Bianca Gold Band 44

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LASS MICH NIE MEHR ALLEIN von PAT WARREN
Gradlinig und entschlossen hilft der Polizist Graham Kincaid der verängstigten Sara: Ihr Kind ist in den Bergen Arizonas entführt worden. Aber sie werden es finden! Und vielleicht auch die Liebe. Falls Sara sich nicht nur aus Sorge so zärtlich in seine Hände begibt …

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Ein falscher Schritt - und Janet landet im eisigen Wasser! Panisch schnappt sie nach Luft … Dann plötzlich ziehen sie starke Arme nach oben. Ihr attraktiver Retter Brian, mit dem sie eben am Pier noch heftig gestritten hat, sieht Janet jetzt zärtlich an …

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  • Erscheinungstag 23.03.2018
  • Bandnummer 0044
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734282
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pat Warren, Muriel Jensen, Lilian Darcy

BIANCA GOLD BAND 44

1. KAPITEL

Sara Morgan gehörte nicht zu den Frauen, die ihre Zeit in Bars verbrachten. Und schon gar nicht in solchen heruntergekommenen Bars am Stadtrand. Aber sie musste Graham Kincaid finden, musste ihn davon überzeugen, ihr zu helfen. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Sie hatte es sich einfacher vorgestellt, Kincaid ausfindig zu machen. Sein Name tauchte zwar hie und da auf, doch den Mann tatsächlich zu finden, schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Der Sergeant von der Scotsdaler Polizei hatte ihr nur verraten, dass Kincaid im Moment beurlaubt war und dass er eine Ranch in Cave Creek im Norden von Phoenix besaß. Doch er hatte ihr noch nicht einmal sagen können, wo genau sich diese Ranch befand, und Kincaids Telefonnummer stand nicht im Telefonbuch.

Ja, Informationen über diesen geradezu legendären Polizisten waren spärlich. Fast jeder, den sie fragte, schien die Privatsphäre dieses Mannes schützen zu wollen und sprach fast schon andächtig über ihn, so als ob Kincaid eine Art Volksheld wäre. Doch Sara war keine Frau, die schnell aufgab. Also hatte sie so lange weitergefragt, bis sie endlich ein paar seiner Gewohnheiten und seine bevorzugten Bars herausgefunden hatte. Kincaid spielte leidenschaftlich gerne Billard. Und Shotgun Sam’s war ein Ort für Billardbesessene.

Der Parkplatz war fast vollständig besetzt, und der hämmernde Bass lauter Musik dröhnte Sara bereits entgegen, als sie ihren weißen BMW auf den letzten freien Platz neben einer Laterne parkte. Sie schaute sich um und entdeckte über sechzig Motorräder, deren Chrom im schwachen Licht der Laternen schimmerte.

Na großartig, auch das noch! Diese Bar war offensichtlich Treffpunkt einer Motorradgang. Als Sara ausstieg, bemerkte sie, dass die Bar das einzige Gebäude weit und breit war. Drumherum nur verlassenes Gelände, soweit das Auge reichte. Das wird ja immer besser, dachte sie, als sie ihren Wagen abschloss.

Der Asphalt des Parkplatzes gab immer noch die gespeicherte Hitze des vergangenen Junitages ab, als sie auf den Eingang zuging.

Eine gerahmte Zeitungsannonce neben der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. „Fünf Sterne für Shotgun Sam’s, wo das Bier kalt, die Hamburger üppig und köstlich sind und immer etwas an den Billardtischen los ist.“ Sie fragte sich, was für ein Mann Graham Kincaid sein musste, wenn dies hier eine seiner Lieblingsbars war.

„Kincaid ist der Beste“, hatte man ihr mehr als einmal gesagt. „Er kann eine Nadel im Heuhaufen ausmachen. Er findet den Gesuchten immer, ob tot oder lebendig“, hatte der Sergeant noch hinzugefügt. Sara schauderte bei diesem Gedanken und betrat die Bar.

An der linken Wand der Bar erstreckte sich eine polierte Mahagonitheke. Einige ältere Männer saßen auf den Barhockern und tranken ihr Bier. Das Licht war gedämpft, und geschäftige Kellnerinnen mit Cowboyhüten, kurzen Jeansröcken und weißen Stiefeln liefen mit ihren Tabletts zwischen den Tischen herum, die alle besetzt waren. In der rechten Ecke ganz außen spielte eine Drei-Mann-Band ein schnelles Stück für die sechs Paare, die sich auf der Tanzfläche befanden. Auf der gegenüberliegenden Seite führte eine Art Rundbogen zu den Billardtischen, um die einige Männer herumstanden.

Für einen Montagabend war hier einiges los.

Sara war aufgeregt und misstrauisch, als sie zum Tresen hinüberging und wartete. Nach einem Moment bemerkte sie der Barkeeper und kam zu ihr hinüber. Er war groß, kahlköpfig, hatte einen Schnurrbart und eine weiße Bistroschürze um seinen mächtigen Bauch geschlungen.

„Was kann ich für Sie tun, kleine Lady?“, fragte er. So wie er aussah, hätte Sara eigentlich eine laute, dröhnende Stimme erwartet, doch sie war erstaunlich sanft. Der Mann hieß Oskar, wie sie auf dem Namensschild an seiner Brust lesen konnte.

„Ich suche Graham Kincaid“, erklärte sie. „Ist er heute Abend hier?“

Oskar schaute zu den Billardtischen hinüber und sah dann wieder Sara an. „Und warum wollen Sie das wissen?“

Es war unglaublich, wie sehr die Leute diesen Kincaid beschützten. Der Mann besaß anscheinend viele Freunde. „Mein Name ist Sara Morgan, und ich brauche Mr. Kincaids Hilfe.“ Sie hielt ihm ein Foto entgegen.

„Detective Kincaid“, verbesserte der Barkeeper sie und warf einen Blick auf das Foto. „Er ist im Urlaub und möchte allein gelassen werden.“

Sie schluckte einen Seufzer hinunter. „Das sagte man mir bereits. Ich möchte auch nur ein paar Minuten mit ihm sprechen. Ganz ehrlich.“

Sara setzte alles auf eine Karte und erzählte Oskar ihre Geschichte. Schließlich fuhr der Mann mit der Hand über seinen kahlköpfigen Schädel, betrachtete sie nachdenklich und entschloss sich dann, ihr eine Chance zu geben. „Er ist dort drüben am letzten Billardtisch. Der große Mann, der ganz in Schwarz gekleidet ist.“

Endlich! Sie hatte Kincaid gefunden! Erleichtert schenkte Sara Oskar ein Lächeln. „Danke.“

Vorsichtig folgte sie einer Kellnerin im Zickzack um die Tische, manövrierte sich dann geschickt durch die tanzenden Paare und erreichte schließlich den bogenförmigen Eingang des Billardzimmers. Auch dieser Raum war schwach beleuchtet, lediglich über den drei Billardtischen hingen ein paar abgeschirmte Lampen. Ein bärtiger Mann, der am Oberkörper nur eine offene Lederweste trug, betrachtete aufmerksam die Billardkugeln am ersten Tisch. Am zweiten Tisch spielte gerade ein Mann. Er hatte seine langen Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ungefähr sechs Männer standen herum. Einige hatten Billardstöcke, Queues, in der Hand, andere schauten nur zu. Sara trat näher, um den Mann in Augenschein zu nehmen, nach dem sie so lange gesucht hatte.

Graham Kincaid sah überhaupt nicht wie eine Legende aus. Zugegeben, er war groß. Mindestens ein Meter neunzig, mit schmalen Hüften und breiten Schultern. Aber solche Männer gab es viele. Als er sich vorbeugte, um sein Spiel zu machen, fiel Sara gegen ihren Willen auf, wie knackig sein Po in den schwarzen verwaschenen Jeans war.

Als er den Kopf zur Seite legte, fiel ihm eine schwarze Locke in die Stirn. Er hatte ein gut geschnittenes, markantes Gesicht mit einem eigenwilligen Kinn. Offenbar hatte er sich einige Tage nicht rasiert. Obwohl sie die Farbe seiner Augen nicht erkennen konnte, hätte sie wetten können, dass sein Blick kalt und abschätzend war.

Ungeduldig trat sie einen Schritt vor und wartete darauf, dass er endlich spielte. Wenn er in diesem Schneckentempo weitermachte, musste es Stunden dauern, bis die Partie zu Ende war. Die Männer, die ihm zusahen, blieben gelassen und rührten sich nicht. Warum brachten sie Kincaid nur so viel Respekt entgegen? Hatte er sich als Billardspieler einen guten Ruf erworben, oder war es seine Arbeit, die ihm so viel Anerkennung einbrachte?

Sara wusste, dass Graham Kincaid einige Jahre lang FBI-Agent gewesen war, dann in Phoenix die Mordkommission und schließlich für ganz Arizona die Sonderabteilung für vermisste Personen geleitet hatte. Sie hatte auch herausgefunden, dass er sich beurlauben ließ, weil irgendetwas passiert war. Aber niemand hatte ihr sagen wollen, worum genau es sich gehandelt hatte. Was immer es war, sie konnte nur hoffen, dass Kincaid die Sache überwunden hatte und wieder Lust verspürte, zu arbeiten. Er war ihre letzte Chance.

Schließlich beugte er sich vor, brachte seinen Queue in Position und wartete dann erneut regungslos ab. Jetzt reicht es, dachte Sara und ging auf ihn zu.

„Sind Sie Graham Kincaid?“, fragte sie laut genug, um die Musik übertönen zu können, und zwar genau in dem Moment, in dem er zustieß. Die Bälle schossen über den Tisch, keiner ging in das Loch.

Er richtete sich langsam auf und wandte sich Sara zu. „Wegen Ihnen habe ich diesen Stoß verdorben“, erklärte er verärgert.

„Entschuldigen Sie, aber ich muss unbedingt mit Ihnen reden.“

Sie hatte recht gehabt, seine Augen waren stahlgrau und kühl. Selten hatte ein Mann sie so kritisch angeschaut.

„So? Nun, ich habe aber keine Lust mit jemand zu reden, der noch nicht einmal den Anstand besitzt zu warten, bis ich zu Ende gespielt habe.“

Sara ließ sich nicht einschüchtern. „Ich sagte doch schon, dass es mir leid tut.“

„Ja. Und jetzt gehen Sie.“ Er nahm ein Stück Kreide auf und rieb damit die Spitze seines Queues ein.

Doch Sara ließ nicht locker. „Bitte, Mr. Kincaid, ich brauche Ihre Hilfe.“ Sie vermied es, auf die Männer zu achten, die herumstanden und neugierig zuhörten. Gerade machte Kincaids Gegenspieler seinen Stoß und verpasste die Kugeln um Längen, wahrscheinlich, weil er viel zu beschäftigt war, das kleine Drama zu verfolgen, das sich ihm bot.

„Ich bin beurlaubt worden“, erklärte er, ohne sie anzuschauen.

Sara ließ sich nicht beirren. „Mein Name ist Sara Morgan. Es geht um einen vermissten Jungen. Sein Name ist Mike, und er ist zwölf Jahre alt.“

Ein Muskel zuckte in Grahams Gesicht. „Viele junge Leute werden vermisst.“

Sie trat noch einen Schritt näher an ihn heran. „Dieser hier ist etwas ganz Besonderes“, sagte sie mit weicherer Stimme.

„Sie sind alle etwas Besonderes“, erklärte er und lehnte sich vor, um den nächsten Stoß in Angriff zu nehmen.

Nein, so leicht würde sie sich nicht geschlagen geben! Entschlossen holte Sara ein Foto aus ihrer Handtasche und warf es auf den grünen Filz neben die weiße Kugel.

