die verschiedenen Schattierungen seiner braunen Augen.

Wie dunkler, klarer Kaffee mit einem schmalen Rand aus geschmolzener Schokolade, dachte sie. „Geschmolzen.“ Geschmolzene Schokolade, köstlich und süchtig machend.

„Was ist geschmolzen?“

Sie runzelte die Stirn. Hatte sie laut gesprochen? „Mein Kopf fühlt sich komisch an.“

„Das liegt am Beruhigungsmittel“, erklärte die Schwester. Sie entfernte die Manschette des Blutdruckmessgeräts von Nikkis Arm. „Keine Sorge, es schadet dem Baby nicht. Sie werden nur beide ein bisschen schlafen.“

„Ich will nicht schlafen. Ich muss zurück nach Cheyenne.“

„Nicht heute. Du warst vier Tage bewusstlos, vergiss das nicht.“ Alex ließ sie los und entfernte sich vom Bett.

Sie wollte ihn zurückrufen.

Lieber später, dachte sie. Später musste sie auch die Personalabteilung von Belvedere anrufen und versuchen, ihren Arbeitsplatz zu retten.

Sie hatte so viel zu erledigen, aber momentan konnte sie sich nicht erinnern, was es war.

Alex beobachtete, wie Nikki die Augen zufielen. Die Sorgenfalten auf ihrer Stirn glätteten sich. Ihre Lippen entspannten sich.

„Sie wird ein paar Stunden schlafen“, teilte ihm die Schwester leise mit.

Er nickte und folgte Dr. Carmichael aus dem Zimmer. „Sie haben mehrere Tests durchgeführt. Ich will Details.“ Er selbst war kein Arzt, aber er stammte aus einer Arztfamilie und beschäftigte zahlreiche Mediziner. Wenn ihm die Auskünfte des Doktors nicht genügten, konnte er Nikki im Handumdrehen in die Obhut eines anderen Spezialisten geben.

„Wir können in meinem Büro reden. Ich würde gern auch Ihre medizinische Vorgeschichte erfahren.“

Alex lächelte unverbindlich. Es war ihm recht, dass er für den Vater des Babys gehalten wurde, denn dadurch bekam er eher die gewünschten Informationen. Er hätte sie sich auch anderweitig beschaffen können, aber auf diese Weise ging es schneller und unkomplizierter. Eigentlich hätte er sich gleich bei seiner Ankunft im Krankenhaus darum bemühen sollen. Stattdessen hatte er nur an Nikkis Bett gesessen. Es war ihm selbst unbegreiflich.

Zwei Stunden später wusste Alex alles über den Gesundheitszustand von Nikki und dem Baby. Er hatte sogar seinen Onkel angerufen, der die Entbindungsstation des RHS Memorial in Philadelphia leitete und Dr. Carmichaels Behandlungsmethode zustimmte.

Nun saß Alex wieder auf dem Stuhl in Nikkis Zimmer und wachte über ihren Schlaf. Ihr Gesicht hatte inzwischen eine etwas gesündere Farbe als bei seinem Eintreffen im Krankenhaus.

Ihr Anblick hatte ihn auf eine Weise betroffen gemacht, die er noch zu ergründen suchte. Früher, als sie bei ihm beschäftigt gewesen war, hatte er sie nie die Fassung verlieren sehen. Sie war verdammt tüchtig gewesen – die beste Assistentin, die er sich wünschen konnte. Sie hatte sein hektisches Leben in Ordnung gehalten, und nach all den Monaten seit ihrer Kündigung hatte er immer noch nicht gelernt, ohne sie auszukommen.

Das gestand er sich nur ungern ein. Es gefiel ihm nicht, von anderen abhängig zu sein. Aber er hatte sich stets auf Nikki verlassen.

Nun schien sie nichts mehr mit der unglaublich kompetenten jungen Frau gemeinsam zu haben, die meistens früher gekommen und später gegangen war als er. Abgesehen von dem fußballgroßen Bauch wirkte sie zu dünn und unglaublich jung. Und verletzlich.

Ihre Haare – eher rot als braun – lockten sich auf dem weißen Kissen. Ihr heller Teint wirkte auch ohne eine Spur von Make-up makellos und samtig. Ihr Mund war leicht geöffnet und ihr ovales Kinn entspannt.

Sie ist verdammt hübsch.

Das war eigentlich keine neue Erkenntnis für ihn – im Gegensatz zu ihrer Verletzlichkeit, die für ihn ebenso unerwartet war wie ihre Schwangerschaft. Das erklärte jedoch immer noch nicht, was er bei ihr tat.

Sie hatte guten Grund, überrascht zu sein, ja sogar argwöhnisch. Er hatte unzählige Dinge zu erledigen, die Huffington betrafen. Er hatte nicht übertrieben, was die Kompetenz der Assistentinnen anging, die ihm von der Personalabteilung geschickt worden waren. Eine unfähige Assistentin wie die derzeitige war schlimmer als gar keine.

Nikki drehte sich auf die Seite und legte sich einen Arm um den Bauch. Ihre Beine bewegten sich unter der dünnen Decke, und ein Fuß kam zum Vorschein. Die Zehennägel waren pfirsichfarben lackiert.

Pfirsiche sind mein Lieblingsobst.

Verärgert über diesen Gedanken, blickte er ihr wieder ins Gesicht. Ihre tiefblauen Augen waren offen.

„Es ist nicht nur ein schlechter Traum?“, flüsterte sie.

Er schüttelte den Kopf und hoffte inständig, dass sie nicht wieder anfangen würde zu weinen. Sie weinen zu sehen, ging ihm an die Nieren. „Wie fühlst du dich?“

„Benommen.“

„Das Baby ist okay. Und Dr. Carmichael hat deinen Gynäkologen in Cheyenne kontaktiert.“

„Ich will vermutlich lieber nicht wissen, woher du das weißt oder woher Dr. Carmichael weiß, wer mein Arzt in Cheyenne ist, oder?“

Er schwieg.

Sie drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Belle und Cage haben kurz vor Weihnachten geheiratet. Sie haben die Hochzeitsreise bis nach den Feiertagen verschoben. Wenn ich sie jetzt zurückrufe, können sie erst wieder im Sommer weg, und dann …“

„Wohin sind sie gefahren?“

„In die Karibik.“

Ihre Augen wurden tatsächlich feucht. „Belle hat sich so darauf gefreut. Nicht nur, weil es ihre Flitterwochen sind, sondern weil sie sich immer erträumt hat, an exotische Orte zu reisen.“ Ihre Stimme wurde ein wenig rau. „Meine Mutter und Squire schwimmen irgendwo auf dem Mittelmeer. Ich weiß, dass sie in einem Notfall erreichbar sind, aber …“

Er hob eine Hand. Er wollte wirklich keine Tränen in ihren Augen sehen. „Du musst niemanden erreichen.“

Sie schüttelte den Kopf. Die Tränen funkelten. „Ich kann mir nicht mal eine Woche im Krankenhaus leisten, geschweige denn drei.“

Alex spürte, wie schwer ihr das Eingeständnis fiel. Nicht, dass sie ihm damit etwas Neues sagte. Seinen Erkundigungen zufolge hatte sie seit der Kündigung nirgendwo gearbeitet. Er wusste, dass der Ehemann ihrer Mutter Geld hatte. Aber er ahnte auch, dass es nicht Nikkis Stärke war, um Hilfe zu bitten. Das hatten sie gemeinsam. „Ich habe dir eine Bleibe gemietet.“

