Am Tag und bei Nacht ...

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Job und Vergnügen hält der erfolgreiche Anwalt Travis Marlowe stets getrennt. Bis die schöne Shana eines Morgens in seinem Büro auftaucht und seine wohl geordnete Welt durcheinanderwirbelt. Was ist das nur für eine rätselhafte Unruhe, die ihn in Shanas Gegenwart befällt? Tag und Nacht muss Travis an seine Klientin denken, und ehe er sich versieht, stürzt er Hals über Kopf in eine zärtliche Romanze. Doch Vorsicht: Shana darf auf keinen Fall merken, dass er etwas vor ihr verbirgt. Denn ihr Vater hat ihm ein Familiengeheimnis anvertraut, von dem sie nie niemals erfahren darf!


  • Erscheinungstag 26.12.2009
  • Bandnummer 1712
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952816
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war mal wieder ein typischer Tag im Paradies.

Während die sorgfältig geschminkten Nachrichtensprecher von „Sturmwarnungen“ und Unwettern in allen Bundesstaaten östlich und nördlich von New Mexico redeten, streichelte die Sonne hier in Bedford, mitten im schönen Südkalifornien, die Menschen mit warmen, zärtlichen Strahlen.

Travis Marlowe wäre Regen lieber gewesen. Er wünschte sich einen trüben, nassen Tag, an dem die Sonne hinter den Wolken blieb und man das Licht einschalten musste, um nicht im Dunkeln zu sitzen. Das hätte wesentlich besser zu seiner Stimmung gepasst.

Außerdem wäre es seinem gegenwärtigen Zustand zuträglicher gewesen. Er hatte keine Ahnung, warum sein Kopf ihn noch nicht umgebracht hatte.

Es stimmte, was behauptet wurde – keine gute Tat blieb ungestraft.

Na gut, eine gute Tat war es nicht gerade. Es gehörte zu seinem Job. Irgendwie jedenfalls. Sicher, die Regeln der Kanzlei schrieben nicht vor, dass man um Mitternacht noch am Schreibtisch saß, aber er hielt es für nötig. Auch wenn er der Einzige war, der das tat.

Wütende kleine Teufel traktierten seine Schläfen mit Vorschlaghämmern.

Das hatte man davon, wenn man fast die ganze Nacht damit verbrachte, die Fehler in Thomas Fielders Testament auszubügeln, und danach auf der Couch im Büro schlief, anstatt um fünf Uhr morgens endlich nach Hause zu fahren.

Das Ledersofa war bequem, wenn man darauf saß, aber zum Schlafen war es denkbar ungeeignet. Dank der ungewohnten Position, in der er aufgewacht war, tat ihm nicht nur der Kopf, sondern auch der Nacken weh. Und als wäre das nicht schlimm genug, durchzuckte Travis jedes Mal, wenn er den Kopf drehte, ein unerträglicher Schmerz. Einer, der ihn wünschen ließ, er hätte irgendwann am frühen Morgen das Zeitliche gesegnet.

Aber er war am Leben, also musste er sich dem neuen, zu allem Überfluss auch noch sonnigen Tag stellen und wenigstens so aussehen, als würde er sich darüber freuen. Er nahm sich das frische Hemd und die Unterwäsche, die er für genau solche Notfälle in der untersten Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte, und konnte nur hoffen, dass eine kurze Dusche im Badezimmer der Chefetage seine Lebensgeister wecken würde.

„Fahr nach Hause“, sagte sein Vater zu ihm. Bryan Marlowe war einer der Seniorpartner der Anwaltskanzlei, in der Travis arbeitete. „Du siehst grauenhaft aus“, fügte er hinzu, nachdem er seinen Sohn prüfend gemustert hatte.

Bryan hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie glücklich er darüber war, dass wenigstens einer seiner vier Söhne in seine Fußstapfen getreten war. Er war kein prahlerischer Mensch, aber jeder wusste, wie stolz er auf seinen Sohn war.