Obwohl er sich über das Verhalten der Frau ärgerte, warf Kincaid einen Blick auf das Foto. Es war das Portrait eines blonden Jungen mit unternehmungslustigen, blauen Augen. Die Augen erinnerten ihn an einen anderen Jungen, der ebenfalls vermisst gewesen war.

Er richtete sich auf und betrachtete die Frau, die ihn mit den gleichen blauen Augen wie die des Kindes auf dem Foto anschaute und sich weigerte, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Ihre Lippen waren voll und sinnlich. Ihr langes, blondes Haar war im Nacken mit einem Clip zusammengehalten. Sie war klein und zierlich, doch selbst in den Jeans und dem schlichten weißen T-Shirt wirkte sie sehr weiblich.

Unter normalen Umständen hätte er diese Frau sehr hübsch und anziehend gefunden. Doch seit einem Jahr gab es für ihn keine normalen Umstände mehr.

Er hielt ihr das Foto hin. „Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“

Sie straffte die Schultern. „Ich werde Sie auch bezahlen.“ Sie hatte keine Ahnung, wie viel Geld in diesem Fall angebracht wäre, aber sie würde fast jede Summe zahlen, um Mike gesund zurückzubekommen.

Er schien ein wenig gekränkt zu sein. „Lady, ich habe einen Job. Ich brauche Ihr Geld nicht.“

„Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich bin nur so verzweifelt und …“

„Wenn das Kind vierundzwanzig Stunden lang verschwunden ist, können Sie eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben. Damit würden Sie weitaus besser fahren, als ihre Zeit in einer Billardkneipe zu vertrödeln.“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder dem Spiel zu.

Sie starrte eine Weile auf seinen Rücken und konnte ihre Wut kaum zurückhalten. Wie kam dieser Typ dazu, sie so abzuservieren? „Man sagte mir, Sie wären der Beste und etwas ganz Besonderes, aber die Leute müssen sich wohl geirrt haben. Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß bei Ihrem Spiel, Detective.“ Sie wandte sich ab und verließ mit hoch erhobenem Kopf die Bar.

Doch kaum war sie draußen, ließ Sara den Kopf hängen, und ihre Augen brannten von den Tränen, die sie zu lange zurückgehalten hatte. Ich bin wohl falsch vorgegangen, dachte sie. Sie hätte ihm schmeicheln und ihren ganzen Charme einsetzen sollen. Aber sie konnte einfach nicht betteln. Wenn sie diesen verdammten Kincaid nicht auf direkte Art und Weise überzeugen konnte, musste sie sich eben an einen anderen Mann wenden. Der Detective war sicherlich nicht der Einzige auf der Welt, der in der Lage war, Mike zu finden. Es musste doch irgendwo einen fähigen Typ geben, der Mitgefühl hatte und ihr helfen würde.

Sara Morgan war eine Frau, die tat, was getan werden musste. Sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.

Und währenddessen stand Kincaid noch immer am Billardtisch und betrachtete das Foto, das die Frau zurückgelassen hatte. Er spürte, wie er gegen seinen Willen in diesen Fall einstieg und im Geiste bereits Fragen stellte. Dann erinnerte er sich an eine andere Zeit, an einen anderen Ort, einen anderen Jungen.

Er schüttelte den Kopf. Nein, er konnte es sich nicht erlauben, noch einmal in so etwas hineingezogen zu werden. Vielleicht eines Tages wieder, aber noch nicht jetzt. Die Wunden waren noch nicht verheilt.

Mit grimmigem Gesichtsausdruck wandte er sich wieder dem Spiel zu.

Die Sommermorgen in Arizona liebte Sara am meisten. Sie liebte es, in der Dämmerung aufzustehen, zu duschen und sich dann einen Kaffee zu machen. Dann ging sie mit der Tasse Kaffee hinaus auf den Balkon ihres Reihenhauses und betrachtete den Sonnenaufgang.

Nach einer unruhigen Nacht saß sie wieder auf dem Balkon und wartete darauf, dass das Kaffeewasser in der Maschine durchlief. Sie hörte das Gezwitscher der Vögel, die in einem Olivenbaum von Ast zu Ast hüpften. Doch heute munterte es sie nicht auf.

Sie musste sich einen neuen Plan ausdenken, und zwar schnell.

Die Sonne ging gerade am Horizont auf, als ihr Nachbar, Nick Prescott, auf dem Gehweg stehen blieb und zu ihr hinaufschaute. „Hey, Sara, kommst du nachher mit uns klettern?“

Sie, Nick und einige andere Singles in der Nachbarschaft fuhren regelmäßig mit Nicks Jeep zum Camelback Mountain zum Wandern und Klettern. Heute allerdings hatte Sara nicht vor, die anderen zu begleiten. Sie hatte zu viel zu tun.

Sie ging zum Geländer ihres Balkons und schüttelte den Kopf. „Nicht heute, Nick. Ich rufe dich in den nächsten Tagen an.“

Nick winkte ihr zu und joggte weiter.

Sara setzte sich wieder, runzelte die Stirn und überlegte, was sie tun sollte. Jetzt, da Graham Kincaid nicht mehr infrage kam, musste sie sich einen neuen Plan ausdenken. Aber so leicht war das gar nicht. Sie hatte gehofft, mit dem Detective zusammenarbeiten zu können. Sie hatte gehofft, mit ihm zusammen Mike zu finden. Aber allein fühlte sie sich ohnmächtig. Himmel, sie war schließlich keine Polizistin. Wie sollte sie jetzt weiter vorgehen?

Grübelnd lief sie ins Wohnzimmer, blieb vor dem Beistelltisch an der Couch stehen und nahm Mikes Bild in die Hände. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie das geliebte Gesicht betrachtete.

„Mike, Mike, wo bist du, Schatz?“ Sie stellte das Bild wieder ab und unterdrückte einen Schluchzer. „Oh Gott, ich muss dich einfach finden, mein Liebling“, flüsterte sie und fingerte nervös an dem Armband mit dem Goldherz, auf dem „Ich liebe dich“ eingraviert war. Es war ein Geschenk ihres Neffen.

Sie zuckte zusammen, als es an der Tür klingelte. Rasch wischte sie sich mit einem Papiertaschentuch die Augen trocken. Wer wollte so früh am Morgen etwas von ihr? Vielleicht war es Nick, der noch einmal zurückgekommen war, um sie zu überreden, doch mit ihm und den anderen zu klettern.

Es läutete erneut. Sie zog den Bindegürtel ihres Morgenmantels fester zusammen, ging zur Tür und öffnete sie.

„Guten Morgen. Für einen Moment dachte ich schon, dass Sie das Haus bereits verlassen hätten.“ Graham Kincaid, der eine Tüte in der Hand hielt, lief an ihr vorbei geradewegs auf die Küche zu, so als ob er sich in diesem Haus auskennen würde.

Sara schloss etwas benommen die Tür und folgte ihm. Sie war erstaunt, wie stark sie auf ihn reagierte. Lag es an seinen breiten Schultern, an den schmalen Hüften, dem gut geschnittenen Gesicht, dem würzigen Duft von Seife und … Aftershave? „Sie haben sich rasiert?“, fragte sie und hätte sich für diese idiotische Frage am liebsten geohrfeigt. Was um alles in der Welt war bloß mit ihr los?

„Ja, so was tue ich von Zeit zu Zeit.“ Graham schien belustigt.

„Woher wussten Sie, wo ich wohne?“

„Haben Sie vergessen, dass ich Polizist bin?“ Er griff in die Tüte und holte zwei Becher Kaffee und zwei Donuts heraus. Er war überrascht, wie hübsch Sara frisch geduscht und ohne eine Spur von Make-up aussah. Nur die Schatten um ihre Augen gefielen ihm nicht. Man sah ihr an, dass Sorgen sie quälten. „Was für einen Donut möchten Sie?“, fragte er.

Sara brauchte einen Moment, um sich von der Überraschung zu erholen. Doch dann besserte sich ihre Laune schlagartig. Kincaid musste seine Meinung geändert haben. Warum wäre er sonst hier? „Schokolade, natürlich“, antwortete sie lächelnd und nahm den Donut mit zu dem kleinen Glastisch am Fenster hinüber und setzte sich.

Kincaid folgte ihr mit den Kaffeebechern. „Das ist kein normaler Kaffee, sondern Latte Macchiato.“ Er lächelte, als er die Deckel abnahm.

Das Lächeln verändert sein ganzes Gesicht, dachte Sara. Es machte ihn sympathischer. Und vor allem ausgesprochen sexy. „Es wäre eine Untertreibung, wenn ich sagen würde, dass ich überrascht bin, Sie zu sehen, Graham“, erklärte Sara. „Ich darf Sie doch Graham nennen, nicht wahr?“

„Nur wenn Sie wollen, dass ich nicht reagiere. Ich mag meinen Vornamen nicht sonderlich, auch wenn ich nach meinem Großvater benannt wurde, den ich sehr liebte. Alle nennen mich Kincaid.“ Er biss in das süße Gebäckstück und schloss zufrieden die Augen. „Ich kaufe mir diese Dinger nur alle paar Wochen, weil ich gleich ein Dutzend von ihnen essen könnte. Natürlich hätte ich dann bald einen Taillenumfang von einem Meter siebzig.“

Sie schaute auf seinen schlanken, durchtrainierten Körper, der in dem schwarzen Polohemd und den Jeans gut zur Geltung kam. Schwer vorzustellen, dass dieser Mann auch nur ein Gramm Fett zu viel auf den Hüften hatte.

„Es stimmt“, erwiderte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „Mein Bruder Ken ist einige Zentimeter kleiner als ich und wiegt fast dreihundert Pfund. Er lebt, um zu essen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Frau hingegen ist so dünn wie ein Strich.“

Sara sog tief den köstlichen Duft des italienischen Kaffees ein. „Sie wollen mich auf den Arm nehmen, nicht wahr?“

Er nickte und schenkte ihr ein Lächeln, bei dem das Herz jeder Frau schneller schlagen würde. „Sie haben das Foto mit Absicht bei mir liegen lassen, nicht wahr? Sie hofften, dass das Bild des Jungen mein Herz erweicht, war es nicht so?“

Obwohl Kincaids Gesicht jetzt keine Gefühlsregung verriet, hatte die Sache ihn doch bei weitem mehr beschäftigt, als er zugeben wollte. Er hatte eine unruhige Nacht verbracht. Der Junge war immer wieder in seinen Träumen erschienen und hatte ihn mit seinen blauen Augen flehend angesehen. Genau wie der Junge, dessen Foto er in seiner Brieftasche bei sich trug und den er nie vergessen würde. Durfte er es zulassen, dass er erneut in eine Suche hineingezogen wurde? Oder sollte er die Frage nicht ganz anders formulieren: Wie konnte er Hilfe verweigern, wenn es auch nur eine kleine Chance gab, den Jungen zu finden?