Stille senkte sich über den Raum, während sie diese Mitteilung verdaute. Dann riss sie die Augen auf. Ihre Wangen wurden abwechselnd rot und blass. „Wie bitte?“

„Ich habe mich darum gekümmert, während du geschlafen hast. Der Sheriff hat mir ein paar Tipps gegeben. Jemand von der Pension hat deine Sachen gepackt und hingebracht.“

„Wie … tüchtig.“

„Dann ist es also geklärt.“

Ihre Benommenheit verflog. „Das ist es nicht! Wie soll ich mir diese … diese Bleibe leisten?“ Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit. „Und ich brauche trotzdem Hilfe, wenn ich die Bettruhe einhalten soll. Es führt also kein Weg daran vorbei, dass ich meine Familie anrufe.“

„Bleib ruhig.“ Er beugte sich vor und stützte die Arme auf die Knie. „Zuerst mal habe ich gesagt, dass ich dir eine Bleibe gemietet habe. Und was deine Familie angeht, kannst du sie natürlich anrufen, wenn du willst. Aber es ist nicht nötig.“

Sie runzelte die Stirn. „Willst du auch noch ein Kindermädchen für mich engagieren?“ Sie blickte überall hin, nur nicht zu ihm. „Eine so perfekte Assistentin war ich auch wieder nicht. Ich kann dir als Arbeitskraft unmöglich dermaßen wichtig sein, dass du so weit gehst. Ich will niemandem etwas schuldig sein.“

„Niemandem oder nur mir nicht?“

„Ist das nicht egal?“

Er ignorierte ihre Gegenfrage. „Ich stelle niemanden ein. Ich bleibe selbst bei dir.“

3. KAPITEL

Du bleibst also bei mir“, sagte Nikki bedächtig.

Alex nickte.

„Hier. In Lucius.“

Er nickte erneut.

„In dieser Bleibe, die du für mich gemietet hast.“

Wiederum ein Nicken.

Sie presste die Fingerspitzen auf den Nasenrücken, schloss die Augen und öffnete sie wieder. „Das Beruhigungsmittel, das ich gekriegt habe, steigt mir anscheinend zu Kopf.“

„Nein.“

Sie ließ die Hand sinken. „Ich will dein Mitleid nicht.“

Seine Miene verhärtete sich. „Du kriegst es auch nicht. Du bist eine intelligente Frau, Nik. Du musst doch einsehen, dass es die einfachste Lösung überhaupt ist.“

Oberflächlich betrachtet, vielleicht. Aber außerhalb der Arbeit Zeit mit Alex zu verbringen, war für sie alles andere als einfach. „Was ist mit Huffington?“

„Was soll damit sein?“

Sein Ton verriet ihr, dass er nicht über geschäftliche Dinge reden wollte. Doch sie hatten nie anders als geschäftlich miteinander verkehrt. „Nein“, sagte sie schroff und unterdrückte die Panik, die sie allein bei dem Gedanken beschlich, dass er bei ihr bleiben könnte. „Danke für das Angebot, aber ich kann es unmöglich annehmen.“

„Warum nicht?“

„Weil es … unschicklich ist.“

Es zuckte um seine Mundwinkel. „Unschicklich“, sinnierte er. „Das klingt ein bisschen jungfräulich, Nik.“

Ihr Gesicht wurde heiß, aber sie hielt das Kinn hoch. „Mir ist egal, wie es klingt. Es ist wahr.“

„Du warst eindeutig gefälliger, als du noch für mich gearbeitet hast“, hörte sie Alex murmeln. Er stand auf. Mit einem Meter fünfundneunzig war er der einzige Mann, den sie kannte, der von der Körpergröße an ihre Stiefbrüder heranreichte. „Ich habe ein Zimmer im ‚Lucius Inn‘. Ruf mich an, wenn du es dir anders überlegst.“

„Das werde ich nicht tun.“

Er neigte ein wenig den Kopf. Dann nahm er seinen Mantel und verließ den Raum. Er schloss die Tür und ließ sie allein mit einem Hauch seines Aftershaves und dem rhythmischen Ticken der nüchternen Uhr, die sehr hoch an der Wand hing – als fürchte die Krankenhausverwaltung, dass die Patienten das hässliche Ding entwenden könnten, wenn es in Augenhöhe hinge.

Bedächtig strich Nikki jedes Fältchen aus der dünnen Bettdecke. Das Baby bewegte sich. Noch vor ein paar Wochen hatte es sich angefühlt, als würden Schmetterlinge durch ihren Bauch flattern. Nun waren die Bewegungen deutlicher, realer.

Sie faltete die Hände über dem Bauch und blickte zu der geschlossenen Tür mit Tränen in den Augen, die sich nicht unterdrücken ließen, sosehr sie sich auch bemühte, sosehr sie auch an alles andere als an ihre Situation dachte.

Sie war fest entschlossen, Alex nicht anzurufen. Sie konnte die Zeit genauso durchstehen, wie sie jede andere schmerzliche Episode in ihrem Leben gemeistert hatte – allein.

Vierundzwanzig Stunden später rief Nikki bei Alex im „Lucius Inn“ an.

Sechsundzwanzig Stunden später ließ sie das Krankenhaus hinter sich – und fast ihre ganzen Ersparnisse.

Sie blickte aus dem Seitenfenster, während Alex mit dem gemieteten Geländewagen durch die Stadt fuhr. Lucius war eine kleine Gemeinde wie Dutzende andere. Es bestand aus einem Ortskern, in dem die meisten Geschäfte angesiedelt waren, einer älteren Villengegend und einem aufblühenden Neubauviertel mit modernen Apartmenthäusern, einem gut gehenden Kaufhaus, dem „Lucius Inn“ und einem Ärztezentrum.

Als Alex durch den gesamten Ort gefahren war, fragte sie: „Wo ist denn diese Bleibe, die du gemietet hast?“

Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Es sind noch ein paar Meilen.“

Sie wandte sich ab und starrte wieder richtungslos aus dem Fenster.

Ein Anruf bei Belvedere hatte ihre Befürchtung bestätigt: Es war nicht möglich, die Stelle für sie freizuhalten. Enttäuscht, wenn auch nicht überrascht, hatte sie sich tatsächlich entschlossen, Belle und Cage in der Karibik anzurufen. Doch dann hatte sie es nicht übers Herz gebracht. Was war schlimmer? Ihrer Zwillingsschwester die Flitterwochen zu verderben oder Alex’ Angebot anzunehmen?

Sie hasste es, ihre Angehörigen zu beunruhigen. Es war schlimm genug, dass alle sich um sie sorgten, seit sie von der Schwangerschaft wussten und sie drängten, nach Weaver zurückzukehren, damit man sich um sie kümmern konnte.

Aber Nikki sorgte selbst für sich.

Anstatt Belle anzurufen, hatte sie ihrer Schwägerin Emily eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, dass sie ein paar Wochen länger in Montana zu bleiben gedachte.

Dann hatte sie Alex angerufen. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie damit die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Das Singen der Reifen auf dem Asphalt wurde ruhiger, als Alex vom Highway auf eine schmale Straße abbog, die gerade geräumt worden war, den frischen Schneebergen auf beiden Seiten nach zu urteilen. Nicht einmal eine hauchdünne weiße Schicht lag auf der einzigen Fahrspur, die zu schmal für den Geländewagen zu sein schien.