Wenn mein Vater mich auffordert, nach Hause zu gehen, dachte Travis, sehe ich wahrscheinlich wie gerädert aus. Oder noch schlimmer. „Nach dem Duschen bin ich wieder der Alte“, versprach er und wollte mit einer Kopfbewegung auf die frischen Sachen deuten. Im letzten Moment hielt er inne – und bewahrte seinen Hals vor einer neuen Schmerzattacke.

Bryan betrachtete seinen Sohn von Kopf bis Fuß und schnaubte. „Seit wann haben wir in unserem Bad einen Jungbrunnen?“ Er runzelte die Stirn. „Warum bist du gestern Abend nicht nach Hause gefahren, wie alle anderen?“

Unter dem zerknitterten hellblauen Oberhemd zuckte Travis mit den Schultern. „Du weißt doch, wie es ist. Man nimmt sich vor, nur noch einen einzigen Punkt zu bearbeiten, und plötzlich ist es Morgen. Oder kurz davor.“

Irgendwo in der Kanzlei knallte eine Tür, und Travis verzog das Gesicht, als das Geräusch zwischen seinen Schläfen widerhallte.

„Kopfschmerzen?“, erriet Bryan.

Lügen war zwecklos. „Ja. Und was für welche.“

Die Antwort bestätigte Bryan in seiner Ansicht. „Wie gesagt, geh nach Hause, Travis. Nimm dir einen freien Tag, und dusche in deinem eigenen Badezimmer.“

Travis hatte wenig Lust, zu Hause die Zeit totzuschlagen. „Es geht mir gut. Wirklich. Außerdem kann ich nicht wissen, wann ich meine freien Tage für dringendere Angelegenheiten brauche. Besser, ich spare sie mir auf.“

Wieder legte Bryan die Stirn in Falten. Er hatte einen Fall, den er noch mal durchgehen wollte, bevor der erste Mandant dieses Tages eintraf. Aber seine Ehefrau Kate hatte ihm beigebracht, dass nichts so wichtig war wie die Familie. Und die war im Moment Travis.

„Du müsstest dir ab und zu einen freien Tag nehmen, Travis. Als du mir damals gesagt hast, dass du in die Kanzlei eintreten willst, war ich der stolzeste Vater unter der Sonne. Ich meine, ich liebe alle meine Jungs – und Kelsey.“ Bryan warf den Namen seiner Tochter ein. Weil sie das jüngste Kind und ein Mädchen war, neigte er dazu, sie als etwas Besonderes anzusehen. Sehr zu Kelseys Leidwesen. Seit Jahren protestierte sie dagegen. Vergeblich. „Und ich bin stolz auf jeden von euch. Aber ich gebe zu, dass ich schon ein bisschen enttäuscht war, als Mike, Trevor und Trent sich für andere Berufe entschieden. Ich habe mir immer vorgestellt, dass wir fünf in unserer eigenen Kanzlei zusammenarbeiten.“

Travis lächelte. „Marlowe und Söhne?“

„So ähnlich“, gestand sein Vater offen. „Trotzdem, einer ist besser als keiner, und deine Brüder haben es alle zu etwas gebracht.“

Travis erinnerte sich vage daran, dass er heute Morgen einen Termin mit einem Mandanten hatte, wusste allerdings nicht, wann genau der war. Er musste sich darauf vorbereiten. „Worauf willst du hinaus, Dad?“

Bryan lächelte belustigt. „Wir sind Anwälte, Travis. Wir kommen nie sofort zur Sache.“

„Entschuldige.“

„Ich will darauf hinaus, dass du mir ähnlicher geworden bist, als ich jemals für möglich gehalten hätte.“

Travis betrachtete das Gesicht seines Vaters. Es war eines, das nichts verriet, wenn Bryan es nicht wollte. „Soll das ein Kompliment sein?“

„Ja und nein“, erwiderte Bryan. „Deine Berufsauffassung ist bewundernswert. Aber die Tatsache, dass du nichts anderes als die Arbeit kennst, ist es nicht.“ In dieser Hinsicht war sein Sohn ihm zu ähnlich. Dem, der ich mal war, fügte Bryan in Gedanken hinzu. Weil er die Anzeichen kannte, wollte er seinem Sohn helfen, nicht den gleichen Fehler zu begehen. „Ich weiß nur zu gut, wie einfach es ist, sich in die Arbeit zu stürzen. Es ist leichter, als sich den eigenen Problemen zu stellen. Bevor Kate in mein Leben getreten ist und es mir erklärt hat, war mir gar nicht bewusst, dass die Arbeit auch eine Flucht sein kann.“