„Eigentlich steckte keine Absicht dahinter“, antwortete Sara, „aber als mir bewusst wurde, dass ich Mikes Foto auf dem Billardtisch liegen gelassen hatte, hoffte ich natürlich, dass das Bild Sie dazu bewegen würde, die Angelegenheit noch einmal zu überdenken.“

Er nahm das Bild aus seiner Hemdtasche. „Der Junge hat Ihre Augen- und Haarfarbe. Ich nehme an, er ist Ihr Sohn.“

„Nein, er ist mein Neffe. Meine Schwester Meg und ihr Mann Lenny sind die Eltern. Meg ist blond, so wie ich.“

„Ich verstehe. Wie lange wird Mike schon vermisst?“

Sara strich sich nachdenklich das Haar aus dem Gesicht. „Genau weiß ich das nicht.“

Ihre Worte überraschten ihn. „Also gut, lassen Sie mich das anders fragen: Ist er nicht mehr von der Schule oder von irgendeinem anderen Ort zurückgekehrt? Sind die Eltern nach Hause gekommen, und er war verschwunden? Ist Mike unglücklich? Ist er vielleicht ein Ausreißer? Mit zwölf Jahren sind Kinder fast schon zu alt, um von einem Fremden entführt zu werden, obwohl das natürlich nicht unmöglich ist.“

Kincaid kreuzte seine langen Beine. Es musste eine Vorgeschichte geben. Es gab immer eine Vorgeschichte. „Vielleicht fangen Sie ganz von vorne an.“

„Ich werde es versuchen.“ Sara schaute auf den Papierbecher in ihren Händen und fand es ziemlich schwierig nachzudenken, während Kincaid sie mit seinen wachen, intelligenten Augen betrachtete. „Meine Schwester rief mich am Sonntag an und erzählte mir, dass sie sich Sorgen mache. Den Tag zuvor hatte sie einige Dinge zu erledigen und als sie nach Hause kam, lag ein Zettel von ihrem Ehemann auf dem Tisch, auf dem stand, dass er Mike auf einen Überraschungstrip mitgenommen hätte, um seinen Grundschulabschluss und den Übergang auf die Junior High School im Herbst zu feiern. Freitag war der letzte Schultag in der Grundschule für Mike gewesen.“

„Macht Lenny das oft? Ich meine, solche Überraschungstrips?“

„Nun, ich weiß, dass Lenny sehr impulsiv ist. Im letzten Sommer hat er ein kleines Vermögen für eine Angelausrüstung und für ein Zelt bezahlt, um mit Mike am Roosevelt Lake angeln zu gehen. Meg war nicht mit von der Partie, Lenny hat sie schlicht zu Hause sitzen lassen. Sie war ziemlich wütend auf ihn. Also hat er ihr einen neuen Fernseher mit Flachbildschirm und einen Videorecorder gekauft.“

Der Typ scheint ziemlich verantwortungslos zu sein, dachte Kincaid. Er war kein gutes Vorbild für seinen Sohn. „Haben Mikes Eltern denn so viel Geld?“

Sara seufzte. Es war ihr peinlich, etwas derart Intimes von ihrer Familie preiszugeben. Aber sie hatte sich bereits seit einiger Zeit über Mikes Familienleben Sorgen gemacht. Außerdem überlegte sie immer wieder, was Lenny dazu bewegt haben könnte, mit Mike ohne Vorankündigung einfach so wegzufahren. „Ich weiß es nicht genau“, erwiderte sie ehrlich.

„Nun, viel wissen Sie ja in der Tat nicht“, meinte er etwas sarkastisch. Wann würde die Lady endlich beginnen, ihm die Wahrheit zu sagen? Kincaid betrachtete sie. Sie zerpflückte mit den Händen nervös eine Papierserviette und vermied es, ihn anzusehen. Menschen, die einem nicht in die Augen schauen konnten, hatten normalerweise etwas zu verbergen.

„Vielleicht sollte ich noch weiter ausholen und Ihnen etwas über die Vergangenheit erzählen. Unsere Eltern wurden bei einem Verkehrsunfall getötet, als ich erst zwölf und Meg einundzwanzig Jahre alt gewesen war. Meg hatte damals gerade das College abgeschlossen, und wir und meine Eltern befanden uns auf dem Weg von der Abschlussfeier nach Hause, als ein betrunkener Fahrer in unseren Wagen hineinfuhr. Mom und Dad waren auf der Stelle tot, und ich lag einige Wochen im Krankenhaus. Ich konnte noch nicht einmal zur Beerdigung gehen. Nach meiner Entlassung übernahm Meg die Rolle meiner Eltern und richtete ihr ganzes Leben auf mich aus, um für mich sorgen zu können. Ich verdanke ihr viel.“

Deshalb ist es ihr so wichtig, dass ihre Schwester ihren Sohn zurückbekommt, dachte Kincaid. „Hat Meg arbeiten müssen, oder bekamen Sie Geld von einer Lebensversicherung?“ Er musste sich unbedingt einen Eindruck von dieser Familie verschaffen.

„Beides.“ Sara entspannte sich ein wenig und lehnte sich zurück. „Dad hatte eine Versicherungsagentur geleitet und sich gut abgesichert. Außerdem war unser Haus bereits hypothekenfrei. Ich ging also weiter zur Schule und dann aufs College, und Meg arbeitete bei Macy’s und besorgte mir dort auch Ferienjobs. Bei Macy’s begann ich mich für Mode zu interessieren.“ Macy’s war eine der größten Boutiquen in der Gegend.

„Arbeiten Sie jetzt bei Macy’s?“

„Nein. Vor vier Jahren habe ich einen eigenen Laden in der Scotsdale Road eröffnet. Es läuft ganz gut, und ich will noch eine Filiale eröffnen, aber im Moment … nun, ich muss mich erst einmal darauf konzentrieren, Mike zu finden.“

„Stehen Sie Ihrem Neffen denn nahe?“

„Ja, sehr.“ Sara fand, dass es wohl das Beste wäre, Kincaid auch den Rest der Geschichte zu erzählen. „Meg heiratete Lenny Nelson ein Jahr nachdem unsere Eltern gestorben waren. Er zog in unser Haus ein. Meg sprach oft davon, wie sehr sie sich ein Kind wünschte, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass Lenny wirklich glücklich war, als Mike dann geboren wurde. Da Meg auch noch Rückenprobleme bekam, entschied sie sich, zu Hause zu bleiben und sich ganz dem Kleinen zu widmen. Ich ging aufs College, wohnte aber noch zu Hause und verbrachte daher viel Zeit mit Mike. Er ist ein wunderbarer Junge – intelligent, witzig und hübsch.“

Die Liebe zu dem Jungen strahlte aus ihren Augen, wie die warmen Sonnenstrahlen, die durch das offene Fenster fielen. „Ich kann sehen, wie sehr Sie an ihm hängen. Wie steht es mit Meg und Lenny? Sind sie liebevolle Eltern?“

Sara sah ihn misstrauisch an. „Warum fragen Sie das?“

Kincaid zuckte die Schultern. „Nicht alle Eltern sind so.“

Sara fragte sich, wie viel sie preisgeben sollte. „Wie ich schon sagte, Meg wünschte sich sehnlichst ein Kind und war überglücklich, als Mike geboren wurde. Lenny ist nach meinem Dafürhalten etwas zu streng mit dem Jungen. Er ist Polizist, vielleicht ist das der Grund.“

Vielleicht war die Strenge des Vaters der Grund, warum der Junge von zu Hause fortgelaufen war? Er musste mehr wissen. „Ein Polizist? In welchem Bezirk arbeitet er?“

„Dort, wo Sie wohnen, in Mesa“, erklärte sie. Mesa war ein Vorort von Phoenix.

„Wissen Sie, was für einen Dienstgrad er hat?“, fragte Kincaid. Er kannte viele Polizisten, hatte aber noch nie etwas von einem Lenny Nelson gehört.

„Ich glaube, er fährt mit einem Partner Streife in Mesa.“

„Ist er schon lange bei der Polizei?“

Sara schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, erst seit einigen Jahren. Doch das ist für seine Verhältnisse bereits lang. Zuvor hat er oft den Job gewechselt. Er war bereits Fernfahrer, Mechaniker und was weiß ich noch alles.“

Auffällig, aber nicht gesetzeswidrig. „Ist Mike ein Einzelkind?“

„Ja.“

Er sah zu, wie sie die zerpflückte Serviette in den Mülleimer warf und bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte. Vor Kummer? Oder steckte noch mehr hinter ihrer Geschichte?

„Wann sind Sie aus dem Haus Ihrer Familie ausgezogen und warum?“

Sara runzelte die Stirn, offensichtlich ärgerte sie diese Frage. „Ich weiß nicht, was das mit Mikes Verschwinden zu tun hat. Aber wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin nach dem Collegeabschluss ausgezogen. Ich hatte als Einkäuferin für Macy’s gutes Geld verdient und auch noch einiges von meinen Eltern geerbt. Davon habe ich mir dann dieses Reihenhaus gekauft.“ Das war nicht gelogen, dachte Sara und schlug die Augen nieder. Warum sollte sie Kincaid erklären, dass die Situation zwischen ihr und Lenny unerträglich geworden war, vor allem wegen Mike. Also war sie gegangen, weil sie nicht wollte, dass Mike die Spannungen zwischen ihr und Lenny mitbekam. Und Meg hatte sich wie immer auf Lennys Seite gestellt.

Kincaid spürte sofort, dass Sara nicht die ganze Geschichte erzählte. Er schaute sich um und bemerkte, dass ihr Zuhause geschmackvoll eingerichtet war. Teure Möbel, wie er feststellte. Auch die Gegend war gut, in der sie lebte. Wahrscheinlich wohnten viele gut verdienende Singles hier.

„Hat es Mike etwas ausgemacht, dass Sie ausgezogen sind?“, fragte er und betrachtete ihr Gesicht.

„Ein wenig. Aber ich habe ihm hier ein Zimmer eingerichtet, und er verbringt oft die Wochenenden mit mir.“ Sie sah ihn flehend an. „Sie müssen ihn einfach finden.“ War es nur ein Spiel für ihn, all diese Fragen zu stellen, oder war er wirklich bereit, ihr zu helfen? „Ich möchte Sie engagieren, damit Sie mir helfen, Mike zu finden.“

„Hoppla, nicht so schnell.“ Kincaid fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Dabei fiel sein Blick auf ihren Morgenmantel. Instinktiv spürte er, dass sie unter dem Mantel nackt war. Nur mit einiger Anstrengung gelang es ihm, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. „Eigentlich nehme ich keine privaten Aufträge an. Wie Sie bestimmt bereits wissen, bin ich Polizist.“ Er sah sie prüfend an und war sicher, dass sie seine Personalien überprüft hatte, bevor sie zu ihm gekommen war. „Ich bin neugierig. Warum wollen Sie gerade mich?“

„Weil ich mit vielen Leuten gesprochen habe, und jeder meinte, dass Sie der Beste wären. Sie genießen wegen Ihrer Erfahrung und Ihrer Erfolgsrate hohes Ansehen innerhalb der Polizei.“ Sie atmete tief durch. „Ich weiß auch, dass Sie sich aus irgendeinem Grund, den ich nicht kenne und der mich selbstverständlich auch nichts angeht, für längere Zeit Urlaub genommen haben. Deshalb bin ich bereit, Sie zu bezahlen.“

Er schüttelte den Kopf. „Es geht nicht ums Geld. Ich nehme nicht jeden Fall an. Es gibt noch andere Leute, die mit mir arbeiten und diesen Fall übernehmen könnten. Falls ich einen Fall übernehme, muss ich sicher sein, dass die Menschen, die für das Kind verantwortlich sind, mir die Wahrheit sagen, damit ich eine Vorstellung davon bekomme, warum das Kind verschwunden ist, und wo ich mit der Suche beginnen soll.“ Er legte die Unterarme auf den Tisch und schaute sie an. „Jetzt, da ich ein wenig über den familiären Hintergrund weiß, erzählen Sie mir bitte, wie Sie erfahren haben, dass Mike verschwunden ist.“