Nach etwa zehn Minuten mündete die Asphaltstraße in einen Kiesweg, der zu einem lang gestreckten Blockhaus führte.

Riesige Baumstämme, ein gemauertes Fundament und ein einsames Fenster, das höchstens dreißig Quadratzentimeter Licht hereinließ, verliehen dem Gebäude den Eindruck, es sei vor zigtausend Jahren als Miniaturfestung errichtet worden. Einen Moment lang sehnte Nikki sich unwillkürlich nach ihrem beengten Krankenhauszimmer zurück.

Alex legte beide Handgelenke auf das Lenkrad, während er durch die Windschutzscheibe auf das Bauwerk starrte. Mit seinen langen Fingern trommelte er gedankenverloren auf das Armaturenbrett.

„Der Sheriff hat dir diese Bleibe empfohlen?“, fragte sie schließlich.

„Er hat mir drei Objekte genannt. Das hier ist das einzige, das momentan frei ist. Der Besitzer verbringt die Winter in Arizona.“

„Vielleicht sollte ich einfach in die Pension zurückkehren.“ Auch wenn ich nicht weiß, wovon ich das Zimmer bezahlen soll.

„Das geht nicht.“ Er schaute immer noch zu dem Gebäude. Er schien ebenso wenig wie sie erpicht darauf zu sein, es von innen anzusehen.

Schließlich bewohnte er auch das oberste Stockwerk im „Echelon“, dem nobelsten Hotel in Cheyenne, wenn nicht in ganz Wyoming.

„Hat sie mein Zimmer schon wieder vermietet?“

Er hob die Schultern. „Ich habe heute Morgen angerufen, und irgendein Mädchen hat abgehoben und gesagt, das ‚Tiff’s‘ sei für eine Weile mehr oder weniger geschlossen. Die Besitzerin hat irgendwelche Privatangelegenheiten zu regeln.“

Hadley war eine nette junge Frau, die eher daran interessiert zu sein schien, Streuner aufzunehmen, als ein lukratives Geschäft zu führen. Sie hatte Nikki sehr nett behandelt. „Hoffentlich ist bei ihr alles okay.“

„Lucius ist ein kleines Dorf. Wenn bei ihr etwas nicht okay wäre, hätte es sich längst herumgesprochen.“ Alex stellte das Trommeln ein. „Rühr dich nicht. Ich werfe mal einen Blick hinein.“

Sie stützte einen Ellbogen auf die gepolsterte Armlehne und legte das Kinn in die Handfläche. „Ich gehe nirgendwo hin“, versprach sie verdrossen, als er ausstieg. Was bleibt mir auch anderes übrig?

Sie war aus dem Krankenhausbett in einen Rollstuhl und aus dem Rollstuhl in den Geländewagen gehoben worden, der mit laufendem Motor und voll eingeschalteter Heizung vor dem Portal gewartet hatte.

Und das Heben hatte Alex übernommen.

Die ärztlichen Anweisungen waren strikt. Sie durfte sich lediglich alle paar Stunden für eine kurze Zeitspanne aufsetzen und mehr oder weniger aus eigener Kraft die Toilette benutzen und sich waschen. Für diese Gnade war sie besonders dankbar.

Sie beobachtete, wie Alex die wacklig aussehenden Stufen hinaufging. Das Sicherheitssystem beschränkte sich darauf, dass der Hausschlüssel in dem antiken Briefkasten neben der Tür versteckt war.

Alex blickte kurz zurück zum Geländewagen, und dann trat er ein.

Nikki fragte sich, was er denken mochte. Als sie noch bei ihm beschäftigt gewesen war, hatte sie geglaubt, seine Gedanken erraten zu können. Doch nun war das nicht mehr der Fall.

Er hatte die Tür offen gelassen, aber sie konnte kaum etwas erkennen, weil das steile, vorgezogene Dach Schatten warf. Sie redete sich ein, dass der Sheriff kein Haus empfohlen hätte, das morsche Dielen oder andere Gefahren barg, denen Alex dort drinnen ausgesetzt sein könnte, und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung.

Dutzende von kahlen Bäumen standen um das Cottage herum. Nur vereinzelt ragten Nadelbäume hoch in den Himmel hinauf. Während der anderen Jahreszeiten übte die Landschaft vielleicht einen gewissen Reiz aus; nun wirkte der Ort furchtbar öde.

Und Nikkis Augen brannten schon wieder. Sie blinzelte hastig. Die Tränendrüsen hatten bereits genug gearbeitet. Sie redete sich ein, dass es nichts weiter war als eine neue, unerwartete Herausforderung, die es zu meistern galt. Schließlich war es nicht das erste Hindernis, das sich ihr im Leben stellte.

Solange sie die ärztlichen Anweisungen befolgte, würde es dem Baby gut gehen. Darauf musste sie sich konzentrieren. Und sobald sie für gesund erklärt wurde, konnte Alex wieder seiner Wege gehen.

Sie zuckte zusammen, als sich die Tür neben ihr öffnete.

Alex löste den Sicherheitsgurt. „Ich bringe dich rein.“

Sie war sich nicht sicher, ob sie den warmen Geländewagen verlassen wollte. Denn dort konnte sie sich ausmalen, sich hinter das Steuer zu setzen und einfach wegzufahren. „Ist es drinnen so uralt, wie es von draußen aussieht?“

„Nicht unbedingt.“ Er schob die Arme unter ihren Körper. Es war das dritte Mal, dass sie sich von ihm tragen ließ.

Sie versuchte zu ignorieren, dass sie durch das Baby fünfzehn Pfund schwerer war als gewöhnlich und er sie trotzdem mühelos durch den Schnee beförderte.

Er war ein großer, kräftiger Mann. Aber er war ein Magnat, kein Holzfäller. Sie zu schleppen – irgendetwas zu schleppen – war eigentlich nicht sein Stil. Und doch bewältigte er es mit ebenso viel Stil, wie er fast alles tat.

Sie unterdrückte ein Seufzen, als die Stufen unter ihrem Gewicht ominös knarrten. „Oh mein Gott“, murmelte sie ungläubig, sobald sie den Innenraum sah.

Alex sagte nichts dazu. Er überquerte nur den glänzenden Holzfußboden, der teilweise von einem Teppich mit Leopardenmuster verdeckt war, und legte sie auf ein riesiges, mit rotem Leder bezogenes Sofa. „Ich bringe die Lebensmittel herein und stelle den Wagen in den Schuppen hinter dem Haus. Dann mache ich dir was zu essen. Bist du bis dahin okay?“

Sie nickte vage und stopfte die Hände tiefer in die Taschen ihres Mantels. Alles, was ihn lange genug beschäftigte, bis sie sich wieder gefasst hatte, war ihr recht.

Er schloss die Tür hinter sich, als er ging, um das bisschen Wärme zu bewahren, das im Haus herrschte. Ihr Blick heftete sich auf den frei stehenden steinernen Kamin, der den Mittelpunkt des Raumes bildete und für behagliche Wärme sorgen würde, wenn ein Feuer darin brannte.

Das gewaltige runde Bett, das sie durch den offenen Schacht sehen konnte, hatte ein enormes Kopfteil aus schwarzem Leder und war mit Samtkissen übersät. Auch das Bett würde wohltuende Wärme spenden, ebenso der herzförmige Whirlpool neben der Couch und die Küche mit der angrenzenden Essecke.