Travis und seinen Brüdern war klar, wie sehr ihr aller Leben sich durch ihre Stiefmutter verändert hatte. Sie war ins Haus gekommen und hatte die Pflichten übernommen, vor denen drei Kindermädchen nacheinander davongelaufen waren. Trotzdem wollte er nicht, dass sein Vater von sich auf ihn schloss. „Ich arbeite nicht so viel, weil ich meinen Problemen ausweiche, Dad“, beharrte Travis. „Ich arbeite so viel, weil ich gern arbeite.“

„Das hat dich Adrianne gekostet“, erinnerte Bryan seinen Sohn leise.

Travis atmete tief durch. Adrianne und er waren etwa zwei Monate verlobt gewesen – bis sie ihm den Ring vor die Füße geworfen hatte. „Adrianne und ich passten einfach nicht zueinander. Ich kann wirklich von Glück sagen, dass sie die Verlobung gelöst hat. So bin ich gerade noch einer Katastrophe entgangen.“ Es war besser, sich vor der Hochzeit zu trennen als danach.

Bryan versuchte, sich in Adriannes Lage zu versetzen. Von Kate hatte er gelernt, die Dinge auch mit anderen Augen zu sehen. „Einer Katastrophe entgangen? Deine Beziehung war doch schon eine. Du warst dauernd in der Kanzlei – oder im Gericht.“

Travis wollte nicht darüber reden. Das war Vergangenheit. Und die bestärkte ihn in der Überzeugung, dass er nicht für feste Beziehungen geschaffen war. Es gab nur wenige Ehen, die wirklich glücklich waren, und selbst die waren das Risiko nicht wert.

„Dad, glaub mir, ich bin froh, dass es so gekommen ist. Wir waren nicht gut füreinander. Ich habe gehört, dass Adrianne jetzt mit einem Mann zusammen ist, der ihr all die Aufmerksamkeit geben kann, die sie braucht.“

Ihm ist gar nicht klar, wie ähnlich er mir ist, schoss es Bryan durch den Kopf. „Weißt du, nach dem Tod deiner Mutter habe ich mich in die Arbeit gestürzt, weil ich mich schuldig fühlte.“ Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Bryan an Jill, seine erste Ehefrau und die leibliche Mutter seiner vier Söhne. „Weil ich am Leben und sie tot war. Weil ich vielleicht mehr hätte tun können, um sie von der Reise abzuhalten, bei der sie gestorben ist. Und ich hatte Angst, mich auf jemand anderen einzulassen. Sogar auf euch Jungs. Mir graute davor, noch einen Menschen zu verlieren. Erst Kate hat mir gezeigt, dass die Liebe jedes Risiko wert ist.“

Travis begann zu nicken, hielt jedoch abrupt inne, als sich ein Dutzend Pfeilspitzen in seine Schläfen zu bohren schienen. Dieser Tag wird die reine Hölle, dachte er. Trotzdem wollte er nicht aufgeben. „Das werde ich mir merken“, versprach er seinem Vater. „Aber jetzt muss ich wirklich duschen.“

Bryan trat zur Seite. „Dreh das heiße Wasser ganz auf. Vielleicht tut der Dampf deinem Kopf gut.“

„Mach ich“, sagte Travis und steuerte das Badezimmer an.

Doch aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass auch das nicht helfen würde. Was er brauchte, war ein neuer Kopf. Aber da er den nicht bekommen würde, musste er den Schmerz eben noch eine Weile ertragen – möglichst bei geschlossenen Vorhängen. Im Bad verriegelte er die Tür und zog sich aus. Es dauerte weniger als eine Minute, die Temperatur zu regulieren. Seufzend ließ er das Wasser mit voller Wucht auf seinen Rücken prasseln.