Sara zwang sich, ihre Gedanken zu sammeln. „Meg hatte sich keine großen Gedanken gemacht, als sie Lennys Nachricht las, denn wie ich bereits sagte, handelt Lenny oft sehr impulsiv. Er hat jedoch noch nicht einmal angedeutet, wohin er mit Mike fahren wollte, nur geschrieben, dass sie sich keine Sorgen machen sollte. Als sie am Sonntagabend immer noch nichts von den beiden gehört hatte, rief sie einige von Mikes Freunden an. Sie dachte, dass die vielleicht wüssten, wohin Mikes Vater mit ihm fahren wollte. Nichts. Dann rief sie die Polizei und die Krankenhäuser an, um sicherzugehen, dass die beiden keinen Unfall hatten. Schließlich rief sie bei mir an. Und jetzt ist es bereits Dienstagmorgen, und wir haben immer noch nichts von Mike gehört.“

Kincaid runzelte die Stirn. „Ihnen ist klar, dass der Junge vor dem Gesetz nicht als vermisst gilt – schließlich ist er mit seinem Vater zusammen.“

Sara bemühte sich, die richtigen Worte zu finden, um Kincaid davon zu überzeugen, dass er ihr helfen musste. „Habe ich Ihnen gesagt, dass Mike Allergiker ist? Meg sagte mir, dass Lenny Mikes Allergietabletten nicht mitgenommen hat. Und er hat auch nur wenige Kleidungsstücke eingepackt, keinesfalls genug für vier Tage. Und so lange dauert dieser seltsame Überraschungstrip jetzt schon.“

Kincaid versuchte, dem Ganzen einen Sinn zu geben. „Lenny weiß doch sicherlich über die Allergien seines Sohnes Bescheid. Da er sein Vater ist, kann er sich leicht ein neues Rezept besorgen.“

„Lenny ist in solchen Dingen ziemlich verantwortungslos. Er hat Mike einmal mit auf einen Campingausflug genommen, als alle Bäume und Gräser blühten. Mike hatte einen schlimmen Anfall und musste ins Krankenhaus, als Lenny endlich mit ihm nach Hause kam. Lenny meinte nur, dass wir übertreiben und Mike zu sehr verwöhnen würden.“

„Ein Macho wie er im Buche steht, nicht wahr?“ Leider kannte Kincaid mehr als genug Männer von diesem Schlag. Leider.

„Das ist noch recht milde ausgedrückt.“

„Sie kommen nicht besonders gut mit diesem Mann aus, nicht wahr?“

Sara wurde klar, dass sie mehr verraten hatte, als ihr lieb war, doch es war nun einmal die Wahrheit. „Ich musste mit ihm auskommen, oder ich hätte Mike nicht gesehen.“

„Und was denkt Ihre Schwester über ihren Ehemann?“

Sara schüttelte seufzend den Kopf. „Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, meinte sie. Doch das stimmte nicht ganz: Insgeheim war sie der Meinung, dass Meg Lenny nur geheiratet hatte, um die schwierigen Teenagerjahre ihrer kleinen Schwester nicht allein durchleben zu müssen. Und sie ahnte, dass Lenny ihre Schwester vor allem wegen dem Haus und des Geldes geheiratet hatte. Aber Sara wollte diese Gedanken für sich behalten. Sie war nicht bereit, schmutzige Wäsche zu waschen, schon gar nicht vor Kincaid. Außerdem war es nur ihre Meinung, und sie wusste nicht, ob die überhaupt zählte.

Kincaid schaute nachdenklich aus dem Fenster. Er spürte, dass noch mehr hinter dieser Geschichte steckte, als Sara bereit war zu erzählen. Sie hatte immer noch kein richtiges Motiv genannt, warum Lenny seinen Sohn auf diese mysteriöse Reise mitgenommen haben könnte. „Wissen Sie, ob Meg und Lenny Probleme haben? Ist die Ehe in Ordnung? Könnte er seinen Sohn aus Rache mitgenommen haben?“

Sara wich seinem Blick aus. „Ich denke nicht. Ich meine, Meg und Lenny sind nicht gerade das ideale Paar, aber sie scheinen einigermaßen miteinander auszukommen. Meg beklagt sich nicht bei mir über ihn. Und ich denke, oder hoffe, dass sie mich schon ins Vertrauen ziehen würde, wenn sie ernsthafte Probleme hätte.“

„Lenny ist nicht gewalttätig, oder? Hat er Mike oder Meg jemals geschlagen?“

Sie sah ihn erschrocken an. „Nicht, dass ich wüsste. Nein, das glaube ich nicht. Mike hätte es mir bestimmt erzählt.“

„In was für einer finanziellen Situation befinden sich die beiden? Sie erwähnten, dass Meg nicht gearbeitet hat, seit der Junge auf die Welt kam, und dass Lenny oft den Job gewechselt hat.“

„Meg und ich haben beide eine größere Summe Geld von unseren Eltern geerbt. Ab unserem einundzwanzigsten Lebensjahr konnten wir über das Geld verfügen, wie es uns beliebte. Ich weiß nicht, wie viel Geld Meg bereits verbraucht hat, aber von einigen Anschaffungen abgesehen führen sie und ihr Mann keinen aufwändigen Lebensstil. Außerdem zahlen sie keine Miete. Sie leben immer noch im Haus meiner Eltern, das zur Hälfte mir gehört. Aber ich würde diese Hälfte nie in Anspruch nehmen. Meg hat die ganzen Jahre für mich gesorgt, und ich finde, meine Haushälfte ist dafür nur eine schwache Gegenleistung. Vor einer Weile wollte Meg das Haus verkaufen, doch ich habe ihr diese Idee wieder ausgeredet. Ich finde es nicht gut, wenn Mike die Schule wechseln und seine Freunde verlassen müsste.“

Eine faire und mitfühlende Frau, dachte Kincaid, erhob sich und ging zum Fenster hinüber. Purpurfarbene Bougainvilleen rankten sich an einem weißen Gitter hoch und bildeten einen malerischen Kontrast zu dem strahlend blauen Himmel. Hübscher Garten, hübsches Haus. Und eine hübsche Frau.

Aber er konnte ihr nicht helfen.

Er wandte sich ihr wieder zu und lehnte sich gegen die Wand. „Ich weiß, dass Sie das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, nicht hören wollen, Sara, aber ich glaube nicht, dass es sich hier tatsächlich um ein großes Problem handelt, das meiner Hilfe bedarf. Der Junge ist weder ausgerissen noch ist er gekidnappt worden. Sie sagten, dass Lenny dem Jungen noch nie etwas angetan hätte, also ist er nicht in Gefahr. Sie deuteten auch an, dass die drei normalerweise ganz gut miteinander zurechtkommen. Es gibt also überhaupt kein Motiv für ein Verbrechen. Auch wenn ich es für unverantwortlich halte, dass Lenny mit dem Jungen verreist ist, ohne sich bisher auch nur einmal bei seiner Frau gemeldet zu haben, bricht er damit doch nicht das Gesetz. Wahrscheinlich verbringen die beiden so eine super Zeit miteinander, dass sie sogar vergessen haben, zu Hause anzurufen.“

Er straffte sich und entschied, dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen. „Warten Sie ein paar Tage, Sara. Lenny wird bestimmt bald anrufen oder mit dem Jungen nach Hause kommen.“

Sara hatte darauf gehofft, dass Kincaid ihr helfen würde, auch ohne die ganze Wahrheit zu kennen. Offensichtlich hatte sie sich getäuscht. „Vielleicht sollte ich Ihnen auch noch den Rest erzählen“, sagte sie leise.

Stirnrunzelnd setzte er sich an den Tisch und schaute sie an. „Also gut, was ist der Rest?“

„Ich sprach mit einem der Polizisten, die mit Lenny in der Polizeistation in Mesa arbeiteten. Na ja, und nach einigem Hin und Her gestand er mir, dass Lenny bereits vor zwei Wochen freigestellt worden ist. Wegen Diebstahls innerhalb der Polizeiwache.“

2. KAPITEL

Sara erwiderte Kincaids Blick, der sie gerade betrachtete, als ob sie ein Käfer unter einem Mikroskop wäre. Offensichtlich versuchte er, ihre Gedanken zu lesen. Im hellen Morgenlicht waren seine Augen eher grün als grau. Was dachte er jetzt gerade wohl? Sie konnte nur hoffen, nicht alles verdorben zu haben, weil sie wichtige Informationen nur so zögernd preisgegeben hatte.

„Hat es einen Grund, warum Sie mir diesen interessanten Fakt über Lenny vorenthalten haben?“, fragte er. Himmel, er konnte diese Frau mit den schönen großen Augen, die so viele Geheimnisse zu verbergen schienen, einfach nicht einschätzen.

„Es tut mir leid“, sagte Sara schließlich. „Ich hätte es Ihnen früher sagen sollen, aber ich nahm nicht an, dass das in irgendeiner Weise von Bedeutung für Mikes Verschwinden wäre.“

„Hm, und jetzt haben Sie Ihre Meinung plötzlich geändert?“ Er hielt inne und schaute sie noch prüfender an, wenn das überhaupt möglich war. „Lassen Sie mich zusammenfassen. Es geht hier um ein Kind, das von seinem Vater auf eine spontane Reise mitgenommen worden ist. Zumindest halten wir diese Reise für spontan. Und es geht um einen Mann, der nicht in der Lage ist, einen Job zu behalten. Der Mann ist mit einer Frau verheiratet, die nicht unvermögend ist. Die beiden leben jedoch bescheiden, und jetzt wird der Mann des Diebstahls verdächtigt. Im schlimmsten Fall ist er ein Dieb, auf jeden Fall aber ist er verantwortungslos.“ Er lächelte. „Essen Sie Ihren Donut nicht?“ Kincaids Magen knurrte immer noch. Er hatte schließlich auch seit gestern Abend nichts mehr gegessen, was für ihn eine Ewigkeit darstellte.

Sara schob ihm den Donut zu, der auf einer Serviette lag. „Nein, bitte essen Sie ihn nur.“

Er nahm einen Bissen und kaute gedankenverloren. „Haben Sie nicht gesagt, dass Ihre Schwester das College besucht hat?“

„Ja.“

„Und wo hat sie Lenny kennen gelernt?“

„Auf einer Party. Später hat sie ihn angeheuert, um einige Reparaturen am Haus zu erledigen.“

„Hm.“ Kincaid runzelte die Stirn. „Ist er gut aussehend und charmant? Ich meine, ist er der Typ Mann, der Frauen um den Finger wickeln kann?“ Es musste einen Grund geben, warum diese Meg sich zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Obwohl man natürlich nie wissen konnte, warum ein Mensch einen anderen liebte.

Sara zuckte die Schultern. „Lenny sieht nicht schlecht aus. Er ist mittelgroß, hat braunes Haar und trägt einen Schnurrbart. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein Foto geben. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass Meg sich mit einundzwanzig Jahren einfach überfordert gefühlt hat, eine Zwölfjährige allein aufzuziehen und daher den erstbesten Mann geheiratet hat, der an ihr Interesse zeigte.“

„Die beiden waren fünf Jahre verheiratet, bevor sie Mike bekamen, nicht wahr? Wirkten sie glücklich?“

Sie erhob sich, um den leeren Kaffeebecher in den Mülleimer zu werfen. „Ich war damals ein Teenager und ziemlich mit mir selbst beschäftigt, außerdem hatte ich gerade meine Eltern verloren. Ich habe ihrer Beziehung nicht viel Beachtung geschenkt. Woher soll ich außerdem wissen, wie eine glückliche Beziehung aussieht? Schließlich war ich noch nie verheiratet.“

Sie war noch nie verheiratet? Warum freute er sich so, das zu hören? Vergiss es, ermahnte er sich rasch. Das Letzte, was du brauchst, ist eine Beziehung. So attraktiv und anziehend die Frau auch sein mochte. „Nun, Sie könnten sich vielleicht ein Bild gemacht haben, weil Sie mit den beiden unter einem Dach lebten?“ Sie erschien ihm zu intelligent und aufmerksam zu sein, als dass ihr nichts aufgefallen wäre.