Bei der Planung ihrer Flitterwochen mit Cody hatte sie in Zeitschriften Hochzeitssuiten gesehen, die fast so erotisch ausgestattet waren wie dieses Cottage. Aber für Cody war nur ein Ort in Frage gekommen: das „Tiff’s“. Denn dort hatten schon seine Eltern ihre Flitterwochen verbracht.

Sie zuckte ein wenig zusammen, als Alex mit den Einkaufstüten zurückkehrte, und löste den Blick von der leeren Badewanne mit dem Gefühl, bei etwas Unanständigem ertappt worden zu sein.

Es gab kaum etwas im Haus, das von der Couch aus nicht zu sehen war, und sie beobachtete, wie er die Tüten auf den Küchenschrank legte und wieder hinausging.

Natürlich hatte er die Einkäufe nicht persönlich erledigt. Er hatte lediglich vor dem Supermarkt angehalten, und wie durch Zauberhand war ein junger Verkäufer eifrig mit den Tüten aus dem Geschäft gekommen und hatte sie im Kofferraum verstaut.

Das war der Lauf der Welt für Alex Reed.

Das Cottage verfügte nur über eine einzige Tür, hatte dafür aber zahlreiche Fenster an der Rückseite, die im Gegensatz zu der winzigen Luke an der Vorderseite riesig waren und einen freien Blick auf Bäume und einen verschlungenen Bach boten.

Nikki hoffte, dass ihr der anfängliche Schock über die Inneneinrichtung nicht mehr anzumerken war, als Alex wieder hereinkam. Nicht, dass er es andernfalls bemerkt hätte, denn er ging schnurstracks in die Küche und räumte die Lebensmittel in die Schränke aus Walnussholz und die supermoderne Kühlkombi aus Edelstahl ein.

„Alex?“

Er hob den Kopf und blickte sie an. Sie sah es durch die Lücke zwischen dem Kamin und einem üppigen Gummibaum, der am Ende der Couch stand.

„Kannst du wirklich kochen?“

Seine Zähne blitzten auf, als er lächelte. „Ich kann den Knopf einer Mikrowelle genauso gut drücken wie jeder andere.“

„Das hast du über die Benutzung der Kaffeemaschine im Büro auch gesagt.“ Er hatte diverse Knöpfe an dem supermodernen Gastronomiegerät betätigt, und daraufhin hatte der Handwerker es nicht mehr reparieren können und eine neue Maschine anschließen müssen.

„Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als das Risiko einzugehen“, meinte er trocken. „Diese Mikrowelle ist fest eingebaut. Also kann ich sie nicht zu dir bringen, damit du den Knopf drücken kannst.“

Sie hörte das Schließen der Gerätetür und danach ein Piepsen. Alex hantierte weiter in der Küche. Dann brachte er Nikki ein Glas.

„Das ist ja Milch! Ich mag keine Milch.“

„Aber du bist schwanger. Du solltest literweise Milch trinken, oder nicht?“

Bisher hatte sie es umgangen und dafür täglich Vitaminpräparate und Kalziumtabletten eingenommen. Doch obwohl es keinen Grund gab, Alex einen Gefallen zu tun, obwohl seine Miene wie gewöhnlich völlig ruhig und ein wenig belustigt wirkte, nahm sie das Glas entgegen und trank.

Er schob den schmiedeeisernen Couchtisch mit der Spiegelglasplatte näher an die Couch, bevor er wieder in die Küche zurückkehrte.

Einige Minuten später kam er wieder. Das Spiegelglas reflektierte sein Gesicht, als er sich über den Tisch beugte und ein Tablett abstellte. „Interessantes Dekor“, murmelte er, während er Nikki eine große weiße Suppentasse reichte. „Ich hoffe, du magst Nudelsuppe mit Huhn. Sie ist ungesalzen. Carmichael hat gesagt, dass du die Salzzufuhr minimieren sollst.“

„Sie ist sehr gut“, sagte sie wahrheitsgemäß. Plötzlich hatte sie sogar großen Hunger, und sie musste sich zusammenreißen, um die Suppe nicht vor seinen Augen gierig zu verschlingen.

Er kehrte in die Küche zurück, und einen Moment später hörte sie ihn telefonieren.

Das zumindest war typisch für ihn. Sein Handy und er waren stets unzertrennlich gewesen. Er war ein hoffnungsloser Workaholic.

Irgendwie getröstet durch dieses kleine Indiz der Normalität, aß sie nicht nur die Suppe, sondern auch noch die Banane und die beiden Brötchen auf dem Tablett.

Immer wieder glitt ihr Blick zur Küche. Alex’ Stimme war zu leise, um seine Worte ausmachen zu können. Sie wusste, dass er bewusst flüsterte. War es ein privates Telefonat?

Er war zweiundvierzig, äußerst gut aussehend, dazu extrem wohlhabend und daher ständig von Frauen umschwärmt.

Nikki schnipste sich einen Brotkrümel von der Brust und legte den Kopf zurück auf die Armlehne. Es ging sie nichts an, mit wem Alex sprach.

Ist es Valerie?

Sie schloss die Augen. Doch während sie dadurch den Anblick des Liebesnestes abblockte, konnte sie seine Stimme ebenso wenig ausblenden wie die unliebsame Tatsache, dass es sie kümmerte, obwohl es sie nichts anging.

Sie kauerte sich zusammen und wünschte, sie könnte sich unter das rote Polster verkriechen und das vergangene Jahr auslöschen.

Denn dann wäre Alex immer noch der Typ, der die Frauen wechselte wie die Hemden. Sie würde immer noch an seiner Seite einer Arbeit nachgehen, die sie liebte, und ihre Gefühle für ihn strikt verbergen. Sie war zu klug, um ernsthaft an einen Mann zu denken, der seine Geliebten mit geschmackvollen Geschenken abspeiste, die seine Assistentin für ihn besorgte.

Wenn sie das letzte Jahr auslöschen könnte, dann wäre Valerie, seine Exfrau, nicht in sein Leben zurückgekehrt, und Nikki hätte nicht wegen ihres törichten Verhaltens ihren Job kündigen müssen.

Sie würde nicht in diesem exzentrischen Cottage liegen und wäre nicht schwanger von einem Mann, dessen einziger Reiz für sie in seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit Alex bestanden hatte.

4. KAPITEL

Alex konnte nicht schlafen.

Das lag jedoch nicht an der Couch, denn sie war sehr bequem und riesengroß. Seine Schlaflosigkeit beruhte vielmehr auf der Tatsache, dass er jedem Geräusch von dem Bett auf der anderen Seite des Kamins lauschte.

Am frühen Abend hatte er ein Feuer entfacht, aber es war längst heruntergebrannt. Geblieben waren nur der angenehme Geruch und ein rötlicher Schein, der lediglich bis zum Fußende des Bettes reichte.

Er wünschte, die Glut wäre erloschen. Dann würde er nicht auf die Bettdecke spähen, die teilweise zu Boden gerutscht war. Der rote samtige Stoff ließ ihn an ein Kleid denken, das einer Frau von ihrem Geliebten von den Schultern geschoben wurde.

Er drehte sich auf den Rücken und strich sich über das Gesicht. Offensichtlich war er zu lange allein, dass er auf diese Weise an seine ehemalige Assistentin dachte.

Er hörte ein leises Seufzen und das Rascheln von Bettwäsche. War die Decke weiter von der Matratze gerutscht?