Er konnte gut verstehen, dass sein Vater sich Sorgen um ihn machte. Insgeheim gestand er sich sogar ein, dass die Sorgen nicht ganz unbegründet waren. Es stimmte, er war tatsächlich beziehungsscheu, und mit dem Verdacht, dass das mit dem viel zu frühen Tod seiner Mutter zu tun hatte, lag sein Vater nicht ganz falsch.

Aber Travis mochte seine Arbeit wirklich sehr. Adrianne dagegen war mehr an dem Prestige gelegen, das sie als zukünftige Ehefrau eines Rechtsanwalts für sich beanspruchen konnte. Allerdings sollte der Anwalt nur dann praktizieren, wenn sie ihn als Ehemann entbehren konnte.

Keine Frage, ohne sie war er besser dran. Zugleich fühlte er sich immer etwas ausgeschlossen, wenn er seine Brüder sah, die alle seit dem letzten Jahr eine feste Partnerin hatten. Natürlich ließ er sich nichts anmerken, denn er freute sich für sie und gönnte ihnen ihr Glück.

Travis bezweifelte stark, dass er so schnell die Richtige finden würde. Nicht, weil er nicht suchte, sondern weil er sich noch nicht vorstellen konnte, dauerhaft mit jemandem zusammen zu sein. Mit einer Frau, die ihn – vielleicht aus einer Laune heraus – jederzeit wieder verlassen konnte. Zugegeben, mit Adrianne hatte er keine gute Wahl getroffen, aber sie war der lebende Beweis dafür, dass seine Theorie stimmte. Nein, allein war er besser dran. Er liebte seinen Beruf, und den machte er gut.

Aber tief sitzende, vielleicht sogar unbewusste Gefühle zu analysieren, das war Trents Domäne. Sein Bruder war Kinderpsychologe, genau wie Kate. Trent war es gewöhnt, mit vielschichtigen Emotionen umzugehen und nach Verborgenem zu graben. Travis dagegen hatte es gern schwarz-weiß.

Vielleicht hatte er auch deshalb Jura studiert.

Er blieb noch eine Weile unter dem heißen Wasserstrahl stehen und wartete, bis der Dampf die schwarz gekachelte Kabine füllte. Langsam entspannten sich die Schultern. Sein Vater hatte recht. Es half. Zumindest ein bisschen.

Travis ging hinaus, bevor seine Haut schrumpelig wurde.

„Ihr Haar ist feucht.“

Die Bemerkung kam von Bea Bennet, Travis’ Sekretärin. Sie war eine kleine, zierliche Frau, die lange Röcke und bequeme Schuhe trug und ihren Chef gern mit kritischen Blicken durchbohrte, anstatt ihm offen zu widersprechen.

Keine zehn Minuten, nachdem Travis wieder in seinem Büro war, baute sie sich vor seinem Schreibtisch auf. „Der Trockner hat den Geist aufgegeben“, erklärte er.

Das Gerät hatte kapituliert, als sein rotblondes Haar erst halb trocken war. Deshalb wirkte es jetzt ein wenig dunkler als sonst. Er hatte sich ein paar Mal mit den Finger hindurchgestrichen, um die Tropfen abzustreifen, und verließ sich darauf, dass die Luft den Rest erledigen würde.

Dünne, sorgsam nachgezogene Augenbrauen zuckten hoch. „Der im Bad?“

Wieder beherrschte Travis sich, um nicht zu nicken. Die Kopfschmerzen waren in dem Moment zurückgekehrt, in dem er die warme Duschkabine verlassen hatte. „Genau den meine ich.“

Stirnrunzelnd schüttelte Bea den Kopf wie ein Schulrektorin, die aus ihrem Schützling einfach nicht schlau wurde. „Was macht ihr Leute bloß immer mit dem Ding? Meiner zu Hause hält schon sieben Jahre.“

Wie alle anderen in der Kanzlei war Travis daran gewöhnt, dass seine Sekretärin kein Blatt vor den Mund nahm. Meistens fand er das gut, weil es Missverständnisse vermied. Aber jetzt ging es ihm auf die Nerven. Kopfschmerzen machten selbst den tolerantesten Mann reizbar.