„Ich nehme an, dass sie ziemlich glücklich waren. Sie hatten natürlich auch hin und wieder Streit, doch das ist wohl normal. Aber was hat das Eheleben meiner Schwester mit dem Verschwinden von Mike zu tun?“

Kincaid hatte nun auch den zweiten Donut aufgegessen, trank den Rest seines Kaffees aus und erhob sich. „Vielleicht nichts. Vielleicht alles. Ich werde mehr wissen, nachdem ich mit Ihrer Schwester und Lennys Vorgesetztem geredet habe.“

Saras Gesicht hellte sich sofort auf. „Heißt das, Sie übernehmen den Fall?“

„Das bedeutet, dass wir weitersehen, wenn ich mehr Informationen habe. Ich werde mich bei Ihnen melden.“ Er verließ die Küche.

„Warten Sie noch eine Minute!“ Sara lief ihm hinterher. „Ich werde mitkommen.“

Als er sich umdrehte, hatte er mittlerweile die Haustür erreicht. „Keine Chance, Lady, ich arbeite immer allein.“

Sie schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln. „Bitte, Kincaid, ich muss mitkommen. Mike bedeutet mir alles. Ich habe mir extra heute freigenommen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen nicht im Weg sein werde. Ich bin sicher, dass ich Ihnen helfen kann.“

Mir kann keiner helfen, dachte er und schob die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. Er schaute sie streng an und hoffte, sie würde unter seinem Blick nachgeben. Der Blick wirkte eigentlich immer. Doch offensichtlich nicht bei ihr.

„Also gut. Sie können mitkommen, aber falls Sie mich unnötig aufhalten, oder die Situation gefährlich wird, ziehe ich die Sache alleine durch. Dann sitzen Sie hier brav in Ihrem schönen Haus und warten. Einverstanden?“

„Einverstanden.“ Sie würde dafür sorgen, dass sie ihm unentbehrlich wurde. Schließlich kannte sie Lenny und Mike, ganz zu schweigen von Meg. „Ich werde mich nur rasch anziehen. Ich bin in einer Sekunde fertig.“ Nach diesen Worten rannte sie den Korridor hinunter, lief in das letzte Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Neugierig schaute Kincaid in das nächstgelegene Zimmer, dessen Tür offen stand. Es war ein typisches Jungenzimmer. Hochbett und Schreibtisch aus Ahornholz, ein kleiner Fernseher und eine Playstation, Regale voller Comics, Harry Potter und Abenteuerbücher. Am Fenster stand ein riesiges Aquarium, in dem sich zwei Wasserschildkröten auf einem Stein sonnten. Mike hatte hier offensichtlich alles, was ein Jungenherz begehrte. Kein Wunder, dass er die Wochenenden gern bei seiner Tante verbrachte.

Kincaid kehrte in das Wohnzimmer zurück und fragte sich, ob er gerade einen großen Fehler gemacht hatte, Sara mitzunehmen. Aber wahrscheinlich würde er bereits nach den ersten Befragungen feststellen, dass es nicht um ein vermisstes Kind ging, sondern einfach nur um Familienprobleme. Die Tatsache, dass man Lenny unter solch unguten Umständen aus dem Polizeidienst entlassen hatte, machte ihn allerdings neugierig genug, sich diesen Fall einmal näher anzuschauen.

Und etwas Zeit mit der hübschen, blonden Tante des Jungen zu verbringen, war auch nicht gerade eine Strafe.

Meg Nelson hat nur wenig Ähnlichkeit mit ihrer Schwester, stellte Kincaid fest, als Meg die Tür eines Einfamilienhauses in einer ruhigen Straße in Mesa öffnete. Sie war ungefähr so groß wie Sara, doch das war auch alles, was die beiden Schwestern gemeinsam hatten. Sogar ihr blondes Haar wirkte glanzlos und matt. Selbst in dem weiten Kleid, das sie anhatte, sah man deutlich, dass Meg gut zwanzig Kilo Übergewicht mit sich herumtrug.

Sie schaute erst Kincaid, dann Sara an. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du jemanden mitbringst“, meinte sie misstrauisch und blockierte mit ihrer Leibesfülle den Eingang.

„Kincaid ist Experte im Aufspüren vermisster Kinder“, erklärte Sara entschlossen.

Meg schaute verärgert zu Kincaid hinüber. „Sind Sie etwa Polizist? Lenny wird sauer sein, wenn du ihm die Polizei auf den Hals jagst, Sara. Ich meine, er ist selbst ein Officer.“

Offensichtlich schien seine Frau noch nichts von Lennys Entlassung aus dem Polizeidienst zu wissen. „Wir brauchen Mr. Kincaid, Meg“, fiel Sara ein, bevor er eine Chance hatte, zu antworten. „Du willst Mike doch zurückhaben, oder nicht?“

„Natürlich will ich das“, fuhr Meg sie an, drehte sich um und ging ins Wohnzimmer, wo sie sich in einen Sessel setzte und ihr Nähzeug aufnahm.

Reichlich verärgert führte Sara Kincaid in das sonnige Wohnzimmer. Beide nahmen gegenüber von Meg auf der Couch Platz.

Kincaid wusste, dass er die misstrauische Frau beruhigen musste. „Ich weiß Ihre Vorsicht zu schätzen, Mrs. Nelson, aber ich versichere Ihnen, dass wir eine größere Chance haben, Ihren Mann und Ihren Sohn zu finden, wenn Sie kooperieren.“

Meg seufzte und schien sich dann ein wenig zu entspannen. „Was wollen Sie wissen?“

„Ich möchte, dass Sie mir erzählen, wie die Situation vor dem Verschwinden der beiden war.“

„Hat Sara Ihnen nicht bereits alles erzählt?“

„Ich hätte es gern von Ihnen gehört. Schließlich sind Sie die Ehefrau und Mutter.“

Meg seufzte erneut und erzählte dann fast das Gleiche, was Sara ihm bereits berichtet hatte. Während Meg, den Blick stets auf ihr Nähzeug gerichtet, sprach, schaute Kincaid sich um. Das Zimmer war sauber, aber das Parkett musste unbedingt abgeschliffen und neu versiegelt werden. Der alte Perserteppich wirkte fast schäbig, und die altmodischen Möbel hatten wahrscheinlich schon zu Lebzeiten der Eltern im Haus gestanden. An einer Wand stand das neueste Modell eines riesigen Fernsehers, und durch einen Türbogen konnte er im anschließenden Zimmer einen Billardtisch erkennen. Er wäre am liebsten hinübergelaufen und hätte ihn ausprobiert. Es war seltsam, dass die Nelsons sich auf der einen Seite so teure Dinge leisteten, und auf der anderen Seite das Haus so vernachlässigt wirkte.

Er betrachtete die Frau, während sie ihm die Geschichte fast teilnahmslos erzählte, und wunderte sich über ihre Gelassenheit. Sara hatte Mikes Verschwinden deutlich mehr mitgenommen. Aber vielleicht war Meg auch davon überzeugt, dass ihr Sohn nicht in Gefahr war. Als sie schließlich geendet hatte, schaute sie nicht auf, sondern seufzte nur und wartete.

„Mrs. Nelson, glauben Sie, dass Ihr Sohn sich in Gefahr befindet?“, fragte Kincaid offen.

Irritiert über diese Frage, warf Meg Sara einen Blick zu. „Lenny würde Mike nichts antun. Das weiß ich“, stieß sie abwehrend hervor und wandte sich dann wieder ihrem Nähzeug zu.

„Hat Lenny Mike bereits früher einmal so spontan auf Reisen mitgenommen?“

„Eigentlich nicht, aber Sie sind öfters ohne mich angeln gegangen.“

Sara beobachtete ihre Schwester. Warum verhielt sich Meg bloß so defensiv? Warum war sie so verschlossen? Sie standen sich nicht mehr besonders nahe. Eigentlich waren sie es noch nie gewesen. Vielleicht, weil sie fast zehn Jahre auseinander waren.

Meg schaute auf und erwiderte Kincaids fragenden Blick. „Lenny ist sehr impulsiv. Er meint, dass das Leben mehr Spaß macht, wenn man nicht jede Minute verplant. Das hat mir immer an ihm gefallen. Manche Leute ersticken in ihrer Routine, arbeiten immer nur und vergessen dabei zu leben.“ Sie beugte sich wieder über ihr Nähzeug, aber nicht ohne Sara vorher noch einen scharfen Blick zuzuwerfen.

Kincaid sah den anklagenden Blick, den Meg ihrer Schwester zugedacht hatte. Gab es irgendwelche Spannungen zwischen den beiden? Und wenn, hatten die etwas mit dem Verschwinden des Kindes zu tun?

„Ich habe gehört, dass Lenny eine Nachricht hinterlassen hat. Dürfte ich sie lesen?“, fragte Kincaid.

Meg stieß einen verächtlichen Laut aus, ging dann aber zu dem kleinen Tisch in der Ecke und kehrte mit dem Zettel zurück, den sie Sara, nicht Kincaid, reichte.

Sara faltete das Blatt auf und hielt es so, dass Kincaid es ebenfalls lesen konnte.

Die Nachricht war kurz und bündig.

Meg,

Mike und ich haben uns entschlossen, einen Ausflug zu machen. Ich weiß nicht, wie lange wir fortbleiben werden. Ich werde mich melden. Mach dir keine Sorgen um uns.

Lenny

Die wenigen Sätze waren nachlässig geschrieben, offensichtlich in Eile hingekritzelt. „Haben Sie eine Ahnung, warum Lenny nicht vor dem Ausflug mit Ihnen gesprochen hat?“

Meg presste die Lippen zusammen, als ob sie verärgert wäre. Oder war ihr die Frage einfach nur peinlich? „Seit Beginn der Ferien bettelt Mike, dass Lenny mit ihm nach Disneyland fahren möge, obwohl wir für so einen Ausflug kein Geld haben. Vielleicht hat Lenny gedacht, es wird Zeit, etwas für seine Vater-Sohn-Beziehung zu tun.“

„Ich verstehe“, meinte Kincaid, obwohl das ganz und gar nicht der Fall war. Saras Erzählungen hatten ihm verraten, dass Lenny nicht gerade ein Vater war, der sich viel Gedanken um die Beziehung zu seinem Sohn machte. „Sie machen sich also keine Sorgen darüber, dass Mike mit seinem Vater verschwunden ist? Ich meine, schließlich haben Sie Sara angerufen. Irgendwelche Gedanken müssen Sie sich also machen.“

„Ja, ich habe meine Schwester angerufen, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie gleich die Polizei einschalten würde. Das war wirklich nicht nötig.“

„Können wir uns einmal in Mikes Zimmer umsehen und nachschauen, was er mitgenommen hat? Vielleicht bekommen wir dann eine Vorstellung, wohin sein Vater mit ihm gefahren sein könnte.“

„Nein. Kein Fremder durchsucht die Sachen meines Sohnes. Das hat Sara bereits getan.“

Kincaid sah zu Sara hinüber, die über die eigensinnige Haltung ihrer Schwester verzweifelt zu sein schien. Fragend hob er die Augenbrauen.