Verärgert schwang er die Beine von der Couch, stieß sich prompt den Knöchel am Tisch und fluchte unwillkürlich.

„Alex?“ Nikkis Stimme klang schlaftrunken. „Ist bei dir alles in Ordnung?“

„Ja“, knurrte er. Vorsichtig ließ er den Fuß kreisen. „Und bei dir? Hast du Probleme?“

Erneut raschelte die Bettwäsche.

Er hätte sich fragen sollen, welche Probleme er selbst hatte. Wie konnte er sich ihre pfirsichfarbene Haut in roten Samt gehüllt ausmalen, während sie Komplikationen mit der Schwangerschaft hatte?

Ich habe keine Probleme“, versicherte sie. „Du hast doch geflucht.“

„Hast du Schmerzen? Ist dir schwindelig?“

„Nein.“

Ihm entging nicht, dass sie mit ihrer Antwort gezögert hatte. Er schlüpfte in seine Hose und zog sie hoch, während er um den Kamin ging.

Über dem Bett befand sich ein kleines Dachfenster, aber draußen war es so dunkel, dass kein Licht hereinfiel. Doch im sanften Schein der Glut sah er Nikki mitten auf dem runden Bett liegen. „Die ganze Sache funktioniert nicht, wenn du mir nicht ehrlich sagst, wie es dir geht“, teilte er ihr mit.

Sie bewegte sich, und er empfand das Rascheln wie eine sinnliche Berührung. Er schüttelte das Gefühl ab, näherte sich und sah, dass sie sich an einen Berg Kissen gelehnt und ein Knie angezogen hatte. „Nun?“, hakte er nach.

„Ich lüge nicht.“

Ihm fiel auf, dass die Laken silbrig glänzten. Er hatte in Fünfhundert-Dollar-Wäsche genächtigt, die glatter als Seide war, und in Fünf-Dollar-Wäsche, die rau wie Sandpapier war. Aber er hatte nie in Satin auf einem runden Bett gelegen.

Und daran wird sich auch nichts ändern.

„Okay, du lügst also nicht.“ Er musste zugeben, dass sie als seine Angestellte stets aufrichtig gewesen war und ihm sogar schonungslos eröffnet hatte, dass er sich manchmal wie ein arroganter Schuft verhielt. „Aber du darfst auch nichts verschweigen.“

„Ich hatte einen Krampf.“ Selbst in schlaftrunkenem Zustand klang ihre Stimme verlegen.

Er setzte sich auf das Bett und griff nach ihrem Bein.

Sie wich zurück. „Was tust du da?“

„Entspann dich. Wo ist der Krampf?“ Er strich an ihrem Schienbein hinab, umkreiste den Knöchel. Er hatte bisher nie bemerkt, wie schlank und wohlgeformt ihre Beine waren. Denn bei der Arbeit war sie stets von Kopf bis Fuß in sehr konservative Hosenanzüge gehüllt gewesen.

Sie versuchte, seine Hand abzuschütteln. „Er ist schon wieder weg.“

„Und selbst wenn er noch da wäre, würdest du mir nicht sagen, wo es wehtut. Aber es ist kein Verbrechen, Hilfe anzunehmen.“

„Ich bin doch hier, oder?“

„Schon, aber du willst nicht hier sein.“

Du etwa? Mach mir doch nichts vor.“

Er stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ist das Bett wenigstens bequem?“

„Ja. Ich fühle mich nur, als würde ich jeden Moment rausfallen, wenn ich nicht aufpasse. Die Laken sind ziemlich rutschig, und ich habe noch nie in einem runden Bett geschlafen. Es ist irgendwie …“

„Abartig?“

„Seltsam.“ Ihre Stimme klang erstickt. Erneut bewegte sie den Fuß, und erneut weckte das Rascheln sinnliche Empfindungen in ihm. „Ich hätte lieber die Couch nehmen sollen. Es hätte mich nicht gestört.“

„Mich aber.“ Er hatte sie kurz nach dem Mittagessen ins Bett getragen, gegen ihre Proteste. „Möchtest du Wasser?“

Sie deutete zu dem Glas, das er ihr auf den Nachttisch gestellt hatte. „Hab noch.“

„Du solltest es trinken.“

„Würde ich die ganze Nacht gläserweise Wasser trinken, müsste ich andauernd auf die Toilette. Und da du dazu verdammt bist, mich auch dorthin zu tragen, würdest du genauso wenig Schlaf kriegen wie ich.“

„Sei froh, dass dich der Doktor nicht dazu verdonnert hat, eine Bettpfanne zu benutzen“, entgegnete er grinsend.

„Ich trinke das Wasser später“, versprach sie und zog die Bettdecke höher.

Ihm fiel auf, dass ihre Arme nackt waren, obwohl sie vorher einen langärmeligen Sweater getragen hatte. Er fragte sich, was sie nun anhaben mochte. Vermutlich war es ein Nachthemd aus ihrem Koffer, den er auf einen Stuhl in Reichweite des Bettes gestellt hatte. „Sag mir Bescheid, wenn der Krampf wiederkommt.“

„Ja, ja.“

„Ich meine es ernst, Nikki.“

„Oder was? Feuerst du mich sonst?“ Die schroffe Bemerkung schien sie ebenso zu überraschen wie ihn. „Okay, ich sage Bescheid.“ Sie legte sich auf die Seite, und die Bettdecke gab den Geist auf und sank am Fußende zu Boden.

Alex ballte die Hände in den Taschen. Er kehrte auf seine Seite des Kamins zurück, aber er legte sich nicht hin. Er konnte ja doch nicht schlafen.

Er ging in die Küche und schaltete die kleine Lampe über dem Herd ein. Zum Glück schirmte eine schmale Trennwand das Schlafzimmer ab, sodass Nikki durch den Schein nicht gestört wurde.

Leise trug er einen Barhocker von der Essecke an den Küchenschrank, auf dem bereits sein Aktenkoffer lag. Er holte einen Stapel Papiere und Briefe hervor, die er vor Tagen auf dem Weg aus dem Büro eingesteckt und immer noch nicht gelesen hatte.

Dann schenkte er sich zwei Fingerbreit Bourbon ein, setzte sich und schwenkte gedankenverloren den Whiskey im Glas.

Ein weiterer Vorteil der Trennwand bestand darin, dass er keine Zeit mehr an den Gedanken verschwendete, wie lange es dauern mochte, bis die Bettdecke vollständig auf dem Fußboden landete.

Alex nahm einen großen Schluck. Zu schade, dass er keine Trennwand in seinem Kopf errichten konnte, um die Fragen auszusperren, die sich dort eingenistet hatten.

Welche Art Mann konnte Nikkis Aufmerksamkeit derart fesseln, dass sie sich von ihm schwängern ließ?

Und warum zum Teufel war derjenige nicht bei ihr?

Himmlischer Kaffeeduft weckte Nikki am folgenden Morgen. Mit geschlossenen Augen blieb sie still wie ein Mäuschen liegen, während sie das wundervolle Aroma einatmete.

Was hätte sie nicht alles für einen Becher guten Kaffee gegeben! Aber alle Getränke mit Koffein und alle gesalzenen Gerichte – also alles, was ihr schmeckte – waren von ihrer Ernährungsliste gestrichen.

Daher lag sie einfach da und genoss den Duft.

Nach einer Weile begann ihr Rücken jedoch zu schmerzen. Sie drehte sich um und streckte die Beine aus. Der Anblick des silbrigen Satins hatte sie zunächst schockiert, aber es fühlte sich eigentlich echt gut an. Schlüpfrig, aber gut. Also strich sie ein paar Mal mit den Beinen über das Laken.