„Schön für Sie, Bea.“ Er wühlte in einer Schublade nach den extrastarken Tabletten. Obwohl er wusste, dass sie nichts ausrichten würden, nahm er gleich zwei davon. Er hatte gehört, dass man nur fest daran glauben musste, dann halfen sie vielleicht. „Sind Sie aus einem bestimmten Grund hier, Bea, oder wollen Sie mich nur mit Ihrem messerscharfen Verstand und ihrer erregenden körperlichen Ausstrahlung bezirzen?“

Bea kniff die Augen zusammen, bis die Pupillen kaum noch zu sehen waren. Tat sie das, um einen Effekt zu erzielen, oder war sie einfach nur kurzsichtig? Er wusste es nicht.

„Wenn ich Sie bezirze, Mr. Marlowe, brauchen Sie mich nicht zu fragen, ob ich es tue. Sie merken es auch so“, antwortete sie, bevor sie den Kopf zurückwarf und sich in seine langjährige Sekretärin zurückverwandelte. „Ihr Zehn-Uhr-Termin ist da.“

Sein Zehn-Uhr-Termin. Eine Sekunde lang war Travis verwirrt. Er warf einen Blick auf den Kalender. Er hatte einen Namen neben die Uhrzeit geschrieben, konnte ihn jedoch nicht entziffern.

„Und der wäre?“, fragte er.

„Die wären“, verbesserte Bea. „Und sie sitzen draußen am Empfang.“ Sie zeigte hinter sich auf den Bereich, in dem sämtliche Mandanten der Kanzlei warteten, nur die allerwichtigsten nicht.

Travis schaute erneut in den Kalender. Inzwischen war der Eintrag sogar noch unleserlicher geworden. Keine Frage, er musste dringend an seiner Handschrift arbeiten. „Ich brauche einen Namen, Bea.“

Ein Lächeln huschte über das schmale Gesicht hinter dem dunklen Brillengestell, das sie angeblich nur trug, um noch strenger zu wirken. „Einen bestimmten?“, entgegnete sie schlagfertig.

Dieses Spiel spielen wir entweder nach ihren Regeln oder überhaupt nicht, dachte Travis. Und vielleicht hätte es ihm sogar Spaß gemacht, wenn nicht gerade hinter seinen Augen ein Bürgerkrieg getobt hätte. „Der Name des möglichen Mandanten wäre hilfreich.“

Sie beugte sich vor und inspizierte demonstrativ seinen Terminkalender. „Was zum Teufel ist das?“, fragte sie und zeigte auf die Eintragung neben der Zehn. „Das sieht aus, als hätten Sie ein Huhn in Tinte getaucht und über die Seite gescheucht.“ Sie sah ihn an. „Haben Ihre Eltern Ihnen nicht beigebracht, wie man mit der Hand schreibt?“

„Die haben mir wesentlich wichtigere Dinge beigebracht“, erwiderte er. „Zum Beispiel wie man eine aufsässige Sekretärin feuert.“

Sie gab einen leisen, hochmütigen Laut von sich. „Ich kann nicht gefeuert werden“, informierte sie ihn.

Sein Sinn für Humor versuchte tapfer, in den Kreis der Lebenden zurückzukehren. Travis hatte nichts dagegen. „Und warum nicht?“

Halb rechnete er damit, dass sie ihm erklärte, sie sei unkündbar, weil sie schon so lange in der Kanzlei arbeitete, dass niemand sich erinnern konnte, wann sie dort angefangen hatte. Aber das hier war Bea, und er hätte es besser wissen müssen. Herkömmliche Argumente waren nicht ihr Ding.

„Weil Sklaven verkauft werden müssen“, sagte sie. „Und der Name ist O’Reilly.“ Bea klopfte mit der Fingerspitze auf den Terminkalender, als würde das sein Gekritzel in leserliche Buchstaben verwandeln. „Shawn und Shana“, fügte sie hinzu.