Sara begriff, was er wollte, und räusperte sich. Vielleicht konnte sie ja zu ihrer Schwester vordringen. „Meg, wie läuft es so mit dir und Lenny in der letzten Zeit?“

Meg schaute auf. Ein seltsam feindlicher Ausdruck lag in ihren Augen. „Gut. Wir streiten uns hin und wieder. Aber das kommt nun einmal zwischen Eheleuten vor. Wenn du in der Lage wärst, einen Mann so zu interessieren, dass eine längere Beziehung entstehen würde, wüsstest du das, Sara. Aber du denkst nur an deine Arbeit und daran, wie du Mike verwöhnen kannst. Nur, weil du ihn so verzogen hast, ist er so aufsässig zu mir.“ Sie erhob sich und sah ihre Schwester nun offen feindselig an.

„Ich bat dich, mir zu helfen, meinen Sohn zu finden, nicht meine Ehe zu analysieren. Du hättest unsere Probleme keinem Fremden erzählen sollen, schon gar nicht einem Detective. Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass du mir viel zu verdanken hast?“ Mit diesen Worten wandte sich Meg ab und lief, erstaunlich schnell für die übergewichtige Frau, die sie war, den Flur hinunter und schlug dann die Tür eines Zimmers hinter sich zu.

Eine tiefe Röte stieg in Saras Gesicht, als sie sich bestürzt zurücklehnte. Nachdem sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, schaute sie Kincaid an. „Das ist wohl nicht besonders gut gelaufen, nicht wahr?“

Kincaid erhob sich und ging zum Kamin hinüber. Er wollte Sara Zeit geben, sich wieder zu fangen. Warum hatte ihre Schwester so heftig reagiert? Offensichtlich hatte Meg das Gefühl, Sara wäre ihr für die Jahre, in denen sie hier gelebt hatte, ewig zu Dank verpflichtet. Schließlich drehte er sich um. „Ich hätte vorher fragen sollen, wie Sie mit Ihrer Schwester auskommen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, dass Sie das alles mitbekommen haben. Eigentlich verstehe ich mich ganz gut mit Meg. Das glaubte ich zumindest bis gerade. Ich … sie hatte schon immer eine scharfe Zunge, aber so feindselig hat sie sich mir gegenüber bisher noch nie benommen.“

„Es hörte sich fast so an, als ob sie eifersüchtig wäre, dass Sie so eine gute Beziehung zu Mike haben.“

Sara erhob sich und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Wahrscheinlich hat sie recht. Ich verwöhne Mike tatsächlich. Er ist so ein liebes, aufgewecktes Kind. Ich belohne ihn für gute Noten. Ich nehme ihn mit zu Baseball- und Footballspielen. Ich gehe mit ihm zum Essen, zum Radfahren und zum Campen. Ich habe ihm neulich ein Fahrrad mit Zehngangschaltung gekauft, das er heiß und innig liebt“, ihre Augen leuchteten kurz auf bei dem Gedanken. „Ich versprach ihm auch, diesen Sommer mit ihm nach Disneyland zu fahren. Meg unternimmt nur wenig mit ihrem Sohn, also fühlte … fühle ich mich für diesen Teil zuständig. Ich hatte keine Ahnung, dass sie mir so viel Feindseligkeit entgegenbringt.“

„Es ist Ihnen sicherlich auch aufgefallen, dass sie der Frage auswich, wie es zurzeit mit Lenny läuft. Glauben Sie, dass die beiden oft vor Mike streiten?“

Es hatte keinen Sinn, länger eine heile Welt vorzugaukeln. „Wahrscheinlich. Auf jeden Fall taten sie es, als ich noch hier lebte.“

Was wahrscheinlich der Grund war, warum sie hier ausgezogen ist, überlegte er. „Lassen Sie uns einmal gedanklich etwas durchspielen“, sagte Kincaid, während er Sara nach draußen begleitete. „Lassen Sie uns annehmen, dass Meg und Lenny wieder einmal einen Streit hatten, den Mike mitbekam. Vielleicht hat das den Jungen so mitgenommen, dass Lenny sich entschloss, ihn mit einem Ausflug aufzumuntern. Oder aber Lenny wollte Meg eins auswischen, weil sie dauernd an ihm herumnörgelt.“ Sie hatten seinen silberfarbenen Jeep erreicht, und Kincaid wandte sich Sara zu. „Vielleicht hat er vor zurückzukommen, wenn er glaubt, dass Meg ihre Lektion gelernt hat.“

„Oder auch nicht.“ Sara schien nicht sehr überzeugt zu sein. „Obwohl ich nicht glaube, dass Lenny freiwillig die Gans, die goldene Eier legt, verlassen würde. Den Job bei der Polizei hat er ja auch schon verloren, und im Grunde genommen geht es ihm hier ziemlich gut. Ich glaube nicht, dass er es riskieren würde, Meg zu verärgern.“

„Weil sie das Geld hat?“

Sara setzte ihre Sonnenbrille auf. „So ist es. Sie erzählte mir einmal, dass Lenny ihr immer sein ganzes Gehalt gibt, damit sie alle Rechnungen bezahlen kann. Er bekommt nur eine Art Taschengeld. Das war auch schon so, als ich noch bei den beiden im Haus lebte. Ich weiß nicht, ob Meg Angst hat, dass er das Geld ausgibt, oder ob sie ihn damit nur kontrollieren will.“

„Ich tippe auf Nummer zwei.“ Kincaid half ihr einzusteigen, bevor er selbst hinter dem Lenkrad Platz nahm.

„Jetzt fällt es mir wieder ein“, bemerkte Sara. „Vor einigen Wochen kam Lenny zu mir und wollte sich von mir Geld leihen. Zwanzigtausend Dollar! Ich fragte ihn, wofür er so viel Geld brauchte, und er meinte, er wüsste, wie er das Geld gut investieren könnte. Er meinte, es sei ein todsicherer Tipp. Ich habe solchen Dingen nie getraut und forderte ihn auf, Meg nach dem Geld zu fragen. Er meinte dann, das könne er nicht, und bat mich, Meg nichts davon zu erzählen.“

„Und? Haben Sie es Meg erzählt?“

„Nein.“

„Vielleicht haben wir gerade wirklich ein Motiv für Lennys Verschwinden gefunden: Wahrscheinlich wollte er seiner ewig nörgelnden, geizigen Frau entkommen. Aber warum hat er den Jungen mitgenommen?“

„Das irritiert mich eben auch. Ich nehme es meiner Schwester nicht ab, dass es Lenny um eine Verbesserung der Vater-Sohn-Beziehung ging. Lenny war immer nur ein guter Vater, wenn es ihm gerade gepasst hatte.“ Sara lehnte sich zurück und schloss die Augen. Was für ein Schlamassel! Sie wünschte sich, Lenny wäre hier, damit sie ihm einen Kinnhaken verpassen konnte. Man benutzte keine Kinder, um Ehekonflikte auszukämpfen. Das war einfach unterstes Niveau!

Ihr Kopf begann zu schmerzen, und sie rieb sich die Stirn. „Wahrscheinlich glauben Sie, dass es hier nur um einen üblen Ehestreit geht, nicht wahr?“

Kincaid war geneigt, so zu denken, aber einiges störte ihn. Zum einen schien die Mutter sich nicht allzu sehr über das Verschwinden des Jungen Sorgen zu machen. Stattdessen war sie unhöflich, ja ruppig zu den Menschen, die ihr helfen wollten. Außerdem schien ihm Sara Morgan keine Frau zu sein, die aus einer Mücke einen Elefanten machte. Und sie schien ernsthaft besorgt zu sein.

Vielleicht machte er jetzt einen großen Fehler, aber er wollte kein Risiko eingehen. Es könnte sein, dass der Junge tatsächlich in Gefahr war. Außerdem hatte Kincaid Zeit.

„Nein, zumindest glaube ich das noch nicht ganz.“ Er startete den Motor. „Ich würde gern noch mit Lennys Vorgesetztem bei der Polizei sprechen. Möchten Sie mitkommen?“

Hoffnung flackerte in ihren Augen auf. „Ja“, erwiderte sie leise. „Danke.“

Kincaid konnte beim besten Willen nicht sagen, was ihn dazu getrieben hatte, sie mitzunehmen. Konnte es sein, dass seine Entscheidung etwas mit ihren schönen blauen Augen und ihrem flehenden Blick zu tun hatte?

Lieutenant James Anderson war ein untersetzter hemdsärmeliger Mann mit Hosenträgern. Er warf einen Blick auf Kincaids Polizeimarke, ging dann rasch mit ihm und Sara in sein Büro und schloss die Tür hinter sich.

„Ich habe von Ihnen gehört, Detective Kincaid. Sie leisten gute Arbeit.“ Anderson setzte sich in seinen Schreibtischsessel. „Es hat mir sehr leid getan, als ich von diesem Fall hörte, in dem …“

„Danke“, unterbrach ihn Kincaid rasch. Er hatte keine Lust, sich auf dieses Thema einzulassen. Und schon gar nicht vor Sara.

„Was kann ich für Sie tun?“

Er stellte ihm Sara vor. „Ihre Schwester, Meg, ist mit Lenny Nelson verheiratet. Ich habe gehört, er arbeitet bei Ihnen?“

Der Schreibtischstuhl quietschte aus Protest, als der stämmige Mann sich zurücklehnte. „Er hat hier gearbeitet. Er ist entlassen worden.“

„Können Sie mir sagen, was der Grund dafür war?“

Der Lieutenant sah Kincaid prüfend an. „Worum geht es hier eigentlich?“

Kincaid berichtete ihm rasch, was vorgefallen war. „Ich muss wissen, ob Lenny Nelson eine Gefahr für seinen Sohn darstellen könnte. Wie ich bereits erwähnte, sind die beiden jetzt bereits einige Tage fort, und niemand weiß, wo sie sich aufhalten. Noch nicht einmal die Mutter.“

Anderson runzelte die Stirn, als er sich zum Schreibtisch vorbeugte und einen Ordner aufnahm. „Nelson muss nächste Woche zu einer Anhörung kommen.“ Er zögerte kurz. „Sie werden die Sache ja sicherlich vertraulich behandeln.“

„Selbstverständlich, Sir.“

„Nelson wird beschuldigt, wertvolle Gegenstände aus der Asservatenkammer gestohlen und sie verkauft zu haben. Es waren Beweismittel aus alten, ungelösten Fällen. Wir nehmen an, dass das bereits eine Weile so ging.“

Lenny ist also ein Mann, der dringend Geld braucht und dafür bereit ist, das Gesetz zu brechen, dachte Kincaid. So ein Mann ist verzweifelt, unberechenbar und kann zu Gewalttätigkeit neigen.

Und er war irgendwo da draußen mit einem zwölfjährigen Jungen.

Er schaute Sara an und sah, dass sie blass geworden war. Wahrscheinlich war sie zu dem gleichen Schluss wie er gekommen.

„Und falls Lenny nicht zu der Anhörung erscheint?“, fragte Sara.

„Dann wird er mit Haftbefehl gesucht werden“, erwiderte Anderson.

„Danke, Sir“, sagte Kincaid, erhob sich, schüttelte dem Mann die Hand und verließ mit Sara das Büro. Sie durchquerten das Großraumbüro, in dem viele Officers ihre Schreibtische hatten. Auf einem der Tische entdeckte Kincaid Lennys Namensschild, obwohl bereits ein anderer Polizist daran saß.

Einer Eingebung folgend blieb er stehen. „Entschuldigen Sie, aber sind Sie vielleicht ein Freund von Lenny Nelson?“, fragte er.

Der dunkelhaarige Officer hörte auf zu tippen. „So könnte man das sagen, ja.“

Kincaid stellte sich und Sara vor. Erkennen flackerte in den Augen des Mannes auf, gefolgt von Respekt. Gab es irgendjemanden in den Vereinigten Staaten, der den Namen Graham Kincaid noch nicht gehört hatte?