„Ich hatte einmal einen Hund, der im Schlaf Kaninchen gejagt hat.“

Nikki erstarrte angesichts der belustigten Bemerkung. Der kühle Satin erwärmte sich unter ihren reglosen Beinen.

„Selbst wenn Corkscrew schon geschnarcht hat, hätten ihn seine Beine eine Meile pro Minute getragen. Daran hast du mich gerade erinnert.“

Sie hob den Kopf vom Kissen und blickte Alex an. „Ein Hund namens Corkscrew. Wie schmeichelhaft für mich.“ Typisch für Alex, den Weinkenner, seinen Hund Korkenzieher zu nennen. „Was ist aus ihm geworden?“

„Er jagt jetzt Kaninchen in den ewigen Jagdgründen. Er ist an Altersschwäche gestorben.“

Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und stützte den Kopf in die Hand. Es war gefährlich, Alex anzusehen, doch es würde sich in den nächsten Wochen kaum vermeiden lassen.

Er hatte sich nicht rasiert, aber seine Haare waren feucht und streng zurückgekämmt. Dass sie nicht aufgewacht war, obwohl er offensichtlich geduscht hatte, erweckte ihr Unbehagen.

Sie hatte nie mit jemandem zusammengelebt. Nicht, dass sie mit Alex zusammenlebte. Aber sie hätte erwartet, empfänglicher für Geräusche zu sein, die nicht von ihr selbst stammten.

Er trug einen hellen Sportpullover, der seine Schultern endlos breit wirken ließ. Das war an sich nicht verwunderlich, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er unrasiert war. Sie hatte es häufig erlebt, dass er die ganze Nacht durchgearbeitet und sich am Morgen während der Besprechung des bevorstehenden Tagewerks rasiert hatte.

Verwunderlich war vielmehr, dass er eine abgetragene Jeans trug. So abgetragen, dass sie an gewissen Stellen fast weiß war. Neuerdings konnte man solche Jeans kaufen, aber Nikki hatte einen Stiefvater, fünf Stiefbrüder und einen Schwager, die ständig Jeans zur Arbeit trugen, und daher kannte sie den Unterschied. Sie hätte nicht erwartet, dass Alex eine derart abgenutzte Hose besaß.

Vielleicht hat er extra jemanden engagiert, der seine Jeans für ihn aufträgt.

Der absurde Gedanke machte ihr erneut bewusst, wie dringend sie Koffein brauchte.

„Der Letzte, den ich je hatte“, sinnierte Alex, während er den wundervoll duftenden Becher an die Lippen führte.

War es das Getränk, das ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, oder der Mann, der es genoss? „Der letzte was?“

Lachfältchen erschienen in seinen Augenwinkeln. „Hund.“

„Ach ja. Ich wusste bisher gar nicht, dass du einen hattest.“

„Weil ich erst neun war.“

„Warum hast du dir keinen anderen angeschafft?“

„Weil ich aufs Internat gekommen bin. Es hat keinen Sinn, einen Hund zu haben, wenn man sich nicht um ihn kümmern kann.“

Sie hatte das Gefühl, in den letzten zwei Minuten mehr über Alex erfahren zu haben als in den Jahren zuvor. „War das Internat weit weg von zu Hause?“

„Ungefähr eine Stunde.“

Das Baby bewegte sich, als sie sich ein Kissen unter die Knie legte. „Bist du an den Wochenenden nach Hause gefahren?“

„Selten. Wie möchtest du die Eier?“

„Emily, eine meiner Schwägerinnen, war als Teenager auf einem Internat. Irgendwo im Westen. Sie hat es gehasst.“

„Spiegelei oder Rührei?“

„Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass du für mich kochst.“

„Also Rührei.“ Er wandte sich ab.

Sie sah seine Beine, als er durch den Wohnbereich ging. Dann sah sie ihn gar nicht mehr, aber sie hörte ihn in der Küche hantieren. „Spiegelei bitte!“, rief sie ihm zu.

Sein Handy klingelte, und dann sagte er mit sanfter Stimme: „Hi, Baby.“

Großartig. Falls es nicht Valerie war, dann war es vermutlich eine der Dutzend anderen Frauen, mit denen er verkehrte. Sie wollte kein weiteres Wort mit anhören. Daher schwang sie die Beine aus dem Bett, um ins Badezimmer zu gehen.

Als ihre Zehenspitzen den Teppich berührten, hob sie die Füße wieder auf die Matratze. Wie hatte sie vergessen können, dass sie nicht herumlaufen durfte? Nur weil Alex mit seiner letzten Eroberung telefonierte?

Mit beiden Händen strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, und dann betrachtete sie sich in der Spiegelwand gegenüber vom Bett. Das Footballtrikot, das sie trug, war alt, und das tiefe Rot war zu einem milchigen Tomatensuppenrot verblasst.

Es hatte Cody gehört.

„Willst du Toast?“, rief Alex.

„Ja.“ Sie fragte sich, ob er seinen Freundinnen auch das Frühstück zubereitete.

Sehr unwahrscheinlich. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und das Personal des „Echelon“ parierte. Bestimmt wurde das geschmackvoll arrangierte Frühstück auf silbernen Platten unter kuppelförmigen Deckeln auf einem Servierwagen hereingerollt – wie in Kinofilmen.

Nikki senkte den Kopf auf die Knie und schloss die Augen. Sie hatte sich nie mit Spekulationen darüber beschäftigt, mit wem Alex sich das Frühstück teilte – bis er mit seiner Gewohnheit gebrochen hatte, seine Affären nach wenigen Wochen zu beenden, und monatelang am Stück mit Valerie verkehrt war. Das hatte wehgetan.

„Hier. Du kriegst trotzdem Rührei. Das Eigelb ist kaputtgegangen.“ Alex stellte ein Glas Milch auf den Nachttisch und behielt einen Teller mit Ei und Toastbrot, das an den Kanten ein bisschen verbrannt war, in der Hand. „Rutsch ein bisschen höher.“

Sie rückte ans Kopfende und errötete ein wenig, weil Codys Hemd von einer Schulter rutschte und kaum ihre Schenkel bedeckte. Hastig deckte sie sich zu.

Amüsiert breitete Alex ein rotblau kariertes Geschirrtuch über ihre Beine, bevor er ihr den Teller auf den Schoß stellte. „Wir wollen doch keine Erdbeermarmelade auf die Laken kleckern“, murmelte er.

Gedankenlos konterte Nikki: „Erdbeermarmelade wäre bestimmt die unschuldigste Kleckerei auf diesen Laken.“ Sie duckte sich, noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, und stopfte sich hastig eine halbe Scheibe Toast in den Mund.

Alex’ Mundwinkel zuckten, aber er sagte nichts.