„Ein Ehepaar?“, fragte er zerstreut. Das Familienrecht, auf das sich die Kanzlei spezialisiert hatte, war ein weites Feld. Sie waren zwölf Anwälte, und jeder davon hatte sein eigenes Fachgebiet.

Bea lachte kurz auf. „Wohl kaum“, kicherte sie. „Es sei denn, der alte Mann ist ein Lustgreis, der auf junges Gemüse steht. Heutzutage denkt jeder Mann, der Geld hat, er kann sich alles kaufen, was er will.“

„Auch eine Sekretärin, die nicht zu allem und jedem ihren Senf dazugeben muss?“, entgegnete Travis mit sehnsuchtsvoller Stimme.

„Die wäre doch viel zu langweilig.“ Bea machte eine wegwerfende Handbewegung und ließ den Blick noch einmal über den Schreibtisch wandern, bevor sie zur Tür ging. „Übrigens, die Dinger fressen Ihnen ein Loch in den Bauch“, sagte sie mit tadelnder Miene und zeigte auf die Flasche mit den extrastarken Tabletten. „Wenn Sie wie alle anderen zu einer vernünftigen Zeit nach Hause gingen, würden Sie vielleicht nicht dauernd unter Kopfschmerzen leiden.“

Bea wusste über alles Bescheid, was in der Kanzlei passierte. Sie war besser als jeder Privatdetektiv. Travis legte die Flasche in die Schublade zurück.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie sich um meine Gesundheit sorgen, Bea.“

Sie lächelte über die Schulter. „Es gibt vieles, von dem Sie keine Ahnung haben“, murmelte sie und ging hinaus. Vor der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Übrigens …“

Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft. Travis wartete darauf, dass sie weitersprach. Sie dachte offenbar gar nicht daran, und nach weniger als einer Minute gab er auf.

„Was?“, fragte er.

„Vergessen Sie nicht zu atmen.“

Er blinzelte verblüfft. „Wie bitte?“

Bea lächelte nur. Ihre Augen blitzten vor Belustigung. „Sie werden schon sehen“, versprach sie und verschwand.

Sekunden später betraten Travis’ neueste Mandanten sein Büro. Der Zehn-Uhr-Termin, Shawn O’Reilly und Shana O’Reilly.

Und Bea hatte recht. Travis hielt die Luft an.

Shawn O’Reilly glich einem modernen, leicht überarbeiteten und blassen Kaufhausweihnachtsmann. Aber Travis wusste sofort, dass es die junge Frau neben ihm war, vor der Bea ihn gewarnt hatte. Shana O’Reilly sah aus wie etwas, was der Weihnachtsmann einem Mann unter den Christbaum legte, wenn der außergewöhnlich brav gewesen war. Und das nicht nur im letzten Jahr, sondern in seinem ganzen Leben.

Travis beherzigte den Rat seiner Sekretärin, besann sich darauf, dass Sauerstoff lebensnotwendig war, und atmete so unauffällig wie möglich tief durch.

Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, jemals eine hübschere Frau gesehen zu haben – und er war mit einem Gedächtnis gesegnet, das absolut nichts vergaß. Sie war groß und schlank, mit dem Gesicht eines Engels und glattem blonden Haar, das einen automatisch an den märchenhaften Ausdruck „gesponnenes Gold“ denken ließ. Ihre ausdrucksvollen Augen waren kristallblau, und als wäre das alles nicht genug, bewegte sie sich auch noch mit äußerster Anmut.

Erst nach einem langen Moment fiel Travis ein, dass er eine recht angenehme Stimme besaß, mit der er auch umgehen konnte, und ein Rechtsanwalt auf mögliche Mandanten nicht besonders vertrauenerweckend wirkte, wenn er so reglos verharrte wie eine verstaubte Gipsstatue in einem verlassenen Winkel eines Museums.

Er zwang sich, seine Trance abzuschütteln, stand auf und ging so schnell um den Schreibtisch herum, dass er dafür mit einer weiteren Schmerzattacke hinter den Schläfen bezahlte. Insgeheim beglückwünschte er sich, dass er nicht das Gesicht verzog – es hätte keinen guten Eindruck gemacht. Die Leute erwarteten nicht, dass ihr Anwalt bei der ersten Begegnung eine Grimasse schnitt. Auf jeden Fall hätte es erhebliche Zweifel an seinen juristischen Fähigkeiten geweckt.