„Cole Darvin“, sagte der Officer. „Falls Sie Lenny sprechen wollen, haben Sie kein Glück. Er ist nicht hier.“

„Das weiß ich. Haben Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden könnte?“

David zuckte mit den Schultern. „Nein. Er könnte überall sein.“

„Hören Sie“, Kincaid gab nicht auf, „ich weiß, dass er Probleme hat, und ich würde ihm gern helfen, aber er ist nicht zu Hause, und ich weiß nicht, wo ich nach ihm suchen könnte.“ Er machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu: „Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie mir helfen würden.“

Cole straffte sich, schaute kurz nach links und dann rechts und lehnte sich schließlich zu Kincaid vor. „Versuchen Sie es in seinem Apartment. 125 Hanover, eine Seitenstraße der Mill Avenue. Aber Sie haben die Adresse nicht von mir, verstanden?“

„In Ordnung.“ Er griff Saras Arm und führte sie hinaus in das helle Sonnenlicht.

Trotz der Hitze fröstelte Sara auf einmal. „Ein Apartment? Wozu braucht Lenny ein Apartment?“, fragte sie verwirrt.

„Das werden wir bald herausfinden“, meinte Kincaid, obwohl er bereits den Grund ahnte. Wenn ein verheirateter Mann ein Apartment hatte, gab es normalerweise nur einen Grund.

Eine halbe Stunde später erreichten sie den heruntergekommenen Gebäudekomplex, in dem sich das Apartment befand. Kincaid klopfte an die Tür der Verwaltung, und ein Mann mittleren Alters, gekleidet in Jeans und einem grauen T-Shirt, kam heraus. „Wollen Sie ein Apartment mieten?“, fragte er. „Im Moment ist eines im dritten Stock frei.“

„Nein, deswegen sind wir nicht hier.“ Kincaid zeigte ihm seine Polizeimarke.

Der Mann betrachtete die Marke für einen Moment. „Ich bin Charley, der Verwalter. Was wollen Sie wissen?“

„Ich habe gehört, dass Lenny Nelson hier ein Apartment gemietet haben soll. Ist er hier?“

Charley schüttelte den Kopf. „Ich habe Lenny seit einer Woche nicht mehr gesehen.“

„Wir müssen in sein Apartment. Polizeiliche Angelegenheit.“

Charleys Gesicht nahm einen misstrauischen Ausdruck an. Er fingerte an einem Schlüsselring herum, den er an einer Gürtelschlaufe seiner verwaschenen Jeans befestigt hatte und suchte nach dem richtigen Schlüssel, während er vorausging. „Dritter Stock, am Ende des Ganges.“ Während er die Treppen hinaufstieg, warf er Kincaid einen Blick zu. „Hören Sie, ich will keinen Ärger haben. Wie Sie sicherlich wissen, ist Lenny ebenfalls Polizist. Wir haben hier früher Probleme mit Drogensüchtigen und Schlägern gehabt, aber das ist vorbei, seit Lenny sich hier eingemietet hat. Er ist ein guter Mieter, und dieses Haus wird anständig geführt.“

Und das soll einer glauben, dachte Sara, als sie den beiden Männern die Treppen hinauf folgte.

„Seit wann hat Lenny das Apartment gemietet?“, fragte Kincaid.

„Es ist nun fast ein Jahr.“ Sie blieben vor einer Tür stehen, und Sara wappnete sich innerlich, als Charley zwei Mal laut anklopfte, Lennys Namen rief und erst aufschloss, als er keine Antwort erhielt.

„Er kommt doch wieder zurück?“, fragte der Verwalter und trat nervös zurück.

„Ich weiß es nicht.“ Als Kincaid merkte, dass der Mann ebenfalls eintreten wollte, fügte er hinzu: „Sie können jetzt gehen. Wir werden die Tür zuziehen, wenn wir gehen. Sie können ja dann später abschließen.“

Charley überlegte einen Moment, zog sich dann aber zurück. Offensichtlich war ihm klar geworden, dass Kincaid nicht bereit war, ihn an dieser ‚polizeilichen Angelegenheit‘ teilhaben zu lassen.

Kincaid knipste das Licht an, bevor er sich umschaute – ein hässlicher graugrüner Teppichboden, Wände, die einmal weiß gewesen waren, eine alte Couch und zwei Sessel, goldgelbe schmutzige Vorhänge. Und über all dem lag der Gestank von Tausenden von Zigaretten und von Staub.

„Ich frage mich, wie viele Mieter dieses Apartment gesehen hat“, sagte Sara, als sie durch den Essbereich in die kleine Küche liefen.

„Viele“, murmelte Kincaid, als er dann den Flur hinunterging. Im ersten Zimmer befanden sich nur ein Aktenschrank und ein Schreibtisch. Beide waren leer. Als Nächstes durchsuchte er das Bad. Aber außer zwei Zahnbürsten, Zahnpasta, Rasierzeug und einem pinkfarbenen Lippenstift war dort auch nichts zu finden.

Als er in das Schlafzimmer kam, sah er, wie Sara in den geöffneten Schrank starrte. Zwischen zwei Polizeiuniformen hing ein hauchdünner Morgenmantel in zarten Blautönen.

Er berührte leicht ihren Arm. „Sind Sie sehr überrascht?“

Sie seufzte. „Eigentlich war es ja zu erwarten, nicht wahr? Ich frage mich nur, ob Meg etwas vermutet.“ Angewidert schloss sie die Tür und ging dann an dem ungemachten Doppelbett vorbei zur Kommode. Eine Bürste, in der sich blonde Haare fanden, lag auf der Ablage. In den Schubladen entdeckte sie Männer- und Damenunterwäsche und zwei Polizeihemden, die frisch aus der Reinigung zu sein schienen. Auf dem Fußboden lag ein hauchdünnes Nachthemd, das, so hatte es den Eindruck, hastig ausgezogen worden war.

Kincaid öffnete die Schublade des Nachttisches und fand eine Schachtel mit Kondomen darin. Langsam ging er wieder ins Wohnzimmer zurück.

Manchmal ist es besser, nichts zu wissen, dachte Sara, als sie ihm folgte.

Kincaid wühlte in der Schublade einer Kommode herum und zog einige Karten und Papiere heraus.

„Was haben Sie gefunden?“, fragte Sara.

Er hielt ihr die Karten entgegen. „Eine Wanderkarte des Coconino National Forest, auf dem mit einem gelben Filzstift ein Wanderweg markiert worden ist. Und dann noch eine Karte vom Nordosten von Phoenix, in der ein Weg zum Roosevelt Lake eingezeichnet wurde. Und ein Prospekt von Disneyland, auf dem ein paar Notizen stehen. Erkennen Sie die Schrift?“

Sara sah sich den Prospekt an und hielt überrascht den Atem an. „Es ist Mikes Schrift. Glauben Sie, dass er den Jungen hierher gebracht hat … ich meine, in dieses schreckliche Loch?“

„Nein, ich denke nicht, dass Mike das hier gesehen hat. Lenny hat diese Karten und den Prospekt nur hierher gebracht, um sie in aller Ruhe studieren zu können. Ohne die neugierigen Blicke seiner Frau.“ Kincaid war zwar anderer Meinung, aber er wollte Sara nicht unnötig aufregen.

Er öffnete die zweite Schublade und zog ein Wettformular für Pferderennen, ein paar Lottoscheine und den Prospekt eines Kasinos heraus.

Sara seufzte. „Er ist nicht nur ein untreuer Ehemann, sondern auch noch ein Spieler.“

Kincaid musste ihr recht geben. „Kommen Sie, lassen Sie uns gehen.“

Als sie wieder im Wagen saßen, seufzte Sara erneut. „Ich spüre, dass er den Jungen mit in dieses Apartment genommen hat, wo er mit dieser Frau …“

Kincaid ergriff ihre Hand und drückte sie. „Denken Sie einfach nicht daran.“ Er reichte ihr die Karten. „Wir werden jetzt irgendwohin fahren und uns die Karten genauer anschauen. Vielleicht bekommen wir dann eine Ahnung, wohin er mit Lenny gegangen sein könnte.“

Sara nickte nur.

„Auf der Mill Avenue gibt es ein kleines mexikanisches Restaurant. Wir könnten dort etwas essen. Ich habe Hunger wie ein Bär.“

Er wollte dafür sorgen, dass der traurige, bedrückte Ausdruck in ihren Augen verschwand. Diesen Mann mit seinem Sohn zu finden, würde nicht einfach werden. Und selbst wenn er ihn fand, was könnte er ihm anlasten? Vielleicht hatte Lenny sowieso vor, zur Anhörung am Montag wieder zurückzukommen, und bis dahin würde es keinen Haftbefehl geben. Im Gegenteil, Kincaids Suche könnte sogar als Belästigung interpretiert werden. Als Einmischung in private Angelegenheiten. Trotz allem, er wollte Sara helfen.

Er hatte den Wagen gerade aus der Parklücke gesetzt, als ihm klar wurde, dass er sich genau in der Situation befand, in die er auf keinen Fall mehr kommen wollte.

„Was ist los?“, fragte Sara, als er innehielt, und sah ihn an.

„Nichts“, murmelte Kincaid und fuhr los. „Gar nichts.“

Sara war so benommen, dass sie sich fast willenlos von Kincaid zu einem Tisch in dem kleinen Restaurant führen ließ. Es war zwei Uhr, und es befanden sich nur noch ein älteres Ehepaar und zwei junge Männer in dem Raum. Der Kellner brachte ihnen Salsa, Chips und zwei Gläser Wasser und zog sich dann zurück, damit die beiden in aller Ruhe die Speisekarte anschauen konnten.

„Was hätten Sie gern?“, fragte Kincaid.

„Ich habe keinen Hunger“, erwiderte Sara, während sie in ihre Handtasche griff, um zwei Aspirin herauszuholen. Sie hatte unerträgliche Kopfschmerzen.

Kincaid wartete, bis sie die Tabletten geschluckt hatte, und legte dann eine Hand auf ihre. Er sprach erst, als sie den Blick hob und ihn anschaute. „Sara, Sie müssen essen. Sie haben heute Morgen noch nicht einmal ein Stück von dem Donut zu sich genommen. Wie wollen Sie Mike finden, wenn Sie nicht bei Kräften bleiben?“

Das half. Sie wollte unbedingt mit Kincaid auf die Suche nach Mike gehen. Falls er den Fall überhaupt annahm, und dafür würde sie alles tun. Wenn er wollte, dass sie aß, würde sie eben essen. „Also gut, suchen Sie etwas für mich aus.“

Er bestellte zwei kalte Biere und mexikanische Spezialitäten, die in einer Menge serviert wurden, die gut für vier Leute ausreichen würden. Während Sara darauf wartete, dass ihre Gabel voll dampfendem Chili abkühlte, beobachtete sie, wie Kincaid zu essen begann, als ob das Essen Zimmertemperatur hätte. „Sie müssen eine Art Asbestverkleidung im Mund haben“, bemerkte sie.