Sie probierte das Ei. „Es schmeckt ganz gut.“

„Na sieh mal an.“

„Willst du gar nichts essen?“

„Das habe ich schon hinter mir.“

„Du musst nicht hier stehen und mir Gesellschaft leisten, während ich frühstücke. Du hast bestimmt was anderes zu tun.“

„Dem Gummibaum beim Wachsen zuschauen?“

„Anrufe. Geschäfte. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wie du es erträgst, so lange von der Firma weg zu sein.“

„Nennst du mich einen Workaholic?“

„Nicht im negativen Sinn.“

Er schaute sie an, als würde ihn diese Information interessieren, ja, als würde Nikki ihn interessieren – wie ein Finanzbericht, den er prüfte. „Du hast die Eier nicht aufgegessen.“

„Ich bin satt.“

Er schüttelte den Kopf. „Iss auf. Und versteck es ja nicht unter dem Kissen“, warnte er. „Wenn du fertig bist, trage ich dich ins Badezimmer.“

Sie seufzte und wartete, bis er wieder gegangen war, bevor sie Toast und Eier verzehrte. Die Milch auszutrinken, fiel ihr ziemlich schwer. Hätte eine Topfblume in der Nähe gestanden, hätte sie das Glas weggeschüttet.

Und obwohl es ihr sehr missfiel, von Alex abhängig zu sein, rief sie ihm schließlich zu: „Ich bin fertig!“ Sie wusste, dass sie wie eine quengelige Zweijährige klang, aber sie konnte es nicht ändern.

Augenblicklich trat er an das Bett. „Brauchst du etwas aus dem Koffer?“

Sie nickte. „Wenn es dir nichts ausmacht, ihn ins Badezimmer zu bringen …“

Das dauerte gerade mal zwei Sekunden. Dann kehrte er ans Bett zurück und hob Nikki auf die Arme.

Es war für sie genauso aufregend wie zuvor, von ihm getragen zu werden. Nervös hielt sie sich an seiner Schulter fest. „Du wirst es schon bald bereuen“, murrte sie. „Du hättest einen Kran für mich anheuern sollen.“

Wortlos verstärkte er den Griff ein wenig, während er sich umdrehte.

Als sie das Badezimmer erreichten, riss sie verblüfft die Augen auf. An allen Wänden befanden sich Spiegel, die keineswegs schlicht waren. Vielmehr wiesen sie eingravierte Muster auf, bei denen es sich eindeutig um verschlungene Körper handelte.

Alex setzte Nikki auf dem geschlossenen Toilettendeckel ab. Bevor er den Raum verließ, betrachtete er die Spiegel. „Diese Bleibe ist echt was ganz Besonderes“, murmelte er.

Sie nickte, doch da hatte er bereits die Tür geschlossen.

Sie seufzte und betrachtete die vielfältigen Spiegelverzierungen. Es war allerdings nicht der Ort, der verbotene Fantasien in ihr erweckte.

Es war der Mann.

5. KAPITEL

Alex spülte die Seifenlauge von dem letzten Glas und stellte es in den Abtropfkorb zu dem übrigen Geschirr, das er abgewaschen hatte. Während er sich die Hände abtrocknete, blickte er zu den Briefen und Papieren, die von einem Kurier gebracht worden waren und seitdem unberührt dalagen.

Es war nicht Nikkis Schuld, dass er wenig geleistet hatte. Denn allein vom Duschen – im Sitzen auf dem Hocker, den er ihr in die Kabine gestellt hatte – war sie so ermüdet, dass sie fast den ganzen Tag verschlafen hatte. Sie war gerade lange genug wach gewesen, um mittags und abends etwas zu essen.

Alex zog sich den Barhocker an den Küchenschrank. Statt sich wieder Whiskey zu genehmigen, schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein, bevor er sich dem übervollen Postsack zuwandte.

Nach der Entlassung seiner letzten Assistentin hatte er Miriam, seine älteste Angestellte, mit der Leitung des Büros beauftragt. Anscheinend hatte sie wahllos alles auf seinem Schreibtisch eingesammelt und ihm geschickt, ohne sich um die kleinste Angelegenheit selbst zu kümmern.

Den einen Brief, der ihm wegen des Absenders ins Auge gesprungen war, hatte er bereits gelesen.

Es war typisch für seinen Vater, ihm auf einem offiziellem Briefbogen mit eingraviertem Firmenlogo kühl mitzuteilen, dass er keineswegs sein Bestreben aufgegeben hatte, die Huffington Sports Clinic seinem Imperium einzuverleiben. In der nächsten Vorstandssitzung sollte über die Angelegenheit abgestimmt werden.

Sein Vater. Alex Reed Senior. Es war nicht das Geschäft, auf das es der Vorstandsvorsitzende von RHS abgesehen hatte. Das Motiv war persönlicher Art. Für seinen Geschmack war sein Sohn zu erfolgreich; also war es an der Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen.

Davor hatte er bereits gewarnt, als Alex vor über zwanzig Jahren den Schoß der Familie verließ. Es änderte nichts, dass so viel Zeit verstrichen war. Sein Vater war ein ausdauernder Mensch, und er vergaß nie, seine Versprechen einzuhalten.

Vorerst zielte RHS darauf ab, Alex’ gegenwärtigen Versuch abzublocken, durch einen Firmenkauf zu expandieren. Die Übernahme von Macfield Technologies, einem Spezialisten für die Entwicklung und Herstellung medizinischer Geräte, verbunden mit Huffingtons modernen Methoden in der Sportmedizin, würde gute Profite über Jahrzehnte garantieren.

Aber ohne Macfield war es Alex geradezu unmöglich, mit den Großen auf dem Gesundheitsmarkt wie RHS zu konkurrieren. Er brauchte Macfield. Und Macfield brauchte dringend eine Finanzspritze. Wenn RHS den Zuschlag gewann, konnte Alex praktisch einpacken.

Der Gedanke war ihm unerträglich. Eher hätte er seine Firma an den niedrigsten Bieter verschleudert, als sie vom Familienunternehmen verschlingen zu lassen.

Er rieb sich die Stirn. Sein alter Herr konnte nur durch Valerie von der geplanten Übernahme erfahren haben. Trotz ihrer Absicht, sich von Alex’ Cousin Hunter fernzuhalten, hatte sie es offensichtlich nicht getan, als er im vergangenen Sommer in Cheyenne aufgetaucht war. Sie hatte nie ein Geheimnis vor ihm hüten können, und er hatte nie Geheimnisse vor der Familie hüten können.

„Alex?“, rief Nikki mit schwacher Stimme.

Beunruhigt lief er in den abgedunkelten Schlafbereich. „Was ist denn?“

Sie hatte sich nun aufgesetzt. „Tut mir leid. Ich muss nur ins Badezimmer.“

„Es muss dir nicht leidtun.“ Schnell trug er sie ins Badezimmer und setzte sie auf die gepolsterte Bank vor dem Waschbecken. Sie sah bleich aus im hellen Licht. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

Sie starrte unverwandt zu Boden. „Gib mir nur ein paar Minuten.“

Ihre Verlegenheit war deutlich zu spüren. Er ging hinaus und schloss die Tür.

Einen Moment später hörte er das Rauschen von Wasser und kehrte in die Küche zurück. Doch ein leises, aber unverwechselbares Geräusch ließ ihn auf dem Absatz kehrtmachen.

Er klopfte nicht erst an. Er stürmte einfach ins Bad.

Und da saß sie, Mitleid erregend über die Toilette gekauert. Er schnappte sich einen Waschlappen von dem Stapel auf dem Glasregal und machte ihn nass.

„Geh weg“, flehte sie. „Bitte.“

„Sei still, Nik.“ Er strich ihre Haare zurück und reichte ihr das nasse Tuch.

Sie betätigte die Spülung und legte sich den Waschlappen auf das Gesicht. „Du bist der Einzige außer Belle, der mich je so genannt hat.“

„Wenn du deine Schwester bei dir haben willst, dann hole ich sie her“, versprach er.