„Hallo.“ Er setzte sein breitestes Lächeln auf und streckte dem kleinen korpulenten Mandanten die Hand entgegen. „Ich bin Travis Marlowe.“

„Shawn O’Reilly“, erwiderte der Mann freundlich und deutete mit dem Kopf auf den strahlenden Sonnenschein an seiner Seite. „Und das ist Shana.“ Kurze Pause. „O’Reilly“, fügte er hinzu, als wäre es ein Nachgedanke. „Meine Tochter“, verkündete er mit leuchtenden Augen.

In seiner Jugend hatte der Mann vermutlich ganz gut ausgesehen, aber jetzt hatte er circa fünfzig Kilo und mehrere Kinne zu viel. Das hier war der klassische Fall eines Apfels, der Meilen vom Stamm entfernt zu Boden fiel. Travis und seine Brüder glichen einer gelungenen Mischung aus ihrer verstorbenen Mutter und ihrem Vater. Kelsey war Kate wie aus dem Gesicht geschnitten. Travis war ziemlich sicher, dass Shana O’Reilly nach ihrer Mutter kam, denn abgesehen von den strahlend blauen Augen gab es an ihr nichts, was auch nur entfernt an Shawn O’Reilly erinnerte.

„Hallo“, sagte Shana und reichte ihm die Hand.

Ihre Stimme klang wie ein leiser, melodischer Blues und war sündhaft verführerisch.

Das überraschte Travis kein bisschen. Es dauerte eine Sekunde, bis er die Hand ergriff und schüttelte. Er hielt sie ein wenig länger als nötig fest, denn es fiel ihm unglaublich schwer, sie wieder loszulassen.

Was zum Teufel war los mit ihm? Er war zu jung für eine zweite Jugend und zu alt, um die erste noch mal zu erleben.

Sie haben recht, dachte er. Die Leute, die behaupteten, dass man nach einer Nacht ohne Schlaf nicht in Bestform war. Sein Motor lief eindeutig auf weniger als vier Zylindern.

Aus den Augenwinkeln sah Travis, wie Shanas Vater die beiden Stühle vor dem Schreibtisch mit einem skeptischen Blick bedachte. Er schien sich zu fragen, ob sie sein Gewicht aushalten würden oder ob er lieber in der Sitzecke Platz nehmen sollte.

Travis zeigte auf die Couch. „Vielleicht haben Sie es dort etwas bequemer, Mr. O’Reilly“, schlug er vor. „Mir geht es jedenfalls so.“

Shana lächelte dankbar, und erneut stockte Travis der Atem. Geschlagene dreißig Sekunden lang. Es war, als stünde man an einem Sommertag direkt neben der aufgehenden Sonne.

Er schaute auf ihre linke Hand. Kein Ring.

Ein Sonnenstrahl wärmte sein Herz.

Um Shawn herum schien das weiche hellbraune Leder aufzuseufzen, als er sich langsam darauf sinken ließ. Shana nahm neben ihm Platz und schlug die Beine übereinander. Der weiße Rock schmiegte sich an ihre Oberschenkel, und Travis zwang sich, den Blick abzuwenden, weil er sonst wahrscheinlich minutenlang keinen klaren Gedanken mehr hätte fassen können.

Er griff nach einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch, drehte ihn um und setzte sich zu den beiden. Zwischen ihm und den potenziellen Mandanten stand ein flacher Tisch mit Glasplatte.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte Travis höflich und wagte es nach kurzem Zögern, von dem Mann zu seiner hinreißenden Tochter zu schauen. „Kaffee? Tee? Ein Softdrink? Wasser?“

„Nicht nötig“, erwiderte Shawn.