„Ich sagte Ihnen doch, dass ich fast am Verhungern bin.“ Er nahm einen Schluck von dem kühlen Bier und sah, dass sie endlich ebenfalls aß. Gut, die Hürde war genommen. Sie konnten sich wieder auf den Fall konzentrieren. „In Arizona gibt es mittlerweile so viele Glücksspiele: die Wetten beim Pferderennen, die Casinos, die Lotterien. Für einige ist die Versuchung einfach zu groß, nehme ich an.“

Die Burritos waren köstlich, und Sara bemerkte, dass ihr Appetit beim Essen kam. „Ich hatte keine Ahnung, dass Lenny spielt. Ich habe nie gehört, dass er oder Meg erwähnt hätten, dass er oder sie beide auf der Rennbahn gewesen wären, oder einen Abend im Casino verbracht hätten. Meg ist viel zu vorsichtig, um zu spielen. Er muss es allein tun. Oder mit der blonden Frau, die ihre Haarbürste im Apartment liegen gelassen hat.“

Das hatte sie also auch bemerkt. „Sie hätten ein guter Detective werden können“, erklärte er, während er genüsslich seine Bohnen aß.

„Hm, ich bin nur neugierig und habe eine gute Beobachtungsgabe.“

„Was haben wir also bis jetzt herausgefunden?“

Gedankenverloren schob sie mit der Gabel den Reis auf ihrem Teller hin und her. „Nun, wir wissen, dass mein Schwager ein Schmuddelapartment gemietet hat, wo er sich mit einer blonden Frau trifft. Oder vielleicht sogar mit mehreren Frauen. Ich denke, dass Meg keine Ahnung hat, dass er ihr untreu ist. Sonst hätte sie ihn bestimmt schon hinausgeworfen. Wir wissen, dass er gestohlen und Sachen verkauft hat, um an Geld zu kommen, wahrscheinlich für seine Spielleidenschaft. Ich nehme an, dass er mehr Geld braucht, als Meg ihm zu geben bereit ist. Ich weiß nicht, was dieses Apartment kostet, aber er bezahlt es bestimmt nicht von seinem Gehalt.“

Nach dem Kincaid fertig gegessen hatte, lehnte er sich gedankenverloren zurück und trank sein Bier.

„Lenny geht mit diesem Apartment ein großes Risiko ein“, fuhr Sara fort. „Warum nimmt er sich hin und wieder nicht einfach ein billiges Hotelzimmer?“

Kincaid war aufgefallen, dass sie jetzt mit Appetit aß und ihr Teller bereits fast leer war. „Wenn er die Frau, nehmen wir mal an, es ist nur eine, mehrmals in der Woche trifft, kommt ihn ein Apartment billiger als ein Hotel. Was halten Sie von diesem Verwalter?“

Sara trank einen Schluck von dem Bier. Bier war nicht gerade ihr Lieblingsgetränk, aber zumindest war dieses hier erfrischend kalt. „Es hat mich gewundert, dass er so viele Fragen gestellt hat. Und was meinte er damit, dass in dem Apartmentkomplex früher viele Drogensüchtige und Schläger gewesen wären, aber seit Lenny da sei, Ruhe herrsche?“

Er lächelte, zufrieden, dass ihr das auch aufgefallen war. „Ich frage mich, ob Lenny nicht eine Übereinkunft mit dem Manager getroffen hat: Kostenfreies Apartment für seinen Schutz.“

Sara sah ihn bestürzt an. „Aber das ist illegal, nicht wahr?“

„So ist es.“ Kincaid trank sein Bier aus. „Wir könnten noch einmal zurückfahren. Ich bin sicher, dass ich den Manager zum Reden bringen könnte, aber ich möchte nicht zu viel Wind machen. Wer weiß, ob Lenny noch in der Gegend ist.“

Überrascht, dass sie so viel gegessen hatte, legte Sara schließlich ihre Gabel weg und trank einen Schluck Wasser. „Und was schlagen Sie vor, was wir jetzt tun sollen?“

Kincaid sah sich die Landkarten und den Disneyprospekt an. „Wir wissen, dass er Mike schon öfter zum Angeln mitgenommen hat. Können Sie sich vorstellen, dass er es wieder tun könnte?“

„Möglich wäre es. Ich habe Mike versprochen, dass wir noch vor Ende des Sommers nach Disneyland fahren, daher bezweifle ich, dass sie dorthin gefahren sind. Mike liebt die Natur. Er campt und wandert sehr gern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lenny ihn mitnehmen würde, wenn er irgendein krummes Ding vorhätte.“

„Besitzt Lenny ein Handy?“

„Ja, aber ich habe bereits mehrere Male angerufen. Er hat es abgestellt.“

„Das ist seltsam. Es sieht so aus, als ob er von niemandem gestört werden wollte.“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Meg kontrolliert ihn, wann immer es geht, und er hasst es.“ Sie schaute auf die Landkarten, die auf dem Tisch lagen. „Ich würde tippen, dass Lenny und Mike irgendwohin zum Campen gefahren sind. Im letzten Herbst habe ich mit Mike eine Wanderung auf einen Berg in der Nähe von Flagstaff gemacht. Dort steht auf einer Lichtung eine alte Hütte, die wahrscheinlich in den Zeiten gebaut worden war, als die Kupferminen noch in Betrieb waren. Damals war Lenny sehr wütend auf mich gewesen, weil ich ihn nicht auf diese Wanderung mitgenommen hatte. Seit der Zeit hat er fast kein Wort mehr mit mir geredet. Es ist möglich, dass er mit Mike dorthin gegangen ist, nur um mir eins auszuwischen. Er weiß sehr gut, dass ich es hasse, wenn er mit Mike alleine wandert.“

„Warum sollten Sie etwas dagegen haben, wenn Lenny und Mike zusammen wandern? Schließlich ist er der Vater des Jungen.“

Sie zuckte die Schulter und zupfte an ihrer Serviette. „Er ist dem Jungen kein richtiger Vater. Er würde niemals mit Mike etwas unternehmen, nur weil es dem Jungen Freude macht, sondern nur, weil er es entweder mir oder Meg zeigen will. Er ist ein Angeber und kümmert sich selbst an gefährlichen Stellen nicht um den Jungen. Mike ist einmal in einen Abgrund gestürzt, als er mit Lenny allein unterwegs war. Glücklicherweise ist er nicht sehr tief gefallen, nur einige Meter, und ist noch einmal mit einigen Kratzern und Blutergüssen davongekommen. Es war nur passiert, weil Lenny ihn gezwungen hatte, näher zum Rand zu gehen und ein Foto zu machen.“

„Entschuldigen Sie, aber woher wissen Sie das, wenn Sie nicht dabei waren? Kinder neigen dazu, wagemutig zu sein.“ Mike ist schließlich ein Junge, dachte Kincaid, und Jungen gingen nun einmal Risiken ein und waren sich selten der Gefahr bewusst. Sara hörte sich an, als ob sie eine von jenen Frauen wäre, die Kinder zu sehr behüten. Vielleicht hatte Lenny Mike einfach auch nur mitgenommen, weil Sara sich zu oft eingemischt hatte? Waren sie und ihr offensichtlich überbesorgtes Verhalten der Schlüssel des Problems?

Langsam zerriss sie die Papierserviette in zwei, dann in vier Hälften. „Sie haben recht, ich war damals nicht dabei. Aber Mike hat es mir später erzählt. Und er ist sehr ehrlich.“

Kincaid war noch nicht überzeugt. Mike mochte ja ehrlich sein, aber bestimmt war der Junge nicht bereit, seiner Tante zu erzählen, dass er leichtsinnig gewesen war. Er sah zu, wie Sara fortfuhr, die Serviette zu zerpflücken. Um sie zu beruhigen, nahm er ihr die Reste der Serviette ab, ergriff ihre Hände und wartete darauf, dass sie ihn anschaute.

Seine Hände sind groß und stark, dachte sie. Seine Berührung war zärtlich, und die Wärme, die von seinen Händen ausging, schien durch ihren ganzen Körper zu strömen. Als sie ihn schließlich ansah, überfiel sie der Wunsch, ihm die Locke aus dem Gesicht zu streichen, die ihm in die Stirn gefallen war. Ihr wurde bewusst, wie gut aussehend dieser Mann war. Er war keine Modelschönheit. Doch sein Gesicht war wundervoll geschnitten, offen und sehr sympathisch. Es war ein Gesicht, dem man vertrauen konnte.

Konnte sie ihm vertrauen? Sie kannte ihn noch keine vierundzwanzig Stunden, obwohl es ihr viel länger vorkam. Ihr Instinkt sagte ihr, dass er ehrlich war, und seine Handlungen hatten ihren Eindruck bislang bestätigt. Dennoch: Außer dem Ruf, der ihm vorauseilte, wusste sie fast nichts von diesem Mann.

Konnte sie es wagen, ihm zu vertrauen?

Kincaid sah, wie ihre Unterlippe leicht zitterte und hätte am liebsten mit dem Finger darüber gestrichen. Er kannte Sara Morgan kaum, und obwohl er bereits einiges von ihr wusste, hatte er die ganze Zeit das untrügliche Gefühl, dass sie etwas Wichtiges zurückhielt. In seiner Arbeit lernte man, Leute zu durchschauen, Charakter und Persönlichkeit der Menschen rasch einzuschätzen. Sara Morgan verbarg etwas vor ihm und nur, wenn er näher an sie herankam, würde er herausfinden können, was es war. Natürlich könnte er … einen Moment mal! Hatte er auf einmal den Verstand verloren? Wie konnte er auch nur daran denken, sich auf sie einzulassen. Hatte er denn immer noch nicht genug gelernt?

Kincaid zog die Hände zurück, schaute Sara aber weiterhin an. „Ich muss es noch einmal sagen, Sara, obwohl wir einiges erfahren haben, das ein bisschen ungewöhnlich ist, ist das immer noch kein richtiger Fall.“ Sie wandte ihren Blick ab. „Lenny ist ein Schuft, und er wird bei der Anhörung einiges erklären müssen. Er betrügt seine Frau, aber das ist eine Angelegenheit zwischen Meg und ihm. Vielleicht ist er mit dem Jungen weggefahren, weil er wusste, dass das in absehbarer Zeit sein letzter Ausflug sein würde. Schließlich muss ihm klar sein, dass er ins Gefängnis wandern wird. Ich weiß nicht, was er gedacht hat, aber stellen wir uns doch einmal vor, dass wir Lenny und Mike gefunden hätten. Was wäre dann? Schließlich hat er seinem Sohn nichts angetan, was gegen das Gesetz verstoßen würde.“ Er schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Sara. Wirklich.“

Sie nickte und hielt den Blick gesenkt, als sie nach der Handtasche griff und nach dem Portemonnaie suchte.

„Bitte, lassen Sie mich das übernehmen“, sagte Kincaid und warf einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tisch.

Sara erhob sich, und sie verließen das Restaurant. Die Rückfahrt zu ihrem Haus verbrachten sie in unangenehmem Schweigen. Sara stellte sich die bange Frage, an wen sie sich jetzt wenden sollte. Wer könnte ihr jetzt noch weiterhelfen? Wahrscheinlich niemand mehr, da Kincaids Gründe einleuchtend erschienen. Jeder andere würde wahrscheinlich zu demselben Schluss kommen. Aber jeder andere, einschließlich Kincaid, kannte Lenny nicht wie sie es tat, und er liebte Mike nicht. Und anderen sagte ihr Gefühl auch nicht, dass irgendetwas nicht stimmte. Überhaupt nicht stimmte.

Sie würde eben allein auf die Suche gehen müssen. Hatte sie denn eine andere Wahl? Nein.

Als sie sich ihrem Haus näherten, nahm Sara die Landkarten und den Prospekt und steckte sie in ihre Handtasche.

Autor

Muriel Jensen

So lange Muriel Jensen zurückdenken kann, wollte sie nie etwas andere als Autorin sein. Sie wuchs in einer Industriestadt im Südosten von Massachusetts auf und hat die Menschen dort als sehr liebevoll und aufmerksam empfunden. Noch heute verwendet sie in ihren Romances Charaktere, die sie an Bekannte von damals erinnern....

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