„Sie ist in den Flitterwochen.“

Er strich ihr durch die Haare. „Glaubst du nicht, dass sie lieber Bescheid wüsste?“

Nikki seufzte und schien seine Berührung einen Moment lang zu genießen. Dann senkte sie jedoch den Kopf wie eine welkende Blume die Blüte und nahm das Tuch vom Gesicht. „Warum bist du eigentlich so nett, Alex?“

„Ich bin eben ein netter Typ.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das bist du nicht. Du bist vieles, aber nett um der Sache willen bist du noch nie gewesen.“

„So würde wohl jeder denken, dessen Schwester ich gefeuert habe.“

„Du hast Belle nicht gefeuert. Du hast sie beurlaubt.“ Nikki seufzte schwer. „Und wenn du es nicht getan hättest, hätte sie nicht bei Cage zu arbeiten angefangen und sie wären jetzt nicht auf Hochzeitsreise.“

„Ich hätte lieber Scott Langtree feuern sollen. Der Kerl war ein Schuft.“

„Einen Patienten kannst du nicht feuern“, konterte Nikki. „Aber er hat sich wirklich wie ein Schuft verhalten. Er hat Belle doch tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht! Und sie hat ihm geglaubt, bis seine Ehefrau aufgetaucht ist.“

Alex musterte Nikkis seidige Locken, die ihr bis auf den Rücken fielen. Im Schein der Deckenlampe sah er goldene Fäden in den rötlichen Strähnen, die er nie zuvor bemerkt hatte. „Das hat sie mir gar nicht erzählt.“

„Es war ihr zu peinlich, dass sie auf ihn reingefallen ist. Und warum hätte sie es dir erzählen sollen, nachdem du sie zur Schnecke gemacht hast, weil sie sich mit einem ihrer Therapiefälle eingelassen hat? Sie wusste, dass es nicht hätte passieren dürfen, ob er nun verheiratet war oder nicht.“

Langtree war ein Footballstar, und seine Affäre mit einer Physiotherapeutin hatte einen kleinen Skandal hervorgerufen. Erst recht, als seine Ehefrau sich in den Medien über sein Verhalten ausgelassen hatte. Derartige Publicity konnte Huffington nicht gebrauchen, und Alex war gezwungen gewesen zu handeln. „Du warst sauer auf mich, weil ich Belle kritisiert habe.“

„Jeder, der bei Huffington arbeitet, kennt die Vorschrift, die privaten Umgang innerhalb der Belegschaft und mit Patienten verbietet.“

„Das klingt, als würdest du die Betriebsvorschriften zitieren. Hast du deswegen gekündigt? Weil du sauer wegen des Vorfalls warst?“, hakte er nach, obwohl seither mehr als ein halbes Jahr vergangen war.

„Ich war sauer auf Langtree. Belle hat mir leidgetan, weil sie wirklich geglaubt hat, ihm liege etwas an ihr. Aber nein, das war nicht der Grund.“ Sie legte den Waschlappen auf das Waschbecken.

„Fühlst du dich besser?“

Sie nickte.

„Passiert es dir oft?“

„Nicht mehr. Am Anfang war mir oft schlecht.“

Er erinnerte sich, wie übel Valerie vor der Fehlgeburt gewesen war. „Vielleicht sollten wir einen Arzt rufen.“

„Nein, nein. Es geht mir wieder gut, ehrlich.“

„Willst du wieder ins Bett?“

„Ich möchte mir erst die Zähne putzen.“

„Okay.“ Kurzerhand hob er Nikki auf die Bank vor dem Waschbecken.

„Das hätte ich auch allein geschafft.“

„Ich weiß. Du bist eine total selbstständige Frau und brauchst nie einen Mann.“ Er reichte ihr die rosa Zahnbürste, die neben seiner weißen in einem Glas auf dem Waschtisch stand. „Außer dafür.“ Flüchtig berührte er ihren Bauch. „Ich glaube nicht, dass du das ohne Mann geschafft hast. Da wir gerade davon reden, wer zum Teufel ist er?“

Ihre Finger verkrampften sich um die Zahnpasta und drückten eine doppelte Portion heraus. „Wie bitte?“ Sie steckte sich die Zahnbürste in den Mund und scheuerte heftig.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei einer Samenbank warst. Andererseits wäre es vielleicht doch typisch für dich, ein Kind zu wollen, ohne jemand anderen in die Sache hineinzuziehen.“

Sie beugte sich vor, spülte sich den Mund aus, stellte die Zahnbürste zurück in das Glas. „Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest.“

„Dann sag es mir.“

„Warum? Was interessiert es dich? Ich arbeite nicht mehr für dich. Du brauchst dir also keine Sorgen darüber zu machen, ob es ein Angestellter oder ein Patient von Huffington war.“ Sie schickte sich an aufzustehen, aber dann sank sie wieder zurück auf die Bank.

Dank der Spiegel ringsumher sah er Tränen in ihren Augen, obwohl sie ihn nicht anblickte. „Weiß er davon?“

Sie hob die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit. „Ja.“

„Und?“

„Was und? Er hat nichts mehr mit mir zu tun.“

„Liebst du ihn?“

„Nein!“

„Aber du hast mit ihm geschlafen.“

Röte stieg ihr ins Gesicht. „Pass auf, was du sagst, Alex“, warnte sie mit leiser, schwankender Stimme. „Sonst wirkst du noch scheinheilig. Ich glaube nicht, dass du jede Frau liebst, die sich mit deinen Bettlaken angefreundet hat. Und da ich für gewöhnlich beauftragt war, sie mit einem Abschiedsgeschenk abzuspeisen, habe ich eine ungefähre Ahnung, wie viele es waren, bevor Valerie wieder aufgetaucht ist.“

„Ja, aber ich bin nun mal so.“

„Und du bist so großartig, dass für dich andere Maßstäbe gelten?“

„Nein. Du bist es.“

„Du kennst mich nicht.“

„Das habe ich schon gemerkt, als du mich ohne triftigen Grund verlassen hast.“ Seine Worte hatten eine Bedeutung, die der Situation nicht angemessen war. Aber er korrigierte sich nicht.

Auch Nikki widersprach nicht.

Stille trat ein, dehnte sich aus, wurde immer drückender.

Eine Träne rann über ihre Wange.

Seine Kieferpartie war so verkrampft, dass es wehtat. Bewusst lockerte er sie. Es war nicht Nikki, die seine Anspannung hervorrief. Es war die Situation mit RHS und Macfield.

Er beugte sich vor, um Nikki auf die Arme zu heben.

Sie wich zurück.

„Willst du hier im Badezimmer übernachten?“

„Vielleicht. Oder vielleicht krieche ich lieber zurück ins Bett, als mich wieder tragen zu lassen.“

Nur ihr Zustand hielt ihn davon ab, sie sich wie einen Mehlsack über die Schulter zu werfen. „Du bist wahnsinnig stur.“

Autor

Annette Broadrick

Bis Annette Broadrick mit sechzehn Jahren eine kleine Schwester bekam, wuchs sie als Einzelkind auf. Wahrscheinlich war deshalb das Lesen immer ihre liebste Freizeitbeschäftigung.

Mit 18 Jahren, direkt nach ihrem Abschluss an der Highschool, heiratete sie. Zwölf Monate später wurde ihr erster Sohn geboren, und schließlich wurde sie in sieben...

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Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal.

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