„Na gut.“ Travis lehnte sich zurück. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Shawn beugte sich ein wenig vor, als wollte er eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen. „Man hat mir erzählt, dass Sie sich mit Testamenten und Stiftungen auskennen.“

Jeder in der Kanzlei hatte sein Spezialgebiet, auch wenn es natürlich Überschneidungen gab. Für dieses Mandat kamen gleich mehrere Anwälte infrage. Also musste es irgendwo einen Schutzengel geben, der ihm diese Leute geschickt hatte. „Ich habe schon einige Testamente und Stiftungsurkunden aufgesetzt, ja.“

Seine Antwort schien Shawn nicht zu gefallen. Er zog die buschigen Augenbrauen zusammen, und sie sahen aus wie zwei Hamster, die sich gegen die Kälte zusammenkuschelten. „Ich will keine falsche Bescheidenheit, mein Junge. Ich will den Besten.“

Na schön, wenn du Selbstvertrauen willst, bekommst du Selbstvertrauen. „Dann sind Sie bei mir vollkommen richtig“, sagte Travis.

Shawn lächelte zufrieden. „Schon besser.“ Dann nickte er. „Ein Mann sollte immer wissen, wozu er fähig ist, und wo seine Schwächen liegen.“ Seine Stimme war laut und dröhnend, mit einem leichten texanischen Akzent. Offenbar war er kein geborener Kalifornier.

Travis wünschte, sein neuer Mandant wäre etwas leiser und sanfter. Jedes Wort, das der Mann von sich gab, hallte in seinem Kopf wider wie ein Trommelschlag.

Shawn stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel. „Stimmt es, was man behauptet?“, fragte er ohne Umschweife.

Travis hatte keine Ahnung, was der Mann meinte, aber er wollte ihn nicht kränken. „Und was genau wird behauptet, Mr. O’Reilly?“

„Dass meine Tochter keine Erbschaftssteuer bezahlen muss, wenn ich mein Geld und meine Immobilien in eine Treuhandstiftung einbringe.“ Als er die Stirn runzelte, traten seine Kinne noch deutlicher hervor. „Schließlich habe ich jeden Dollar schon mal versteuert, da ist es doch nicht fair, dass meine Mädchen noch mal zahlen müssen, nur weil sie alles erben, wenn ich sterbe.“

Das Argument hörte Travis oft. Er lächelte und bereute es sofort. Die beiden Tabletten, die er geschluckt hatte, schienen sich mit ihrer Wirkung verdammt viel Zeit zu lassen.

„So denken die meisten Mandanten, die deswegen zu mir kommen“, erwiderte er.

Der Mann nickte. „Wir reden hier nicht über ein Riesenvermögen, mein Junge. Ich bin kein Rockefeller.“

„Das sind die meisten nicht“, erwiderte Travis. „Sie haben Ihre ‚Mädchen‘ erwähnt. Natürlich genießen Ehepartner eine Steuerbefreiung oder höchste Erleichterungen. Bei den Kindern fällt sie deutlich geringer aus. Aber zunächst muss ich mehr darüber wissen, was genau Sie in die Stiftung einbringen wollen.“ Er sah Shana an. Die beiden schienen nicht darauf zu warten, dass noch jemand kam. Das bedeutete, dass der Mann sich auf Shana verließ. Hübsch und verlässlich. Eine tolle Kombination. „Ich nehme an, es geht um Ihre Töchter.“

„Stimmt.“ Shawn lachte herzhaft. „Ich habe keinen Nachtclub mit Tänzerinnen. Nur ein Restaurant.“ Die Art, wie er das sagte, verriet Travis, dass das „nur“ nicht ganz angebracht war. „Ich habe es schon länger, als Shana auf der Welt ist“, fuhr er stolz fort. „Das soll auch in die Stiftung.“ Shawn musterte ihn. „Das bekommen Sie doch hin, oder?“

„Mit den richtigen Formulierungen können wir praktisch alles in die Stiftung einbringen, Mr. O’Reilly“, versicherte Travis. „Vorausgesetzt, ich habe die vollständigen Dokumente.“ Er fragte sich, ob der Mann zulassen würde, dass ein Fremder seine Unterlagen durchging. O’Reilly klang freundlich genug, aber manche Menschen scheuten sich davor – trotz der so oft angeführten Schweigepflicht der Anwälte.

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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